Siebentes Capitel.

Die Botschaft.

[585] »Tausend Donnerwetter, Junge, das nenne ich pünktlich!« rief mir mein Vormund zu, als ich mich ihm auf bequeme Hörweite genähert hatte. »Johann wollte schon vor einer Stunde hinaus, um zu sehen, ob Du noch nicht zu sehen seist, nicht wahr Schätzchen?«

Johanna reichte mir mit einem holden Lächeln die Hand; »wenn auch nicht ganz vor einer Stunde, so kann doch beinah' eine halbe Stunde seitdem verflössen sein,« sagte sie, schalkhaft zu dem alten Herrn emporblickend, »und da Gustav selbst die Zeit bestimmt hatte, so dachte ich – «

»So dachtest Du, er müsse unbedingt eine Stunde vor der verabredeten Zeit eintreffen,« fiel ihr der Oberstlieutenant lachend in die Rede; »o ich kenne meinen vortrefflichen Gustav,« fuhr er fort, die Klappe auf seinem blinden Auge etwas lüftend, wie um mich genauer zu betrachten, und mir demnächst die Hand schüttelnd, als hätte er mir den Arm aus dem Gelenk reißen wollen; »bricht allerdings früh genug auf, muß aber unterwegs oft anhalten, hier um einen Schoppen zu trinken, dort um ein niedliches Bauermadchen etwas genauer zu betrachten« –

»Wofür er gewiß zu entschuldigen ist, lieber Onkel, denn ich kann mir kaum etwas Niedlicheres denken, als ein sonntäglich geputztes Bauermädchen mit dem zierlichen Spitzenhäubchen und der dasselbe[585] steif haltenden silbernen Spange,« versetzte Johanna in naiv überzeugender Weise.

»Bravo Johann!« rief der Oberstlieutenant, mir einen verschmitzten Seitenblick zuwerfend aus, »das nenne ich verständig geurtheilt; 's gab eine Zeit, in welcher ich selbst – doch das ist nichts für Dich, und zudem ist es schon zu lange her« –

»Es war damals und zwar lange vorher, eh' der Herr Rittmeister Werker sich das eiserne Kreuz verdienten,« schaltete ich ein, mich zwischen Onkel und Nichte drängend und mit ihnen den Rückweg nach der Oberförsters einschlagend.

»Hm, ja!« brummte der alle Krieger, indem er die Brust etwas weiter herausdrückte und behaglich seinen langen weißen Schnurrbart strich.

»Damals, als eine gewisse Lisette, das schönste Mädchen im weiten Umkreise, erklärte, nicht ohne einen gewissen Rittmeister Werker leben zu können« –

»Richtig, Junge, richtig, sie war das schönste Mädchen weit und breit.«

»Damals, als der unvorsichtige Granatsplitter« –

»Mir das Auge ausgeschlagen hatte« –

»Und ein gewisser Rittmeister Werker von sich behaupten durfte, daß die schöne Lisette lieber in sein einziges Auge, als in die zwei Augen anderer Offiziere schaute.«

»Ganz richtig, Junge, der aber mit seinem einen Auge heute noch mehr sieht, als Du, naseweiser Patron, mit Deinen beiden.«

»Quod demonstrandum erit.«

»Nein, Junge, was schon längst bewiesen ist, indem ich Deine beiden Augen sehe, während Du von mir nur eins siehst.«

»Ja, Herr Oberstlieutenant, das läßt sich nicht ableugnen, aber ich glaube, Sie gäben Ihre Kriegserfahrungen noch lange nicht für ein neues Auge hin.«

»Nein, Junge, bei Gott nicht; schabe, daß Du Anno 14 noch keine Hosen trugst, hätte Dich gerade noch in meiner Schwadron gebrauchen können.«

»Müssen aber doch schöne Zeiten gewesen sein!«

»Zeiten, wie sie noch nie dagewesen sind und auch nie wiederkehren werden. Ha, Kinder, das war ein Drang nach Freiheit, ein Geist, der alle Schichten der Bevölkerung wie mit Zaubergewalt durchfuhr! Donnerwetter! ich war damals ältester Rittmeister; hatten schlechtes Avancement gehabt; mußte meine Schwadron vollzählig machen oder vielmehr eine neue bilden; wie sie herbeigerannt kamen, um« –

»Um bei des Herrn Rittmeisters Werker Schwadron einzutreten,« unterbrach ich meinen Vormund, um ihn allmälig in seine angenehmste Stimmung gleichsam hineinzudrängen.

»Ruhig im Gliede! Keine Insubordination! Johann, Brustkasten heraus! Schultern zurück! Also, bei welcher Schwadron war einerlei, um überhaupt die Franzosen dreschen zu helfen. Ja, wie sie kamen, Leute mit grauen Haaren und Jungens, die eben erst das A B C hinter sich hatten! Schade, schade, Gustav, daß Du damals nicht so alt warst wie heute, hätte wirklich aus Dir etwas werden können. Diesen Ruhm, den wir ernteten, und diese Hiebe, die wir austheilten! Aber etwas freut mich an Dir, Junge,« rief er plötzlich aus, indem er mich mit vollster Kraft auf die Schulter schlug, »trägst wenigstens ein schwarz[586] und weißes Käppchen, während so viele andere Studenten an ihren Mützen und Uhrbändern alle zwölf Regenbogenfarben zeigen. Lauter dumme Jungen, werden aber mit den Jahren gescheidter werden und richtig beten lernen.«

»Beten lernen, lieber Onkel?« fragte Johanna, die im ersten Augenblick glaubte, der Oberstlieutenant wolle den Studenten im Allgemeinen den Vorwurf der Gottlosigkeit machen.

»Ja, Mädchen, beten, ich meine richtig beten, so wie der alte Dessauer; zum Beispiel: Unser Vater im Himmel, hilf uns die verfluchten Franzosen zusammenhauen, und wenn Du uns nicht helfen willst, so hilf ihnen wenigstens auch nicht; wir wollen's dann schon allein ausfechten – oder das Donnerwetter soll drein schlagen! Ja, Schätzchen, so beteten wir damals und das hat geholfen!«

»Und Ihre junge Schwadron schlug sich wie lauter alle gediente Leute?« fragte ich, während ich etwas wie leise Vorwürfe darüber empfand, durch meine Verbindung mit Bernhard die Erwartungen meines Vormundes in so hohem Grade zu täuschen, und zugleich wünschte, daß der Versucher mich, wie es fast schien, vergessen haben möge oder auch seine Offenherzigkeit gegen mich bereue.

»Wie lauter Veteranen,« wiederholte der Oberstlieutenant stolz, abermals seine Augenklappe lüftend und demnächst wieder seinen Schnurrbart martialisch empordrehend, »o ja, Kinder, wie lauter Veteranen, die beim alten Fritz selber in der Schule gewesen; aber die eine Geschichte muß ich Euch erzählen, und bitte ich Euch daher, mich nicht mit naseweisen und der Gelegenheit nicht angemessenen Bemerkungen zu unterbrechen,« und nun begann der alte Herr zu erzählen von Kanonendonner und Attaquen, daß es eine wahre Freude war. Sein Auge leuchtete dabei wie das eines Jünglings, der Schnurrbart sträubte sich empor, wie die Rückenhaare einer boshaften Katze, die Augenklappe stand mehr nach oben, als nach unten gerichtet, und wenn er einen unglücklichen Stein vor sich im Wege liegen sah, dann schickte er ihn vor Kampfeslust durch eine geschickte Prime mit seinem Krückstock wirbelnd in's Gebüsch, daß ich glaubte, der braun gebeizte feste Kreuzdornzweig müsse von der Wucht des Hiebes zersplittern.

Ich aber, nachdem ich den alten Herrn auf sein Lieblingsthema gebracht, schritt schweigend an seiner Seite dahin. Johanna hatte mit bezaubernder Zutraulichkeit ihren Arm in den meinigen gelegt; ihre schönen Augen Hafteten bald auf der zwischen hohen Bäumen auftauchenden Oberförstern, bald mit gespannten, Ausdruck auf dem leidenschaftlich erregten Antlitz ihres Onkels. Die Geschichten waren ihr noch neu und indem sie theilnahmvoll auf jedes Wort lauschte, zweifelte sie offenbar, wem die meiste Bewunderung gebühre, ob nun den damaligen, alle Herzen erhebenden Zeiten, oder dem nach ihren Begriffen tapfersten und unübertrefflichsten aller Krieger und Onkels.

Ich kannte die alten lieben Geschichten schon längst in- und auswendig und war nie um eine Antwort oder einen Ausdruck des Beifalls verlegen; ich durfte daher mit Muße das süße Engelsbild an meiner Seite betrachten, dessen Arm so weich und so warm[587] auf dem meinigen ruhte, daß ich mitunter sogar glaubte, den regelmäßigen, aber schnellen Pulsschlag zu fühlen. Und wenn ihre Locken durch eine hastige Bewegung ihres Hauptes die meinigen berührten, wenn ihr Athem mein Gesicht so warm streifte und wenn ihre kleine zarte Hand bei der Schilderung irgend einer drohenden Gefahr unwillkürlich meinen Arm etwas fester drückte, o wie mir dann das Blut zum Herzen drang und ich in Gedanken aufjauchzte vor nie geahnter Glückseligkeit! Ich hätte ihr zu Füßen sinken, ihr in wilder Freude beweisen und beschwören mögen, daß das Geschick uns Einen für den Andern bestimmt habe, wir uns jetzt schon als mit einander auf ewig und unauflöslich verbunden betrachten dürften.


»Die Tochter ihres Vaters,

Sie folgt ihm zum Altar;«


recitirte ich immer und immer wieder in Gedanken, während mein alter würdiger Vormund Batterien auf Batterien auffahren ließ, hier ganze Regimenter mit Kartätschen niederschmetterte, dort im geschlossenen Reiterangriff die furchtbarsten, von Bayonnetten starrenden Carré's sprengte, oder auch einem sterbenden Kameraden zum letzten Mal die fast leere Feldflasche darreichte.

»Himmel Sapperment, Junge, das sage ich Dir!« wendete er sich plötzlich in der Hitze des Gefechts mit kühn blitzendem Auge mir zu, »das sage ich Dir, ich bin jetzt ein Mann des Friedens, aber Dir zu Gefallen wünsche ich von ganzem Herzen, daß morgen der Krieg wieder ausbräche – und in Frankreich spukt es ja schon wieder, – wenn auch nur, um Dir den Genuß zu gönnen, mit geschwungenem Säbel als der Erste in ein feindliches Carré einzubrechen, und sollte Dich im nächsten Augenblick der Teufel holen!«

»Onkel!« rief Johanna mit so unbeschreiblich holdem Erschrecken aus, daß ich sie dafür an meine Brust hätte drücken und ihre lieben, schwärmerischen Augen mit tausend Küssen bedecken mögen.

»Was ist da zu onkeln?« fragte der in kriegerisches Feuer gerathene alte Krieger zurück, »Du mußt nur nicht Alles gleich wörtlich nehmen, Schätzchen, denn auch ich mag den Jungen leiden; und wenn ich vom Teufelholen spreche, so handelt es sich nicht gleich um Pferdefuß und Schwanz. Eigentlich wollte ich damit nur sagen: und wenn er im nächsten Augenblick in tausend Millionen Granatstücke zerhackt würde.«

»Dann wäre er ja todt,« versetzte Johanna, zuerst mir und demnächst dem Oberstlieutenant schelmisch zulächelnd.

»Das verstehst Du nicht, Schätzchen,« entgegnete Letzterer ernst, und wiederum flog die grüne Augenklappe empor, wiederum erhielt der Schnurrbart eine heftige, spiralförmige Drehung und wiederum erweiterte sich die mit dem Kreuz geschmückte Brust um einige Zoll nach vorn, »nein, mein Kind, das verstehst Du nicht, gleichst darin Deiner Tante, meiner alten Lisette, auf ein Haar. Die sprach auch immer von Todtschießen und dergleichen. Der Tod auf dem Schlachtfelde ist ein Heldentod, und ein Heldentod ist das Schönste, was es auf der Welt giebt, und wer als Held stirbt, dem wird ein Denkmal gesetzt, um kommenden Geschlechtern von den Thaten ihrer Vorfahren zu erzählen. Ja, mein lieber Johann, lieber[588] zehnmal hinter einander auf dem Felde der Ehre durch alle nur denkbaren Geschosse in's Jenseit befördert, als einmal im Bette gestorben!«

Johanna lächelte, als ob sie das Sterben, in welcher Form es auch immer sei, überhaupt nicht für etwas so sehr Schönes und Wünschenswerthes halte. Eine solchen Ansichten entsprechende schalkhafte Antwort schwebte unstreitig auf ihren Lippen, doch wurde dieselbe dadurch zurückgehalten, daß ein etwas wüst darein schauender Mann sich uns näherte und mit einem sehr höflichen: »Guten Morgen, Herr Oberstlieutenant« vorüberschritt.

Mein Vormund berührte mit dem Zeigefinger der rechten Hand militairisch grüßend den breiten Schirm seiner Jagdmütze, während Diana dem Fremden einige Schritte mit gesträubten Rückenhaaren folgte. »Diana, hier heran!« kommandirte der Oberstlieutenant; »der Hund kennt den Patron,« wendete er sich darauf uns zu, »er ist einer der verwegensten Forstfrevler, sonst aber nicht ohne Bildung, denn er hat in Köln bei den Achtundzwanzigern gestanden.«

Auf diese Bemerkung schaute ich zurück, um den Bezeichneten, der mich durch einzelne Züge seines Gesichts an Anton erinnerte, genauer in's Auge zu fassen, als ich ihn auch schon, die Mütze in der Hand, auf mich zuschreiten sah.

»Der junge Herr haben etwas verloren,« sagte er, mir einen unregelmäßig gefalteten Zettel darreichend.

»Ich glaube nicht,« gab ich zur Antwort, indem ich meine Taschen flüchtig betastete.

»Excüsiren der Herr Student, aber ich sah es aus Ihrer Tasche fallen,« entgegnete der Fremde, der dem Arbeiterstande anzugehören schien, und mit einem eigenthümlichen, halb verschmitzten, halb unterthänigen Lächeln unter seinen weißen Wimpern und Brauen hervorblinzelte.

»So nimm ihm doch den Zettel ab,« bemerkte mein Vormund unfreundlich, und im nächsten Augenblick befand sich das Papier in seinen Händen.

»Wahrhaftig, Du mußt es verloren haben,« fügte er gleich darauf hinzu, »hier steht es groß und breit: Herr Gustav Wandel, für die Fahrt mit der Schnell Post von Bonn nach Köln entrichtet, und so weiter; er kann gehen, mein Freund, der alte Postschein ist kein Trinkgeld werth, und laß er sich nicht wieder beim Holzdiebstahl erwischen.«

»Zu Befehl, Herr Oberstlieutenant,« entgegnete der Fremde, die Hacken seiner plumpen Stiefel mit lautem Schall zusammenschlagend; »excüsiren der Herr Oberstlieutenant,« fuhr er fort, »that nur meine Schuldigkeit als ehrlicher Mann und dachte nicht an Trinkgeld.«

Mein Vormund berührte leicht seinen Mützenschirm; der Fremde machte geräuschvoll Kehrt, bedeckte sein Haupt und schritt davon, und wir bewegten uns wieder langsam der nur noch einige hundert Schritte entfernten Oberförstern zu.

Den Zettel hielt mein Vormund noch immer in der Hand. Er wollte ihn eben, weil ich an wichtigere Dinge, als an einen alten Postschein dachte – den ich übrigens wirtlich meiner Tasche entfallen glaubte – wegwerfen, als er ihn plötzlich aufmerksamer betrachtete.[589]

»Das ist wohl ein Register Deiner Schulden oder ein gelehrtes Rechenexempel?« fragte er, mir den Schein hinhaltend.

Mechanisch nahm ich das Papier; kaum aber hatte ich einen Blick auf einige auf der Rückseite desselben mit Bleistift geschriebene Zahlenreihen geworfen, so fühlte ich, daß ich erbleichte. Ich erkannte nämlich eine in Chiffreschrift an mich gerichtete Botschaft, doch wirbelten die einzelnen Zeichen vor meinen Augen so durcheinander, daß an ein schnelles Deuten derselben gar nicht zu denken war, zumal ich im Lesen derartiger Briefe noch nicht die rechte Uebung erlangt hatte.

»In der That ein wichtiges Exempel,« antwortete ich, mit verstellter Sorglosigkeit das Papier zusammenknitternd und in die Tasche schiebend, »dasselbe zu verlieren, wäre mir wirklich unlieb gewesen.«

Hätte der Oberstlieutnant, anstatt noch immer in der Erinnerung an seine Kriegsjahre zu schweigen, mich schärfer beobachtet, oder wäre Johanna's Aufmerksamkeit weniger der romantisch gelegenen Oberförsterei zugewendet gewesen, so hätte ihnen unmöglich die Verwirrung entgehen können, welche sich ohne Zweifel auf meinen Zügen ausprägte.

Daß Bernhard, oder überhaupt die Anführer der geheimen Verbindung mich gerade da, wo ich es am wenigsten erwartete, zu finden wußten, daß sie einen dem Anschein nach moralisch ziemlich werthlosen Menschen zum Ueberbringer ihrer Botschaft gewählt hatten und mich dadurch bis zu einem gewissen Grade von diesem abhängig machten, daß ich ferner gezwungen war, nicht nur meinen alten ehrenwerthen Vormund, sondern auch Johanna, der Ich bereits mein ganzes Herz zugewendet hatte, in so grober Weise zu täuschen, Alles dieses stürmte mit einer so erdrückenden Wucht auf mein Gewissen ein, daß ich unfähig war, die Unterhaltung wieder in der frühern, sorglosen heitern Weise zu eröffnen oder auch nur einem zwischen dem Oberstlieutenant und seiner Nichte geführten Gespräch mit Aufmerksamkeit zu folgen. Der seltsame Bote schwebte mir wie ein drohendes Gespenst vor, und als ich, um mein Gesicht vor meiner lieblichen Gefährtin auf Augenblicke zu verbergen, noch einmal zurückschaute, gewahrte ich, daß derselbe stehen geblieben war, offenbar in der Absicht, sich zu überzeugen, ob der geheinmißvolle Brief in meinen Besitz übergehen oder fortgeworfen werden würde.

Als er meine Bewegung bemerkte, lüftete er, wie zum Zeichen des Einverständnisses, unverschämt seine Mütze, worauf er sich eiligst entfernte, was natürlich nicht dazu beitrug, meine Verwirrung und Verlegenheit zu verringern. Dabei fühlte ich, daß ich nothgedrungen das so plötzlich eingetretene Schweigen brechen müsse, wenn ich nicht mit Gewalt Onkel und Nichte auf meine veränderte Gemüthsstimmung hinweisen wollte.

»Der Mensch, der uns eben begrüßte, hat sehr wenig Empfehlenswertes in seinem Aeußeren,« bemerkte ich, um überhaupt etwas zu sagen, fast wie zu mir selbst sprechend.

»Nicht viel,« antwortete der Oberstlieutenant, einen Doppelhieb nach einem dicht am Wege hoch emporgeschossenen Diestelkopf führend, »ich würde mich blitzwenig darüber grämen, wenn er mein Revier auf Nimmerwiedersehen verließe, trotzdem er drei Jahre bei den Achtundzwanzigern gestanden hat.«[590]

»Dann wohnt er wohl im Bereich Ihrer Forstverwaltung?«

»Allerdings thut er das; er, seine Mutter und sein Bruder, der unglückliche Anton – wenn Du Dich des armen lahmen Krüppels erinnerst – leben eine Viertelstunde von hier auf einer kleinen Lichtung. Eine saubere Gesellschaft; sie besitzen etwas Gartenland, gerade genug, um nicht zu verhungern, doch habe ich noch nie gesehen, daß sie auf Arbeit gegangen wären; muß daher nicht recht geheuer bei ihnen sein. Habe ihn im Verdacht, daß er weiß, wer die Hasenschlingen stellt, die zuweilen im Walde gefunden werden.«

»Also Anton's Bruder,« dachte ich mit wachsendem Unmuth, »was habe ich von einem Menschen und Mitwisser meiner Geheimnisse zu erwarten, der seinen lahmen Bruder ans so schonungslose Art mißhandelt?«

»Trifft den Anton denn ebenfalls Ihr Vorwurf?« fragte ich gleich darauf zerstreut.

»Nein, wenigstens nicht, daß ich es wüßte,« entgegnete der Oberstlieutenant, »der arme Teufel ist überhaupt unzurechnungsfähig und bei seiner Mutter gerade nicht am besten aufgehoben. Jedenfalls schmeichelt er sich, der erträglichste in dem Kleeblatt zu sein.«

»Von Plittersdorf aus war er mein Reisegefährte.«

»Gewiß ein interessanter Gesellschafter?« lachte mein Vormund. »Aber hast Recht, Junge, man muß Mitleid mit derartigen Leuten haben; wäre er im Kriege krumm und lahm geschossen worden, würde er allerdings nicht zu betteln brauchen.«

»Man hat indessen Beispiele, daß Krieger, deren Arme oder Beine auf Leipzig's Feldern zu Staub wurden, sich noch glücklich schätzen, gegen baare Bezahlung einen Gewerbeschein ausgefertigt zu erhalten, kraft dessen es ihnen gestattet ist, durch die Töne einer verstimmten Drehorgel die Herzen ihrer Mitbürger, für die sie ihr bestes Herzblut Hingaben, zu rühren,« versetzte ich nicht ohne Bitterkeit; doch bereute ich meinen Ausspruch im nächsten Augenblick wieder, als ich gewahrte, daß der rechtlich denkende alte Herr leicht erröthete und sich verlegen abwendete, scheinbar, um den Flug einiger wilden Tauben zu beobachten. Dieses indirecte Anerkennen und Billigen meines Vorwurfs gewahrte mir indessen auch wieder eine Art von Genugthuung, und ruhiger dachte ich über die Ungewisse und gefährliche Lage, in welche mich zu stürzen ich im Begriff stand.

Nachdem mein Vormund ein kurzes Kavalleriesignal gepfiffen, kehrte er sich mir wieder zu:

»Junge, Du magst ein ganz gescheidter Jurist sein,« begann er sehr ernst und gemessen, »Du magst auch eine Schulbank von einem Remontepferd unterscheiden können; allein das sage ich Dir, von Militairangelegenheiten verstehst Du ebenso wenig, wie meine Lisette sich zum Professor der Philosophie eignet. Merke Dir daher, was Deines Amtes nicht ist, laß Deinen Vorwitz bleiben, oder ein Donnerwetter soll gleich drein schlagen!«

Ich fühlte, daß bei diesem Vorwurf, der gegen andere Strafpredigten, die mir schon in meinem Leben von dem treuherzigen alten Haudegen zu Theil geworden, eine reine Schmeichelei war, Johanna mich erschreckt und verstohlen von der Seite betrachtete, um zu errathen, wie die barschen Worte wohl gemeint seien und wie ich sie aufnehmen würde.[591]

Um daher das liebe Mädchen zu beruhigen, lächelte ich vergnügt vor mich hin, worauf ich mit erheuchelter Sorglosigkeit entgegnete:

»Ist mir schon genug, einen Vormund zu besitzen, auf den ich mit Recht stolz sein darf, und da aus mir doch nie ein Oberstlieutenant Werker hätte werden können, selbst wenn ich, wie er, bei Jena und Leipzig mitgefochten hätte und sogar ein unvorsichtiger Granatsplitter etwas zu dicht an meinem Auge vorübergeflogen wäre, so ist es mir nicht zu verargen, daß ich die Militairkarriere nicht einschlug. Aut Caesar, aut nihil, was auf Deutsch heißt, entweder ein Oberstlieutenant Werker, oder nicht einmal der jüngste Rekrut in der ganzen königlich preußischen Armee.«

»Johann, hast Du's gehört, wie der Schlingel sich über Deinen Onkel lustig macht?« rief der Oberstlieutenant mit verstelltem Grimme aus, »aber wir wollen ihn strafen, und Du sollst dabei helfen. Laß Dir nur den Kellerschlüssel gleich geben, und dann hole eine mit gelbem Siegel herauf, Du weißt schon, Mädel; und wenn Du sie schleppen kannst, dann nimm in jede Hand eine.«

»O, lieber Onkel, ich bin stark, ich könnte deren vier tragen,« entgegnete Johanna lachend.

»Zwei, und dabei bleibt's; abgemacht, nicht raisonirt!«

»Es war ein glücklicher Zufall, der mich mit Anton zusammenführte,« warf ich jetzt wieder ein, »denn nicht genug, daß er mich auf einem nähern Wege durch den Wald führte, fand ich auch Gelegenheit, seinen gezähmten Raben zu retten, der sonst ganz gewiß von Diana zerrissen worden wäre.«

»Was? an einem Raben hast Du Dich vergriffen?« rief der Oberstlieutenant barsch, indem er sich nach dem Hunde umkehrte, der, als hatte er die Frage verstanden, demüthig wedelnd herbeischlich, »und noch dazu an des armen Anton's Raben? Pfui, schäme Dich! Die Bestie hat doch wohl keinen Schaden genommen?« fragte er mich darauf theilnehmend.

»Noch nicht, kam ich aber eine Minute später, so war es um das arme Thier geschehen.«

»Das ist mir lieb, das ist mir lieb; Johann, wenn Anton sich wieder sehen läßt, dann sorge dafür, daß er satt gemacht wird. Gieb dem armen Teufel auch noch Etwas mit auf den Weg, um ihn für seine ausgestandene Angst zu entschädigen.«

»Mit Freuden, lieber Onkel,« antwortete Johanna schnell, und dann ihren Arm aus dem meinigen zurückziehend, eilte sie uns über den Hof voraus der Hausthüre zu, in welcher wir von der Frau Oberförsterin erwartet wurden.

Die würdige Dame prangte in ihrem schönsten sonntäglichen Kleide; sie war schon im nächsten Dorfe, wohin ihr »Alter« sie hatte fahren lassen, zur Messe gewesen, und auf ihren freundlichen Zügen stand geschrieben, daß das Bewußtsein, für sich, für den Oberstlieutenant und für uns Alle gebetet zu haben, sie in die zufriedenste Stimmung versetzte.

Der Empfang, welcher uns von Seiten der ehrsamen Hausfrau zu Theil wurde, war ihrer Stimmung entsprechend, und wie eine freundliche Mutter warf sie mir vor, daß ich die Oberförsterei seit undenklichen Zeiten nicht besucht habe.[592]

Wie eine freundliche Mutter nahm sie aber auch meine Entschuldigungen entgegen, und ein gewisser dankbarer Stolz leuchtete aus ihren Augen, als sie gewahrte, daß ich, gleich nach meinem Eintritt, einen kleinen grünen Zweig, den ich besonders zu diesem Zweck im Walde gebrochen und auf meine Mütze gesteckt hatte, zu Häupten ihres Lieblings-Mutergottesbildchens befestigte.

Johanna Halle unterdessen die gelbgesiegelten Flaschen heraufgeholt, und eine glücklichere und heiterere Gesellschaft hat die Sonne Wohl selten beschienen, als wir bildeten, nachdem wir uns um den einfachen, aber wohlbesetzten Frühstückstisch gereiht hatten. Zwar brannte mir der Zettel mit der geheimnisvollen Botschaft wie Feuer in der Tasche, doch hatte ich fest beschlossen, mich während meines Zusammenseins mit Johanna und den beiden guten alten Leuten durch nichts verstimmen zu lassen; und wenn auch anfangs unter heimlichen Seelenkämpfen, so gelang es mir doch allmälig, alle Gedanken an meine Lage und die daraus entspringenden Verwickelungen vollständig zu besiegen und die schöne Gegenwart mit vollen Zügen zu genießen.

Erst des Nachmittags, als die beiden alten Leute sich auf ein Stündchen zur Ruhe begeben hatten und Johanna ihren häuslichen Beschäftigungen nachgegangen war, fand ich die Gelegenheit, mir unbemerkt Kenntniß von dem Inhalte des gefährlichen Schreibens zu verschaffen.

Es enthielt nur wenige Worte; dieselben waren in dessen wohl dazu geeignet, meine leicht erregbare Phantasie zu berauschen und mich in einen hohen Grab von Spannung zu versehen.

»Dem Bruder Gustav Wandel,« lautete die Überschrift. »Ein feierliches, geheimnißvolles Rauschen durchzieht die von Giftpflanzen umwucherten deutschen Eichen; das alternde Mark der heiligen Bäume fühlt sich durchdrungen von neuen frischen Lebenssäften, fühlt sich wieder stark genug, den Kampf gegen den unvermeidlichen Orkan zu bestehen. Auf der ersten Höhe hinter der Ruine Rolandseck tagt die Freiheit in den Strahlen der untergehenden Sonne. Starke Arme und muthige Heizen huldigen ihr am Montage.«

Nicht ohne Mühe entzifferte ich die seltsame Weisung. Ich las sie mehrere Male aufmerksam durch, doch nichts Anderes vermochte ich zu enträthseln, als daß man mich aufforderte, am folgenden Tage, also am Montage gegen Abend, mich auf der bezeichneten Höhe einzustellen.

Ursprünglich beabsichtigte ich, schon am Montag Morgen nach Bonn zurückzukehren. In Folge des Schreibens änderte ich indessen meinen Plan, und fester, denn je, war ich entschlossen, auf dem einmal eingeschlagenen Wege fortzuschreiten, dem Geschick muthig und ohne zu zittern die Stirn zu bieten, um mich dereinst mit Stolz einen Befreier des Vaterlandes nennen zu dürfen.

Der Eindruck, welchen meines Vormundes glühender Patriotismus am Vormittage auf mich ausgeübt, hatte durch die Botschaft Plötzlich einen ganz anderen Charakter erhalten. Es regte sich in mir das unbesiegbare Verlangen, mich auszuzeichnen, eine hervorragende Rolle in der Geschichte zu spielen, um – ja, um Johanna, dem lieben, angebeteten Mädchen[593] etwas Höheres, als eine alltägliche, philisterhafte Existenz zu Füßen legen zu können. O, wie mir bei diesem Gedanken das Blut stürmisch in den Adern, wallte, und wie ich mich berufen fühlte, in die geweihte Schaar der Retter des Vaterlandes einzutreten! Ich glaubte das unwillige Rauschen in den Wipfeln der heiligen Eichen zu vernehmen, und vergessen war das Drohbild meines greisen Vormundes, vergessen die Fährlichkeiten des trügerischen Bodens, über welchen ich von nun ab hinwandeln sollte. Das Rauschen der Eichen drang mir mit unwiderstehlicher Gewalt zum Herzen; die Lieder der deutschen Sänger erhielten für mich eine andere Bedeutung, Johanna's Bild schwebte mir, wie mit einem Strahlenkranz umgeben vor, und zu den kühnen Luftschlössern, welche ich mit erhitzter Einbildungskraft schuf, wiederholte ich immer und immer wieder den meinen jugendlich überspannten Hoffnungen und Wünschen neue Nahrung bietenden Spruch der Wahnsinnigen.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 2, Berlin 1865, S. 585-594.
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