Fünftes Capitel.

Die Ueberfahrt.

[97] Die Strecke bis an den Missouri, auf welcher ich auf der Hinreise der Jagd halber beinahe zwei Wochen zugebracht hatte, legten wir in drei starken Märschen zurück, ohne auf irgend welche Anzeichen von der Nähe feindlicher Indianer zu stoßen.

Meine Begleiter, sogar die meine Ansichten stets mit holdem Eifer unterstützende Kate, neigten in Folge dessen zu der Ueberzeugung hin, daß die Blackfoot-Indianer es aufgegeben hätten, uns weiter zu verfolgen, doch ließ ich mich dadurch nicht in meiner Handlungsweise bestimmen. Wir brachen auf, sobald die Nacht sich auf die Landschaft gesenkt hatte, und nicht eher hielten wir nach Sonnenaufgang auf unserm verschärften Marsch an, als bis uns entweder die Erschöpfung der Thiere dazu zwang, oder wir auch eine geeignete Lagerstelle mit weitem Ueberblick und andern, einer nachdrücklichen Vertheidigung günstigen Eigenschaften entdeckten.

Ungefähr drei oder vier Meilen befanden wir uns noch von dem Missouri entfernt, als am dritten Morgen unserer Reise die aufgehende Sonne die über den feuchten Niederungen schwebenden Nebelstreifen zu zertheilen begann. Unsere Thiere waren zwar ermüdet, doch wurde mein Vorschlag: nicht eher zu rasten, als bis wir die gelben Fluthen des Missouri vor uns sehen würden, von allen Seiten bereitwillig angenommen.

Ich lenkte daher aus dem Thal des Flüßchens, welches so lange unser Begleiter gewesen, nördlich hinaus, um den von den beiden Gewässern gebildeten Winkel abzuschneiden und einen beträchtlichen Umweg zu ersparen.

Der Weg erwies sich in dieser Richtung zwar reicher an Hindernissen, indem, je näher der großen westlichen Wasserader, um so tiefere Schluchten den Boden durchfurchten, doch waren diese Hemmnisse nicht der Art, daß sie nicht von Pferd und Wagen hätten überwunden werden können, und schnell rückten wir den hohen Baumkronen näher, welche, die Thaleinfassung des Stromes überragend, unser nächstes Ziel kennzeichneten.

Wir waren wieder einmal auf dem schlössen aber nachgiebigen Abhange einer Regenschlucht hinabgezogen, als Schanhatta und ich, die wir der übrigen Gesellschaft eine kurze Strecke voraus ritten, plötzlich wie auf ein verabredetes Zeichen halten blieben und den Boden vor uns aufmerksam betrachteten.

In der nächsten Minute hielten Dalefield, Kate und deren beide Brüder neben mir, ihre überraschten Blicke bald fragend auf mich, bald auf eine größere Anzahl von Mokassin-Spuren gerichtet, welche auf dem Boden der Schlucht im Sande deutlich und tief ausgeprägt waren.[97]

»Ihr seht, meine Freunde, wie recht ich hatte, zur Vorsicht zu mahnen,« hob ich an, denn den wahren Sachverhalt zu verheimlichen, oder über die Größe der Gefahr täuschen zu wollen, wäre nicht nur nutzlos, sondern auch unverständig gewesen, »trotz unserer Eile sind uns die Räuber zuvorgekommen.«

»Sind dies wirklich die Spuren von Blackbird's Genossen?« fragte Dalefield, einen besorgten Blick auf seine Tochter werfend.

»Ohne Zweifel,« gab ich zur Antwort, »fragt nur Schanhatta; ein Kind vermag mit Leichtigkeit den Schnitt eines Blackfoot-Mokassins von dem eines Ponka- oder Pawnee-Halbstiefels zu unterscheiden. Sie hatten den Vortheil, ihren Weg in gerader Richtung wählen zu können, während wir des Wagens wegen gezwungen waren, uns größtentheils in dem gewundenen Thale des Flüßchens zu halten.«

»Der Wagen, der unselige Wagen, hätten wir ihn doch längst zurückgelassen,« bemerkte Dalefield, rathlos um sich schauend, »nehmen wir wenigstens jetzt noch die unentbehrlichsten Gegenstände aus demselben heraus und lassen wir ihn hier stehen.«

»Unter keiner Bedingung,« versetzte ich entschieden, denn es leuchtete Plötzlich in meinem Geiste auf, daß wir den Wagen möglichen Falls gerade zu unserer Rettung gebrauchen würden, »es hängt jetzt Alles davon ab, unsere Feinde im Ungewissen darüber zu erhalten, daß wir sie überhaupt entdeckten. So überlegen sie uns auch an Zahl sein mögen, so scheuen sie doch einen offenen Angriff. Sie sind zu hinterlistig, als daß sie sich den Kugeln unserer Büchsen aussetzen möchten. Fürchteten sie nicht, einige aus ihrer Mitte zu verlieren, so würden sie uns längst am hellen Tage angegriffen haben. Sie wollten unsere Wachsamkeit einschläfern, aber verlaßt Euch darauf, in der ersten Nacht, in welcher wir wieder ein regelmäßiges Lager beziehen, steht ein Ueberfall zu erwarten.«

»Und was ist zunächst Euer Rath?« fragte Dalefield, während die Blicke Aller, selbst die der sonst so sorglosen Kate mit ängstlicher Spannung an meinen Lippen hingen.

»Zunächst rathe und bitte ich darum, daß meinen Anordnungen auf das Pünktlichste Folge geleistet wird und Alle dicht zusammenbleiben, ohne indessen durch Benehmen oder ängstliches Schweigen ungewöhnliche Besorgnisse zu offenbaren. Wir müssen unsere Reise fortsetzen, als ob die verdächtigen Spuren gar nicht vorhanden waren, als ob wir überhaupt von keinem Menschen in der Welt bedroht werden könnten. Vermag ich auch nicht zu versprechen, daß es mir gelingt, einem feindlichen Zusammenstoß gänzlich vorzubeugen, so versichere ich doch heilig und fest, daß ich wohl fühle, welche Verantwortlichkeit ich übernehme und ich mein Möglichstes ausbieten werde, ohne einen Schuß mit ihnen zu wechseln, an unseren Feinden vorbeizuschlüpfen. Uebrigens befinden wir uns glücklicher Weise auf einem der mir am bekanntesten Jagdgründe.« fügte ich aufmunternd hinzu, »unsere Lage ist also nicht so bedenklich, wie man bei einem oberflächlichen Hinblick anzunehmen geneigt sein dürft?«

Als ich geendigt, lenkte Einer nach dem Andern sein Pferd zu mir heran, um mir durch einen herzlichen[98] Händedruck sein vollstes Vertrauen zu erkennen zu geben, und nachdem Dalefield sodann seinen Leuten ihr Verhalten vorgeschrieben, Kate mir dagegen einen innigen dankenden Blick zugeworfen, setzte ich mich wieder an die Spitze des Zuges. Anstatt, wie ursprünglich meine Absicht gewesen, die Schlucht zu verlassen und über den nächsten Streifen Hochland fortzuziehen, folgte ich in der Schlucht selbst den Spuren der Indianer nach. Wie ich erwartete, führten dieselben schon nach einigen Hunden Schritten nach dem nördlichen Abhange hinauf. Die Grashalme, welche die daselbst Gewanderten niedergetreten hatten, waren vom Thau beschwert, dagegen hatte die Sinne des vorhergehenden Tages den aufgewühlten feuchten Sand noch nickt getrocknet. Die muthmaßlichen Räuber konnten daher nur in der ersten Hälfte der Nacht dort hinauf gegangen sein und befanden sich zur Zeit wahrscheinlich in dem Versteck, von welchem aus sie uns in der nächsten Nacht zu überfallen gedachten.

Nicht genug, daß wir an der Stelle, wo die Spuren auf unserem Wege ihr Ende erreichten, vorüberzogen, bog ich auch noch da, wo die Schlucht sich theilte, in die mehr gegen Süden führende Verlängerung ein. Ich legte dadurch nicht nur einen größeren Flächenraum zwischen miß und unsere Verfolger, sondern diese mußten auch, wenn sie uns im Thal des Missouri eintreffen sahen, die Ueberzeugung gewinnen, daß wir eben so wenig ihre Spuren gekreuzt, wie überhaupt eine Ahnung von ihrer Nähe erhalten hätten.

Eine weitere halbe Stunde brachte uns endlich in das Thal des Missouri selbst. Dasselbe lag in gleicher Höhe mit dem Boden der von allen Seiten ausmündenden Schluchten, so daß die Abhänge der hochgelegenen Prairie, wie ein zusammenhängender Hügelzug die Einfassung des Thales bildeten. Eine lichte Waldung von Pappelweiden jeglichen Alters und in jedem Stadium der Verwesung, und dazwischen verworrenes Weidengestrüpp und wild verschlungene Rankengewächse, trennten uns noch von dem Strome; da der Boden aber, in Folge der vielfachen Überschwemmungen sehr eben war, so kostete es keine große Anstrengungen, für unsere kleine Karavane Bahn zu brechen, und nach Verlauf einer andern halben Stunde stiegen wir auf dem Ufer des Missouri von unfern Pferden.

Der Fluß war hier ungewöhnlich breit, doch wurde die heftige Strömung durch eine kleine Insel in zwei Hauptarme getheilt, von welchen der eine dicht vor uns am Ufer brausend entlang schäumte, während der andere, so weit sich erkennen ließ, weniger gewaltig, ziemlich die Mitte zwischen der Insel und dem jenseitigen Ufer hielt.

Die Insel, ursprünglich aus gestrandetem Treibholz gebildet, hatte dem Sand führenden Wasser Gelegenheit geboten, hinter derselben feine schwereren Bestandtheile abzusetzen und den über den Fluthen auftauchenden trockenen Flächenraum bis auf mehrere hundert Quadratruthen zu vergrößern. Die noch lebenskräftigen verschlammten Bäume hatten sodann ihre jungen Schößlinge nach oben gesendet, andern Samen hatten die Fluthen und die Vögel herbeigetragen, und so war denn allmälig ein kleines Dickicht[99] entstanden, welches auf drei Seiten bis in das seichte Nasser hineinreichte, und nur auf der der Strömung zugekehrten Seite durch eine mächtige Anhäufung von gebleichten Treibholzstämmen von dem Wasserspiegel getrennt wurde.

Auf diese winzige Insel setzte ich meine ganze Hoffnung, und um sie zu meinen Zwecken benutzen zu können, zogen wir nach unserer Ankunft auf dem Ufer noch so weit stromaufwärts, daß die Insel ungefähr dreihundert Schritte weit hinter uns lag.

Unter einer Gruppe schattiger Bäume wurden alsbald die Zelte aufgeschlagen, überhaupt alle diejenigen Einrichtungen getroffen, welche auf einen Aufenthalt von wenigstens vierundzwanzig Stunden beuteten. Denn beobachteten die Blackfeet uns wirklich von einer nahen Höhe aus, dann durfte am allerwenigsten irgend etwas verabsäumt werden, was dazu dienen konnte, sie zu täuschen. Ruhe wurde indessen Niemand gegönnt, denn kaum standen die beiden Zelte, und kaum brannten die absichtlich reich genährten Küchenfeuer, so entfernten sich Dalefield's ältester Sohn und der eine Arbeiter, um das Lager auf der dem Feinde am meisten ausgesetzten Seite, in bestimmter Entfernung von einander, zu umkreisen, während ich alle Uebrigen aufbot, mir bei der wichtigsten Arbeit des Tages hülfreiche Hand zu leisten.

Gleich nach meiner Ankunft hatte ich meinen ganzen Vorrath von getrockneten Wildhäuten an einer geeigneten Stelle in's Wasser gelegt, um sie aufzuweichen. Da dieselben noch immer eine Probe von Feuchtigkeit enthielten und wir durch Kneten und Reiben nachhalfen, so erlangten sie sehr bald wieder ihre ursprüngliche Geschmeidigkeit, welche zu mei nen Zwecken unerläßlich war.

Die Sonne hatte die Mittagslinie noch nicht überschritten, da holte ich schon einen Theil derselben wieder nach dem Ufer herauf, und nachdem ich das Maaß von dem Wagenkasten genommen, begann ich die Häute in möglichst regelmäßige und zu einander passende Formen zuzuschneiden. Schanhatta und unter deren Leitung auch Kate und die Negerin hatten unterdessen eine hinlängliche Zahl von Wildflechsen in Fäden gespalten, und als die Häute erst hergerichtet waren, erforderte es keine großen Unterweisungen, allen Anwesenden die Arbeit begreiflich zu machen und sie zum Zusammennähen der einzelnen Stücke zu verwenden. Harry Dalefield und der zweite Arbeiter bohrten mittels Pfriemen die Löcher vor, Schanhatta, Kate, ihr Vater und die Negerin fädelten die Flechsen durch die Löcher, und ich endlich zog die Fäden über die zusammengerollten Näthe straff, welche ich demnächst breitklopfte und hämmerte, um dem Wasser das Durchdringen zu erschweren. Blieb mir dann aber noch etwas Zeit, so benutzte ich dieselbe, um den schwarzen Koch bei der Ausarbeitung von zwei seichten Ruderhölzern zu unterstützen.

Anfangs bezweifelte ich, daß wir zur rechten Zeit mit unserm Fahrzeug zu Stande kommen würden. Meine Besorgniß schwand indessen, sobald ich gewahrte, wie die ungeübten Hände die kleinen Kunstgriffe immer besser lernten, und nach zwei bis drei Stunden reihten sich die Häute so schnell und sicher aneinander, wie ich unter den obwaltenden Umständen nur immer wünschen und erwarten konnte.[100]

Eine Stunde mochte die Sonne noch zu scheinen haben, da waren nicht nur die einzelnen Häute zu einem einzigen festen Ganzen verbunden, sondern dieses hatte auch bereits die beabsichtigte Form erhalten, so daß man nur noch den Wagenkasten hineinzustellen und zu befestigen brauchte, um das echte Trapperboot für tauglich zur Fahrt auf dem Missouri zu erklären.

Die Zurichtung des geräumigen rechteckigen Wagenkastens erforderte nur einen geringen Aufwand an Zeit; die Verdeckstützen wurden abgeschnitten, die überflüssigen Eisenstangen, um das Gewicht zu ermäßigen, entfernt, und bald darauf hatte ich die große Freude, mich zu überzeugen, daß Kasten wie wasserdichter Ueberzug vollkommen zu einander paßten und ich auf eine Tragkraft für wenigstens vier Menschen rechnen durfte. Nachdem wir sodann die unentbehrlichsten Gegenstände, vorzugsweise Munition und Lebensmittel hart am Rande des Ufers aufgestellt und alle vorhandenen Lasso's zu einem langen zähen Tau zusammengeknüpft und mit dem einen Ende an das Fahrzeug sicher befestigt hatten, gönnten wir uns erst einige Ruhe.

Die Zeit der Rast war indessen nur sehr kurz, der Dämmerung folgte die Dunkelheit schnell nach, und sobald wir annehmen durften, daß unsere Bewegungen nicht mehr aus der Ferne überwacht werden konnten, schritten wir an's Werk.

Obgleich ich kaum zu hoffen wagte, daß die Blackfeet, im Fall sie wirklich schon in dieser Nacht einen Angriff beabsichtigten, uns Zeit genug lassen würden, auch die Pferde noch zu retten, trieben wir dieselben doch herbei, um sie im entscheidenden Augenblick zur Hand zu haben. Sie wurden von zwei bewaffneten Männern bewacht, während wir Uebrigen den Wagenkasten ins Wasser schoben und mit einem Theil der zur Ueberfahrt bestimmten Gegenstände befrachteten.

Alles ging nach Wunsch, und außerdem erwies sich das Boot von einer Tragfähigkeit, daß ich glaubte, die Fahrt anstatt mit vier Personen, mit sechs antreten zu dürfen. Ich ließ daher Kate, ihren Vater, den Neger und die Negerin sich in die vier Ecken desselben, mit der strengsten Weisung, kein Glied zu rühren, niederkauern. Schanhatta, mit dieser Art von Schifffahrt vertraut, mußte sich darauf mit ihrem Ruderholz noch im Vordertheil niederknieen, während ich selbst in gleicher Weise im Hintertheil Platz nahm, und langsam stießen wir unser Fahrzeug in die Strömung hinein.

Am meisten begünstigte uns, daß die vor unserm Lager vom Ufer abprallende Strömung die südliche Spitze der Insel streifte; es bedurfte also nur einer geringen Nachhülfe, um unser Ziel zu erreichen.

Mit einem aufrichtigen »Gott geleite Euch« von den Zurückbleibenden, schossen wir auf die dunkle Wasserfläche hinaus. Die auf dem Rande des Ufers, jedoch weiter unterhalb, der Insel fast gegenüber, in Reifform zusammengelegte Leine rollte sich unter der Aufsicht des jungen Dalefield leicht ab, und nach einer kurzen, kaum zwei Minuten währenden athemlosen Spannung, strandete unser Boot unmittelbar hinter der Insel im seichten Wasser. Gleichzeitig schwanden aber auch zu meiner unsäglichen Freude die[101] Befürchtungen, welche ich betreffs der ausreichenden Länge der Leine gehegt hatte, indem ich fühlte, daß dieselbe von den zurückgebliebenen Männern leise und allmälig straff gezogen wurde.

Die nothwendigen Verabredungen waren bereits im Laufe des Nachmittags getroffen worden, das Ausschiffen nahm daher nur kurze Zeit in Anspruch. Außer Schanhatta, welche das Boot hielt, sprangen wir Alle in's Wasser, worauf wir das erleichterte Fahrzeug bis dicht an das Weidengestrüpp heranschleppten, und schneller, als das Einladen von Statten gegangen war, beförderten wir die Ladung von Hand zu Hand auf trockenen Boden. Kaum hatte ich sodann dem mir zunächst stehenden Neger das letzte Stück zugereicht, so befand ich mich auch schon wieder bei Schanhatta in dem Boot, und mit vorsichtigen geräuschlosen Stößen schoben wir dasselbe in die Strömung zurück.

Dieses Mal hatten wir schwerere Arbeit, das schwankende Fahrzeug im Gleichgewicht zu erhalten, denn da die am Ufer befindlichen Gefährten die Leine mit aller Gewalt einzogen, so wurden wir durch die fast in entgegengesetzter Richtung von einander wirkenden Kräfte der Leute und der Strömung so weit unterhalb, wie die Leine eben noch reichte, mit aller Gewalt an's Ufer geworfen.

Unfern vereinigten Kräften gelang es indessen, das unlenksame Fahrzeug bald wieder nach der Einladestelle hinaufzuschleppen, und wie das erste Mal, begannen wir damit, zuerst eine Ladung von Gütern als Ballast einzunehmen und gleichmäßig auf dem Boden des Kastens zu vertheilen. Zwei Mann mußten noch zum Schuh der Pferde zurückbleiben, wir konnten in Folge dessen um so mehr Sachen befördern, und als wir zum zweiten Male vom Ufer abstießen, nahmen wir die Ueberzeugung mit, daß außer den größeren und entbehrlicheren Gegenständen, die Indianer nichts Werthvolles mehr vorfinden würden.

Glücklich gelangten wir nach der Insel hinüber, schneller, als das erste Mal, auch nach dem Ufer zurück, und bald darauf lag unser Fahrzeug wieder an der Einladestelle.

Da Schanhatta mich überall hin begleitet hatte, so befanden sich außer uns nur noch der ältere Sohn Dalefield's und der eine Arbeiter am Ufer. Ehe wir uns indessen einschifften, gedachten wir, die Pferde bis dicht an's Ufer heranzutreiben, sie dann mit Gewalt in den Fluß hineinzudrängen, oder wenigstens so hart an den Rand des sandigen schroffen Abhanges zu bringen, daß sie, vermöge ihrer Schwere, mit dem losen Erdreich niederbrechen mußten.

Ich rechnete darauf, daß wenn die Strömung sich ihrer erst bemächtigt habe, ihnen nichts weiter übrig bleibe, als sich über Wasser zu halten und nach dem seichten Boden hinter der Insel fortreißen zu lassen. Wurden sie an der Sandbank vorbeigetrieben, so war der Verlust immer noch nicht groß, indem die Richtung der Strömung schräge nach dem jenseitigen Ufer hinüberstand, welches, weniger ausgewaschen, Stellen genug bot, auf welchen sie sich mit Leichtigkeit zu retten vermochten. Gelangten wir dann selbst nach dem linken Ufer hinüber, auf welchem wir unsere Reise fortzusetzen beabsichtigten, so fanden wir unsere Pferde, wenn auch zerstreut, daselbst bereits[102] vor. Sie wären also keineswegs für uns verloren gewesen, es sei denn, die Blackfoot hätten ebenfalls Mittel gefunden, den Strom zu überschreiten, was ich indessen weniger befürchtete, als sie, im Herzen des Gebietes ihnen feindlich gesinnter Indianer, auch wieder für ihre eigene Sicherheit besorgt sein mußten. Mit solchen Absichten hatten wir also die Pferde umstellt, und so geräuschlos, wie es sich nur bewerkstelligen lieh, trieben wir die kleine Heerde vor uns her dem Wasser zu.

Schanhatta saß in dem Boot, bereit auf das erste von mir gegebene Zeichen abzustoßen; die Leinen und Stricke waren sorgfältig zusammengerollt über das eine Ende des Kastens zusammengelegt worden, wir hatten mithin alle Vorkehrungen getroffen, daß wir nicht leicht überrascht werden konnten.

Die in der letzten halben Stunde vernachlässigten Lagerfeuer brannten nur noch niedrig und warfen einen matten Schein auf die beiden Leinwandzelte, als ob deren Bewohner bereits im tiefsten Schlafe lägen. Die Pferde, in der Meinung, daß sie zur Tränte gefühlt werden sollten, schritten träge vor uns hin und nur gelegentlich schnaubte das eine oder das andere, wenn beim Haschen nach einem Grasbüschel sich einige stärkere Halme in seine Nüstern schoben.

Plötzlich aber wurden einzelne derselben unruhig und gaben unverkennbare Zeichen von Furcht von sich. Ich trat zwischen sie, um mich von der Ursache zu überzeugen, und gewahrte sofort, daß meine Pferde sich vollständig ruhig verhielten, während die Dalefield's die Schweife emporreckten und mit lautem Geräusch den Athem von sich stießen.

Wären Wölfe in der Nähe gewesen, oder ein grauer Bär, so würden alle Mitglieder der Heerde von gleichem Schrecken befallen worden sein. Nach den Anzeichen zu schließen, konnten also nur Indianer in der nächsten Nachbarschaft umherschleichen, indem meine Pferde einst im Besitz von Eingeborenen gewesen waren und deshalb keine Scheu vor denselben hegten, während Dalefield's Thiere, die aus den Ansiedlungen herstammten, sich noch nicht hinlänglich an deren Witterung und Anblick gewöhnt hatten, um nicht durch das unverhoffte Erscheinen wilder Krieger beunruhigt zu werden.

»Haltet Euch bereit, die Luft ist nicht rein,« rief ich in möglichst sorglosem Tone meinen beiden Gefährten zu; fast gleichzeitig trat aber auch der junge Dalefield mit der heimlich geflüsterten Meldung zu mir heran, daß er sechs oder sieben schattenähnliche Gestalten bemerkt habe, welche eine kurze Strecke südlich von der Heerde in gebückter Stellung nach dem Ufer hingeschlichen und dort verschwunden seien.

»Fort in's Boot!« antwortete ich ebenso leise und bringend, »aber langsam und ohne Besorgniß zu verrathen; wir find umgangen und keine zwei Minuten bleiben uns mehr zur Rettung. Haltet Alles zum augenblicklichen Abstoßen bereit und entfernt Euch auf meinen Ruf, gleichviel, ob ich bei Euch bin oder nicht!«

Der junge Manu folgte meinem Rath, worauf ich mich nach der Richtung hinwendete, in welcher ich den Arbeiter vermuthete. Ich entdeckte ihn auch bald, wie er, die Büchse auf der Schulter, sich bemühte,[103] einige zurückprallende Pferde heranzutreiben. Bevor er mich aber gewahr wurde oder ich ihm eine Warnung zuzuflüstern vermochte, bemerkte ich vor dem schwachen Schein der niedergebrannten Lagerfeuer, daß ein Mann sich hinter ihm aus dem Grase erhob und den Arm nach seiner Büchse ausstreckte.

Ein Strauch trennte mich von Beiden, was mit dazu beitrug, daß Keiner von ihnen mich vor dem dunkeln Hintergrund sah, aber der Indianer hatte daß Gewehr noch nicht berührt, da befand ich mich bereits vor ihm, meine Büchse beschrieb einen Kreis durch die Luft und von dem zersplitternden Kolben schwer getroffen, stürzte er lautlos zu Boden.

»Fort in's Boot!« rief ich dem verwirrten Arbeiter zu, »fort in's Boot, wenn Euch Euer Leben lieb ist!«

In demselben Augenblick erschallte aus dem nahen Dickicht ein schrilles Pfeifen, und diesem folgte unmittelbar ein so furchtbares indianisches Geheul nach, als ob das ganze Thal des Missouri von den wilden Gestalten raubgieriger eingeborener Krieger belebt gewesen wäre.

Der höllische Lärm war für den Arbeiter ein besserer Sporn zur Eile, als es meine dringendsten Befehle und Beschwörungen hätten sein können. Unaufhaltsam stürzte er davon, unbekümmert darum, ob ich ihm folge oder durch irgend einen unglücklichen Umstand zurückgehalten werde. Letzteres geschah in der That, denn theils um selbst nicht waffenlos zu sein, theils um das geladene Gewehr nicht in den Händen der Indianer zurückzulassen, bückte ich mich nach meiner Büchse, die mir durch das Einsplittern des Schaftes entfallen war, und als ich mich dann wieder aufrichtete, gewahrte ich zu meinem Schrecken, daß zu beiden Seiten von mir mehrere Krieger vollen Laufs auf die Landungsstelle losstürzten.

»Fort! Schanhatta! Fort!« rief ich so laut, daß meine Stimme das Geheul der Wilden noch übertönte, und gleichzeitig drängte ich mich zwischen den erschreckt auseinanderprallenden Pferden hindurch, gerade auf das Ufer des Stromes zu. Zwei oder mehrere feindliche Krieger folgten mir mit wüthendem Gellen auf dem Fuße nach; andere sprangen hart am Rande des Ufers auf mich zu, um mir den Weg zu verlegen, noch andere, welche sich unten am Fuße des schlossen Abhanges angeklammert hielten, machten sich bereit, mich zu empfangen, allein ich wußte zu genau, was meiner, im Fall einer Gefangennahme harrte, als daß ich nicht das Aeußerste zu meiner Rettung hätte wagen sollen.

Gerade als ich das Ufer erreichte, belehrte mich ein flüchtiger Blick, daß sich das Boot als schwarze Masse vom Ufer trennte und mit rasender Schnelligkeit und begleitet von dem Wuthgeheul aus wenigstens zwanzig Kehlen in die Strömung hinein und mit dieser davonschoß.

»Schanhatta ich komme!« rief ich aus, um meinen Schützling zu beruhigen und zugleich zu verhüten, daß sie irgend einen Schritt zu meiner Rettung unternähme und dadurch sich und ihre Begleiter neuen Gefahren aussetze; »Schanhatta ich komme!« und schneller noch, als das zum tödtlichen Streich gehobene Kriegsbeil sich senkte, schneller, als die mit dem[104] Messer bewaffnete Faust zum Stoß ausholte und die sichere Hand die mit dem befiederten Pfeil beschwerte Bogensehne an's Ohr brachte, sprang ich mit einem mächtigen Satz vom Ufer über die fast unmittelbar unter mir gellenden Krieger fort und in die wild schäumenden Fluthen des Missouri hinein.

Das Wasser schloß sich brausend über mir, und halb von der Strömung fortgerissen, halb in Folge meiner eigenen Anstrengungen, welche ich machte, um den feindlichen Geschossen zu entgehen, tauchte ich erst zwanzig Schritte weiter wieder empor. Das Boot war bereits eine kurze Strecke voraus, dasselbe einzuholen, lag indessen nicht in meinem Plan, um so mehr, da ich es dennoch nicht hätte besteigen können, ohne beim ersten Versuch das Gleichgewicht zu stören und den breiten Kasten umzuwerfen. Ich begnügte mich daher damit, unbekümmert um die Pfeile, welche rings um mich her in das Wasser zischten, Schanhatta durch einen Zuruf aufzumuntern. Ein ähnlicher, aber schwächerer Ruf aus dem Boot belehrte mich, daß das treue Mädchen mich verstanden habe und uns als gerettet betrachte, und immer dieselbe Entfernung von einander beibehaltend, schössen wir in der Richtung auf die Südspitze der Insel zu dahin.

Plötzlich glaubte ich zu bemerken, daß sich der wohl dreißig Schritte lange Zwischenraum zwischen dem Boot und mir verringere, und ein wahres Entsetzen ergriff mich, als dieses gleich darauf heftig zu schwanken und sich mit größer Schnelligkeit dem Ufer wieder zu nähern begann.

»Haltet die Mitte der Strömung, oder Ihr treibt an der Insel vorbei! Hinein in's Wasser, wer schwimmen kann!« rief ich aus, denn ich vermuthete, daß das Fahrzeug im Begriff sei zu sinken.

In demselben Augenblick verwickelten sich meine Füße in die Leine, welche wahrscheinlich beim schnellen Einsteigen des Arbeiters über Bord gerissen worden war, und gleichzeitig errieth ich aus dem Jubelgeheul der auf der Abfahrtsstelle Versammelten, daß man dort den sich schnell abrollenden Strick entdeckt und sogleich begriffen habe, wie derselbe sich zu unserm Nachtheil verwenden lasse.

Während man nun von dort aus das Boot in seinem rasend schnellen Lauf aushielt, mußte es natürlich dem Ufer wieder zuschwingen, ein Umstand, welchen die Indianer sehr wohl zu berechnen verstanden, wie allein schon daraus hervorging, daß sich wohl ein Dutzend Krieger in ihrem wilden Eifer in's Wasser stürzten, um schwimmend ihre Hand etwas früher an das Boot selbst zu legen.

Die Entfernung bis zur Abfahrtsstelle betrug in diesem Augenblick wohl an zweihundert Schritte, bis zum Ufer in gerader Richtung kaum halb so viel; das Boot hatte also noch nicht ganz die Hälfte der Strecke durchmessen, welche es bis zu seinem Ziel zurückzulegen hatte.

Alles dieses erkannte ich trotz der Dunkelheit, eben mit der Schnelligkeit eines Gedankens, denn kaum hatte ich meine Füße von der straff gezogenen Leine befreit, so rief ich Schanhatta in dringendstem Tone zu, dieselbe abzuschneiden.

»Mein Messer entfiel mir auf der Insel!« antwortete Schanhatta, doch vernahm ich, daß sie ihren Begleitern eins abforderte.[105]

So gering der Zeitverlust auch war, so diente er doch dazu, das Fahrzeug dem Ufer um eine bedeutende Strecke näher zu bringen und die Entfernung, welche die schwimmenden Indianer von dem Boot trennte, um ein Doppeltes zu verringern. Ich hörte bereits das gepreßte Athmen unserer Verfolger, ich bemerkte eine Reihe schwarzer Punkte, über dem grauen Wasserspiegel, und jetzt erst gelang es mir, das ans meinem Rücken im Gurt steckende Messer aus der Scheide zu ziehen.

»Schanhatta, zerschneide die Leine nicht!« rief ich, denn das Boot mußte, wenn es in seiner jetzigen Lage der Strömung preisgegeben wurde, unfehlbar an der Insel vorbeitreiben, »einen Schuß auf die Schwimmer und dann stille gesessen!« rief ich sodann Schanhatta's Gefährten zu, und die Leine mit der rechten Hand nach dem Boot zu fest ergreifend, durchschnitt ich sie mit der linken Hand so weit, wie ich in der entgegengesetzten Richtung zu reichen vermochte.

Kaum fühlte das Boot sich von dem Druck befreit, so wirbelte es einmal um sich selbst herum, der Schuß krachte auf die Schwimmer, welche bis auf wenige Schrille herangekommen waren, Schanhatta's Ruderholz plätscherte in rascher Folge in's Wasser, das Boot gelangte wieder in die Gewalt der Strömung, und begleitet von dem Wuthgeheul der Schwimmer, welche durch den an sich erfolglosen Schuß zurückgescheucht worden waren, zog es schneller und schneller in schräger Richtung nach dem jenseitigen Ufer des Missouri hinüber.

Mit aller Kraft meiner Arme und das Ende der Leine zwischen den Zähnen, hatte ich während dieser Zeit gegen die Strömung gekämpft. Es war nur eine kurze Strecke, welche ich von der durch den unglücklichen Zwischenfall verlorenen Richtung zurückgewann, doch genügte sie gerade, daß ich, als ich in gleicher Höhe mit dem Boot an der Insel vorüberschwamm, unterhalb derselben in dem seichten Wasser festen Fuß fassen und das Vorbeitreiben verhindern konnte.

Auf meinen Ruf sprangen die auf der Insel befindlichen Männer mir zur Hülfe, und mit leichter Mühe schleppten wir bann das Boot sammt den wenigen Gegenständen, welche wir noch gleich nach unserm Landen vor der alten Lagerstelle hineingeworfen hatten, ganz in den Schutz des dichten Weidengebüsches hinein.

»Ist Niemand verletzt?« fragte Dalefield besorgt, sobald wir uns in Hörweite von ihm befanden, »ist Niemand verletzt?« erschallte fast gleichzeitig Kate's Stimme aus dem Gebüsch mit einem Ausdruck zu uns herüber, der mir alles Blut zum Herzen sendete. »Niemand!« rief ich schnell zurück, um das liebe Mädchen zu beruhigen.

»Gott sei Dank!« antwortete Kate innig und ans überströmendem Herzen, eh' ich fortzufahren vermochte.

»New, verletzt ist Niemand,« wiederholte ich dann noch einmal, um meinen Ausspruch zu bekräftigen; »aber Schaden an unserm Eigenthum haben wir erlitten, und, wie ich fürchte, unersetzlichen Schaden. Ueber meine Büchse rollen die Fluthen des Missouri hin« –[106]

»Wofür ich Euch meine Reservebüchse anbiete, ein so gutes Gewehr, wie nur je aus den Händen eines tüchtigen Meisters hervorging,« unterbrach mich Dalefield, mir, sobald wir uns auf trockenem Boden befanden, mit allen Zeichen tiefgefühlter Dankbarkeit die Hand drückend.

»Euer Anerbieten nehme ich natürlich an, wenn auch nur auf so lange, bis ich Gelegenheit gefunden habe, mich mit einem andern Gewehr zu versehen, denn Blackbird's Karabiner ist nicht zu rechnen,« fuhr ich fort, »aber denkt Euch, die Pferde find alle In die Hände der Räuber gefallen, doch halte ich in diesem Augenblick für den herbsten Verlust, daß wir gezwungen wurden, die Leinen aufzugeben, ohne die es uns schwer werden wirb, das jenseitige Ufer, auf welches ich meine ganze Hoffnung baute, zu erreichen.«

»Sollte die Flucht denn noch in dieser Nacht fortgesetzt werden?« fragten jetzt mehrere Stimmen zugleich.

»Ursprünglich war dies meine Absicht«, antwortete ich, »wäre uns Zeit genug geblieben, die Pferde über den Strom zu schaffen, so hätten wir nichts Besseres thun können, als ihnen von hier aus augenblicklich nachzufolgen und ohne Zeitverlust uns stromaufwärts zu wenden. Die Blackfeet hätten uns dann schwerlich noch eingeholt. Jetzt aber, da wir allein auf unsere Füße angewiesen sind, vermögen wir keinen Vorsprung mehr vor ihnen zu gewinnen; außerdem fehlen uns die erforderlichen Leinen, um in schneller Reihenfolge nach dem andern Ufer überzusetzen; wir müssen uns daher, gut oder übel, darein fügen, wenigstens einen Tag auf dieser Insel auszuharren.«

»Und dann?« fragte Dalefield wieder mit einer Stimme, aus welcher die ganze Besorgniß um seine Kinder sprach.

»O, das ist mehr, als ich zu beantworten im Stande bin,« entgegnete ich lachend, um durch erheuchelte Heiterkeit die Gemüther etwas aufzurichten, »seien wir zufrieden, uns vorläufig in Sicherheit zu befinden. Ist die Sonne erst einmal über uns hingegangen, dann ist uns auch vielleicht irgend ein neues Rettungsmittel eingefallen; bis dahin aber müssen wir wachsam bleiben und zu verhüten suchen, daß die Indianer Flöße bauen und uns mit ihrem Besuch überraschen.«

»Sind wir denn wirklich sicher hier?« fragte Dalefield abermals, jetzt aber mit besserm Erfolg die Angst um die Seinigen niederkämpfend.

»So sicher, wie ein halbes Dutzend Büchsen, geführt von festen Händen und milchigen Herzen, nur immer eine kleine Landscholle, wie diese hier, zu machen vermögen,« erwiderte ich sorglos, »die Indianer hängen mit nicht weniger Liebe am Leben, als wir, und wo sie befürchten müssen, Einen der Ihrigen zu verlieren, da trauen sie sich nicht so leicht hervor; denn Keiner von ihnen möchte gerade dieser Einzige sein. Lassen wir es nicht an der so dringend gebotenen Wachsamkeit fehlen, dann mögen wir hier acht, vierzehn Tage, ja, so lange unbelästigt bleiben, wie unsere Lebensmittel ausreichen, oder bis wir durch irgend einen befreundeten Jagdtrupp entsetzt werden oder Eure Freunde von Fort Union bei uns eintreffen.«[107]

»Ihr habt den Brief gelesen,« fiel Kate jetzt ein, »und besitzt eine so genaue Kenntniß von der hiesigen Gegend, welches ist denn nach Euerm Dafürhalten eigentlich der Punkt, den Halbert als die Stelle bezeichnete, wo er meinen Vater erwarten wollte?«

»Die Angaben in dem Briefe waren genau genug, und täusche ich mich nicht, so liegt der betreffende Punkt noch eine oder zwei Tagereisen weit unterhalb dieser Insel. Blackbird würde uns die beste Auskunft ertheilen können, hätte er nicht vorgezogen, Euch sowohl, als Halbert zu hintergehen.«

»Dann ist er vielleicht schon vorbeigezogen?« fragte Dalefield, der meinen Erklärungen mit der größten Spannung gefolgt war.

»Vorbeigezogen ist er Wohl kaum schon,« versetzte ich beruhigend, obgleich derartige Zweifel auch in mir bereits aufgestiegen wären, »doch kann er, nach dem von ihm angegebenen Datum zu schließen, nicht mehr weit entfernt fein. Quälen wir uns indessen nicht mit nutzlosen trügerischen Vermuthungen; überlassen wir es der Zeit, uns über das, was wir zu wünschen wissen, zu belehren, und versäumen wir lieber nichts, was auch nur im Entferntesten dazu beitragen dürfte, uns gegen unsere Feinde zu schützen.«

Es erschien mir fast seltsam, daß Leute, die in den östlichen Staaten mich als einen Ausländer, namentlich als einen Deutschen, kaum beachtet haben würden, – ich spreche nicht von Kate, sie war erhaben über Alle, – sich jetzt fast willenlos von mir leiten und lenken ließen. Die Beweise der genauen Kenntniß des wilden Westens und des Charakters der denselben belebenden Menschen, welche ich in den letzte Tagen geliefert, hatten dies vorzugsweise bewirkt, obwohl Dalefield und die Seinigen von Hause aus nicht zu denjenigen Amerikanern gehörten, die es schmerzlich empfunden hätten, daß ihnen so wesentliche Dienste von einem Fremdling geleistet wurden.

So folgte man denn ohne die geringsten Einwendungen meinen Rathschlägen. Auf einer, gegen die etwa vom Ufer aus zu uns, herübergeschickten Kugeln ziemlich geschützten Stelle auf der Mitte der Insel, richteten wir uns so häuslich ein, wie es ohne Feuer eben möglich war, und während die Hälfte der Männer sich auf den gefährdeten Seiten der Insel aufstellte, um von dort aus das Treiben der Feinde zu überwachen, versuchten alle Uebrigen sich auf einige Stunden der Ruhe hinzugeben.

Die herrliche warme Sommernacht machte übrigens das Feuer entbehrlich, und da auf meinen Rath, um die grimmigen Muskitos zu vertreiben, die rastenden Männer ihre Pfeifen rauchten, so erhielt die kleine nestförmig niedergedrückte Lichtung zwischen dichtem Schilf, Binsen und Weidengestrüpp, mit den ausgebreiteten Decken und dem ringsum aufgestapelten Reisegepäck einen überaus friedlichen Charakter.

Weniger friedlich nahm sich dagegen vor einem scharf unterscheidenden Auge das westliche Ufer der kleinen Insel aus; denn gerade da, wo wir jedesmal gelandet wären, saß halb versteckt unter einigen verkrüppelten Erlenbüschen Dalefield's jüngster Sohn, während ich selbst mir ganz vorn zwischen den mächtigen gebleichten Treibholzstämmen, von wo aus ich am besten zu den Indianern hinüberzuspähen vermochte, meinen Sitz ausgewählt hatte. Zwischen dem[108] jungen Dalefield und mir aber, hart am Rande des Wassers und inmitten der ihn verbergenden, üppig wuchernden Binsen, hielt noch der eine Arbeiter Wache. Es konnte also vom Ufer aus Nichts gegen uns unternommen werden, ohne daß wir es rechtzeitig bemerkt und sogleich die entsprechenden Maßregeln zur Verteidigung getroffen hätten, wozu sich noch der glückliche Umstand gesellte, daß bald nach Mitternacht der Mond aufgehen mußte, und unsere Feinde vor Eintritt der Helligkeit nicht im Stande waren, ihre Vorbereitungen zu einem Angriff, welcher Art er auch sein mochte, zu beendigen.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 97-109.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Mandanenwaise
Die Mandanen-Waise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri. Roman
Die Mandanenwaise
Die Mandanenwaise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri von Balduin Möllhausen

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon