[40] In Athen. Der Marktplatz mit einer Rednerbühne in der Mitte. Im Vordergrunde seitwärts eine offene Tempelhalle mit Götterstatuen, Blumenguirlanden, Altar. Eva als Lucia, Gattin des Heerführers Miltiades, mit ihrem Sohne Kimon, von mehreren Dienern begleitet, die Opfergegenstände tragen, kommt auf die Tempelhalle zu. Am Platze lungert zerlumptes Volk umher. Strahlender Morgen.
EVA.
So komm doch, komm hierher, mein lieber Kleiner;
Sieh, dahin fuhr auf schnellem Schiff dein Varer,
Zu kämpfen fern an feindlichen Gestaden.
Ein rohes Volk lebt dort, das es gewagt hat
Die goldne Freiheit unsres Vaterlandes
In keckem Übermute zu bedrohn.
Wir wollen beten, innig beten Kind,
Daß unser gutes Recht der Himmel schütze,
Und unverletzt den Vater wiederbringe.
KIMON.
Was mußte Vater in die Ferne ziehn,
Daß er dies lump'ge feige Volk beschütze,
Wenn unterdes daheim sein Weib sich grämt?
EVA.
O weh, o weh, mein Sohn, urteile nicht
Vermessen über deinen guten Vater,
Auf daß dich nicht der Gottheit Fluch ereile!
Ein liebend Weib allein besitzt das Recht
Zu klagen über ihres Mannes Schritte,
Ob deren Unterlassen sie sich schämte.
Dein Vater that, wie's einem Manne ziemt.[40]
KIMON.
So fürchtest du, er möchte schwach sich zeigen,
Könnt' unterliegen gar?
EVA.
Nein, nein, mein Sohn,
Dein Vater ist ein Held, wird sicher siegen;
Nur eines giebt's, was ich befürchten kann,
Daß er sich selber nicht bezwingt.
KIMON.
Wieso?
EVA.
Ein mächt'ger Laut wohnt unsrer Seele inne,
Die Ehrbegier. Im Sklaven schlummert sie;
Und wenn sie auch erwacht, so sinkt sie doch,
Weil ihr der Kreis zu enge, zum Verbrechen
Herunter. Mit dem eignen Blute aber
Zieht Freiheit sie als Bürgertugend groß.
Ja, diese ruft, was schön und hehr, ins Leben;
Jedoch, wird sie zu stark, dann überfällt sie
Die eigne Mutter, und ein Kampf entbrennt
Bis eins von beiden wehrlos unterliegt.
Wenn diese Stimme Übermacht gewönne
In ihm, wenn er dies heil'ge Vaterland
Verraten könnte, würd' ich seiner fluchen.
Komm, beten wir mein Sohn!
Sie gehen in die Tempelhalle, indessen sammeln sich immer mehr Leute am Marktplatze.
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Man hört ja heute
Nichts Aufregendes, keine Neuigkeit,
Als stieße unser Herr auf keinen Feind.
ZWEITER AUS DEM VOLKE.
Auch hier daheim ist alle Welt so schläfrig.
Ach, will denn niemand Ränke schmieden mehr,[41]
Die auszuführen man, wie einst vor Zeiten,
Des allgewalt'gen Volkes Lungen brauchte?
Den ganzen Morgen streif' ich schon umher,
Und niemand kauft mir meine Stimme ab.
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Langweil'ges Leben das, gar nichts zu thun!
EIN DRITTER AUS DEM VOLKE.
Ein kleiner Aufruhr würde gar nicht schaden.
Eva hat unterdessen das Opferfeuer angezündet, ihre Hände gewaschen und sich zum Opfern vorbereitet. Ihre Diener beginnen einen Hymnus, der strophenweise in die folgende Scene eingreift. Auf dem Markte hat sich eine Menge Bürger und
Volk angesammelt. Zwei Demagogen kämpfen um die Rednerbühne.
ERSTER DEMAGOG.
Mach, daß du fortkommst, dieser Platz kommt mir zu!
Dem Lande droht Gefahr, wenn ich nicht spreche.
Das Volk heult Zustimmung.
ZWEITER DEMAGOG.
Es geht zu Grunde, wenn du sprichst. Weg, Söldling!
Das Volk lacht und applaudiert.
ERSTER DEMAGOG.
Du bist kein Söldling, weil dich niemand kauft.
O Bürger! Schmerzerfüllt ergreif' ich's Wort,
Weil's einer edlen Seele Schmerz bereitet
Das Hocherhab'ne in den Staub zu zerren;
Und mir gebeut die heil'ge Bürgerpflicht
Am heut'gen Tage einen großen Mann
Vor euern strengen Richterstuhl zu fordern,
Herab vom Siegeswagen, nach verrauschtem
Triumphe.
ZWEITER DEMAGOG.
Du fängst gut an, Bösewicht!
Bekränze nur vorerst das arme Schlachtrind,
Das du zum Opfer auserkoren.[42]
ERSTER DEMAGOG.
Weg da!
AUS DEM VOLKE.
Was brauchen wir den Spötter anzuhören?
Zerren am zweiten Demagogen.
ERSTER DEMAGOG.
Doch fällt's mir noch so schwer, es muß gesagt sein;
Denn du, selbstherrliches allmächt'ges Volk,
Giltst mehr in meinen Augen als dein Feldherr.
ZWEITER DEMAGOG.
Dies Pack von hungerigen Krämerseelen,
Das hundemäßig auf den Abfall lauert
Vom Tische seiner Herren? – O du Feigling!
Nein, dein Geschmack ist nicht beneidenswert.
AUS DEM VOLKE.
Stopft ihm das Maul, auch er ist ein Verräter!
Mißhandeln ihn noch ärger. Eva opfert zwei Tauben und Weihrauch auf dem Altare.
EVA.
O Aphrodite! nimm mit Wohlgefallen
Mein Opfer an, erhöre mein Gebet:
Nicht Lorbeerkränz' erfleh' ich für den Gatten,
Nur seiner Heldenbrust daheim den Frieden!
Im Opferrauche erscheint lächelnd Eros. Die Charitinnen umstehen ihn und bestreuen ihn mit Rosen. In Andacht versunkene Gruppe.
DIE MÄGDE.
Erhöre sie!
EROS.
Des reinen Herzens Segen,
Weib, über dich![43]
DIE CHARITINNEN.
Und der Charitinnen
Schutz sei mit dir!
DIE MÄGDE.
Hab' Dank, o Aphrodite!
ERSTER DEMAGOG.
Hört also die Anklage: Miltiades
Hat's Vaterland verraten.
ZWEITER DEMAGOG.
Freche Lüge!
Hört mich an, oder 's trifft der späten Reue
Beschämung euch.
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Weg da, du Unverschämter!
Reißen ihn ganz in das Gewühl.
ERSTER DEMAGOG.
Die Blüte eurer Jugend führt' er an,
Nahm Lemnos kürzlich erst mit einem Streiche,
Und bleibt unthätig jetzt vor Pharos stehn.
Er ist bestochen.
DRITTER AUS DEM VOLKE.
Tod, Tod über ihn!
ERSTER BÜRGER.
So schreit doch, oder zieht aus meiner Miete!
Das Opfer ist zu Ende, die Götter sind verschwunden.
EVA sich erhebend.
Was ist das für ein Lärm? komm, sehn wir nach.
KIMON.
Ach Mutter, ein Verräter wird verurteilt![44]
EVA indem sie auf die Stufen der Halle heraustritt.
Es preßt mir allemal das Herz zusammen,
Seh' ich den hungerigen Pöbelhaufen
Ein Urteil fällen über große Männer.
Fällt einmal etwas in den Schmutz, das glänzt,
So sieht's die Menge stets mit Schadenfreude,
Und überhäuft's mit Hohn, als wollte sie
Dadurch den eignen Schmutz entschuldigen.
ZWEITER AUS DEM VOLKE.
Herr, ich bin heiser, und schrie gar zu gerne.
ZWEITER BÜRGER.
Da hast du, schmiere deine Gurgel.
ZWEITER AUS DEM VOLKE.
Aber
Was soll ich schrein?
ZWEITER BÜRGER.
Tod dem Verräter! schreie.
AUS DEM VOLKE.
Tod, Tod!
EVA.
Von wem ist eigentlich die Rede?
ZWEITER DEMAGOG zu ihr tretend.
Von wem sonst, als der seine Zeitgenossen,
Um eines Hauptes Höhe überragt,
Was diese nicht vertragen können?
EVA.
Götter!
Von Miltiades? – Und du, alter Krispos,
Den aus der Sklaverei mein Mann befreit,
Auch du schreist Tod?[45]
KRISPOS.
Vergieb Frau, von uns beiden
Kann nur der eine leben. Mit drei Kindern
Erhält mein Haus, der mich so stimmen heißt.
EVA.
Weh' dir, wenn dein Geschick dich so erniedrigt!
Obschon ich dir verzeihe, weil du hungerst.
Doch du Thersites, und ihr übrigen,
Die ihr im Wohlstand ruhig schlummern könnt,
Nachdem mein Mann den Feind von euren Thoren
Verjagt? – O Undankbare!
THERSITES.
Gute Frau,
Es kommt uns selbst recht bitter an. Jedoch
Was thun? Das ist einmal des Volkes Stimmung.
Wer setzte wohl sein Hab und Gut aufs Spiel,
Indem er den empörten Wogen trotzt?
ERSTER DEMAGOG.
Verkünde also, wie das Volk geurteilt.
Lucifer als Krieger mit schreckerfülltem Antlitze kommt gelaufen.
LUCIFER.
Verderben droht, der Feind ist vor den Thoren!
ERSTER DEMAGOG.
Das kann nicht sein, steht siegreich unser Feldherr
Denn nicht vor ihm?
LUCIFER.
Er selbst ist ja der Feind.
Erfuhr, was ihr im Schild' führt gegen ihn,
Gerechter Zorn entbrannt' in seiner Brust,
Und während ihr da schwätzt, steht er vor euch
Mit Schwert und Feuer.[46]
ZWEITER BÜRGER.
Ihr Verräter, seht,
Ihr habt dies Unheil über uns gebracht.
AUS DEM VOLKE.
So haut sie nieder. – Unser Feldherr lebe!
Weh uns, weh uns, lauft, was ihr laufen könnt!
Wir sind verloren.
ERSTER DEMAGOG.
Noch nicht. Eilt zu huld'gen
Entgegen ihm ans Thor.
EVA.
O Götter! Schmerzlich
War mir das Urteil, bitterer jedoch
Ist, daß du es gerechtfertigt, obgleich ich
Dich so nun wieder habe.
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Nehmt die Gattin
Gefangen. Widerfährt der Stadt ein Leid,
Soll samt dem Kind' sie blassen Todes sterben.
EVA.
Ach gerne stürb' ich, liebster Mann, für dich,
Träf nur mein Kind nicht seines Volkes Fluch!
KIMON.
Sei unbesorgt um mich, komm' Mutter, komm',
Vor jedem Leid schützt uns dies Heiligtum.
Sie flüchten sich vor den Verfolgern in die Halle, hinter ihnen lassen Nymphen eine Rosenkette vor das Volk herab, das sogleich zurückweicht. Draußen erschallen Posaunen, das Volk stiebt wehklagend auseinander. Die Nymphen verschwinden.
LUCIFER reibt sich lachend die Hände.
Kein schlechter Spaß. Wie gut hat's kühles Wissen,[47]
Kann lachen da, wo Herzen brechen müssen.
Sich gegen den Tempel wendend.
Wenn nur der Anblick dieses ewig Schönen,
Das immer sich verjüngt, nicht stets mich störte.
Es überläuft mich kalt in seinem mystisch
Fremdart'gen Banne, der das Nackte keusch,
Die Sünde edel, und ein bös' Geschick
Erhaben macht durch seinen Rosenschmuck,
Und seiner Einfalt weihevollen Hauch. –
Wo bleibt so lange meine Welt: der Unhold,
Das zweifelhafte Schreckgespenst der Hölle,
Dies Blendwerk endlich einmal zu verscheuchen,
Des Himmelsmacht dem fast besiegten Menschen
Mit mir im Kampfe immer wieder aufhilft?
Doch wollen wir ja sehn, wenn uns in Bälde
Die Schrecknisse des Todes überkommen,
Ob dies langweil'ge Schattenspiel nicht einmal
Hier seine Grenze endlich doch erreicht.
Adam, als Miltiades, wird an der Spitze einer bewaffneten Schar verwundet einhergeführt. Vor ihm flehend das Volk und die Demagogen.
AUS DEM VOLKE.
Es lebe unser Feldherr! Hab Erbarmen
Du großer Mann!
ADAM.
Was habt ihr denn verschuldet,
Daß ihr von mir Erbarmen heischt? Was kann
Der Starke von dem Schwachen wohl erflehn? –
Doch kommt mir weder Weib noch Kind entgegen;
Es widerfuhr den beiden doch kein Leid?
EVA.
Ach Miltiades, warum kommst du auch,
Kann sich dein Weib nicht deines Kommens freun? –
Mein Sohn, ich sinke nieder, stütze mich .....
Nicht einmal einen guten Namen läßt
Dein Vater dir, o weh, o weh! –[48]
ADAM.
Was ist das?
Begreife nicht. Um Gnade fleht das Volk,
Mir flucht mein Weib, und diese Brust hier blutet
Fürs Vaterland.
EVA.
Mehr blutet noch mein Herz,
Und's Vaterland am meisten. Oder weshalb
Kamst an der Spitze einer Kriegerschar? –
ADAM.
Gebühret solch' Geleit nicht meinem Range?
Ich kam, weil diese schwere Wunde mich
Nicht länger meines Amtes walten läßt;
Ich kam, um in die Hände meiner Sender,
In des alleinherrschenden Volkes Hand,
Die meiner Bürgertugend anvertraute
Gesetzliche Gewalt zurückzulegen,
Und über die Erfolge meiner Sendung,
Wie sich's gebühret, Rechenschaft zu legen.
Entlasse euch nun, meine Kriegsgefährten,
Habt eures Herdes Ruhe wohl verdient;
Und dir geweiht, Pallas-Athene, hänge
Auch ich mein Schwert in deinem Tempel auf.
Läßt sich die Stufen der Halle hinaufführen. Seine Krieger zerstreuen sich.
EVA ihrem Gatten um den Hals fallend.
Ach Miltiades, wo giebt's eine Frau,
Glücksel'ger als dein Weib, du edler Mann!
Schau nur, schau deinen Sohn, wie ähnlich dir,
Wie groß, wie schön!
ADAM.
Ihr meine Lieben all'!
KIMON.
Ich wußte wohl, daß, was mein Vater thut,
Auch wohlgethan ist.[49]
EVA.
O beschäm' mich nicht!
Dies hätt' die Gattin besser wissen sollen.
ADAM.
Mein Sohn, du weihe deines Vaters Schwert.
KIMON indem er das Schwert aufhängt.
Behüte Göttin dieses teure Schwert,
Bis ich es einst von dir zu holen komme.
EVA.
Zu diesem zwiefach dargebrachten Opfer
Will ich, die Mutter, Weihrauch streun. Sieh, Pallas,
Hernieder!
Opfert Weihrauch.
ERSTER DEMAGOG auf der Rednerbühne.
Sagt' ich's nicht, daß er ein feiler
Verräter sei, von Darius erkauft?
Erheuchelt ist die Wunde, gegen ihn
Will er nicht kämpfen.
AUS DEM VOLKE.
Tod, Tod dem Verräter!
ADAM.
Hört nur, was ist das für ein Lärm da draußen?
EVA.
Ach Miltiades, das sind Schreckenslaute,
Die Menge nennt dich neuerdings Verräter.
ADAM.
Ha, lächerlich, einen Verräter mich,
Der ich bei Marathon gesiegt?
EVA.
O leider,[50]
Verhält sich's so! Es ist ein schändlich' Treiben,
Das du zu Hause angetroffen hast.
ERSTER DEMAGOG.
Was zögert ihr, euch seiner zu bemächt'gen?
Das Volk drängt sich zur Tempelhalle, darunter Lucifer.
EVA.
In diesem Heiligtume bist du sicher,
Miltiades, rühr' dich nicht von der Stelle! –
Warum auch mußtest du dein Heer entlassen?
Was hast du dieses Sündennest nicht lieber
Einäschern lassen? Ketten nur verdient
Dies Lumpenpack, das wohl fühlt, wie du ihm
Zum Herrn geboren, weil du edler bist
Als allesamt. Es wird dich morden, morden,
Damit's nicht knechtisch dir zu Füßen falle!
ERSTER DEMAGOG.
Hört nur, wie des Verräters Gattin spricht!
EVA.
Das Weib hat stets ein Recht, den Gatten selbst
Dann zu verteid'gen, wenn er schuldig ist;
Wie erst, wenn er so rein, wie mein Gemahl,
Und seine Feinde so verrucht, wie ihr!
ERSTER DEMAGOG.
Was läßt das allgewalt'ge Volk sich so
Heruntersetzen?
ERSTER AUS DEM VOLKE.
Aber wenn sie dennoch
Die Wahrheit spräch'?
ERSTER BÜRGER.
Verdächtig scheint mir, wer
Zu ihnen hält. Schreit, elendes Gesindel,
Oder krepiert vor Hunger![51]
AUS DEM VOLKE.
Tötet ihn!
ADAM.
Verhüll' des Knaben Blick, er soll mein Blut
Nicht schaun! Mach', Weib, dich los von dieser Brust!
Der Blitzstrahl, welcher auf den harten Fels
Herniederfährt, soll dich fürwahr nicht treffen.
Nur ich mag sterben. – Wofür lebt' ich auch
Da ich nun seh', wie albern jene Freiheit,
Für die ich all' mein Lebtag treu gekämpft.
ERSTER DEMAGOG.
Was zaudert ihr noch?
AUS DEM VOLKE.
Tötet, tötet ihn!
ADAM.
Will dieses feige Volk drum nicht verdammen.
Es ist nicht seine Schuld, in der Natur schon
Liegt's ihm, daß Elend es zum Sklaven stemple,
Und harte Sklaverei zum blut'gen Werkzeug
Herrschsücht'ger Meuterer erniedrige.
Nur ich, ich ganz alleine war ein Thor,
Zu glauben, solch ein Volk bedarf der Freiheit.
LUCIFER beiseite.
Hast deine eigne Grabschrift da verfaßt,
Die nach dir auf manch' große Gruft noch paßt.
ADAM.
Geleitet mich hinunter, denn nicht länger
Mag ich dies Heiligtum in Anspruch nehmen
Zu meinem Schutz.
Läßt sich die Stufen hinunterführen, indem er Eva sanft in die Arme ihrer Dienerinnen legt.
Wohlan – ich bin bereit![52]
ZWEITER DEMAGOG.
Verteid'ge dich, es ist noch nichts verloren!
ADAM.
Wie würde diese Wunde brennen, sagt' ich
Ein Wort der Selbstverteidigung.
ZWEITER DEMAGOG.
O thu' es!
Soeben kroch dies Volk vor dir im Staube.
ADAM.
Ach eben deshalb wäre es vergebens,
Denn nie verzeiht das Volk die eigne Schande.
LUCIFER.
Nun, bist du jetzt ernüchtert?
ADAM.
Sehr!
LUCIFER.
Und ist dir's
Nun klar, daß du ein edlerer Gebieter
Der stumpfen Menge warst, als sie dir ist?
ADAM.
Mag sein, doch ist es so und so Verderben,
Anders benannt ein und dasselbe Los,
Dagegen anzukämpfen eitles Streben.
Ich werd' es auch nicht thun. – Und dann wozu,
Wozu auch sollt' ein glühend Herz sich sehnen
Nach Hocherhabenem? Sich selber lebe
Und nach Genüssen hasche nur der Sinn,
Die Spanne Lebensfrist froh auszufüllen
Und trunken in des Hades Schoß zu taumeln.[53]
Führ', Lucifer, auf neue Bahnen mich.
Will hohnlachend hinfür des Nächsten Tugend
Und Qual betrachten, nur nach Wollust strebend.
Und du Weib, die mir einst – so sagt mein Herz –
Hast Lauben in die Wüstenei gezaubert,
Wärst nicht bei Trost, fiel's ein dir, meinen Sohn
Als sorgliche gewissenhafte Mutter
Zum tugendhaften Bürger zu erziehn.
Mit vollem Recht' thät spotten dein die Dirne
Im Freudenhaus dort, mit geschminkten Wangen,
Von Wein erhitzt, Begierde auf den Lippen.
Ergötze, freue dich, verwirf die Tugend! –
Nun aufs Schaffot, durch Henkershand zu sterben –
Zur Strafe. Nicht als wär' ich einer Schandthat
Fähig gewesen, sondern weil mich eine
Erhabene Idee begeistern konnte.
Inzwischen bringt man einen Block vor die Stufen, daneben steht Lucifer mit einem Beile. Adam neigt sein Haupt.
ERSTER DEMAGOG.
Jetzt richtet ihn. Das Vaterland soll leben!
LUCIFER halb flüsternd.
Ein schöner Abschied, nicht? – Nun, tapfrer Herr,
Berührt dich nicht ein bißchen sonderbar
Der eis'ge Hauch des schauerlichen Todes?
EVA.
Erhörtest nicht, o Pallas, mein Gebet!
Aus dem Tempel tritt der Genius des Todes, als sanftblickender Jüngling, mit gesenkter Fackel und einem Kranze zu Adam.
ADAM.
Pallas hat dich erhört. – Leb' wohl, leb' wohl,
Ich bin beruhigt, meine Lucia!
LUCIFER.
Verflucht! erlogne Traumwelt du, hast wieder
Mir meinen schönsten Augenblick zerstört![54]
EVA.
Fluch über dich, fühlloses feiles Volk!
Rauh rührtest du ans Glück, und ach, sofort
Sank seine frische Blüte in den Staub.
Und dir kann kaum so süß die Freiheit sein,
Als für mein Herz sie schmerzlich bitter ward.[55]
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