2.

Hedjahn-Bei, der Karavanenwürger

[206] Die Karavane hatte vor längerer Zeit Augila verlassen, und nach meiner Berechnung konnten wir längst Siwah erreicht haben. Der alte Schech el Djemali, wie der Aelteste der Kameeltreiber genannt wird, wollte mir gar nicht gefallen; sein finsteres, schroffes Wesen war nicht Vertrauen erweckend. Schon vorgestern hatte er uns versichert, daß Siwah nahe sei und doch sahen wir heute noch keine Spur, welche auf die Nähe einer Oase oder, wie der Araber sagt, einer »Uah,« deutete. Der letzte Tropfen Wasser war verzehrt, die Schläuche dorrten zusammen; wir mußten das widerliche Durrha-Mehl trocken essen, so wie es in dem Beutel war, und dazu lag die Atmosphäre wie flüssiges Erz um unsre Glieder und die Erde brannte wie glühendes Eisen.

Da plötzlich kam freudige Bewegung in die langsam dahinschleichende Reihe der Wanderer, denn über dem dichtumflorten Horizonte hoben sich die scharfen Umrisse der erwünschten Uah empor. Auf schlanken Säulen bauten sich die stattlichen Wipfel der Dattelpalmen über einander und ihre leichten, vollen Fliederkronen wehten in dem frisch sich erheben den Wüstenwinde. Zwischen grünen Hainen schimmerte es wie das Wellengekräusel eines lieblichen See's, und die Luft schien sich von der Ausdünstung des Wassers zu feuchten. Die Palmenkronen spiegelten sich in der glitzernden Wasserfläche und Kameele wateten in der Fluth, ihren langen Hals herunterstreckend, um das belebende Naß zu schlürfen.

»Hamdulillah, Preis sei Gott!« rief es. »Das ist Siwah; der Herr hat uns errettet, ihm sei Lob und Dank!«

»Hauehn aaleihu ia Allah, hilf ihnen, o Gott,« bat Mahmud der Große, welcher an meiner Seite ritt; »sie haben vor Hitze und Durst den Verstand verloren und sehen die Fata morgana, die gefährliche Spiegelung für Wirklichkeit an!«

Er zog die Flasche hervor, welche schon vor vier Tagen leer geworden war und setzte sie zum tausendsten Male vergebens an den Mund, um ihr noch einen Tropfen des mit Zibib gewürzten Wassers zu entlocken.

»Sie bleibt leer,« klagte er seufzend. »Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar wird an seiner trockenen Kehle sterben!«

Er hatte Recht; es war eine Fata morgana. Ich zog die Karte und den Compas hervor, wie ich schon öfters gethan hatte. Meine Berechnung brachte mich immer wieder zu der Ueberzeugung, daß wir uns nicht mehr auf dem rechten Wege befanden. Ich ritt zum zehnten oder zwanzigsten Male vor an die Spitze des Zuges zum alten Schech el Djemali und machte ihm Vorstellungen. Er hörte sie schweigend an, gab keine Antwort und ritt weiter.

»Ist Dein Ohr taub geworden,« frug ich ihn, »oder willst Du nicht hören?«

»Allah kerim, Gott ist gnädig, aber die Geduld eines Menschensohnes hat ein Ende,« ließ er sich endlich vernehmen. »Wer ist der Bei, der Oberste hier, Du oder ich?«

»Keiner von Beiden. Du bist der Führer; wir haben uns Dir anvertraut, und Jeder darf Dich nach dem Wege fragen!«

»So geh, wenn Du einen bessern weißt! Ich bin ein Hadschi, der Gott gefällt, Du aber bist ein Giaur, ein Ungläubiger, den Gott zur Hölle fahren läßt. Geh fort, Du machst mich unrein!«

Im nächsten Augenblicke fuhr meine Kameelpeitsche durch die Luft und ihm so kräftig über das Gesicht, daß[206] ihm sofort eine dicke Schwiele in dasselbe schwoll. Er riß die lange Flinte von der Schulter und legte auf mich an.

»Kelb, Hund, stirb!«

Er drückte nicht los. Der Revolver, welchen ich ihm entgegenstreckte, hielt ihn davon ab, aber kaum war eine Minute vergangen, so hatte die Karavane einen für mich drohenden Kreis um uns gebildet.

»Er hat einen Gläubigen, einen Hadschi geschlagen; er muß sterben!« rief der Schech. »Ich war zwölf Mal in Mekka, der Stadt des Propheten, drei Mal in Medina, der Ruhmbedeckten und habe zu Dschidda gebetet, wo Eva, die Mutter der Menschheit begraben liegt, fünfhundert Fuß lang und zwölf Fuß breit. Was aber hat er gethan, und an welchem gottgefälligen Orte ist er gewesen? Er ist ein Franke, welcher Isa Ben Marryam, Jesus, den Sohn Mariens anbetet, und hat mich in das Gesicht geschlagen. Er muß sterben!«

Ich wußte, daß ich unter gewöhnlichen Umständen mit dem raschen Hiebe mein Leben gewagt hätte, aber ich hatte nicht Lust, mich, wie leider so viele europäische Reisende, von einem bigotten und unwissenden Menschen nur allein deshalb ungestraft beleidigen zu lassen, weil ich ihm und den Seinen allein gegenüber stand. Der Angehörige einer civilisirten Nation hat die Ehre derselben unter allen Umständen zu vertreten und ich brauchte mich vor den halb verschmachteten Leuten wenig oder gar nicht zu fürchten. Ich war verhältnißmäßig noch gut bei Kräften und hatte für nur meine Person, Mahmud gar nicht mitgerechnet, mehr sichre Kugeln zu versenden, als sie aus allen ihren langen und ungefährlichen Schießgewehren.

»Mach Deinen Mund zu, Du Ausbund aller Frömmigkeit,« antwortete ich daher, »sonst werde ich Dir ihn schließen! Du bist ein Hadschi, ein Pilger, der nur von Augila nach Mekka und von Mekka nach Augila gewandert ist, ich aber bin in allen Ländern der Erde gewesen und habe Städte und Menschen gesehen, deren Namen Du nicht einmal kennst. Glaubst Du, ein Franke fürchtet sich vor Dir? Ein einziger Mann aus Frankhistan ist weiser und klüger als hundert Schechs el Djemali, denn er hat einen Geist bei sich, der ihm alle Orte nennt und alle Wege führt, auch wenn er sie noch nie betreten hat. Schau her, Du Inbegriff aller Klugheit! Siehst Du, wie der Geist bebt vor Zorn darüber, daß Du uns einen falschen Weg geführt hast?«

Ich zeigte ihm den Kompaß vor, auf den er sein Auge mit unendlichem Staunen richtete. Der Orientale ist im höchsten Grade abergläubisch und liebt es, sich in vulminanter Weise auszudrücken. Ich wußte daher, was ich that, wenn ich hier ein Eigenlob gebrauchte, für welches ich in der Heimath herzhaft ausgelacht worden wäre. Darum fuhr ich fort:

»Sieh her! Diese zwei Revolver, von denen Du noch niemals gehört hast, fressen zwölf Männer auf, diese Büchse nimmt zwei von ihnen weg und dieser Henry-Stutzen, dessen Namen noch kein einziges Mal an Dein Ohr gedrungen ist, kostet fünfundzwanzig Gläubigen das Leben, wenn Ihr es wagt, mich anzutasten. Gott erhalte Dir Deinen Verstand und gebe Dir Besserung, sonst versammle ich Dich zu Deinen Vätern, obgleich Du zwölf Mal in der Stadt des Propheten gewesen bist. Ein Schech el Djemali, der seinen Weg nicht kennt, ist schlimmer für den Wanderer als der Smum, der giftige Wüstenwind. Nimm Deine Flinte weg, sonst schieße ich Dich von dem Rücken Deines Djemmels herunter, welches klüger ist und weiser, als sein Herr!«

Diese Worte hatten eine sofortige Wirkung. Er warf das Gewehr wieder über den Rücken und machte Miene, den unterbrochenen Weg wieder aufzunehmen.

»Halt, ia Ibn Suleiman, Du Nachkomme Salomo's; wir sind noch nicht fertig! Du sagst, wir seien auf dem richtigen Wege. Wann werden wir Siwah erreichen?«

»Morgen noch vor Sonnenuntergang.«

»Gut! Wir werden Dir noch folgen; aber wenn wir die Uah bis morgen beim Niedergang der Sonne noch nicht sehen, so geht die Sonne Deines Lebens unter, ich schwöre es Dir bei dem Barte Eures Propheten und bei Jesus, dem Gekreuzigten, den Ihr Isa Ben Marryam nennt!«

Ich drehte mein Kameel herum und lenkte es an das Ende des Zuges zurück. Die Gefahr war für den Augenblick von mir abgewendet, aber sie konnte wiederkehren. Ich wußte, daß der Schech Alles thun werde, den an ihm begangenen Schimpf zu rächen. Seine Mitgläubigen fühlten diesen Letzteren, als sei er ihnen selbst angethan worden, aber einestheils waren sie von der Anstrengung und Entbehrung kraft- und muthlos geworden und anderntheils hatte ich durch die Behauptung, daß wir in falsche Richtung geführt worden seien, ihr Mißtrauen gegen ihn rege gemacht. Schweigend und finster folgten sie ihm. Er war ein Moslemin; sie hätten ihm gern vertraut; aber sie kannten auch die Ueberlegenheit europäischer Bildung und durften es daher mit meiner Anklage nicht so leichthin nehmen. Jedenfalls waren sie still entschlossen, jetzt nicht Partei zu ergreifen, sondern den Verlauf der Dinge ruhig abzuwarten.

Die gewöhnliche Lagerzeit war noch nicht herangekommen, aber die allgemeine Ermüdung hatte einen solchen Grad erreicht, daß bald Halt gemacht werden mußte. Die Kameele wurden entlastet und angepflockt, die Zelte errichtet und das mehr als spärliche Mahl gehalten. Einige legten sich dann zur Ruhe, während die Andern sich in der durch das Unterschlagen der Beine erreichten Stellung, welche der Türke »Rahat oturmak, Ruhm der Glieder« nennt, im Kreise hockten, um ihrer trüben Stimmung Ausdruck zu geben. Es war eine schreckliche Befürchtung in ihnen wach geworden. Schon öfters hatten Karavanen, welche von Augila nach Siwah gingen, ihr Ziel nicht erreicht; sie waren von dem berüchtigten Hedjahn-Bei mit seiner »Gum,« wie die Räuberkaravane heißt, überfallen und vernichtet worden. Aber niemals hatte man die Gebeine der Ermordeten auf dem Wege, sondern weit abseits in der Wüste gefunden. Die Unglücklichen waren entweder von dem Räuber aus der Richtung gelockt oder von einem bestochenen Führer in das Verderben geleitet worden. Wie nun, wenn wir einem gleichen[207] Schicksale entgegengingen? Es war ein gräßlicher Gedanke, denn man wußte, daß der Hedjahn-Bei keinen Menschen leben ließ und nannte ihn darum nicht anders, als den »Karavanenwürger.«

Die traurige Unterhaltung währte nicht lange; die Erschöpfung machte sich geltend und bald schlief außer den aufgestellten Wachen Alles den Schlaf der Gerechten. Auch ich streckte mich auf meine Decke, konnte aber zu keiner Ruhe kommen, denn die Sorge über unsre Lage öffnete mir immer wieder die müden Augen.

Da hörte ich aus der Ferne Laute an mein Ohr dringen, die mich sofort vollständig munter werden ließen. Zwar durch die Entfernung gedämpft, dem geschärften Gehör aber doch vernehmbar, klang es wie das bellende »J-au« des Schakals und dazwischen hinein brummte das tiefe, heisere »Ommu« der Hyäne. Ich horchte mit Anstrengung, bemerkte, daß ich mich nicht getäuscht habe, und sprang auf. Es mußte Wasser in der Nähe sein, denn diese Thiere bedürfen täglich desselben, wenn sie nicht verschmachten sollen, und wagen sich daher nie weit in die wasserleere Wüste hinein.

Ich schlug den Vorhang des Zeltes zurück und trat hinaus. Mahmud der Große stand draußen; die Laute hatten auch ihn aufmerksam gemacht.

»Hörst Du die Djinns, die bösen Geister der Wüste, Sihdi?« frug er leise. »Sie locken den Wanderer in das Verderben, aber Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar läßt sich nicht betrügen. Er hört, daß die Stimmen nicht vom Schakal und von der Hyäne kommen und bleibt in seinem Zelte liegen.«

Er kroch wieder unter das niedrige Leinwanddach, welches er sich errichtet hatte; ich aber blieb horchend stehen. Wieder erklangen die Laute, aber ich vernahm jetzt auch, daß es nicht natürliche waren. Doch weit entfernt, sie bösen Geistern zuzuschreiben, war ich vielmehr überzeugt, daß sie irgend einer menschlichen Kehle entsprangen.

Was hatte dies zu bedeuten? Wir waren vom richtigen Wege abgelenkt worden, und ich mußte an den Hedjahn-Bei denken. Ich nahm die Waffen zu mir und schritt nach dem Zelte des Schech el Djemali. Er war nicht zu finden. Ich suchte die nächste Wache auf. Der Mann war vor Ermüdung niedergesunken und schlief.

»Be issm lillahi radjal, um Gottes willen, auf, Ihr Männer!« rief ich. »Der Hedjahn-Bei, die Gum ist in der Nähe!«[208]

Im Nu war das Lager belebt und Alles drängte sich zu den Kameelen, um die augenblickliche Flucht zu ergreifen. Ich widerstrebte den Unbesonnenen. Sie mußten ja zu Grunde gehen, wenn sie sich von ihrer Furcht in die todte Oede zerstreuen ließen. Nur nach langem Mahnen und Bitten brachte ich sie zum Bleiben; aber sie hatten eine solche Furcht vor dem »Karavanenwürger,« daß sie nur widerstrebend zu den Waffen griffen. Die Ruhe, welche ich mir zu bewahren suchte, imponirte ihnen endlich doch; sie gehorchten meiner Mahnung und kehrten in ihre Zelte zurück, um sich unter deren Deckung zu vertheidigen. Mir aber ließ es hinter der Leinwand keine Ruhe; es trieb mich hinaus, um mich zu überzeugen, ob ich mit meiner Vermuthung das Richtige getroffen habe. Ich steckte nur das Messer und die Revolver zu mir; die langrohrigen Waffen konnten mir nur hinderlich sein.

Es war finstere Nacht, doch spendeten die Sterne des südlichen Himmels immerhin ein Licht, bei welchem man einen nicht zu kleinen Gegenstand noch auf einige Entfernung hin erblicken konnte. Alles Geräusch vermeidend, schlich ich mich der Richtung zu, in welcher ich das Bellen gehört hatte. Noch war ich nicht gar weit gekommen, so vernahm ich leise nahende Schritte. Ich warf mich zu Boden. Zwei Männer nahten und blieben nahe bei mir halten. Ich hatte mich in den Prairieen Nordamerika's oft in einer ähnlichen Lage befunden, nur daß ich hier statt der Rothhäute zwei Araber beschlich. Ich machte mich auf einen Angriff gefaßt und zog das Messer.

In dem Einen erkannte ich den Schech el Djemali. Wer war der Andere? Ich sollte es gleich erfahren.

»Ein Franke ist dabei, sagst Du? Ist er stark und tapfer?«

»Er hat Muth und viele Waffen, auch besitzt er einen guten Geist, der ihm die Wege zeigt. Du aber wirst ihn bezwingen, o Hedjahn-Bei!«

»Schläft er?«

»Er schläft und alle Männer schlafen. Wenn Deine Gum die Kameele verläßt und sich heimlich zu Fuße naht, so kann Euch Keiner entgehen. Eure Zahl ist größer als die unsrige, aber der laute Ueberfall würde Euch doch wohl Mehrere kosten.«

»Dein Mund sagt die Wahrheit. Komm, zeig mir das Lager; dann kehre ich zurück und hole die Würger der Karavanen herbei!«

Der Schech el Djemali konnte ihm nicht folgen. Ich sprang empor, faßte ihn beim Nacken und stieß ihm das[221] Messer bis an das Heft zwischen die Schultern. Es war in's Herz gedrungen. Der Verräther stieß nur einen kurzen, hauchenden Laut aus und stürzte dann zu Boden.

Der Hedjahn-Bei hatte das Geräusch vernommen und drehte sich um. Das sofort wieder aus der Wunde gezogene Messer in der Faust, warf ich mich auf ihn. Unter dem unvermutheten Anpralle schlug er zu Boden. Ich kniete über ihm, faßte mit der Linken seine Kehle und hielt ihm die scharfe Klinge nahe vor die Augen.

»Hedjahn-Bei, der Tod wird Dich verschlingen, wenn Du nur ein einziges Glied rührst!«

Der Schreck hatte den gefürchteten Mann ergriffen. Er lag vollständig bewegungslos unter mir.

»Ich bin der Franke, von dem der Schech zu Dir gesprochen hat. Mein Messer hat ihm den Lohn gegeben und wird auch Dein Herz zerschneiden, wenn Du mir nicht gehorchst!«

»Was willst Du?« gurgelte er aus der zusammengepreßten Kehle.

»Höre mich an! Ich trachte nicht nach dem Tode eines menschlichen Bruders, und Du kannst Deine Seele retten, wenn Du thust, was ich von Dir begehre! Du kennst den Weg der Karavanen nach Siwah?«

»Ja,« antwortete er. Ich ließ ihm nur am Schlusse jeder meiner Fragen so viel Luft, als er zur Antwort bedurfte.

»Du wirst uns ungehindert und unberaubt ziehen lassen?«

Er schwieg und machte eine Anstrengung, sich zu befreien. Sofort setzte ich die Spitze des Messers auf seine Brust.

»Willst Du sterben, Hedjahn-Bei?«

Er gab den Versuch auf; es war mir Ernst mit der Drohung, das sah er.

»Also Du lässest uns unberaubt ziehen? Antworte, ich warte nicht drei Secunden!«

»Ja.«

»Du begleitest und beschützest uns mit Deiner Gum, bis wir nicht mehr irren können?«

Es wiederholte sich das vorige Manöver; aber er mußte sich fügen.

»Ja.«

»Und versiehst uns mit Speise und Trank aus Euren Beuteln und Schläuchen?«

»Ja,« knirrschte er.

»Und machst keinen Versuch, Dein Wort zu brechen?«

»Keinen!«

»Schwöre mir, daß Du hältst, was Du versprichst!«

Er hatte jedenfalls gehofft, daß ich ihn ohne Schwur loslassen werde, und dann hätte er sich um das Versprochene natürlich nicht gekümmert. Als er sich getäuscht sah, vereinigte er alle seine Kräfte zu einem Stoße, der mich fast abgeworfen hätte. Jetzt faßte ich ihn um so fester und setzte ihm die Spitze des Messers etwas fühlbarer auf die Gegend des Herzens.

»Schwörst Du es?«

»Ich schwöre,« flüsterte er ingrimmig, da er keinen Ausweg sah.

»Beim Barte des Propheten?«

»Beim Barte des Propheten!«

»Gut! Erhebe Dich, Hedjahn-Bei und komm mit mir zum Lager. Du stehst unter meinem Schutze, und es wird kein Haar Deines Hauptes gekrümmt werden!«

Er stand vom Boden auf. Es war vielleicht das erste Mal, daß der »Karavanenwürger« unter einem Feinde gelegen hatte, und die außerordentlichen Zugeständnisse, mit denen er sein Leben erkauft hatte, mußten ihm im höchsten Grade demüthigend vorkommen. Er stand unter dieser Last eine Weile fast regungslos vor mir; als ich aber frug:

»Fürchtest Du Dich, mit mir zu gehen?« erklang ein kurzes, barsches:

»Komm!« und er schritt an meiner Seite ruhig den Weg zurück, den ich gekommen war.

Meine Vermuthung, die mich vorhin zur Recognition getrieben hatte, war also vollständig bestätigt. Der Schech el Djemali hatte im Dienste des Hedjahn-Bei gestanden, und die Thierstimmen waren für ihn ein verabredetes Zeichen gewesen.

Als wir bei meinem Zelte ankamen, blieb der bezwungene Räuber überrascht stehen. Mein Kameel hatte sich aus seiner liegenden Stellung erhoben, und seine hohe Gestalt zeichnete sich sehr deutlich gegen den sternenreichen Horizont ab.

»Ein Bischarin – ein Bischarinhedjihn? Der Araber verkauft kein solches Thier! Wie ist es in Deine Hand gekommen, Franke?«

Er hatte laut gesprochen. Bei dem Klange seiner Stimme hob das Thier schnaubend den Kopf und kam so weit auf ihn zu, als es der Strick, welcher es am Pflocke hielt, erlaubte. Rasch trat er herbei und faßte es am Halfter.

»Bei allen Scheidans, die in der Hölle wohnen, das ist ja mein Bischarin, welches ich – –« er unterbrach sich und trat auf mich zu, um mich genauer zu betrachten, als es bisher geschehen war. »Du bist es – Du bist es wahrlich! Hasa nessieb, das ist Gottes Schickung, denn nun ist die Schmach, daß ich Dir unterlegen bin, von mir genommen. Der Hedjahn-Bei braucht sich nicht zu schämen, wenn er einen Mann begleitet und beschützt, der das heilige Gastrecht bei ihm genossen und den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ getödtet hat. Er wird sein Wort jetzt gern und willig halten!«

Auch ich erkannte erst jetzt den Bei el Urdi, welcher damals unter dem Löwen gelegen hatte und durch mein Einschreiten vom Tode errettet wurde. Ich war mehrere Tage bei ihm geblieben und hatte bei meinem Abschiede das Kameel mitnehmen müssen. Erst jetzt vermochte ich mir die Fragen zu beantworten, welche ich mir an jenem Tage auf dem Gange durch das Wadi vorgelegt hatte. Also darum hatte er von Gnade und Vergebung gesprochen, weil es gefährlich war, sein Lager zu betreten. Und darum besaß er lauter schnellfüßige Reitthiere, weil der Wüstenräuber keine[222] langsamen und schwerfälligen Lastkameele gebrauchen konnte, und er hatte sie in das Wadi versteckt, um einen etwaigen Besucher seines Dorfes nicht auf sein eigentliches Handwerk aufmerksam zu machen.

Meine Rückkehr veranlaßte Mahmud den Großen, unter seinem Dache hervorzukriechen.

»Sihdi, sag, wen bringst Du hier?«

»Sieh Dir ihn an!«

Er that es.

»Allah akbar, Gott ist groß! Das ist ja der edle Bei el Urdi, bei dem Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar das fetteste Schaf erstochen und verzehrt hat, das ihm jemals vorgekommen ist!«

»Er ist es,« bestätigte ich, über die Erinnerung des hungrigen Dieners lächelnd. »Er liegt mit seiner Karavane ganz hier in der Nähe und wird uns nach Siwah bringen!«

»Bismillah, das ist gut! Dann bekomme ich auch wieder Etwas in meine Flasche; sie ist bom bosch, ganz leer!«

Ich rief die Männer herbei und theilte ihnen mit, so viel ich für gut befand. Von ihnen ungesehen wurde der Körper des Schech el Djemali beseitigt. Sie erfuhren von dem Vorgefallenen Nichts, ich mußte es dem Bei el Urdi versprechen, und hielten den Schech für entsprungen, weil er uns falsch geleitet hatte. Allerdings hätte es ein ungeheures Aufsehen erregt, wenn man in Siwah erfahren hätte, daß der Hedjahn-Bei gezwungen gewesen sei, den Beschützer Derer zu machen, auf deren Untergang er es vorher abgesehen hatte, aber ich konnte mich gern zur Schweigsamkeit verstehen, weil ich froh sein mußte, der uns überlegenen Gum so leichten Kaufs entgangen zu sein.

Der mit dem Messer erzwungene Schwur wurde gehalten. Wir erhielten alles Nöthige und gelangten wohlbehalten in Siwah an. Eine halbe Tagereise vorher aber verabschiedete sich unsre, unter andern Umständen so gefährliche Begleitung. Ihr Anführer liebkoste zum letzten Male sein Bischarinhedjihn und meinte dann mit ernstem Gesichte:

»Rabbena chaliëk, Gott erhalte Dich! Du hast zwei große Bei's bezwungen, Assad-Bei, den Heerdenwürger und Hedjahn-Bei, den Karavanenwürger. Schieß auf den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ so viel Mal Du noch willst, aber hüte Dich in Zukunft vor der Gum, denn Allah giebt nur selten zu, daß einer seiner Gläubigen dem Fremdling unterliegt. Sallam aaleïkum, Friede und Heil sei mit Dir!«[223]

Quelle:
Die Gum. Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878). Nr. 14, S. 221-224.
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