Das siebende Buch.

[156] Nachdem der Herr von Riesenburg hiemit seine Erzehlung zu Ende gebracht hatte, verfügte sich der Herr von Ridelo mit dem Grafen auf sein Zimmer, und wiederhohlte demselben alles, was er ihm bereits bey seiner Ankunft eröffnet hatte, mit beygefügter Bitte, er mögte sich die Nacht wohl darüber beschlafen, und ihn morgen mit einer guten Antwort abfertigen.

Der andere Tag erschien, aber nicht zu des Herrn von Ridelo vermeynter Abreise. Der General hatte sich denselben noch ausgebeten, und diesem Herrn zu Ehren eine grosse Gesellschaft des benachbarten Adels auf das Schloß bitten lassen. Man speisete Mittags in einem grossen Saal, dessen Wände mit feinem Wachstuch bekleidet waren, worauf man die vornehmste Schlachten und Kriegs-Thaten der vorigen Königen, sehr kunstreich abgemahlet sah. Unter währender Tafel ließ sich eine vortrefliche Music hören: die Gesellschaft war sehr zahlreich: es befanden sich darunter allerhand Menschen, von beyderley Geschlecht: man blieb bis in die Nacht beysammen: man belustigte sich, theils mit Spielen, theils mit Tanzen, theils aber mit allerhand Gesprächen.[157]

Der Graf von Rivera gieng von einem Hauffen zum andern; er vernahm allerhand Urtheile und Meynungen; er sah, daß unter so viel Personen sich wenige fanden, die von einer Sache sich richtige Begriffe machen konten, und die folglich vermögend waren, eine Wahrheit gründlich einzusehen. Die Einbildung, die ein jeglicher von sich selbst und seiner eigenen Vortreflichkeit hatte, war die Quelle, woraus auch bey dieser Zusammenkunft die meiste Reden flossen: es suchte immer einer den andern in die Schule zu führen, oder gar lächerlich zu machen; und wer am meisten sprach, und durch seine Thorheiten andere lachen machte, der gab sich selbst die Stimme, daß er unstreitig der Klügste von allen sey. O unglückseliger Verstand! seufzete hier der Graf bey sich selbst, ist dieses der würdige Gebrauch einer so edlen Gabe, damit uns GOtt von den unvernünftigen Thieren unterschieden hat?

Der Herr von Ridelo machte sich, ehe er den Grafen verließ, noch einmahl an denselben: er setzte seinen vorigen Beweg-Gründen, damit er ihn zur Unterwerfung in des Königs Willen zu bereden suchte, noch andere hinzu; allein, es war umsonst: der Graf sagte ihm; er wolte sich gern in allen Stücken weisen lassen, und dem König seinen Gehorsam erzeigen, sein Herz aber litt durchaus keinen Zwang: er hielt dafür: ein redlicher Mann müste sich nicht anders, als aus Neigung heyrathen: der König hätte über alle seine Handlungen zu befehlen, die nicht wider die[158] Aufrichtigkeit des Herzens stritten; er hielt die Eh für einen Stand, worinn nicht nur die genaueste Liebe und Vertraulichkeit herrschen solten; sondern wo zugleich auch die nothwendigste Pflichten der menschlichen Gesellschaft zu beobachten vorkämen. Es könte seyn, setzte er hinzu, daß diese Art zu denken, nach der heutigen Welt, etwas gemeines und niederträchtiges hätte. Unterdessen aber könte er um so viel weniger andern Lebens-Regeln folgen, weil sie ihm noch weit gefährlicher als diese schienen.

Der Herr von Ridelo beklagte die Unschuld des Grafens so sehr, als er dessen Tugend bewunderte. Er nahm von ihm Abschied, und als er sich seine beständige Freundschaft ausgebeten, und ihn auf das zärtlichste umarmet hatte, reiste er ziemlich mißvergnügt, wegen seiner schlechten Verrichtung, wieder nach Panopolis.

Gleich nach seiner Ankunft fuhr er zu dem Herzog von Sandilien. Dieser war übel zu frieden, da er hörte, daß sein Anschlag nicht glücklicher von statten gehen wolte. Der eigensinnige Graf, stieß er aus Unmuth heraus, ist selber Schuld an seinem Unglück. Ich habe es recht gut mit ihm gemeynt: ich weiß nicht, wie ich die Sache dem König soll vorbringen, daß er darüber nicht von neuem wider ihn aufgebracht werde; ja ich besorge anjetzo die Ausbrüche seines Zorns noch mehr als zuvor; weil der Graf dessen gröste Gnaden-Bezeugungen so trotzig ausschlägt, und dadurch den König destomehr in seinem gegen[159] ihn gefasten Argwohn stärket. Der Herr von Ridelo suchte alles in der Welt zu des Grafens Entschuldigung anzuführen: er bat, und beschwur den Herzog, diesen tugendhaften Cavalier in seinen Schutz zu nehmen, und verließ ihn nicht eher, als bis ihm der Herzog solches versprach.

Der König verlangte sehr zu vernehmen, was der Herr von Ridelo bey dem Grafen von Rivera würde ausgerichtet haben. Der Herzog von Sandilien suchte demselben die Sache so glimpflich, als es ihm nur möglich war, vorzutragen; allein der König liebte, er war eifersüchtig, und hatte es Ursach zu seyn. Dieses bedrohete den Grafen mit der äussersten Gefahr.

Der Herzog wuste nicht, wie er sich diese Begebenheit bey seiner Base zu Nutz machen solte: er hatte den Herrn von Ridelo gebeten, die Sache verborgen zu halten; und weil der sonst plauderhaften Corinna selbst daran gelegen war, daß davon nichts bekant würde; so suchte er seine Base glauben zu machen, der Graf würde sich mit der Herzogin von Salona vermählen. Er hofte sie dadurch zu bewegen, daß sie sich desto leichter für den König erklären solte. Die Gräfin von Monteras aber schützte ihre fortdaurende Unpäslichkeit vor, und begab sich wieder nach Prato zu ihrer Frau Mutter.

Des Königs Zorn wuchs durch die Kaltsinnigkeit der Gräfin und durch ihre Abreise. Dessen[160] Eifersucht gegen den Grafen von Rivera gieng so weit, daß er auf Mittel sann, ihn heimlich aus dem Weg zu räumen: das Blut eines Unterthanen ist in den Augen eines Königs etwas geringes, wenn er sich von ihm beleidiget zu seyn glaubet. Nur wuste der König nicht, wem er sich in dieser Sache vertrauen solte; zu dessen Ausführung er sich keines andern Menschens, als eines Verräthers bedienen konte. Silon kam ihm darüber in die Gedanken: er fand ihn zu solchen Verrichtungen, die durch List und Betrug musten getrieben werden, überaus geschickt: er entdeckte ihm sein Anliegen, und fragte ihn, wie er dieses ihm so verhasten Mitbuhlers am besten los werden könte. Dieser hatte darzu sogleich hundert verwegene Anschläge; der König aber, der heimlich noch etwas von einem guten Grund in sich hatte, konte sich zu keinem derselben entschliessen.

Endlich ereignete sich eine Gelegenheit, wobey der König glaubte, seine Absichten, in Ansehung des Grafens, am ersten zu erreichen. Es hatte sich zwischen ihm und dem König von Licatien ein Krieg entsponnen. Dieser war ihm wegen einer gewissen Grafschaft, darauf er Anspruch machte, mit einem Heer von 25000. Mann ins Land gefallen.

Man hatte sich dieses feindlichen Einbruchs so bald in Aquitanien nicht versehen: alles, was man dabey thun konte, war, daß man die Vestungen mit Volk besetzte, und ein tüchtiges[161] Kriegs-Heer zusammen zu bringen suchte, solches dem Feind entgegen zu stellen. Der Schrecken und die Verwirrung war ungemein, es fehlte an allem; keine Mannschaft war auf den Beinen, kein Geld in der Schatz-Cammer; die meisten Unterthanen waren arm, und die Reichen schützten meistentheils ihre Freyheiten vor, wenn sie zur gemeinen Sache etwas mit beytragen solten.

Der König erinnerte sich bey diesen Umständen des Grafens von Rivera, welcher ihm öfters vom Krieg und der Nothwendigkeit eine ordentliche und wohl-geübte Mannschaft beständig auf den Beinen zu halten gesprochen, und daß ihm darinn der General Lesbo stark wiedersprochen hatte. Der König vermeynte also dem Grafen ein Netz zu stellen, wenn er ihn zu einem Befehlshaber bey seinem Kriegs-Heer bestellen, und ihm die gefährlichste Posten würde anvertrauen lassen.

Als der König dieses Vorhaben dem Herzogen von Sandilien entdeckte, merkte dieser bald, wohin der König zielte: so ehrsüchtig er auch war, so konte er doch nicht grausam seyn: er machte dem König deswegen allerhand Einwürfe: er sagte ihm unter andern: daß der Graf bey dem Krieg nicht wäre hergekommen, daß er in solchen Sachen keine zulängliche Erfahrung hätte: und daß die alte Officiers nicht gern unter ihme dienen würden.

Der König antwortete hierauf dem Herzogen,[162] daß des Grafens Geburt ihn zu den obersten Kriegs-Aemtern fähig machte: daß er in dem Hesperischen Krieg, als ein Freywilliger, einige Feld-Züge mitgethan hätte; daß er die Kriegs-Bau-Kunst aus dem Grund verstünde; daß also kein Officier sich es dürfte mißfallen lassen, unter ihm zu dienen.

Der Herzog von Sandilien konte hierwider nichts einwenden; er sandt demnach auf des Königs Befehl einen Königlichen Geheim-Schreiber an den Grafen, und ließ demselben nicht nur des Königs Gnade durch ihn ankündigen; sondern auch das Patent eines General-Wachtmeisters überbringen. Weil es in Aquitanien etwas gewöhnliches ist, daß der hohe Adel in Kriegs-Läuften mit zu Felde ziehet, und eigne Regimenter anwirbet; so kam dieser kriegerische Beruf dem Grafen nicht so gar fremde vor: er bedankte sich für die besondere Gnade, und das darunter ihm bezeigende Vertrauen des Königs. Er hofte demselben in diesem Krieg gute Dienste zu thun. Die Natur hatte ihm einen gesunden Leib, ein männliches Ansehen und ein tapferes Herz gegeben. Er hatte die Wissenschaften, die zum Krieg gehören, von Jugend auf gelernet, und war stets mit erfahrnen Kriegs-Leuten umgegangen. Der König hatte ihm, auf Anhalten des Herzogs von Sandilien, zugleich auch die Erlaubniß gegeben, sich ein eigenes Regiment anzuwerben; welches den Grafen von den guten Meynungen des Königs völlig zu überzeugen schien.[163]

Der Graf nahm also von seiner bisherigen Gefängnis-Gesellschafft Abschied. Der alte Commendant wünschte ihm zu dem bevorstehenden Feldzug tausendfaches Glück, und beklagte nur, daß ihm seine alte gebrechliche Hütte nicht mehr gestatten wolte, an seiner Seiten zu fechten: er schloß ihn darauf mit herzlicher Liebe in seine Arme: der Freyherr von Riesenburg war noch mehr über den Abschied des Grafens bewegt; er hatte mit ihm die genaueste Freundschaft aufgerichtet; er versprach ihm, weil er erster Tagen wieder auf freyen Fuß kommen solte, unfehlbar nach der Armee zu folgen.

Der Graf gieng nicht nach Hof; man hatte ihm solches widerrathen: er verfügte sich geraden Wegs auf seine Herrschaft. Dessen unvermuthete Ankunft verursachte daselbst bey seiner Frau Mutter und beyden Gräfinnen Schwestern, wie auch bey dem Herrn von Bellamont ein überaus grosses Vergnügen: er hatte ihnen aber nicht so bald die Ursach davon entdecket, so verschwand solches auf einmahl. Die alte Gräfin hielt ihren einzigen Sohn für verlohren; und ihre beyde Töchter warfen mit einer betrübten Empfindung die Schuld alles Ungemachs, welches ihren Bruder bedrohete, auf den Herrn von Bellamont, weil er allein ihm gerathen hatte nach Hofe zu gehen. Ihm war selbst nicht wohl zu Muth bey der Sache: er kante die Welt, und konte leicht muthmassen, daß man bey solchen Umständen dem Grafen mehr ein Netz zu stellen, als ihn zu erheben suchte. Er gab diesen Argwohn[164] seinem liebsten Grafen zu erkennen: er bat ihn deswegen sehr, bey dieser ihm bevorstehenden Gefahr auf seiner Hut zu seyn, und ein wenig mistrauischer zu werden.

Diese beyde Herren waren immer beysammen: das neue Regiment war bald angeworden: sie fanden allein auf ihren beyden Herrschaften bey zwey hundert Mann auserlesen Volk. Die übrige Befehlshaber waren auf verschiedene Werb-Plätze ausgetheilet: der Name des Grafens von Rivera war allenthalben beliebt: seine Vorfahren hatten sich bereits im Krieg sehr hervorgethan, und erfüllten seine Ahnen-Tafel mit den tapfersten Helden; das Volk lief häufig zu; in Zeit von ein paar Monathen war das ganze Regiment auf den Beinen und im Stand zu marschiren. Die Armuth auf dem Land war durchgehends so groß, daß sich Soldaten genug fanden, wo nur Geld war.

Der Graf hatte in dem Kriegs-Wesen verschiedene Dinge beobachtet, die er bey seinem Regiment zu ändern und zu verbessern suchte: er hatte insonderheit wahrgenommen, daß die so nöthige Kriegs-Zucht fast durchgängig versäumet wurde; und daß man dem Soldaten, sowohl auf Zügen, als im Feld, allen Muthwillen und alle Leichtfertigkeit verstattete; wodurch die Unordnung, die Schwelgerey, die Trägheit, die Grausamkeit und die Verachtung der wahren Ehre eingeführet, mithin der Soldat besser abgerichtet wurde, die Menschen zu plagen, als zu beschützen. Diesem[165] Unheil suchte der Graf auf alle Weise abzuhelfen, und durch die Einführung einer rechtschaffenen Kriegs-Zucht bey seinem Regiment, andern ein glückliches Beyspiel zur Nachahmung zu geben.

Bey der Musterung schoß er alle Pursche aus, die nicht wohl gewachsen waren; oder die ein wildes und viehisches Ansehen hatten. Denen, die zu seiner Fahne schwuren, ließ er durch den Regimentse Richter den Eyd nicht allein vorlesen, sondern auch auf das deutlichste erklären; er selbst ermahnte sie bey dieser Gelegenheit, daß sie sich als rechtschaffene redliche Kriegs-Männer aufführen, und stets bedenken solten, daß das Leben eines meineydigen und ehrlosen Menschens viel abscheulicher sey, als der Tod.

Seine Leutseligkeit und Menschen-Liebe fesselte bald die Herzen seiner Soldaten: er fragte einen jeden, ob er auch in seinem Dienst vergnügt wär, ob er seine Besoldungen, seine Kleider, sein Brod und alles, was ihm gehörte, richtig empfieng? diesem fügte er immer einige Aufmunterungs-Worte mit hinzu, daß man sich solte wohl halten und dem König getreu und mit gutem Herzen dienen. Er sprach auf diese Weise mit allen seinen Soldaten: er besuchte sie, wie ein Freund den andern: er gieng in seinem Lager von Zelt zu Zelt: dieses waren seine angenehmste Spatzier-Gänge: den Kranken reichte er Arzney und Geld, den Gesunden aber gab er zuweilen ein kleines Fest und etwas auf seine Gesundheit zu vertrinken: alle Spiele um Geld[166] waren unter ihm bey ernstlicher Straf verbotten: hingegen ließ er seine Leute im Lauffen, Rennen, Schiessen, Werfen, Ballschlagen, Kegeln und dergleichen sich üben: weil diese Bewegungen der Gesundheit zuträglich sind, den Müßiggang unterbrechen, den Geist munter, die Glieder lenksam, und den ganzen Leib geschickt, hurtig und stark machen. Es wurden dabey den Soldaten gewisse Stunden des Tags ausgesetzt, darinnen sie ihr ordentliches Gebet verrichten musten, und noch andere, da man ihnen etwas aus den Kriegs-Geschichten vorlas und darüber allerhand Urtheile fällte; bey welcher Gelegenheit ein jeder seine Meynung frey entdecken, oder gewisse Fragen auf die Bahn bringen konte. Die Andachts-Ubungen hielte der Feld-Caplan, die anderen aber, ein jeder, der Lust und Wissenschafft hatte, etwas nützliches zu lesen und vorzutragen.

Nebst dem Mangel der Kriegs-Zucht, hatte der Graf unter den Königlichen Truppen noch andere Fehler bemerket, die er gleichfalls bey seinem Regiment abzustellen suchte: darunter rechnete er auch das grosse Geschlepp von Dienern, Weibern, Marketendern, Troßbuben und Pferden, welche den Soldaten insgemein die nöthige Lebens-Mittel vor dem Munde wegzehren, und die Züge noch einmahl so schwer und unordentlich machen. Er wolte deswegen nicht zugeben, daß ein Unterhauptmann und Fähndrich mehr als ein Pferd, und ein Hauptmann mehr als zwey bis drey, mit ins Feld nehmen[167] solte. Wegen des Gepäcks aber wurden von ihm die Anstalten gemacht, daß man solches meistentheils auf eine gewisse Anzahl Pferd und Maulthiere lud, womit man die Geburge leicht besteigen, und der vielen Wägen und Vorspann-Fuhren entbehren konte.

In dieser Verfassung kam der Graf mit seinem neugeworbenen Regiment in das Königliche Lager. Der Fürst von Voltera, als Oberster Feldherr, empfieng ihn auf das freundlichste; der Graf Lesbo aber, der unter diesem Fürsten die Armee commandiren solte, machte ihm eine ziemlich spröde Mine. Dieser General war bey den Waffen grau worden und verstund den Krieg nach der bisherigen verdorbenen Einrichtung nicht übel, er hatte deswegen bey dem König über die neue Vorschläge des Grafens von Rivera, welche die Verbesserung des Soldaten-Standes betraffen, ehedessen das meiste Gespött getrieben: er war sonst ein rauher, boshafter und listiger Mann. Der König hatte ihm heimlich zu verstehen gegeben, daß er den Grafen von Rivera ein wenig in die Schule führen und zu gefährlichen Unternehmungen brauchen solte. Er hatte genug an diesem Unterricht; er wuste schon, wie die Carten bey Hofe gemischet waren.

Die Eifersucht dieses Generals war ungemein, als er das überaus schöne Regiment des Grafens von Rivera ankommen und in das angewiesene Lager einrücken sah: Waffen-Rüstung, Mannschafft, Kleidung, alles war leichter, sauberer,[168] ordentlicher und kriegerischer, als man solches bisher an andern wahrgenommen hatte.

Der Fürst von Voltera war falsch und schmeichlerisch: er hatte für niemand eine wahre Freundschaft, er suchte nichts als seine eigene Hoheit: er war ein Ur-Enkel des grossen Nicanors, der seinen Groß-Vater mit einer Beyschläferin gezeuget hatte. Weil der König noch unvermählet, und dabey von schwächlicher Natur war, so richtete er schon von weitem seine Gedancken auf den Thron: er konte den Herzog von Sandilien nicht leiden: seine Feindschafft gegen denselben hatte sich schon bey verschiedenen Gelegenheiten blos gegeben. Die Ursach dieses Hasses machte dem Herzog viel Ehr: sie haftete auf dessen Treu gegen den König: die verstorbene Königin hatte ihm denselben auf ihrem Todtbett anbefohlen, und ihn zu gleich mit Genehmhaltung der Stände, und ihres geheimen Raths, zum Vormund des Königs bestellet: dem Fürsten aber Lucodun zu seinem Aufenthalt angewiesen. Dieser Fürst sah demnach hier den Grafen von Rivera zum erstenmahl: er bewunderte dessen vortrefliche Eigenschafften: er urtheilte daraus, daß dessen Glück nicht mittelmäßig bleiben würde, und suchte ihn deswegen zu seinem Freud zu machen.

Es stund darauf, daß die Licatier weiter in das Königreich einbrechen, und die Grenz-Vestung Minopel wegnehmen wolten. Die Aquitanier fanden deswegen für nöthig, einige tausend Mann in das Geburge zu legen, und ihnen dadurch den Paß abzuschneiden.[169]

Der Graf von Lesbo, auf welchen alles hauptsächlich ankam, gedachte hier dem Grafen von Rivera die erste Falle zu stellen. Er zog aus allen Regimentern den zehenden Mann, und trug demselben darüber das Commando auf. Dieser merkte bald, daß der General für ihn keine günstige Absichten hatte. Er verbarg aber seinen geschöpften Argwohn und folgte dem Befehl. Doch bat er den Fürsten, ihn allenfalls mit nöthiger Mannschaft zu unterstützen.

Er postirte sich sehr vortheilhaft: er hatte hinter sich eine Höhe mit einem dicht-bewachsenen Gehölz, und von vornen steile Abhänge, die bis in ein tiefes Thal herunter giengen. Der Grund war hart und felsigt: man konte mit der Schauffel nicht durchkommen: Der Graf ließ deswegen ungesäumt die gröste Steine zusammen lesen, und damit auf beyden Seiten sich eine kleine Brustwehr machen, welche er mit einigen Feld-Stücken, die er bey sich hatte, bedeckte.

Es währte nicht lang, so gab es Lermen: man hörte von weitem das Rufen der Fuhrleute, und das Glatschen ihrer Peitschen in den hohlen Thälern erschallen. Die Vorwachen des Grafens gaben zu gleicher Zeit ihre Losung: ein paar hundert Reuter wurden ausgesandt, um nähere Kundschafft einzuziehen. Der Graf vernahm, daß es feindliche Pack-Fuhren wären, die nur eine kleine Bedeckung bey sich hätten; hinter welchen aber über fünftausend Mann im Anzug wären: der Graf merkte bald die Absicht dieser feindlichen[170] Völker, und daß sie ihn deswegen mit seinen Leuten in das Gepäcke verwickeln wolten, um ihn hier zu überfallen, und dessen Lager zu hestürmen: er ließ deswegen mit seinen Völkern zwar den Paß besetzen; jedoch mit dem ausdrücklichen Befehl, daß kein Soldat aus seinem Glied rücken, sondern nur auf die vorbeyfahrende Karren Feuer geben solte.

Als darauf die feindliche Hauffen selbst anmarschiret kamen, stund der Graf in völliger Schlacht-Ordnung, und erwartete den Angriff: die Licatier aber, wie sie den Grafen in einer so guten Verfassung sahen, wolten solches nicht wagen: sie suchten dargegen eine gewisse Höhe einzunehmen, von welcher sie die Aquitanier mit ihren Canonen erreichen konten: der Graf wolte solches verhindern, damit kam es zum Gefecht: die Begrüssung von beyden Theilen war feurig, man fochte lang und blutig, die Licatier behaupteten endlich den Posten und besetzten den unten im Thal zwischen den Bergen durch fliessenden Bach mit ihren Vorwachten. Der Graf sahe bald, daß er hier ohne Entsatz schwerlich ungeklopft davon kommen würde; er hatte bereits verschiedene Boten deswegen an den Fürsten abgesandt; allein, es kam keine Hülfe. Seine Leute dauerten ihn, sein Ruhm war in Gefahr: er schien von dieser ersten Probe, die man von seiner Tapferkeit erwartete, abzuhängen: Seine Tugend hatte ihn, in Betrachtung der Ehre, noch nicht unempfindlich gemacht: die Herzhaftigkeit, dachte er bey sich selbst, wird mir nichts[171] helfen: die Feinde sind mir weit überlegen; man schickt mir keine Hülfe, ich werde schändlich fliehen, oder mit einem verzweiffelten Muth mich und meine Leute der Feinde Schwerd aufopfern müssen. Was Raths? wie soll ich hier meine Pflicht, meine Ehre und meine Leute retten? der einbrechende Abend schützet mich durch seine dunkle Schatten. Morgen aber werd im mich noch vor Aufgang der Sonne von dem Feind umringet sehen.

Dieses waren unter währendem Treffen die traurige Uberlegungen des Grafen; es wurde finster, man zog sich beyderseits wieder zurück. Der Graf befand sich nicht so bald in seinem Lager, so befahl er in der Still das meiste Gepäck aufzuladen und solches voraus nach dem Haupt-Quartier gehen zu lassen. Er theilte darauf seine Völker in drey Theile: einige versteckte er in das Gehölze: die andere ließ er im Lager: mit den übrigen besetzte er den Paß.

Es wurde zum Aufbruch geblasen, und alles vorräthige Heu und Stroh in Brand gesteckt: die Dunkelheit der Nacht wurde dadurch erhellet: die Flammen umleuchteten als Fackeln die ganze Gegend. Die Licatier liessen sich durch dieses Feuerwerk aus ihrem Lager locken, sie wolten den Grafen so nicht davon ziehen lassen: sie dachten ihn auf der Flucht zu erhaschen, und fielen ihm damit zu gleicher Zeit in den Hinterhalt und in das Lager.[172]

Der Graf war bey diesem Angriff voller Muth, und zweiffelte nicht, sein Anschlag würde glücklich von statten gehen: Brüder, sprach er zu seinen Soldaten: ihr seyd von verschiedenen Fahnen, wir dienen aber alle einem König: lasset uns brav thun, so werden uns andere beneiden, daß man uns ihnen hat vorgezogen, um dem Feind die erste Schläge anzubringen.

Die feindliche Reuterey stürmte mit einem starken Feuer auf den Grafen: er wehrte sich tapfer: gleich darauf aber fielen die im Lager hinterlassene Völker dem Feind in Rücken, und machten damit dem Grafen Luft. Wie der Feind sah, daß die Aquitanier ihr Lager vollig verlassen hatten, fiel er darauf los. Die Soldaten, in Hoffnung, Beute zu machen, wichen aus ihren Gliedern und zerstreueten sich zwischen den noch zurückgebliebenen Zelten und Wägen. Als die in dem Gehölz versteckte Aquitanier solches sahen, brachen sie hervor und hieben alles darnieder. Hier hatte der Graf gewonnen Spiel: der Soldat fochte mit Lust unter einem Anführer, dessen Beyspiel sie zur grösten Tapferkeit anfrischte: alle Befehlshaber thaten ihre Schuldigkeit: man drang den Feind zusammen, und brachte eine Horte durch die andere in Verwirrung: theils warfen sich in die Flucht, theils wurden niedergehauen: die wenigsten erreichten ihr Lager: die darinn zurück gebliebene Besatzung, durch die Hauffen der Flüchtigen geschreckt, that schlechten Widerstand: der Graf bemächtigte sich derselben ohne Müh: und nachdem er einen[173] vollkommenen Sieg erfochten hatte, kam er mit seinen Leuten wieder zurück in das Haupt-Lager.

Niemand war darauf übler zu sprechen, als der General von Lesbo: er nannte diesen Sieg ein Versehen des Feindes, und ein ungefähres Glück des Grafens; welches aber doch keinen Nutzen hätte: weil der Graf seinen Posten nicht behauptet; sondern gleichsam vor seinem überwundenen Feind geflohen wär.

Der Graf beklagte sich hingegen bey dem Fürsten von Voltera, daß er ihm die versprochene Hülfs-Völ ker nicht gesandt hätte. Der Fürst zuckte darüber die Achseln und warf die Schuld auf den Grafen von Lesbo, welcher solches deswegen nicht hätte für gut befunden; weil er dafür gehalten, die Feinde suchten nichts anders, als sie mit einem Theil ihrer Armee in das Gebürge zu locken, und auf solche Weise ihre Macht zu trennen; gleichwohl, antwortete der Graf hierauf, mit einiger Empfindlichkeit, hat man für gut gefunden, mich mit drey tausend ehrlichen Männern dahin zu senden, welche man zusammen in die Pfanne würde gehauen haben, wenn ihnen GOtt und ihr Muth nicht durchgeholfen hätte.

Die Feinde, welche unterdessen den Paß durch die Gebürge offen fanden, liessen wenig Tage darauf ihr grobes Geschütz darüber setzen; und rückten mit ihrer ganzen Macht vor Menipol.[174]

Im Kriegs-Rath wurde gefragt: ob man den Feind, mittlerweil, daß er mit Eröfnung der Lauf-Gräben beschäftiget wär, angreiffen, und ihm eine Schlacht liefern solte? die meisten riethen solches: der Herr Graf von Rivera, fieng einer der ältesten Obristen an, hat uns einmahl die Bahn gebrochen, und den Licatiern gewiesen, daß sich die Aquitanier nicht vor ihnen fürchten: man muß ihnen muthig unter die Augen rücken; weil sie die Schläge noch fühlen, und nicht warten, bis sie selbst kommen, solche an uns zu rächen. So verdrießlich dem General Lesbo diese Anmerkung in den Ohren schallte, so konte er doch nichts dargegen einwenden: schier alle Befehlshaber stimmten damit überein: die ganze Armee rückte also dem Feind entgegen.

Es war eine grosse Fläche, auf welcher die beyde Heere füglich sich ausbreiten, und einander nach allen Regeln der Kunst herum treiben konten: beyde zeigten sich in Schlacht-Ordnung; sie stunden einander sich lange im Gesicht, ohne daß weder der eine, noch der andere Theil die mindeste Bewegung machte. Endlich sahen die Aquitanier, daß ein Theil des feindlichen linken Flügels sich nach einem Flecken hinzog; hinter welchem das Licatische Lager stund. Dieser Flecken wurde für einen Posten gehalten, dem nicht wohl beyzukommen war. Ein breiter Teich mit einem dicht-bewachsenen Hayn umschlung denselben bey nahe rings herum. Das Erdreich war, wegen der vielen Sümpfen, hin und wieder mit tiefen Canälen durchschnitten,[175] und schien die Annäherung einiger Truppen unmöglich zu machen.

Nichts destoweniger so wurde dem Grafen von Rivera aufgetragen, er solte den Feind mit einigen Regimentern von diesem Posten abzutreiben, und solchen zu behaupten suchen. Schwere Unternehmung, welche auch den erfahrensten Kriegs-Obristen würde zu schaffen gemacht haben.

Er hatte dismahl meist alte Truppen und lauter Officiers die ihm zugethan waren, nebst seinem eignen Regiment, bey sich: er besetzte alsofort, nachdem er zuvor die Lage von der ganzen Gegend aufgenommen hatte, alle Zugänge nach dem Flecken, und legte einen Theil seines Fuß-Volks in die Gebüsche. Der Eingang des Orts war mit spanischen Reutern und mit Karren gesperret. Der Graf wuste solche hurtig in Brand zu stecken, und darauf mit drey Feld-Stücken den Paß sich völlig zu öfnen.

Der Feind, als er hier ein wenig das Feuer ausgehalten, zog sich zurück, und besetzte einen stark-ummauerten Kirchhof. Das Gefecht wurde hier ernsthaft und blutig: kein Theil wolte dem andern weichen: es blieben beyderseits viel Leute: Der Graf bejammerte den Verlust einiger seiner besten Officierer. Er selbst bekam eine leichte Wunde am rechten Backen, und verlohr ein Pferd unter dem Leibe: Endlich zwang er den Feind, ihm diesen Posten einzuräumen. Kaum[176] aber, daß er solchen behauptet hatte, so schickte ihm der Fürst von Voltera seinen Adjutanten, und ließ ihm sagen, daß er sich eilends zurückziehen solte, um den lincken Flügel zu unterstützen.

Neue Schwierigkeit, neue Verwirrung für einen so jungen Befehlshaber. Der Graf seufzete heimlich, daß er einen Posten verlassen solte, den er mit so vielem Blut erfochten hatte. Dieser Abzug erforderte so viel Kunst und Klugheit, als der gefährlichste Angriff. So viel Glieder sich zurück zogen, so viel Feuer musten sie aushalten. Der Feind schloß sich immer hinten an; sobald aber hatte der Graf nicht das freye Feld gewonnen, so ließ er seine Reuter dem nachsetzenden Feind sich entgegen stellen, und seinen Völkern damit den Rücken bedecken.

Er stieß damit glücklich wieder zu dem linken Flügel: dieser stund in vollem Feuer, und wehrte sich tapfer. Des Grafens Soldaten waren ziemlich abgemattet: viele giengen nur mit verdrosnen Muth wieder an den Feind. Brüder! sagte er deswegen zu ihnen: wir dürfen heute nicht eher ruhen, als bis wir gesieget haben; darum müssen wir fechten; aller bisher bezeigter Muth würde vergebens seyn, wo wir das Feld räumen solten.

Der Graf ließ darauf seine Fuß-Völker sich in viereckigte Haufen schliessen und die Bajonetter aufstossen, er selbst aber unterstützte mit seiner Reuterey diejenige Regimenter, welche[177] am meisten Noth litten. Die Feinde hielten solches für einen Entsatz, und suchten sich deshalben in so guter Ordnung, als sie konten, zurück zu ziehen.

Der Graf, da er sah, daß der linke Flügel nichts mehr zu befürchten hatte, kam eben zu dem Fürsten von Voltera, da dieser die Nachricht erhielt, daß der ganze rechte Flügel geschlagen, und in voller Flucht begriffen wär. Der Graf, der mehr auf den Sieg erhitzet, als durch die Strapazen ermüdet schien, bat den Fürsten, ihm einen Theil von seiner Reuterey, welche noch gar nicht gefochten hatte, zu vertrauen: er wolte damit die Flüchtigen aufhalten, und sie wieder suchen an den Feind zu bringen. Der Fürst bewilligte solches und gab ihm, nebst seinem Regiment Dragoner, auch drey Compagnien vom Königlichen Hause.

Wer nie die Regungen einer großmüthigen Tapferkeit in seinem Busen gefühlet hat, der kan sich auch keine Vorstellung von dem lebhaften Vergnügen machen, welches der Graf bey dieser Gelegenheit empfand. Seinem darnieder liegenden Verfolger zu Hülfe zu kommen, die beste Truppen anzuführen, und damit dem Feind den schier erfochtenen Sieg wieder aus den Händen zu reissen; dieses waren solche Umstände, deren Annehmlichkeiten nur allein die Seelen grosser Helden kennen.

Das ganze Feld bedeckte bereits eine Menge,[178] theils gewürgter, theils noch sterbender Cörper: viele, die sich durch die Flucht zu retten suchten, und in vollem Schrecken den Fußsteigen zueilten, schwammen hier theils durch die Canäle und Teiche, theils blieben in den Sümpfen und Morästen stecken; die meisten aber stiessen auf den mit frischen Völkern anrückenden Grafen. Wie, Verzagte! schrie er ihnen mit männlicher Stimme entgegen, wo wolt ihr hin? seyd ihr Soldaten, und wollt euch lieber durch eine schändliche Flucht retten, als euer Leben für den König wagen?

Dieses beherzte Zureden that eine gewünschte Wirkung: der Graf sammlete allenthalben die zerstreuete Hauffen, und brachte sie wieder unter ihre Fahnen: sie bekamen alle einen neuen Muth zu fechten: keiner weigerte sich dem Grafen zu folgen. Er setzte sich an die Spitze und führete sie an den Feind.

Der General Lesbo hatte sich unterdessen, zu seinem Unglück, mit einigen vornehmen Befehlshabern, bereits in die Flucht geworfen: er war mit ihnen in einen schwarzen Sumpf gerathen: einige feindliche Husaren, welche hinter ihnen drein jagten, schossen auf sie: eine Kugel traff den unglücklichen General und stürzte ihn vom Pferd, welches von der Bürde seines schweren Reuters nicht sobald sich befreyt fand, so suchte es sich durchzuarbeiten, und trat in dieser ängstlichen Bewegung seinen eignen Herrn in den Sumpf.[179]

Der feindliche linke Flügel hatte inzwischen durch die Begierde Beute zu machen, an einigen Orten schon die Glieder gebrochen. Es währte aber nicht lang, so setzte er sich wieder; und weil er ebenfalls mit frischer Mannschafft unterstützet wurde, so fiel er mit verdoppeltem Muth auf den Grafen; er fand aber dismahl einen ganz andern Widerstand. Die Aquitanier hielten das Feuer aus, als ob sie dessen bereits gewohnet wären. Der Graf hatte unterdessen dem Fürsten die Nachricht geben lassen, daß es nun Zeit seyn würde, mit einigen Regimentern dem Feind in die Flanken zu gehen, und ihm damit Luft zu machen. Da nun der Fürst dieses mit gutem Fortgang that, so brachte man den Feind dadurch in völlige Unordnung.

Nur ein Hauffen war noch übrig, der nicht weichen noch wanken wolte. Der Graf stieß darauf mit einigen freywilligen Edelleuten, welchen die Ehr-Begierde Lust zum Fechten gab. Der Anführer dieses feindlichen Truppes schien darüber ganz kaltsinnig: er sah, daß diese muthige Streiter ihrem Volk, das ihnen folgte, ziemlich weit vor rannten; er spielte ihnen deswegen einen Streich, dessen sie sich nicht vermuthet hatten. Er ließ sie in die Mitte seines Hauffens sich einstürtzen, und damit hurtig wieder die erste Glieder sich schliessen. Da sich der Graf in dieser Falle sah, war er äusserst betroffen; er suchte sich mit dem Degen in der Fast durchzuschlagen; allein seine Gefährden hatten bereits den Muth verlohren; er wolte deswegen nicht[180] als ein Unsinniger fechten; sondern gab sein Seiten-Gewehr einen von den Befehlshabern, der ihm solches mit der grösten Bescheidenheit abforderte.

Der Graf bereuete hier seine Ubereilung, ohne deswegen Muthlos zu werden. Er richtete die Augen nach seinen anrückenden Völkern, und hoffte, sie würden ihn durch ihre Tapferkeit befreyen, doch ehe noch diese kamen, brach von der Seiten ein Trupp Reuter ein: dieses geschah mit einem solchen Muth und mit einer so schnellen Gewalt, daß der ganze Hauffen dadurch erschüttert wurde. Der Graf nahm hier den kurtzen Zeit-Blick in acht, und riß einem neben ihm haltenden Unter-Officier, der die Augen furchtsam nach den einbrechenden Reutern hinschlug, den Degen aus der Faust. Ein Cuiraßierer, der dieses wahrnahm, zuckte deswegen sein Schwerd auf ihn, und würde ihm damit den Kopf gespalten haben, wo der eindringende Fremdling nicht zum guten Glück ihm entgegen gerannt und mit seinem Degen den Sreich aufgefangen hätte. Der Graf schlug eben die Augen nach ihm und meynte ihn zu erkennen, als die Unordnung und die Hitze des Gefechts, den einen hier, den andern dahin trieb. Die andringende Völker des Grafens brachen zu gleicher Zeit ein: es gieng allenthalben an ein grausames Würgen und Niedermetzeln. Das Pulver war meist verschossen: hier galt nichts als eine hurtige Faust, und ein beherzter Muth; so bald aber erklärte sich nicht der Sieg für den Grafen, so rief er[181] seinen Soldaten zu: schonet, o ihr tapfere Aquitanier! schonet eure überwundene Feinde; und vergiesset nicht unnöthig Menschen-Blut.

Indem er dieses sagte, sprengte er mit seinem Pferd einem Dragoner entgegen, und unterbrach einen Streich, den derselbe auf einen feindlichen Befehlshaber gezogen hatte. Dieser fochte nur, um mit dem Degen in der Faust zu sterben: sein Pferd war bereits von vielen empfangenen Wunden schon niedergesunken; ein ihm an der Seiten fechtender junger Officier, schrie deswegen dem Grafen mit ängstlicher Stimme entgegen: ach! großmüthiger Uberwinder! ach! schützen sie doch meinen General, und retten ihm das Leben. Der Graf erkante diesen Herrn sogleich für denjenigen Anführer, dessen Gelassenheit er vor der Spitze seiner Truppen bewundert hatte. Mein Herr, rief er ihm zu, sie schonen ihres Lebens, und gönnen mir die Ehre mein Gefangener zu seyn. Alsobald reichte ihm derselbe seinen Degen, und dieses mit einem so gelassenen Wesen, daß der Graf dadurch in dem Innersten seines Gemüths gerühret wurde: er befahl diesen Herrn und den ihn begleitenden jungen Officier seinen Leuten, und verfügte sich mit gleicher Geschwindigkeit zu den übrigen Hauffen.

Alles war noch in der jämmerlichen Beschäftigung Blut zu vergiessen. Der Graf that solchem aller Orten Einhalt, und ließ die Uberwundene zu Kriegs-Gefangenen machen. Die Feinde bedeckten theils das Feld, theils wurde ihnen[182] auf der Flucht nachgehauen. Die Nacht brach darüber ein: die Aquitanier hatten nicht nur den Sieg erfochten, sondern auch viele Beute gemacht. Die Licatier zogen sich zwar wieder in ihre Linien; allein der Tag war noch kaum angebrochen; so packten sie auf und suchten ihre Sicherheit in den Gebürgen.

Nachdem der Graf allenthalben bey seinen Völkern die Ordnung hergestellet sah, verfügte er sich noch denselben Abend zu dem Fürsten von Voltera, und wünschte ihm Glück zu der gewonnenen Feld-Schlacht. Der Fürst umarmte ihn mit den liebreichsten Gebehrden, er sagte zu allen umstehenden Herren und Befehlshabern, daß sie nechst GOtt, dem Grafen von Rivera den Sieg zu danken hätten. Man bewillkommte sich einander bey dieser Gelegenheit, als ob man lange Zeit von einander wär abwesend gewesen: der Graf fiel aus einen Armen in die andere. Seine Freunde, und dieses waren meist alle Befehlshaber, ermüdeten ihn gleichsam aufs neue durch ihre Umhalsungen. Nie war ein Soldat mehr geliebet worden, nie war auch einer liebreicher gewesen. Man drang sich um ihn herum; man gab ihm tausend Lobsprüche. Jeder wolte ihm zeigen, wie viel er auf ihn hielte. Der Graf von Lesbo hingegen wurde wenig beklagt: er war ein unfreundlicher und hochmüthiger Mann gewesen, der sich nur hatte fürchten, aber nicht lieben gemacht.

Der Graf fand unter allen denen, die ihn[183] begrüsten, denjenigen nicht, welchen er mit der grösten Sehnsucht zu sehen verlangte: er rühmte deshalben öffentlich den großmüthigen Beystand, den ihm ein Unbekanter erwiesen hätte, und bat, indem er sich an die Umstehende richtete, derselbe möchte sich ihm zu erkennen geben. Ein Hauptmann, der eben von ihm kam, sagte, man habe ihn in des Grafens Gezelt gebracht, weil er stark verwundet wär. Der Graf erblaste über diese Nachricht, und eilte, nachdem er sich bey dem Fürsten beurlaubet hatte, zu diesem tapfern Fremdling.

Er fand ihn auf einem Ruh-Bett, und die Wund-Aerzte um ihn herum: der Fremdling hatte sich verblutet, und war sehr matt: so bald er den Grafen sah, reckte er die beyde Aerme nach ihm hin, und wolte sich aufrichten. Der Graf erkante ihn alsobald für den Freyherrn von Riesenburg, den er in der Hitze des Gefechts und in seinen kurzen Haaren sogleich nicht erkant hatte. Er warf sich mit innigster Bewegung um seinen Hals und wuste nicht, ob er mehr der Freude, einen so werthen Freund hier zu finden, oder dem Schmerzen, ihn so hart verwundt zu sehen, bey sich Raum lassen solte. Die Wund-Aerzte gaben indessen gute Hoffnung, weil sich keine Wunde tödtlich fand; sie sagten aber, daß man dem Verwundeten müste Ruh lassen.

Der Graf wolte hierauf auch noch seinen großmüthigen Gefangenen sehen; man berichtete ihm aber, daß nachdem man ihm einige leichte Wunden[184] verbunden hätte, er vor Mattigkeit eingeschlafen sey. Der Graf war ebenfalls sowohl durch das viele Wachen, als durch die heftige Strapazen des so lang gedauerten Gefechts ermüdet; er ließ sich deswegen auskleiden, und begab sich, nachdem er etwas weniges zu seiner Erquickung genossen, zur Ruh.

Den andern Morgen fand er sein Vorzelt voll der vornehmsten Herren und Befehlshaber: er entdeckte darunter sogleich seinen Gefangenen: er umarmte ihn mit der grösten Höflichkeit. Sie fanden beyde an einander etwas, welches ihrer Hoachtung würdig schien.

Der Ruhm von den Thaten des Grafens von Rivera, erfüllte darauf das ganze Königreich, er erschallte bey Hof, und kam zu den Ohren des Königs. Dieser hörte ihn allenthalben loben und bewundern; er hätte ihn lieber schelten hören: doch das unglückselige Ende des Grafens von Lesbo verursachte bey ihm einiges Rachdenken: er meynte durch ihn den Grafen von Rivera aus dem Weg zu räumen; das Verhängniß aber erhub diesen mit der grösten Ehre, und stürzte jenen mit äusserster Schande. Der König fand sich durch diesen besondern Zufall gerühret: er faste bey sich den Entschluß, hinfort keinen Verfolger mehr eines Menschen abzugeben, für den die Liebe des Volks, und der Schutz des Himmels sich erklärte. Er befahl[185] deswegen, daß der Graf wieder nach Hof kommen solte.

Der Graf trat seine Reise um so viel vergnügter an, weil er seinen liebsten Freund, den Freyherrn von Riesenburg, so gut als wieder hergestellet sah: er empfand auch nicht minder eine ganz besondere Annehmlichkeit in dem Umgang mit dem gefangenen General, dem er das Glück gehabt hatte in der Schlacht das Leben zu retten, und an welchem er täglich mehr vortreffliche Eigenschaften entdeckte, die ihn dieses Dienstes ungemein würdig machten. Diese beyde Herren baten den Grafen, sie mit nach Panopolis zu nehmen. Der Graf hätte sich keine angenehmere Reise-Gefährden wünschen können. Sie beurlaubten sich zusammen bey dem Commandirenden Fürsten, und kamen in dreyen Tagen vermittelst der Post nach Panopolis.

Unterwegs hatten sie sich einander ihre Begebenheiten erzehlt; und es war nachdenklich, daß drey unter ganz verschiedenen Himmels-Gegenden gebohrne Herren in dem Grund ihres Gemüths so gleiche Neigungen und Absichten führten, so wenig auch ihre äusserliche Bildung mit einander überein kam.

Der Graf von Rivera war in einer warmen Welt-Gegend gebohren: er hatte einen schlanken Leib, schwarzbraune Augen, und eine weiß ins braun gemengte Farbe: seine Gebehrden waren lebhaft und zugleich holdselig;[186] alles, was er that, begleitete ein muthiger Eiffer, welchen doch eine gewisse Sittsamkeit und männliche Anmuth zu mildern schien.

Das Vaterland des Herrn von Riesenburg war hundert und zwanzig Meilen weiter von dem Mittägigen Sonnen-Strich, und lag mitten zwischen den Nördlichen Abend-Ländern, wo der Herr von Greenhielm, so nannte sich der gefangene General zu Hause war. Er hatte ein ganz Jovialisches Temperament: seine Gestalt war fleischigt: die Farbe roth und weiß untermengt: die Haare Asch-färbig: in seinen Augen lachte die Freude, die Liebe und ein munterer Ernst: sie waren hell, groß und Licht-blau: alles regte sich an ihm: er hatte das beste Herz: allein, nur ein wenig zu leicht, zu hurtig und zu übereilend.

Der Herr von Greenhielm im Gegentheil war von starken Gliedmassen, blasser Farbe, mittelmäßiger Länge, wohl gewachsen: doch mehr schlank als gesetzt: er hatte Licht-braune lange Haare, dunkel-graue Augen, und ein ernstliches Ansehen: er war frey und aufrichtig gebohren, und konte sich weder verstellen noch schmeicheln. Diese Gemüths-Art hatte ihm verschiedene widrige Zufälle zugezogen. Was er davon seinen beyden Reise-Gefehrden erzehlete, war folgendes:

Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742., S. 156-187.
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