Vierter Auftritt.


[17] Förster. Robert.

Förster wie sie allein sind, wird er verlegen und geht einige Male auf und ab.


ROBERT. Sie wollten –

FÖRSTER. Freilich – Wischt sich den Schweiß. Hm. Setzen Sie sich, Herr Stein.

ROBERT. Diese Vorbereitungen –


Förster zeigt auf einen Stuhl am vordern Ende des gedeckten Tisches. Robert setzt sich.


FÖRSTER nimmt die Bibel vom Bord, setzt sich Robert gegenüber, thut die Brille auf, schlägt auf, räuspert sich. Sprüche Salomonis, einunddreißig, zehn: »Wem ein tugendhaft Weib beschert ist, die ist viel edler denn die köstlichsten Perlen. Ihres Mannes Herz darf sich auf sie verlassen, und Nahrung wird ihm nicht mangeln. Sie thut ihm Liebes und kein Leides sein Leben lang.« Kleine Pause, dann barsch nach dem Fenster, indem er sitzen bleibt. Wilhelm, ob du dich vorsehen wirst da draußen! Und dann weiter unten am dreißigsten. Wird er mir doch den ganzen Buchsbaum vertreten, der Element! »Lieblich und schön sein ist nichts; ein Weib, das den Herren fürchtet, soll man loben.« – – Robert –

ROBERT aus Gedanken. Vater Ulrich –

FÖRSTER. Wiederum Sirach da am soundsovielsten. – Herr Stein –

ROBERT. Schon wieder »Herr«?

FÖRSTER. Ich muß schon noch einmal du sagen. Sonst geht mir's nicht los von der Lunge. – Robert –

ROBERT. Sie sind so feierlich![17]

FÖRSTER. Feierlich? Kann sein. Die Sache ist auch danach. Man ist kein Heide. Stellt sich in Positur. Du hast dich also in Gott entschlossen, Robert –

ROBERT. Aber –

FÖRSTER. Ja, wenn du mich so ansiehst. – Du willst heiraten, Robert?

ROBERT steht auf, verwundert. Aber Sie wissen's doch –

FÖRSTER. Freilich. Aber eine Einleitung muß doch sein. Setz dich nur. Aber du mußt mich auch einmal ausreden lassen. Hab sonst eine gesunde Brust. 's ist mir aber, wenn ich predigen will, als säh' ich den Pastor im Chorrock hinter einem Hasen her. Erleichtert. So; jetzt hab' ich die Fährte. Es wechselt ein Hirsch vom Lutzdorfer herüber. Hörst du, Robert? Und nun paß auf. Hier die Gabel ist der Hirsch. Hier da, siehst du? Hier das Salzfaß, das bist du. Und der Wind kommt vom Teller daher. Was machst du nun, um den Hirsch zu beschleichen? Was? Einhelfend. Du – nun?

ROBERT. Ich muß –

FÖRSTER nickend. Mußt – Gebärden.

ROBERT. Ihm den Wind abgewinnen.

FÖRSTER. Wind abgewinnen. Richtig. Merkst du nun, wo ich hinaus will? Du mußt ihm den Wind abgewinnen. Das ist's. Siehst du, deshalb mußt' ich mit dir reden. Feierlich. Du mußt dem Hirsch den Wind abgewinnen. Steht auf. Und nun – mach' sie glücklich, Robert, meine Marie. Will gehn.

ROBERT. Aber was hat das mit Marien zu schaffen?

FÖRSTER. Ja; du hast mich noch nicht verstanden? Siehst du? Der Hirsch darf's nicht merken, daß dir's um ihn zu thun ist, und die Frau noch weniger. Du machst zuviel Sachen mit den Weibern. Kinder dürfen nicht wissen, wie lieb man sie hat, beleibe nicht; aber Weiber noch weniger. Sie sind auch nichts als erwachsene Kinder, nur pfiffiger. Und die Kinder sind schon pfiffig genug.

Setz' dich, Robert. Ich muß dir doch was erzählen. Sie[18] sitzen am Rande des Tisches, dem Publikum zugewendet. Wie meine Marie vier Jahr' alt war, nicht höher als so – komm' ich einmal später am Tag nach Haus als gewöhnlich. »Wo ist die Marie?« frag' ich. Eins sagt: »In der Kammer«, das andere: »Vor dem Haus. Sie wird ja kommen.« Aber prost die Mahlzeit; es wird Abend, es wird Nacht und – keine Marie da. Ich geh' hinaus. Im Garten, im Grenzbusch, an den Klippen im Heimlichen Grund, im ganzen Forst – keine Marie. Meine Frau sucht indessen bei euch, dann im Dorfe Haus für Haus. Wen sie nicht find't, das ist die Marie. Soll sie jemand gestohlen haben? Ei, sie war ein Wachspüppchen von einem Kind, die Marie. Ich komm' in kein Bette die ganze Nacht; die Marie war schon damals mein ganzes Leben. Den andern Morgen biet ich das ganze Dorf auf. Da fehlt keiner. Sie waren alle vernarrt in die Marie. Ich will doch wenigstens die Leiche begraben. Im Heimlichen Grund, weißt du? das Tannendickicht – unter den Klippen am Lautensteg, wo der alte Felsweg drüben hingeht überm Bach – daneben die Weiden. Dasmal kriech' ich das ganze Dickicht aus. In der Mitte ist der kleine Wiesenraum; da seh' ich endlich was Rotes und Weißes. Gott und Herr! Und sie ist's – und nicht etwa tot oder krank, nein, frisch und lebendig im grünen Gras drin und hat sich rote Bäckchen geschlafen wie die Feuerblumen. Robert! – Aber Er sieht sich um, leiser. sie wird's doch nicht etwa hören? Er rückt näher an Robert; wenn er sich einmal vergißt, spricht er dann desto leiser. Ich sage: »Bist du's denn?« – »Freilich«, sagt sie und wischt sich die Augen, daß sie funkeln. »Und lebst?« sag' ich, »und bist nicht gestorben?« sag' ich, »vor Hunger und vor Angst?« sag' ich. »Einen halben Tag und eine ganze Nacht im Wald allein, im dicksten Wald? Komm«, sag' ich, »daß die Mutter sich unterdes nicht totängstigt«, sag' ich. Sagt sie: »Wart noch, Vater.« – »Aber warum und worauf?« – »Bis das Kind wieder kommt«, sagt sie. »Und nimm's auch mit; bitte Vater; das ist dir ein liebes Kind.« – »Aber was denn um alle Welt für eins?« frag' ich. »Das zu mir gekommen[19] ist«, sagt sie, »wie ich vorhin von euch fortgelaufen war um den gelben Schmetterling, und nun auf einmal so allein war im Wald und weinen wollte und nach euch schrein, und mir Beeren gesucht hat und so schön mit mir gespielt hat.« – »Vorhin?« sag' ich. »Ist's denn nicht einmal Nacht geworden unterdessen?« sag' ich. Das wollte sie nicht glauben. Wir suchten das Kind und – fanden's natürlich nicht. Die Menschen glauben an nichts mehr; aber ich weiß, was ich weiß. Verstehst du, Robert? Sag nichts. Ich dächte, ich hätt' es verschändet, wenn ich's auf die Zunge nähm'. Da, drück mir stillschweigend die Hand. Gut, Robert. – Daß sie nicht hört, was wir von ihr reden. Geht leise nach der Thür; sieht nach.

MARIE draußen. Willst du was, Vater?

FÖRSTER lacht dem Robert heimlich zu, dann barsch. Nichts! Und komm' mir nicht etwa herein, eh' ich – Kommt wieder; halbleise. Siehst du, so mußt du's machen. Du machst viel zu viel Sachen mit dem Mädel da. Sie ist Noch leiser. ein Mädel, auf das jeder Vater stolz sein könnte, und ich denk', sie soll eine Frau werden nach dem Herzen Gottes. Ich hab' eine; siehst du, dir sag' ich's, weil ich weiß, daß du's ihr nicht wieder sagst; denn sie darf nichts davon wissen, sonst wär' alle Arbeit umsonst. Und Arbeit hat mich's gekostet, bis ich sie so weit gebracht hab; Arbeit, sag' ich dir. – Daß du mir mein Mädel nicht verdirbst, an das ich soviel Müh' gewandt hab', sie richtig zu erziehn.

ROBERT. Sie können denken – aber ich verstehe Sie gar nicht.

FÖRSTER. Das ist's ja eben. Mit Fleiß thust du's nicht. Aber tausend Element! mach' mir nicht soviel Sachen mit dem Mädel, hörst du? Wenn du so fortmachst, hat sie dich in vier Wochen im Sack. Die Weiber wollen immer Herr sein; darauf geht ihr ganzes Dichten und Trachten, ohne daß sie's selber denken. Und wenn sie's sind, dann sind sie doch unglücklich. Weiß ich mehr als ein Beispiel davon. Ich seh' nur zur Thür hinein, und da weiß ich schon, was der Mann wert ist. Ich seh' nur das Vieh an. Ist die Katze oder der Hund nicht gezogen, so[20] sind's die Kinder auch nicht und die Frau noch weniger. Was? Meine Frau kennt mich noch immer nicht, was das da Zeigt aufs Herz. betrifft. Und hätt' sie mir das einmal abgeluchst – dann heidi, Autorität! Die Frau kann ein Engel sein; der Mann aber muß thun wie ein Bär. Und absonderlich ein Jäger. Das gehört dazu wie der Schnauzbart und der grüne Rock.

ROBERT. Aber sollte denn –

FÖRSTER eifrig. Nein, Robert. Ein für allemal nicht; da ist kein Ausweg. Entweder er zieht sie sich oder sie zieht sich ihn. – Zum Beispiel, wie man's da machen muß, nur ein Exempel. Meine Frau kann keinen Menschen leiden sehn – da kommt denn das Elend haufenweise, und ich möchte wissen, was draus werden sollte, wenn ich sie noch ins Gesicht loben wollte darum. Da brumm' ich denn und fluch eins wie ein Landsknecht, aber dabei mach' ich ganz sachte Platz, daß sie freie Hände kriegt. Und merk ich nun, sie ist fertig, da komm' ich wieder wie von ungefähr gebrummt und gewettert. Da heißt's: »Der Erbförster ist schlimmer auf die Armut wie der Teufel, aber seine Frau und sein Mädel, das sind Engel vom Himmel.« Und das sagen sie, daß ich's hören soll. Und ich hör's auch; aber ich thu' nicht dergleichen und lach' mir inwendig eins, und äußerlich thu' ich noch um eins so barsch. – Es scheint, draußen kommen die Gäste schon. Robert, meine Frau und mein Mädel, meine Marie – wenn ich einmal – du verstehst mich Robert. Gib' mir die Hand. Gott sieht uns. Wischt sich aber das Auge. Himmelelement! – Daß du den Weibern nichts merken läßt – und regierst sie, wie's sein muß – Er wendet sich um, seine Weichheit zu verbergen, mit Gebärden seinen Zorn ausdrückend, daß er sie nicht bezwingen kann. In der Thür trifft er auf.


Quelle:
Otto Ludwig: Werke. Leipzig und Wien [1898], S. 17-21.
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