Siebente Scene.

[183] Genovefa's Zimmer.


GENOVEFA. Nein, da will ich doch auch keine Thräne mehr drum vergießen. Aber doch thut's weh, so sehr sich an Menschen zu irren. Das Weib von tausend Talenten, Mathilde, deren Verstand und Geist die ganze Gegend weit und breit erfüllt: o ist's möglich? Großer[183] Gott! Das übersteigt doch allen Glauben! Solche Vorschläge, mir, so zu drohn, in meinem jetzigen erbarmungswürdigen Stande! Wenn das Geist ist, so sey's Gott im Himmel gedankt, daß ich so wenig besitze, mag auch keinen, verlange keinen. Sie hält mich doch gar zu geringe. Das hab' ich gewiß, Mathilde: Standhaftigkeit und Muth, dich und deines Gleichen zu verachten. Hattest Recht, guter Waldbruder, zu unbedachtsam begriff ich deine treue Warnung nicht; ich weiß jetzt auch, daß Trug und Falsch und tückische Arglist Menschenantlitze tragen. O gestern Nacht ... Golo, wenn du bethest, an Siegfried denkst! ... Du edler Mann, konntest auch du so tief hinunter sinken? – Wen hör' ich draussen?


Julie von aussen.


JULIE. Laßt mich hinein, zur Gräfin, hinein!

GENOVEFA. Das liebe Julchen. Ob sie sie hereinlassen zu mir?

WÄCHTER von aussen. Fräulein, weg! Dörfen's nicht! Ist uns scharf verbothen.[184]

JULIE. Auch mich nicht?

WÄCHTER. Keines Menschen Seele.

ADOLF von aussen. Ihr Hundsfütter! Schurken! Laßt sie gleich ein, auf mein Ehrenwort, will's über mich nehmen.

WÄCHTER. Wollt ihr's, Herr Hauptmann?

ADOLF. Bey meiner Seele. Will hier aussen so lange bey euch stehn, als sie drin ist.

WÄCHTER. Geht hinein, Fräulein. – Julie tritt auf.

GENOVEFA. Hast dich tapfer zu mir durchgeschlagen, Liebchen. Siehst, ich bin verwacht; was meynst du davon?[185]

JULIE. O Theure, Beste!

GENOVEFA. Lache nur! Die mich verwahren lassen, haben Angst, die Armen müssen ihre Angesichter nieder zur Erde hängen, ich schaue frey zum Himmel ohne Erröthen. Wie bist du durchgekommen? Ach Julchen, was hab' ich in weniger Zeit erfahren! Du weißt es doch, was seit gestern vorging?

JULIE. Was für eine Geschichte! O wäret ihr doch weit von hier, liebe Gräfin, das Herz im Leibe wird mir kalt.

GENOVEFA. Warum denn, Liebchen?

JULIE. Darf's euch nicht sagen.

GENOVEFA. Warum?[186]

JULIE. Fürchte, euch das Herz zu durchbohren. Ihr seyd angeklagt.

GENOVEFA. Warum, mein Kind?

JULIE. Dragones im Kerker ...

GENOVEFA. Nun?

JULIE. Soll Vieles wider euch und eure Ehre gestanden haben.

GENOVEFA. Wie kann's der Mann? Unmöglich.

JULIE. Was ist nicht möglich, Liebe, Theure, wem Bosheit will. Wir kennen All' euern Sinn, Gräfin,[187] wissen's, wie fern ihr von dem seyd, was sie euch beschuldigen, ihr braucht euch nicht zu vertheidigen, aber sie haben's Gewalt.

GENOVEFA. Was für Gewalt haben sie denn? Greifen sie etwa mit der Hand in den Himmel hinauf? Was vermögen sie denn?

JULIE. Mathilde wollte diesen Morgen schon ein Gericht wider euch aufstellen, mein Vater stand dagegen, da drohten sie auch ihn gefangen zu nehmen.

GENOVEFA. Laßt sie doch ein Gericht wider mich aufstellen, werden bald selbst zu Schanden werden, sich selbst schuldiger finden als mich, die sie richten wollen. Was können sie mich beschuldigen?

JULIE. Eure Kammerfrau ist sogar untreu, das alte Gespenst steht auch gegen euch, auf Mathildens Seite.[188]

GENOVEFA. Was suchen denn die Leute all'? Hat sie Mathilde alle wider mich aufgereitzt, weil ich ihrer Schändlichkeit nicht Gehör gab?

JULIE. All', all'.

GENOVEFA. Was wollen sie denn?

JULIE. Sie rauben euch die Ehre, machen euch zur ...

GENOVEFA. Mich?

JULIE. Kann's nicht sagen.

GENOVEFA. Sag's! Ist ja gut, wenn ich's doch nicht bin.[189]

JULIE. Zur ...

GENOVEFA. Nun?

JULIE. Ehebrecherin.

GENOVEFA. Gott im Himmel, was sind das böse Menschen! Weint.

JULIE. Falsch und untreu wie Höllennacht.

GENOVEFA. Wenn das mein Gemahl wüßte! Wenn er Alles wüßte, was ich nicht sagen mag. O schändliche Menschen!

JULIE. Meine Tante ist so erbittert auf euch, was habt ihr der gethan?[190]

GENOVEFA. Ihre Heuchelmaske ist jetzt herunter, Julchen, ich habe ihr scheußlich verwildert Gesicht gesehn. Sie hat mir Vorschläge gethan, hier, Julchen, heut, o Gott!


Wächter.


WÄCHTER. Fräulein, müßt jetzt fort, die Gräfin soll sogleich zum Verhör abgehohlt werden.

GENOVEFA. Du hörst, was geschieht.

JULIE. Mir schlottern die Kniee. Ist's möglich? Dürfen sie's wagen? O meine Theure! Hängen einander um den Hals.

GENOVEFA. Betrübe dich nicht; was kann denn im Grunde draus werden? Doch, sollte ihre Bosheit höher steigen, denn nun glaub' und fürcht' ich Alles, sollten sie mir künftig vielleicht alle Gelegenheit abschneiden,[191] jemand zu sprechen und zu sehn, so glaub' immer, du und dein rechtschaffener Vater, von mir das Beste, daß ich wahrhaft rein und unschuldig an Allem bin; sollt' ich auch jetzt zum Tode hingehn. Noch dieß. Küßt sie und sagt ihr etwas in's Ohr.

JULIE. Ja, Theuerste, gewiß, pünktlich, euerm Gemahl soll alles richtig zu Ohren kommen, bald.

WÄCHTER. Hurtig, fort.

GENOVEFA. Adjes denn Kind, behalte Muth.

JULIE. Wenig, so lange ich euch so weiß. Ab.

WÄCHTER. Seyd ihr parat? Das Verhör wartet.

GENOVEFA. Wo ein räubrischer Wolf als Richter sitzt, das unschuldige Lamm zu verdammen. Wenn ich nun nicht gehn wollte?[192]

WÄCHTER. Haben dann Ordre euch zu schleppen.

GENOVEFA. Ich dachte, ich wäre eure Herrschaft, Siegfrieds, eures Herrn, rechtmäßige Gemahlin; lieben Leute, bin ich's denn nicht?

WÄCHTER. Mit Verlaub, nein, ihr seyd jetzt Arrestantin, drum wollen wir euch verhören.

GENOVEFA. Ich muß wohl gehn.

WÄCHTER. Thut's, es ist das Beste. Ab.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 183-193.
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