Das sechste Buch.

Die Begebenheiten des Freyherrn

von Riesenburg.

[129] Es ist bereits ein halbes Jahr, da ich in gewissen Geschäften meines Vaters, eine Reise nach Monaco thun muste. Ich hatte mich mit meinem eignen Geschirr bis auf die nechste Post bringen und meinen Cammerdiener mit dem Gepäck auf der Landgutsche nachkommen lassen: ich hatte niemand als einen Diener bey mir, und ritte die Post: es wurde Nacht, ich war in einem Wald und hörte von weitem ein ängstliches Geschrey. Ich befahl meinem Postillon still zu halten. Ich hörte, daß es Weibsleute waren, deren kläglicher Ton durch das weite Gehölz erschallte. Ich hatte ehedessen den Don Quichott gelesen, und dachte hier an den ehrlichen Mann, wie bereitwillig er sich bey solcher Gelegenheit erzeigte, den Nothleidenden beyzuspringen: ich wolte nicht weniger großmüthig seyn: ich ergriff deswegen eine von meinen Pistolen, rannte damit voraus, und ermahnte meine beyde Gefährden mir nachzufolgen: diese zitterten vor Furcht, und ich sahe[130] wohl, daß ich mit ihnen schlechte Helden-Thaten verrichten würde.

Es war dunckel ehe ich michs versah, stieß ich auf Pferde, welche dadurch in Unordnung geriethen: ich hörte mich mit einem entsetzlichen Fluch, und einem kräftigen Streich einer klatschenden Peitsche bewillkommen: daß dich dieser und jener hohl, klungen ungefär die mit einer rauhen Kehle ausgestossene Worte, wer rennet mir da in die Pferde? ich merkte bald, daß ich hier meine Pistolen nicht würde nöthig haben; ich steckte sie deswegen wiedeer an ihr Ort, und fragte, was da zu thun wäre? Seht ihr dann nicht, war die Antwort, daß hier eine Gutsche umgeworfen ist?

Ich sprang auf diese Nachricht hurtig vom Pferd und gieng nach der Gutsche hin, woraus, so viel ich in der Finsterniß erkennen konte, drey Frauensleute nach einander oben aus dem Schlag gehoben wurden: ich leistete ihnen in dieser ängstlichen Bemühung hülfreiche Hand, und empfieng dafür von ihnen die höflichste Dancksagungen: die Gutsche wurde darauf wieder in die Höh gebracht, ich ritte an derselben her: wir kamen in einer kleinen Stunde an den Ort, wo die Post wechselte: das in der Gutschen befindliche Frauenzimmer stieg aus und fragte nach einem guten Quartier: ich hatte auch nicht Lust die Nacht weiter zu reisen; sondern ließ mir gleichfalls in demselben Hause ein Zimmer einräumen. Der Wirth fragte mich, ob ich[131] mit dem Frauenzimmer, mit dem ich angekommen wäre, speisen würde? ich sagte, daß er sie deswegen um Erlaubniß fragen solte: ich erhielte solche; wiewohl sich die beyde Damen entschuldigten, daß sie in ihren Nacht-Kleidern wären: das Frauenzimmer pfleget dergleichen Formalien nie zu vergessen; sie hatten nebst einem Cammermägdgen und einem Diener, auch einen Mißionarium Apostolicum bey sich. Ich fand an der jüngsten eine ausserordentliche Schönheit, sie nannte die Alte ihre Mutter: ich vernahm, daß sie die Frey-Frau von Thurris war, welche in der Absicht nach Monaco reisete, um ihre schöne Tochter allda in ein adeliches Jungfrauen-Closter zu bringen: ich fragte deswegen die Fräulein, indem ich ihr scharf unter die Augen sah, ob sie denn so grosse Lust zum Closter-Leben hätte? sie erröthete darüber, und konte einem Seufzer, den sie mit Gewalt zurück halten wolte, nicht verwehren, mir die wahre Beschaffenheit ihres Herzens zu entdecken: sie warf dabey ihre Augen auf ihre Frau Mutter, und ließ sie für sich antworten.

Diese berichtete mir hierauf, daß ihr Sohn die Stamm-Güther von dem Thurrischen Geschlecht besässe. Ihre älteste Tochter wäre bereits mit einem Cavallier verheyrathet, dem sie aus den Parapharnal-Güthern, und was sie etwa eigenes ihrem seligen Herrn zugebracht hätte, einen kleinen Braut-Schatz zusammen gemacht und mitgegeben hätte; doch solte dem ungeacht auch diese ihre ledige Tochter noch eine feine[132] Mitgift ins Closter bekommen, damit sie darinnen an nichts Mangel haben mögte.

Die Damen erkundigten sich darauf auch nach mir, ich hatte meine Ursachen, mich ihnen nicht völlig zu erkennen zu geben: ich sagte, ich wär ein Austrasischer Edelmann, hiesse Rossan, und wolte nach Monaco reisen.

Die Frau von Thurris sagte, daß sie sich erfreute, an mir einen Reis-Gefährden zu haben; weil sie ebenfalls ihren Weg dahin nehmen würde. Ich weiß nicht, was derselben an mir gefiel: sie hatte eine Geheimniß-volle Bildung: ihre Stirn war voller Strich und Runzeln; die Augen lagen ihr tief im Kopf: ihr Gesicht bestund aus Haut und Knochen; man sah an ihr nicht den geringsten Uberbleibsel, daß sie jemahls wäre schön gewesen. Saturnus herrschte in ihrer ganzen Bildung, der plauderhafte Mercurius aber auf ihren Lippen: wir hatten in diesem Stück einerley Planeten: sie sprach gern, und ich blieb nicht leicht eine Antwort schuldig: meine Gesellschaft war ihr also angenehm. Sie nöthigte mich den andern Morgen einen Platz in ihrer Gutsche zu nehmen, und das Cammermägdgen muste sich bequemen, mir ihre Stelle einzuräumen, und sich unten im Schlag zu meinen Füssen zu setzen.

Ich hatte hier die schöne Fräulein beständig im Gesicht: man wird nie hurtiger zusammen vertraulich als auf der Reise: eine jede Meile,[133] die wir zusammen zu rück legten, war für uns so viel als ein Jahr Bekantschafft. Die Fräulein, welche ich auf alle Weise aufzumuntern suchte, wurde immer trauriger: ihre Augen, die sie öfters mit einer schamhaftigen, aber durchdringenden Art, auf mich heftete, suchten bey mir ein Mitleiden zu erwecken, welches ich schon hatte. Die Mutter, so finster sie auch unter der Stirne aussah, war um desto aufgeräumter: sie hatte die artigste Einfälle und ihre Lebhaftigkeit forderte gleichsam die meinige heraus.

Ach hatte meine Hand in der Gutsch an einem Riemen hangen: ich merkte, daß die Frau von Thurris mit ihren Augen dahin sah: ihre Raschetten, Herr von Rossan, sprach sie, sind recht gut; sie werden ein alter Mann werden: als sie dieses sagte, reichte ich ihr meine Hand und bat, sie mögte mir etwas gutes prophezeyen: sie besah darauf meine Lineamenten; allein, nachdem sie meinen montem Solarem und die Satellites mit fürchterlichen Blicken durchgangen, schüttelte sie den Kopf, und sagte mir, ich mögte mich vor dem Frauenzimmer in acht nehmen; dann eine gewisse Conjunction des Martis drohete mir in der Liebe mit Unglück. Wir scherzten darüber: ich besah darauf auch der Fräulein ihre Hand: ich muß bekennen, daß ich die Tage meines Lebens keine schönere gesehen: Alle Haupt-Lineamenten zeigten etwas grosses und glückliches. Ich gab mir das Anse hen eines Erz-Wahrsagers; alle Worte dieser geheimen Wissenschaft waren mir bekannt, und was noch[134] mehr, ich verstunde mich ein wenig auf die Augen. Ich prophezeyte also der Fräulein ganz das Gegentheil von dem, was mir ihre Mutter angedeutet hatte. Ihr Mons Veneris, fieng ich an, schönste Fräulein, ist von einer unvergleichlichen Erhöhung; und ich sterbe, wenn sie die Planeten zu etwas anders, als zu der vollkommensten Liebe gezeuget haben. Die gute Fräulein wolte mir solches nicht glauben, sie sagte mit Seufzen, ihr Beruf gieng ins Closter, und die Planeten könnten in den Wegen der Vorsehung nichts ändern.

Wir kamen damit an den Ort, wo wir das Mittagmahl hielten: man setzte sich zu Tische. Die zum Closter gewidmete Schöne hatte wahrgenommen, daß ich mich nicht, wie sie, nach verrichtetem stillen Gebet, mit dem Creuz segnete. Wie sind sie so wenig andächtig? sprach sie zu mir, mit einem unschuldigen Wesen, sie schämen sich vielleicht, sich fromm zu stellen; oder sind sie wohl gar ein Ketzer? Ich lächelte darüber und sagte nichts: sie erkant daraus, daß ich nicht von ihrer Kirchen war: dieses verursachte bey ihr ein trauriges Nachdenken, davon sie die Empfindlichkeit nicht bergen konte. Mir sassen kaum zusammen wieder in der Gutsche, als ich wieder mit der schönen Fräulein anband. Ich fragte sie ganz ernstlich, was sie doch gedächte im Closter zu machen? ich werde, sprach sie mit einer Erröthung, darinn thun, was einem geistlichen Ordens-Frauenzimmer geziemet: ich fragte sie weiter, ob sie denn einen solchen[135] geistlichen Beruf würklich bey sich empfände, und dessen überzeugt wäre? sie sah darüber aber mahl ihre Frau Mutter an, und überließ ihr darauf zu antworten: diese schien über meine Fragen böse zu werden, und sagte mir, ich solte ihre Tochter ungequält lassen.

Gnädige Frau, fuhr ich fort, sie verzeihen mir, sie sind eine so kluge Dame, ich kan mir nicht einbilden, daß sie bey ihrer Fräulein Tochter einen Closter-Beruf solten entdecket haben: sie ist viel zu schön geschaffen, als daß man mit gutem Gewissen sie in einen Schleyer verhüllen, und in die vier Mauren einsperren solte. Die Natur hat mit ihr dergleichen Absichten nicht gehabt; unglückliche, hesliche Mißgeburten, die derselben in der Zeugung mißlungen, und andern Menschen nur zum Spott, zum Aergerniß und zur Straffe leben, die solte man in die Clöster sperren, und solche nicht zur Schande ihres Geschlechtes auf den Schau-Platz der Welt ausstellen.

Die Frau von Thurris muste, so sehr sie sich auch zwingen wolte, über meine Einfälle lachen: ihre Fräulein hingegen war noch immer traurig: ich sagte ihr deswegen, sie solte nicht ins Closter gehen: sie würde darinnen nur die Geistlichen in ihrer Andacht stöhren, und dadurch mehr Sünde thun, als wenn sie in der Welt bleiben wurde: ja, was noch mehr, sie würde alle erlaubte Ergötzlichkeiten dieses Lebens im Closter verliehren,[136] und dargegen noch alles Böse, so die Menschen unglücklich macht, darinnen finden.

Der Mißionarius wuste seinen Eifer über diese meine freye Reden nicht länger zurück zu halten. So, mein Herr, sprach er, indem er einen erzörnten Blick aus seinem schwarzgelben Gesicht auf mich schiessen ließ. Sie wollen nur GOtt, was gebrechlich und untauglich ist, zu seinem Dienste wiedmen? Wir leben, war meine Antwort, nicht mehr unter den schweren Satzungen des alten Bundes, der neue hat uns davon befreyet: wir sollen im Glauben ein ehrbares Christliches Leben führen: einen andern Dienst verlanget GOtt heutiges Tages nicht von uns: was könten wir arme Geschöpfe einem so vollkommenen Wesen geben, von dem wir alles haben und erwarten müssen? Er hat uns geschaffen, um uns glückselig zu machen: wir werden solches, wenn wir seine Gebotte halten, und in seine Absichten eingehen: alles bestehet bey ihm in der Ordnung: er hat das Weib geschaffen, daß sie soll eine Gehülfin des Mannes seyn; folglich ist das Eh-lose Closter-Leben ein ungebührliches Joch, welches man jungen Leuten nur zum Schein der Heiligkeit pflegt aufzubürden.

Sie lesen, mein Ehr-würdiger Herr Mißionarius, fuhr ich ganz gelassen fort, sie lesen in den Kirchen-Geschichten, wenn und wie die Clöster und die Gelübde der Keuschheit sind aufgekommen. Es waren Anfangs einige gutschichtende,[137] aber schwermüthige Leute, welche die Einsamkeit liebten, und den Haß der Welt so weit ausdehnten, daß sie sich des Umgangs mit allen Menschen zu entschlagen suchten: sie krochen in die dickste Wälder, baueten sich Hütten an einsamen abgelegenen Oertern, und wurden deswegen für heilige Leute gehalten: Endlich thaten sich einige solche Einsiedler zusammen, baueten sich kleine Capellen, stifteten besondere Orden, schrieben sich gewisse strenge Regeln vor; und weil der Umgang mit dem andern Geschlecht ein so gar gefährlich Ding in der Welt ist, so wurde solches am ersten von der Heiligkeit dieser Ordens-Brüder abgesondert.

Die Frauensleute, welche nicht weniger Eifer hatten, den Namen der Heiligkeit zu verdienen, und die Männer an starker Einbildungs-Kraft noch übertraffen, zeigten den Feinden ihres Geschlechts nicht minder Verachtung: sie bauten, ihnen und der Natur zum Trotz, ebenfalls solche Zellen in den Einöden, und verbotten den Mannsleuten darinnen den Fuß zu setzen. Diese hätten unterdessen die Rechte des Altars sich vorbehalten; womit sie nachgehends auch die Ohren-Beicht verknüpften. Die andächtige Schwestern musten sichs also gefallen lassen, und sich gewisse Ordens-Geistliche wehlen, die ihnen Meß lesen, Beicht abnehmen, und sie absolviren konten. Auf diese Weise geriethen also die andächtige Brüder zu den andächtigen Schwestern. Der Satan ist nie geschäftiger, als wenn die Leute auf eine ausserordentliche Weise wollen[138] heilig werden; und man sagt für gewiß, daß öfters die Vertraulichkeit hier so weit gegangen sey, daß man die geistliche Liebe ziemlich stark in die Empfindungen des Fleisches getrieben hätte.

Diese letzte Worte waren kaum ausgesprochen, so fieng der unwissende Mißionarius an, vor Eifer zu schnaufen, und mich einen Unglaubigen und Ketzer zu schelten: in der That waren ihm die Länder der Kirchen-Geschichten sehr unbekant. Ich meynte ihn noch weiter auf der Religions-Carte zurecht zu weisen; allein, die Frau von Thurris ersuchte mich in diesem Streit nicht weiter zu gehen.

Meine Reden thaten indessen eine Wirkung, deren ich mich nicht versehen hatte: wir kamen Abends spät nach Monaco. Die Fräulein, als ich sie nach ihrer Frau Mutter aus der Gutsche hub, druckte mir die Hand, und sagte mir heimlich ins Ohr, daß ich sie in ihrer Religion ganz irre gemacht hätte: ich solte mich aber in Monaco in acht nehmen, und nicht so frey von Kirchen-Sachen reden. Ihre Frau Mutter bedankte sich darauf für meine Gesellschaft, versicherte mich ihrer Hochachtung, und bat mich bey ihr einzusprechen. Ich sagte auch unserm geistlichen Reis-Gefährden einige Höflichkeiten, und entschuldigte bey ihm meine Freyheit im Reden. Er beantwortete solche mit einer gezwungenen Freundlichkeit; ich entdeckte aber in seinen schwarz-dunkeln Augen etwas, das mir zu erkennen[139] gab, daß er nicht gut zu beleidigen war.

Ich nahm mein Quartier unweit den Jesuiten: und gieng den andern Tag ein wenig in der Stadt herum: es war Abend, als ich in dem Gast-Hause zurück kam: ich hörte in der nah dabey gelegenen Kirche Music: ich gieng dahin: die Kirche war, wegen eines vorgefallenen Festes, mit kostbaren Tapeten ausgeschmücket und ganz mit Lichtern erhellet: die anmuthigste Stimmen erklungen in den Chören und hinter den Altären: ich fand bey allen diesen Dingen eine würckliche Andacht: mein Gemüth war beweget: ich spürte einen heimlichen Zug, GOtt auch in dieser sinnreichen Pracht der Menschen zu loben: ich gieng in einen Stuhl, wo sich vor den Knien ein Bret fand, auf welchem man solche füglich biegen, und ein anders, worauf man die Hände stützen konte: ich setzte meinen Leib in eine solche andächtige Stellung, und schickte meine Seufzer ohne Heucheley in diesem mir fremdem Gottesdienst gen Himmel: niemand kante mich hier, und ich fand, daß ein zierlicher Tempel- Bau und eine wohlklingende Harmonie sich nicht übel zur Andacht schicken.

Ein wohlgekleidetes Frauenzimmer, das vom Altar herkam und zur Thüre hinaus gehen wolte, erblickte mich in dieser Stellung: sie stund ein wenig still, und gieng damit auf mich zu; sie warf sich neben mir auf die Knie, that ein kurzes Gebet, wand hernach die Augen auf mich und sagte[140] zu mir: wie, Herr von Rossan, ist es ihr Geist, oder sind sie es selbst? was machen sie hier in unsrer Kirchen? ich erkante sie sogleich für die Fräulein von Thurris: ich wolte aufstehen, und ihr meine Ehrerbietung bezeigen; sie aber bat mich in meiner Stellung zu bleiben: sie sagte: so gefiel ich ihr wohl, und sie wünschte nichts mehr, als mich hier in Ernst andächtig zu sehen: ich versicherte sie, daß ich solches wär, und daß ich mich glücklich schätzte, sie dabey zum Zeugen zu haben.

Ach mögt ich sie doch bekehren! sagte sie zu mir, aus dem besten Herzen von der Welt, was wolt ich nicht darum geben? dieses ist sehr großmüthig, gnädige Fräulein, war meine Antwort; allein, würden sie sich auch meines zeitlichen Wohlseyns gleichfalls annehmen? sie erklärte sich darauf, daß es ihr leid wär, mir in diesem Fall mit nichts anders, als mit ihrem Gebet dienen zu können. So wollen sie denn doch eine Nonne werden? fragte ich sie weiter. Sie kehrte hierauf ihre Augen nach mir und seufzete: ich verwies ihr dieses Stillschweigen; sie fragte, was ich ihr denn riethe zu thun? sie hätte ausser mir in der Welt noch niemand gefunden, der ihr diesen Beruf schwer gemacht hätte.

Diese Worte rührten mich: ich konte mich länger nicht zurückhalten, ihr meine Liebe zu erkennen zu geben. Wohlan, schönste Fräulein, sagt ich ihr, so bleiben sie denn für mich in der Welt und lieben mich. Diese Erklärung setzte das gute Kind in eine ungemeine Bewegung:[141] sie reichte mir mit Zittern ihre rechte Hand, und sagte mir mit dem allerernstlichsten Blick: ich beschwöre sie bey dem GOtt, den wir beyde hier verehren, daß sie meiner Neigung, die ich ihnen auch wider meinen Willen zeige, nicht mißbrauchen. An statt ihr darauf zu antworten, neigte ich meinen Mund, und küste ihre Hand: sie zog solche mit ihrem Schnuptuch in die Höh, wischte damit die Thränen ab, welche ihr in die Augen drangen, und bat, ich solte mich in acht nehmen, weil man uns beobachten könte.

Wir stunden auf: ich hatte mit der Fräulein abgeredt, uns einander hinführo mehr an diesem Ort anzutreffen. Ich führte sie damit auf ihre Gutsche; ich besuchte darauf auch ihre Frau Mutter. Mein Cammerdiener war unterdessen mit meinen Sachen angekommen; ich gieng also zu einigen Hofräthen, bey welchen ich das Geschäfte meines Vaters zu treiben hatte: ich versprach ihnen in seinem Namen eine nachdrückliche Erkenntlichkeit, wenn sie ihm bald würden Recht wiederfahren lassen: diese Herren lobten meine Höflichkeit, und binnen 14. Tagen hatte ich meine Ausfertigung.

So lang ich konte, hielt ich meinen wahrhaften Namen bey der Frau von Thurris und ihrer Fräulein Tochter verborgen: ich bediente mich keiner Gutsche und keiner prächtigen Kleidung, ob ich gleich deren welche mit mir genommen hatte, um bey Hofe zu erscheinen: ich machte mich bey ihnen so klein und so unvermögend,[142] als es immer der Wohlstand leiden mochte: ich wolte dadurch die Fräulein und ihre Frau Mutter auf die Probe stellen, ob sie mir auch aufrichtig wohl wolten.

Ich hatte das Vergnügen, daß mir die Mutter antrug, mich, wenn ich Lust hätte, an dem Monackischen, oder auch an dem Licatischen Hofe in Diensten zu bringen; weil sie, wie sie sagte, wichtige Freunde an diesen beyden Höfen hätte. Ich küste ihr für diese großmüthige Sorgfalt die Hand: ich sagte ihr aber zugleich, daß ich wohl wüste, daß man an diesen Höfen keine Kertzer in Diensten nehme. Ja, antwortete sie halb im Scherz, Monsier Rossan müste sich bekehren. Bekehren! wiederholte ich, gnädige Frau, mich bekehren von einer Secte zur andern, was würde dadurch mein Herz gebessert werden? dem ungeacht setzte ich darzu, wolte ich mich allenfalls so betragen, daß ich niemand keinen Anstoß geben würde.

Sie ließ mich darauf mit ihrer Tochter allein: ich fragte sie, ob sie den Rossan noch ein wenig liebte? nur allzuviel für meine Ruh, gab sie mir zur Antwort: wenn ich denselben aber könte glücklich machen, so würde ich so vergnügt seyn, als viel ich jetzo leide: wie so, wertheste Fräulein, erwiederte ich, wenn sie mich lieben, so ist mein Glück schon gemacht, denn ich suche bey ihnen nichts anders. Was wollen wir aber anfangen, fuhr sie seufzend fort? wie sie sagen, so haben sie kein Vermögen; und obgleich meine Frau[143] Mutter ihnen bereits gesagt hat, daß ich von ihr, besonders aber von ihrer Schwester, der Gräfin von Iserlo, noch etwas zu hoffen hätte, so ist doch die Unbarmhertzigkeit und der Eigennutz meiner beyden Geschwister dermassen groß, daß sie mich deswegen ins Closter thun wollen, um dermahleinst die Erbschaft unter sich allein zu theilen. Meine Frau Mutter, fügte sie hinzu, könte ihnen allenfalls wohl zu einem Dienst bey Hofe verhelfen; allein, sie sind nicht von unsrer Religion, und also wird es damit schwer hergehen: wolten sie mir zu Liebe ihren Glauben ändern, so weiß ich nicht, was mich zurück hält, ihnen solches zu rathen: es scheinet mir dieses für einen verständigen Edelmann, wie sie sind, zu niederträchtig; zumahl, da sie die Irrthümer von unsrer Kirchen wissen, und mir zu aufrichtig scheinen sich zu verstellen.

Das erhabene Gemüth und die reine Vernunft, welche mir meine geliebte Mariane, so nannte sich die Fräulein, bey dieser Gelegenheit blicken ließ, machten mich zum zärtlichsten Liebhaber von der Welt. Wir waren beyderseits von der Heftigkeit unserer Leidenschaft dermassen eingenommen, daß wir uns einander eine immerwährende Treue schwuren, es mögte auch kommen, wie es wolte. Ich konte mich nicht enthalten, diese Versicherungen mit einigen Liebkosungen zu begleiten.

Die Frau von Thurris trat eben ins Zimmer,[144] da ich ihre Tochter umarmte. Wie! sprach sie, meine Tochter, wie! seyd ihr mit dem Herrn von Rossan so vertraulich? sie wolte uns darüber ihre Verachtung zu erkennen geben, als wir beyde uns zu ihren Knien warfen, und sie mit den beweglichsten Gebehrden ersuchten, unserer unschuldigen Liebe nicht zuwider zu seyn.

Ihr Kinder! fieng sie darauf mit einem besänftigten Wesen an: eure Liebe verblendet euch: dergleichen Sachen lassen sich so geschwinde nicht thun. Es ist nicht genug, mein lieber Herr von Rossan, daß sie meine Tochter als ein tugendhafter Edelmann lieben: wovon wollen sie leben? sie werden schwerlich ihre Religion verändern wollen, und ohne dieses Mittel sehe ich keine Hoffnung, sie hier am Hofe unterzubringen.

Die gröste Schwierigkeit ist, fuhr sie fort, daß ich meinem Sohn und meiner ältesten Tochter das Wort gegeben habe, Marianen allhier ins Closter zu bringen. Mein Sohn ist insonderheit ein gar wilder und ungestümmer Mensch, der keine Vernunft und keine Billigkeit verstehet. Mariane im Gegentheil ist das beste Gemüth von der Welt: man hat von Jugend auf bey ihr eine gewisse Gottesfurcht und Sittsamkeit gespüret, woraus man geschlossen, daß sie sich für nichts anders als für das Closter schicke; sie war bey meiner Schwester in der Einsamkeit und in lauter Andachts-Ubungen erzogen worden: sie kante also die Welt nicht, und meynte deswegen auch darinn[145] nicht viel zu verliehren: ich merkte aber bald, daß sie ein heimlicher Kummer nagte; und als die Zeit herbey kam, daß ich sie hieher bringen wolte, um ihr Prob-Jahr anzufangen; so bekante sie mir, mit Ausstürzung vieler Thränen, daß sie einen Abscheu vor dem Closter hätte. Meine Mariane dauerte mich von Herzen: ich konte mich nicht entschliessen, ihr die geringste Gewalt anzuthun: ich furchte mich nur vor meinem unartigen Sohn.

Ich brachte sie also hieher, in der Absicht, sie zwar in das Closter zu führen; unterdessen aber mit meiner Schwester auf Mittel zu sinnen, wie wir sie, vor ihrer Einkleidung, von einem ihr so verhasten Gelübde noch befreyen mögten. Ich glaubte, der Himmel habe mir solche durch sie, mein lieber Herr von Rossan, entdecken wollen: sie haben Verstand und Wissenschaften: ich hätte ihnen hier bey Hofe Freunde und Schutz erwerben wollen; allein, so sind sie nicht von unserer Religion, dieses verwirret mir alle meine gemachte Anschläge.

Ich dankte der Frau von Thurris auf das verbindlichste für diese so gütige Erklärung: ich sagte, ihr Herr Sohn würde sich gleichwohl müssen weisen lassen, wenn man seine Gerechtsame nicht antasten würde. Ach! liebster Herr von Rossan, sagte Mariane: sie kennen meinen Bruder nicht, er ist ein gantz abscheulicher Mensch; und sie werden hier kaum sicher seyn,[146] wann er erfahren solte, daß sie bey uns einen so freyen Zutritt hätten.

Wir nahmen darauf unsere Abrede, daß ich, so bald mein Geschäft bey Hofe zu Ende seyn würde, mich wieder nach Hauß begeben, die Fräulein aber zum Schein einige Wochen ins Closter gehen solte. Nach Verfliessung einiger Wochen solte sich die Fräulein beklagen, daß sie sich nicht wohl befände, und dadurch ihre Frau Mutter nöthigen, sie wieder nach ihrer Schwester, der Gräfin von Iserlo, zu bringen. Biß dahin solte ich mich bey meinem Hof um einen guten Dienst bewerben, und alsdan ihre Tochter bey obgemeldeter Gräfin abholen.

Also war mein Handel mit dieser Fräulein geschlossen, da ich kaum noch drey Wochen in Monaco mich aufgehalten hatte. Ich glaubte, daß es nun Zeit seyn würde, mich derselben näher zu entdecken.

Ich ließ zu dem Ende für mich eine prächtige Gutsche mieten, nahm zu meinem Leibdiener noch einen Lehn-Laquayen, und gab ihm gleiche Liberey mit dem meinigen, sie war roth mit buntfärbigen und silbernen Schnüren reich besetzt; ich hatte ein Kleid, welches für eines der schönsten und kostbarsten auch selbst zu Panopolis gehalten wurde. Eh ich also nach Hof fuhr, ließ ich mich des Morgens bey der Frau von Thurris unter meinem rechten Namen melden. Weil mein Vater Ober-Befehlshaber in Australien[147] ist, so waren wenig Leute vom Stande in Monaco, die meinen Namen nicht kanten. Die Frau von Thurris erschrack demnach, wie man ihr sagte, der Freyherr von Riesenburg hielte vor ihrer Thür, und wolte bey ihr seine Aufwartung machen.

Weder sie, noch ihre Tochter, waren also angekleidet, daß sie sich vor einem fremden Cavalier wolten sehen lassen; sie schlugen deswegen meinen Besuch ab, und baten sich die Ehr auf ein ander mahl aus. Ich war aber schon ausgestiegen und gieng der Treppen hinauf: die Bedienten erkanten mich; ich winkte ihnen, sie sollen nichts sagen: ich trat also in der Frau von Thurris ihr Zimmer; sie aber floh zu der einen und ihre Tochter zu der andern Thür hinaus: beyde setzten sich an ihren Nacht-Tisch, und suchten erstlich vor ihrem Spiegel sich zu berathen, ob sie vor einem so kühnen Fremdling sich wolten sehen lassen.

Mariane war noch in dieser Bestürzung, als das Cammermägdgen bey ihr anklopfte, und sie bat aufzumachen; sie rief mit leiser Stimme: es wär gar ein schöner Herr da; sie wolte sie hurtig aufsetzen, damit sie sich könte sehen lassen: die Fräulein machte ihr in der Ungedult auf, und wolte sie eben darüber ausschelten, daß sie einen fremden Herrn wider ihren Befehl herauf gelassen hätte; als ich ihr um den Hals fiel. Erkennet mich, liebste Mariane, redete ich sie an, ich werde euch ja unter dem Namen von Riesenburg[148] nicht abscheulicher vorkommen, als unter dem von Rossan. Wie! fragte sie ganz bestürzt, Rosson ist nicht Rossan mehr? er kan mich betrügen? o unglückselige Mariane.

Sie setzte sich darauf auf einen Stuhl, legte ihr Haupt in ihre Hand auf den Tisch und wolte mich nicht ansehen: ich setzte mich neben sie: was wollen sie sagen? meine wertheste Fräulein, sprach ich zu ihr. Ich habe mir eingebildet, sie liebten mich, und nicht meinen Namen. Ich erzehlte ihr darauf alles, was meinen Zustand betraff: ich vermeynte sie dadurch in eine angenehme Verwunderung zu setzen: allein die Thränen kamen ihr in die Augen, sie weinte: ich wuste nicht, was ich ihr sagen solte. Ich habe gehofft, mein Herr, fieng sie an, ich würde ihr Glück machen, und sie dadurch so fest an mich verbinden: daß sie nothwendig dafür mich lieben müsten: Mit dieser süssen Hofnung hab ich mir nun vergeblich geschmeichelt: Rossan ist nicht Rossan mehr, er kan sich verstellen: er kan eine andere Person annehmen: der Freyherr von Riesenburg wird sich nun so viel Mühe nicht mehr um mich machen.

Die Thränen rollten ihr noch von ihren schönen Wangen, als ihre Mutter zu uns kam. Wie, Monsieur Rossan! redete sie mich verwundernd an, was soll dieses bedeuten? wie so prächtig, und unter welchem Namen erscheinen sie hier? Gnädige Frau, war meine Antwort, nachdem sie mir die Gnad erwiesen, und mir die unvergleichliche Mariane versprochen haben; so kan[149] ich nicht wohl geringer aufziehen: eine kleine Herrschaft Rossan, davon ich mich bisher genennet, wird ihnen verhoffentlich den einzigen Sohn das Freyherrn von Riesenburg, Ober-Befehlshaber in Australien, nicht zuwider machen. Ich erklärte ihr darauf dieses Geheimniß deutlicher, und sie schien mit dieser kleinen Erhöhung ihres zukünftigen Tochtermanns nicht übel zufrieden zu seyn; zumahl, da sie dadurch der Sorgen entsetzet wurde, mich an einem Hof unterzubringen, und um meine und ihrer Tochter Lebsucht sich zu bekümmern.

Ich fuhr darauf nach Hof: man erwies mir daselbst viel Ehre. Die übrige Zeit verbracht ich meistens bei meiner liebsten Marianen: ich fuhr etlichemahl des Abends mit ihr spatzieren; sonst aber hielten wir unsern Umgang so geheim, als es möglich war. Nachdem ich also 6. Wochen in Monaco mit gröstem Vergnügen zugebracht hatte, machte ich Anstalten zu verreisen.

Ich nahm von Marianen Abschied. Ich erinnere mich dessen nie ohne äusserster Bewegung: sie blieb ganz erstarret vor mir stehen, sie sprach kein Wort, sie vergoß keine Thränen: die Säfte waren in ihren Augen wie vertrocknet: ich hätte sie lieber weinen sehen: ich küste sie, und sie druckte mir die Hand: darinne bestunde ihre ganze Bewegung. Ich schlich mich unvermerkt von ihr weg: die Frau von Thurris war so erweicht, daß sie weinen muste: sie begleitete mich bis an die Treppe: ich empfahl ihr Marianen und verreiste.[150]

Das Herz war mir so dick, und ich fühlte in der beklemten Brust eine solche ungewöhnliche Unruh, daß ich nicht sah, wo ich hinfuhr. Ich kam den andern Tag glücklich zu meinem Vater, der sich damahls auf seiner Herrschaft, unweit Auracum, befand. Dieser wolte Anfangs meine Liebe zu der Fräulein von Thurris durchaus nicht gutheissen; er hatte mit mir andere Absichten: die beste Gründe gelten nicht, wo einmahl der Verstand mit Vorurtheilen eingenommen ist: dem ungeacht, so bracht ich es endlich durch meine Vorstellungen so weit, daß er auf gewisse Bedingungen darein willigte.

Mein darüber empfundenes Vergnügen dauerte nicht lang: ich hatte an die Fräulein von Thurris gleich nach meiner Ankunft geschrieben, und von ihr noch keine Antwort bekommen. Dieses war unserer gepflogenen Abrede ganz zuwider: ich sandt deswegen meinen Cammerdiener nach Monaco: dieser kam nach einigen Tagen, weil er die Post geritten war, wieder zurück, und brachte mir die grausamste Zeitung von der Welt, daß die Fräulein von Thurris von ihrem Bruder wär entführet worden, und daß niemand, auch sogar ihre Frau Mutter nicht wüste, wo er sie hingebracht hätte. Diese Dame war darüber in Verzweiffelung, und ließ mich bitten, so bald es mir möglich seyn könte, nach Monaco zurück zu kommen.

Ich war über diese Nachricht dermassen bestürzt, daß ich alle Müh von der Welt hatte,[151] einen Entschluß zu fassen, der meinem Muth und meiner Pflicht gemäß war. Ich befahl meinem Cammerdiener, nichts von allem dem, was er wüste, meinem Vater zu entdecken: einige Stunden hernach ließ ich mir meine beste Pferde satlen; ich sagte, ich wolte auf die Jagd reiten: mein Cammerdiener, ein Jäger und ein Reitknecht mit einem Hand-Pferd begleiteten mich, ich nahm meinen Weeg gerade nach Monaco: ich kam spät in ein Nachtlager: ich fand unten in der Gast-Stuben einen Bedienten, welcher die Thurrische Liberey hatte: ich fragte ihn, wem er zugehörte? er sagte, dem Freyherrn von Thurris: auf mein ferneres Fragen: wo er hin wolte, gab er mir die Nachricht, daß sein Herr morgen früh da eintreffen, und seine Reise weiter bis nach Auracum fortsetzen würde. Ich zweiffelte hierauf nicht, daß mich der Herr von Thurris aufsuchen wolte.

Ich hatte diese Nacht wenig geschlaffen: hundert verwirrte Vorstellungen beunruhigten meine ganz auseinander gebrachte Fantasie: ich schwur dem Räuber meiner Schönen bald den Tod, bald dachte ich auf Mittel ihn zu gewinnen. Ich stund mit anbrechendem Tag von meinem Lager auf, und war von den vielen Träumen ganz entkräftet.

Ich machte mich damit auf den Weg: ich war kaum etliche Stunden fortgeritten, so begegnete mir ein junger Mensch zu Pferd mit einem[152] Jäger: er hatte ein unglückliches und wildes Ansehen: als ich ihn begrüste, sagte er mir ganz trotzig: grossen Dank; und rührte dabey kaum den Hut. Ich hatte keiner weitern Nachricht nöthig, daß er der Herr von Thurris sey: wie! dacht ich bey mir selbst, wer solte diesen Menschen für einen Bruder der allerhuldreichsten und anmuthigsten Schönheit ansehen? seine seltsame Gebährdung, sein aufgeworfenes Maul, seine grosse Augen, womit er mich anblickte, hatten in der That etwas barbarisches: ich wagte es unterdessen, ihm meinen Diener nachzuschicken, um ihn zu befragen, ob er der Baron von Thurris wär; in welchem Fall ich mir die Ehre ausbitten wolte, ihn zu sprechen.

Mein Cammerdiener näherte sich demselben mit der grösten Bescheidenheit: er hatte ihm aber auf sein Befragen nicht so bald entdecket, wer ich wär; so kam er, als ein Rasender, mit aufgespanneter Pistole, auf mich zugerant. Da er mich erreichet, druckte er den Hut tief in den Kopf: Ha! Verräther! war seine Anrede, find ich dich allhier? hast du meine Schwester können verführen, so zeige nun auch, ob du eben so leicht dein Leben vertheidigen kanst.

Ich wolte ihm auf diese tolle Anrede mit Vernunft antworten: ich betrachtete ihn als den Bruder meiner geliebten Marianen: Mein Herr, sagt ich zu ihm, ganz gelassen, last uns einander nicht schimpfen: ich liebe ihre tugendhafte[153] Fräulein Schwester, als ein ehrliebender und redlicher Cavalier. Was Ketzer! schrie dieser voller Wuth, sprich mit deiner Pistole, wenn du Herz im Leibe hast; anders begehr ich nicht mit dir zu reden: indem er dieses sagte, schoß er auf mich, daß mir die Kugel am Kopf hinsauste: ich machte mich darauf so hurtig wehrhaft, als ich konte. Gilt dieses, Bösewicht, fuhr ich im Zorn heraus, und schenkte ihm eine Kugel, die ihn vom Pferd herunter stürzte.

Ich rief alsobald meine Leute und seinen eigenen Kerl, bey dieser Handlung zu zeugen, daß ich zu diesem Zweykampf wäre gezwungen worden. Wir suchten darauf dem verwundeten Leichnam dieses unglückseligen jungen Edelmanns noch zu Hülfe zu eilen; allein ich hatte ihn mitten durch die Brust geschossen: er war Knall und Fall todt.

Sein Knecht hielte ihm allhier eine kurze Leichen-Rede. Der Inhalt davon war dieser: Ihr Caplan, sprach er, hätte immer gesagt: GOtt war ein gerechter GOtt, der das Böse nicht ungestraft ließ: sein Herr hätte ein so gar ruchloses böses Leben geführet, daß schier kein ehrlicher Mensch mehr bey ihm hätte dienen wollen; er wär selbst noch denselben Tag Willens gewesen, von seinem Herrn wegzulauffen, nun hätte derselbe seinen verdienten Lohn von meiner Hand bekommen. GOtt mögte seiner armen Seel genädig seyn.[154]

Ich ließ darauf den ertödteten Leichnam nach dem nächsten Dorf bringen, und reiste wieder zurück nach Haus. Ich empfand über diese traurige Begebenheit in meinem Gemüthe einen so beisenden Schmerzen, daß ich mich nicht zu trösten wuste. Was wird, sprach ich bey mir selbst, die Frau von Thurris sagen, daß ich ihren Sohn entleibet habe? wie wird meiner armen Marianen darüber zu Muthe seyn? wird sie ohne Grausen und Entsetzen an ihren Bruder-Mörder gedenken? wird sie denselben auch noch lieben können? Und wenn gleich in diesem Fall, wie ich glaube, auch ihre Regungen für mich die Oberhand behalten solten, würden ihr jemahls der Wohlstand und die Gesetzen erlauben, demjenigen die ehliche Hand zu geben, der die seinige mit dem Blute ihres einzigen Bruders bespritzet hat?

Mit diesen Kummer-vollen Gedanken kam ich wieder auf meines Vaters Schloß. Die Sache mit dem Baron von Thurris wurde allenthalben ruchtbar: der Zweykampf war noch binnen den Gräntzen dieses Königreichs geschehen. Ich wolte darüber mich den Wirkungen des väterlichen Zorns nicht aussetzen; mein Vater ist, wie bekant, ein rauher heftiger Mann. Ich hatte Ursach mich vor ihm zu fürchten. In meinem Gewissen fund ich mich unschuldig; ich wolte deswegen nicht das Königreich räumen: ich verließ mich auf GOtt und meine gerechte Sache: ich begab mich deswegen, als ein freywilliger Gefangener auf diese Vestung, und verhoffe,[155] nachdem die Sache nunmehro mit allen gerichtlichen Untersuchungen und Abhörungen der Zeugen, nach Hofe ist versandt worden, bald wieder zu meiner vorigen Freyheit zu gelangen; weil es hie ganz offenbar ist, daß ich in den Umständen einer unumgänglichen Nothwehr mich befunden hatte.

Mein Vater vernahm, so bald ich ohne Abschied von ihm gereiset war, den ganzen Handel: ich bat ihn deswegen in Briefen mit den demüthigsten und zärtlichsten Ausdrückungen um Verzeihung, und hofte, er würde sich meiner annehmen; er verwies mir aber nicht allein, die ohne seinen Willen und Rath unternommene Reise nach Monaco; sondern versagte mir auch sogar allen Schutz und Beystand. Doch, wie ein Vater allzeit Vater ist, so vernehm ich jetzo, daß er sich ins Mittel geschlagen hat; und daß also mein Proceß ehestens zu Ende gehen werde.

Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742., S. 129-156.
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