Neuntes Capitel

[128] Nun, Signora, habe ich richtig prophezeit? fragte am nächsten Morgen die treue Gaetana, als sie mit breitem Kamme das noch immer üppige Haar der Baronin Vittoria schlichtete und ihr dann die reichen Flechten um das schöne Haupt wand. Habe ich richtig prophezeit, daß Alles sich zum Guten wenden werde, sobald wir nur die Gräfin mit dem bösen Auge nicht mehr im Schlosse haben? Ist nicht Alles wie umgewandelt? Ist unser Herr Baron nicht freudestrahlend? Jubelt unser Valerio nicht? Ist die theure Signora Cäcilie nicht glückselig, und wird nicht die Frau Gräfin selber es bald erkennen, daß erst jetzt die Dinge sich fügen, wie sie sein mußten? Nur Geduld, nur ein Bißchen Geduld ist nöthig! habe ich immer gesagt. Jetzt sehen Sie es selbst, meine theure Signorina! – Geduld ist nöthig, das ist Alles!

In der That schien es, als sei im Schlosse ein neues Leben aufgegangen. Renatus empfand wirklich zum ersten Male jene volle Liebesleidenschaft, welche den ganzen Menschen in Bewegung bringt, und da ein helles Licht seine Strahlen überall, soweit ihm keine Schranke entgegensteht, verbreitet, meinte er, von seiner Leidenschaft aufgeklärt, auch die Vergangenheit jetzt besser zu verstehen.

Er erinnerte sich ganz deutlich, wie ihm die Heftigkeit und die Inbrunst aufgefallen waren, mit denen die vierzehnjährige Cäcilie ihn umarmt hatte, als er sich vor dem russischen Feldzuge[128] von ihr getrennt. Er bewunderte die Kraft des jungen Kindes, die Festigkeit, mit welcher Cäcilie durch alle die Jahre ihrer ganzen Umgebung ihre Liebe verschwiegen hatte, und er schätzte sie nur um so höher, wenn sie ihm versicherte, sie habe es sich nie eingestanden, daß sie ihn liebe, weil das eine Sünde gewesen sein würde, so lange er der Verlobte einer Anderen war. Nur beneidet habe ich Hildegard, sagte sie offenherzig, denn ihr fiel, weil sie die Aeltere war, Alles von selber zu: erst der Mutter ganz besondere Liebe und dann auch noch die Deine. Was Hildegard nur sagen, wie sie sich verwundern wird? wiederholte Cäcilie danach immer auf das Neue. Ihr Glück erschien ihr offenbar durch den Vergleich mit dem Loose ihrer Schwester nur noch größer, und der Gedanke, daß es Hildegard's Schmerz noch steigern könne, sich durch die eigene Schwester so schnell in dem Herzen des Geliebten ersetzt zu finden, kam in diesen Stunden der Freude bei Cäcilien nicht in Betracht. Sie hatte an Hildegardens Glück stets mit Entsagung gedacht, mochte diese jetzt das Gleiche zu thun versuchen; denn vergessen und vergeben konnte Cäcilie es der Schwester nicht, daß dieselbe ihre wohlgemeinten Trostbezeigungen mit Bitterkeit von sich gestoßen hatte.

Renatus verdiente seinen Namen, wie er einmal äußerte, jetzt in voller Wahrheit. Er schien sich wirklich neu geboren und ein Anderer geworden zu sein. Alles Unentschiedene, alles Schwankende war mit Einem Male von ihm genommen. Wie im Triumphe hatte er am verwichenen Abende Cäcilie zu der Gräfin geführt, und ihr wie der nicht minder überraschten Vittoria seine Liebe für Cäcilie und seine Absicht, sofort seine Verlobung mit ihr bekannt zu machen, offenbart.

Die Gräfin hatte Bedenkzeit, hatte Ruhe zur Ueberlegung gefordert; aber alles was sie erlangen können, war das Zugeständniß gewesen, daß Renatus sich anheischig gemacht, in den ersten achtundvierzig Stunden keinem seiner Verwandten oder[129] Freunde zu schreiben, oder vielmehr nur, keinen seiner Briefe nach der Stadt zu schicken; denn daß die Gräfin wirklich einen Einspruch thun könne, daß sie daran denken könne, ihm die Hand des begehrten Mädchens zu verweigern, während er bereits die Tage bis zu der Stunde zählte, in welcher er die Geliebte besitzen würde, hielt er für unmöglich.

Er war von einer brennenden Ungeduld verzehrt, als die Gräfin ihm am Morgen den gewohnten Spaziergang mit Cäcilie verweigerte, als sie es ihm rundweg abschlug, ihn mit der Tochter allein verkehren zu lassen, ehe sie ihren Entschluß gefaßt habe. Sie hielt es ihm vor, wie sie Alle ja eben jetzt noch unter den Folgen seiner zu schnell und in der Erregung eines Augenblickes geschlossenen Verlobung zu leiden hätten, und wie es also für ihn doppelt geboten sei, sich sorgsam zu prüfen, ehe er sich zum zweiten Male binde. Auch sie erinnerte ihn an den Eindruck, welchen die Gräfin Haughton auf ihn gemacht habe, an die Gerüchte, welche sich über sein Abenteuer mit ihr bis nach Berlin verbreitet hatten, und sie bekannte ihm unumwunden, daß sowohl die natürliche Rücksicht auf das Empfinden ihrer ältesten Tochter als die Sorge um Cäciliens Zukunft sie anstehen lasse, eine Entscheidung zu treffen. Sie nannte ihn jedem neuen Eindrucke zugänglich, sie zweifelte, ob er treu zu sein vermöge, und sie machte es ihm endlich zu einem Vorwurfe, daß er mit seiner Erklärung gegen Cäcilie, mit seiner Werbung nicht gewartet habe, bis die Gräfin das Schloß verlassen hatte, und nicht mehr durch seine Gastfreundschaft in ihren Maßnahmen gehindert war.

Trotz der würdigen und festen Haltung, mit welcher sie ihm entgegentrat, war sie aber innerlich in einen Kampf mit sich verwickelt, der ihr schwerer fiel, als sie verrieth. Ihr Zutrauen zu Renatus hatte wirklich einen Stoß erlitten, sie mißtraute seinem Herzen, sie klagte ihn der härtesten Selbstsucht, der[130] Schwäche an, und wäre sie reich, wäre sie auch nur wohlhabend gewesen, so hätte sie nicht angestanden, dem jungen Freiherrn die Hand ihrer zweiten Tochter, nach der Beleidigung, welche er der ältesten Tochter zugefügt hatte, unbedenklich zu verweigern. Sie sah voraus, in welcher Weise man es beurtheilen werde und müsse, wenn sie in eine Ehe zwischen Renatus und Cäcilie willige; sie fürchtete sich vor dem Zwiespalt, in welchen diese Ehe sie mit ihrer ältesten Tochter und diese mit Cäcilie und Renatus bringen müsse. Sie sagte sich, daß die geringste Bürgersfrau sicherlich einer solchen unerwarteten und wenig zarten Bewerbung ihre Zustimmung versagen würde; aber sie war eben keines schlichten Bürgers Frau, sie war die Gräfin Rhoden, sie hatte sich und zwei Töchter zu versorgen, und sie war noch mittelloser, als sie es vor dem Kriege gewesen war.

Eine Bürgersfrau konnte daran denken, mit ihren Töchtern gemeinsam sich des Lebens Nothdurft zu erwerben. Eine Bürgersfrau brauchte vielleicht in solcher Lage und in solchem Augenblicke auf nichts als auf ihr beleidigtes Mutterherz und auf die Empfindung ihrer Töchter Rücksicht zu nehmen, denn Bürgermädchen, wenn sie kein Vermögen besitzen, werden von Jugend an darauf hingewiesen, sich selbst zu helfen, sie können arbeiten, um ihrem Ehrgefühle zu entsprechen, arbeiten, um ihren Kummer zu übertäuben, arbeiten, um sich eine getäuschte Liebeshoffnung aus dem Sinne zu schlagen – aber Hildegard und Cäcilie, die Gräfinnen Rhoden, konnten das doch nicht.

Sie hatten eine gute, standesmäßige Erziehung erhalten, d.h. sie besaßen, wie die wohlhabenden Frauen überhaupt, von einer Menge von Dingen, von Kunst, von Literatur und Wissenschaft genau so viel Kenntnisse, als unerläßlich waren, über die ernsthaften Leistungen Anderer falsch und oberflächlich aburtheilen zu können; aber sie hatten nichts so gründlich erlernt, daß es sie irgendwie befähigte, darauf eine Zukunft zu bauen, und sie[131] hatten vor allen Dingen nicht arbeiten, das Leben nicht als eine ernste, fortdauernde Arbeitszeit betrachten lernen.

Die Leistungen, welche Hildegard während des Krieges über sich genommen hatte, waren von der Begeisterung des Augenblickes erzeugt und getragen worden. Sie hatte dieselben mit vielen Andern getheilt, sie waren eine anerkannte, eine bewunderte und bis zu einem gewissen Grade auch eine absehbare Thätigkeit für Andere gewesen. Mit der Arbeit um die eigene Existenz, um das tägliche Brod war es nicht dasselbe. Das Ende einer solchen ist schwer vorauszusehen, Niemand bewundert, kaum irgend Jemand theilt oder versteht sie in den gesellschaftlichen Kreisen, denen die Gräfinnen angehörten. Wenn sich in ihnen auch Männer fanden, welche ihr Einkommen durch die Dienste erwarben, die sie dem Fürsten oder dem Staate leisteten, so trat doch das Arbeitenmüssen der Ehre der Frauen, nach den Begriffen ihrer Standesgenossen, offenbar zu nahe; und dienen konnten Frauen ihres Ranges nach denselben Anschauungen eben nur den Fürsten, welche über ihnen standen. Es war nicht anders, die Gräfin mochte es ansehen, wie sie wollte, sie mußte ihr beleidigtes Herz, sie mußte ihr Ehrgefühl überwinden, weil der Ehrbegriff ihrer Umgangsgenossen die Arbeit für entehrend erachtete, und Hildegard mußte sich darein ergeben, ihren früheren Verlobten den Gatten ihrer Schwester werden zu sehen. Die Mutter durfte es nicht hindern, daß Cäcilie sich mit einem Manne verheirathete, zu dessen Charakter ihr das rechte Vertrauen fehlte. Ihre Armuth zwang sie, um der Standesehre willen zu thun und geschehen zu lassen, was allen ihren Gefühlen, was ihrer Ueberzeugung widersprach.

Es kam ihr deßhalb sehr gelegen, als Vittoria sich zur Vermittlerin zwischen den Wünschen ihres Stiefsohnes und den Bedenken von Cäciliens Mutter machte. Obschon es ihr weh that, hörte die Gräfin es gern an, wenn die Baronin ihr aus[132] einander setzte, wie übel die Gräfin jetzt daran sei. Im Tone der Anklage gegen Renatus stellte Vittoria es ihr vor, daß Hildegard durch den langen, nicht öffentlich erklärten Brautstand mit Renatus vorzeitig gealtert habe, daß die Mutter und die Töchter durch ihr langes Verweilen in dem Hause eines unverheiratheten Mannes, wenn dieses nicht seine Heirath mit einer der Töchter zur Entschuldigung habe, in einem bedenklichen Lichte erscheinen müßten. Sie erinnerte daran, daß man, falls sich selbst am Hofe der Prinzessin eine freie Hofdamen-Stelle finden sollte, diese doch meist nur mit jungen und hübschen, vor Allem aber mit recht gesunden Mädchen zu besetzen pflege, damit die Herrinnen ohne jede Rücksicht über ihre dienenden Damen verfügen könnten; und schließlich gab sie der Mutter zu bedenken, wie das Zerwürfniß zwischen ihren Töchtern ja bereits ein altes, wie es eben jetzt nur völlig zum Aussprechen gekommen sei, und daß es doch in jedem Falle weiser und rathsamer erscheine, die geliebte Cäcilie auf Kosten der älteren Schwester glücklich werden zu lassen, als beide mit gebrochenem Herzen und ohne Liebe für einander in bedrängter Lebenslage dauernd neben sich zu behalten.

Einen Menschen von der Nothwendigkeit dessen zu überzeugen, was zu thun er innerlich entschlossen ist, hält nicht schwer, und Cäciliens unter Thränen lächelnde Augen, vereint mit den Vorstellungen der Baronin und den dringenden Bitten, und den festen Betheuerungen des jungen Freiherrn, trugen denn auch bald den Sieg davon.

Weil Renatus sein früheres Verlöbniß geheim gehalten hatte, war er und war die Gräfin jetzt der Meinung, daß man die neue Verbindung nicht schnell genug veröffentlichen könne. Aber man mußte doch eine Form dafür finden, das Auffallende des Vorganges denjenigen, welche die Verhältnisse mehr oder weniger kannten, wenn auch nur einigermaßen zu erklären oder annehmbar[133] zu machen; und die Gräfin, welche vor allen Dingen um Hildegard besorgt war, hatte schnell einen Plan entworfen, der zu Gunsten dieser letzteren berechnet war. Man sollte, so forderte sie, aus Cäciliens früher und dauernder Neigung zu Renatus kein Geheimniß machen, man sollte auch eingestehen, daß dessen Liebe zu Hildegard nicht mehr so feurig als früher gewesen und daß er bei der Heimkehr von der Anmuth und von der nicht zu verbergenden Leidenschaft der jüngeren Schwester gerührt worden sei. Dann aber solle man die Dornenkrone der armen Hildegard in einen Heiligenschein verwandeln und erzählen, wie die Großmuth und die Entsagung dieser schönen Seele das Unheil, welches hereinzubrechen gedroht, durch ihren heldenmüthigen Entschluß verhindert, wie sie durch eine Entfernung, von welcher selbst die Mutter nichts gewußt, die Verwirrung gelöst und in einem zurückgelassenen Schreiben den Wunsch ausgesprochen habe, die beiden ihr theuersten Menschen, den Geliebten und die Schwester, verbunden und so glücklich zu sehen, als es zu werden ihr von Gott nicht beschieden gewesen sei.

Die Gräfin konnte sich in ihrer Rührung der Thränen kaum erwehren, als sie den schnell erfundenen Ausweg vor ihren erstaunten Hörern darlegte. Vittoria, die jetzt plötzlich ihr mütterliches Recht auf Renatus und ihre Freundschaft für Cäcilie geltend machte, so daß man sie bei keiner Besprechung und Berathung übergehen konnte, hatte Mühe ernsthaft dabei zu bleiben, und Cäcilie und Renatus, welche in der Erdichtung der Gräfin keine üble Rolle spielten, waren mit allem zufrieden und einverstanden, was sie auch nur eine Stunde früher an das ersehnte Ziel zu führen verhieß.

Sie waren beide sehr bereit, an Hildegard zu schreiben, ihre Nachsicht, ihre Verzeihung zu erbitten, ihr jede möglichen geschwisterlichen Dienste für die Zukunft anzubieten und ein[134] treues Zusammenhalten zu geloben; aber beide waren so voll von ihrem Glücke, so voll von Lebenslust und Hoffnung, daß sie sich in den Gemüthszustand des verlassenen Mädchens gar nicht hineinzuversetzen wußten und daß die Gräfin es endlich gerathener fand, die Briefe des Brautpaares an die Entfernte zu unterdrücken und die Darstellung des Geschehenen allein auf sich zu nehmen.[135]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 7, Berlin 1871, S. 128-136.
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