Neunte Scene.

[199] Mathildens Zimmer.

Golo, Mathilde.


MATHILDE. Was ich that, that ich aus Noth, aus Liebe zu dir. Bestraf' mich drum.

GOLO. O Mathilde! Warum kamst du hieher? Ließest mich nicht in der Dämmrung mit mir selbst irre? Ich hätte mich wieder gefunden da, wo ich mich verlor, meine Leidenschaft würde wieder versiegt seyn da, wo sie entsprang, eingeschlossen in meinem Busen. Du rissest mir's vom Herzen, gabst dem Stummen eine Zunge, zeugtest aus meinem heimlichen ungebohrnen Weh eine triefende Beule. Nun bin ich's!

MATHILDE. O wärst du nur gebohren, wohin dein Sinn steht, ein ehrlicher Landmann oder ein Hirt hinter der Heerde! Du taugst zu einem Ritter nicht, hättest nie dich so hoch, in eines Grafen Weib verlieben sollen. Warst du nicht damahls schon Verräther, als du deiner Neigung zum erstenmal Gehör gabst? So kühn und schwach, stolz und gemein in einem Klumpen!


[200] Steffen.


STEFFEN. Holla, Gräfin, der Teufel reitet!

MATHILDE. Was gibt's?

STEFFEN. Euer Bruder, all' seine Knechte zu Pferde davon, schickt, was laufen und rennen kann, nach, bescheidet Ritterversammlung auf gewissen Tag und Stunde hieher auf Pfälzel.

MATHILDE. Untersteht er sich' s?

STEFFEN. Auf euch ist's vornehmlich gemünzt, er will nicht eh feyern, bis er euch auf Lebenslang zwischen vier Wände gepackt, geht drauf aus, euch heut noch fest zu nehmen.

MATHILDE. Der arme Schlucker! Auf, heut zum Reiten parat, Steffen, in einer Stunde bey mir![201]

STEFFEN. Werde aufwarten. Ab.

MATHILDE. Siehst du, wohin es geht, wenn wir die Hände länger ruhig in den Schoos legen? Ein Fehler ist eine Null, aber die Null wieder zum Treffer zu machen, heißt auch was. Wir haben schön Zeit zu sentimentalisiren, wenn wir nachher wie gejagte Katzen im Sack sitzen und die uns oben zubinden.

GOLO. That ich bisher nicht Alles, was du gewollt? Du ziehst mich immer an der Kehle.

MATHILDE. Zur Höhe, stolzer Adler! Dir winken Fürstenhüte und Kronen; du verschmähst sie wie das eigensinnige Kind ein Sonntagskleid, weil es das Zuckerkörnchen verloren. Bald seh' ich dich im Herzogsmantel vor mir, weggeschüttelt die armselige Aengstlichkeit, die zu solch einem Anzuge nicht steht. Läg' nicht zu viel in der Schaale, ich wollte dich heut noch von hier fliehen heissen und Alles allein übernehmen, aber deine Gegenwart ist zu nothwendig.[202]

GOLO. Schweig', es ist nun einmahl so weit, ha! Hättest du mich gleich zurück gelassen, vor Genovefa's Füße nieder hätt' ich sie um Verzeihung gefleht und wäre dann auf ewig davon! Du warst klüger, jetzt find wir hier.

MATHILDE. Und wollen weiter Golo, und kommen weiter, und treten eh Alles unter die Füße, was uns im Wege steht! Deine Worte sind falsche Ueberläufer, dein Herz denkt mannhafter als du sprichst.

GOLO. Ha! Nein! Ich werd's nie thun! Nie!

MATHILDE. Du solltest so viel gewagt haben, einen Vogel zu fangen, Leib und Leben, so viel, Tag und Nacht bey Regen und Wind draussen hinter'm Heerd, und doch geläng' es dir nicht: brächte dir aber ein Zufall den Vogel in den Bauer, verschmähtest du ihn doch nicht zu haben, weil du ihn nicht selbst fingest?

GOLO. Schweig', o schweig doch.[203]

MATHILDE. Oder wolltest jetzt hinknieen, demüthig wie ein gebundner Landsknecht, vor Genovefa's Fuß, zum Spott und Gelächter des Gesindels, das in Küch' und Ställen schwätzt und am Brunnen ein ander erzählt? Daß man dich wie ein Gassenhauerchen auf allen Bänken sänge, und mein Bruder Philister mit seinen Lumpengesellen über dich Urtheil spräche. Eben so leicht wär's ja, noch viel leichter, mit Gewalt sich das zu eigen machen was man mit der besten Güte doch nicht erwerben konnte.

GOLO. Weh mir! Oh! Ja, ich will's!

MATHILDE. Liebesgewalt verzeiht sich gar bald, kein Mädchen hat noch je das Todesurtheil über ihren Räuber ausgesprochen. Eine süße Macht, die bestochene Natur, drückt die Augen zu, die Erinnerung wird wonnig, als wenn Genovefa im Lachen Corallen schlägt wie perlender Champagner.

GOLO. Oh! Und sollt' ich auch im bittersten Tod ihren Genuß ... und sollt' ich auch ... Alles![204]

MATHILDE. Soll werden, folge nur.

GOLO. Was du willst, Alles! Ja, stünde auch jetzt gleich hier der Ritterrath um mich herum, klagte mich auch alle Welt jetzt an, läugnete auch Dragones ...

MATHILDE. Vor dem sey nicht bange, du weißt nicht, warum ich erst Wallrod in den Thurm geschickt, zu ihm hin.

GOLO. Alles! Nur sie! Umringten mich jetzt auch gleich tausend Qualen, stünd' auch die Hölle vor mir auf, hab' ich sie nur genossen, mir ist's Uebrige gleichviel. Alles würgen und zerreissen, was mir im Wege steht!

MATHILDE. Gleich jetzt zu ihr hin!

GOLO. Wohin? In den Kerker? Im Kerker? Es gefällt mir nicht. Dort im Kerker ...[205]

MATHILDE zuckt die Achsel. Dann auch ihre nahe Niederkunft.

GOLO. Niederkunft? Hölle! War sie denn schwanger?

MATHILDE. Wo hast du deine Augen?

GOLO. Schwanger!

MATHILDE. Knirschest, frissest dir die Nägel, erstaunst, daß deine Göttin auch gebähren soll, wie andre Weiber. – Sieh, da wett' ich, kommt eben eine Gevatterpost! Narre!


Margrethe die Gärtnerin.


MARGRETHE. Guten Morgen, gnäd'ge Herrschaft. Ja, wie man im Sprichwort zu sagen pflegt, gut Ding will Weil und Heyrathen macht Kinder, ha ha ha, – verzeih'[206] mir's die Dame, daß sie so früh beunruhige, doch Noth bricht Eisen, 'ne Hand muß 'mahl aus'm Sack hervor. Doch Scherz bey Seite, Gräfin Genovefa ist heut Nacht im Thurm ... nun, rathet 'mahl.

MATHILDE. Riechen eure Neuigkeit schon in der Ferne. Die Gräfin, wollt ihr sagen, ist niederkommen.

MARGRETHE. Getroffen, ha ha! Golo schnell ab. Dazu mit einem schönen, großen, gesunden, starken Knaben, der seinem Vater ganz und gar perfect ähnlich sieht bis in's Näschen.

MATHILDE. Wo habt ihr die Niederkunft erfahren? Vor sich. Verdammt! Ueberall gesorgt und dennoch nicht genug! Hm!

MARGRETHE. Die Wächter oben hörten sie klagen und riefen mir in der Frühe, ich sprach hernach mit ihr selbst durch's Gitter, sie bath um ein Tröpfchen Brühe, das wollten mich die Wächter nicht reichen lassen. Wollte doch die[207] Dame gar schön gebethen haben, daß ich in den Thurm hinein dürfte, der armen Gräfin beyzustehn. Das arme Kind muß auch getauft werden, das Närrchen muß doch 'nen Namen haben.

MATHILDE. Wollen sehn, was wir können. Mein Bruder bescheidet eine Ritterversammlung hieher auf Pfälzel, da wird's entschieden, ihr müßt euch dahin wenden.

MARGRETHE. O je, meine hohe Dame, bis dahin kann ja die Gräfin im Thurm drey hundertmahl verschmachten. Die Wächter lassen nichts zu ihr durch, als trucken Brod und hell dünn Wasser; wie soll's die Frau damit aushalten, sich und ihr Würmchen zu erlaben?

MATHILDE. Es soll zugesehen werden, daß es ihr an nichts fehlt. Kommt nachher wieder, sollt Aufwärterin bey der Gräfin werden, wenn ihr euch zu schicken wißt.

MARGRETHE. Ey warum nicht? Thu' Alles, was man will. Ab.[208]

MATHILDE. Unzuverlässige Klätsche, traue dir wie einem Skorpion in meiner Hand. So weit endlich! Ich muß arbeiten, wenn Freund Golo schläft. Vor ihm bin ich jetzt sicher, er ist einmahl so weit mit durch. Er fühlt wohl richtig, eh ihm aber seine Scham erlaubt, jemand in Noth zu verlassen, lieber hülf' er das größte Unrecht durchstreiten. Schlimm wird's Genovefen ergehn, ihre Halsstarrigkeit ... meinetwegen! Besser sie als wir in die Grube. Die Sache ist jetzt einmahl zu allgemein public, als daß sich's auf anderm Wege entriren ließe. Anne ist fern von hier nach Difibodenberg und meine Christine heimlich mit durch, Leute ausfindig zu machen, die mit Schreiben von Julie in's Lager zu Siegfried gingen. Wollen sehn, wie's abläuft, hab' ihr schon ein paar nachgeschickt, sie aufzufangen. Steffen soll heut noch fort, ins Lager zu Siegfried. Verhör, Zeugschaft, Alles auf's Klarste in schönster Ordnung hingeschickt. Ich muß jetzt schon solche Maßregeln nehmen, die, im Fall es auf's Aeusserste kommt, unsre kühnste Handlung rechtfertigen. Steffen! Bist du da?


Steffen.


STEFFEN. Gestiefelt und fix. Die Commission und auf's Pferd frisch mit dem Sporn wie der Wind.[209]

MATHILDE. Schnell seyn ist gut, Aufmerksamkeit besser und Verstand am Besten. Es gibt gut Bothenbrod, Steffen, wenn du Antwort bringst, wie man sie gern hört und braucht. Verstehst?

STEFFEN. So halb und halb.

MATHILDE. Braver Diener, der einen versteht. Herein. Ab.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 199-210.
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