Neunzehntes Kapitel.
Die historische Societät.

[140] An einem schönen Morgen, als der Lektor die Zeitungen las, und Seine Gnaden ihre Pfeife rauchten, geruheten Dieselben, dem Lektor folgendes zu vernehmen zu geben:

»Blix, Lektoris, mag das nicht mehr hören, daß ich ausgeritten bin, und auf der Jagd war. Kann er nicht sonst was 'neinschreiben, was ich thue?«

Halten zu Gnaden, mit Permißion, ich schreibe allein, was ich in Erfahrung bringe. Aber zeither ist so wenig Neues paßiret, daß ich oftmals meine liebe Noth habe, die Zeitung voll zu kriegen. Und wenn Eu'r Gnaden nicht befohlen hätten, das ich das Merkwürdigste von andern Fürsten und Herrn mitnehmen soll, so wüßt ich manchmal in meinem Leibe keinen Rath.

»Na, na! wart man; soll schon paßiren, so soll es! Soll schon zu schreiben kriegen. Les' Er man weiter.«

– Am Geburtstage der Fürstinn Jablonowska versammelten sich die Mitglieder Jablonowskyschen historischen Societät u.s.w.[140]

»Halt mal! Lektoris, weiß er mir wohl zu sagen, wenn ich ihn fragen thät, wie so 'ne Sohtschetät seyn muß?«

Das weiß ich so gut, als mein Vaterunser. Das sind Gelehrte, die zusammen kommen und einen Präsidenten haben; die untersuchen denn allerhand historische Dinge, und geben Preisaufgaben auf, zum Exempel: In welchem Jahr Christi Alexander Magnus wider den Türken auszog? oder wer dieses und jenes Mannes Großvater gewesen? und wers denn am besten macht, der kriegt den Preis ...

»Halt mal! Habe schon längst Willens gewesen, auch mal so 'ne Sohtschetät zu machen. – Krischan! den Justitiarius und den Leibbuchdrucker!«

»Hört mal, ihr Herren! Will euch alle drey hiermit in Gnaden zu 'ner historschen Sohtschetät machen. Der Seckertär und Verwalter sollen auch mit bey seyn. Schulm ... Lektoris! kann 's man in die Avisen setzen. Er soll Prätendent seyn, hört er.«

Danke unterthänigst für die hohe Gnade. Wollen Eu'r Gnaden auch über die Aufgaben resolviren?

»Kann wohl. Will nu ausreiten. Meld er sich, wenn ich einkomme.«

Der Ludimagister, nunmehriger Präsident, ermangelte nicht, sich bey der Zurückkunft Seiner Gnaden einzufinden, und erhielt von ihm Befehl, einige Preisaufgaben bekannt zu machen. Der Ludimagister erinnerte ihn, daß es nicht undienlich sey, den Preis zugleich zu bestimmen, und empfieng auch darüber seine Befehle. Also prunkte die nächste Avise mit folgendem stolzem Artikel:

»Schloß Lindenberg, vom 13ten Januar. Heute früh, als der Herr Lektor ordinarius Bartholomäus Schwalbe, Ludimagister Seiner Hochwohlgebohrnen Gnaden, dem Herrn Siegfried,[141] Erb- und Gerichtsherrn von Lindenberg etc. etc. etc. unserm allertheuersten Herrn aufwartete, geruheten Seine Gnaden aus einem rühmlichen Eifer für die Wissenschaften ...«

»Halt! riefen Seine Gnaden, das ist all wieder nicht wahr; hab' an die Wissenschaften nicht mal gedacht. Schere mich viel um den Kram. Habs man gethan, weil ich so gut 'n Edelmann bin, als der Fürst Jablonowsky, und so gut Geld habe, als er, und wohl noch mehr, was das betrifft. Kann auch wohl Sohtschetäten machen. – Na, man weiter!«

»– Wissenschaften, den Herrn Schloßpoeten, Martin Christoph Süß, p.t. Justitiarius, wie auch den Herrn Peter Fix, Schloß und Avisendrucker, auch Inspector über Seiner Gnaden Taschendruckerey zu sich berufen zu lassen, und ernennten sie auf der Stelle in einer zierlichen Anrede zu Mitgliedern der historischen Societät der Wissenschaften, welche Hochdieselben hiermit errichteten. Der abwesende Herr Friedrich Schulze, geheimer Secretär, und Herr Georg Detri, Obereinnehmer und Verwalter Seiner Gnaden, hatten gleichfalls die Ehre, zu Mitgliedern dieses vortrefflichen Instituts ernannt zu werden. Hierauf stellten Seine Gnaden diesen Herren Dero Lektorum ordinarium, den Herrn Bartholomäus Schwalbe, als ihren Präsidenten und Oberhaupt vor, und weiheten sich selbst sehr feyerlich zum künftigen Beschützer dieses Instituts ein.«

»Die binnen Jahr und Tag zu beantwortenden Preisaufgaben sind:

I. In welchem Jahre zog der tapfere Ritter Siegfried, genannt der Hörnerne, zum erstenmal auf Abentheuer aus? Wenn ward er gebohren, und wenn starb er?«[142]

»II. Welcher von den Leibeserben dieses Helden ist der eigentliche Stammvater der Herren von Lindenberg?«

»Die beste Beantwortung der ersten Frage wird mit einem fetten Ochsen, und die der zweyten mit einem halben Fasse Bier und vier Flaschen Danziger Goldwasser belohnet werden.«

»Wie man vernimmt, werden der Herr Bartholomäus Schwalbe, als Präsident der Akademie, einen ansehnlichen Gehalt empfangen.«

»Wenn dieses Institut seine erste Sitzung halten wird, ist noch nicht bekannt.«


* * *


»Blix, Herr Prätendent, das soll mal 'n Schnack in der Welt geben!«

Allerdings, Eu'r Gnaden! Es wird ein rechtes Aufsehen machen.

Der gnädige Herr hatte nie dran gedacht, daß es nicht genug sey, Zeitungen drucken zu lassen, sondern daß sie auch auswärts gehen, und gelesen werden müßten. Er genoß seine Größe, und schmeichelte sich, aller Welt zu reden zu geben, weil alles was er that, schwarz auf weiß gedruckt war. Und der Ludimagister hütete sich wohl, ihm den Staar zu stechen. Er war froh, daß die Avisen im Gange waren, und daß er vermittelst eines kleinen Winkes in der Zeitung den gnädigen Herrn zu allem bringen konnte, ohne daß ihm etwa heut oder morgen etwas hätte beygemessen werden können, gesetzt auch, der Edelmann wäre von der Art gewesen, irgend jemanden die Ehre eines Einfalles zu lassen.

So, zum Exempel, als einmal des Basedowischen Philanthropin's in der Zeitung gedacht wurde, und der Edelmann mit seinem gewöhnlichen: Kenne das Ding nicht, dem Ludimagister Gelegenheit gab, seine[143] Weisheit an den Mann zu bringen: da schwatzte dieser ein Langes und Breites davon, sagte das wäre eine gar aparte Schule, abscheulich schön, kompendiös, wo die Knaben – wiewohl's auch für Mägdlein paßte – in einem Schnups alles lernten, alles mit Namen zu nennen wüßten, wie es auf Deutsch und Latein hieße – und was ein Dorfschulmeister sonst noch von einem Philanthropin sagen kann. Und des folgenden Tages stand unter dem Artikel: Schloß Lindenberg, folgendes in der Zeitung:

»Ein gewisser vornehmer Herr hat sich von einem Gelehrten einen genauen Begriff von der Einrichtung und dem Nutzen des Dessauischen Philanthropini beybringen lassen; und es stehet zu vermuthen, daß er wohl den gedachten Gelehrten nach Dessau senden werde, um sich mit der Philanthropinischen Einrichtung aufs vollständigste bekannt zu machen, um ein ähnliches Institut zum Besten seiner jungen Unterthanen in seinem Gebiete zu errichten.«

Mehr brauchte es nicht, den Edelmann zu bestimmen. Das Philanthropin für die Lindenbergschen Bauerjungen kam mit der Zeit zu Stande. Herr Peter Fix schnitt die dazu erforderlichen Bilder in Holz, und wenn ein Ding vorkam, das dieser Künstler weder in der Natur noch in einer Abbildung zu sehen Gelegenheit gehabt hatte: so ersetzte sein Genie solche Kleinigkeiten. – Wenn wir dieses Philanthropin nicht genauer beschreiben, so ist die Ursache diese, weil das ein größeres Buch erfoderte, als dieses dermalen werden darf.

Quelle:
Johann Gottfried Müller: Siegfried von Lindenberg. Hamburg 1779, S. 140-144.
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Siegfried von Lindenberg. Komischer Roman

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