26.

[151] Hier kam der Liebste zu Gefahr,

Und bat, dass er ihn nicht anfahr'

Und nicht verletze. Und so bat

Er ihn dehmüthiglich um Gnad'.


Mit Scheu ging zu Gefahr ich dann,

Und bot ihm artig Frieden an.

Doch überschritt ich nicht den Hag,

Weil er mir da im Wege lag.

Ich fand ihn grade aufgestellt,

Er hatte sich zu Zorn verstellt,

'Nen Dornstock hielt er in der Hand.

Ich bückte tief mich wo ich stand,

Und sagte ihm: Herr ich bin hier,

Von Euch Genad' zu bitten mir,

Ich ärg're mich, so viel ich kann,

Daß ich den Zorn Euch fachte an,[152]

Doch bin bereit ich zum Entgelt',

Wenn's zu befehlen Euch gefällt.

Gewiß trug Amor Schuld dabei,

Der läßt mein Herze mir nicht frei;

Doch will ich nimmer selig sein,

Thu' ja ich mehr, was Euch wird reu'n –

Ich würde lieber selbst geplagt,

Eh' ich thu', was nicht Euch behagt.

So bitt' ich Euch, daß Ihr nun schenkt

Genade mir, zu Milde lenkt

Den Zorn, der mich erschreckt zur Zeit.

Und dafür geb' ich Schwur und Eid,

Daß immer ich mich so behab',

Wie nimmer es Euch Aerger gab.

So sei mir denn von Euch vergönnt,

Was Ihr doch nie versagen könnt.

Wollt nur, daß stets in Lieb' ich bleibe,

Denn Andres nimmer ich betreibe;

Ich thu' Euch allen andren Will'n,

Wenn Ihr mir Dieses wollt erfüll'n.

Legt Ihr mir keine Hindrung hin,

So täusch' ich nimmer Euch darin

Denn eher meinen Dienst genießt,

Wer gern es hat, als wen's verdrießt,

Doch wollt' ich nicht um alles Geld

Jemalen thun, was Euch mißfällt.[153]


Gefahr war hart und zäh zu schaun,

Zu sühnen seine üble Laun'.

Und als er mirs gewährt zuletzt,

Hat noch die Rede er gesetzt,

Und sprach in Kürze so zu mir.


Gefahr.


Du bittest nicht so übel hier:

Und ich Dir's wohl gewähren mag.

Wiß' daß ich keinen Zorn Dir trag':

Dein Lieben macht mir wenig Harm,

Werd' ich davon kalt oder warm?

So liebe nur, doch halte Dich

Von meinen Rosen stätiglich.

Denn nimmer wirst Du Gnade schaun,

Wenn je Du übertrittst den Zaun.


Der Liebende.


So ward mir mein Gesuch zu Theil,

Und ich ging und erzählt's in Eil'

Dem Freunde, dem es Freud' gewährt,

Da er's als guter Geselle hört.


Der Freund.


Nun, sagt er, geht ja gut Eur' Sach',

Nun wird Euch hold sein und gemach

Gefahr, der Manchem Gutes thut,[154]

Nachdem er zeigte seine Wuth.

Nun wird er Euch gar gütig sein

Und Mitleid schenken Eurer Pein.

Und nun beachtet nur und seht,

Daß ihr auch recht mit ihm umgeht.

Ich hab's versucht, daß man besiegt

Bosheit und Grimm, wenn man sich fügt.


Der Liebende.


So red'te zu mir sanft und froh

Der Freund der meinen Vortheil so

Bedenkt, wie ich nur selber kann.

Von diesem nahm ich Urlaub dann.

Zur Hecke, die Gefahr umengt

Kehr' ich zurück, weil's sehr mich drängt,

Daß ich die Rose seh' zur Zeit,

Denn nimmer wüßt' ich andre Freud';

Gefahr nun gab gar häufig Acht,

Ob ich auch den Vertrag bedacht.

Jedoch sein Drohn mich schrecken mußt',

Daß ich zu reizen ihn nicht Lust.


So hielt ich mich da lang in Noth

Ihm auszurichten sein Gebot,

Ihn mir zu machen mild und hold,

Doch trug mein Dienst mir schlechten Sold,

Denn sehr verweilet wurde ich.[155]

Und oft wohl weinen sah er mich,

Und daß ich seufzt' und klagte sehr,

Weil er mich quälte gar zu schwer

Dort vor dem Hag', nicht wagt' ich da

Zu kommen mehr der Rose nah.

Da ward's zuletzt denn doch vollführt,

Daß er's an meinem Wesen spürt

Daß Amor gar so hart mir ist,

Und daß in mir nicht Arg' noch List,

Und keine Ungesetzlichkeit,

Doch hegt er solche Grausamkeit,

Daß er sich nicht bemüht zu fragen,

Wenn er mich weinen hört und klagen.


Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 151-156.
Lizenz:

Buchempfehlung

Chamisso, Adelbert von

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon