I.

[584] Es war eine schlimme Zeit für Deutschland und ganz besonders auch für die Bewohner der brandenburgisch-hannöverschen Grenze. Friedrich der Große hatte gegen Maria Theresia von Oesterreich losgeschlagen; Kurfürst Georg August von Hannover, der als Georg II. auch König von Großbritannien war, hielt es als Reichsfürst und Garant der Pragmatischen Sanction für seine Pflicht, gegen Preußen Front zu machen; darum erhielt der Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau von Friedrich die Ordre, Brandenburg gegen einen Einfall Georg's zu schützen, und legte längs der Scheidelinie zwischen den beiden Ländern seine »Buntröcke« auf die Lauer, die, in einer langen Kriegsschule gestählt und abgehärtet, nichts sehnlicher wünschten, als hinüberstürmen und neuen Ruhm zu dem alten erwerben zu dürfen.

Leider ging dies nicht so schnell, als sie es erwarteten. Der Befehl lautete nicht auf Offensive, sondern nur auf den Schutz der Grenze; Leopold durfte also nicht, wie er gern wollte; das wußten die Hannoveraner sehr wohl, und darum fühlten sie sich sicher, blinzelten lustig hinter den Marksteinen herüber, huschten zuweilen auch etwas weiter, als es rathsam war, in das feindliche Gebiet hinein und trieben dabei allerlei Schabernack, der ganz geeignet war, die Geduld der Preußen auf eine harte Probe zu stellen.

In der an der Löcknitz und ungefähr eine halbe Stunde von der Elbe gelegenen Stadt Lenzen im Kreise Westpriegnitz des Regierungsbezirkes Potsdam war heute Wochenmarkt, und die Bauern der Umgegend strömten schon am frühen Morgen herbei, um den Erlös für ihre Feld- und Gartenfrüchte zum Ankaufe derjenigen Nothwendigkeiten zu verwenden, welche ihnen auf ihren Dörfern nicht geboten wurden.

Sämmtliche Gasthöfe und Schänkwirthschaften des Ortes waren stark besucht, nirgends aber waren die Tische so dicht besetzt, wie in dem »blauen Stern«, wo die Landbewohner am liebsten verkehrten, weil Fährmann, der Wirth, stets für ordentliche Stallung und gutes Futter sorgte, alle Neuigkeiten zu erzählen wußte und neben den besten Speisen und Getränken auch Dieses und Jenes zum Vorscheine brachte, was einem klugen und verschwiegenen Manne von Nutzen sein konnte. Er stammte aus dem Hannoverschen Lüchow, hatte noch viele alte Beziehungen über die Grenze hinüber und galt unter seinen näheren Bekannten für einen Mann, dem die berühmte Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches deutscher Nation nicht gar sehr an das Herz gewachsen sei.

In der hintersten Ecke der Schänkstube, da, wo der Familientisch des Gastgebers stand, saß ganz allein eine kurze, dicke Gestalt, welche mit gelangweiltem Blicke den Bewegungen Fährmann's folgte, der es sehr eilig hatte, die zahlreichen Gäste zu befriedigen. Schon einige Male hatte er beruhigend herübergewinkt oder im Vorbeistreifen ein halblautes »Ich komme gleich!« gerufen, war aber zu sehr in Anspruch genommen, um bald Wort halten zu können. Da endlich erhob sich der Dicke, griff nach Stock und Kopfbedeckung und rief:

»Wirth, bezahlen!«

Da holte Fährmann seine Frau zur Stellvertretung aus der Küche und trat dann herbei.

»Ist's denn gar so eilig zumal?« zürnte er laut. »Könnt' doch wohl warten, bis man die Hand frei hat!« Leise aber setzte er, das Geld in Empfang nehmend, hinzu: »Hast Neuigkeiten?«

»Ja.«

»Geh' in die Scheune, da ist's sicher! Ich komm' gleich nach.«[584]

Der Dicke verließ grüßend die Stube. Fährmann ließ einige Minuten vergehen, ehe er ihm durch die Küche folgte.

Kaum aber hatte er die Thür hinter sich, so bewegte sich auf dem Kanapee hinter dem Tische eine Gestalt, welche bisher laut schnarchend dort gelegen hatte, rieb sich gähnend die Augen, erhob sich langsam und unsicher und stolperte dann wie noch halb schlaftrunken durch die Reihen der Gäste hinaus auf den Flur. Dort angekommen, sah sie sich vorsichtig um. Es war ein junger, hochgewachsener und breitschulteriger Mann von ungewöhnlich kräftiger Körperbildung. Er sah sich unbeobachtet. Sofort verschwand der schläfrige Ausdruck aus seinem Gesichte, die munteren Augen leuchteten befriedigt auf; mit einigen raschen Schritten trat er in den Hof und von da in den Pferdestall. Er schien zu wissen, daß dieser durch eine wenig oder gar nicht gebrauchte Thür mit der Scheune in Verbindung stand.

Es befand sich kein Mensch im Stalle. Leise und vorsichtig zog er die Thür auf und lauschte. Ein kaum vernehmliches Geflüster überzeugte ihn, daß die heimliche Unterredung auf der Tenne stattfand und er also ungesehen in denjenigen Theil der Scheune, der von der Tenne gewöhnlich durch eine Breterwand getrennt wird und den Namen Pansen zu führen pflegt, treten konnte. Er that es, zog die Thür hinter sich zu und schlich sich mit unhörbaren Schritten an den Verschlag, hinter welchem die Beiden standen. Er konnte jedes Wort vernehmen.

»Hier hast Du das Geld, Fährmann! Einundzwanzig Thaler für einundzwanzig Recruten, die Du uns zugeschwenkt hast. Zähle sie durch; es geht im Finsteren.«

Das Scheunenthor war geschlossen, so daß es ziemlich dunkel in dem Raume war. Ein leises, silbernes Klingen ließ sich vernehmen; dann klang die gedämpfte Stimme des Wirthes:

»Das Geld ist richtig. Soll ich fortfahren mit der Sendung?«

»Das versteht sich! Der Major von Zachwitz, der auf dem Schlosse liegt, ist sehr zufrieden mit den Kerls, die er von Dir bekommen hat. Er will mehr haben und zahlt gern zwei Thaler für den Kopf, die wir dann theilen, Du und ich. Das ist ein gutes Geschäft, von dem wir, wie es eingerichtet ist, keinen Schaden, sondern nur Gewinn haben können. Am liebsten sind ihm natürlich ausexercirte Leute, für die er das Doppelte bietet. Kannst Du denn nicht zuweilen auch so etwas schicken?«

»Will's versuchen; wir haben ja zumal die ganze Stadt jetzt voll solcher Kerls, denen es gar nichts schaden kann, wenn sie des Königs Rock mit dem kurfürstlichen vertauschen.«

»Und was ich Dir noch sagen muß: Könnten wir zuweilen einen Officier im Stillen kapern, so gäbe es ein Gaudium, von dem Dein Beutel auch seinen Theil bekommen würde. Man kann so einen Herrn zwar nicht in der Weise zur Verwendung bringen wie einen Gemeinen, aber gefangen ist er doch und wird gezwungen, Neutralität zu schwören.«

»Das geht nicht, Hämmerlein. Ich kann doch un möglich einen Officier mit einem Auftrage zu Dir über die Grenze hinüberschicken. Ich möchte nur sehen, wie der mich zumal andonnern würde!«

»Hast Recht; aber geht's nicht so, so geht's auf andere Weise. Es schleichen genug dieser Herren die Grenze auf und ab, um die Patrouillen zu überwachen und zu recognosciren, wie sie's nennen. Wie Du es anfängst, das ist Deine Sache, aber Du könntest sicher Manches erlauschen und uns sofort Nachricht senden. Meinst Du nicht?«

»Hm, will's versuchen. Die Hauptsache ist, daß es auch etwas abwirft!«

»Darüber mach' Dir nur keine Sorgen. Und überdies solltest Du schon um der Anna willen gut zu mir halten. Sie ist das einzige Kind, und Dein Ludwig findet sicher im ganzen Lande keine bessere Gelegenheit.«

»Das möchte ich gelten lassen; aber das Mädchen scheint sich zumal nicht viel aus ihm zu machen. Der Bellheimer, oder wie der Mensch heißt, liegt ihr im Kopfe.«

»Laß dies gut sein, Fährmann. Ich will ihr den preußischen Wachtmeister schon versauern, daß ihr der Appetit nach ihm vergeht! Sie ist ja sonst nicht ohne Verstand und Ansicht und wird sich gewiß noch geben.«

»Ist er denn gar so ein ansehnlicher Kerl, daß er einem Mädchen wie der Anna den Sinn so ganz und gar verdrehen kann?«

»Hübsch ist er, das muß man ihm lassen; lang, breit, stark wie ein Goliath und dazu zehntausend Teufel im Leibe. Er soll auch beim alten Dessauer gewaltig gut angeschrieben sein und zu allerlei Dienst benutzt werden, wozu Muth und Körperkraft erforderlich ist. Das hat er Beides in gutem Maße und ist noch obendrein schlau und listig wie ein Fuchs, das habe ich ja selbst schon oft erfahren.«

»Wieso?«

»Ja, das ist ja eben mein Aerger. Denke Dir nur, er weiß, daß ich ihm nach dem Leder trachte, und kennt auch die sonstigen Gefahren sehr genau, die es drüben für ihn giebt, und doch wagt er sich öfters hinüber, wo er dann nicht nur hinter meinem Rücken mit dem Mädchen schamerirt, sondern oft auch so dreist ist, bei mir einzukehren und ein Bier zu verlangen.«

»So laß ihn doch festnehmen! Das gäbe zumal gleich einen Ausexercirten und schaffte ihn Dir sofort vom Halse.«

»Das ist bald gesagt, aber nicht so leicht gethan, wie Du denkst. Er ist so stark, daß er es mit einem halben Dutzend kräftiger Kerls gern und gut aufnimmt, und kommt nur dann herein, wenn er sicher ist, keine Uebermacht zu finden. Schicke ich dann heimlich nach Succurs, so ist er plötzlich fort wie weggeblasen, und ich habe den Aerger und das Nachsehen.«

»So laß ihn doch verfolgen, zumal er doch nicht verschwinden kann!«

»Hab's öfters versucht, hilft aber nichts, denn er ist in Wustrow zu Hause und kennt die Gegend wie seine eigene Tasche. Ist er einmal fort, so will ich Den sehen, der ihn findet! Ein einziges Mal nur ist er von einem Corporal und noch Zweien auf dem Heimwege gefaßt worden. Und was war die Folge? Er hat die Drei durchgebläut, daß ihnen der Verstand vergangen ist, und sie dann mit ihren eigenen Waffen vor sich her und über die Grenze getrieben, wo man sie in preußisches Tuch gesteckt hat.«

»Da ist er ja ein ganz verteufeltes Subject, zumal ich ihn wahrhaftig einmal sehen möchte! Aber jetzt muß ich hinein. Hast Du noch etwas zu sagen?«

Der Lauscher fand es gerathen, sich jetzt zurückzuziehen. Er schlug denselben Weg ein, welchen er gekommen war, gelangte glücklich wieder in den Flur und trat mit verschlafenem Gesichte in die Stube, wo er einen müden Schluck aus seinem Glase nahm und dann wie vorhin in abgewendeter Lage, und das Gesicht unter die vorgeschützte Hand verbergend, sich auf das Kanapee streckte.

Der bald zurückkehrende Wirth schenkte ihm nicht die mindeste Aufmerksamkeit; er war gewohnt, der gleichen verschlafene Gesellen bei sich zu sehen, und hatte mit den anderen Gästen genug zu thun.

Da öffnete sich die Thür, und es trat ein Mann ein, der mit raschem Blicke den Raum überflog und den hintersten Tisch als einzigen erkannte, an dem noch Platz zu finden war. Mit langen Schritten wand er sich durch die Menge der Gäste und ließ sich auf demselben Stuhle nieder, den der geheimnißvolle Dicke vorher eingenommen hatte.

Die Anwesenden konnten nicht umhin, ihm ihre Aufmerksamkeit zu schenken, deren Grund in der überraschenden Aehnlichkeit lag, welche er mit dem Wirthe hatte. Beide waren lang und hager, aber sehnig gebaut; Beide hatten die Sechzig jedenfalls überschritten, trugen denselben dunkeln Schnurrwichs und konnten infolge ihrer beiderseitigen Gesichtszüge leicht für Brüder gelten. Der neu Angekommene trug einen blauleinenen Kittel, hatte eine dickstielige Lederpeitsche über die Schulter geschnallt und mußte zu so früher Tageszeit schon einen ansehnlichen Weg zu Fuße zurückgelegt haben, denn die wohlgeschmierten Aufziehstiefel, welche die ganze Länge seiner Beine bedeckten, waren bis über die Kniee herauf mit Staub und Schmutz bedeckt.

»Heda, Wirthschaft,« rief er, als er nicht sofort nach seinem Begehre gefragt wurde, »soll man etwa hier im ›blauen Stern‹ verdursten?«

»Nur sachte da hinten,« antwortete Fährmann, »oder glaubt Er vielleicht, daß ich nur auf Ihn gewartet hab'?«

»Raisonnire Er nicht, sondern spute Er sich ein wenig, daß ich einen Krug Frisches bekomme!«[585]

Bei dem Klange dieser tiefen, dröhnenden Stimme war der auf dem Kanapee Liegende zusammengezuckt, hatte aber seine Stellung ruhig beibehalten.

»Da hat Er Sein Bier,« meinte Fährmann, den Krug vor den Gast hinstellend, »und nun wird Er wohl zufrieden sein!«

»Wenn der Trunk gut ist, ja, sonst aber kann Er Seine Brühe selber trinken!«

Er kostete, schnalzte wohlgefällig mit der Zunge und leerte dann das Gefäß in einem Zuge.

»Noch einen!« befahl er schmunzelnd.

»Nun, schmeckt's?«

»Besser als man es bei Ihm denken sollte!«

Fährmann holte das Verlangte und nahm sich dann Zeit zu einigen neugierigen Fragen. Der Unbekannte schien ihm Interesse einzuflößen.

»Er muß schon weit gelaufen sein, daß Er einen solchen Durst hat. Man sieht es auch an Seinen Stiefeln. Woher des Wegs, he?«

»Weither!«

»So, da ist man zumal so klug wie zuvor! Und wohin die Reise?«

»Weiterhin!«

»Sackerment, Alter, Er ist verteufelt kurz angebunden!«

»Kann Ihm nichts schaden!«

»Meint Er? Ihm wär's vielleicht auch mehr von Nutzen, wenn Er zumal auf eine gut gemeinte Frage etwas reputirlicher antwortete. Man sieht und hört es Ihm doch gleich an, womit Er umgeht!«

»Ach? Nun, womit denn?«

»Doch nur mit dem lieben Vieh!«

»Da hat Er Recht, denn g'rad eben jetzt habe ich diesen lieben Umgang. Er ist ein großer Scharfsinn, höre Er!«

»Pah! Wer täglich einige Hundert Gäste bei sich sieht, der kennt den Viehhändler schon auf eine halbe Stunde weit. Er will wohl nach der Lenzerwische, um Pferde oder Rinder einzukaufen?«

»Fällt mir gar nicht ein! Habe eine ganze Heerde in Perleburg losgeschlagen und will nun ledig hinüber nach Clenze, wo ich zu Hause bin,« antwortete er mit einem eigenthümlichen Zucken der Bartspitzen.

»Da ist Er also ein Hannoveraner?« fragte Fährmann, indem er sich einen Stuhl herbeizog und seinem soeben eingetretenen Sohne ein Zeichen gab, sich einstweilen der anderen Gäste anzunehmen. »Und in Clenze daheim? Da stammen wir ja gar nicht weit auseinander, denn meine Heimath ist Lüchow. Hat Er einen guten Paß, um zumal unangefochten durch die Sperre zu kommen?«

»Paß? Hm, woher soll ich ihn haben? Werde schon auch ohne ihn hinüberkommen!«

»Da täuscht Er sich gewaltig!« Er senkte den Kopf etwas tiefer herab, um von keinem Anderen gehört zu werden, und flüsterte, nachdem er sich mit einem Blicke auf das Kanapee überzeugt hatte, daß der dort Liegende fest schlafe: »Wäre Er eher gekommen, so hätte sich Ihm eine gute Gelegenheit geboten, glücklich zu passiren.«

»Wieso?«

»Es war Einer da bei mir, der alle Schliche kennt und Ihn gern mitgenommen hätte. Ich sage Ihm das, weil Er mein Landsmann ist und den Potsdamer Flötenspieler gewiß auch nicht leiden mag.«

»Hm, Er ist ja ein ganz verflucht guter Patriot! Wer ist es denn, der hier gewesen ist? Vielleicht ist mir der Mann auch bekannt; ich kenne die Sorte, zu der er gehört, so ziemlich genau.«

»Wirklich? Ja, die Kurfürstlichen sind brave Leute und halten immer sehr gut zusammen. Ich kann Ihn gleich einmal auf Seine politische Meinung prüfen, und wenn Er den Mann kennt, den ich zumal meine, so darf man Vertrauen zu Ihm haben. Es ist ein Gastwirth aus einem Orte an der Zehre. Nun?«

»Himmelelement, wohl gar der Hämmerlein aus Gartow, he?«

»Wer soll's denn anders sein? Er kennt ihn? Woher denn, wenn ich fragen darf?«

»Hm, ich weiß nicht, ob ich es Ihm sagen kann!«

»Warum denn nicht, he?«

»Weil's gefährlich ist. Der Hämmerlein hat so ein kleines Geschäft mit Leuten, die für einen hübsch gewachsenen Burschen immer ein gutes Auge haben, und ich bin gar oft – hm, versteht Er mich?«

»Vollkommen. Und da es so steht, will ich Ihm einen Weg beschreiben, auf dem er bequem hinüberkommt, ohne belästigt zu werden.«

Er griff in die Tasche und versuchte, seine Beschreibung durch eine auf die Tischplatte geworfene Zeichnung anschaulicher zu machen, die er mit der Kreide so geläufig ausführte, daß man bemerken mußte, er sei den betreffenden Weg schon oft selbst gegangen.

»So! Nun ist Er sicher, daß Ihm die Leute des alten Grobians nicht in die Quere kommen.«

»Des alten Grobians? Wen meint Er denn da?«

»Nun, den Dessauer, der voller Flüche und Grobheiten steckt, wie der Hund voller Flöhe.«

»Ach so,« klang es unter dem gewaltig zuckenden Schnurrbarte hervor. »Wenn Er ihn so gut kennt, so nehme Er sich nur in Acht, daß Er ihm nicht einmal in die Tatzen läuft, denn dann kann Er sehen, was so ein Floh für eine heillose Creatur ist.«

»Pah, vor dem alten Teufelsbraten fürchte ich mich noch lange nicht.«

»Gut für Ihn! Jetzt aber adjes und schönen Dank für Seinen guten Rath.«

Er erhob sich, bezahlte seine Zeche und schritt zur Thür hinaus. Draußen schlug er die Richtung nach dem Marktplatze ein. Dort begegnete ihm ein junger Cornet, welcher, den einfach gekleideten und beschmutzten Mann gar nicht beachtend, sporenklirrend an ihm vorüber wollte. Mit einem raschen Griffe aber hatte er ihn bei der Achselschnur.

»Halt! Front! Augen grad' aus!« commandirte er. »Sage Er mir einmal, wo der Herr Oberstwachtmeister von Dennau in Quartier liegt?«

»Wer ist Er denn, Er Flegel, daß Er es wagt, einen Offic –«

»Maul halten! Ordre parirt!« donnerte es da dem erzürnten Kriegshelden entgegen. »Will Er Himmelelementer mir wohl auf der Stelle meine Frage beantworten?«

Die Stimme des alten Viehhändlers klang so unwiderstehlich, daß der Angeschmetterte unwillkürlich den Arm erhob und, vorwärts zeigend, in kleinlautem Tone beschied:

»Dort um die Ecke, das zweite Haus links, eine Treppe!«

»Schön! Augen rechts! Rechts abgeschwenkt! Marsch!«[586]

Das an der Thür der beschriebenen Wohnung stehende Schilderhaus ließ sie als das Quartier des Platzcommandanten erkennen. Der Händler schritt an der Schildwache vorbei, stieg die Treppe empor und öffnete die erste beste Thür, die sich ihm entgegenstellte. Zwei Unterofficiere befanden sich in dem Raume, den er betrat.

»Wer ist Er und was will Er?« fragte ihn der Eine mit barscher Stimme.

»Ist der Herr Oberstwachtmeister von Dennau zu Hause?«

»Was will Er von dem Herrn?«

»Das geht Ihm wohl nichts an. Ich frage, ob der Herr Oberstwachtmeister zu Hause ist!«

»Und ich frage, was –«

»Will Er wohl sofort Seinen naseweisen Schnabel zuklappen, Er Tausendschwerenöther Er? Ich –«

»Schnabel? Naseweis?« unterbrach in der Unterofficier, auf ihn zutretend und ihn beim Arme packend. »Sofort komme Er mit herunter auf die Wache! Ich werde Ihm den naseweisen Schnabel mit dem Stocke auf das Leder zeichnen lassen, daß –«

»Was ist denn das für ein heidenmäßiger Scandal hier außen?« fragte es da mit scharfem Tone in das Raisonnement hinein. Es war der Oberstwachtmeister selbst, welcher sich in seinem Zimmer mit einigen Officieren im Gespräche befunden hatte und zornig die Thür aufriß. »Wer ist denn der Störenfried, der sich untersteht, hier in –«

»Der Störenfried?« meinte der Viehhändler, indem er sich herumdrehte. »Seht ihn Euch doch einmal an, Herr Oberstlieutenant!«

»Himmeldonnerw-, wollte sagen, bitte tausendmal um Verzeihung, Durchlaucht Excellenz! Konnte unmöglich wissen, daß –«

»Schon gut, schon gut! Macht aber ein ander Mal die Augen besser auf, ehe Ihr schimpft.«

Er trat in das Zimmer, wo ihn die ganz überraschten Herren in strammer, vorschriftmäßiger Haltung empfingen.

»Guten Morgen! Habt wohl nicht gedacht, daß heute solcher Besuch nach Lenzen kommt? Na, wollte doch auch 'mal sehen, wie's hier geht und steht. Habt doch gestern meine Ordre empfangen, Herr Oberstwachtmeister, was?«

Der Gefragte stand vor ihm, die kleinen Finger an den Hosennähten und steif wie ein Ladestock.

»Zu Befehl, Excellenz, ja.«

»Habt Ihr den Kerl?«

»Darf ich gehorsamst fragen, welchen Kerl?«

»Welchen Kerl? Nun, wen anders als den Hämmerlein?«

»Hämmerlein? Habe den Namen noch nie gehört. Ich bitte unterthänigst, mich zu informieren, wer –«

»Hämmerlein – nie gehört – zu informiren?! Da sollen doch gleich zehn Millionen Granaten dreinschlagen! Ihr habt meine Ordre erhalten und bittet unterthänigst um Auskunft über den Hämmerlein?«

»Excellenz halten zu Gnaden, ich erlaubte mir, nach Empfang der Ordre sofort den Lieutenant von Wrede in das Hauptquartier zu senden, um zu sagen, daß die Ordre –«

»Wrede – Hauptquartier – Ordre? Warum schickt Ihr mir eine Ordonnanz, da ich doch geschrieben habe, daß ich heute selbst kommen werde? Ich wollte die Untersuchung in eigener Person führen und frage jetzt zum zweiten Male, ob Ihr den Hämmerlein habt!«

Das Gesicht des Platzcommandanten war vor Verlegenheit hochroth geworden, und die anderen Kameraden warfen sich verstohlene Blicke zu, in denen sich die lebhafteste Besorgniß nicht verkennen ließ.

»Excellenz gestatten mir gütigst,« er trat zum Schreibtische und zog ein beschriebenes Blatt aus einem dort liegenden Couvert, »um Durchsicht dieser Zeilen zu bitten!«

Fürst Leopold – denn dieser war es – griff nach dem Papiere, trat an das Fenster und studirte eine ganze Weile an den schauderhaften Hieroglyphen herum, die sich seinem Blicke boten. Er war nie ein Freund und Bewunderer der edeln Schreibekunst gewesen, und Meldungen zu lesen oder gar selbst die Feder zu führen, gehörte für ihn zu den größten Strapazen des Erdenlebens. Aber so eine Schrift, wie er sie hier sah, war nach seiner Ansicht gar keine menschliche, war ihm geradezu noch niemals vor die Augen gekommen.

»Was ist denn das für ein dummer Wisch, he?« fragte er endlich. »Das sieht ja gerade aus, als hätte Einer die Hände und Füße in einen Tintenbottich gesteckt und wäre dann mit allen Vieren auf dem Papiere herumgekrochen. Und so eine heillose Sudelei wagt Ihr, mir zum Lesen zu geben!« Seine Stirnadern begannen zu schwellen, und seine Augen blitzten zornig im Kreise herum. »Da kann ja kein Mensch einen richtigen Buchstaben herausfinden. Werdet mir wohl sagen, welcher Esel das geschrieben hat?«

»Excellenz, darf ich gehorsamst bitten –«

»Bitten? Was denn?«

»Mir zu sagen –«

»Zu sagen? Was denn?«

»Was diese Zeilen enthalten?«

»Was – diese – Zeilen – enthalten? Seid Ihr denn verrückt geworden, verrückt Einer wie der Andere? Ich habe Euch ja gesagt, daß kein Mensch im Stande ist, unter diesen schmierigen Klexen einen vernünftigen Buchstaben zu erkennen. Oder könnt Ihr's vielleicht?«

»Nein.«

»Nicht! Und ich, der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Feldmarschall des deutschen Reiches und Preußens, soll Schreiberdienste verrichten und Euch den schwarzen Schlamm zurechtkratzen?«

Sein Zorn war in stetem Wachsen begriffen. Er trat hart an den Oberstwachtmeister heran und fragte:

»Also welcher Essenkehrer hat sich auf dem Wische herumgewälzt, und was hat der Fetzen hier mit meiner gestrigen Ordre zu schaffen?«

»Durchlaucht, dieses Schriftstück –«

»Schriftstück? Eine Klexerei ist's! Nun also, diese Klexerei?«

»Ist von Excellenz höchst –«

»Alle Teufel, nur weiter! Ist von Excellenz höchst –?«

»Höchsteigener Hand geschrieben worden.«

Der Fürst trat einige Schritte zurück, riß vor Erstaunen den Mund weit auf und sah dem Sprecher mit starrem Auge in das angstvolle Gesicht. Es dauerte eine ganze Zeit, ehe er zu sprechen vermochte. »Ich selbst – mit höchsteigener Hand geschrieben! Mensch, Herr Oberstwachtmeister, meine Herren, wollen Sie sich über Ihren Feldherrn lustig machen? Wäret Ihr nicht Officiere, ich ließe Euch sammt und sonders auf der Stelle krumm schließen! Glaubt vielleicht Einer von Euch, daß ich nicht schreiben oder gar mein Geschriebenes nicht lesen kann?«[600]

»Excellenz, Niemand wird wagen, so etwas auch nur leise zu denken; aber –«

»Das will ich Euch Allen auch gerathen haben! Also aber –«

»Aber ich bitte, gütigst die Unterschrift zu bemerken. Und hier ist das Couvert!«

»Die Unterschrift? Ich unterschreibe mich doch ›Leopold‹, aber hier ist weder L, noch e, noch o zu erkennen, und das ›pold‹ ist ganz und gar in der Tinte ersoffen. Zeigt einmal das Couvert! Hmhm, – was soll denn eigentlich die Geschichte vorstellen?«

»Es ist die Ordre, welche Excellenz mir gestern sendeten.«

»Was? Meine Ordre ist's? Und die kann der Herr Oberstwachtmeister nicht lesen, die giebt er mir zurück, daß ich ihm sagen soll, was sie enthält? Alle Sternhagel-, Blitz und Granatensplitter, jetzt geht mir endlich einmal die Geduld flöten, jetzt steigt mir's in den Kopf, jetzt – was thue ich nur mit Euch, mit – mit –«

Mit dem Zeichen der höchsten Erregung stürmte er im Zimmer auf und ab, stampfte mit den Füßen und focht mit den Armen in der Luft.

»Excellenz, diese Schrift ist –«

»Ist? Nun, was ist mit ihr?«

»Ist durch die Hände des ganzen Officiercorps gegangen –«

»Officiercorps geg– – Wa – wa – wa – was?! Des ganzen Officiercorps? Was sagt Ihr mir da? Eine Ordre, die nur an den Oberstwachtmeister von Dennau gerichtet war, ist durch die Hände – Himmel– – des ganzen – Millionen – Officiercorps gegangen – Hagelwetter! Und das nennt man militairische Discretion! Na, macht Euch gefaßt, Ihr – Ihr – Ihr –«

»Und Keiner –«

»Was noch, he?«

»Hat sie lesen können.«

»Keiner? Kein Einziger? Das wird immer toller!«

»Und da der Ordre doch Gehorsam geleistet werden muß –«

»Schwerebret, das ist Euer Glück, das will ich mir auch ausgebeten haben!«

»So sendete ich den Lieutenant sofort in das Hauptquartier, um –«

»Ach so, um den Befehl noch einmal schreiben zu lassen! Herr Oberstwachtmeister, nichts für ungut, aber – aber – aber – o, ich gäbe gleich hundert Ducaten drum, wenn Ihr nicht Oberstlieutenant, sondern – sondern – na, da ist der Befehl also noch gar nicht ausgeführt?«

»Halten zu Gnaden, nein!«

»Und das sagt Ihr mir – wirklich mir? Himmelherrgott, wo nehme ich heute nur diese übermenschliche Geduld her! Gebe ich da einen Befehl – und dieser Befehl wird nicht befolgt – weil man nicht lesen kann – und nun soll ich meine eigene Ordre buchstabiren! Sagt mir doch in aller Welt, für wen sie geschrieben ist!«

»Für mich.«

»Gut! Wer hat sie also zu lesen?«

»Ich.«

»Sehr gut! Bin ich etwa der Herr Oberstwachtmeister von Dennau?«

»Nein.«

»Vortrefflich! War sie an mich gerichtet?«

»Nein.«

»Habe ich sie also zu lesen?«

»Nein.«

»Gut – sehr gut – vortrefflich! Merkt Euch das, Ihr Herren. Ich schreibe meine Ordres nicht für mich und habe also gar nicht nothwendig, sie lesen zu können. Wer aber eine Ordre von mir bekommt und sie nicht lesen kann, der soll – der soll – hm, ja, ich bin heute nun einmal ausnahmsweise so unendlich nachsichtig und will annehmen, daß ich gestern nichts geschrieben habe. Also sollt Ihr –«

In diesem Augenblicke öffnete der diensthabende Corporal die Thür und meldete:

»Excellenz entschuldigen, ich soll sagen, der Heinz ist da!«

»Gut. Trete Er einmal näher!«

Der Mann folgte mit niedergeschlagenen Augen dem Befehle.

»Nun, Er Himmelhund, wie steht es denn mit dem naseweisen Schnabel? Will Er ihn mir denn noch auf das Leder zeichnen lassen?«

»Durchlaucht – Excellenz – ich ahnte nicht – ich – ich –«

»Na, jetzt kennt Er mich und wird's wohl nicht wieder machen. Hier hat Er einen Gulden, und trinke Er ein paar Krüge, um sich den Schnabel naß zu machen! Der Heinz soll eintreten!«

Der Soldat zog sich freudig dankend zurück und hielt den Eingang für einen Mann offen, der in parademäßiger Haltung hereinmarschirte, drei Schritte von der Schwelle entfernt die Fersen aneinanderschlug und mit der Hand salutirend in tiefstem Basse grollte:

»Eingetroffen zur Bedienung, Dorchlaucht!«

»Schön, Heinz! War eher da, als Du. Wie kommt das?«

»Der alte Bagagewagen ging auseinander. Hol' der Teufel das Gerümpel, Dorchlaucht!«

»Nicht raisonniren, Heinz! Laß Dir ein Zimmer anweisen! Werde bald nachkommen.«

»Zu Befehl, Dorchlaucht!«

Er machte Kehrt und marschirte ab. Der Fürst wendete sich wieder an die Officiere:

»Meine Herren, die Kurfürstlichen werden von Tag zu Tag dreister und geberden sich gerade so, als ob wir nur zum Spaße an der Grenze ständen. Sie haben unter unseren Augen Werbestationen errichtet, die ihre Fangarme sogar herüber in das Brandenburgische strecken, und zu meinem Bedauern muß ich hören, daß Eure Wachsamkeit sich von den Galgenvögeln täuschen läßt. Es muß einmal ein Exempel statuirt werden, ein ganz gewaltiges Exempel, und darauf bezog sich die gestrige Ordre, die – die der Oberstwachtmeister sammt seinem ganzen Officiercorps nicht lesen konnte. Ich habe erfahren, daß die rührigste Station im Hause des Gastwirthes Hämmerlein zu Gartow zu suchen sei, und werde, da – da meine Ordre nicht gelesen werden konnte, die Sache einmal in die eigene Hand nehmen. Ich gehe heute nach Gartow und –«

»Excellenz,« wagte Dennau, ihn zu unterbrechen, »bedenken doch gütigst die Gefahren, welche –«

»Papperlapapp! Ich gehe; abgemacht und nicht gemuckst! Wenn meine Officiere sich täuschen lassen, so muß ich einmal die eigenen Augen offen halten, und überdies gehe ich in hinlänglicher Begleitung. Man lasse sofort den Wachtmeister Bellheimer von der Schwadron des Rittmeisters von Galen rufen!«

»Bellheimer? Entschuldigen Excellenz, der hat heute Morgen auf zwei Tage Urlaub erhalten.«

»Urlaub? In welcher Angelegenheit?«

»Auch uns ist das Treiben jenseits der Grenze und besonders zwischen hier und Gartow aufgefallen, obgleich unsere Nachforschungen leider bisher ohne Resultat geblieben sind. Bellheimer nun meldete sich gestern bei mir und versprach, der Sache ganz gewiß auf die richtige Spur zu kommen, wenn ich ihn auf zwei Tage entlassen wolle. Ich entsprach natürlich seinem Wunsche und glaube, daß er sich nun längst schon unterwegs befindet.«

»Ah – hm – braver Kerl, der Bellheimer! Kenne ihn – wird Wort zu halten suchen! Werde aber dennoch meinen Plan ausführen und nun ohne Begleitung gehen, Herr Oberstwachtmeister!«

»Excellenz?«

»Bin ich heut' Abend punkt Neun nicht zurück, so reitet Rittmeister von Galen mit seiner Schwadron hier ab und direct nach Gartow, besetzt sofort das Schloß und den Gasthof des Wirthes Hämmerlein, wo er mich an einem der beiden Orte wohl finden wird. Verstanden?«

»Zu Befehl, Excellenz; doch gestatte ich mir eine Wiederholung meiner dringenden Bitte um –«

»Keinen Widerspruch,« klang es scharf und kurz: »weiß ganz allein, was ich thue!« Dann fügte er in freundlicherem Tone hinzu: »Haben die Herren schon gefrühstückt?«[601]

»Nein.«

»Dann laden wir uns bei dem Herrn Oberstwachtmeister zu Gaste, doch nur auf Brod und Bier; zu Mehrerem bleibt mir nicht Zeit genug!«

Der Officier war über diese Wendung der für ihn so ungünstig begonnenen Unterhaltung hoch erfreut, und bald saßen die Anwesenden in respectvoller Haltung mit ihrem Feldherrn an dem frugal besetzten Tische. An Delicatessen durfte Dennau nicht denken; er kannte den Geschmack des Fürsten.

Unterdessen machte sich Heinz in dem ihm angewiesenen Zimmer mit dem wenigen Gepäcke zu schaffen, welches er für seinen Herrn mitgebracht hatte. Er war Leib- und Kammerhusar des Fürsten und eine wegen seiner derben Gutmüthigkeit und Originalität, ebenso wie durch seinen oft bewiesenen Muth nicht nur in der nächsten Umgebung des Fürsten, sondern in allen Dessauer Landen und der ganzen Armee bekannte, geachtete und beliebte Persönlichkeit. In der Stadt Dessau geboren, war er mit Leopold in den Niederlanden, am Rhein, in Baiern, Oesterreich und Italien gewesen, hatte dessen sämmtliche Feldzüge und Reisen mitgemacht und war ihm so lieb geworden und so mit ihm verwachsen, daß er dem strengen Herrn und Gebieter gegenüber sich Manches erlauben konnte, was ein Anderer bei Leib und Leben nicht hätte wagen dürfen. Dafür war er ihm auch mit ungewöhnlicher Treue ergeben, hatte um dieser Treue willen nicht geheirathet und wäre für ihn täglich hundertmal mit Freuden in den Tod gegangen.

Alle, denen der Fürst gewogen war, konnten auch auf die Freundschaft Heinrich Balzer's, wie sein voller Name lautete, rechnen, und da der Erstere schon öfters eine gewisse Gönnerschaft für den Wachtmeister Bellheimer an den Tag gelegt, so hatte auch Heinz ihn in sein altes Herz geschlossen und sich heut' gleich nach seiner Ankunft nach ihm erkundigt. Leopold war ihm in allen Stücken ein nacheifernswerthes Vorbild, und darum hielt er sich auch in seinem Aeußeren ganz seinem Herrn entsprechend. Er trug Haar und Bart gerade so wie dieser, hatte ganz dessen Gang, Haltung und Ausdrucksweise acceptirt und hätte von Einem, der wohl von dem »alten Dessauer« gehört, ihn aber noch nicht gesehen hatte, recht gut für diesen gehalten werden können. Er erzählte unendlich gern von seinen Erlebnissen und fand, wenn es keinen anderen Zuhörer gab, für seine Geschichten doch stets zwei willige Ohren – seine eigenen, denen er stundenlang mit einem Eifer, als hätte er einen zahlreichen Hörerkreis um sich, vorplaudern konnte. Und ebenso war es eine seiner Haupteigenthümlichkeiten, daß er nie Durchlaucht sagte, sondern ein- für allemal das u in ein o verwandelt hatte.[602]

Jetzt befand sich der zweite diensthabende Corporal bei Heinz, um ihm beim Ordnen der mitgebrachten Bagage hilfreich an die Hand zu gehen.

»Also der Bellheimer ist wirklich auf Urlaub?«

»Ja, zwei Tage.«

»Weiß Er vielleicht, weshalb?«

»Nein.«

»Hm, ja, er macht nie viele Worte, der brave Junge. Mordelement, hab' ihn fast ein wenig lieb und hätte ihn fürs Leben gern einmal wiedergesehen! Kann Er mir wohl sagen, ob der Wachtmeister irgendwo eine Liebste hat?«

»Nein.«

»Hm, könnte möglich sein, daß er eines Mädels wegen den Dienst im Stiche ließ. Traue ihm aber eine solche Dummheit eigentlich gar nicht zu. Hab' auch nie d'ran gedacht, selbst nicht in meinen jungen Jahren. Ein einziges Mal nur hätte ich mich beinahe in ein rundes Lärvchen verguckt, und das war dazumal, als wir in Baiern anno Vier an der Donau standen, um bei Hochstätt d'reinzuschlagen. Wir lagen bei einer jungen Wittfrau in Quartier, ich und die Dorchlaucht nämlich; ich sage, bei einer jungen Wittfrau, die ganz verteufelt hübsch war und, Mordelement, es ist Wort für Wort wahr, sogar ein Auge auf mich geworfen hatte. Das war eigentlich auch gar nicht anders zu erwarten; denn wir waren zwei Kerls, nämlich ich und die Dorchlaucht, zwei Kerls, sage ich Ihm, lang und schlank, drall und schmuck, wie gemalt, und dazu jung, gesund und voll Race, wie ein arabischer Schimmel. Eines Tages nun stehe ich unter der Thür und putze grad' mein Lederzeug, da kommt sie die Treppe herab und stellt sich mit einem Blicke vor mich hin, als ob ich nur rasch zuzugreifen und meinen Schnurrwichs an ihr rothes Mäulchen zu wischen hätte. Corporal, ich sage Ihm, drei Finger breit über dem Magen fing es wirklich an, zur Attaque zu trommeln, und wer weiß, was Alles geschehen wäre; aber da kommt es plötzlich die Straße heraufgalopirt, hält vor dem Hause, und wer steigt ab? – eine Ordonanz vom Prinzen Eugenius, welche den Befehl bringt, daß –«

»Heinz!« erscholl es da hinter dem Erzähler.

Er fuhr herum, erblickte den Fürsten, welcher vom beendigten Frühstücke kam, und streckte sich sofort in die reglementsmäßige stramme Haltung. Der Corporal war bei dem Klange der tiefen Stimme augenblicklich aus der Stube verschwunden.

»Dorchlaucht?«

»Ich gehe hinüber nach Gartow.«

»Hinüber nach Gartow? Sackrament, Dorchlaucht, das ist ja hannöversch!«

»Thut nichts! Zum Abende bin ich wieder hier. Hast Urlaub bis dahin!«

»Urlaub? Fällt mir nicht ein. Ich gehe mit!«

»Kann Dich nicht brauchen!«

»Was? Hm, möglich; aber ich kann Dorchlaucht brauchen!«

»Geht nicht; basta, abgemacht! Will einmal nachsehen, was die Kurfürstlichen für Vogelbauer haben; weiß einen Weg, auf dem ich sicher hinüber- und herüberkomme, und treffe dabei vielleicht gar auf den Bellheimer, der auch hinüber ist.«

»Soll ich die Pistolen hervorsuchen, Dorchlaucht?«

»Nein; hab' genug an der Peitsche, die mit Blei ausgegossen ist. Kannst aufsitzen und mit dem Rittmeister von Galen nachkommen, wenn ich um neun noch nicht zurück bin!«

»Dorchlaucht, ich hab' Niemandem 'was zu befehlen; aber, Schockschwerenoth, viele Hunde sind des Hasen Tod, und wenn sie Euch packen, dann – na, dann komme ich hinüber, und genade Gott Dem, der mir vor den Säbel kommt! Besser aber ist's, ich gehe jetzt gleich mit.«

»Du bleibst!«

Der Ton, in welchem diese zwei Worte gesprochen wurden, war entscheidend. Der Fürst ging, und Heinz verfolgte vom Fenster aus seine hohe Gestalt, bis sie hinter der Ecke des Marktes verschwunden war. Er hatte ganz das Gefühl, als gehe sein Gebieter einem Unglücke, einer großen Gefahr entgegen, und mußte an sich halten, ihm nicht unbemerkt zu folgen.

So stand er noch lange Zeit am Fenster und blickte mit düsterem Auge auf die Straße hinab; da zuckte es plötzlich überrascht durch seine alten, treuen Züge.

»Tausend Schock – wer ist denn das? Ich glaube gar – ja, wahrhaftig, da kommt der Bellheimer gelaufen, der über die Grenze hinüber sein soll, und macht Beine, als müsse er in zwei[616] Stunden die Lüneburger Haide messen. Der hat etwas auf dem Herzen und will damit zum Herrn Oberstwachtmeister. Wart', ich fange ihn ab!«

Er öffnete die Thür, an welcher der Kommende vorüber mußte.

»Links abgeschwenkt; zu mir herein, Wachtmeister!« commandirte er. »Habe mit Ihm Einiges zu reden.«

»Heinz!« rief der Angeredete mit froher Miene. »Ihr hier im Hause? Da ist Seine Durchlaucht wohl noch nicht fort?«

»Warum?«

»Weil ich auf der Stelle mit dem Fürsten sprechen muß.«

»Da kommt Er um eine Viertelstunde zu spät.«

»Also doch schon fort! Wohin? Nicht wahr, nach Gartow hinüber?«

»Ja. Woher weiß denn Er das?«

»Nachher, Heinz! Jetzt muß ich vor allen Dingen zum Herrn Oberstwachtmeister, sonst wird der Fürst von den Kurfürstlichen gefangen. Komme auf dem Rückwege wieder herein!«

Der Kammerhusar ergriff ihn beim Arme und hielt ihn fest.

»Halt, Bellheimer; nicht von der Stelle! Wenn der Feldmarschall sich in Gefahr befindet, so steht der Heinz über dem Oberstwachtmeister und über allen Generalen. Heraus also mit Seiner Meldung! Wer will den Herrn fangen?«

»Der Fährmann und der Hämmerlein.«

»Fährmann – Hämmerlein? Bombenelement, wer sind denn diese beiden Halunken?«

»Fährmann heißt der Wirth zum ›blauen Stern‹ hier, und der Hämmerlein ist aus Gartow, auch ein Gastwirth.«

»Zwei Wirthe? Und diese beiden Bierschlingels wollen sich an meine Dorchlaucht machen? Himmel-Donner-Hagel-Graupel- und – und – na, alle Wetter, da werde ich zwischen sie hineinfahren, daß die Fetzen auseinanderfliegen! Wo hat Er denn die Kunde her?«

»Nachher, Heinz, nachher! Die Zeit ist kostbar; ich muß zum Platzcommandanten!«

Die Gelegenheit ersehend, daß Heinz seinen Arm losgelassen hatte, war er zur Thür hinaus. Der Leibhusar wollte ihm nach, besann sich jedoch anders und riß einen Mantelsack auf, dem er zwei geladene Reiterpistolen entnahm.

»Zwei Schnapssieder – und die Dorchlaucht fangen, den Fürsten und Feldmarschall Leopold von Anhalt-Dessau Excellenz? Das ist verrückt, das ist wahnsinnig, das ist Mord, Raub, Hochverrath und Majestätsüberfall. Ich laufe ihnen nach und schieße sie über den Haufen, wo ich sie nur finde, die Halunken, die Mordbrenner und Brand – Brand – Br –; aber warten muß ich doch, bis der Bellheimer wiederkommt. Hm, verteufelte Geschichte! So ist's, wenn man dem Heinz bis neun Uhr Urlaub giebt, statt ihn mitzunehmen, wie sich's von Rechtswegen schickt und gehört!«

Er stieg mit langen, schweren Schritten im Zimmer hin und her, lauschte ungeduldig auf jedes Geräusch, welches sich draußen vernehmen ließ, und wühlte dazwischen rathlos in seinen Siebensachen herum nach Waffen und anderen Gegenständen, die ihn bei der Verfolgung der beiden »Schnapssieder« von Nöthen erschienen. So war wohl über eine Viertelstunde verflossen, und der Wachtmeister ließ noch immer auf sich warten.

»Bomben und Granaten, wo bleibt nur dieser ewige Wachtmeister? Derweile können sie meine Dorchlaucht bis hinter zu den Mongolen schleppen! Ich glaube, Denen da oben ist der Schreck in den Verstand gefahren, und nun sitzen sie beisammen und lernen das königlich preußische privilegirte Gesangbuch der guten Stadt Pasewalk auswendig! Das zieht und zerrt und wartet und dehnt grad' wie der weise kaiserliche Hofkriegsrath zu Wien damals, als wir anno Vier gegen die Baiern und Franzosen marschirten. Aber der Prinz Eugen machte den langsamen Herren einen schnellen Strich durch die unendliche Rechnung. Es ist, als wär's wie heute: Wir lagen bei einer jungen Wittfrau in Quartier, nämlich ich und der Fürst, die höllisch hübsch war und weiß Gott ein Auge auf mich geworfen hatte. Ich weiß wahrhaftig nicht, zu was das hätte führen sollen; denn eines schönen Morgens stehe ich unter der Thür und putze grad' mein Lederzeug, da kommt sie die Treppe herab, stellt sich vor mich hin und macht mir ein paar Augen, Schwerenoth, ein paar Augen, daß mir Hören und Sehen vergeht. Eben will ich sie um die Taille fassen, da kommt es zum Glücke die Straße heraufgalopirt, hält vor dem Hause, und wer steigt ab? – eine Ordonnanz vom Prinzen Eugenius, welche den Befehl bringt, daß –«

Er wurde unterbrochen. Bellheimer trat ein.

»Gott sei Dank, da ist Er ja endlich wieder! Nun schieße Er aber schleunigst los!«

»Muß es kurz machen, Heinz, hab' keine Zeit; muß sofort mit nach dem ›blauen Stern!‹«

»Nun?«

»Der Hämmerlein in Gartow macht den Seelenverkäufer, und der Fährmann schickt ihm jeden hübschen Burschen zu, dessen er habhaft werden kann. Er giebt ihm zum Scheine einen Auftrag an Hämmerlein, verspricht ihm einen guten Botenlohn, und wenn der Betrogene dann hinüberkommt, so wird er festgehalten und muß die Muskete tragen.«

»Da soll den Sakramentern doch gleich ein dickes Prasselwetter auf den Pelz fahren!«

»Der Hämmerlein hat eine Tochter, ein Mädchen wie ein Husar, und die ist meine Liebste.«

»Seine Liebste? Rappelt's etwa bei Ihm? Wer eine Liebste hat, der ist –«

»Mag gut sein, Heinz; muß mich kurz fassen. Ich bin also oft hinüber und habe da so Manches beobachtet, was mir verdächtig schien und mich auf die richtige Spur brachte. Gestern nahm ich Urlaub auf heut' und morgen, um das Ding einmal genau zu untersuchen. Ich ging heut' in den ›blauen Stern‹, that verschlafen und vertrunken und legte mich aufs Kanapee, um unerkannt zu bleiben. Da kam der Hämmerlein aus Gartow und bestellte sich beim Wirthe neue Burschen, Ausexercirte und sogar Officiere. Habe Alles gehört und belauscht. Nachher kam der Fürst und setzte sich an meinen Tisch.«

»Die Dorchlaucht? Donner und Doria, davon weiß ich kein Sterbenswort! Er hat Ihn doch sofort erkannt?«

»Nein; ich trug keine Uniform und verdeckte das Gesicht mit der Hand. Hatte meine Gründe dazu. Der Wirth hielt ihn für einen Viehhändler aus Clenze, wurde gesprächig und beschrieb ihm einen Schleichweg nach Gartow. Einer von den Gästen aber hatte die Excellenz erkannt und sagte es nachher. Der Wirth erschrak, besann sich aber bald und schickte heimlich seinen Sohn, der mein Mädchen, die Anna, heirathen soll, zu Pferde hinüber nach Gartow zum Major von Zachwitz, um den Fürsten aufgreifen zu lassen. Habe Alles beobachtet und belauscht. Dann that ich, als ob ich erwache. Fährmann schien mich für einen verlaufenen Strolch zu halten, der gut in den kurfürstlichen Rock passe, setzte sich zu mir und bat mich endlich, ihm ein paar Zeilen nach Gartow zu Hämmerlein zu tragen. Ich sagte ›Ja‹, bekam das Papier und ging, aber nicht nach Gartow, sondern zum Platzcommandanten.«

»Millionen Donnerwetter, das ist ja eine ganz und gar heidenmäßige Geschichte! Wie geht denn der Weg, den der Fährmann beschrieben hat?«

»Hab' ihn schon dem Herrn Oberstwachtmeister beschrieben. Jetzt muß ich fort; der Corporal ruft vor der Thür!«

»Wohin denn wieder?«

»Zum ›blauen Stern‹. Der Fährmann wird arretirt. Und eine Compagnie Grenadiere ist schon unterwegs, um sich an der Grenze zu zerstreuen und den Fürsten womöglich noch zu ereilen.«

Mit der letzten Erklärung eilte er hinaus. Heinz starrte mit offenem Munde die Thür an.

»Da hat man die Bescheerung! Die Dorchlaucht in die Wicken, die Kurfürstlichen über sie her, und die Grenadiere, die nutzen nichts, reineweg gar nichts, denn der Fürst hat Beine wie ein Storch und läuft noch über den jüngsten Schneidergesellen weg. Der ist schon längst über die Berge, und der Heinz, Donnerwetter, der steht da und hält Maulaffen feil! Vorwärts marsch, alter Esel, hinüber nach Gartow und die Excellenz herausgehauen! Ich habe Urlaub und kann gehen, wohin es mir beliebt.«

Er griff wieder nach den Pistolen, in deren mit Silber beschlagenen Schäften die fürstlich dessauische Krone eingravirt war.[617]

»Hm, aber so kann ich doch unmöglich fort! Die Dorchlaucht ist als Viehhändler hinüber; das ist das Beste; das kann ich auch. Herunter mit den Gamaschen; ich ziehe die langen Stiefeln an; einen blauen Kittel habe ich auch, und eine Peitsche, die kann ich in jedem Seilerladen haben. Also vorwärts, Heinz, und drauf auf die Halunken, wie damals auf die Baiern und Franzosen, nämlich ich und die Dorchlaucht anno Vier!«

Quelle:
Die drei Feldmarschalls. Bisher noch unbekannte Episode aus dem Leben des »alten Dessauers« von Emma Pollmer. In: Weltspiegel. 2. Jg. 1878. Heft 19–21. Dresden 1878. Nr. 39, S. 616-618.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon