Von dem Adel.

[553] Der Adel ist an und vor sich selbst nichts wirckliches: Er hat in der bürgerlichen Gesellschaft keinen andern Vortheil, als daß er, mit etwas weniger Narrheit, darf stoltzer und hochmüthiger als andere Menschen seyn. Alle seine Titel, Wappen, Stamm-Tafeln und Ahnen-Register, wären sie auch noch so schön und durchleuchtig, machen ihn weder vernünftiger noch glücklicher. Der Bauer ist so wohl gebohren, wie der Edelmann: Die Natur gibt beyden gleiche Rechte: Nur alsdann hat der Adel etwas voraus, wenn er Geld und Güter besitzet, wenn er wohl erzogen ist, und wenn er bessere Sitten hat, als der gemeine Mann.

Hieraus erhellet, daß der wahre Adel nicht in einer edlen Geburt bestehet; sondern in einem edlen Leben. Er ist eine Frucht der Tugend, und schreibet sich aus dem Geschlecht der wahren Ehre. Der ist der beste Edelmann, den Treu und Muth und Witz zum[553] Ritter schlagen; Alles ubrige, womit der gebohrne Adel sich brüstet, ist Wind und Wahn und Einbildung: Er schändet die Vortrefflichkeit seiner Ahnen durch seine Niederträchtigkeit und durch seine Laster.

Die Beschäftigungen des Adels müssen nichts niederträchtiges, nichts unreines und nichts pöbelhaftes haben: Die Gewohnheit hat deswegen alle Mechanische Handthierung dem Adel für unanständig erkläret, und ihm dargegen die Wissenschaften, den Hof, den Krieg, die Magistrats-Würden, nebst der Land-Oeconomie zu seiner Beschäftigung angewiesen.

Die Handlung ins Grosse hat, nach dem Zeugniß der klügsten Völcker, nichts, das dem Adel zuwider ist. In den ältesten Zeiten sind dergleichen Handels-Leute, wenn sie grosse Reichthümer besassen, für edel gehalten worden. Es ist auch der Natur gemässer, daß Leute, die durch ihre grosse Handelschaften, so vielen Menschen Nahrung geben, und sich dem Adel gleichförmig aufführen, auch dessen Vorzüge geniessen: doch gönnt ihnen das Herkommen und der Gebrauch in der Welt nur den untersten Grad des Adels: und erlaubet ihnen nicht sich höher aufzuschwingen, als bis sie die Handlung niederlegen, und eine von den Lebens-Arten, davon oben Meldung geschehen ist, ergreiffen.[554]

Wer Geld und Güter hat, und sich damit weiß auf eine anständige und beliebte Art heraus zu setzen, der kan den Adel viel besser führen, als ein armer Juncker, den die Bauren Ihr Genaden heissen, und ihm das Brod borgen müssen.

Ehedessen galt der Adel viel; nicht, weil er edel gebohren war, sondern weil die Geburt ihn veranlaßte sich durch Tugend und Tapfferkeit von dem gemeinen Mann zu unterscheiden: Er ehrte die Wissenschaften, und die Wissenschaften ehrten ihn; Er sprach und urtheilte anders, als der Pöbel: Er begieng nichts niederträchtiges: Er lebte nicht wie unsere heutige Dorf-Junckern im Luder und im Müßiggang: Er bekleidete die ersten Stellen bey Hof: Er half die Städte und Länder regieren: Er machte sich eine Ehre aus der Gottesfurcht: Seine Andacht riß ihn zu den Füssen des Altars, und seine Tapfferkeit machte seine Feinde beben: Der Fürst brauchte keine Soldaten: Wer ein Ritter seyn wolte, der setzte sich mit seinen reißigen Knechten auf, und eilte damit seinem Landes-Herren und seinem Vatterlande zu Hülffe. So war der Adel, so war die Ritterschaft der alten Zeiten.

Wenn man den heutigen Adel beschreiben wolte, so würde es vielleicht ein Gespötte heissen, man müste ihn lächerlich abmahlen, und die Wahrheit würde machen allzu natürlich[555] treffen: Wir wollen lieber schweigen, unsere Schande bedecken, uns rathen lassen und uns bessern.

Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742., S. 553-556.
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