Siebente Scene.

[222] Die Vorigen. Brunhilde schmucklos mit aufgelöstem Haar. Ein Trabant.


BRUNHILDE noch außerhalb.

Zurück, ihr Knechte! Nur der Unsinn stellt

Der Löwin, die ihr Kind sucht, sich entgegen!

TRABANT tritt rasch durch den Haupteingang ein.

Herr –

YNGURD ihn unterbrechend.

Laßt sie ein, die Fürstin kommt gelegen.


Der Trabant öffnet beide Flügel, man sieht die außen stehende Wache zurücktreten. Brunhilde tritt ein, blaß, entstellt, mit der Sorglosigkeit des Wahnsinns gekleidet. Sie folgt dem König, der vor ihrem Anblick zurücktritt, bis in den Vorgrund, wo Irma ihr zur Rechten steht.


BRUNHILDE.

Yngurd! –


Schmerzlich flehend.


Oh, Yngurd!


Sie sieht ihm einige Sekunden starr in's Gesicht.
[223]

Nein, aus diesen Augen

Spricht keine Seele, die mich kann verstehn.


Zu Irma.


Du – du bist Mutter! hast in Todeswehn,

Wie ich, geboren – hast gefühlt das Saugen

Des eignen Lebens an der eignen Brust.

Du weißt es, daß du rasend werden mußt

Vor Schmerz, wenn nur ein klein Versehn von dir,

Verzeihlich überall, entsetzlich hier,

Dein Kind um ein gesundes Glied gebracht.

Du wirst mich fassen – mich, die in der Schlacht,

Im Brande, den ich selber angefacht,

Ihn ganz verlor, den Einzigen, den Preis,

Den köstlichen, für meiner Jugend Blüthe!

Ich habe dich gehaßt – verfolgt – ach Gott! ich weiß

Nichts mehr von dem, was ich dir Leids gethan,

Aus Neid, weil dieser Ritter für dich glühte.

Vergiß, wie ich! Nimm dich Brunhildens an!


Sie wirft sich vor ihr nieder.


Beleidigte, laß knieend dich versöhnen,[224]

Rett Oskar – rett' ihn aus des Tigers Zähnen!


Yngurd erschrickt und wendet sich ab.


IRMA zurücktretend.

Wie, Königin? Ihr sprecht im Fieberwahn.

Die Freiheit Oskars fiel in Siegers Hand;

Eu'r thörig Wort, wenn ich es recht verstand,

Mahnt an Gefahr für meines Bruders Leben?

BRUNHILDE aufspringend.

Du weißt es nicht? Sein Urtheil ist gefällt!

Tod ist sein Loos, der Mörder ist bestellt –

Ich seh' das Schwert an einem Haare schweben

Ob seinem Haupt!

IRMA.

Yngurd!?

YNGURD unruhig.

Sie ist verrückt.

Entferne dich, hör' sie nicht weiter, fort!

Du siehst es ja, aus ihrem Auge blickt

Die Wahrheit des Gerüchts, das wir vernommen.[225]

IRMA.

Wahr oder nicht; Mann! Fürst! Sie spricht von Mord!

Ist's Irrsinn, warum macht das Wort dich glühn?

BRUNHILDE mit nach und nach merklich werdender Verwirrung der Gedanken.

Es sagen's viele, daß ich irrig bin

Im Kopf – oft ist mir's selbst so vorgekommen.

Was in mir ist, das steht vor meinem Sinn,

Als wär' es außen, und wie fremdes Wort

Klingt, was ich denke, den betrognen Ohren.

Auch wär's kein Wunder. Seit ich ihn verloren,

Den jungen König Ottfried, in der Schlacht,

Hab' ich so viel verworrnes Zeug gedacht –

Von Egloff, der sich vor der Hochzeitnacht

Erstochen hat – – Der Narr! ich hatt' ihn lieb –

Da ging er, und der alte Ottfried blieb.

Alt, aber schön doch, trotz dem grauen Haar –

Das machte, weil er nur verzaubert war[226]

Zum alten Mann. Kam die Verwandelung

In meinem Arm; so wurd' er wieder jung,

Und mein Gemüth gehorchte süßen Trieben.

Der war mein zweiter Gatte – oder gar

Mein eigner Sohn, ich weiß das nicht mehr recht.


Mit Thränen.


Ach Gott! Ich weiß nicht, wo er ist geblieben,

Und seit er fort ist, weiß ich alles schlecht.

IRMA tief gerührt.

Unglückliche! Mich überläuft ein Grauen.

YNGURD.

Der Anfall wächst, bring' sie zu deinen Frauen,

Wahnwitz'ge sind nicht tröstlich anzuschauen.

BRUNHILDE.

Nein, nein, ich bin es nicht. Ich bitt euch, sprecht

Nur nicht davon; das raubt mir das Vertrauen

Auf meinen Kopf, der schwach geworden ist

Seit einem Fieber, das mich überfiel,

Weil ich im ungewohnten Mordgewühl

Mich heiß gemacht, und dann der Schrecken mich

Kalt übergoß. – Mein Zustand bessert sich[227]

Von Tag zu Tag.


Sie sieht Irma mit weit offnen Augen an.


Ich weiß recht gut: Du bist

Die Fürstin Norwegs, Irma, meine Schnur;

Dein Mann ist Yngurd.


Sie sieht den König nicht an, aber ihre Einbildungskraft scheint mit seinem Bilde beschäftiget, und die Augen nehmen den Ausdruck der Sinnlichkeit an.


Nichts hat die Natur,

Was diesem König zu vergleichen wär':

Schön, wie der Kriegsgott – riesenstark, wie er –

Schnell, wie der Blitz, fest, wie der Fels im Meer;

Doch – hart wie Fels auch, tödtlich, wie der Blitz –

Wo Kraft wohnt, hat auch kräft'ger Wille Sitz,

Bald bös, bald gut – drum fürcht' ich, Oskar – – Ja,

Das war es, was ich wollte. – Dieser da

Ist Yngurd selbst, der meinen Sohn gefangen,

Und weil sie thörig in den König drangen –

Alf, und sein schwarzer, häßlich alter Rath –[228]

Dem Kind die Kron' als Spielzeug hinzugeben,

Hat er beschlossen: Oskar soll nicht leben.

YNGURD vor sich.

Kann Narrheit schauen in des Willens Wiege,

Wo bärge vor der Klugheit sich die That?

IRMA die den König beobachtete.

Wer ist's, der deß euch überredet hat?

Nennt ihn, daß Yngurds Schwert ihm seine Lüge

Zurückstoß' in die Brust.

BRUNHILDE sinnend.

Ob ich's gedacht?

Ob mir's im Schiff der Bote hinterbracht?

Ich weiß es nicht, kann das nicht unterscheiden.

Auch gilt's hier gleich, ich fühle wirklich Leiden

Auch ohne wirklich Unheil. Wirklichkeit

Liegt unerkennbar vor mir, nebelhaft;

Was mein entzündetes Gehirn erschafft,

Nur das ist da für mich, und herb'res Leid,

Als wirklich Elend, gießt's in meine Brust.

Du thust's nur Ein Mal, König, wenn du's thust;[229]

Ich, ob du's nicht thust, seh' ihn stündlich sterben:

Sein Angesicht vom Gifttrunk sich entfärben –

Die Wunde bluten – ihn im Strom ertrinken-

Des Zimmers Boden unter ihm versinken –

Herab vom Thurm ihn – – Ha!


Sie hält plötzlich inne und sieht starr vor sich hinaus, als ob sie auf eine Höhe hinaufblickte. Dann folgt ihr Blick dem Herabfall, welchen die Einbildungskraft ihr vorspiegelt, sie thut einige Schritte in der Richtung ihrer Augen, als wollte sie den Herabgefallenen betrachten, endlich bricht sie in erschütternden Jammer aus.


Oh, Wehe! Wehe! Wehe!

Seht – seht! Das ist nicht in mir, was ich sehe!

Das ist – Herr Gott! – das ist mein Knabe – todt!

Viel mehr als todt – vom Sturz zerschmettert – roth

Von Blut sein Haar, sein schönes goldnes Haar!

Und ich – weil ich nach Yngurd lüstern war,

Ich bracht' ihn um – Oh, elend Weib, vergehe!


[230] Sie sinkt nieder in eine Stellung, als ob sie neben dem Leichnam läge.


IRMA gegen Yngurd gewandt.

Vergeh, Natur! Zerstör' dich selber, Welt!

Gewölbter Himmel, werde roth vor Schaam,

Wenn, was sich vor des Irrsinns Auge stellt,

Je in den Sinn des Helden Yngurd kam!

Fall' aus, mein Haar, das seine Hand in Stunden

Des Minneglücks in Flechten aufgewunden!

Erblindet, Augen! Werdet fahl ihr Wangen!

Verwelket, Lippen, die sein Mund geküßt

Verdorre, Leib, den er in Lieb' umfangen

Wenn Irma's Gatte – Oskars Henker ist!

YNGURD ohne Fassung.

Was willst du, Weib? Steckt dich der Wahnwitz an?

IRMA.

Oh, daß er's thät, wenn mehr es ist, als Wahn,

Was mich ergriffen hat, als in der Schlacht,

Der schwankenden, er vor dich ward gebracht,[231]

Was mich durchbebte mit des Frostes Zittern,

Als du ihn »Schlange« nanntest vor den Rittern,

Und kalt dann sprachst: »Nös, schreibt den Reichstag aus;«

Was sichtbar Asla's Busen überfiel,

Als Oskar, auf dem Zug mit Alf durch's Haus,

Zurückblieb, und verschwand im Volksgewühl.

YNGURD.

Wie? Blieb er nicht in ihrer Obhut?

IRMA.

Nein!

Ihn aufzusuchen, ließ sie uns allein,

Und du – du bist, wie sie, von Angst bewegt? –

Steht auf, Brunhilde! Braucht des Elends Recht!

Erschüttert ihn! An eures Hirnes Glut

Entzündet eure Worte, daß sie ihn,

Wenn's Zeit noch ist, rein von dem Vorsatz glühn,

Der an der Seel' ihm klebt, wie Rost am Stahl.

Schmelzt seinen Willen, wie des Blies Strahl

Des Vaters Sarg zerschmolz: denn – wenn er's thut,[232]

Das Gräßliche, was ich zu denken bebe –

Fluch auf mein Haupt, wenn ich es überlebe!


Sie will gehn. Brunhilde, welche sich langsam vom Boden aufgerichtet hat, ohne jedoch pdie Richtung ihres Blickes zu ändern, hält sie zurück.


BRUNHILDE.

O, nicht doch, nicht doch, bleib!

Das Leichenweib

Wäscht ab den Leib,

Die Mutter nicht, der ist's nicht zuzumuthen.

Still! Weißt du's nicht? Ich bin

Die Mörderin –

Ich liefert' ihn.

Rühr' ich ihn an, und seine Wunden bluten,

So wird es ruchtbar, läuft von Ort zu Ort.


Sich abwendend von Irma.


Laßt den Knaben

Nicht den Raben,

Tragt ihn fort!

Weiter – weiter! – Dort

Senkt ihn ein.

Sein Leichenstein[233]

Will ich seyn,

Immer bei ihm,

Ewig treu ihm –

Sarg oder Wiege,

Wo er liege,

Mutter singt den Knaben ein.


Den letzten Vers ein oder zwei Mal wiederholend, geht sie zu schwankendem und unsichern Gesang einer Wiegenliedsmelodie über, macht, als ob sie der Leiche folgte, einen kurzen Gang über die Bühne und lehnt sich endlich, vorwärts gezeugt mit niederhangendem Haar auf das Fußgestell einer Säule.


YNGURD.

Ha, wär' mein Vorsatz wie der Demantstein,

Der keinem Feuer schmilzt, zur milden Thräne

Zerflöss' er in den Gluten dieser Töne.

Ja, Weib! – ich bitte dich, sieh mich nicht an! –

Ja, ja! ich wollt' es, und es wär' geschehen,

Was mich geführt hätt' auf des Wahnsinns Bahn,

Hätt' ich den Wahnsinn leiblich nicht gesehen.


Mit kräftiger Erhebung.
[234]

Mein Engel siegt. Ich fühle, wer ich bin.

Fürst oder Knecht; ein königlicher Sinn

Ist Herr der Welt, er kann ein Reich entbehren.

IRMA entzückt.

Yngurd! Gemahl! Held! König meiner Brust!

Du führst so plötzlich mich von Qual zu Lust,

Daß ich des Zweifels kaum mich mag erwehren,

Es sei ein Traum.

YNGURD.

Laß Oskar rufen, eile!

Daß er die Mutter von dem Traume heile,

An dem sie krank ist.


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 3, Braunschweig 1828, S. 222-235.
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