Fünftes Capitel

[68] Was nur heute in sie gefahren ist! sagte an dem Nachmittage der Kammerdiener verdrießlich zu Vittoria's Dienerin, mit welcher er in dem Laufe der Jahre eine Freundschaft auf Tod und Leben geschlossen hatte. Seit der junge Herr zu Hause ist, hatte doch Alles wieder eine Manier bekommen, aber heute stieben sie aus einander, als hätte der Blitz dazwischengeschlagen! Was haben sie denn vor?

Der junge Herr ist fortgeritten! bedeutete Gaetana geheimnißvoll.

Freilich, ich habe ihm ja das Pferd bestellt! versetzte darauf der Diener.

Aber wissen Sie, weßhalb er fortgeritten ist? fragte die Italienerin, und ihre dunklen Augen blitzten unter den breiten, schwarzen Brauen scharf hervor.

Ja, er war ärgerlich, weil er mit dem Amtmanne nicht zu Stande gekommen ist! sagte der Kammerdiener.

Gaetana machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Nein, Padrone, Ihr irrt, Ihr irrt Euch ganz und gar! – Und sich vorsichtig umblickend, fügte sie hinzu: Die Gräfin Cäcilie kam blaß wie eine Leiche zu meiner Signorina in das Zimmer! Sie schickten den Junker fort, sie schickten auch mich hinaus! Gleich darauf sendete die Gräfin ihre Jungfer zu uns und ließ sagen, sie und die älteste Comtesse würden auf ihrem Zimmer speisen. Die Gräfin Hildegard reist ab![68]

Sie konnte ihr Vergnügen bei den Worten nicht verbergen, der Kammerdiener zuckte ungläubig mit den Schultern. Sie denkt nicht daran! meinte er – die Herzogin, als wir die noch zu des seligen Herrn Zeiten bei uns hatten – ich war damals noch ein Junge, der nur hier und da zur Hand ging – die Herzogin machte es gerade so, wenn sie ihren Willen durchzusetzen dachte! Packen werden sie und Pferde bestellen auch! Aber sie werden die Pferde stehen lassen und mit dem Packen nicht zu Ende kommen, bis sie der Herr dabei betrifft, und dann ...

Nein, sie geht, sie geht! versicherte ihm Gaetana, als die Klingel aus dem Zimmer der Baronin Vittoria sie von der Unterhaltung abrief, und fast gleichzeitig der Reitknecht eines benachbarten Edelmannes in den Hof geritten kam.

Er brachte einen Zettel von dem jungen Freiherrn, der den Kammerdiener anwies, ihn heute nicht mehr zu erwarten, sondern ihm einen Mantelsack zu packen und ihm denselben durch einen Boten zu übersenden, da er mit seinem gegenwärtigen Wirthe auf einem andern Gute bei andern Freunden noch einen Besuch zu machen denke.

Nun? fragte Gaetana, da sie im Auftrage ihrer Herrin eilig durch den Flur ging.

Sie könnten Recht haben, meinte der Kammerdiener; es ist etwas passirt! Aber fortgehen? Ich glaub's nicht! Wo sollen sie denn hin? fügte er mit einem geringschätzigen Zucken des Mundes hinzu.

Er war noch zu den guten Zeiten in die Dienste des verstorbenen Freiherrn getreten, hatte noch die Baronin Angelika in aller ihrer Vornehmheit gekannt und, wie alle Diener reicher Häuser, immer eine große Verachtung gegen unbemittelte Herrschaften gehegt. Es war daher gar nicht nach seinem Sinne gewesen, als nach dem Tode des Freiherrn die Gräfin Rhoden mit ihren Töchtern in das Schloß gekommen war. Er hatte[69] es auch in all den Jahren und bis zu dem Tage von des jungen Freiherrn Rückkehr hartnäckig geläugnet, daß es zwischen seinem jungen Herrn und der Gräfin Hildegard jemals etwas werden könne. Jedem, der ihn darum befragt, hatte er geantwortet, daß sein Herr der Gräfin Rhoden und ihren Töchtern in den schweren Zeiten zu Hülfe gekommen sei und sie so mit durchgehalten habe, und das sei schön und recht von ihm gewesen, denn der verstorbene Herr Baron habe es ja seiner Zeit mit der Frau Herzogin gerade so gehalten; aber heirathen? Nein! Heirathen sei doch etwas Anderes, und an eine Heirath sei hier nicht zu denken! Die Herren von Arten nähmen sich keine Frauen, deren Hab und Gut man in zwei Wagen und ein paar Koffern von der Stadt nach Richten bringen könne!

Selbst als nach des jungen Freiherrn Heimkehr die äußeren Zärtlichkeitsbeweise zwischen Renatus und Hildegard ihr Verlobtsein für die Schloßinsassen außer Frage stellten, hatte der Kammerdiener immer noch den Kopf geschüttelt und war von seinem verzweifelnden »ich glaub's nicht!« nicht abgegangen; denn, hatte er zu Gaetana stets gesagt, so wie der gnädige Herr die Gräfin Hildegard anfaßt, so faßt solch ein junger Herr kein Frauenzimmer an, bei dem ihm warm wird! Mit den Beiden wird es nichts!

Ihm machte es also keinen Kummer, im Gegentheil, er sah es mit der stillen Genugthuung eines Propheten, dessen Vorausverkündigungen sich erfüllen, als man die alten Koffer der Gräfin Rhoden aus der Remise hervorbrachte, als die Kammerjungfer den Sattler vom Hofe herbeiholte, die Riemen und die Schnallen nachzusehen. Er that keine Frage, er ließ die Dinge gehen und an sich kommen.

Die Mahlzeit war vorüber. Die Baronin Vittoria und der Junker hatten mit großer Eßlust gespeist, aus den Zimmern der Gräfin waren die Speisen fast unberührt nach der Küche zurückgebracht[70] worden, und in der Stube der Dienerschaft saßen der Kammerdiener, die beiden Kammerfrauen und der alte Kutscher jetzt bei ihrem Mittagbrode, bei welchem die Köchin die Vorschneiderin machte und eine der Küchenmägde die Speisen zutrug.

Wird denn oben nicht mehr gepackt? fragte der Kammerdiener, während er sich zu dem Hammelbraten, den die Köchin ihm vorgelegt hatte, eine tüchtige Portion der Spargel geben ließ, welche für die Tafel der Gräfin bestimmt gewesen waren. Wird denn oben jetzt nicht mehr gepackt?

Wir machen nur eine kleine Pause, entgegnete die Kammerjungfer, welche ihre gute Berliner Sprache, wie sie immer sagte, hier auf dem Lande nicht verlernen wollte. Meine Comtesse hat sich ein wenig hingelegt, sie hat Migräne, und es muß doch auch geschrieben werden.

Was denn geschrieben? erkundigte sich der Kutscher, es ist ja heut' nicht Posttag!

Sie haben wohl nicht gesehen, daß der Reitknecht von Brasteck in den Hof gekommen ist? Der soll den Brief an den Herrn Baron gleich mit sich nehmen.

Der Kammerdiener fragte, wer den Brief denn schreibe? Mamsell Caroline entgegnete, die Frau Gräfin schriebe ihn.

Da soll sie sich sputen, meinte der Kutscher, indem er das große Bierglas an die Lippen setzte, denn der Reitknecht hat gefüttert und sattelt wieder.

So sagen Sie ihm, gebot die Kammerjungfer, daß er warten muß, bis meine Gräfin fertig ist! Ich will sie aber avertiren gehen.

Sie stand auf, besah sich in dem Spiegel, rückte ihre Brilllocken und ihre schwarze Schürze zurecht und sagte der Köchin, sie brauche heute Abend weiter nichts.

Also Sie gehen mit, Mamsell? rief der Kutscher. Nun,[71] da soll mir's ein Vergnügen sein, zu fahren – besonders, wenn Sie nicht wiederkommen wollen! brummte er in seinen Bart. Aber er hatte es nicht so leise gesprochen, um von den Andern nicht verstanden zu werden, wenn schon Mamsell Caroline sich das Ansehen geben konnte, als habe sie nicht gehört, was er gesagt, und als wisse sie nicht, was das Lachen um sie her bedeute.

Oben lag Hildegard bleich und regungslos auf ihrem Lager. Die Vorhänge waren niedergelassen, der Geruch von Aether erfüllte das Gemach. Die Gräfin hatte ihren Brief an den Freiherrn eben beendet. Sie wollte ihn der Tochter zu lesen geben, aber Hildegard machte eine matte, abwehrende Bewegung. Die Mutter siegelte ihn also und wollte schellen, um ihn hinunter zu senden. Cäcilie saß müßig in einem der Lehnstühle. Weil sie jedoch wußte, wie empfindlich ihre Schwester während ihrer Anfälle von Kopfweh gegen das geringste Geräusch zu sein pflegte, wollte sie ihr das Schellen und das Kommen des Dieners bereitwillig ersparen.

Sie stand leise auf, trat an die Gräfin heran und erbot sich, den Brief selbst hinunter zu tragen. Aber wie von einem elektrischen Schlage getroffen, sprang Hildegard, die anscheinend mit geschlossenen Augen da gelegen hatte, von ihrem Ruhebette empor, und Cäcilie mit so gewaltsamem Griffe um das Handgelenk fassend, daß sie im Schmerze zusammenzuckte, rief sie mit funkelnden Augen in wilder Leidenschaft: Du, rühre den Brief nicht an! Du nicht!

Ganz erschrocken trat Cäcilie zurück. Sie wollte antworten, die Thränen stürzten ihr aus den Augen, und die Hände entsetzensvoll zusammenschlagend, rief sie: Gott im Himmel, sie ist wahnsinnig! Hilda ist wahnsinnig geworden!

Hildegard lachte hell auf. Nein, nein, rief sie, noch bin ich's nicht, noch sehe ich sie ja, die heuchlerischen Thränen, die Dir über die rothen Backen niederrinnen! Aber ich werde es[72] werden, wahnsinnig wird es mich machen, wenn ich es sehen muß, wenn ich Dich sehen muß ... Sie war unfähig, den Satz zu vollenden; sie warf sich der Mutter mit beiden Armen um den Hals und barg ihr Gesicht an deren Brust. Es bricht mir das Herz, es nimmt mir den Verstand! wiederholte sie immer und immer wieder. Die Gräfin bemühte sich, sie zu besänftigen, Cäcilie war neben der Schwester hingeknieet und küßte ihr die Hände, aber Hildegard stieß sie mit Heftigkeit von sich, und die Gräfin hieß die jüngere Tochter endlich sich entfernen.

Weinend und bleich, wie Gaetana es dem Kammerdiener geschildert hatte, war Cäcilie in dem Zimmer der Baronin angelangt. Athemlos, in der höchsten Aufregung, erzählte sie derselben, was geschehen war; aber wider ihr Erwarten machte sie auf die ältere Freundin mit ihrem Berichte nicht den gewünschten Eindruck.

Vittoria hatte sich eben erst, dem schönen Wetter zu Liebe, ihr Ruhebett bis hart an die großen Fensterthüren ihres Zimmers tragen lassen und blieb, von den aufgespannten Vorhängen mild beschattet, ruhig liegen, während sie sich langsam und ohne jede Unterbrechung fächelte. Sie zog Cäcilie neben sich auf die Polster nieder, und mit ihrem Tuche die Thränen von der jungen Gräfin Wangen trocknend, sagte sie mit ihrer weichen, tiefen Stimme: Weine nicht, weine nicht, mein Kind! Die Thränen ziehen Furchen, und aus den Furchen in eines Weibes Antlitz wächst kein Glück hervor! – Komm, sei heiter, lächle wieder. Sieh mich an!

Sie nahm den Kopf Cäciliens in ihre Hände, schaute ihr in das Auge, küßte dann ihre Augenlider und rief: Hildegard war nicht für das Glück geschaffen, nicht für das eigene, nicht für fremdes; ihr Blick ist unheilvoll! Wir werden alle, alle glücklich werden, wenn ihre unheilvollen Augen uns nicht mehr verfolgen![73]

Cäcilie tröstend und Hildegard anklagend, sich ereifernd und dann wieder schmeichelnd und scherzend, ließ Vittoria Cäcilie nicht zu Worte kommen, als diese ihr Erschrecken über den zwischen ihrer Schwester und dem jungen Freiherrn erfolgten Bruch und ihr Bedauern über Hildegard's Schicksal auszusprechen wünschte. Und wenn es immer nicht leicht war, sich Vittoria's Einfluß zu entziehen, wo sie es mit Absicht darauf anlegte, Jemanden für sich und ihre augenblickliche Stimmung zu gewinnen, so fand Cäcilie es heute mehr als je unmöglich.

Sie sowohl als die Mutter hatten seit Jahren von dem traurigen Verhältnisse zwischen Hildegard und Renatus viel zu leiden gehabt. Daß es ein unhaltbares geworden sei, das hatte Cäcilie gleich an dem Tage gefürchtet, an welchem sie den Jugendgespielen nach so langer Trennung zum ersten Male wiedersah. Es war ihr überhaupt mit Renatus sonderbar ergangen. Von allen den Erinnerungen ihrer ersten Jugend, von denen Hildegard und auch die Mutter zu erzählen liebten, wußte Cäcilie nichts. Sie war um mehr als fünf Jahre jünger denn der junge Freiherr, sie war fast noch ein Kind gewesen, als Renatus in den russischen Feldzug gegangen war; aber sie hatte es oft behauptet, daß dies eigentlich der Tag sei, dessen sie sich aus ihrem ganzen Leben am deutlichsten entsinne, und daß sie erst von diesem Tage ab völlig klare und zusammenhängende Vorstellungen von ihren Erlebnissen habe, die freilich einfach genug gewesen waren.

Sie hatte ihre Kindheit während und nach der Wittwentrauer ihrer Mutter auf dem Lande, in dem Schlosse der ihnen verwandten Familie verlebt, von wo aus sie nach Richten gekommen waren. Dann hatte sie in der Hauptstadt in einer der Erziehungsanstalten einzelne Unterrichtsstunden erhalten, bis man zu Anfang der Freiheitskriege wieder auf das Land und nach Schloß Richten gezogen war, das die Mutter und Hildegard[74] nur verlassen hatten, als sie zur Pflege der Verwundeten und Kranken sich in die Stadt begeben hatten. Cäcilie, die für eine solche Aufgabe noch zu jung gewesen, war unter Vittoria's Obhut in Richten geblieben, denn damals hatten die Gräfinnen und Vittoria noch im besten Einvernehmen mit einander gelebt. Die Zerwürfnisse zwischen Hildegard und der Baronin hatten sich erst später, erst als Hildegard, wie sie das nannte, zum Bewußtsein über sich und über ihre Pflichten, und über den Beruf des deutschen Weibes gekommen war, so schroff herausgebildet. Und läugnen konnte Cäcilie es nicht, das viele Nachdenken und die große Tugend hatten ihre Schwester nicht liebenswürdiger gemacht.

Cäcilie war Hildegardens völliges Gegentheil. Sie dachte wenig nach. Sie kannte die Welt und die Menschen eigentlich nur aus den Schilderungen ihrer Mutter und aus den wenigen Büchern, welche sie nach der Wahl der Gräfin gelesen hatte. Zwischen die Gefühlsschwärmerei ihrer Schwester und die von leidenschaftlichen Erinnerungen durchglühte Phantasie Vittoria's gestellt, hatte sich ihrer nicht etwa ein Verlangen nach ähnlichen Empfindungen, sondern nur die Neugier bemächtigt, ob sie solcher Empfindungen wohl fähig sei; und weil sie bei ihrer sehr zurückgezogenen Lebensweise nur wenig Männern begegnet war – denn fast die ganze männliche Jugend des Landes stand seit Jahren unter den Waffen – so hatte sie in alle jene Träume, ohne welche kein Mädchen sich entfaltet, das Bild des Jünglings verwebt, den sie am besten kannte, das Bild des jungen Freiherrn, des Verlobten ihrer Schwester. Schlank und schmächtig, schüchtern und ein wenig schweigsam, mit den sanften, blauen Augen freundlich lächelnd, so hatte sie sein Bild in ihrem Gedächtnisse bewahrt, und wie vor einem völlig Fremden hatte sie am Tage seiner Heimkehr vor dem stattlichen Manne gestanden, zu welchem die Jahre, die Strapazen des Krieges und das[75] Leben in der bewegtesten und gewähltesten Gesellschaft von Europa den jungen Freiherrn ausgebildet hatten.

Sein Haar war dunkler, seine Gestalt sehr kräftig, sein Blick, seine Sprache waren lebhaft geworden, und Cäcilie hatte in freudiger Bewunderung seiner Schönheit sich gesagt, daß ihre Schwester sehr glücklich sein müsse. Aber das Glück, das sie an dem liebenden Paare zu sehen erwartete, wollte nicht zum Vorschein kommen.

Cäcilie bemerkte mit steigender Verwunderung die schwermüthige Zärtlichkeit ihrer Schwester und die Verlegenheit, mit welcher Renatus dieselbe eher zu ertragen als zu suchen schien. Wenn sie sich an die Stelle ihrer Schwester dachte, so mußte es gewiß ganz anders sein, sagte sie sich; denn sie war doch nicht des jungen Freiherrn Braut, sie liebte er nicht und sie liebte ihn auch nicht, aber es war doch Alles Lust und Freude zwischen ihnen, wenn sie einmal beisammen sein konnten, ohne daß Hildegard's ernsthafte Betrachtungen ihnen in ihrem Frohsinne Schranken setzten. Sie begriff es endlich gar nicht mehr, wie Renatus es mit ihrer Schwester nur auszuhalten vermöge; sie selbst hatte Hildegard nie so quälerisch und so mit sich und ihren kleinen Leiden ausschließlich beschäftigt gesehen, als eben jetzt. Sie war sonst mit der Schwester immer einig gewesen, oder doch gut mit ihr fertig geworden, denn ihre Neigungen und Gewohnheiten hatten sich, eben weil sie so ganz und gar von einander unterschieden waren, nicht gekreuzt; aber seit Renatus wieder in der Heimath lebte, hatte auch das gute Verhältniß zwischen den beiden Schwestern sich mit Einem Male geändert.

Hildegard hatte sich von Anfang an über die laute Fröhlichkeit ihrer jüngeren Schwester wie über die Rastlosigkeit beschwert, mit welcher sie bald Dies, bald Jenes mit Renatus unternehmen wollte, und sich vor Allem darüber beklagt, daß sie es ihr so schwer mache, ihren Verlobten zu irgend einer Sammlung[76] zu bewegen oder auch nur ernsthaft mit ihm zu verkehren. Cäcilie hingegen war empfindlich darüber geworden, daß die Schwester sie wie ein Kind behandle, mit dem oder in dessen Gegenwart man nichts Wichtiges besprechen könne. Sie hatte geklagt, daß Hildegard Alles an ihr tadle, von ihrer Art, sich zu kleiden, bis zu der Weise, in welcher sie mit dem Jugendfreunde, mit dem künftigen Schwager verkehre; und als Cäcilie allmählich aus Ungeduld die Nähe der Schwester zu meiden angefangen, hatte Renatus sich zu ihr gesellt, um Hildegard zu zeigen, daß er ihr Betragen gegen Cäcilie nicht billige.

Laß ihr doch Zeit, über ihre Sorgen nachzudenken! hatte Cäcilie übermüthig ausgerufen, wenn sie und Valerio den jungen Freiherrn zu irgend einem fröhlichen Unternehmen zu überreden getrachtet hatten; und nachgebend und von der eigenen Neigung angetrieben, hatte Renatus sich mehr und mehr an Cäcilie angeschlossen, deren blühende Frische ihm das Herz erfreute.

Es war ihm ein Vergnügen, Cäcilie laufen zu sehen, sie hatte die Anmuth eines Rehes. Es war ihm ein Vergnügen, sie reiten zu sehen, das Thier selbst schien von ihrer Lebenslust beflügelt zu werden; und sie mit ihrer hellen Stimme lachen zu hören, war für Renatus vollends ein Genuß. Cäcilie aber gehörte nicht zu denen, die sich Sorgen machen, die Mutter und die Schwester thaten's, wie sie meinte, zur Genüge; sie war immer guter Dinge.

Sie lachte mit ihrem reizendsten Lachen, wenn Renatus sich bei ihr über seine Braut beklagte. Sei nicht böse auf sie, sagte sie; sie ist ein wenig altjüngferlich geworden. Heirathe sie nur bald, dann wird sie eine junge Frau und auch wieder munter und vernünftig werden. Sie hat sich gar zu sehr nach Dir gesehnt.

Und hast Du Dich nicht nach mir gesehnt? fragte Renatus sie dann wohl.[77]

Ich? Wie käme ich dazu? Ich war ja nicht mit Dir verlobt! Nur als Du in den Krieg gegangen bist, dachte ich, es würde mir das Herz zerbrechen, wenn Du sterben solltest! Ich konnte mich damals gar nicht von Dir trennen! Aber Du hast's nicht bemerkt, ich war ja damals auch nur noch ein dummes Kind!

Renatus sah sie betroffen an. Ganz plötzlich kam es ihm in das Gedächtniß zurück. Wie hatte er das vergessen können? – Deutlich, aber ganz deutlich, erinnerte er sich jetzt, wie die leidenschaftliche Umarmung des kaum vierzehnjährigen Mädchens ihn in jener Abschiedsstunde erschreckt hatte. So hatte Hildegard ihn nie umarmt. Er fühlte unwillkürlich ein lebhaftes Verlangen, einer solchen Umarmung noch einmal, von Cäcilien noch einmal theilhaftig zu werden. Wie bittend hielt er ihr die Hand hin, sie schlug herzhaft ein, er umarmte und küßte sie und sie gab ihm den Kuß mit ihren schwellenden Lippen fröhlich lachend wieder. Weßhalb sollte sie ihrem künftigen Schwager, weßhalb sollte sie Renatus auch einen Kuß versagen? Sie that es niemals, wenn er sie darum bat, und er küßte sie jetzt oft genug. Nur jene erbebende Leidenschaft, die er wieder einmal, nur einmal wieder noch zu genießen wünschte, jene Leidenschaft nahm er an ihr nie wieder wahr. Es war Alles an und in ihr arglose, auf den Augenblick gestellte Fröhlichkeit, und diese war es auch, was ihre Nähe für Vittoria so angenehm machte, was Valerio an sie fesselte.

Heute zum ersten Male in ihrem ganzen Leben hegte Cäcilie einen wahrhaften Zorn, und er war gegen ihre einzige Schwester gerichtet. Sie hatte es Vittoria verschweigen wollen, was oben unter der eigenen Mutter Augen zwischen Hildegard und ihr geschehen war; aber der Schwester ungerechtes Mißtrauen, ihre Härte und ihre Heftigkeit waren gar zu groß, gar zu grausam gewesen. Vittoria hatte Recht: Hildegard war nicht zum Glück geschaffen, nicht für das eigene, nicht für fremdes Glück. Wie hätte sie sonst die Schwester, die ihr in mitleidvoller Liebe zu[78] helfen und zu dienen bemüht gewesen war, so herzlos, so unnatürlich von sich stoßen können?

Cäcilie klagte, Vittoria hörte ihr ermuthigend zu. Als jene geendet hatte, sagte die Baronin: Und könntest Du jemals so voll Argwohn sein, wie Deine Schwester?

Nein! nein! ganz gewiß nicht! rief Cäcilie. Wie kann man auch einem Menschen ein Uebel, ein Unrecht zutrauen, wenn man ...

Sie hielt inne, denn die Gewohnheit der Schwesterliebe – und die Familienliebe ist ja überhaupt zu einem großen Theile Gewohnheitssache – hielt sie zurück, den Gedanken auszusprechen, der ihr eben erst gekommen war; aber Vittoria ergänzte ihn sofort.

Siehst Du es, siehst Du es nun, mein Kind, daß sie voll Arglist ist? Weil sie von Jugend auf mit unermüdlicher Beharrlichkeit ihr Netz gesponnen und meinen armen Renatus, als er fast noch ein Knabe war, damit umgarnt hat, darum, darum allein hält sie Dich für fähig, das Gleiche zu thun; darum traut sie Dir es zu, Du könntest, arglistig wie sie, ihr das Herz des ersehnten Bräutigams abwendig machen wollen. Als ob sie nicht selber alles dazu gethan hätte, ihn von sich zu entfernen, als ob ein Mann, so schön, so gut, so fröhlich und so gesund wie mein Renatus, dazu geschaffen wäre, sie seufzen zu hören und unter ihren kühlen Blicken zu erfrieren! Per bacco! Vittoria brauchte, wenn sie heiteren Muthes war, wie eben jetzt, wohl einmal einen heimathlichen Schwur – per bacco, wir werden Ursache haben, diesen Tag zu segnen, und mich verlangt danach, Renatus in seiner neu gewonnenen Freiheit zu umarmen! Er wird schön aussehen, wenn er wiederkehrt und seinen Willen hat, denn er sehnte sich nach seiner Freiheit.

Sie war so aufgeregt, daß sie sich erhob, um einen Gang hinaus in den Garten zu thun, und sie forderte ihren Schützling auf, sie zu begleiten. Anfangs weigerte Cäcilie sich dessen. Die[79] Stunde war nahe, welche man für die Abreise der Schwester anberaumt hatte, sie wollte sie in dieser nicht verlassen, ihr dabei nicht fehlen.

Vittoria nahm sie bei der Hand. Lügst Du auch, fragte sie, oder hast auch Du kein Blut in Deinen Adern, kein Feuer in der Brust, das in zorniger Flamme emporschlägt, wenn man Dich beleidigt? Schäme Dich, Cäcilie, ich hatte besser von Dir gedacht! Und ihren Arm in den der jungen Gräfin legend, sagte sie, während sie mit ihr die Terrasse entlang und in den Garten hinunter ging: Komm, mein Herz, es wäre nicht hübsch von Dir, Dich an ihrem Schmerze zu weiden, denn leiden – leiden muß man im Verborgenen!

Cäcilie gab endlich nach. Sie war selbst aufgeregter und in sich unentschiedener, als je. Sie hätte nicht sagen können, wie ihr eigentlich zu Muthe sei. Sie hörte auch nur halb auf die Schilderung, welche Vittoria ihr von dem ganzen Zusammenhange zwischen ihrem Stiefsohne und Hildegarden machte, denn Renatus hatte es der Baronin in seinem Mißmuthe einst anvertraut, wie er sich Hildegarden, von ihr dazu angetrieben, gerade in dem Augenblicke versprochen habe, in welchem er gekommen war, sich von ihr los zu sagen. Nur das Eine entging Cäcilien nicht, und die Baronin wiederholte es auch wieder und wieder: Renatus hatte Hildegard niemals geliebt!

Also ist Renatus jetzt nicht zu beklagen! sagte Cäcilie sich mit einer Genugthuung, die sie überraschte, und gleich darauf fiel ihr die Schwester ein. Sie sah nach der Uhr. Jetzt hatte Hildegard das Schloß bereits verlassen.

Wider ihren Willen seufzte Cäcilie tief. Sie dachte daran, daß auch ihres Bleibens jetzt hier nicht mehr lange sein werde, und die Thränen traten ihr bei der Vorstellung in die sonst so fröhlichen Augen. Sie hatte das Schloß und die Baronin Vittoria und Renatus und Valerio so lieb![80]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 7, Berlin 1871, S. 68-81.
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