Zweites Capitel.

Eine neue Bekanntschaft.

[15] Acht Wochen waren seit unserm Aufbruch verstrichen; meine Jagdbeute hatte ich theils zu Geld gemacht, theils für Stoffe, Kleidungsstücke, Munition und die für den Sommer erforderlichen Lebensbedürfnisse hingegeben, und so wohlgemuth zogen wir durch die romantische, den obern Missouri charakterisirende Wildniß dahin, als ob in unfern Herzen derselbe Sonnenschein gewohnt hätte, der vom Himmel auf die im heitersten Grün prangende Landschaft niederlachte.

Ich hatte den Lauf eines Nebenflüßchens zu meiner Richtung gewählt, und unbekümmert darum, wo oder wann ich den Missouri wieder zu Gesicht bekommen würde, dachte ich an weiter nichts, als daß ich, vom Glück begünstigt, wieder in Reviere gelangt sei, in welchen wir nicht nur gegen jede Noth gesichert waren, sondern auch Gelegenheit fanden, innerhalb kurzer Zeit unsere vier Pferde mit einem tüchtigen Vorrath von getrockneten Wildhäuten und gedörrtem Fleisch belasten zu können.

Am Fuße eines schroffen Felsenhügels und auf dem Ufer des frisch sprudelnden Baches hatten wir um die Mittagszeit die Pferde gepflöckt. Ein mächtiger Elkhirsch, den ich an jener Steile erlegte, war Ursache, daß wir halten blieben, und da die Umgebung so überaus lieblich, die Zubereitung der Wildhaut und da« Dörren des überflüssigen Fleisches einige Zeit erforderte, so beschloß ich, bis zum nächstfolgenden[15] Tage daselbst zu verweilen, oder auch oder länger, je nachdem es mir gelingen würde, in der Nachbarschaft noch das eine oder andere Stück Wild meiner Beute hinzuzufügen.

Seil mehreren Wochen hatten wir keine Spuren von Jägern entdeckt, noch weniger waren wir Indianern begegnet. Unsere Sorglosigkeit war also gewissermaßen gerechtfertigt, und wie wir schon mehrfach gethan, hatten wir auch an diesem Tage verabsäumt, von einer der nächsten hervorragenden Höhen in die Ferne zu spähen und uns von der Sicherheit unserer weiteren Umgebung zu überzeugen.

Das Zerlegen des Hirsches und das Ausspannen der Haut nahm meine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß ich Schanhatta kaum beachtete. Nur gelegentlich sandte ich einen Blick zu ihr hinüber, mich daran ergötzend, wie sie, unbekümmert um die hohe Sonnengluth, lange, dicht belaubte Zweige auf dem Ufer des Baches schnitt, dieselben auf einer weichen grasigen Stelle einander gegenüber in die Erde steckte und demnächst, deren Spitzen zusammenbiegend und mit einander verbindend, eine geräumige schattige Laube herstellte.

Einige Schritte weiter abwärts brannte ein kleines Feuer und über demselben hing an einem einfachen, aus zwei Gabelstäben und einer Querstange zusammengefügten Gerüst ein blecherner Kessel, in welchem das zu einem Hauptbestandtheile unseres Mahles bestimmte Wasser bereits siedete und dampfte.

Schanhatta überwachte Alles; ihre prüfenden Blicke hafteten bald auf einem grünen Zweige in ihrer Hand, bald wanderten sie zu dem Küchenfeuer hinüber, und dann wieder schaute sie mich fragend an, ob ich noch nicht das Zeichen zum Anrichten der einfachen Speisen geben würde. Dabei summte sie eine schwermüthige indianische Melodie leise vor sich hin, der untrüglichste Beweis ihrer überglücklichen Stimmung, und daß ihr, so lange ich in ihrer Nähe weilte, die Zukunft nicht mehr Sorge verursache, als den breitschwingigen Schmetterlingen, die in großer Zahl über dem schmalen blumenreichen Wiesenstreifen umherflatterten, oder dm zänkischen schillernden Kolibris, die untereinander grimmig um den Besitz irgend eines Honig bergenden Blüthenkelches kämpften.

»Schanhatta!« rief ich endlich nach langem Schweigen aus, »ich werde gleich fertig sein, Du magst immerhin die Speisen bereiten, vorher aber bringe mir einen Trunk Wasser.«

Schanhatta ließ einen Zweig, den sie eben niedergebogen, wieder emporschnellen, und nachdem sie mir zugenickt, daß sie mich verstanden habe, eilte sie zuerst nach ihrer Küche und von dort schnell mit einer leeren Kürbisflasche zu dem Bach hinab.

Sie war eben hinter dem hohen Ufer verschwunden, da fiel ein kleiner Stein, der offenbar von dem Gipfel der nahen Felswand aus nach mir geschleudert worden war, vor mir in's Gras nieder.

Es weilten also Menschen in der Nähe, und zwar Menschen, deren Absicht ich nicht kannte, die sich aber jedenfalls ihrer Uebermacht bewußt waren, oder sie hätten sich nicht so offenkundig angemeldet.

Ich gab mir daher das Ansehen, als ob ich den Stein nicht bemerkt habe, richtete aber meine Bewegungen, während ich mich noch mit der ausgespannten[16] Wildhaut beschäftigte, so ein, daß ich dicht neben meine Büchse gelangte, also nur meine Hand nach derselben auszustrecken brauchte.

In demselben Augenblick siel ein zweiter Stein vor mir nieder, und zu gleicher Zeit erschallten die Worte: »Seid doch so höflich, Fremder, und haltet meine Steinwürfe der Beachtung werth!« im reinsten Englisch und von einer hellen Mädchenstimme gesprochen zu mir herüber.

Unmerklich zog ich die Hand, die sich bereits nach dem Gewehr ausgestreckt hatte, zurück, und dann mich aus meiner gebückten Stellung erhebend, blickte ich nach der Felswand hinauf. Ich gewann dadurch Zeit, meine Überraschung niederzukämpfen und einen möglichst ruhigen Ausdruck anzunehmen.

»So lange Ihr Euch nicht persönlich bei mir anmeldet, meine schöne junge Dame, kümmere ich mich nicht um Eure Steinwürfe,« entgegnete ich, kaum noch fähig, das Erstaunen zu unterdrücken, welches ich über den sich mir darbietenden Anblick empfand; »nein, gewiß nicht,« fuhr ich noch langsamer und ruhiger fort, »denn Ihr müßtet ganz andere Arme und Hände besitzen, wolltet Ihr mir von dort oben aus einen Stein zusenden, schwer genug, auch nur eine Falte in meinen Lederrock zu drücken.«

»Es ist zum Verzweifeln!« rief dieselbe Stimme, jetzt aber ungeduldig aus; »Monate lang durchstreift man Wald und Prairie, ohne auf ein einziges weißes menschliches Gesicht zu stoßen. Ist man dann endlich so glücklich, einen wohledlen Herrn Lebeistrumpf in seinem verborgenen Winkel zu überraschen, so thut er einer gelangweilten Abenteurerin nicht einmal den Gefallen, zu erschrecken, sondern spricht und geberdet sich so ruhig, als ob er sich im Mittelpunkt irgend einer Hauptstadt befände! Hahaha! wenigstens eine Seele, die mich nicht für etwas Alltägliches ansieht,« fuhr die ausgelassene Sprecherin fort, als sie Schan hatta's ansichtig wurde, die mit ihrer gefüllten Kürbisflasche schnell nach dem Ufer hinaufgesprungen war und von dort aus mit einer seltsamen Mischung von Schrecken und Verwunderung nach der Felswand hinüberstarrte, »wirklich eine fühlende Brust in dieser Wildniß, hahaha! Zwar nur einer Indianerin angehörend, aber einer Indianerin, die, nach ihrem Aeußeren zu schließen, mindestens eine Prinzessin sein muß!«

Wählend dieser langen Rede, die mit so viel jugendlichem Frohsinn und Muthwillen von der Felswand herab gehalten wurde, betrachtete ich die Fremde aufmerksamer; aber je länger ich auf sie hinsah, um so mehr erstaunte ich. Schien sich in ihr doch Alles vereinigt zu haben, einen armen, seit Jahren fast ausschließlich in der Wildniß lebenden Streifschützen zu verwirren und ihm Zweifel zu erwecken, ob er sich wirklich noch auf dem alten Erdball befinde, oder plötzlich in den Olympos versetzt worden sei und dort von Frau Diana selbst begrüßt werde.

In der Entfernung von ungefähr dreißig bis vierzig Ellen in gerader Linie gerechnet, halb verborgen von einem Felsblock, stand nämlich ein junges Mädchen, welches man bei einem oberflächlichen Hinblick sehr leicht hätte für einen früh entwickelten Jüngling halten können, wenn nicht eben in Haltung und Bewegungen, und selbst in den nicht deutlich zu unterscheidenden Gesichtszügen eine gewisse selbstbewußte, mädchenhafte[17] und zugleich anziehende Schalkhaftigkeit ausgeprägt gewesen wäre, die bei einem halb erwachsenen Knaben unbedingt jede Probe von bezaubernder Anmuth eingebüßt hätte.

Knabenhaft waren freilich die blonden Haare, welche in üppigster Fülle lose bis beinah auf die Schultern niederfielen und dort ringsum stumpf abgeschnitten waren; knabenhaft erschien auch die kleine schottische Mütze mit der Schweiffeder eines Kriegsadlers; knabenhaft nahmen sich sogar das olivenfarbige Jäckchen mit den blanken Knöpfen, die leichte schottische Jagdtasche und das Pulverhorn aus; knabenhaft war endlich das vom Sonnenbrand auf dem frischen Antlitz zurückgelassene lichte Braun; aber nicht knabenhaft, im Gegentheil, durchaus jungfräulich war die Art, in welcher die Arme und der zierliche Oberkörper sich auf ein leichtes Gewehr stützten, und das helle melodische Lachen, mit welchem die junge räthselhafte Fremde ihre schmollenden Worte von Zeit zu Zeit begleitete.

Nachdem ich sie, ohne sie zu unterbrechen, hatte zu Ende sprechen lassen und bann noch immer keine Miene machte, irgend etwas zu entgegnen, wurde der hübsche weibliche Nimrod noch ungeduldiger.

»Also nicht einmal einer Antwort halten mich der Herr Trapper für würdig?« rief sie aus, das Gewehr mit kundigem Griff über die Schulter werfend, »ich bin zwar nur ein schwaches Mädchen, Herr Hinterwäldler, aber doch immer stark und geübt genug, Euch eine Kugel durch Euren Kaffeekessel zu senden und das edle Gebräu, anstatt über Eure bärtigen Lippen, dort in das Feuer laufen zu machen? Und was würden der edle Herr Leberstrumpf wohl dazu sagen?«

»Ich würde mich über Eure Geschicklichkeit freuen und die Sicherheit Eures Auges bewundern, meine schöne junge Dame,« antwortete ich auf's innigste ergötzt durch den frischen Lebensmuth der unerschrockenen Jägerin, »aber ich würde mich auch verpflichtet halten, Euch ebenfalls einen Beweis von der Festigkeit meiner Hand zu liefern und die Adlerfeder von Eurer Mütze schießen, und zwar genau da mit der Kugel abschneiden, wo der Bart beginnt den Kiel zu schmücken.«

»Was höchst ungalant von Euch wäre, Herr Trapper, denn Ihr müßt wissen, die Feder rührt von einem Adler her, den ich selbst die Ehre hatte zu erlegen. Aber sagt, was ist, das für eine reizende Wilde, die dort auf dem Ufer steht und zu mir heraufstarrt, als ob sie noch nie in ihrem Leben ein civilisirtes Gesicht gesehen hätte?«

»Meine Adoptivtochter, schöne Fremde,« entgegnete ich kurz, denn es verdroß mich, sie so nichtachtend von Schanhatta sprechen zu hören, »aber nun sagt auch Ihr mir, sind die Einigen noch nicht bald heran?«

»Was kümmern Euch die Meinigen und woraus schließt Ihr, daß ich nicht zu meinem Vergnügen die Wildniß ganz allein durchstreife?«

»Wäret Ihr allein, dann würdet Ihr eine weniger muthige Sprache führen und auch doch wieder Muth genug besessen haben, herabzukommen und meine Gastfreundschaft für Euch in Anspruch zu nehmen.«[18]

»Weiter nichts?« antwortete die Fremde, indem sie auf den vor ihr liegenden Stein sprang und einen spähenden Blick in die Ferne sandte, »daß ich mich vor Euch nicht fürchte, will ich Euch beweisen, und wenn Ihr mir einen Trunk Wasser und vielleicht auch ein Scheibchen gebratenes Hirschfleisch verabreichen wollt, so bin ich nicht abgeneigt, von Eurer Gastfreundschaft Gebrauch zu machen.« So sprechend kletterte sie von dem Felsblock hinunter und im nächsten Augenblick war sie verschwunden.

Jetzt erst näherte Schanhatta sich mir wieder. Der Anblick der seltsamen Fremden schien sie aus der Fassung gebracht zu haben, denn indem sie schüchtern und verlegen zu mir emporschaute, fragte sie heimlich flüsternd, ob die Fremde ein Engel gewesen sei, wie diejenigen, von denen ich ihr einst erzählt habe.

»Ein Engel in dem Sinne, in welchem Du es meinst, war es nicht,« entgegnete ich belehrend, und zugleich blickte ich gespannt nach der Kluft hinüber, aus welcher die Jägerin, wenn sie ihre Absicht nicht geändert hatte, hervortreten mußte, »es war einfach eine weiße, irdisch geborene Tochter, wie Du eine rothe oder vielmehr hellbraune bist. Wie dieselbe aber in diese Wildniß gelangte, erfahren wir vielleicht von ihr selbst. Fürchte Dich also nicht vor ihr, und wenn sie Dich fragt, so antworte offen und ohne Scheu, damit sie sieht, wie viel Du bereits gelernt hast.«

»Ja, ich will,« antwortete Schanhatta, tief aufseufzend, als ob die Aussicht auf eine Zusammenkunft mit einer Weißen ihr Beklemmungen verursacht habe.

Ich konnte nicht umhin, über die unschuldige Einfalt meines Schützlings zu lächeln; die aufmunternden Worte aber, welche ich an sie richten wollte, wurden durch die Fremde abgeschnitten, die Zweiter abwärts aus einer Regenschlucht trat und sich mit eiligen Schlitten näherte.

Wenn die räthselhafte Jägerin schon von der Felswand aus freundliche Theilnahme in mir erweckt hatte, so wurde dieselbe zu einer wohlwollenden Bewunderung gesteigert, als ich sie jetzt in gleicher Höhe mit mir vor mir sah und also einen vollen Anblick ihrer ganzen Gestalt gewann. Nicht ungewöhnlich hoch gewachsen, wenigstens nicht viel über die Mittelgröße hinaus, und auch nicht von auffallender Schönheit, bot sie doch ein so anmuthiges Bild, daß ich sie Stunden lang hätte ungestört betrachten mögen, wenn auch nur, um zu ergründen, in welchem ihrer Reize eigentlich der Zauber verborgen sei, welchen sie auf mich und nicht minder auf Schanhatta ausübte.

Ihre himmelblauen Augen, die in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Mal geweint zu haben schienen, fesselten mich im ersten Augenblick allerdings am meisten; aber wäre die Stirne über denselben nicht so weiß, und die vollen Wangen unter denselben nicht so roth und sonnverbrannt gewesen, hätte die beinah zu kleine Nase nicht einen so eigenthümlichen, etwas nach oben weisenden Schnitt gehabt, und nicht um den hübschen Mund ein so reizendes, schalkhaftes Lachen gespielt; hätten ferner die blendend weißen Zähne nicht so verlockend zwischen den rothen, frischen Lippen hindurchgeschimmert, und wären die halblangen blonden Haare nicht so üppig und nachlässig unter der kleinen Mütze hervorgequollen, die Augen allein hätten es kaum zu bewirken vermocht, daß man immer[19] und immer wieder in das heitere Antlitz schauen mußte und vergeblich zu enträthseln strebte, was dasselbe, trotz seiner nicht klassisch regelmäßigen Formen, so überaus anziehend mache.

Dabei zeigte sich ihr Wuchs als vollkommen tadellos, und ihre Hände waren so zart, daß man sich kaum zu erklären vermochte, vie dieselben die verhältnißmäßig, schwere Waffe zu führen vermochten; und Füße hatte sie so Nein und in den Knöcheln so zierlich abgerundet, daß die perlengestickten Mokassins, welche dieselben umschlossen, selbst meiner in dieser Beziehung so außerordentlich bevorzugten Schanhatta kaum zu groß gewesen waren. Ihr phantastischer Anzug trug natürlich mit dazu bei, ihre Reize in das günstigste Licht zu stellen und daher augenfälliger zu machen, und wenn das Zeug auch bereits verschossen war, und Dornen hin und wieder tüchtige Ausbesserungen nothwendig gemacht Hatten, so konnte man sich doch nichts Wohlkleidenderes denken, als diese willkürliche Zusammenstellung der schottischen Nationaltracht mit den malerischsten Theilen indianischer Ausrüstung.

Am meisten und am wohltuendsten überraschte mich an der jungen Fremden ihre Haltung und Bewegungen, welche so deutlich eine sorgfältige Erziehung verriethen. Auf mich aber machte dies einen um so tiefern Eindruck, weil ich bereits seit Jahren keine Gelegenheit mehr gefunden, freilich auch nicht gesucht hatte, mich in Sphären zu bewegen, in welchen dergleichen heimisch. Mit andern Worten, ich fühlte beim Anblick der anmuthigen, offenbar den höheren Ständen angehörenden Amazone, daß ich den Kreisen, in welchen sie zu leben gewohnt war, mich im Laufe der Zeit unbewußt vollständig entfremdet hatte.

»Mein Vater und meine Brüder weiden sich nicht wenig wundern, mich so unverhofft in guter Gesellschaft zu finden,« begann die junge Jägerin, als sie bis auf wenige Schritte zu mir herangekommen war, indem sie mir treuherzig, wenn auch über das ganze Gesicht schadenfroh lachend, die Hand reichte.

»Ich hoffe, Eure Angehörigen weiden sich nicht um Euch ängstigen,« antwortete ich, die kleine Hand zum Willkomm kräftig drückend; »sollte das aber der Fall sein, meine schöne junge Dame, so würde ich mit Freuden bereit sein, sie aufzusuchen und sie über Euern Verbleib zu, beruhigen.«

»Bemüht Euch nicht,« Herr Hinterwäldler, entgegnete das Mädchen mit einem neckischen Knicks, wodurch sie, wahrscheinlich unabsichtlich, bekundete, daß sie in mir etwas Anderes, als einen verwilderten, vielleicht unter den Indianern aufgewachsenen Biberfänger erblicke, »wenn sie sich etwas ängstigen, so schadet das ihrer zur Bequemlichkeit hinneigenden Constitution nicht viel. Sie können mich aufsuchen, und irre ich nicht, so ist dies derselbe Bach, an welchem unsere Leute mit dem Wagen hinunterziehen sollten; sie müssen also über kurz oder lang bei uns eintreffen.«

»Wer keine Angehörigen mehr besitzt, weiß am besten zu beurtheilen, wie unrecht man handelt, denselben ohne Noth Besorgniß einzuflößen,« versetzte ich ernst, »und in dieser Gegend sind Besorgnisse vollkommen gerechtfertigt. Was meine Ihr, wenn Ihr,[20] statt meiner, hier eine Anzahl eingeborener Krieger gefunden hättet, von denen Ihr ergriffen und mit fortgeschleppt worden wäret, ohne daß die Eurigen jemals eine Ahnung von Eurem Schicksal erhallen hätten?«

Die junge Fremde blickte mich einige Sekunden starr an; ich sah, daß sie erbleichte und dann schnell wieder erröthete. Sie erbleichte, weil sie sich ohne Zweifel die Lage vergegenwärtigte, in welche sie hätte gerathen können; sie erröthete, weil ich mich durch meine wohlgemeinte Warnung als einen mit ihr auf derselben Stufe der Bildung stehenden Mann verrathen hatte und sie in Folge dessen bereute, nur gegenüber so frei aufgetreten zu sein. Ihre Verlegenheit verbarg sie indessen schnell hinter einen schlecht erheuchelten Trotz, und ihre Blicke von mir abwendend, rief sie aus:

»Wenn ich Euch sage, daß ich nicht wünsche, nicht will, daß man meine Angehörigen über meinen Verbleib aufklärt, so sollte Euch das doch wohl genügen. Ist man erst bis in die Nähe des Yellow-Stone-Flusses gelangt, dann kann man schon gar nicht mehr so unerfahren sein, daß man auf Weg und Steg, überall, wohin man! den Fuß nur setzen mag, einen Bruder, Vater oder Vormund zum Schütz bei sich haben müßte.«

»Ganz wie Ihr wollt und befehlt,« entgegnete ich höflich, doch bezweifelte ich nicht, daß sie das Wohlgefallen bemerkte, welches ich nicht allein an ihrer äußeren Erscheinung, sondern auch an ihrem ganzen Wesen und Benehmen fand, »jedenfalls werdet Ihr Euch überzeugt halten, daß Ihr mir herzlich willkommen seid, und gedenke ich, nicht eher von Eurer Seite zu weichen, als bis ich Euch bei Euern Angehörigen in Sicherheit weiß.«

»Mit andern Worten, Ihr wollt mich wie ein kleines Kind behandeln? Ah, ich danke schönstens, Herr Ritter, aber nichts für ungut; Euer freundliches Anerbieten nehme ich an, und hoffentlich wird es nicht lange dauern, bis die Meinigen hier eintreffen. Vor einer Stunde erst verlor ich sie aus den Augen, sie schienen den Windungen dieses Baches zu folgen; aber ich bin durstig, Herr Trapper,« fuhr sie mit einem unbeschreiblich liebenswürdigen, zutraulichen Wesen fort, »kann ich durch Eure Güte nicht einen Trunk erhalten, ohne daß ich mich selbst an den Bach hinab bemühe?«

»Gern, gewiß sehr gern,« versetzte ich, erfreut darüber, daß sie überhaupt irgend etwas von mir verlangte, und dann mich Schanhatta zuwendend, welche leise davongeschlichen war und eben eine Decke als Schlußstein über das luftige, von ihr errichtete Obdach ausbreitete, forderte ich sie auf, mir die Kürbisflasche zu reichen.

Wie der Wind eilte die Indianerin herbei, und indem sie mir die Flasche darbot, betrachtete sie jetzt aus nächster Nähe unfern Gast mit schüchterner Bewunderung.

»Welch liebliches Geschöpf,« bemerkte die junge Fremde, nachdem sie sich erfrischt hatte, mir die Flasche zurückgebend; »diese Augen, dieses prachtvolle Haar, in der That der erste Lockenkopf, den ich unter den Eingeborenen finde.«

»Macht mir das Kind nicht eitel, mein schönes[21] Fräulein,« bemerkte ich, in Gedanken einen Vergleich zwischen den beiden anmuthigen Wesen anstellend, die, jedes in seiner Art von der Natur in so hohem Grabe bevorzugt, so seltsam zu einander contrastirten; »Schanhatta versteht jedes Wort, sie ist eine arme, von aller Welt verlassene Waise, die ich an Kindes Statt angenommen habe.«

»Also eine Waise?« fragte die Freunde mit einer so innigen Theilnahme, wie ich bei ihrer heiteren, sorglosen Gemüthsstimmung kaum erwartet hätte, und zugleich bot sie Schanhatta die Hand zum Gruß.

»Keine Waise,« antwortete Schanhatta, mit den großen, schwermüthigen Augen auf mich deutend, »schöne bleiche Frau, er ist mir Vater, Mutter, Bruder, ich lebe durch ihn.«

»Solch liebes, dankbares Kind,« sprach die Fremde kaum verständlich vor sich hin.

»Die Hütte ist fertig, die Strahlen der Sonne berühren den Boden in derselben nicht mehr,« versetzte Schanhatta, welche den Sinn der von der Fremden geäußerten Worte nicht verstauben hatte.

»Und so gelehrig und so anstellig,« fügte ich lobend hinzu, »beschämt mich doch meine Tochter in der Ausübung der Gastfreundschaft, indem sie Euch einladet, in der Laube Schutz gegen die Sonnengluth zu suchen. Ich kann daher nur die Einladung wiederholen und Euch bitten, meine mehr, als einfache Häuslichkeit vollständig als die Eurige zu betrachten und Euch in deren Schatten zurückzuziehen.«

Einen Augenblick sann die junge Jägerin nach. »Gut, mein Herr,« sagte sie sodann heiter, jedoch zurückhaltender, als sie bisher gewesen, und mit dem Anstände einer durchaus gebildeten Dame, »Eure Einladung nehme ich mit herzlichem Dank an, und ich kann ja auch in der That nichts Verständigeres thun, als die Meinigen hier ruhig erwarten. Hoffentlich leistet Ihr mir Gesellschaft und beschirmt mich zugleich, bis zur Ankunft meines Vaters, gegen meinen schrecklichsten und verhaßtesten Feind, die Langeweile.« So sprechend schritt sie nach der Laube hin, in welcher Schanhatta eine Decke auf den Rasen ausgebreitet hatte, und nachdem sie Jagdtasche und Büchse abgelegt, ließ sie sich mit einer unnachahmlichen Grazie im Schatten des grünen Laubdaches nieder.

Schanhatta war unterdessen wieder an das Küchenfeuer zurückgeeilt, wo sie sich mit der Zubereitung unserer Mahlzeit beschäftigte, und da meine Pferde in geringer Entfernung unter meinen Augen weideten, ich außerdem eine Gesellschaft weißer Menschen in der Nähe wußte, so warf ich mich im Ausgang der Laube ebenfalls auf den Rasen, um mich endlich wieder einmal dem mir fremd gewordenen Genuß einer Unterhaltung mit einer gebildeten, offenbar den höheren Stauden angehörenden Dame hinzugeben.

War es nun eben meiner langjährigen Abwesenheit aus der civilisirten Welt zuzuschreiben, oder besaß mein junger Gast wirklich einen so außerordentlichen Zauber, oder vereinigte sich Beides doppelt wirkend, ich suchte dies nicht zu ergründen; aber als ich der anmuthigen Fremden so zu Füßen lag, ihr in die lebhaften, fröhlichen Augen schaute, ihre gewählte Sprache vernahm und ihren an Tollkühnheit grenzenden Muth und ihren unerschütterlichen Frohsinn bewunderte, da war mir, als hätte ich doch[22] nicht recht gehandelt, mich für die ganze Lebenszeit in der unwirthlichen Wildniß so vollständig abzuschließen. Träume und Visionen, wunderbar schön und verlockend, so wie sie mich in meinen jungen, Jahren wohl zu umgaukeln pflegten, aber frühzeitig mit meiner entschlafenen Johanna zu Grabe getragen wurden, begannen in nebelhafter Ferne vor meinem Geiste aufzutauchen, die vor mir so vertrauensvoll rastende Fremde mit den holdesten Reizen zu schmücken und mein Herz wie mit neuer Lebenswärme zu durchströmen.

»Ein glänzendes Meteor, welches auf Augenblicke meinen stillen, einfarbigen Lebenshimmel erhellt, um demnächst spurlos in unbegrenzten Räumen zu verschwinden,« dachte ich gleich darauf, als ich gewahrte, daß der Jägerin theilnahmvolle Blicke verstohlen auf mir geruht hatten und schnell wieder, als hätten sie einen Fehler begangen, in eine andere Richtung schweiften. »Doch des Glanzes des flüchtigen Gestirns will ich mich, so lange es mir vergönnt ist, nach besten Kräften erfreuen,« tröstete ich mich dann, und einen Seufzer unterdrückend versuchte ich es, in die Heiterkeit einzustimmen, welche mir so aufmunternd aus den schönen blauen Augen entgegenstrahlte.

»Hätte mir gestern Jemand versichert, daß mir heute der Besuch einer liebenswürdigen jungen Dame bevorstände, einer Dame, deren zarte Finger mehr für die Tasten eines Klaviers und die mit Goldschnitt gezierten Blätter eines Dichterschatzes, als für den Kolbenhals einer Flinte bestimmt zu sein scheinen, so würde ich es schwerlich geglaubt haben,« eröffnete ich die Unterhaltung, nachdem ich so lange gewartet, bis die Fremde die Mütze von ihrem Haupte entfernt und durch ein kurzes Schütteln die über ihre erhitzte, aber schneeweiße Stirne gesunkenen Haare zurückgeschleudert hatte; »ja, wie ich Euch so vor mir sehe, er scheint es mir fast wie ein Wunder, und die rauhen Sitten des ›Feinen Westens‹ entschuldigen es wohl, wenn ich offen frage, was Euch aus den glänzenden Cirkeln, in welchen Ihr Euch unstreitig Euer ganzes Leben hindurch beweget, bis hierher geführt haben kann?«

»Die rauben Sitten des Fernen Westens sind doch immer noch nicht rauh genug, daß ein Biberfänger darüber vergessen hätte, einer wilden umherstreifenden Abenteurerin die allerschönsten und unverdientesten Complimente zu sagen,« lautete die mit lachendem Munde gegebene Antwort, »und dabei fragt Ihr so unbefangen, was mich hierher getrieben habe? Hab, aha! als ob ein junges Mädchen – Ihr bezweifelt hoffentlich nicht, daß die Jahre des Ernstes und der Gesetztheit noch in ziemlicher Ferne vor mir liegen – keine Geheimnisse besitzen dürfte! Zuerst sagt Ihr mir, Herr Ritter von der Büchse und Stahlfalle, was Euch von Eurem fernen Heimathlande bis hierher verschlagen hat, und dann will auch ich Euch gnädiglichst Auskunft ertheilen; denn ehrlich gestanden, Ihr scheint mir ebensowenig für den Stand eines Trappers geboren und erzogen zu sein, wie meine bescheidene Wenigkeit.«

»Meine Vergangenheit bietet zu wenig Lichtpunkte,« entgegnete ich plötzlich ernst gestimmt, »als daß deren Schilderung viel zur Unterhaltung eines glücklichen, heiteren Gemuthes beitragen könnte. Erlaßt[23] mir daher, derselben ausführlich Erwähnung zu thun, und begnügt Euch damit, zu wissen, daß ich keine Heimath besitze, es sei denn, Ihr laßt Euch herbei, den schmalen Landstreifen zwischen dem Missouri und den Küsten der Südsee meine Heimath zu nennen.«

»Ah, so leichten Kaufes entschlüpft Ihr mir nicht, wenn ich nicht ebenso zurückhaltend sein soll! Erzählt also mit hinterwäldlerischer Redefreiheit, und je rührender die Geschichte, um so angenehmer; und wenn ich meine bittern Thränen dabei vergieße, bringe ich Euch meinen besten Dank dafür dar. Ihr müßt nämlich wissen, daß Thränen meinen Augen so fremd sind, wie den Augen eines fürchterlichen Aligators, und daß eine ungeheure Masse von gebrochenen Herzen, Selbstmorden und Trennungen auf Ewig dazu gehört, mich zum Weinen zu bringen.«

Verwundert schaute ich in die schalkhaft lachenden Augen; etwas von Dem, was ich bei den muthwilligen Aeußerungen der lieblichen Amazone fühlte, mußte sich in meinen Blicken verrathen. Es entging mir wenigstens nicht, daß sie sich Zwang anthat, ihre ausgelassene Miene beizubehalten, augenscheinlich, um mich nicht merken zu lassen, daß sie ihre unüberlegten Worte bereue. Mein Schweigen und der forschende Blick, welchen ich auf sie warf, vergrößerten ihre Verwirrung, und ich gewahrte zu meiner innigsten Freude, daß ihre Wangen sich höher färbten. Sie wollte indessen nicht als besiegt erscheinen, denn nachdem sie ihr Haupt geschüttelt, daß die blonden Haare ihr auf Augenblicke das Antlitz verschleierten, rief sie lachend aus:

»Nur immer heraus mit der Sprache! Geschichte gegen Geschichte. Zuerst sprechen Ihro edle Trapperschaft, und demnächst kommt die Reihe an die hochachtbare Jungfrau, die ihrem Vater in ihrem kurzen Leben schon so viel Aerger verursacht hat, daß er an der Hälfte mehr wie zum Ueberfluß gehabt hatte!«

»Aber wie, wenn ich, um ausführlich zu sein, in der That Gräber öffnen müßte, in welche einst ein ganzes Lebensglück gesenkt wurde?« fragte ich ernst.

»Dann nicht, dann nicht,« versetzte die Fremde hastig, indem sie mir die Hand bot, und ich glaubte zu bemerken, daß sie eine Thräne zurückdrängte, welche ihr wahrscheinlich der Ausdruck, mit welchem ich sprach, in die Augen getrieben hatte. »Nein, dann nicht,« wiederholte sie gleich darauf wieder in ihrer alten ausgelassenen Weise, »dergleichen Geständnisse eignen sich nur für das Ohr einer Schwester; da wir aber nicht Schwester und Bruder sind, auch wohl schwerlich lange genug zusammen bleiben werden, um in ein solches Verhältniß zu einander zu treten, da wir ferner nicht die Verpflichtung haben, uns gegenseitig das Her; schwer zu machen, sondern so glücklich und froh zu sein, wie es nur irgend in der Macht eines Sterblichen liegt und wie es unsere heitere, lustige, sonnige, blumige, wilde, friedliche und wer weiß was sonst noch für eine Umgebung erheischt, so sei Euch die Beichte erlassen. Ich dagegen will mich beeilen, so schnell als möglich Eure mich betreffende Frage in tiefster Devotion zu beantworten. Randbemerkung: ich halte Euch für einen verkappten Gentleman und nicht für einen fluchenden, schwörenden, rohes Fleisch essenden, unempfindlichen Hinterwäldler, also für einen[24] Herrn von Discretion, vor dem ich furchtlos mein ganzes Herz ausschütten darf.«

»Nun ist die Reihe zu danken an mir,« entgegnete ich jetzt ebenfalls wieder heiler, denn der Uebermuth meines holden Gastes hatte seinen Einfluß auf meine Stimmung nicht verfehlt, »und ich verspreche Euch, Ihr sollt Euch nicht in mir getäuscht haben; eh' Ihr indessen beginnt, gestattet mir, in gleicher unumwundener Weise zu offenbaren, für was ich Euch halte, wenn auch nur, um Euch Gelegenheit zu geben, meine Menschenkenntniß und Beobachtungsgabe zu bewundern.«

»Zugestanden unter der Bedingung, daß Ihr mich mit den alltäglichen Floskeln, als die Schönste ihres Geschlechtes, die Edelste, die Beste u.s.w., verschont,« versetzte die Fremde, indem sie mir näher rückte und ihr Haupt auf ihre Hände stützend, mir mit komischer Spannung in die Augen schaute.

»Zugestanden,« erwiderte ich in demselben Tone, worauf ich begann:

»Euch jederzeit das Recht einräumend, meine schöne, ich wollte sagen: verehrte junge Dame, mich zu unterbrechen und meine Angaben zu berichtigen, fange ich mit Eurem Namen an. Ihr müßt, in der Taufe unbedingt Diana genannt worden sein.«

»Falsch, mein edler Ritter von Büchse, Messer und Bibelfallen,« unterbrach mich das Mädchen mit bezauberndem Pathos, »mein Name ist irdischerer Natur, ich heiße Katharine, oder vielmehr Kate Dalefield, erfreue mich also eines Namens, den ich noch nie von einem Deutschen richtig aussprechen hörte.«

»Gut, dann habe ich mich geirrt. Also Miß Kate Dalefield, ich halte Euch für einen der liebenswürdigsten Haus – «

»Halt! ganz gegen die Abrede!« unterbrach mich Kate wiederum.

»Ich bitte um Verzeihung, das Wort liebenswürdig befand sich nicht in der Reihe der verbotenen Bezeichnungen – also für einen der liebenswürdigsten kleinen Tyrannen, die jemals ihre Hausgenossen durch eine unverwüstlich heitere Laune zur Verzweiflung brachten.«

»Ihr könntet nicht so ganz unrecht haben,« versetzte Kate mit einem reizenden, halb verhaltenen Lächeln.

»Wohlan, im Anfall einer solchen heiteren Laune habt Ihr eines Tages erklärt, unter allen Umständen den wilden Westen bereisen zu wollen,« fuhr ich fort, »und da mußten denn Vater, Mutter, Brüder, Verwandte und Bekannte Alles aufbieten, den Wunsch ihres liebenswürdigen Haustyrannen zu erfüllen, wenn sie in ihrem Leben überhaupt noch eine ruhige Stunde haben wollten.«

Um Kate's rothe, etwas emporgekräuselte Lippen spielte ein neckisches, schadenfrohes Lächeln, doch unterbrach sie mich nicht und ich fuhr fort:

»Man entschloß sich also, dem allgemeinen Lieblinge den Willen zu thun; die liebenswürdige Tochter des Hauses übte sich noch eine Zeit lang in männlichen Künsten, welche das Leben in der Wildniß erleichtern, als da sind: Schießen, Reiten, Laufen, Springen, Hungern, Dursten –«

»Behüte der Himmel, daß ich zu Hause auch nur ein einziges Mal gehungert oder gedurstet hätte!« rief Kate hier wieder mit erheucheltem Abscheu[25] dazwischen, »nein, nein, so weit bin ich denn doch nicht gegangen. Allerdings trifft Manches zu, was Ihr mit wunderbarem Scharfsinn aus meinem Aeußern herauszulesen vorgebt, aber doch nicht Alles; und so halte ich es denn für am besten, wenn ich Euch den wahren Sachverhalt mit wenigen Worten erkläre. Haustyrann bin ich, das ist wahr, wozu wäre ich auch sonst wohl die einzige Tochter unter vier gerade nicht allzu zarten Brüdern? Die Rocky Mountains und die Prairien wünschte ich zu sehen; auch das hat seine vollständige Nichtigkeit. Nicht richtig aber ist, daß ich vor unserm Aufbruch erst Schießen, Reiten und Fechten gelernt haben soll. Ich hätte nicht vier Brüder besitzen müssen, um nicht schon in meinem zwölften Jahre mit dem eisten besten Farmerburschen um die Wette zu reiten und zu jagen. Nicht richtig ist ferner, daß die Reise einzig um meinetwillen unternommen wurde. Mein Vater, ein Offizier außer Diensten, hat wichtige Geschäfte auf Fort Union, wo eine Vereinigte-Staaten-Besatzung steht, und da er noch rüstig ist, seine zwei Söhne ihm aber Tag und Nacht zuredeten, – die andern beiden sind bereits in die Armee eingetreten, – so entschloß er sich endlich dazu, die Fahrt nach dem bezeichneten Posten anzutreten. Daß ich mich nicht willig finden ließ, allein zurück-, zubleiben, versteht sich von selbst; tausend Pferde hätten mich nicht zu halten vermocht; und daß ich alle Ursache hatte, mich der Expedition anzuschließen, habe ich zur Genüge bewiesen, denn in den zwei Monaten, die wir uns bereits unterwegs befinden, bin ich noch von Keinem unserer ganzen Gesellschaft im Aushalten von Beschwerden und im Jagdeifer übertroffen worden. Innerhalb einiger Wochen werden wir unser Ziel erreichen, und nach kurzem Aufenthalt daselbst begeben wir uns nach St. Joseph zurück, von wo aus wir unsere Reise den Missouri hinunter zu Dampfschiff weiter fortsetzen. So, mein Herr, nun wißt Ihr Alles, was zu wissen Ihr nur immer wünschen könnt, und hier kommt Cure Pflegetochter, um, wenn ich nicht irre, uns zur Mittagstafel einzuladen.«

Ueberrascht sah ich mich um; ich hatte Schanhatta nicht kommen hören; einestheils zeichnete sie sich stets durch einen außerordentlich geräuschlosen Gang aus, anderntheils fesselte mich auch Wohl die von Jugendmuth und Lebenslust sprühende junge Abenteurerin zu sehr, als daß ich noch sonderlich Lust verspürt hätte, auf meine Umgebung zu achten. Noch mehr aber überraschte es mich, zu gewahren, daß die Indianerin jetzt einen ganz, andern Ausdruck zur Schau trug, als bei ihrem ersten Zusammentreffen mit der Fremden. Eine gewisse Schüchternheit sprach zwar noch immer aus ihren sammetweichen Zügen, doch trat diese weit hinter den freudigen Stolz zurück, der aus ihren sonst so sanften Augen leuchtete, als sie bald unfern Gast, bald mich aufmerksam betrachtete, und welchen sie, wie es mir schien, über unser gutes Einvernehmen empfand.

»Die bleiche, schöne Frau war durstig und sie hat getrunken; die bleiche, schöne Frau mit den Himmelsaugen ist hungrig, dort steht Fleisch, gesottenes und geröstetes, und etwas Brod und Kaffee,« sagte Schanhatta mit ihrer tiefen, melodischen Stimme zu Kate Dalefield, indem sie nach dem Feuer hinüber wies. »Sieh doch an, Schanhatta,« rief ich scherzend[26] aus, »klingt es doch fast, als ob ich das leere Nachsehen haben sollte!«

Schanhatta blickte mich mit einer rührenden Verwirrung an, sie glaubte wirklich ein Versehen begangen zu haben. »Schanhatta gehört ihrem Herrn,« sagte sie sodann leise, »und wo sie ihren Fuß hinstellt, ist er der Gebieter.«

»Aber Ihr erschreckt ja das liebe Kind,« versetzte Kate emporspringend und ihren Arm durch den Schanhatta's ziehend, »komm, meine liebe braune Schwester, ich bin sehr hungrig und deshalb sehr froh, daß Du mir etwas zu essen geben willst.«

Wiederum erfüllte es mich mit Verwunderung, daß sie, die kurz vorher noch mit so wenig Rücksicht von meinem Schützling sprach, sich zu solcher Zärtlichkeit zu dem braunen Mädchen hinreißen ließ. Unter dem ewig tändelnden und lachenden Aeußern waren indessen ein tiefes. Gemüth und ein hoher Grad edler Aufrichtigkeit verborgen, die eben nur des geringsten Anstoßes bedürften, um sich sogleich mit überwiegender Gewalt geltend zu machen, ihr Wohlgefallen an Scherz und heitern Neckereien dagegen gleichsam zu übertäuben.

Mit doppelter Freude beobachtete ich daher die beiden jungen Mädchen, wie sie, als wären sie durch die innigsten Banden der Liebe an einander gefesselt gewesen, vor mir herschritten. Sie sprachen nicht, aber in Schanhatta's aufrechter Haltung prägte sich der ganze Stolz aus, den sie darüber empfand, von einem unbekannten weißen Mädchen so liebevoll behandelt zu werden, während Kate mit sichtbarer Bewunderung die Indianerin heimlich von der Seite betrachtete und sich augenscheinlich an dem Anblick von deren selten schönem Profil weidete.

Vor dem Feuer ließ Kate sich nieder, ich nahm ihr gegenüber Platz, und mit einer Aengstlichkeit, welche uns manch verstohlenes Lächeln entlockte, bewegte die junge Mandanenwaise sich zwischen uns hin und her, sorgsam darüber wachend, daß wir stets mit den zartesten Theilen des dampfenden Hirschrückens versehen waren.

»Wie außerordentlich schön und Wohlgestalten ist Eure junge Gefährtin,« bemerkte Miß Dalefield, als nach Beendigung unserer Mahlzeit Schanhatta zu dem Bach hinabstieg, um einen frischen Trunk herbeizuholen, »und dabei so verständig, als ob sie, wer weiß wie lange, in civilisirten Gegenden zugebracht hätte.«

»Die arme Waise, die Letzte der Mandanen, wie sie sich gern nennen hört, bereitet mir viel Freude,« entgegnete ich, sogleich auf die Unterhaltung eingehend, »und ich sehe es als ein großes Glück an, daß es gerade mir beschieden war, sie zu finden. Abgesehen davon, daß es für sie, bei ihrer außergewöhnlichen Begabung, ein Segen ist, auf den Pfaden der Gesittung immer weiter geführt zu werden, schöpfe ich, auch selbst aus ihrer Gesellschaft und aus den sie belehrenden und aufklärenden Gesprächen gar manche wirklich schöne, den Geist anregende Unterhaltung. In Gedanken vergleiche ich sie oft mit einem Buche, dessen Inhalt edel, obwohl nicht Jedermann verständlich. Doch liegt vor mir ihr kindlich reines Gemüth, wie ein aufgeschlagenes Buch da, auf dessen jeder einzelnen Seite deutlich geschrieben steht, wie die Lehren der Vernunft, hervorgegangen aus tausendjährigen Erfahrungen, allmälig die angeborenen Mängel und falschen[27] Begriffe besiegen, wie sich der ungeschulte, schüchtern über die Grenzen seines Wissens hinausblickende Geist mehr und mehr zu Elfteren hinneigt und sich fester an dieselben anlehnt. Leider muß ich mich nur zu bald von meinem Liebling trennen, denn ließe ich mein begonnenes Werk halb beendigt, so würde sie dadurch um so unglücklicher werden.«

»Da kommt sie schon, ich würde Euch sonst gebeten haben, mir Einiges über ihre Vergangenheit mitzutheilen,« versetzte Kate, als Schanhatta eben wieder über dem Ufer erschien; »diesmal aber ist es nicht Neugierde, was mich plagt.« setzte sie mit ihrem reizendsten schalkhaften Lächeln hinzu, »sondern die aufrichtigste Theilnahme mit dem freundlichen und dabei so bescheidenen, ich möchte sagen, ergebenen Mädchen. Schon ihre sanften melancholischen Augen, wenn man in dieselben hineinblickt, scheinen ein stummes und doch so beredtes Flehen um eine milde und nachsichtige Beurtheilung zu enthalten.«

»Gern erzähle ich Euch Schanhatta's Geschichte, und daß sie selbst zugegen ist, hindert am wenigsten daran,« antwortete ich, meinen Schützling bedeutend, sich zu uns zu sehen, sie hört ihre Lebensgeschichte nicht zum ersten Male aus meinem Munde; ich mache ihr sogar eine Freude damit und ich glaube, mit der Schilderung der Rettung »der Letzten der Mandanen vermöchte ich sie vom Tode zu erwecken.«

Während nun die Blicke der beiden so scharf zu einander contrastirenden Mädchen mit gleicher Spannung auf mir ruhten, beschrieb ich ausführlich, wie Schanhatta zu mir gekommen und durch mein zufälliges Eintreffen vor einem schrecklichen Untergänge bewahrt worden war. Doch wenn die Erzählung meine Zuhörerinnen in hohem Grade fesselte, so ergötzte es mich gewiß nicht minder, zu beobachten, wie ihre Gefühle sich wieder auf so verschiedene Weise äußerten. Schanhatta's Mienen blieben ernst, nur ein tiefer Zug von Melancholie verrieth, wie sehr sie durch die Erinnerung ergriffen wurde; sie hörte mir zu, wie etwa ein Kind dem von der Mutter vorgetragenen Märchen lauscht, regungslos und mit verhaltenem Athem. Miß Dalefield dagegen zeigte auf ihrem Antlitz einen beständigen Wechsel der Gefühle, welche gerade ihre Brust bewegten. Bald lächelte sie neckisch, bald sprach tiefes Mitleid aus ihren Augen, und bald blickte sie sogar ganz zur Seite, um heimlich eine Thräne zu trocknen, bei welcher Gelegenheit ich ihr jedesmal den Gefallen erwies, ebenfalls in eine andere Richtung zu schauen, um ihr nicht die Ueberzeugung zu rauben, daß ich sie wirklich für ein weibliches Wesen halte, dessen Augen, wie sie mir ja versichert hatte, Thränen etwas Fremdes, Unerhörtes seien.

Ich sah nach einer andern Richtung, aber ihre Thränen hatte ich bemerkt. Ich hatte bemerkt, daß sie ein Herz besaß, so weich, so voll edlen Mitgefühls, daß ich sie mit aller mir zu Gebote stehenden Beredsamkeit hatte bitten mögen, meine Schwester sein zu wollen, um ihr Alles mittheilen zu dürfen, was mein früheres Leben betraf und was ihr mitzutheilen ich mich beim ersten Beginn unserer Bekanntschaft, getäuscht durch ihr ganzes Auftreten, so standhaft weigerte. O, wie tröstend und wohlthuend wäre mir der Anblick von Thränen gewesen, welche sie vielleicht der Erinnerung an meine herben Lebenserfahrungen[28] geweiht hätte? Seltsam, es war das erste Mal, daß ich die Neigung empfand, vor fremden Ohren meiner sonst so störrisch in meiner Brust verschlossen gehaltenen Vergangenheit zu gedenken!

Eben sprach ich davon, im Herbst, nach beendigter Jagd wieder mein bekanntes Winterquartier aufsuchen und beim Eintritt des Frühlings Schanhatta endlich auf einer mir geeignet scheinenden Mission unterbringen zu wollen, als ich durch das Getrappel von Pferden unterbrochen wurde. Die Pferde selbst waren nicht sichtbar; sie befanden sich noch hinter der nächsten Biegung des hohen Thalufers. Da indessen das Geräusch aus einer Richtung zu uns herüberschallte, aus welcher Miß Dalefield die Ihrigen erwartete, so wurden wir dadurch nicht weiter beunruhigt, doch blickten wir gespannt nach dem Vorsprung hin, hinter welchem hervor die Reiter erscheinen mußten.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 15-29.
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