|
[163] Die Vorigen ohne die vier Scheike.
SCHEIK jammert, zusammengesunken auf seinem Throne.
Sie gehn, sie gehn! Das hab ich nicht verdient!
Ich war ihr Freund, ihr stets bereiter Helfer!
SCHEIK DER TODESKARAWANE ernst, nicht unfreundlich.
Schrei nicht, o Scheik; ich sage dir, schrei nicht!
Denn wer da schreit, ist dieser Qual nicht wert,
Wird weggeworfen, in den Brack und Plunder
Und muß dann wieder eingeschmolzen werden!
SCHEIK verstört.
Die Geisterschmiede – –! Fabel – –! Märchen – –!
PHANTASIE.
Horch!
Kann, was man wirklich hört, ein Märchen sein?
Man hört in der Ferne Hämmer klingen, schwere, mittle und kleine. Das macht einen ganz eigenen Eindruck. Alle lauschen. Man weiß es sich nicht zu erklären.
[163] BABEL.
Das sind doch Hämmer, Schmiedehämmer!
IMĀM.
Hämmer, Schmiedehämmer!
KĀDI.
Hämmer, Hämmer!
ALLE durcheinander.
Hämmer!
PHANTASIE erklärend.
Der Schmerz erscheint!
BABEL tritt teilnehmend zum Scheik.
Fürwahr!
HĀKAWĀTI.
Die Geisterschmiede!
SCHEIK versucht, sich zusammenzuraffen.
Was soll das Spiel?!
PHANTASIE.
Es wird zur Wirklichkeit!
Wir stehen auf dem Schachbrett Nummer Zwei.
Bedenke das! Du selbst hast es erfunden!
Du hast vor allen Dingen zu beweisen,
Daß du der Geist des Morgenlandes bist,
Der es versteht, den Geist des Abendlandes
An beiden Ohren an das Licht zu ziehen!
SCHEIK aufbrausend.
Er komme nur!
PHANTASIE.
Er ist schon da!
SCHEIK.
Schon da?
So zeige ihn! Grad dazu bist du hier![164]
PHANTASIE tritt aus dem Zelt heraus, geht auf den Scheik der Todeskarawane zu und richtet ihn gegen den Scheik.
Wenn du befiehlst, so will ich gern gehorchen.
Wieder die eigenen Worte des Scheikes zitierend.
»Es lagert eine Todeskarawane
Im alten Bette von Abū Hasēf,
Wohl vierzig Männer stark, zerlumpt, zerrissen,
Die Schuftigkeit in jedem Angesicht,
Noch schwimmend im Gestank der Perserleichen,
Die sie nach Mēschhed Hōsse Wn gebracht,
Von aller Welt verlassen, ausgestoßen,
Geborne Teufel, jeder Sünde fähig.
Ihr Scheik, zwar noch nicht alt, wie man mir sagt,
Doch ebenso verkommen wie die Andern« – – –
Nun mit eigenen Worten fortfahrend.
Soll im Turniere euer »König« sein
Und ist doch jener Geist des Abendlandes – – –
SCHEIK sie unterbrechend, während der Scheik der Todeskarawane so ruhig, als ob es sich gar nicht um ihn handle, wieder nach dem Zelte geht und sich dort niedersetzt.
Halt ein, halt ein! Für solche Art von Scherz
Ist diese Stunde wahrlich nicht geeignet.
Die Freunde haben schmählich mich verlassen,
Obgleich rundum schon ihre Heere lagern,
Und ihr, ihr redet Dinge auf mich ein,
Bei denen der Verstand – – –
SCHĒFAKĀ ihn unterbrechend.
Der Schwarze kommt!
Die Phantasie begibt sich wieder in das Zelt.[165]
Ausgewählte Ausgaben von
Babel und Bibel
|
Buchempfehlung
Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.
48 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro