Erste Scene.

[151] Düstrer Platz an der Seeküste von Auslo. Im Hintergrunde ein hoher Fels, dessen mit Gesträuch bewachsener Fuß in die See hineintritt. Er ist von oben herab bis über die Mitte seiner Höhe wandartig schroff, weiter unten aber wild und zackenförmig abgestuft. Auf der äußersten Spitze der Felswand ein Theil der Normannischen Königsburg, von alterthümlichem und baufälligen Ansehen, mit gothischen Fenstern und einer Pforte, an deren Schwelle die Felswand scharf abschneidet. Oskar und Asla treten im Vordergrunde auf. Ersterer trägt ein Band um die Stirn.


OSKAR.

Sieh, Asla, das – das ist mein Lieblingsort

Im engen Kreis um Auslo's Veste her,

Wo durch mein Haar die freie Luft darf wehen.[151]

ASLA.

Der mein' ist's nicht, kommt, laßt uns wieder fort.

Die Felswand drückt auf meinen Busen, schwer

Wie eine Last, und Geist und Sinn vergehen,

Wie Tropfen in der ungeheuren See.

OSKAR.

Wohl besser säh' sich beides von der Höh',

Dort, wo ein Theil der Burg am Felsen hangt.

Schon mehr als einmal hat mich hin verlangt

Nach jener wunderlich gebauten Pforte,

Dergleichen ich nie sah an solchem Orte.

Ein Vogel nur kann in die Burg durch sie,

Und wer heraustritt, scheidet aus dem Leben.

ASLA.

Das sagt der Nam' auch, den man ihr gegeben:

Die Todespforte.

OSKAR.

Warst du dort schon?

ASLA.

Nie.[152]

OSKAR.

So laß uns hin! Es muß den Geist erheben,

So in dem Thor des dunklen Reichs zu stehn,

Und lebend in den Tod hinabzusehn.

ASLA.

Wohl muß es das, doch hier nicht kann's geschehn.

Der Theil der Burg, den diese Felswand trägt,

War eures Vaters Wohnung in den Zeiten,

Wo's ihm vergönnt war, auszuruhn vom Streiten.

Die Pforte, hört' ich, hat er angelegt,

Als frei herauszutreten Raum noch war,

Und noch ein Fußweg dort hernieder führte.

Doch als ein Theil des Bergs zusammen fiel,

Tief unterwaschen von der Wellen Spiel,

Und man die Risse des Gebäudes spürte,

Schloß man den Eingang zu für immerdar.

OSKAR.

O, das ist Schade! das betrübt mich wieder.

ASLA.

Warum?

OSKAR.

Von Ottfrieds Daseyn such' ich Zeichen,[153]

Und nirgends – nirgends kann ich sie erreichen.

Zu seinem Sarg möcht' ich so gern hernieder,

Und Irma selbst wehrt mir hinabzusteigen

In Auslo's Gruft –

ASLA.

Das hat besondre Gründe.

OSKAR.

Wenn's deren giebt; muß man sie mir verschweigen?

Ist's nicht erlaubt, daß ich sie überwinde

Mit der Beredsamkeit, die Sehnsucht leiht?

Du kennest den, der dich gezeugt; wenn heut'

Er stürbe noch, du hast ihn doch gesehn,

Und was du liebst, behält Gestalt und Wesen

In deinem Geist, und kann nicht untergehn

In deinem Haupt, bis sich die Bande lösen,

Die Seel' und Leib zusammenhalten. Ich

War vaterlos, noch eh' ich Kind war, mich

Verstieß mein Haus vor der Geburt, ich liebe

Ein schwankend Bild der eignen Phantasie

Statt eines Vaters; und die Schwester, die

Ihn hat gekannt, versagt dem Kindestriebe[154]

Die dürft'ge Nahrung aus der Wehmuth Strom!

ASLA.

Sie will euch heiter wissen, lieber Ohm;

Weil sie euch liebt, erspart sie euch die Thränen.

OSKAR.

Sie liebt mich nicht; ich weiß es besser. Hier

Liebt niemand mich, ist niemand mir gewogen.

ASLA tief bewegt.

Oskar!

OSKAR.

Sie sehn in mir den Feind, den Dänen.

Du nur bist freundlich mir gesinnt, zu dir

Wird mein Gemüth mit sanfter Macht gezogen.

Laß mich dir sagen, Asla, was in mir

Ist vorgegangen, seit ich dich gesehen,

Und lehre mich, mein Innerstes verstehen.

ASLA unruhig.

Gehn wir zurück jetzt, Oheim, in das Haus;

Man wird besorgt dort, bleibt ihr länger aus.

OSKAR.

Warum besorgt? Ich bin so fest gefangen,

Daß mit der Freiheit ich auch das Verlangen[155]

Darnach verloren. – Mitten in der Schlacht,

Der ersten, die ich sah mit scheuem Bangen,

Erblickt' ich dich, getragen von der Nacht

Des Felsen, der dem Blick die Sonne deckte,

Ein Zauberbildniß, überirdisch hold,

Gezeichnetes des Abendhimmels Gold;

Und plötzlich gab es nichts mehr, was mich schreckte,

Und dreimal zwang ich meine feige Schaar,

Dem Fels zu nahen, blind für die Gefahr;

Bis Ourdal, der des schwachen Kämpfers lachte,

Den Helm mir traf mit riesenhaftem Streich,

Und Kurl zu dir mich als Gefangnen brachte.

ASLA.

Daß ich mit täuschender Erscheinung euch

In's Unglück lockte, quält mich nur zu oft.

OSKAR.

Wohl täuschend war sie! Mehr, als ich gehofft –

Mehr, als mir gut mag seyn, hab' ich gefunden.

Mit einer Binde war mein Aug' umwunden,

Mein Sinn geschieden von der Außenwelt.

Nichts zog mich zu sich hin, als der Gedanke,[156]

Den dunkler Trieb in meinem Haupt erzeugte,

Und daß ihn nie die Wirklichkeit erreichte,

Stand zwischen ihr und mir, wie eine Schranke,

Die in der Brust den Wunsch gefangen hält.

Jetzt – ringsum ist die Scheidewand verschwunden;

Der irre Flug der freien Einbildung

Ist von dem Reiz des Wirklichen gebunden,

Und meine Brust bewegt ein fremder Schwung.

Nur mühsam de Vergangnen mir bewußt,

Kann auch Erinn'rung mich nicht mehr bewegen.

Für neue Leiden und für neue Lust

Klopft hier ein neues Herz mit raschern Schlägen,

Und neue Sinnen sind mir aufgeschlossen,

Wie Frühlingsblüthen, die im Sonnenregen

Zum ersten Mal dem jungen Baum entsprossen.

Weißt du solch Räthsel nicht mir auszulegen?

ASLA vor sich.

Oh! daß ich so mir selbst verborgen wär' –

Des eignen Busens Rede nicht verstünde!

OSKAR.

Wohl seltsam ist's; ich bin kein Knabe mehr,[157]

Und mehr als jemals gleich' ich doch dem Kinde.

Du lächeltest, als ich dich gestern bat,

Nach meiner Wunde wiederum zu sehen.

Sie schmerzt nicht mehr, ich will es dir gestehen;

Doch bat ich dich – weißt du, warum ich's that?

ASLA mit Schüchternheit und Verwirrung.

Wie sollt' ich nicht? da ich es unterließ

Aus gleichem Grund.

OSKAR freudig.

Asla, ist das gewiß?

Drang das Entzücken, das ich schaudernd spürte,

Wenn deine Hand mir leis die Stirn berührte,

Durch deine Nerven auch? Warst du, wie ich,

Getrieben und zugleich zurückgehalten

Von zwei sich widerstrebenden Gewalten?

Den Arm um dich zu schlingen, zwang es mich,

Und nicht gehorchen konnt' ich doch dem Zwange;

Und glühend Roth bedeckte deine Wange,

Und schüchtern mieden uns're Blicke sich.

Dein lieblich Bild, so fest mir eingeprägt,

Daß fern von dir ich's immer um mich sehe,[158]

Zerrinnt in meinem Haupt, wenn deine Nähe

Mir fühlbar wird; wie Saitenklang bewegt

Dein Hauch mich, und das leiseste Berühren

Läßt mich in dir mein eigen Seyn verlieren.

ASLA.

Oheim, wohin – oh, wohin soll das führen?

OSKAR.

Zum Ausgang aus des Busens Labyrinth.

Asla, ich bin Brunhildens einzig Kind,

Und wenn die Frauen leben, weil sie lieben,

So lebt sie nur, weil sie mich hat geboren:

Denn sie ist Weib nur in der Mutter Trieben,

Und muß vergehn, bleibt Oskar ihr verloren.

So malte der Gesandt' auch ihren Gram,

Dein Vater selbst vernahm's nicht unbewegt,

Und schien unruhig, wie er nimmer pflegt.

Ich war es mehr; doch brennend stieg die Schaam

Mir in's Gesicht, daß ich es darum war,

Weil ich besorgte, daß er Alfs Begehren

Bewill'gen könnt', und Freiheit mir gewähren.

Mich kümmerte die nicht, die mich gebar,

Das Dänenblut nicht, das von neuem soll[159]

Für Oskar fließen, nicht der Aufruhr, den

Mit meinem Namen Egrösund entzündet,

Seitdem er sich mit meinem Ohm verbündet.

Nur von der Angst, dich – dich nicht mehr zu sehn,

War ich erfüllt, und – gleich dem Hasse quoll

Es in mir auf, wenn ich Brunhilden dachte,

Die mich zum Feind von Asla's Vater machte.

ASLA.

Unglücklicher, du bist, wie ich, verloren!

Du lerntest hassen, die dich hat geboren:

Das ist der Liebe fürchterliches Zeichen –

Der Liebe, die dem Sturm ist zu vergleichen,

Der wild den Baum herausreißt aus der Erde,

Daß er ein Raub der nahen Flamme werde.

OSKAR.

Wenn ich dich liebe, die mir nah' verwandt;

Ist's ein Verbrechen, das mir Qual bereitet?

ASLA.

Ein Frevel wird's von dem Gesetz genannt,

Das seine Kraft aus grauer Urzeit leitet,

Wo König Nor um seiner Nichte Hand[160]

Den Sohn erschlug, zu dem ihr Herz sich neigte,

Und mit ihr Gan, den Vatermörder, zeugte.

Du liebst mich, Oskar! Lust und Grauen ringen

In meiner Brust – du liebst mich mit dem Sinn,

Der um die Braut den Arm begehrt zu schlingen:

Du, Ottfrieds Sohn, liebst Ottfrieds Enkelin.

OSKAR.

Weh mir! Du lehrst des Wunsches Ziel mich kennen,

Zugleich mit dem, was die Erfüllung wehrt.

ASLA schonend behutsam.

Das ist ein mildes Unglück noch zu nennen,

Wenn uns nur mangelt, was der Sinn begehrt;

Doch – wenn es einem Andern angehört –

Wenn Alfs und Asla's Hochzeitkerzen brennen –

OSKAR.

Wie sagst du? Ist vom Frieden noch die Rede

Um diesen Preis?

ASLA.

So fürcht' ich.[161]

OSKAR.

Nimmermehr!

Eh' schlinge Danlands Macht das wüste Meer,

Eh' decken Felsen König Yngurds Heer,

Eh' rase durch den Himmel blut'ge Fehde!

Eh' diesen Zwist, um Oskars schwankend Recht,

Das er verachtet, solch ein Opfer ende!

ASLA.

Ohnmächtiger, was kannst du unternehmen,

Den raschen Flug des Mißgeschicks zu lähmen?

OSKAR.

Das weiß ich nicht; ich weiß nur, daß ich Knecht

Des Triebes bin, der's fordert, daß ich wende

Von meinem Haupte, was es nicht erträgt.

Alf liebt dich, wenn's sein Kanzler weise findet,

In dessen Brust kein Herz, ein Puls nur schlägt.

Brunhilde, die den Hader hat entzündet,

Ward hingegeben selbst in Ottfrieds Hände,

Wie eine Münze, nützlich angelegt –

Sie hasset Yngurd, deine Mutter, dich,

Dort ist kein Mitleid anzutreffen. Hier –

Hier muß geschehn, was retten soll, von dir[162]

Muß es geschehn –

ASLA.

Von mir?

OSKAR.

Kann Irma sich

So freventlich versünd'gen an der Liebe,

Sie, die dem Galten ihrer Wahl gehört?

Kann Yngurd dulden, daß sein Glanz sich trübe,

Indem er kauft, was Helden mit dem Schwert

Behaupten müssen? – Wirf dich ihm zu Füßen,

Auf Irma' Brust laß deine Thränen fließen,

Und wird das Recht nicht deinem Flehn gewährt,

So weig're deine Hand im Angesichte

Des ganzen Volks, und fordre, daß es richte!

ASLA.

Verlange, Jüngling, daß ich sterbe – das,

Was du begehrst, ist nicht in meiner Macht.

Der Zwist, den deine Mutter angefacht,

Nährt' in der Brust der meinen Schmerz und Haß.

Der Küstenländer Aufruhr zu ersticken,

Ist Friede Noth, und die Normannen blicken[163]

Auf meine Hand, die ihn vermag zu binden.

Wo soll ich, ihn zu weigern, Worte finden?

Wo Gründe, Vaters Wort zu widerstreben?

Dein, Oskar, kann ich nimmer seyn. Mein Leben

Ist eine Blüte, der die Nahrung fehlt:

Dem ersten Spiel des Windes hingegeben,

Ist's einerlei, wer sie zum Haarschmuck wählt,

Eh' sterbend sie herab vom Zweige fällt.

Nur Einen Tag ergötzt sie noch den Sinn,

Die Farb' ist schon ein nebelhaft getrübter,

Erloschner Schein; am Abend welkt sie hin.

Das sei dein Trost, unglücklicher Geliebter!

OSKAR.

O, Erd' und Himmel! Lös' dich auf, mein Herz!

Vergeh', mein Leben! Schmilz in Lust und Schmerz,

Eh' die Vernunft aus meinem Haupt entfliehet!

ASLA in seinem Arm.

Oskar!


Freudiges Blasen außerhalb.[164]


OSKAR.

Was ist das?

ASLA.

Danlands Kanzler ziehet

In Auslo ein, im Namen seines Herrn

Mich zu empfangen aus des Vaters Händen.

OSKAR.

Nein, Mädchen, nein! – Noch leuchtet mir ein Stern,

Des Schiffes Lauf vom Untergang zu wenden.

ASLA.

Was hast du vor?


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 3, Braunschweig 1828, S. 151-165.
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