[Vorrede]

[1298] Meinem lieben, teuren

Otto Freiherrn von Gemmingen


Teuerster!

Wer doch so da sitzen und sein Luftschlößchen recht gemächlich nach Herzens Gefallen ausbauen kann. – Es tut einem so wohl in der Seele, drängt einen oft ganze Stunden wie nach Schlaf, daß man sich's endlich nicht länger mehr erwehren kann, wenn Moment und Lage so recht die Phantasie dazu stimuliert. – Wir sollen und müssen eben oft hinaus, wenigstens mit unserm Herzen, in die Fremde – Es gehört mit zu unserm Wesen, wie die Bienen über Tal und Auen, die Schöpfung zu durchwandern, um tausend neue Schätze zu finden, wo die Liebe mit allmächtiger Rute anschlägt; nicht immer mit dem Gedanken an einem Herd zu hausen, wär's auch nur dann und wann Bewegung und Ausbruch der Glut zu geben, die sonst auf eins verschlossen, unser Herz endlich ganz verschmort. – Fühlten wir doch oft süßen Drang, Teuerster, zum Schaffen; und mit welchem Entzücken legten wir Zauberstab und Bleimaß wieder hin und freueten uns der vollendeten Schöpfung – freueten uns der Erholung darnach, wenn die verschlossene Seele, durch Imagination geöffnet, so recht der Fülle entließ, wie nach segenreichem Gewitter das im üppigen Umfangen die lechzende Natur wieder erquickt. – Neu[1298] gestärkt dann, Unsterblichen gleich, wir in Ihren Heldenwagen sprangen, gastfrei und bieder Sie, ein anderer Odysseus, den Zügel ergriffen, die zwei braune stolz wiehernde Halbgöttinnen voranzujagen, die ihrer Kraft wegen mir so lieb sind. – Leben, du bist süß, wer dich als Mensch genießt, des angestammten Rechts fühlt, daß alles unter der Sonnen meiner Freude gegeben! – Ging's dann immer voran im Sturm, an Wasser und Wald, Steg und Hecken jetzt vorüber, dem Flug erhitzter Jugendphantasie nach, die taumelnd sich stolzerer hoffnungsvollerer Zukunft entgegenschwingt. Man glaubt dann schneller zu schweben hinein in die Zeit. – Dann und dann, was fällt einem nicht alles ein! Erste Liebe, erste Freundschaft, erste Lieblingsideen, erstes Wonnegefühl an der Natur – dann spiegelt sich noch einmal alles vergangene Herrliche durch die Seele zurück – und paaret sich mit den Hoffnungen der Zukunft; die erzeugte Kinder sind schwärmerische Träume, die Herz und Seele eine Zeitlang im wollüstigen Schlummer wiegen –

Nehmen Sie, was ich hier gebe, rein wie's aus meinem Herzen sprang; das Stück eines Dings, das in meiner Jugend mich oft froh und schauerlich gemacht – mich bald erschröckt und entzückt, und doch immer das Spielwerk meiner Imagination blieb – entschlossen jetzt der Baum mit Ranken und Blätter dem Körnchen das einst mit Taubenmund meine Amme den Schoß herab mir zugelullt: Kindermärchen, das sich zuerst in meiner Jugendphantasie befing, mit mir ins stärkere Leben wuchs, fest gehalten vom Herzen, wie ein Fels, den die Klaue der Eiche packt. – Was ist's geworden? – Ihrem Blick überlaß ich das; mir war's oft Leitfaden an dem ich in die Vergangenheit wieder zurückschlich, wenn es mir in der Heutigkeit nicht besser gefiel, und das ist doch wohl nicht wenig; und wem kann und darf es auch mehr sein als mir! – Gedanken der Liebe sind immer die Vorläufer des Künstlers; wir entzücken uns lange an einem Wesen, ehe wir's schildern und schreiben; wir lieblen und buhlen und sparen's bis zum süßten Moment. – Oft ist uns nach langem Streben die Überzeugung schon genug, gewiß durchzudringen, wenn wir jetzt wollten, und ohne hieraus weitern Nutzen zu ziehen, befriedigen wir uns schon am vollen Gefühl unsers Vermögens, und lassen's stehen wie's steht! Was dacht ich, jemalen einen »Faust« niederzuschreiben – Das Erzählen, das Nachdenken an einen Mann der mir gefiel, die Begierde ihn gegen alle zu verteidigen die ihn unrecht nahmen, ihn als einen boshaften oder[1299] kleinen Kerl in die Rumpelkammer herabstießen, das Zurechtrücken in ein vorteilhafteres Licht – brütet nach und nach väterliche Wärme an. – Wir sehn das Ding vor uns entstehn, und tragen Gewissen, es nicht sogleich wieder der Vernichtung entgegensinken zu lassen. – Eine Weile nehmen wir's gastfrei in unser Herz auf, und sitzt es einmal da, so hat's gewonnen. Es ißt, trinkt, träumt, lebt, nährt sich in uns – es steigt und wächst in uns, und ruht nicht, bis es zur Welt kommt – Und siehe da, aus Spaß wird endlich Ernst, und der lebhafteste Kerl kriecht und kriecht und trägt sich, und versagt sich, und kann doch nicht anders, und muß endlich in sein Nestchen, wo er nach Herzensgefallen bequemer gebären kann. Ist's Kind einmal völlig zur Welt, was will man tun – wer fühlt dann nicht Vater – Mutter – Pflicht? – Alles was man an- und aufbringen kann, wird darangehenkt und -gewendet, das Närrchen wo möglich in die Welt honett auszustaffieren.

So entsprang »Genoveva«, die ich vor meiner italienischen Reise noch ganz geben werde, und dieser »Faust«. Lessing und Goethe arbeiten beide an einem »Faust« – ich wußt es nicht, damals noch nicht, da dies Ding zum Niederschreiben mir interessant wurde. – Faust war in meiner Kindheit immer einer meiner Lieblingshelden, weil ich ihn gleich vor einen großen Kerl nahm; ein Kerl, der alle seine Kraft gefühlt, gefühlt den Zügel, den Glück und Schicksal ihm anhielt, den er gern zerbrechen wollt, und Mittel und Wege sucht – Mut genug hat alles niederzuwerfen was in Weg trat und ihn verhindern will – Wärme genug in seinem Busen trägt, sich in Liebe an einen Teufel zu hängen, der ihm offen und vertraulich entgegentritt. – Das Emporschwingen so hoch als möglich ist – ganz zu sein, was man fühlt, daß man sein könnte – es liegt doch, so ganz in der Natur. – Auch das Murren gegen Schicksal und Welt die uns niederdrängt, und unser edles selbständiges Wesen, unsern handelnden Willen durch Konventionen niederbeugt. – Die erste oberste Sprosse auf der Leiter des Ruhms, der Ehre etc. zu besteigen, wer wagt nicht darnach? – Wo ist das niedrige duldende Geschöpf, das immer gleichgültig, aus der Tiefe nicht einmal in Gedanken hinaufwärts wünscht – nicht fliegen wollt, wenn einer Flügel ihm gäbe, nicht steigen wollt, hüb ihn einer auf allmächtigen Armen empor! – Der freiwillig resignierte, sich an seiner Niedrigkeit weidet, lieber das letzte vor dem ersten wählte – Ich habe keinen Sinn vor solch ein Geschöpf; seh's als irgendein Monstrum an, das unzeitig dem Schoß der Natur entging, und[1300] an das sie auch keinen Anspruch weiter macht. – Wenn Eigennutz und Eigenliebe die Maschine sind, die den Weltpuls im Gang halten – was Wunder dann, wenn der starke, große Kerl, sein Recht nimmt, und wenn auch sein Mut ihn über die Welt hinaustreibt, ein Wesen zu suchen, das ihm ganz genügt – Es gibt Momente im Leben, wer erfährt das nicht, hat's nicht schon tausendmal erfahren, wo das Herz sich selbst überspringt, wo der herrlichste beste Kerl, trotz Gerechtigkeit und Gesetze, absolut über sich selbst hinausbegehrt.

Von dieser Seite griff ich meinen Faust. Sie wissen am besten, Teuerster, was für Wege ich die übrige vier Teile durch, genommen, wornach ich eigentlich auch gezielt. – Ein Band wird schnell oder langsam dem andern folgen, so wie mir Lust zum Ausrunden zuteil wird. – Sollt ich in Italien sterben, wird man alle meine Papiere Ihnen einhändigen, und Sie mögen sich hernach der rückgelassenen Waisen annehmen – wie Sie es vor gut finden. Ihnen allein sind alle meine Ideen klar. – Wär alles was ich hier zu sagen hätte.

Die »Situation aus Fausts Leben«, die schon vorher gedruckt worden, gehört eigentlich in den zweiten Teil, der bald folgen soll. – Die Krone jetzt dem sie gebührt! – Es gibt keine größere Hochachtung, als ich für meine zwei edle Mitstreiter erkenne. – Das wissen Sie, Teuerster, und ich freue mich des Nachtritts, wenn übermögende Größe vorangeht. Mag dieser mein Faust nur Fußgestell eines würdigern sein – mag er überwunden und gebeugt die Zähne knirschen, wenn der siegreiche Sultan über seinen Rücken zu Pferde steigt. – Nichts weiter – Sie wissen zu gut wie ich über diesen Punkt denke –

Jetzt leben Sie wohl, und verzeihn Sie mir diese Plauderei. Ich hoffe unsern vortrefflichen von Dalberg diesen Mittag in Ihrer Halle zu treffen. – Wie wär es, wenn wir gegen Abend durch Neckerau am Rhein hinpilgrimierten – so in Ihrer und Ossians Gesellschaft, köstlich! Wir ließen so die Sonne vor uns hinters Rhein-Gebürge hinabsteigen – sehn den Mond dann die silberne Flut heraufwandeln, uns in die Zeiten der Helden zurückzuwinken; aber da müßten Sie mir auch versprechen, nicht mit einem Wörtchen zu gedenken, daß es heutzutage noch Leutchen gäbe, die ihr buntes Pfeifengequäk dem blitzerhellten Nachtgesange des blinden Königs der Lieder anzuflicken suchen; sonst bin ich auf einmal für alles verdorben.[1301]

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1298-1302.
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