Das zweyte Buch.

Die Begebenheiten des Einsiedlers

Pandoresto.

[28] Mein Leben ist sowohl ein Spiegel der grösten Unordnungen, als einer ausserordentlichen göttlichen Gnade. Ich wurde zu Bessala von vornehmen, aber ruchlosen Eltern gebohren. Weil sie immerdar mit einander haderten und eines dem andern nur das Leben recht sauer zu machen suchte, so hab ich wohl nicht ihrer Liebe, sondern dem allerunreinesten viehischen Trieb meinen Ursprung zu danken.

Man gab mich gleich nach meiner Geburt einer Frauen auf vom Lande zu säugen; denn meine Mutter wolte sich mit mir keine Mühe machen: vielweniger mir selbst ihre Brüste reichen, die sie noch zum Dienst ihrer Lüste gewiedmet hatte.[28]

Ich war ein einziger Sohn, und meine Eltern besassen ein grosses Gut, welches sie aber sehr übel verwalteten. Man verzärtelte mich überaus, und ließ mir in allen Dingen den Willen; man übergab mich einigen Lehrmeistern, die mir wohl zuweilen etwas von GOtt und der Tugend vorsagten; durch ihre Lebens-Art und Beyspiele aber, mich überzeugten, daß sie selbst davon nicht viel glaubten.

Ich war von Natur sehr gelehrt böses zu thun, und ich kan sagen, daß ich recht viel Verstand hatte, die Laster bis auf einen gewissen Grad zu treiben, daß man meine Scharfsinnigkeit dabey bewundern mußte.

Es war keine so unordentliche Haushaltung in der Welt, wie die unsrige. Mein Vater und meine Mutter speisten selten zusammen an einer Tafel; beyde hatten ihre eigene Gesellschaften und ihre besondere Zimmer: sie kamen schier nie zusammen, als wenn sie sich einander ausschelten und ihre Untugenden sich vorrücken wolten. Wenn mein Vater betrunken war, welches wenig Tage nicht geschahe: so schalt und fluchte er alles zusammen. Meine Mutter im Gegentheil war dem Putz, dem Spiel und der Galanterie ergeben; und weil ich mehr ihr, als dem Vater schien nachzuschlagen; so wurde ich als ihr Günstling gehalten. Ich mußte bey ihr frühzeitig die Carten helfen mischen und dabey manche unzüchtige Reden mit anhören, die ihre Aufwärter, ohn alle Scham, ihr als Artigkeiten vorsagten.[29]

Ich war noch kaum in einem Alter, da man den Trieb der Begierden empfindet, als ich schon allen Weibs-Bildern nachlief, und ihnen die unverschämteste Dinge vorsagte. Meine Mutter hatte nicht das Herz mich darüber zu bestrafen, weil ich ihr sonsten ihre eigene Freyheiten hätte vorwerfen mögen.

Ich verfiel darauf in das allerunordentlichste Leben von der Welt: ich that alles, was mir gelüstete, und wußte dabey nichts vom sündigen; weil mir die Pflichten des Christenthums und der Tugend unbekannt waren. Ich gieng wol zuweilen in die Kirchen, aber nur um darinnen die Musiken zu hören und die schöne Weibsbilder aufzusuchen. Was geprediget wurde, das hielte ich für eine Unterhaltung gemeiner Leute, darüber ich mein Gespött hatte, und glaubte von göttlichen Dingen so viel als nichts. In dieser Sicherheit war mir nichts eine rechte Freude, wann es die Sünde nicht abscheulich machte. Es wäre theils zu weitläuftig, theils zu unerbaulich, von allen meinen verübten Bosheiten hier Nachricht zu geben: ich will nur derjenigen erwehnen, die zu den Haupt-Veränderungen meines Lebens Anlaß gegeben haben.

Es war Winter, man hielte Carneval, die Masken wurden in der ganzen Stadt erlaubt; vier eben so freche junge Edelleute, wie ich, machten zusammen eine Bande, um die leichtfertigsten Händel miteinander anzustellen, wir steckten uns, als der Abend eingebrochen war, in ganz[30] gräßliche Teufels-Larven; einen aber kleideten wir, wie des Königs Beicht-Vater: er saß auf einem Schlitten, ein anderer hinten drauf; ich vorn auf dem Pferd; zwey andere ritten neben her mit brennenden Fackeln in der Hand: Wir ranten in diesem Aufzug mit der grösten Geschwindigkeit durch die vornehmsten Strassen der Stadt, und als wir den Kirchhof erreichet hatten, löschten wir die Fackeln aus und warfen den Schlitten in den nah daran stossenden Stadt-Graben. Niemand hatte uns erkannt, noch gesehen, wo wir hingekommen waren.

Wir giengen hierauf noch denselbigen Abend mit unsern Teufels Masken hin und wieder in die Häuser. Wir jagten damit manche Sechswöchnerin vor Schrecken aus ihrem Bette, nahmen den Leuten ihr Essen und Trinken weg, entführten in der Geschwindigkeit die junge Mägdgens und machten es allenthalben so bunt, daß man uns endlich die Wache auf den Nacken schickte. Weil wir aber wider die Faschings-Freyheit heimlich mit Waffen versehen waren, so stiessen wir ein Paar von der Wache darnieder und schlugen uns also durch. Wir hatten damit diesen Abend noch nicht ausgeraset; sondern versamleten uns wieder, nachdem wir unsere Larven abgelegt hatten, in einem Spiel-Haus, tractirten dabey einige Weibsbilder so übel, daß eine davon den Geist aufgab. Die Wache kam abermahl herbey und besetzte unten die Thüre vom Haus: ich entschloß mich also kurz, und sprang oben ein ganzes Stockwerk zum Fenster herunter;[31] ich beschädigte mich ein wenig an der rechten Hand und hatte das Glück auf solche Weise mich zu retten. Meine Cameraden aber wurden von den Bürgern, die der Wach zu Hülf gekommen waren, schier todt geprügelt; sie wurden darauf eingezogen und gefangen gesetzt, weil sie aber Söhne aus den vornehmsten Häusern waren, so kamen sie mit einer starken Geld-Busse davon.

Ich empfand hier das erstemahl ein gewisses Grauen über mein bisheriges Leben. Ich reiste heimlich von Bessala weg, und nahm unter dem König von Licatien Kriegs-Dienste. Ich hatte mir vorgenommen hinfüro ehrbarer zu leben, und mich vor Schand und Schaden zu hüten. Allein, weil ich nicht die geringste Regungen zur GOttesfurcht und zur Tugend bey mir verspürte; so suchte ich nur äusserlich den Wohlstand zu beobachten, und dadurch mein Glück in der Welt zu machen. Ich gieng mit lauter Practiken um, und weil ich sahe, daß es andere auch so machten, so hielte ich den für den Klügsten, der den andern am besten hinter das Licht führen konte. Ich legte mich insonderheit auf das Spielen; und weil ich alle geheime Vortheile der Cartenmischerey verstunde, so gewann ich viel Geld: ich kaufte mir eine Compagnie, und thate darauf einen Feldzug mit gegen die Battaver: ich wurde auf einen Posten commandirt, da ich überaus brav thate, und mir deßwegen vest einbildete, die Obrist-Wachtmeister-Stelle, welche ledig wurde, zur Vergeltung meiner Dienste davon zu[32] tragen; alleine, weil ich der jüngste Hauptmann war, so wurde mir darin der älteste vorgezogen. Dieses brachte mich in eine solche Wuth, daß ich ihn zum Zweykampf herausforderte und ihn darin entleibte. Ich muste darauf flüchtig werden, und begab mich hieher an den Aquitanischen Hof.

Ich legte mich allhier auf die Erlernung der Wissenschaften, und brachte es dadurch in kurzer Zeit so weit, daß ich nicht nur Cammer-Junker bey dem König, sondern auch Beysitzer im Hof-Gericht wurde. Ich war damals noch nicht gar dreyßig Jahr alt. Ich lernte nebst andern Wissenschaften, den Schlendrian in den Processen gar bald. Ich sahe, daß es dabey mehr auf eine Causenmacherey und leeres Wortfechten, als auf die Gerechtigkeit einer Sache selbst ankam. Ich machte mir diese Wissenschaft zu Nutz und ließ es also derjenigen Partey geniessen, die am besten spendiren konte.

Ich bildete mir dabey vieles auf meine Klugheit ein: ich konte plaudern und den Leuten weiß machen, was ich wolte. Ich hatte die munterste Einfälle von der Welt, und niemand war sinnreicher als ich, einen Menschen lächerlich zu machen und aufzuziehen. Ich sahe, daß man solche Leute, wie ich war, an den Höfen hervor zog, und beförderte; und diejenige im Gegentheil für einfaltig schalt und sitzen ließ, die sich der Unschuld und Aufrichtigkeit beflissen. Ich nahm[33] mich dahero wohl in Acht, in dergleichen Schwachheiten nicht zu verfallen. Man gebrauchte mich zu den verwirrtesten Händeln: ich wurde an verschiedene Höfe versandt; wo ich alles, zum Dienst des meinigen, mit List und Betrug glücklich ausmachte. Ich bediente mich darzu bald der herrschenden Sultanin, bald eines geizigen Ministers, bald eines hochmüthigen oder abergläubischen Beicht-Vaters, nachdem nemlich die Geschäfte waren, die ich zu tractiren hatte; und nachdem die Personen, davon ich rede, mir darinnen behülflich seyn könten.

Ich hatte mich gleich Anfangs, als ich in Diensten kam, ziemlich vorteilhaft geheyrathet; die Gesetze des Ehstands aber banden mich an nichts; ich glaubte, daß solche nur für den Pöbel wären. Ich half dem ungeacht manchen wacker strafen, wenn er in diesem Punct ein wenig über die Schnur gehauen hatte; ob er mir gleich weit grössere Verbrechen vorrücken konte. Ich dachte noch nicht daran, daß ein GOtt wär, der das Böse strafte und das Gute belohnte; es gieng mir viel zu wohl, als daß ich die Wirkungen des Bösen bey mir hätte wahrnehmen sollen.

Ich wurde bey Hof für einen Edelmann gehalten, der sich zu allen Ergötzlichkeiten am besten schickte, ich war deswegen von allen Parthien, wo es lustig hergehen solte, geliebet: Unter den frechsten Damen hatte ich den grösten Beyfall;[34] weil ich sie frey nach ihren Neigungen urtheilte und solche durch keine angenommene Ehrbarkeit in Zwang setzte.

Meine Frau kam wenig nach Hofe, sie wuste nichts destoweniger alles, was daran vorgieng; sie hatte von allem, was ich thate, und so gar auch öfters von meinen Gesprächen genaue Nachricht. Ich fande mich einsmahl auff einer Maskerade. Eine Dame von überaus schönem Gewächs und einer sehr wohl ausgesonnenen Kleidung fiel mir dabey ins Gesicht: ich hielte sie für fremd, weil ich kein Merkmahl hatte, sie unter ihrer Larve zu erkennen: sie hatte einen schlanken Leib und ihre Gebehrden waren durchaus edel und ungezungen: ihre Maske gab ihr dabey ein holdes und reitzendes Ansehen. Sie tanzte mit der grösten Anmuth: ich hatte selbst sie zweymahl darzu aufgefordert: ich fande mich von ihr gerührt: ich sagte ihr die gröste Schmeicheleyen: ich schätzte den Menschen über alles glückselig, der von einer solchen Schönheit geliebet würde: sie druckte mir dafür die Hand, und gab mir solche Antworten, daraus ich urtheilte, daß ihr meine Reden gefielen. Ich brachte sie endlich unter dem Schein ihr einige Erfrischungen reichen zu lassen, in ein Neben-Zimmer. Hie nahm sie die Larve vom Gesicht und zeigte mir meine Frau. Undanckbarer! redete sie mich an, ist dieses die Aufführung eines verehligten Mannes? ich erschrack; doch erhohlte ich mich eben so bald. Ich wolte euch Madame, sprach ich, dieselbige Frage[35] thun: es schicket sich nicht wohl für eine so fro e Frau, als ihr seyn wollet, auf einem öffentlichen Ball die Liebkosungen einer fremden Maske anzunehmen: sie sagte, daß sie mich wohl gekant hätte, und daß sie deswegen sich auf diesen Ball gewaget, um meine Aufführung selbst mit anzusehen; ich behauptete, daß solches nicht wohl seyn könte, weil ich mich unter einem Domino versteckt hätte. Sie bewies mir, wie sie davon die vollkommenste Nachricht gehabt habe: ich setzte ihr meine Gründe dargegen; der Proceß blieb endlich unentschieden und wir musten uns in der Güte vergleichen. Meine Frau bildete sich unterdessen viel darauf ein, daß sie auf diese Weise mir gezeiget hätte, wie sie noch solche Annehmlichkeiten besässe, die sie könten beobachten machen; und bildete sich vest ein, daß ich sie lieben würde, wenn sie meine Frau nicht wäre.

Dieser Zwang wurde mir in die Länge unerträglich: ich konte mich durch keine Gesetze binden, vielweniger mir durch eine Frau, die mir so abgeschmackt als die meinige schien, Lebens-Regeln vorschreiben lassen. Ich sann also auf Mittel ihrer bald los zu werden. Sie war sehr zum Zorn geneigt: sie konte sich über die kleinste Dinge dermassen ärgern, daß sie öfters sich dabey nicht mehr kante. Ihr Geblüt wurde darüber entzündet und die Galle in alle Glieder getrieben: da musten nun die Aerzte rathen. Diese gaben ihr allerhand niederschlagende Pulver und zertheilende Artzneyen, welche sie öfters wieder zurecht brachten, und mir die Hoffnung benahmen,[36] meiner Frauen bald los zu werden; ich brachte ihr deswegen bescheiden bey, es wäre bey ihr nichts anders, als Hypochondrie; und müste sie deswegen etwas wider die Wind und Blähungen gebrauchen; darzu sey nichts dienlicher als gute abgezogene Luft-Wasser und Magenstärkende Essenzen. Sie machte sich ohnedem schon eine Verrichtung daraus, dergleichen Wasser selbst zu brennen, und sie als Arzneyen an die Armen zu verschencken: Sie ließ sich meinen Rath gefallen, und nahm, wiewohl heimlich, wenn sie in ihrem Laboratorio war, ziemlich starke Proben von ihren destillirten Wassern. Als ich dieses merkte, spielte ich ihr die starkste Chymische Processe in die Hände, darüber sie erkrankte und durch ihren darauf erfolgten Tod, die Zahl meiner Missethaten vergrössette.

Niemand war froher als ich: ein alter Franciscaner, der zu mir gekommen war, um mich über das Absterben meiner Frauen zu trösten, stöhrte dieses Vergnügen. Diese Leute haben in der Welt wenig zu verliehren. Die Strengigkeit ihres Ordens setzen sie gegen die Begierden, reich und vornehm zu werden, in Sicherheit. Sie haben demnach nicht solche Maaß-Regeln zu beobachten, wie andere Geistlichen, die öfters den Mantel nach dem Wind hängen und durch ihre Gefälligkeiten, damit sie andern schmeicheln, gute Pfründen und hohe Kirchen-Aemter ertangen. Der Franciscaner wuste nichts von diesen Dingen: er war gewohnt einem die Wahrheit trocken unter die Augen zu sagen. Ich sehe, mein[37] Herr, sagte er mir, sie sind über den Verlust ihrer Gemahlin gar nicht betrübt; da sie solches zu seyn doch so grosse Ursach hätten. Wann werden sie dann einmahl in sich selbst gehen, und anfangen ihre Sünden zu bereuen, damit sie bisher den Hof die Stadt und die gantze Christenheit geärgert haben? Sie gebrauchen die Gaben ihres Verstandes denjenigen damit zu entehren, von dem sie solche bekommen haben; Es ist hohe Zeit, daß sie ihren Sinn ändern; sonst dürfte ihnen der HErr bald zeigen, was er für eine Macht über solche Geschöpfe habe, die seiner zu spotten vermeynen.

Diese beherzte Rede hatte etwas, das mich verwirrt machte: ich wuste bey aller meiner Lebhaftigkeit ihm nichts darauf zu antworten: ich betrachtete diesen Anachoreten mit Bestürzung: die Augen lagen ihm so tief im Kopf, daß man solche kaum sehen konte; seine ganze Gesichts-Bildung bestunde aus blossen Knochen, die auf der Stirne mit einigen Runzeln bezeichnet waren: ich erschrack je mehr ich ihn ansahe. Diese Leute, dachte ich bey mir selbst, müsten doch wohl greuliche Narren seyn, wenn sie sich das Leben so sauer machten, nur um andere Menschen zu betrügen, und ihnen eine Religion zu predigen, davon sie selbst keine Uberzeugung hätten. Ich gedachte also bey mir selbst, daß es noch wohl der Mühe werth seyn mögte, diesen Sachen ein wenig nachzudenken. Ich fragte deswegen den Pater, was er mir riethe vor Bücher zu lesen? er antwortete mir, die Bücher der Evangelisten und[38] Apostel. Dieses befremdete mich: ich nante ihm verschiedene geistliche Schriften, die mir ehedessen meine Frau angepriesen hatte und die damals unter den andächtigen Leuten stark Mode waren; er sagte mir, diese Bücher waren zwar gut, doch müste der Grund des Glaubens zuvor in der Unterweisung des Heylands selbst geleget werden.

Ich las darauf ein wenig in den Büchern des Neuen Testaments; allein ich blieb darüber zwischen den Meynungen der vielen Ausleger hängen. Diese versperrten einander durch ihr stets anhaltendes Gezank den Himmel, nachdem sie sich einander widersprachen. Der gröste Böswicht, der in der Bekanntnis ihrer Aufsätze starb, der wurde selig gesprochen, und der frömmste Mann im Gegentheil gieng nach ihrem Ausspruch verlohren, wann er einer anderen Parthey zugethan war. Dieses verwirrte mich ungemein.

Ich war bey allem dem noch in meinen besten Jahren und hatte dabey die Welt sehr lieb: ich gedachte mir dieselbe nach meiner Frauen Tod erstlich recht zu Nutz zu machen. Ich setzte also mein leichtsinniges Leben weiter fort: ich spührte aber dabey in meinem Herzen gewisse unruhige Bewegungen, welche sich nicht wolten abweisen lassen, und die gleich den Wellen, wenn sie auf der See durch einen Wirbel-Wind in die Höhe gezogen werden, darinn einen Sturm nach dem andern verursachten.

Es lebte damahls eine sehr tugendhafte Witwe[39] onsern Panopolis auf dem Lande: die Königin besuchte sie und nahm mich mit zu ihr: ich sahe nicht so bald die Frau von Dusemon, so nante sich diese Dame, als ich mich erinnerte, daß ich sie ehedessen, als eine der lebhaftesten und grösten Schönheiten, am Hofe gekant hatte. Ihre Sittsamkeit rührte mich dismahl noch mehr, als ihre reitzende Gestalt. Ich betrachtete sie mit der grösten Verwunderung. Ein ungewöhnliches Stillschweigen band mir gleichsam die Zunge: ein tieffes Nachdencken hatte mich ganz eingenommen.

Die Königin, welche eine dergleichen Eingezogenheit an mir nicht gewohnet war, fragte mich, was mir wär. Sehet doch, fügte sie im Scherz hinzu, wie das eitle Welt-Kind heute sich so ernsthaft stellet: ich denke, Pandoresto wird sich bekehren wollen. Die Frau von Dusemon sah mich darüber an: es wäre wohl zu wünschen, sagte sie mit einem durchdringenden Auge, daß ein so verständiger Cavalier auch ein wenig Gottesfurcht haben mögte. Ich erkühnte mich nicht anders, als mit Ehrerbietung ihr darauf zu antworten.

Ich fuhr damit wieder mit der Königin zurück: einer von meinen guten Freunden sagte mir darauf, daß diese Dame sehr gute Meynungen von mir hegte, daß ich ihr nicht so gottlos vorkäme, als man mich ihr beschrieben, und daß sie an mir gewisse Merkmahle entdecket hätte, die sie versicherten, daß ich noch ein gottsfürchtiger Mann werden würde.[40]

Diese Reden machten mir allerhand Gedanken. Ich empfand für diese Dame eine mit Liebe und Ehrerbietung vermischte Neigung. So eitel ich auch war, so konte ich mir doch nicht einbilden, daß ihr an mir etwas solte gefallen haben: ich spürte bey dieser Gelegenheit eine mir ganz unbekante Demuth: ich begriff mich selbst nicht recht: ich wolte gern tugendhafter seyn, wenn ich dadurch dieser Dame gefallen könte. Solches wär in der That eine schlechte Beweg-Ursach, mich zu bessern; ich erkante aber daraus daß die Tugend etwas ungleich Liebens-würdigeres an sich hatte, als das Laster.

Ich bekam hierauf die Frau von Dusemon öfters zu sehen: meine Aufführung gegen sie war so eingezogen, als ehrerbietig: ich war mit mir selbst mißvergnügt, daß ich meinen wilden Geist nicht gleich so bändigen und meine innerste Regungen nach den Empfindungen einer wahren Tugend einrichten konte. Ich wuste noch nicht, daß darzu eine höhere Kraft erfordert wurde.

Die Frau von Dusemon hatte sich endlich durch die Königin sowohl als durch meine heftige Liebe bewegen lassen, mich zu ehligen, so bald sie meinen Ernst sehen würde, hinfort ein rechtschaffenes Christliches Leben zu führen: sie hoffte auf diese Weise ein Kind des Verderbens aus den Klauen des Satans zu reissen und also ein gutes Werk zu thun.

Ich gedachte nun erstlich der glückseligste Mensch auf der Welt zu werden: ich schmeichelte[41] mir der zeitlichen Güter auf eine erlaubte Art zu geniessen; allein, der HErr menschlicher Schicksale, dessen Gesetze und Ordnungen ich bisher auf das abscheulichste übertretten hatte, führte mit mir andere Absichten. Ein solcher Abschaum menschlicher Bosheit und Laster solte nicht ohne wirkliche Empfindung seiner Sünden, und ohne rauhe Busse gerettet werden. Ich muste zum wenigsten die Strafen des Bösen tragen, zu welchen mich selbst das Gesetz der Natur verdammte.

Ohneracht ich bisher, meiner Geliebten zu Gefallen, ein ordentliches und eingezogenes Leben führte; so hatte ich doch das mir von Jugend auf angewöhnte Fluchen noch nicht ganz lassen können. Ich war selbst einer von denenjeniden Leuten gewesen, die darinn etwas sinnreiches suchen und die Kunst zu fluchen mit neuen Erfindungen bereichern.

Ich war schon wirklich mit der Frau von Dusemon versprochen, und der Tag unserer Vermählung war bereits auf die nächste Woche festgestellet, als wir uns Abends bey Hofe, in einer sehr grossen Gesellschaft, befanden. Mein eitles Herz hatte hier, was es vergnügen konte: Liebe, Ehre, Hoheit, Pracht, Reichthum, Lust; alles schien mich mit ausserordentlicher Glückseligkeit anzulachen. Nur die Carten waren mir zuwider. Ich saß und spielte und verlohr Spiele, die erstaunlich waren: man sah mir zu und schloß einen Creis um mich herum: man sagte, es wäre[42] nicht natürlich, dergleichen Spiele zu verliehren. Ich gerieth darüber in einen ungemeinen Eifer: ich vergaß mich ganz. Ich hatte bey nah schon alle meine Adeliche Fluche nach einander ausgestossen; doch hatte ich meinen gewönlichsten noch ziemlich lang zurück gehalten, welcher war: daß mich GOtt verdammen solte.

Kaum war mir auch dieser vom Munde geflogen, so überfiel mich ein todkalter Angst-Schweiß: ich erblaßte: mir bebeten alle Glieder: das Herz fieng mir an zu schlagen und zu pochen, als ob es mir die Brust durchstossen wolte: ich wuste vor Bangigkeit nicht mehr zu bleiben. Ich schmiß die Carten weg, stunde schnell auf, hielte mein Schnupptuch vor die Nase, durchstrich die Königliche Vor-Zimmer und lief zu Fuß nach Haus.

Hier schloß ich mich in mein Zimmer, warf mich bald auf die Knie, bald auf mein Bette nieder: ich schrie, ich seufzete: ich fande, daß ich ein abscheulicher Mensch war; ich hatte ein Grausen vor mir selbst: ich bate GOtt, er mögte sich mir zu erkennen geben, und mich im übrigen strafen, wie es seine Gerechtigkeit erforderte. Ich hätte in diesem Zustand gern alles thun und leyden wollen, wenn ich nur die geringste Uberzeugung von GOtt hätte haben können; denn was mir am unerträglichsten schien, war mein Unglaube.

Ich sahe wohl, daß mich diese Regungen nicht[43] von ungefehr überfielen; ich urtheilte aber zugleich, daß sie auch natürlich seyn, und von einer aufgebrachten Phantasie herrühren könten. Gleichwohl hatten sie keinen Grund in meiner bisherigen Lebens-Art, noch in der Unterweisung, die man mir von Jugend auf gegeben hatte: sie kamen auch von keinen Vorurtheilen. Denn alle meine bisherige Anmerkungen von dem Zustand dieser Welt, und über die Sitten der Menschen, waren vielmehr eitel Vorurtheile zum Unglauben. So leicht man auch aus der Natur und aus einer richtig schliessenden Vernunft GOtt erkennen kan; so war mir doch damahls auch dieser gerade Weg verschlossen: Ich konte mir nicht einbilden, daß ein gütiges und allweises Wesen eine Welt solte geschaffen haben, die nur nach meiner damahligen Meynung, von lasterhaften und unglückseligen Geschöpfen bewohnet würde; denn ich hatte noch so wenig tugendhafte und fromme Leute gekant, daß ich schier zu zweiflen begunte, ob es auch solche Leute wirklich gäbe. Ich litte grausam unter diesen Vorstellungen: meine Vernunft nahm die beste Gründe an, um mich zu verwirren, und mein Herz war voll der heissesten Begierden einen GOtt zu lieben, der sich mir nicht zu erkennen geben wolte. Ich verbrachte auf solche Weise die unruhigste Nacht von der Welt. Mit anbrechenden Tag ließ ich den alten Franciscaner kommen, und entdeckte ihm, was mir begegnet war, und in welchem Zustand ich mich befand.[44]

Dieser heilige Mann, denn er war solches in der That, vergoß darüber Freuden-Thränen; er pries die Hand des Allmächtigen; die, wie er sagte, mich gerühret hätte, um an mir ein neues Wunder-Werk seiner Gnade zu zeigen. Sie erkennen nun, sprach er, auch wider ihren Willen, daß ein GOtt sey, dessen Gesetze und Ordnungen sie auf die schmählichste Art übertreten haben, und daß sie deswegen ohne alle Hülfe und Trost müsten verlohren gehen, wo er sich ihrer nicht erbarmen würde; sie ergreiffen deswegen ohne Anstand den Heyland, als das Sühns-Opfer für ihre Sünde; denn darzu ist Christus in die Welt gekommen, um die Sünder zu GOtt zu bringen.

Ach! rief ich hier bekümmert aus, ihr redet mir von Christo, da ich noch kaum erst anfange einen GOtt zu glauben? Wir haben Christum bald, sagte der Geistliche, wenn es uns einmal ein rechter Ernst ist GOtt zu lieben und seine Gebotte zu halten. Es sind hier keine Sachen, die sich einander widersprechen; GOtt offenbaret sich an unsern Herzen durch Christum, wenn wir dieses Geheimniß gleich nicht verstehen. Das Reich Christi ist in der ganzen Welt; er nähret, er erhält und schützet seine Unterthanen; und sie wissen und begreiffen nicht, wie es in dieser göttlichen Haushaltung zugehet; aber dieses können sie leicht wissen, daß Christus der Heyland sey. Kein Weiser hat uns noch bessere Lehren und Lebens-Regeln gegeben, welche der Vollkommenheit eines göttlichen Wesens anständiger und[45] der Glückseligkeit der menschlichen Natur zuträglicher sind. Hier wird der Mensch nicht allein von der Ausübung der Laster abgehalten, sondern auch in seiner inwendigen Gestalt gereiniget; und so gar zu den erhabensten göttlichen Tugenden zubereitet. Dessen Geschichten, wie man solche aufgeschrieben findet, haben alle Kennzeichen der Wahrheit, und sind durch so viel Zeugen und Wunderwerk bekräftiget worden, daß man von den alten Geschichten gar keine glauben müste, wo man diese in Zweifel ziehen wolte. Könte man sich auch wohl als eine Wahrscheinlichkeit einbilden, daß solche einfältige, ehrliche Leute, wie die Evangelisten und Apostel waren, es mit einander solten abgeredet haben, die Menschen zu betrügen, und mit ihren falschen Legenden die ganze Welt zu erfüllen? Zu einer Zeit, da der Witz und die Scharfsinnigkeit des menschlichen Verstandes bey den Römern, Griechen und Juden aufs höchste getrieben wurde; und da man genau verstunde, was zum Beweiß einer Sache gehörte. Da nun, in dem Verfolg der Zeiten, die Menschen von der Wahrheit des Evangelii dergestalt überzeuget und eingenommen wurden, daß sie nicht allein alle Vortheile des Lebens für die Erhaltung derselben willig hingaben; sondern auch mit ihrem Blute, unter den grausamsten Verfolgungen und Martern besiegelten; so ist es eben so wenig wahrscheinlich, daß dieses lauter im Kopf verrückte Leute gewesen wären, als wenig glaublich es ist, daß ein blosser Wahn, der die menschliche Begierden mit einem so unangenehmen[46] und harten Zwang beleget, sich durch alle Völcker und Zeiten, bis auf die heutige Welt, beständig solte fortgetrieben haben.

Ja, wenn alle diese Vernunft-Schlüsse nicht zulänglich wären, sie der Wahrheit unseres Glaubens zu überzeugen, so waren davon allein die unter uns allenthalben zerstreuete Juden die lebendigste Zeugen: sie tragen noch alle die Mahlzeichen des über sie und ihre Nachkommen ausgestossenen gräßlichen Fluchs auf ihrer Stirne, wenn sie sagten; Sein Blut komme ůber uns und ůber unsere Kinder: sie sind die einzige Nation, die von derselben Zeit an, nirgend das Bürger-Recht haben, sondern allenthalben, als ein unglückseliges verhaßtes Volk verjagt, zerstreut, verfolgt und geschmähet werden; da sie doch zuvor, in dem alten Bund, als das auserwehlte Geschlecht, vor andern erhaben, durch die gröste Wunderwerke von GOtt selbst sind erhalten und geschützet worden; sie sollen auch vor dem Ende der Zeiten wiederum zu ihrer vorigen Gnade gelangen. Bis dahin aber müssen sie uns und der ganzen Welt das Evangelium auch wider ihren Willen predigen. Wir sehen keine Juden, die uns nicht gleichsam zurufen: Christus lebet: Christus ist auferstanden: Wir tragen den Fluch, um euch solches zu lehren.

Diese Nachricht von Christo gab mir einen[47] starken Eindruck. Ach! seufzete ich, mögt ich doch auch diesen liebreichen Heyland kennen! Er läßt sich sonst nicht lange suchen, sprach der Geistliche, er ist bald da, wenn man nach ihm verlanget: ein rechter bußfertiger Sünder ist der wichtigste Vorwurf seiner Liebe und eine Freude der Heiligen; allein, sie haben noch Berge zu übersteigen, diese Berge sind die Höhen ihrer Vernunft: kämen sie zum Heyland in der Einfalt, wie das Weib bey Luca am 8. so würden sie alsobald die Kraft, die aus ihm gehet, an sich gewahr werden, und solten sie auch nur den Saum seines Rocks berühren. So aber weiß sich ihre Vernunft noch in diese Einfältigkeit nicht zu schicken, sie haben bißher ihre Stärke nur gebraucht, um allen Eindrucken und Empfindungen des Glaubens bey sich zu widersprechen, und ihren Lüsten und Begierden das Wort zu reden: sie dürfte ihnen deswegen noch wohl etwas leiden machen, ehe sie zur rechten Glaubens-Einfalt gelangen werden.

Es geschahe mir, wie mir der Geistliche gesagt hatte, ich fiel in eine tiefe Melancholie: ich suchte die Einsamkeit und floh den Umgang mit allen Menschen. Ich mietete mir an einem abgelegenen Ort nah an einem Wald, ein kleines Haus. Niemand wuste etwas von meinem Aufenthalt als mein Franciscaner, der von seinem Closter zu mir nicht über drey Viertel-Stunde zu gehen hatte. Ich gedachte in dieser Einsamkeit an nichts mehr, als an meine Bekehrung. Je mehr ich aber GOtt suchte, je mehr schien[48] er sich von mir zu entfernen. Ich wurde endlich aller Andacht, aller Hofnung und alles Trostes beraubet. Meine täglich überhand nehmende Schwermuth quälte mich mit den allergräßlichsten Vorstellungen: alles, was mich sahe drohete mir mit einem abscheulichen Tod: ich zitterte wann ich nur Menschen sahe, der ich sonst unter allen der verwegenste war. Ich floh in die Einöden und in die dickste Wälder. Ich schrie, ich seufzte, ich wimmerte, wie ein Mensch, der alle Augenblick verzagen wolte. O welche Abgründe der Verzweifelung sah ich hier! Ich hatte Tag und Nacht keine Ruh: die greulichste Larven und Schrecken-Bilder erfüllten auch im Traum meine aufgebrachte Phantasie. Ich war darüber öfters ganz erstarrt, wann ich aufwachte. Nur das Herz, als die Quelle des Lebens, bewegte sich noch allein, und trieb, durch die nahe Angst des Todes, das Leben wieder in die schon erkalte Glieder. Ich fiel endlich ganz vom Fleisch und wurde so unbesorgt um mein Leben, daß ich solches vielmehr tausendmahl wünschte aufzugeben, wann ich nur die geringste Empfindung des Glaubens, als den einzigen Trost, den ich suchte, dadurch hätte erlangen können.

Mein Geistlicher, der mich noch immer fleißig besuchte, wünschte mir zu allen diesen grausamen Anfechtungen und Glaubens-Ubungen Glück. Sie haben, mein Herr, sprach er, den HErrn der Weisheit und der Liebe so oft und vielmahl von sich abgewiesen und seiner Allmacht Sohn gesprochen.[49] Er zeiget ihnen nun, daß er sich kan Recht schaffen; wiewohl diese Ahndung nichts anders ist, als eine Vorbereitung zu derjenigen Uberzeugung, welche sie suchen. Sie sehen jetzt deutlich, was der Mensch vor eine elende und jämmerliche Creatur ist, so bald GOtt die Hand nur ein wenig von ihm abziehet, und ihn in seinem eigenen unreinen Grunde wühlen lässet. Sie empfinden jetzo den Schrecken der Natur, wenn der Geist, der in dem Menschen ist, seinen Ursprung verläugnen und gegen den Schöpfer sich empören will. Wollen sie noch mehr Uberzeugungen haben? worauf warten sie noch? wollen sie, daß GOtt die ganze Natur verkehren und ihre Ordnungs-Kette zerreissen soll, um sie durch neue Wunder-Wercke zu überzeugen? oder warten sie bis GOtt selbst mit ihnen aus einem feurigen Busche, unter dem Krachen und Blitzen der Elementen reden, oder ihnen unter der Gestalt eines alten Manns, oder eines sichtbaren Geistes erscheinen wird? O wie übel würden sie sich dabey finden: ihre Vernunfft würde es für ein Gauckelspiel der Phantasie halten, oder für eine androhende Verrückung des Gehirns, oder für einen Betrug der Geistlichen, wie sie dessen öfters beschuldiget werden. Dieses alles würde sie und ihre grüblende Vernunfft noch lange nicht überzeugen.

Laßt uns deßwegen fuhr der Geistliche fort, ein wenig aufrichtiger und einfältiger mit GOtt handeln. Laßt uns in unser eigen Herz eingehen, und darinn die Wirkungen des Göttlichen Geistes[50] wahrnehmen. Was ist dasjenige, das uns, da wir von Natur ganz elend und verdorben sind, das Gute wünschen und lieben macht? woher kommt die Regung, die uns ein Verlangen nach einem unendlichen Gut einflöset? diesen innern Bewegungen müssen wir Raum lassen, und ihrem Ursprung nachspüren. Da findet die Seele bald, was sie suchet. Hier sind keine blosse Phantasien und Hirn-Bilder; die Liebe zu GOtt ist das deutlichste Kennzeichen, daß er uns liebet; wo er sie nicht liebte, so hätte er sie auch in ihrer vorigen Sicherheit lassen hingehen; sie würden wenig sich darum bekümmern, ob ein GOtt wär, der die Welt regierte, oder sonst ein etwas von ungefähr: ob die Tugend etwas guts, oder das Laster etwas böses sey: Ob sie Vergebung der Sünden hätten, und glaubig wären, oder nicht: dieses alles würde sie eben so wenig anfechten als zuvor.

Ja, unterbrach ich hier mit einer ausserordentlichen Bewegung, ich wolte herzlich gern in diesem Augenblick sterben, wenn ich nur der Gnade GOttes in Christo bey mir recht versichert werden könte. Wohlan, sagte hierauf der fromme Mönch zum Beschluß, wenn sie dann solches mit einer so lebhafften Begierde wünschen, so sterben sie mit einmahl der Welt ab: dieses ist der Tod, durch welchen sie dasjenige erlangen werden, was sie so sehnlich suchen. Dieser Tod wird sie versichern des Todes ihrer Sünden und ihrer Vergebung bey GOtt. So wenig sonst GOtt von uns verlanget, daß wir[51] um seinetwillen uns der Welt und der weltlichen Geschäfften und Güter entschlagen sollen, so nöthig finde ich solches für sie.

Ich meynte, der ehrliche Franciscaner würde mir auflegen, daß ich mich in einen strengen Orden begeben solte. Allein, er sagte mir, daß man in den Clöstern selten diejenige aufrichtige Andacht fände, die man darinnen anzutreffen vermeynte: es gäben so viel böse Mönche in den Clöstern, als böse Menschen in der Welt. Der beste Gottesdienst wär, daß ein jeder seines Berufs wartete und darinn GOtt und Menschen treu wäre. Was aber mich anbelangte, so hielte er dafür, daß, wie ich ein ausserordentlicher und mit den grösten Verbrechen beladener Sünder wär; so muste auch meine Busse ausserordentlich und von einer sonderbaren Erweckung seyn. Ich würde demnach wohl thun, denjenigen Menschen, die ich durch meine grausame Missethaten geärgert hätte, an mir ein Exempel der wahren Bekehrung und Sinnes-Aenderung zu zeigen. Ich solte mir zu dem Ende nah bey der Stadt ein kleines Haus erbauen, mich aller Eitelkeiten entschlagen, und mein übriges Gut den Armen geben.

Ich folgte diesem Rath. Sie sehen hier, mein Herr, den glückseligen Platz meiner Ruhe, welchen viel tausend Büß- und Freuden-Thränen mir zu einer andern Schekina eingeweihet haben, wo ich stets die Gegenwart GOttes, sowohl in seinen herrlichen Werken, als in meinem[52] armen Herzen finde; und wo ich getrost meine alte Hütte verfallen sehe; weil ich durch Ablegung derselben, dasjenige von Angesicht schauen werde, was ich hier nur mit den Augen des blosen Glaubens erreichen kan.

Die Königin, sowohl als die Frau von Dusemon wurden durch mein Exempel gerühret: Jene ließ nahe hiebey die schöne Einsideley erbauen, wo sie die meiste Zeit sich aufhielte; und wurde aus einer ganz eitlen Dame, eine sehr eifrige Christin: diese aber, als meine Verlobte, begab sich in die Abtey Gnaden-Thal, und starb darinn vor einigen Jahren in dem Geruch der Heiligkeit.


* * *


Der fromme Einsiedler hatte auf diese Weise kaum seine sehr nachdenkliche und erbauliche Erzehlung zu Ende gebracht; als man das Trappeln einiger Pferde hörte, die vor dem Hause stille hielten. Der Herr von Ridelo trat darauf ins Zimmer. Ich dachte wohl, redete er den Grafen an, ich würde sie bey unserm Einsiedler antreffen: sie haben uns unterdessen zu Hause keinen geringen Schrecken verursacht, da ihre Bedienten bey später Abends-Zeit allein wieder kamen, und ihren Herrn nicht mit zurück brachten. Der Graf entschuldigte sich darüber bey seinem höflichen Wirth so gut er konte: es scheinet aber, fügte er hinzu, ich habe durch eine besondere Schickung mit diesem ehrwürdigen Greiß bekant[53] werden sollen; um mich, durch die Befolgung seiner weisen Lehren, ihrer Freundschaft würdiger, und zum Dienst des Königs desto fähiger zu machen.

Der Graf gab sich darauf dem alten Pandoresto zu erkennen, und nach einigen wenigen Reden nahm er von demselben Abschied: er dankte ihm für seine gute Bewirthung, und versprach ihn hinfort nicht mehr aus Irrthum, sondern mit gutem Vorsatz zu besuchen. Er setzte sich damit nebst dem Herrn von Ridelo in die Gutsche: die 6. Pferde, die vorgespannt waren, ranten aus allen Kräfften: es war Morgens um 3. Uhr, als diese beyde Herrn in ihrem Pallast abstiegen: die Frau von Ridelo war noch auf: sie kam ihnen entgegen, und fragte ihren Gemahl, ob er das verlohrne Schaf wieder gefunden hätte. Der Graf sprang damit eilends aus der Gutsche, küßte ihr die Hand, und bat sie, wegen der Unruh, die er in ihrem Hause verursacht hatte, um Vergebung.

Man begab sich darauf zu Bette. Dem Grafen wolte die Gestalt des alten Eremiten nicht aus dem Sinn, er bewunderte sowohl dessen sonderbaren Lebens-Lauf, als seine ihm gegebene Lehren: er wiederholte solche bey sich selbst und schlief darüber ein. Als er des Morgens wieder erwachte, fand er sich in seiner gefaßten Entschliessung ungemein stark, sowohl einen redlichen Hofmann, als guten Christen abzugeben.

Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742., S. 28-54.
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