II.

[15] Wir waren nun drei Tage lang von Murzuk nach Augilah unterwegs. Die Speditionskarawane, welcher ich mich mit Ali angeschlossen hatte, war von Manasse ausgerüstet worden, obgleich ich ihm gerathen hatte, damit noch zu warten, bis sie sich einem größeren Zuge anschließen könne. Allerdings wurden die Güter schon seit längerer Zeit erwartet, und er meinte, da der Kofla-Aga jetzt mit den zehn Beuteln beschäftigt sei, so werde ein Ueberfall nicht zu fürchten sein, trotzdem der Bey ihm keine Schutzwache mit geben könne, weil der für solche Zwecke bestimmte Theil der nur 250 Mann starken türkischen Garnison zu Murzuk sich schon nach allen Winden hin unterwegs befand.

Ich war anderer Meinung. Es war jedenfalls sicher, daß der Räuber das Haus Ben Arahab's bewachen ließ und folglich den Abgang der Karawane erfahren mußte. Ich hatte dessen ungeachtet dem alten, treuen Schech el Djemahli (Aeltesten der Kameeltreiber) erklärt, mitzugehen, da ich es trotz des besten Willens zu keiner Bangigkeit vor dem arabischen Hiesel bringen konnte und zudem der Wunsch in mir entstanden war, meinem Gastfreunde nützlich sein zu können.[15]

Ich hatte Rahel öfters gesehen. Sie war eine jener Schönheiten, wie sie nur der Orient reift, und wurde aus diesem Grunde, und weil sie aus Sokna stammte, mit vollem Rechte in der Hauptstadt von Fezzan »die Rose von Sokna« genannt. Wie oft hatte ich, in ihren Anblick vertieft, lautlos vor ihr gesessen, wie oft die kleine Kaffeetasse aus ihrer Hand empfangen, wie oft ihren Liedern gelauscht, von denen sie mir den arabischen Pilgergesang »Lubecka Allah hämeeh (Hier bin ich, o mein Gott)« am häufigsten wiederholen mußte!

Jetzt befanden wir uns, wie gesagt, seit drei Tagen unterwegs und hatten nichts Verdächtiges bemerkt. Es war zur Zeit des Assr, des Reiseaufbruches für alle ächten Araber, zwei Stunden vor Untergang der Sonne. Ich ritt an der Spitze der Karawane neben dem Schech el Djemahli (Djemmel-Kameel), welcher mir von den Gefahren der Wüstenreise erzählte, weil er mich, allerdings mit einigem Rechte, für einen Rhassihm, für einen Neuling hielt.

Ich hörte seine nach morgenländischer Manier im Superlativ gehaltenen Schilderungen an, obgleich ich wußte, daß die Sahara ihre größten Schrecken nicht hier in der libyschen Wüste sondern erst in der eigentlichen »Sahel« entwickelt.

»Seht diese Steine, Sihdi, welche herumliegen, als hätten die bösen Djinns (Geister) sie gesäet? Sie fielen vom Himmel herab, als der Erzengel mit dem Teufel kämpfte, der sich an den Mauern des Himmels fest hielt und ein Stück davon mit herunterriß.«

»Ama di Bacht, das ist ein Glück, daß Du nicht grade darunter standest, sonst hätte Deinem Schädel kein Balsam helfen können!«

»Du willst nicht glauben, was ich Dir sage? Ja Du bist ein Nemsi (Deutscher), dem kein Mollah und kein Derwisch helfen kann! Einst kamen die tapfern Uëlad Arfa und unterjochten sich das weite Land. Zwei Sonnenaufgänge von hier« – er zeigte dabei nach Süden – »waren einige Mauerbrocken auf den Rras (einzelner Berg) gefallen; sie bauten davon el Kasr (Bergfestung); aber der Scheidan (Böse) trieb sie von dannen, und nun wohnen die bösen Djinns im Schlosse, und wer ihnen mehr als zwei Tagereisen zu nahe kommt, ist der Tschehenna, der Hölle verfallen. Im Namen des Allbarmherzigen, glaub, was ich Dir sage; ich habe es von einem frommen Marabut, der war fünftausend Jahre alt und ist mit dabei gewesen!«

Ich machte keinen Versuch, ihn eines Anderen zu belehren, und hielt mein Hedjihn (Reitkameel) an, um den Zug, dessen Arrièregarde mein wackerer Ali bildete, an mir vorüber zu lassen. Die Lastkameele kamen nur sehr langsam vorwärts; das ermüdete mich mehr als der schnelle Ritt auf einem schlanken Reitthiere, welches, wenn es zu der vorzüglichen Rasse der Bischahrihnhedjihn gehört, zehn bis zwanzig deutsche Meilen ohne Unterbrechung im Trab zurücklegt. Das meinige war ein solches; ich beschloß daher, mit Ali zu lagern, um den Eindruck der überwältigenden Wüstenöde einmal vollständig zu empfinden und dann auf unsern behenden Thieren den Zug bald wieder einzuholen.[29]

»Hast Du einmal etwas von el Kasr gehört?« frug ich den Diener, als wir uns gelagert hatten. Es war bei der Erwähnung des Geisterschlosses ein Gedanke in mir aufgestiegen, der vielleicht eine Berechtigung haben konnte.

»El Kasr, Effendi?« Er streckte alle zehn Finger abwehrend von sich. »Hilf uns, o Herr, begnadige uns mit Deinem Segen, denn das ist ja das verfluchte Gebäude, über welches nicht einmal die Vögel des Paradieses (Schwalben) wegkommen, ohne herabzustürzen! Ich hab in Murzuk davon gehört. Nur el Büdj, der gewaltige Bartgeier, darf darüber schweben, weil er die Unglücklichen verzehren muß, die sich zu den bösen Djinns verirren.«

»So fürchtest Du Dich vor diesen Geistern?«

»Allah icharkilik, Gott verbrenne Dich, Sihdi, wenn Du glaubst, daß ich, der unüberwindliche Ali el Hakemi Ebn Abbas Ebn er-Rumi Ben Hafs Omar en Nasafi vor einem Menschen oder vor einem Thiere davonlaufe! Du bist ein großer Taleb und Effendi, aber Allah hu akbar, Gott ist noch größer, und wenn Du mich mit Feigheit schändest, so laß ich Dich hier liegen und gehe dahin, wo ich hergekommen bin! Doch sag, wer kann mit Geistern kämpfen?«

»Und wenn nun diese Geister Menschen wären?«

Der gute Ali riß den Mund so weit wie möglich auf; er konnte nicht eher begreifen, auf welche Weise ein Geist ein Mensch sein könne, als bis ich ihm die nöthige Aufklärung gab.

»Bismillah, im Namen Gottes, Sihdi, Du bist weise wie Sultan Soliman, als er das Kind zerschneiden wollte! Doch was für Männer könnten auf el Kasr wohnen?«

»Vielleicht der Kofla-Aga mit seinen Räubern!«

»Der Kofla-Aga – der Kofla-Aga – der Würger der Karawanen?« wiederholte er mehrere Male, um seinen unschuldigen Verstand für den kühnen Gedanken empfänglicher zu machen; dann streckte er sich lang auf die Bastdecke aus und schloß die Augen. Ich wußte, daß er nun in der betreffenden Angelegenheit nicht eher wieder zu sprechen sei, als bis er den Gegenstand vollständig verarbeitet hatte.

Er unterbrach sein Nachdenken nur dann auf kurze Zeit, als die Sonne in das Sandmeer tauchte. Da erhob er sich in die Kniee und rief:

»Jetzt ertönt von allen Moscheen der Gläubigen der Ruf des Mueddin: ›Hai aal el sallah, ja, rüste Dich zum Gebete!« Wende ab Dein Angesicht, Sihdi, denn ich will mich waschen und nach Mekka schauen!‹

Er betete den vorgeschriebenen Abschnitt aus dem Koran und ließ an Stelle des Wassers, welches in der Wüste mangelt, den aufgerafften Sand durch die Hände laufen. Dann nahm er seine vorige Stellung wieder ein.

Auch ich streckte mich aus und rollte mich in meine Decke, um mich so viel wie möglich gegen die fast unausstehliche Hitze zu schützen, welche jetzt nach dem Sinken der Sonne der glühende Erdboden auszustrahlen begann. Ich hatte zuvor beschlossen, nach nur kurzer Rast der Karawane zu folgen; da diese aber jedenfalls auch bald Lager machte und dieses vor Tagesgrauen nicht wieder verließ, so nahm ich mir vor, zu bleiben wo ich war. Ich konnte am Morgen ihren Spuren leichter folgen als jetzt, wo trotz des helleren Lichtes der südlichen Sterne das Auge in eine größere Entfernung nicht zu dringen vermochte.

Ich ließ mein Hedjihn sich zur Erde legen; Ali folgte meinem Beispiele und mit Hülfe einiger Durrhakuchen (aus Negerhirse) und unserer Kirba (kleine Wasserschläuche für den persönlichen Tagesgebrauch) hielten wir ein frugales Abendmahl, nach dessen Beendigung wir den Schlaf suchten. Die ausgedehnten Fernen des Oceanes, die weiten Ebenen der amerikanischen Prairieen, Savannen, Pampa's und Llano's, die lang und breitgestreckten Flächen der Wüste, sie haben gewiß sehr Vieles gemein, aber die beiden Ersteren vermögen nie den Eindruck der Oede, Verlassenheit und Trostlosigkeit zu machen, wie die Letztere, von welcher Freiligrath so treffend sagt: »Sie liegt vor Gott in ihrer Leere wie eine leere Bettlerfaust.« Dieser Eindruck ist, je weiter entfernt man sich von menschlichen Wesen weiß, ein desto überwältigender; man fühlt sich hingeworfen in eine tödtliche Verlassen- und Vergessenheit, wie ein winziges Körnchen Sand in das unermeßliche Stein- und Trümmermeer, in welchem den verwegenen Wanderer auf Schritt und Tritt die häßliche Larve des Todes umgrinst.

Ich schloß die Augen. Das ausglühende Licht des Tages brannte fort in ihnen, und ich fiel nur langsam in einen unruhigen Schlummer, welcher mir die Gestalten Ali's, Rahel's, Kofla-Aga's, den alten Schech el Djemahli und el Kasr, die Geisterburg mit el Büdj, dem gewaltigen Bartgeier und den todt aus der Luft herabstürzenden Thiuhr el Djinne in wirrem Durcheinander vorführte. Sogar die Himmelsmauer sah ich niederschmettern mit dem Teufel, der sich an ihr festgekrallt hatte, und wälzte mich stöhnend hin und her, bis endlich kurz vor Sonnenaufgang sich ein tieferer Schlaf meiner erbarmte.

Er währte nicht lange, denn die Stimme Ali's weckte mich, welcher knieend und das Angesicht nach Osten gewendet das Fetjer betete, welches kein guter Moslemim zur Zeit des Zwielichtes vor der Morgenröthe versäumt.

Nachdem wir einen Schluck Wassers und einige Bissen Durrahkuchen zu uns genommen hatten, brachen wir auf. Wer im »wilden Westen« von Nordamerika auf die Fährte des Büffels, Bären oder Indianers zu achten gelernt hatte, dem konnte es nicht schwer werden, die Spuren der Karawane dem von scharfem Steingeröll bedeckten Boden abzulesen, trotzdem ich deutlich erkannte, daß sie in kurzer Zeit verwischt sein würden.

Wir mochten wohl etwas über eine deutsche Meile zurückgelegt haben, als wir den Ort erreichten, wo sie allem Anscheine nach gelagert hatte. Der Boden bildete hier einen feinsandigen, fast kreisrunden und von größeren Felsbrocken eingerahmten Teller und war auf eine so energische Weise zertreten, daß die mehr als zahlreichen Eindrücke meine Aufmerksamkeit erregten.

Ich stieg ab, um die verdächtige Erscheinung zu untersuchen. Hier hatte eine heillose Verwirrung, vielleicht gar ein Kampf, wenn auch ein unblutiger stattgefunden.[30] Ich suchte nach Anhaltepunkten und fand einen, der mir vollständige Aufklärung bot: Eine Kofla von fast zwanzig Thieren war von Süden her herbei geschlichen, hatte unsere Karawane im Schlafe überfallen und sie nach derselben Richtung hin mit sich fort genommen. Kein Zeichen war zurück geblieben, auch nicht das geringste, keine Kameelhalfter, kein Zeltpflock, keine Schleife und kein Band von einer Rauïe (Lastgestell) oder einem alten Serdj (Sattel); keine Spur des Verbrechens sollte zurück bleiben, wenn der jetzt abwechselnd fächelnde Gebli und Behari (Süd- und Nordwind) die Fußtapfen ausgeglichen hatte.

»Ali, bist Du mir wirklich so treu, wie Du immer sprichst?«

»Warum fragst Du, o Sihdi? Ich bin Dir so treu, wie der Tropfen dem Wasser und die Wärme dem Feuer!«

»Und gehst Du mit, wohin ich dich führe?«

»Hamdullillah, Preis sei Gott, daß ich Dich gefunden habe, den guten Effendi aus Nemsistan (Deutschland). Du bist der beste Herr in ganz Blad el Rumi (Europa) und ich der beste Diener in Mehr, Mogreb el Ausath und Mogreb el Aksa (Egypten und Nordafrika). Warum soll ich von Dir bleiben? Ich gehe mit Dir bis an das Ende der Erde und noch zehntausend Tagereisen weiter!«

»Auch zum Kofla-Aga, Ali?«

»Auch zu ihm, wenn Du willst. Was ist's auch Großes? Er wohnt ja hier im Bahr billa ma, im Meer ohne Wasser (Wüste)!«

»Er wohnt auf el Kasr.«

»Weißt Du das genau, Effendi?«

»Ja. Er ist mit seiner Kofla hier gewesen und hat unsere Karawane mit nach dem Geisterschloß genommen. Dort wird er die Thiere und Güter behalten und die Männer ermorden.«

»Gott verdamme den Hund! Soll ich hingehen und ihn zerreißen, Sihdi?«

»Du hast Manasse Ben Arahab gekannt?«

»Warum sollte ich nicht? Habe ich nicht bei ihm das beste Kuskussu (Grütze mit Hammelfett) gegessen?«

»Und hast auch gesehen Rahel, seine Tochter?«

»Ich habe sie gesehen. Sie hat Augen wie Leïkum saaïde, die segensreiche Nacht, und ihre Finger sind voll Güte und Barmherzigkeit. Doch sie ist verschwunden. Ich glaube, ein böser Djinn ist bezaubert worden von ihrer Lieblichkeit und hat sie durch die Lüfte geführt.«

»Ja ein böser Djinn ist es gewesen, aber nicht einer von denen, die Du meinst, sondern einer, der Fleisch und Blut besitzt. Er heißt Kofla-Aga.«

»Der Kofla-Aga? Wer hat es Dir gesagt, Effendi?«

»Ich weiß es. Er hält sie auf el Kasr gefangen.«

»Gefangen? Sihdi, ich kenne Einen, der wird hingehen und sie befreien!«

»Wer ist das?«

»Er heißt Ali el Hakemi Ebe Abbas Ebe er-Rumi Ben Hafs Omar en Nasafi.«

»Ist dies Dein Ernst, Ali?«

»Glaubst Du, Sihdi, daß ich mit dem Kofla-Aga scherzen möchte?«

»Nun gut, ich gehe mit. Es handelt sich um das Leben vieler Männer und um die Freiheit der Tochter Ben Arahabs. Thust Du Alles, was ich will, so erhältst Du den Preis, welchen der Bey von Fezzan auf den Kopf des Kofla-Aga ausgesetzt hat. Vorwärts, laß uns die Spur verfolgen!«

»Be issm lillahi, in Gottes Namen, Sihdi; aber erlaube zuvor, daß ich die Fathcha bete. Allah hilft dem, der sich in Gefahr zu ihm wendet!«

Er kniete auf dem Sattel seines ruhigen Thieres, das Angesicht nach Sonnenaufgang, und betete die Fathcha, die erste Sure des Korans, wie den Gläubigen bei allen wichtigen Unternehmungen vorgeschrieben ist. Sodann ließ ich mein Bischarihahedjihn ausgreifen, um das Geisterschloß so bald wie möglich zu erreichen.[31]

Wir waren nun beinahe zwei Tage lang der Richtung nach Süden gefolgt. Unser kleiner Proviant und Wasservorrath, der ja nur für einen Tag berechnet war, ging trotz unserer Sparsamkeit zu Ende, und es wurde Zeit, das Ziel unseres Rittes zu erreichen.

Wer sich die Wüste als eine große, nur vom Sande erfüllte Ebene vorstellt, ist im Irrthume. Vor uns erhoben sich nach und nach die scharfen, phantastischen Contouren einer Bergkette, zwischen deren Vorhügel die uns zum Wegweiser dienende Spur dahinführte. Diese war jetzt von Stunde zu Stunde deutlicher geworden, und eben bogen wir um eine Felsenkante, als Ali sein Thier anhielt und ihm mit dem gebräuchlichen »E – o – a!« den Befehl, sich niederzulegen gab. Ich folgte sofort seinem Beispiele; er mußte einen Grund haben, sich nicht sehen zu lassen.

»Allah kerihm, Gott ist gnädig! Siehst Du dort die Gum (Raubkarawane), Sihdi?«

Ich folgte mit dem Auge seinem ausgestreckten Arme. Vor uns lag eine weite, von steil anstrebenden Bergwänden eingefaßte Thalrundung; unserm Standorte grad gegenüber, ungefähr drei Viertel Wegesstunden weit, erhob sich auf der Kuppe des Ras (Berg) ein eigenthümliches Mauerwerk, zu welchem eine lange Reihe von Reitern emporstrebten. Ich nahm das Fernrohr zur Hand und erkannte wirklich unsere Karawane, welche von den Räubern bedeckt und geführt, nach und nach unter dem alten, eingefallenen Thore verschwand. Schnell war ein Plan gefaßt. Wir durften uns nicht sehen lassen und mußten daher den offenen Thalkessel umgehen.

»Zurück, Ali; das ist el Kasr; wir müssen es auf einem Umwege erreichen!«

Es war ein böser, schlimmer Weg, den wir nun verfolgten. Wir mußten uns beeilen, noch vor dem bald zu erwartenden Einbruche der Dunkelheit an Ort und Stelle zu gelangen und hetzten, bald durch enge Seitenthäler und wilde, nackte Schluchten, bald über schroffe Höhengrate dahin, als würden wir von tausend Djinns nach dem verhängnißvollen Geisterschlosse getrieben. Im Grunde genommen war unser Unternehmen ein etwas unüberlegtes; aber ich konnte es, wie bereits gesagt, wirklich zu keiner Furcht vor dem Kofla-Aga bringen, freute mich sogar, offen gestanden, auf das zu erwartende Abenteuer und verließ mich dabei ganz auf unsere guten Waffen und auf mein gutes Glück, welches mich bis dahin selbst in den kritischsten Situationen nicht verlassen hatte. Auf die Tapferkeit Ali's konnte ich sicher rechnen. Seit er wußte, daß el Kasr nicht von Geistern, sondern von Menschen bewohnt sei, hatte das Schloß seine Schrecken für ihn vollständig verloren.

Wir ritten jetzt in ein enges Wadi (Thal) nieder, dessen Sohle mit trockenem, scharfschneidigem Halfagras bewachsen war. Es mußte Wasser in der Nähe sein, und wirklich, als wir dem Winkel folgten, den das Thal beschrieb, glänzte uns das ersehnte Element entgegen. Es war ein Birket, ein kleiner See, wie man sie zuweilen in der Wüste findet, nur kurze Zeit ein wenig Wasser zeigend und das ganze Jahr dann leer und trocken liegend.

Aber noch Eins bemerkte ich: wir hatten el Kasr er reicht. Das Wadi hatte eine lange aber nur wenige Ellen breite Seitenschlucht, deren eine Wand fast senkrecht zu dem Gemäuer des Schlosses emporstieg. Grad dieser Steilung wegen konnten wir von oben nicht gesehen werden und ritten in die Schlucht hinein. Wir waren noch nicht gar weit vorwärts gekommen, so deutete Ali in die Höhe.

»Siehst Du el Büdj, den großen Bartgeier mit seinen Frauen und Kindern, Effendi?«

Eine ganze Schaar von Geiern hatte sich über uns erhoben, und nach wenigen Schritten fanden wir die Schlucht von abgenagten und gebleichten Knochen dicht übersäet. Es waren menschliche Gebeine und – mit Schaudern mußte ich es denken – jedenfalls die Ueberreste der unglücklichen Kameeltreiber, welche in der Wüste gefangen, nach el Kasr geführt und vom Felsen in die Tiefe gestürzt worden waren. Darum also erzählte die Sage von el Büdj, dem gewaltigen Bartgeier, der über der Geisterburg schwebte!

Das Aufsteigen der Vögel konnte unsre Anwesenheit verrathen; wir mußten warten, bis sie sich beruhigt hatten. Ich lenkte mein Thier nach einer Spalte, welche ich in der Felsenwand bemerkte, stieg ab und wollte eben die Oeffnung untersuchen, als ein Mann aus ihr hervortrat, welcher zwei Girba (Schläuche aus sudanischen Ziegenhäuten) in den Händen hielt. Er stand wohl im Begriff, vom Birket Wasser zu holen. Im Nu hatte ich ihn bei der Kehle gepackt, die ich so fest zusammenschnürte, daß er keinen Laut von sich zu geben vermochte, und in der nächsten Minute lag er gebunden am Boden. Dann setzte ich ihm die Spitze meines Dolchmessers auf die Brust.

»Vernimm, ja radjal, Mann, was ich Dir sage: Versuchst Du, Dich zu wehren, oder antwortest Du mir einen einzigen Laut der Lüge, so schickt Dich dieser Stahl hinunter in die Tschehenna (Hölle)! – Der Kofla-Aga wohnt auf el Kasr?«

»Ja, Sihdi,« stöhnte er voller Angst und Schreck.

»Er hat Rahel, die Tochter Manassa Ben Aharab bei sich?«

»Ja.«

»Durch diese Spalte gelangt man in das Schloß?«

»Ja.«

»Wie viel Männer seid Ihr?«

Er zögerte mit der Antwort, aber ein leises Kitzeln mit der Klinge half seinem guten Willen nach.

»Vier und zwanzig.«[46]

»Wo ist der Aga jetzt?«

»In seinem Diwan (Prachtzimmer).«

»Und die Andern?«

»Bei der Beute?«

»Alle?«

»Alle!«

»Wo?«

»Nicht weit von hier.«

»Schwöre mir beim Haupte des Propheten, daß Du mir die Wahrheit gesagt hast!«

»Ich schwöre!«

»Steh auf und zeige mir den Weg. Bist Du gehorsam, so soll Dir nichts geschehen; machst Du aber den leisesten Versuch des Verrathes, so bist Du verloren! Wo sind die Gefangenen?«

»Eingeschlossen.«

»Gut. Steig jetzt voran!«

Ich faßte den Strick, dessen anderes Ende ihm die Hände auf dem Rücken hielt, und nachdem Ali die Kameele gefesselt hatte, traten wir in die Spalte. Der Araber war unbewaffnet. Wir beiden Andern trugen Jeder außer dem Dolche eine Doppelflinte und ein paar Doppelpistolen und ich außerdem zwei sechsschussige Revolver, alle Läufe scharf geladen. Die Spalte führte uns erst wagrecht in den Felsen hinein und dann allmählich in die Höhe. Durch die Nachhilfe der Schloßbewohner war sie in einen passirbaren Gang umgewandelt worden.[47]

Wir mußten nach meiner Ansicht fast die Oberfläche des Felsens erreicht haben, als ich Stimmen vernahm. Wir gelangten an eine Thür, traten vorsichtig näher und blickten in den hinter ihr liegenden Raum. Ich erkannte auf den ersten Blick in ihm die Niederlage der geraubten Güter. Er war fast bis an die Decke mit Ballen und den verschiedensten Gegenständen, wie sie eine Karawane mit sich führt, gefüllt, und ich zählte über zwanzig Männer, welche theils beschäftigt theils müßig bei dem trüben Scheine der Kameelsdüngerfackeln zu erkennen waren. Ich warf die schwere, alterthümliche Thür zu und schob die sicher unzerbrechlichen Mauerriegel vor. Mein Glück blieb mir auch heute treu: Die Bande des Kofla-Aga war gefangen.

»Zeige mir die Männer, welche vorhin gekommen sind!« gebot ich dem Araber.

Er schritt noch eine Strecke aufwärts und blieb vor einer zweiten Thür stehen. Ich gab den Strick an Ali und tastete mich im Dunkeln zurecht. Auch hier waren starke Riegel angebracht. Ich öffnete.

»Salem aaleïkum, Ihr Leute! Tretet hervor, denn Ihr seid frei!«

»Handullillah, Preis sei Gott! Seid Ihr es wirklich, Sihdi?« klang da die freudige Stimme des alten Schech el Djemahli.

»Ich bin es. Ich wollte mich von der Wahrheit dessen überzeugen, was Dir Dein frommer, fünftausendjähriger Marabut erzählt hat, und habe die bösen Djinns gefangen.«

Ich führte ihn mit der Hälfte seiner Leute an die Thür des Lagerraumes zurück, deren Bewachung ich ihm übergab, und folgte mit den Andern unserm Führer weiter.

Wir traten endlich an das Tageslicht.

»Lubeka, Allah hinneh!« hörte ich grad über uns eine bekannte Stimme singen. Es war Rahel.

»Wo ist der Diwan des Aga?« frug ich den Araber.

»Geh diese Stufen empor und durch zwei Gemächer; Du findest ihn im dritten!«

»Kommt mit, und wartet vor der Thür!«

Die kurze Dämmerung des Südens war bereits hereingebrochen, als ich in den Diwan trat, aber ich vermochte doch noch die Pracht zu erkennen, mit welcher dieses Gemach der alten Ruine ausgestattet war. Der Kofla-Aga saß auf einem kostbaren Beni-Snassen-Teppich, der wenigstens vier Zentner schwer sein mochte, und war so mit seinem Narghileh (Wasserpfeife) beschäftigt, daß er mein Kommen gar nicht hörte.

»Salem aaleïkum!« grüßte ich. »Ist der ›Würger der Karawanen‹ taub geworden, daß er den Schall meiner Füße nicht vernimmt?«

Bei dem Klange der fremden Stimme sprang er auf und trat mit einigen raschen Schritten auf mich zu. Er erkannte mich und griff zum Yatagan.

»Allah akbar, Gott ist groß Wer, Fremdling, hat Dich von Murzuk nach el Kasr geführt, und wie bist Du herbeigekommen, ohne daß wir Dich gesehen haben?«

»Ich komme, um zu holen Rahel, die Tochter Manasse Ben Aharab.«

»Sie ist nicht hier. Hast Du die zehn Beutel?«

»Sie ist hier, Du Vater des Mordes und Erzeuger des Raubes, und die Beutel liegen in Murzuk.«

»So geh und hole sie!«

»Bah! Du wirst mich nie wieder von hinnen lassen, weil sonst die Wohnung des Kofla-Aga verrathen ist, sondern mich vom Felsen werfen lassen wie die Andern alle!«

»Beim Barte des Propheten, Giaur, Du hast recht gesagt! Gieb Deine Waffen her!«

»Die sollst Du sehen!« Ich zog den Revolver. Er hatte wohl noch keines dieser kleinen Instrumente gesehen.

»Willst Du mit mir scherzen? Ich schwöre Dir bei Muhammed und allen heiligen Kalifen, leg Deine Waffen nieder, sonst bist Du ein Kind des Todes!«

»Und ich schwöre Dir bei Isa Ben Marryam, den wir Jesus, den Sohn Mariens nennen, daß ich Dir die Hand zerschmettere, wenn Du die Klinge nicht sofort zu Boden wirfst!«

»So stirb, Kelb, Du Hund!«

Er stürzte sich auf mich; ich drückte los – seine Hand sank nieder und die erhobene Waffe fiel klirrend zur Erde. Sofort aber raffte er sie mit der Linken wieder auf und sprang mit einem lauten Wuthschrei bis hart an mich heran. Ich drückte zum zweiten Male ab; auch seine Linke war getroffen, er stürzte jetzt selbst nieder.

»Amahl, amahl, Ali, herbei, herbei, Ali!« rief ich. Der treue Diener kam herein und warf sich auf den Verwundeten, der sich unter seiner Umschlingung wie ein angeschossener Panther bäumte. Es half ihm Nichts. Auch die befreiten Kameeltreiber eilten herzu. Er wurde überwältigt und gebunden. –


Wieder ritten wir in Murzuk ein. Wir hatten nur Kofla-Aga, den Anführer der Räuber mitgenommen, während sich seine Männer unter der Bewachung der zurückgelassenen Treiber noch auf el Kasr befanden. Sie sollten von den Soldaten des Bey abgeholt werden.

Der »Würger der Karawanen« ritt, fest auf sein Kameel geschnürt, zwischen Ali und dem alten, wackern Schech el Djemahli; ich folgte mit Rahel, welche mit entzückter Miene von dem über dem Rücken des Kameels hangenden[62] Tachterwan (Frauenkorb) aus, die duftenden Gärten der Stadt begrüßte. Unsre jetzige Beute war kostbarer als die Haut von Abu el salßali, dem Vater des Erdbebens, welche bei unserm vorigen Einzuge den Rücken von Ali's Pferd geziert hatte. Dieser war auch nicht wenig stolz auf unsern Fang und kam, als wir die ersten Häuser erreichten, an meine Seite.

»Sihdi, siehst Du dort den Fundukih (Gastwirth) an der Thür, wie neugierig er aufsieht, wer wohl unser Gefangener sein mag? Du bist ein großer Effendi und Taleb; aber Dein Diener Ali Hakemi Ebn Abbas Ebn er-Rumi Ben Hafs Omar en Nasafi hat den Kofla-Aga festgehalten und gebunden wie man el Thibb, den feigen Schakal oder el Tabäa, die stinkende Hyäne bindet. Er ist ein tapferer Held und wird sich vom Bey den Preis bezahlen lassen – tefattelan, wenn Dir's gefällig ist!« –[63]

Quelle:
Die Rose von Sokna. Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May. In: Deutsche Gewerbeschau. (1. Jg. 1878/79). Mühlhausen (1878). Nr. 4, S. 62-64.
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