III.

Rache

[540] Trotz des festen Schlafes erwachte Forster doch schon früh am Morgen. Die Toilette war schnell beendet, und dann trat er an das Fenster, um nach seinem schönen Gegenüber zu forschen. Er fand alle Fenster geschlossen, die Balkonthür aber noch wie am Abende offen. Nun ließ er seine Vorhänge zusammenfallen, und zwar so, daß er seine Beobachtung anstellen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Er hatte noch nicht lange gewartet, so bewegten sich die Vorhänge drüben und die unverkennbare, reizende Hand erschien, um sie zurückzulegen und das Fenster zu öffnen.

Nur wenige Augenblicke war es dem Lauscher gestattet, die Erscheinung des Mädchens anzustaunen, und doch waren sie hinreichend, ihr Bild in jeder reizenden Einzelheit zu umfassen. Hätte er sie nie wiedergesehen, dies Bild würde ihn doch als Ideal weiblicher Schönheit bis über das Grab hinaus begleitet haben. Schlank und hoch war ihre Gestalt; über den vollen Busen hob sich auf einem schneeig zarten Halse ihr kleiner, wunderbar schön geformter Kopf, dessen glänzendes, dunkelbraunes Haar das edle Oval ihres Gesichtes einrahmte und in schweren, ungezwungenen Locken auf die schwellenden Schultern niederfiel. Ihre Züge waren fein geschnitten, zierlich gebogen ihre schöne Nase, prächtig gezeichnet ihre Korallenlippen, und unter den graziös geschwungenen, dunklen Brauen schauten ein Paar hellbraune, seelenvolle Antilopenaugen hervor. Ihre ganze Erscheinung war ungezwungen vornehm und ihre Bewegungen zeigten selbstbewußte Ruhe und angenehme Leichtigkeit.

Als sie die Gardinen zurückgeschoben, das Fenster geöffnet und einen Blick auf die Straße geworfen hatte, trat sie in das Zimmer zurück und verschwand vor Forsters Augen. Die Schläge seines Herzens hatten sich verdoppelt und ein Verlangen, eine Sehnsucht ihn erfaßt, wie noch nie in seinem ganzen Leben.

Schon wollte er wieder von dem Fenster zurücktreten, da schwebte es wie eine Nebelwolke durch den Salon der Glasthüre zu, und in blüthenweißem, duftigen Morgengewande trat sie heraus auf den Balkon. Sie blickte hernieder auf die Straße, legte ihr Battisttuch auf das Eisengeländer des Altanes, senkte den schön gerundeten Arm darauf, um sich auf denselben zu stützen und ließ ihre reizenden Hände übereinandergelegt von der Balustrade herabhängen.

Er stand wie festgebannt vor dem wundervollen, zauberischen Bilde. Sie war schöner als Alles, was er vorher gesehen, sie war lieblicher und anmuthiger als Alles, was seine Phantasie ihm bisher vorgegaukelt hatte, sie war eine Fee, eine Göttin von Wolken umgeben.

Nach dem Frühstücke erschien sie wieder und ließ sich, ihrem anwesenden Vater gegenüber, auf dem rothsammetnen Armsessel nieder, den ein sauber in weiß gekleideter Negerknabe für sie hinstellte. Dann breitete der letztere die Zeitungen aus, deren Lektüre die Beiden vornahmen. Forster stand wieder beobachtend am Fenster; er hätte so stehen können, in Liebe und Wonne versunken bis in alle Ewigkeit.

»Der dicke Gentleman scheint ihr Vater zu sein. Er blickt überrascht empor; er scheint etwas Interessantes in dem Journale gefunden zu haben. Jetzt lächelt er und giebt ihr das Blatt. Sollte es mein Gedicht sein? Wenn sie es liest, muß sie sofort wissen, daß es nur an sie gerichtet sein kann!«

Er nahm das Glas an das Auge. Es waren seine Strophen; zwar konnte er die einzelnen Lettern nicht deutlich unterscheiden, aber er sah es an der Stellung des Satzes, daß die Stelle, auf welcher ihr Auge ruhte, nichts anderes als ein Gedicht enthielt. Eine tiefe Röthe breitete sich über ihr Gesicht von der Stirn bis zum Nacken herab.

»Sie hat es gelesen!« flüsterte Forster mit freudebebender Stimme. »Sie liest es wieder. O, wenn sie wüßte, wie so innig der Dichter sie mit seiner ganzen Seele umfangen hält, wenn sie es doch fühlen könnte, wie selig sein Puls in diesem Augenblicke für sie klopft und wogt!«

Unbeweglich, wie an sie festgezaubert hielt er seinen Blick auf sie geheftet und suchte in ihren prächtigen Augen und auf ihren frischen Lippen die Worte zu lesen, welche sie zu ihrem Vater sprach. Sie rief einen kurzen Befehl in den Salon hinein; der Negerknabe brachte eine Scheere herbei. Sie nahm dieselbe, schnitt das Gedicht aus der Zeitung heraus und gab diese ihrem Vater zurück. Den Ausschnitt aber faltete sie zusammen und verbarg ihn in ihrem Busen.

Bei diesem Anblicke schoß es Forster glühend durch die Adern, jeder Nerv erbebte ihm in seligem Entzücken, und seine Hand, welche das Glas hielt, zitterte unter dem wonnigen Schauer, der seine hochathmende Brust durchzog.

Da klopfte es an seine Thür; die kleine, hübsche Terzerone seiner Wirthin brachte ihm das Verzeichniß, aus welchem er sich die Speisekarte dieser Woche zusammenstellen sollte. Sie war einer jener stillglühenden, verlangenden Schönheiten, welche der Vermischung der schwarzen mit der weißen Rasse ihr genußsüchtiges Dasein verdanken. Er war unwillig über diese Störung, ließ sich davon aber nichts merken. Er versprach, die gewünschte Zusammenstellung sofort vorzunehmen. Sie zog sich bis an die Thür zurück, zögerte jedoch, das Zimmer zu verlassen.

»Wünschest Du noch etwas?«[540]

»Eine Bitte, Mylord Forster,« antwortete sie erröthend.

»So sprich!«

»Ihr habt mich heute Nacht an der Thür getroffen mit einem Gentleman – –«

Ihm fiel ein, daß der Mann etwas ihm bekannt Vorkommendes an sich gehabt hatte, und er beschloß, sich zu orientiren.

»Ein Gentleman? Welcher Gentleman stellt sich des Nachts mit einem Dienstboten unter das Thor?«

»Es ist so, Mylord; er ist ein Gentleman ich kenne ihn genau, denn er ist mein – mein – –«

»Dein Geliebter?«

»Ja,« antwortete sie leise, indem eine tiefe Gluth ihren dunklen Teint durchleuchtete. »Die Herrin darf aber nichts davon wissen, und da – da wollte ich Euch ersuchen, ihr zu verschweigen, daß Ihr mich mit ihm gesehen habt!«

»Well! Wer ist denn dieser Gentleman, der Dir das kleine Herz bethört?«

»Ich nenne ihn Tom, Mylord.«

»Und wie heißt er noch?«

»Das soll ich verschweigen; Euch aber will ich es sagen. Er heißt Tom Wilson und ist ein sehr reicher Plantagenbesitzer in Texas. Er ist sehr oft drüben bei Bankier Olbers und hat mich durch das Fenster gesehen und sehr lieb gewonnen.«

»Olbers? Ist dies der dicke Herr, welcher jetzt dort auf dem Balkon sitzt?«

»Ja, und die Lady ist Miß Margareth, seine Tochter, die sehr oft zu meiner Herrin kommt und Marga genannt wird.«

»Forster wußte nun auf einmal, wem sein so lebhaftes Interesse gehörte. Ein Gedanke durchblitzte ihn.«

»Hat Dein Geliebter eine Narbe über der Stirn?«

»Ja. So kennt Ihr ihn, Mylord! Er hat sie von einem Indianer bekommen.«

»Woher weißt Du, daß er reich ist?«

»Er hat mich einmal mit in seine Wohnung genommen und mir eine ganze Menge Nuggets und Goldstaub gezeigt. Er wird nächstens verreisen.«

Das Mädchen war mittheilsam geworden. Forster mußte dies benutzen, denn was er hier erfuhr, konnte ihm von Nutzen sein.

»Wohin?«

»Nach Mexiko zu seinem Bruder.«

»Ah! Warum so weit?«

»Sein Bruder, welcher Alkalde in Morelia ist, hat ihm geschrieben, daß er ein großes Geschäft mit ihm machen will. Ich habe den Brief gelesen.«

»Wie heißt der Alkalde? Natürlich auch Wilson!«

»Nein, denn er ist nur der Stiefbruder und heißt Antonio Molez.«

»Was für ein Geschäft soll es sein?«

»Das stand nicht dabei. Werdet Ihr meine Bitte erfüllen, Mylord?«

»Ja, doch nur unter der Bedingung, daß Du auch Deinem Geliebten nichts von unserer Unterredung sagst!«

»Habt Dank. Ich werde schweigen!«

Sie ging und Forster eilte an das Fenster zurück. Marga und ihr Vater hatten den Balkon bereits verlassen. Er setzte sich an den Schreibtisch und fertigte den Küchenzettel. Dann machte er Toilette zum Ausgehen. Er wollte den braven Summerland besuchen und hatte während dieser Beschäftigung nicht bemerkt, daß die heimlich Geliebte, jetzt in schwarze, rauschende Seide bekleidet, ihre Wohnung verließ und über die Straße herüber das Haus von Mutter Smolly betreten hatte. Diese war eine Freundin ihrer verstorbenen Mutter gewesen, hegte eine große Zuneigung zu dem schönen Mädchen und empfing sie mit freundlichen Vorwürfen.

»Aber, mein Kind, wo denkst Du hin? Gestern den ganzen langen Tag nicht auf einen einzigen kleinen Augenblick zu mir herüberzukommen! Hast Du denn Deine alte, gute Tante Smolly ganz und gar vergessen?«

»Ha, Tantchen, Du bist ganz entsetzlich alt! Aber vergessen habe ich Dich trotzdem nicht, sondern mich im Gegentheile recht sehr nach Dir gesehnt. Ich hatte schon am Vormittage für die Abendgesellschaft unendliche Vorbereitungen zu treffen und mußte, denke Dir nur, nach Tische um des garstigen Wilson willen, den[541] Papa so unbegreiflich protegirt, mit spazieren reiten. Konnte ich da kommen? Und dann die langweilige Soiree, die mir unerträglich gewesen wäre, wenn nicht Wilson gefehlt und Tim Summerland so interessant erzählt hätte.«

»Du scheinst diesen Wilson gar nicht gern zu haben!«

»Nein, Tante, noch viel weniger als ungern. Kannst Du Dir denken, warum?«

»Wie sollte ich!«

»Er hat bei Papa angedeutet, daß er nur meinetwegen in Stenton verweile, und dieser forderte mich auf, so freundlich wie möglich gegen ihn zu sein; er beabsichtige ein ganz bedeutendes Unternehmen mit ihm und wünsche, ihn durch engere Bande an sich zu fesseln. Soll mich das nicht ärgern?«

»Gewiß! So etwas ist allerdings höchst ärgerlich, wenn man sich für den Betreffenden nicht zu interessiren vermag. Aber warte nur, Marga, es kommt schon noch die Zeit, daß – –«

»Daß Du Deine Zimmer vermiethest. Nicht wahr, Tante Smolly, das wolltest Du sagen?«

»Eigentlich nicht, Du Schelm; aber da Du auf dieses Thema kommst, so mußt Du erfahren, daß ich gestern endlich doch vermiethet habe.«

»An einen wahren Gentleman?«

»Ja. Soll ich Dir sagen, wie er heißt?«

»Natürlich! Ich muß doch wissen, wer in Deinem Hause wohnt.«

Die Mulattin schlug den Gedichtband auf und hielt ihr das Titelblatt triumphirend entgegen.

»Hier steht sein Name. Lies ihn, aber recht laut!«

»Richard Forster! Tantchen, ist es möglich? Wohnt er bei Dir?«

»Bei mir!« nickte sie mit gewichtiger Miene.

»Aber wie ist das gekommen?« frug das Mädchen, vor freudiger Verwunderung die Hände zusammenschlagend.

»So ganz unerwartet, daß ich einen geradezu unverzeihlichen Fehler gemacht habe, mein Kind. Denke Dir, Tante Smolly ist unhöflich und rücksichtslos gewesen, unhöflich und rücksichtslos zum ersten Male in ihrem Leben, unhöflich und rücksichtslos sogar gegen den wahrsten Gentleman, den es geben kann, gegen Deinen Lieblingsdichter und denjenigen meines seligen Mannes!«

»Das ist doch gar nicht denkbar!«

»Man sollte es meinen, und dennoch ist es mir arivirt. Ich gäbe sehr viel darum, wenn es nicht geschehen wäre! Das war nämlich so: Sarah kommt herein und sagt, daß ein Mann mich zu sprechen wünsche, der ganz zerfetzt und zerrissen gehe und das Aussehen eines höchst gefährlichen Landstreichers habe. Natürlich empfange ich ihn nicht im Parlour, sondern im Vorsaale, finde auch die Worte des Mädchens vollständig gerechtfertigt und bin also höchst verwundert, als er nach meinem Logis fragt. Ich will ihn kurz abweisen, komme jedoch nicht dazu und erfahre im Laufe des Gespräches, wer er ist. Denke Dir den entsetzlichen Schreck, den ich bekam. So einen Mann für einen Strolch anzusehen und auf diese beleidigende Weise zu empfangen! Natürlich suchte ich mein Vergehen schleunigst wieder gut zu machen, aber es ist beinahe zu groß, als daß er es mir verzeihen könnte.«

In diesem Augenblicke erscholl die Glocke und das Mädchen trat herein.

»Master Forster bringt die Speisekarte, Ma'am. Soll er herein?«

»Natürlich, sofort, stets, wenn er kommt; merke Dir das für immer, Sarah!«

Marga blickte sich um, als suche sie ein Versteck, hinter welchem sie sich verbergen könne; es war zu spät, denn der Angemeldete stand bereits unter der Thür. Ein Freudenblitz zuckte über sein Gesicht, als er sie erblickte, doch faßte er sich schnell.

»Good morning, Myladies,« grüßte er mit jener Feinheit in Blick, Ton und Bewegung, welche nur welterfahrenen Personen eigen ist. »Verzeihung, daß ich mir den Zutritt gestatte!«

»Nicht Verzeihung, sondern Dank schulden wir Euch, Sir. Ihr trefft mich in lieber Gesellschaft,« fuhr Mutter Smolly, ihre junge Freundin vorstellend, fort; »Miß Margareth Olbers, eine ganz besondere Freundin germanischer Poesie.«

»Dann bin ich glücklich, Euch auf einem so herrlichen Gebiete begegnen zu dürfen, Miß,« erwiderte er mit einer gewandten Verbeugung gegen Marga und einem Blicke, in welcher sich neben vollster Hochachtung eine aufrichtige Bewunderung aussprach.

»Eine Begegnung, welche friedfertiger sein dürfte als die gestrige,« hauchte sie in holder Befangenheit.

»Wollen wir Frieden schließen?« frug er, ihr unwillkürlich die Hand entgegenstreckend.

»Gern!«

Sie legte ihr wunderbares Händchen in seine Rechte; er zog es an seine Lippen. Bei dieser Berührung flog ein dunkles Karmin über ihr Gesicht, und Beiden war es, als ströme durch die verschlungenen Hände eine magische Gewalt über, welche ihre Herzen in einen seligen Rapport setzte.

»Ihr habt Euch gestern bereits gesehen?« frug die Mulattin erstaunt.

»Im Vorüberreiten, Mutter Smolly,« antwortete er. Der mehr als bescheidene Westmann konnte nicht erwarten, daß solche Lippen sich seiner noch erinnerten. »Herzlichen Dank dafür, Miß!«

»O,« lächelte sie, »ein gewisser Tim Summerland hatte sich Mühe gegeben, diese Erinnerung wach zu erhalten!«

»Tim Summerland? Ist er Euch bekannt?«

»Er war gestern am Abend bei uns und unterhielt uns ganz prächtig mit der Erzählung seiner Abenteuer, in denen ein tapferer, umsichtiger Jäger, welcher ihn vom Tode errettete, dieselbe Stelle einnimmt wie der Dichter Forster in der germanischen Literatur der Vereinigten Staaten.«[542]

Sie hatte ihre Fassung vollständig wiedergewonnen und sprach mit einer Sicherheit und aufrichtigen Verbindlichkeit, welche ganz zu ihrer königlichen Gestalt, ihrem edelumwobenen Wesen paßte und jeden Gedanken ausschloß, daß ihre Worte bestimmt seien, ein gewöhnliches Kompliment oder gar eine wohlfeile Schmeichelei auszusprechen.

Er erhob höflich abwehrend die Hände.

»Der Jäger that, was der einfachste Trapper gethan haben würde, und der Dichter, den zu erwähnen Ihr so gütig wart, weiß nur zu gut, welche Schwächen seine Arbeiten zeigen, weil sein einsames Leben von keinem Strahle der Liebe und des Glückes erwärmt und erleuchtet wurde. Der Vater starb vor seiner Geburt; der Mutter raubte derselbe Augenblick das Leben, welcher ihm das Dasein gab; kein Schwesterauge bewachte seine Schritte, keine Freundin ist ihm genaht, und dennoch vermag nur zarte, innige Frauenweise die Härten des Mannes zu mildern, und gerade der Dichter bedarf eines Pulses, der mit dem seinen klopft und ihm die Begeisterung in das Herz strömt, ohne welche kein Meisterwerk zu schaffen ist.«

Er wußte selbst nicht, wie er zu diesen Worten kam. Der Augenblick lockte sie seiner innigsten Ueberzeugung ab, wie nach der Sage der Gruß der Sonne die Säule zum Ertönen bringt.

»Wer als Dichter so viele Herzen höher schlagen macht, darf versichert sein, daß auch das beste sich nicht weigern würde, an seinem Glücke theilzunehmen,« antwortete Marga. Kaum aber hatte sie geendet, so senkten sich ihre zarten, langbewimperten Lider und eine Gluth schoß über ihre Wangen. In unbeschreiblicher Verlegenheit wurde sie gewahr, was sie gesagt hatte. Was mußte er, der sicher jedes einzelne Wort zu wiegen verstand, von ihr denken!

»Wie zum Beispiel wir es thun werden,« verschlimmerte Mutter Smolly die Situation. »Daß mein Mann ein Deutscher war, habe ich bereits gesagt; auch Marga's Mutter stammte aus Germany. Die bei den Verstorbenen waren einander verwandt, auch im Geiste, in allen ihren Anschauungen und Neigungen, und wir sind treue Erben von ihnen.«

»So sprecht Ihr deutsch?« frug Forster das Mädchen.

»Lieber noch als englisch. Ich habe mit Mama fast nie anders gesprochen. Jetzt leider ist mir dieser Genuß seltener gestattet. Vater pflegt keinen Privatverkehr mit Deutschen und spricht selbst nur englisch.«

»So muß ich vielleicht den bereits gehegten Gedanken, mich ihm vorzustellen, sinken lassen. Ich sehe mich im Besitze einiger Werthpapiere, um deren Realisirung ich ihn ersuchen wollte, da er mir als der entgegenkommendste Geschäftsmann Stentons empfohlen wurde.«

»Darf ich bemerken, daß ich von seinem privaten Verkehre sprach? Und die Ausschließung der Deutschen ist nicht die Folge eines Grundsatzes, sondern des bloßen Zufalles.«

»So darf ich diese Vorstellung wagen?«

Sie sah sich in neue Verlegenheit versetzt, denn hinter dieser Frage verbarg sich eine andre, die sie weder bejahen konnte noch verneinen mochte. Es verstand sich ja ganz von selbst, daß eine Einladung die nothwendige Folge einer solchen Vorstellung sein werde.

»Sie wird kein Wagniß sein,« klang es als Antwort, während ihr Blick den Boden suchte.

Er sah, daß er verstanden worden sei; daher erfüllte ihn diese an sich so unverfängliche Zustimmung mit Entzücken. Gern hätte er die Unterhaltung fortgesetzt, aber er durfte nicht unbescheiden sein, übergab das Speiseregister und empfahl sich dann. Mutter Smolly begleitete ihn bis hinaus auf den Flur. Als sie zurückkehrte, stemmte sie in komischer Entrüstung die Arme in die Seiten und rief:

»Was soll mir denn das heißen? Begegnet bist Du ihm, und ich habe kein Wort davon erfahren! Das ist straffällig, das muß fürchterlich gerochen werden!«

»Verzeihung, mein bestes Tantchen. Ich hatte ja noch gar keine Zeit, Dir das interessante Intermezzo zu berichten, obgleich ich nur zu diesem Zwecke herüberkam!«

»Gut, so beichte, aber hübsch ausführlich, das will ich Dir rathen. Komm, setze Dich zu mir auf den Divan! Du sagtest zu ihm: ›Eine Begegnung, welche friedfertiger sein dürfte als die gestrige.‹ Euer Zusammentreffen muß also ein sehr feindseliges gewesen sein.«

Marga erzählte; es war ihrer Rede anzuhören, wie gern sie dies that. Das Ereigniß stand noch lebhaft vor ihren Augen, und sie schilderte es in den Farben, welche sie unbewußt aus dem Herzen lieh. Als sie geendet hatte, meinte die Mulattin:

»Das ist ja ein ganz außerordentlicher Mann! Aber so sind diese Deutschen, mild, nachgiebig und duldsam, mehr als jeder Andre, aber nur bis zu einem gewissen Punkte; wird dieser verletzt, so giebt es eine Explosion, der Niemand zu widerstehen vermag. Wilson wird sich diese Lehre merken.«

»Und sich rächen. Er ist mir immer mit auffallender Auszeichnung begegnet, dennoch aber vermuthe ich in ihm einen Charakter, der zur Vorsicht mahnt. Mein Vertrauen könnte er niemals gewinnen.«

Unterdessen schritt Forster die Straße dahin und gelangte in das Haus Summerlands, wo er erfuhr, daß die Brüder sich in den Leseklubb begeben hätten. Es war die Stunde, in welcher dessen Mitglieder sich in die Morgenblätter vertieften, und Tim war aus Anhänglichkeit für den Advokaten mitgegangen, obgleich es ihm leichter gewesen wäre, einen Bären zu erlegen als eine Zeile zu buchstabiren. Forster folgte ihnen. Er durchschritt langsam die kleinen Kabinets, in welche sich die einzelnen Leser aus dem Saale, wo störendes Geräusch nicht zu vermeiden war, zurückgezogen hatten.

In einem dieser Zimmer hingen die Statuten des Vereines aus. Er trat vor die eingerahmte Schrift, um einen Punkt zu suchen, der ihn darüber belehrte, ob der Eintritt Fremden gestattet sei. Die dicken Läufer, welche den Fußboden bedeckten, hatten seine Schritte unhörbar gemacht, so daß seine Gegenwart in dem Nebenraume, aus welchem die halblauten Stimmen zweier Männer durch die dünne Portière klangen, unbemerkt blieb. Ohne es zu beabsichtigen, vernahm er jedes Wort ihrer Unterhaltung.

»Well, Sir, Ihr habt mich vollständig überzeugt, daß bei dem Geschäfte ein außerordentlich hoher und sicherer Gewinn zu erzielen ist. Texas hat schon öfters die kräftigsten Versuche gemacht, sich von Mexiko loszusagen, immer aber wurde es durch die Uebermacht der Truppen niedergeworfen. Jetzt ist man in Washington entschlossen, ihm die nachdrücklichste Hülfe zu gewähren, und die Folge wird sein, daß das herrliche, reiche und fruchtbare Land zur Union schwören muß. Ein Strom von Einwanderern wird sich über dasselbe ergießen und der Preis des Bodens sich in kurzer Zeit um das Zwanzig- und Mehrfache steigern. Wer die Mittel besitzt, einige Grants von genugsamer Ausdehnung zu bekommen, kann sich Millionen verdienen. Zwar sind die Eurigen bedeutend, aber wenn Ihr mir gestattet, Master Wilson, eine Summe, welche ich gerade verfügbar habe, beizuschießen, so wird Euer Vortheil nur vergrößert werden.«

»Wie hoch ist sie?«

»Vierzig, vielleicht auch fünfzig- oder sechzigtausend Dollars, welche ich Euch in guten Wechseln auf Galveston mitgeben werde. Zwar waren mir Eure Verhältnisse bisher unbekannt, aber die Empfehlung, welche Ihr mir von Harris und Thomson, Jefferson City, vorlegtet, genügen vollständig, Euch mein ganzes Vertrauen zu erwerben. Wann werdet Ihr reisen?«

»So bald wie möglich. Es ist keine Zeit zu verlieren, die Verhältnisse, mit welchen wir rechnen, sind öffentliche, und es sollte mich wundern, wenn nicht auch noch Andere als wir auf die gleiche Spekulation verfielen.«

»Dieser Gedanke liegt allerdings nahe. Verfügt Euch mit in meine Wohnung, wo wir die Angelegenheit sofort in Ordnung bringen können.«

»Und Eure Tochter, Master Olbers?«

»Ist mir zu lieb, als daß ich mehr als eine Andeutung gegen sie aussprechen sollte. Sie ist vollständig frei, wie ich sicher weiß, und ihr seid ja ein Gentleman, dem es nicht schwer fallen kann, die Zuneigung eines Mädchens zu erringen. Meine Zustimmung habt Ihr, und das Uebrige ist ganz Eure Sache.«

Sie erhoben sich und verließen den Ort, ohne Forster, welcher hart an der Wand stand, zu bemerken. Es war der dicke Bankier und der Mann, welcher gestern den so wirkungsvollen Faustschlag erhalten hatte. Wilson also war sein Name. Forster dachte an die Gestalt in der Thornische.

»Tom Wilson, der Geliebte von Sarah; er ist's; es ist kein Zweifel möglich! Und sollte ich mich irren, wenn ich ihn für jenen Schurken halte, der die Pfahlmänner anführte? Er trägt sich anders, doch dieses Gesicht ist nicht zu verwechseln, und die Narbe erhöht die Gewißheit. Aber wie kommt er zu der Empfehlung von Harris und Thomson? Er kann während der Zeit unmöglich in Jefferson[552] gewesen sein. Und selbst wenn ich mich in Allem irrte, ein Schelm ist er, wie sein gestriges Verhalten und die Liebschaft beweist, welche er mit der Terzerone unterhält, während er nach der Hand von Marga trachtet. Ich werde ihn entlarven!«

Er durchwanderte die Enfilade der Zimmer weiter und fand bald die Gesuchten. Tim Summerland saß, ihm abgekehrt, am Tische und durchstöberte die Bilder eines illustrirten Journales. Der gestrige Salonanzug war ihm zu unbequem; er hatte ihn mit[553] einer allerdings neuen Trapperkleidung vertauscht, doch auf dem Kopfe, wirklich, da saß die alte Mütze, die ihres Gleichen suchte. Er hatte sich unmöglich von ihr trennen können.

Forster trat an ihn heran und schlug ihm die Hand auf die Schulter. Der Getroffene sprang pfeilschnell in eine kampfbereite Boxerhaltung empor.

»Was schlagt Ihr mich, Master! Wollt Ihr einige gute Stöße sehen?«

Die Veränderung, welche mit dem Aeußern seines Gefährten vorgegangen war, ließ ihn diesen nicht sofort erkennen.

»Deine Stöße kenne ich, Tim Summerland; behalte sie für Dich, alter Junge!«

Der Trapper riß die Augen auf, sprang dann auf ihn zu und warf die Arme um ihn, als wolle er ihn zu Mehl zerdrücken.

»Der Dichter, by god, der Dichter; er ist's so gewiß wie meine Mütze. Hat sich der Mensch herausgeputzt, daß einem ordentlich die Augen übergehen. Hier, Bill, hast Du ihn; fang ihn auf und quetsche ihn ein wenig in Deine Pranken, denn ohne ihn hättest Du mich nicht wiedergesehen!«

Er schob ihn dem Bruder zu, welcher ihn mit gleicher Herzlichkeit begrüßte. Der Advokat war einer jener self-men, die sich durch eigene Kraft und mit Ueberwindung der größten Schwierigkeiten aus der Tiefe in eine geachtete Stellung emporzuringen wissen. Er hatte es bis zu einem der berühmtesten Rechtsmänner der Vereinigten Staaten gebracht und sicherlich jeden größeren Rechtsfall von Arkansas und dem umliegenden Gebiete zu verhandeln. Auch ihm war Forster aus der Lektüre von dessen Werken längst bekannt und der Dank, welchen er ihm aus brüderlicher Zuneigung schuldete, fügte zu der bisherigen Hochachtung die freundschaftlichsten Gefühle für den Retter seines Bruders.

»Wenn Ihr nicht bald gekommen wärt, Sir,« meinte Tim, »so hätte ich mich wieder davon gemacht. Es weht hier zwischen den Häusern und Palästen eine Luft, die ich nicht vertragen kann. Jetzt aber muß ich schon noch einige Zeit aushalten.«

An ein Studiren der Zeitungen war nicht mehr zu denken. Der Advokat bot Forster in liebenswürdigster Weise unbeschränkte Gastfreundschaft an; dieser schlug aus und bat nur um die Erlaubniß, seinen Gefährten nach Herzenslust besuchen zu dürfen, konnte sich aber einer darauf folgenden Einladung zum Diner nicht entziehen.

Hierauf verließ man den Klubb und trennte sich, Forster schritt dem Bankierhause zu und ließ sich von einem Klerk beim Chef desselben anmelden. Er wurde in das Kabinet geführt, wo Olbers und Wilson noch über ihre Spekulation verhandelten. Beide konnten eine Ueberraschung beim Anblicke des jungen Mannes nicht verbergen; nur äußerte sie sich in verschiedener Art. Wilsons Auge flammte auf, doch wandte er sich schnell und trat an das Fenster, um dem Eingetretenen das Studium seiner Züge zu entziehen. Olbers blickte noch einmal auf die Karte in seiner Hand, durch welche die Anmeldung geschehen war.

»Euer Name ist Richard Forster, Sir?«

»Ja. Ich komme, eine Bitte auszusprechen. Wollt Ihr so freundlich sein, diese Papiere zu prüfen?«

Der Bankier ergriff sie und überflog sie mit einem raschen Blicke.

»Sie sind gut.«

»Ich wünsche einen Theil des Betrages in klingende Münze zu verwandeln, das Uebrige aber hier zu deponiren, um es später bei meiner Abreise in Wechseln zu erheben.«

»Ich stehe gern zu Diensten, Sir! Ist Euch ein Master Summerland bekannt?«

»Tim Summerland wohl? Ich traf mit ihm in der Llano estacado zusammen und habe ihn soeben hier wieder aufgesucht.«

»So ist auch meine Vermuthung richtig, daß Ihr der Verfasser der poetischen Werke seid, unter denen derselbe Name steht, den Eure Karte zeigt?«

Forster verneigte sich zustimmend.

»So wird es mir ein Vergnügen sein, Euch auch anders als geschäftlich begegnen zu können. Bitte, betrachtet meine Wohnung als die Eurige! Meine Tochter wird sehr erfreut sein, Euch kennen zu lernen.«

»Ich hatte bereits die Ehre, der Miß durch die Mutter Smolly, meine Wirthin, vorgestellt zu werden.«

»Ah! Ihr wohnt bei Mutter Smolly? Das ist mir angenehm, denn so sind wir Nachbarn und können uns ohne große Schwierigkeit genießen. Seid Ihr vielleicht für den heutigen Abend bereits engagirt?«

»Nein.«

»So bitte ich um Eure Gegenwart. Wir werden ganz unter uns sein: ich, Marga und dieser Herr, den ich mir erlaube Euch vorzustellen – – Master Tom Wilson, Plantagenbesitzer in Texas.«

Er hatte jede Erwähnung des gestrigen Ereignisses vermieden. Wilson wandte sich mit einer halben Wendung zurück und machte eine kalte, vornehme Verbeugung. Forster erwiderte dieselbe in der frostigsten Weise, die ihm möglich war.

»Ich werde kommen, Sir, wenn es mir gelingt, mich von dem guten Tim zu trennen, der sehr ernsten Beschlag auf mich legen wird.«

»So bringt ihn mit; er wurde gestern bereits bei mir eingeführt und wird mir gern willkommen sein.«

Das war es, was Forster gewünscht hatte. Er wurde von Olbers zum Kassirer begleitet, erhielt das Baargeld und den Depositenschein und verließ das Komptoir.

»Ein verteufelter Schnitzer, den Ihr gestern begangen habt, Master Wilson,« meinte der Bankier, als er wieder in das Kabinet zurückgekehrt war. »Dieser Mann ist kein Anderer als der Jäger, den Ihr attakirtet; er muß eine geradezu miserable Ansicht über uns bekommen haben!«

»Ist mir gleich! Ich habe niemals nöthig gehabt, um die Freundschaft eines Reimeschneiders zu buhlen und werde das auch hier nicht thun. Daß Ihr ihn für heut Abend geladen habt, ist mir nichts weniger als angenehm. Ich glaubte Marga allein zu haben, um mit ihr aufs Reine zu kommen, und nun werden diese beiden Menschen mir die Gelegenheit verderben.«

»Diese Besorgniß ist unnöthig, denn ich werde sie so in Beschlag nehmen, daß Euch vollkommen Freiheit bleibt, Eure Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Jetzt nun zu unserer Spekulation zurück!«

Es wurde beschlossen, daß Wilson schon morgen reisen solle. Nachdem der Kontrakt gefertigt und unterzeichnet war, erhielt er die Papiere und verließ das Haus. Bereits hatte er einige Straßen durchschritten, um seine Wohnung zu erreichen, als er Sarah aus einem Laden treten sah. Nach einigen raschen Schritten stand er bei ihr.

»Ich habe sehr nothwendig mit Dir zu sprechen. Willst Du mir heut die Thür zu Deinem Room wieder offen lassen?«

»Wann?«

»Sobald es dunkel ist. Ich komme nur auf einige Augenblicke, kehre aber später wieder.«

»Ich werde den Schlüssel anstecken.«

Er nickte und ging. Bei sich angekommen, zog er die Papiere aus der Tasche und warf sie mit triumphirender Miene auf den Tisch.

»Der große Wurf ist gelungen. Fünfzigtausend Dollars in der Tasche; die Nuggets der armen Teufel, die wir in der Todessteppe zum Kukuk schickten, dazu gerechnet, bin ich nun mit den nöthigen Mitteln versehen, den Gentleman zu spielen. Wenn dieser Olbers wüßte, daß die Empfehlung von Harris und Thomson aus meiner eignen, gewandten Feder stammt! Und doch, wenn ich Marga bekomme, soll er die Summe nicht verlieren und sein ehrliches Theil vom Gewinn erhalten; ich bin ja dann sein einziger Erbe. Spielt mir aber dieser Dichterling einen Streich, so verschwinde ich auf Nimmerwiederkehr. Marga ist eine Venus, eine Göttin, die selbst einen kälteren Mann, als ich bin, verrückt machen könnte; aber Sarah, ja, dieses Mädchen ist ein allerliebstes Spielzeug, glühend, hingebend, voll Vertrauen und Opferwilligkeit und so hübsch dazu, daß man sich auf einige Zeit bei ihr für den Verlust der Bankierstochter entschädigen könnte. Ich werde ihr den Wunsch, mit mir gehen zu dürfen, auf jeden Fall erfüllen. Sie muß sich als Knabe verkleiden und für meinen Diener gelten.«

Er ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und schwelgte in den Gedanken der Genüsse, die ihm bevorstanden.

»Dieser Forster ist ohne allen Zweifel der Schurke, dem ich meine Narbe verdanke. Und er hat mich ebenso gut wieder erkannt wie ich ihn, das ist aus seiner gestrigen Anspielung auf die Llano estacado und die Nuggets zu ersehen. Er wird sich alle Mühe geben, mir zu schaden, aber es soll ihm nicht gelingen! Ehe ich fortgehe, werde ich Abrechnung mit ihm halten und ihm die beiden Hiebe bezahlen, die er auf mich geführt hat.«

»Und dieser Tim Summerland, der heut mit erscheinen wird,« fuhr er nach einer Pause fort, »ist jedenfalls der andere Mensch der uns damals die Thiere und einen Theil des Goldes raubte. Ich bin begierig, ob auch er mich erkennen wird. Ich bin auf alle Fälle gesichert. Noch ist keine Anzeige gegen mich erfolgt, und wenn ich ja gezwungen bin zu verschwinden, so wird man mich doch nur in Texas suchen, wo ich durch meine Abwesenheit glänzen werde. Dann, wenn es mir mit Hülfe meines Bruders gelingt die Grants zu erwerben, so verkaufe ich sie an Ort und Stelle wieder und gehe mit Sarah nach Brasilien. Dort mag sie bei mir sein, bis mir eine andere besser gefällt!«[554]

Er packte Verschiedenes ein und durchwanderte dann die Stadt, um die zu seinem Vorhaben nöthigen Einkäufe zu machen. Sobald es dunkel geworden war, begab er sich, in einen weiten Reisemantel gehüllt, unter welchem er ein Paket trug, zum Hause der Mutter Smolly. Er trat sofort ein, stieg zwei Treppen empor und öffnete eine Thür, welche zu einem kleinen Raume führte, der Sarah als Schlafkabinet angewiesen war und alle ihre Habseligkeiten enthielt. Es war vollständig dunkel darin, doch fand er sich sehr gut zurecht.

Nach kurzer Zeit trat das Mädchen ein.

»Bist Du da?« flüsterte sie.

»Ja, mein süßes Herz,« antwortete er, sie umschlingend und an sich drückend. »Ich bin gekommen, Dir eine frohe Botschaft mitzutheilen.«

»Welche?« frug sie, seine Liebkosung stürmisch erwidernd.

»Ich gehe fort. Willst Du mit?«

»O wie gern! Mit Dir gehe ich, wohin Du mich nur immer führst. Wann reisest Du ab?«

»Schon heut.«

»Das ist zu schnell. Ich muß doch Zeit haben, mich vorzubereiten, und auch mit der Herren sprechen.«

»Du brauchst keine Vorbereitung, denn ich habe bereits für Alles gesorgt. Und der Herrin darfst Du gar nichts sagen, sonst läßt sie Dich nicht fort.«

»Aber sie ist so gut; ich darf doch nicht so undankbar sein und sie heimlich verlassen!«

»So ist sie Dir wohl lieber als ich?« frug er in vorwurfsvollem Tone.

»Wie darfst Du so denken! Du bist mir lieber als Alles, was ich kenne, und für Dich will ich Alles thun, was Du von mir verlangst. Ich gehe mit, auch heut!«

»Das habe ich nicht anders erwartet, Sarah, und Du wirst es nie bereuen, denn erst jetzt beginnst Du zu leben und die Genüsse kennen zu lernen, welche Dir hier versagt bleiben würden. Doch nicht als Mädchen darfst Du mich begleiten; das würde uns hindern, in steter Nähe zu verkehren und unser Glück bis auf die Neige zu genießen.«

»Nicht als Mädchen! Wie sonst?«

»Als Knabe. Hier in diesem Paket befindet sich alles Erforderliche. Der Anzug wird Dir prächtig stehen.«

»Als Knabe!?« meinte sie, geschmeichelt und erfreut, indem sie sich noch inniger an ihn schmiegte. »O, wie hübsch wird das sein. Ich werde Dein Diener sein und Dich keinen Augenblick allein lassen.«

»Aber ein großes Opfer wirst Du mir bringen müssen, mein liebes Kind!«

»Befiehl mir; es ist mir keins zu groß!«

»Dein Haar, Dein herrliches Haar werde ich Dir verschneiden müssen; denn es würde verrathen, daß Du kein Knabe, sondern das schönste Mädchen der Vereinigten Staaten bist.«

»Schneide es nur immer ab. Ich gebe es gern hin für das Glück, von Dir so innig geliebt zu sein.«

»Wie lange mußt Du heut bei Mutter Smolly sein?«

»Bis zehn Uhr; dann bin ich frei.«

»So sorge, daß ich von da an das Haus offen finde und kleide Dich sorgfältig um, damit ich nicht zu warten brauche. Es wohnt seit gestern ein Master Forster bei Euch?«

»Ja, ein sehr schöner und auch sehr lieber Gentleman.«

»Ah, ich merke, daß es Zeit ist, Dich von hier fortzunehmen. Du mußt auch ihn bedienen?«

»Ja. Seine Zimmer sind mir von der Herrin übergeben worden, und ich führe einen separaten Schlüssel zu ihnen, damit ich während seiner Abwesenheit meine Arbeit verrichten kann.«

»Sorge dafür, daß dieser Schlüssel hier ist, wenn ich komme.«

»Warum? Mußt Du in die Zimmer?« frug sie arglos.

»Ja. Man kann von Ihnen hinüber zu Olbers schauen, und ich muß Einiges da drüben beobachten, ehe ich das Haus verlasse. Jetzt aber leb wohl, Sarah, und führe Alles genau aus, was ich Dir gesagt habe!«

Nach einer innigen Umarmung stieg er, den Mantel zurücklassend, die Treppen wieder hinab und stand nach wenigen Augenblicken in dem Salon des Bankiers.

Er war der erste der Geladenen und fand Marga allein vor.

»Good evening, Miß. Master Olbers hat mir erlaubt, den letzten Abend, der mir für Stenton zugemessen ist, in Eurer Nähe zu verbringen. Darf ich mir einbilden, daß meine Gegenwart Euch nicht ganz unangenehm ist?«

»Die Einbildung ist eine weit verbreitete aber schlimme Angewohnheit, Sir, und mein Gewissen läßt mir niemals zu, sie zu unterstützen.«

Er zog die Spitze seines Schnurrbartes durch die Zähne und entgegnete:

»Kein Mensch lebt von etwas Anderem, als von dem, was er sich einbildet. Das ganze Dasein ist ein Coulissenspiel, zu dem die Täuschung ihre Lichter spendet. Reichthum, Schönheit, Geist, Macht und Ehre kommen und gehen, und nur der ist glücklich, der den Augenblick ausbeutet. Der jetzige ist einer der schönsten meines Lebens, und ich darf ihn nicht vorüber lassen, ohne dies Euch gestanden zu haben.«

Marga wollte antworten, wurde aber ihrer Rede durch den Eintritt des Vaters enthoben. Zugleich mit ihm erschienen Forster und Summerland. Ersterer hatte Letzterem kein Wort über Wilson mitgetheilt; das Verhalten des Gefährten sollte ihm sagen, ob sein Verdacht auch nicht dem kleinsten Irrthume unterworfen sei.

Der Trapper eilte auf das Mädchen zu und ergriff mit einfacher Herzlichkeit ihre Hand.

»Da habt Ihr mich wieder, Miß, und bin ich Euch nicht willkommen, so dürft Ihr mich fortjagen, ohne daß ich Euch bös darüber bin!«

»Bleibt nur da, mein lieber Master Summerland; ich seh Euch herzlich gern!«

Sie reichte auch Forster ihr Händchen entgegen.

»Ein deutsches Willkommen, ohne Kompliment und Phrase, Sir!«

Er wollte sich auf die zarten Finger niederbeugen, fuhr aber auf halbem Wege wieder empor. Neben ihm war ein Wort erklungen, welches für diese Umgebung verpönt sein sollte.

»Zounds, Donnerwetter, war ist denn das?« Tim Summerland hatte sich von Marga hinweg zu Wilson gewandt und bei dessen Anblick diese Worte ausgestoßen. »Master Forster, seid so gut und seht einmal dieser Physiognomie in das Auge. Kennt Ihr ihn?«

»Wer ist es, Tim?«

»Ich will mich auf der Stelle zerhacken und einpökeln lassen, wenn das nicht der Pfahlmann ist, der uns überfiel und dem Ihr später den Tomahawk über den Schädel zogt! Was hat der Mensch bei Euch zu schaffen, Master Olbers?«

Der Bankier kam nicht zur Antwort. Wilson kam ihm zuvor.

»Ist dieser Mann wahnsinnig?« donnerte er. »Noch ein einzig solches Wort, und ich sorge dafür, daß er die Zwangsjacke erhält!«

»Oder Du die Handschellen!« erwiderte der Trapper in demselben Tone. »Hätte ich Dich, Du Bube, an einem andern Orte gefunden, so wärst Du in fünf Minuten in den Händen des Sheriffs.«

»Genire Dich nicht! Trotzdem Dich Master Olbers geladen hat, soll Dir der Sheriff begreiflich gemacht werden. Da, nimm hin!«

Marga stieß einen Angstruf aus, und der Bankier retirirte in die Ecke des Salons. Wilson hatte die Faust erhoben; er trug bereits die Reisewaffen bei sich; ein Bowiemesser blitzte in seiner Rechten, während die Linke in die Brusttasche fuhr, um den Revolver hervorzunehmen. Aber schon stand Forster hinter ihm, faßte ihn bei den Hüften und schmetterte ihn mit solcher Gewalt an die Flügelthür, daß diese aufsprang und er in den Korridor stürzte. Ehe noch Jemand bei ihm sein konnte, hatte Wilson sich wieder emporgerafft und sprang die Treppen hinab.

Niemand machte Miene ihn zu verfolgen. Marga lag auf dem Sopha, und Forster kniete bei ihr. Der Bankier zitterte am ganzen Körper und hielt sich an der Lehne eines Stuhles fest. Tim Summerland war nach dem Tische gesprungen, auf welchem die Wasserflasche stand; die Besorgniß um die liebenswürdige Miß war bei ihm größer als der Wunsch, seinen Feind in die Hände zu bekommen; er wußte ja sicher, daß dieser ihm nicht entgehen werde. Hat der Westmann einmal die Spur seines Gegners gefunden oder diesen gar, wie hier, in Person gesehen, so ist er niemals um den Erfolg bange.

»Master Summerland, was habt Ihr gethan!« klagte Olbers. »So ein Verdacht war wirklich nichts als Wahnsinn!«

Er erhielt keine Antwort; die beiden Männer waren zu sehr mit Marga beschäftigt, als daß sie seine Worte hätten beachten mögen. Diese schlug die Augen auf. Was hatte das sonst mit keinerlei Schwäche behaftete Mädchen ohnmächtig gemacht? Ganz ohne Wollen gab sie in ihren ersten Worten die Antwort auf diese Frage. Ihr erster Blick fiel auf Forster.

»Ihr lebt, er hat Euch nicht verwundet?«

Es durchrieselte ihn bei diesen Worten mit süßem Schauer. War sie nur aus Besorgniß um ihn so schwach gewesen? Er konnte nicht anders, er mußte ihre beiden Hände nehmen und seine Stirn auf einen Augenblick darüber neigen.[555]

»Wir sind Alle unverletzt, Miß, und in Besorgniß nur um Euch!«

»O, nun ist Alles gut! Ich sah das Messer blinken und hatte fürchterliche Angst.«

»Die Dir wohl nur ohne Grund bereitet wurde,« fiel ihr Vater ein.

»Ohne Grund, Sir?« frug Summerland beleidigt. »Glaubt Ihr etwa, ich wüßte eine Mirage, eine Savannenspiegelung nicht von der Wirklichkeit zu unterscheiden? Ich weiß nicht, wie der Kerl sich hier bei Euch nennt und eingeschlichen hat, aber daß er nicht nur ein Pfahlmann, sondern sogar ihr Hauptmann war, von dem ich Euch gestern erzählte, das ist so sicher wie meine Mütze. Fragt da den Dichter. Der muß ihn gerade so wie ich erkannt haben, und vielleicht traut Ihr ihm mehr als mir!«

Olbers blickte den Genannten fragend an.

»Tim hat die Wahrheit gesagt, Sir,« bestätigte dieser. »Ich habe ihn gleich gestern erkannt, als ich Euch begegnete. Ihr werdet Euch meiner Antwort erinnern, die von Nuggets und der Todessteppe sprach, und Miß Marga wird mir bezeugen, daß ich sie einer bessern Gesellschaft werth hielt.«

»Beweise, gebt mir Beweise, Gent's!«

»Ich glaubte, Sir, der beste Beweis würde in unserm Zeugnisse bestehen; ich bin nicht gewohnt, die Unwahrheit zu behaupten. Doch bin ich auch zu Mehrerem bereit!«

»Verzeiht, wenn ich Euch unwissentlich beleidigte! Ich habe Gründe, Wilson mein volles Vertrauen zu schenken, und Eure Anklage ist so schrecklich, daß ich sie nicht zu fassen vermag. Was wißt Ihr Weiteres?«

»Ihr habt heut mit ihm ein Geschäft abgeschlossen, welches die Erwerbung texanischer Empressarios betrifft?«

»Woher wißt Ihr das?«

»Und ihm die Erlaubniß ertheilt, sich der Zuneigung von Miß Marga zu versichern?«

»Seid Ihr allwissend?«

»Wenigstens so weit, daß ich der Person dieses Mannes vollständig sicher bin. Er wirbt um Eure Tochter und unterhält zugleich ein zärtliches Verhältniß mit Sarah, dem Dienstmädchen meiner Wirthin. Nun sagt, ob er Eures Vertrauens werth ist!«

»Könnte es möglich sein!«

»Ich selbst habe sie gestern Abend mit meinen guten Augen gesehen, und gleich heut Morgen bat sie mich um Verschwiegenheit. Ist Euch mein Wort genug?«

»Allerdings. Mein Gott, wenn Ihr Euch nicht irren solltet, so droht mir ein ganz ansehnlicher Verlust! Ich habe heut mit ihm kontrahirt und ihm fünfzigtausend Dollars überwiesen.«

»Vielleicht kommt unsre Warnung nicht zu spät. Wißt Ihr genau, daß die Empfehlung von Harris und Thomson, Jefferson City, echt gewesen ist?«

»Auch davon seid Ihr unterrichtet? Sie ist echt. Ich habe sie genau geprüft.«

»Aber keine besondere Anfrage gehalten? Ein Mann wie er schreckt vor keiner Fälschung zurück. Wir müssen ihn festnehmen lassen!«

»Seid Ihr wirklich Eurer Sache so gewiß?«

»Ja. Und um Euch Gelegenheit zur Sicherung zu geben, bin ich trotzdem bereit, einige Stunden zu warten. Schickt nach dem Telegraphen; die Antwort wird in Kurzem hier sein und Euch Ueberzeugung bringen.«

»Ihr habt Recht, Sir! Aber ich werde nicht schicken, sondern selbst gehen und die Antwort gleich erwarten. Bei einer so bedeutenden Summe muß ich mich doch zur Vorsicht entschließen.«

»So werde ich gehen und seine Wohnung bewachen; er wird zur Flucht entschlossen sein und darf uns nicht entgehen.«

»Stopp, Master Forster,« fiel hier Summerland ein; »dazu bin ich ebenso der richtige Mann wie Ihr. Bleibt nur hier! Oder wollt Ihr die liebe Miß verlassen, da auch der Vater geht?«

»Ja, bleibt!« bat Olbers. »Marga darf in solchen Verhältnissen nicht ohne Schutz sein!«

Sie gingen; der Bankier nach dem Telegraphenbureau und Summerland nach der Wohnung Wilsons, die er sich von dem Ersteren bezeichnen ließ.

Der Gesuchte war, als er das Haus verließ, eine Strecke die Straße hinabgeeilt, dann über dieselbe hinübergegangen und an der andern Seite zurückgekehrt. Es war noch zu früh, als daß er Sarah in ihrem Raume hätte antreffen können, dennoch aber stieg er hinauf und wartete, bis sie kam. Er war ihr bei der Verwandlung in einen Knaben und beim Einpacken derjenigen Gegenstände, welche sie mitnehmen wollte, behülflich und frug, als Alles beendet war:

»Ist Mutter Smolly noch wach?«

»Nein.«

»Und die Hausthür?«

»Ist offen. Außerdem habe ich den Schlüssel hier.«

»Auch den für Forsters Zimmer?«

»Ja.«

Er nahm beide und gebot ihr dann:

»Geh jetzt, Sarah; man darf uns nicht beisammen sehen. Oberhalb des Fährhauses in den Weiden erwartest Du mich!«

»Ich folge Dir, aber bitte, komme bald!«

Sie hatten eine Lampe brennen. Sarah sah in ihrem Anzuge wirklich allerliebst aus. Er nahm sie in die Arme und küßte sie wiederholt auf die verlangenden Lippen.

»Ich komme bald. Nun aber geh!«

Als sie fort war, blies er das Licht aus, schloß den Raum ab und schlich sich zur ersten Etage nieder. Dort öffnete er Forsters Entree, schloß von innen wieder zu und begann, die Zimmer zu untersuchen. Es war dies ohne Lampe recht gut möglich, da das Licht der Gaslaternen beleuchtend durch die Fenster fiel und auch die Kandelaber in Olbers Salon ihren Schein herüberwarfen.

Seine Nachforschung war gleich im Anfange vom Glücke begünstigt. Er begann mit der Bibliothek, sah den Schreibtisch, an dessen Schubladen die Schlüssel steckten, und öffnete. Eine geschlossene Brieftasche lag auf einigen Geldrollen in einem der Fächer. Er öffnete sie und trat näher an das Fenster.

»Gefunden! Hier der Depositenschein nebst einigen unvermutheten Wechseln und dort das Baargeld, welches er von Olbers bekam. Ich habe genug und nur mit ihm noch abzurechnen!«

Er verschloß Alles wieder und trat dann hinter die Gardinen, um das vis-á-vis zu beobachten. Im Salon waren die Lichter erloschen; an ihrer Stelle brannte in dem Balkonzimmer der untern Etage eine Lampe. Die Personen, welche sich hier befanden, mußten hinter dem Lichte sitzen, da er keine Spur eines Schattens bemerkte.

»Ob er noch drüben ist?«

Seine Frage sollte sofort beantwortet werden. In der Helle des Lichtes erschien Marga und hinter ihr Forster. Sie traten heraus auf den Balkon und stützten sich hart neben einander auf das Geländer desselben. Sie schienen nach Jemand auszuschauen.

»Teufel, wie vertraut sie sind, so allein, so nahe! Da, bei Gott, er legt den Arm an ihre Taille, leise zwar und verzagt, aber doch! Und sie leidet es! Ists so gemeint? Komm heim, Bube. Hast Du zu viel Feuer in den Adern, so soll Dir geholfen werden. Ich werde Dich ein wenig schröpfen! – Wer ist der dicke Mensch, der dort gelaufen kommt? Wahrhaftig Olbers! Wo ist er gewesen? Auf der Polizei? Und wo steckt dieser armselige Tim Summerland, der sich nicht sehen läßt? Jetzt treten sie zurück!«

In dem Balkonzimmer mußte jetzt ein lebhaftes Gespräch stattfinden; die Schatten zeigten eine ungewöhnliche Beweglichkeit. Dann verließen Olbers und Forster das Haus; der eine schritt dem Innern der Stadt zu; der andere ging in der Richtung fort, in welcher Wilsons Wohnung lag.

»Was haben Sie vor? Jedenfalls meine Verfolgung. Sie sollen sich verrechnen!«

Es verging eine beträchtliche Zeit, ehe sich einer von den Genannten wieder sehen ließ. Da kam ein Fiaker, hielt vor dem Hause drüben an und lenkte dann herüber. Forster war ausgestiegen. Er verschwand in dem Bankierhause, verließ dasselbe aber bald wieder und schritt über die Straße herüber.

»Er kommt. Nun ist es Zeit!«

Er bog sich nieder und kroch unter den Schreibtisch. Draußen wurde die Thür aufgeschlossen; Forster trat ein und setzte die Lampe in Brand. Er zog die Wäsche hervor, öffnete den Kleidersekretär und ging ans Einpacken.

Die Abwesenheit Olbers und Summerlands hatte ihm selige Augenblicke ermöglicht. Marga war vom Divan aufgestanden und auf ihn zugetreten.

»Ist wirklich keine Täuschung möglich, Sir?«

»Nein. Er selbst hat ja durch sein Verhalten den Beweis gegeben, daß wir uns nicht irrten. Wer in einer solchen Lage keine andere Vertheidigung kennt, als die durch Messer und Revolver, muß sich seiner Schuld bewußt sein. Und durch seine Flucht hat er den Beweis vollständig besiegelt.«

»Welch ein Mensch! Und in so gefährlicher Nähe haben wir uns so lange Zeit befunden ohne alle Ahnung des Schlimmen, was uns drohte! Dieses Messer, es war fürchterlich!«

Die Erinnerung an die blitzende Klinge hatte beinahe dieselbe Wirkung wie der furchtbare Augenblick selbst. Sie wankte, suchte mit der Hand nach einer Stütze und fand dieselbe nicht. Er trat näher und hielt sie mit seinem Arme aufrecht. Sie sank mit ihrem[556] Köpfchen an seine Schulter und schloß die Augen. Er legte den Arm fester um sie und bog sich zu ihrem erbleichenden Gesichte herab. Alle Pulse, alle Fasern klopften und lebten in ihm.

»Miß Marga!«

Es war ein wunderbar seliger Ton, in welchem diese beiden Worte erklangen. Ihre volle, weiche Gestalt zuckte leise zusammen; ihre Lider öffneten sich, und mit unbeschreiblichem Ausdrucke traf ihr Blick seine nahen, vor Glück strahlenden Augen.

»So möchte ich Euch halten und stützen jetzt und immerdar, so lang ein Gedanke mich bewegt und ein Hauch des Lebens in mir wohnt!«

Er wagte es nicht, die Hohe, Reine inniger zu umschlingen; eine solche Bewegung dünkte ihm der unverzeihliche Verrath an dem Vertrauen, mit welchem sie sich an ihn lehnte. Sie hatte die Augen wieder geschlossen; die Blässe ihres Gesichtes wich; es röthete sich vom zartesten Ton bis zum tiefsten Purpur; die Schwäche war verschwunden; sie bedurfte der Stütze nicht mehr, und dennoch verweilte sie regungslos in ihrer jetzigen Stellung und ein wonniges Lächeln kämpfte mit dem Zuge holder Scham, der von den zarten Schläfen niederstieg. Da ergriff er ihre beiden Hände und geleitete sie zu dem Divan zurück. Dort ließ er sie sanft in das sammetne Polster gleiten und nahm an ihrer Seite Platz. Noch immer lag ihr Kopf an seiner Schulter; er strich ihr mit der Hand liebkosend über die glänzende, weiche Lockenfülle und ward nicht müde, ihre königliche Gestalt und ihre bezaubernden Züge mit seinem Auge zu umfassen.

So saßen sie lange, lange an einander. Keines sprach ein Wort; es hätte wie eine Entweihung heiliger Herzenssabbathstille geklungen; aber Beide wußten, daß ihre Seelen sich zu eigen seien von nun an und für alle Zeit.

Da endlich rang sich ihr Blick in süßer Verwirrung unter den langsam sich hebenden Wimpern hervor, und zaghaft leise erklang es:

»Papa muß bald kommen!«

»Verzeihung, Marga! Die Wonne mißt nie den Augenblick; ich hatte ihn vergessen.«

»Könntet Ihr doch auch das Gestern so vergessen!«

»Nie, niemals werde ich dies vermögen, denn gestern ging der Stern mir auf, deß Strahl den Reichthum einer heiß ersehnten Welt erschließt. Darf er mir auch ferner leuchten?«

»Dem Dichter glänzen Sterne, die kein Anderer kennt; ein Strahl des irdischen Himmels darf sich nicht zu ihm verirren!«

»Und doch würde er eine solche Verirrung mit tausend Leben bezahlen, wenn sie ihm zur Verfügung ständen. Marga, sei mein Strahl, mein Licht, mein Stern; ich will nur Dich, nur Dich und entsage allen Sonnen, die neben Dir und um Dich kreisen!«

Sie schnellte empor, als wolle sie ihm entfliehen.

»Marga, verzeiht! Ich werde gehen!«

Auch er erhob sich. Schon war sie fern von ihm; sein Wort zog sie zurück. Sie wandte sich, eilte auf ihn zu und ergriff seine Hände.

»Ich bin für Euch zu arm, zu klein und gering; ich darf die Strophen lesen, die Ihr schreibt und mich von ihrem Geist erheben, von ihrer Schönheit bezaubern lassen, doch das Recht an Eurer Schöpfung, an Eurem Ruhm, welches die Liebe gibt, ist mir versagt.«

Sie fühlte seine Hände erkalten.[557]

»So fahre er hin, dieser Ruhm! Ich werfe ihn von mir und entsage Allem außer der Erinnerung an den schönen Traum, aus dem ich jetzt erwache. Fare well, Hoffnung, Glück und Stern; der Dichter stirbt; der Jäger aber verschwindet im Westen wie das Licht, dem die finstre Nacht zu folgen hat!«

Er zog seine Hände aus den ihrigen und schritt der Thüre zu. Sie stand unbeweglich, bis er durch dieselbe verschwunden war. Da aber kam doppeltes Leben über sie.

»Richard!«

Er konnte den Angstruf unmöglich hören. Sie eilte ihm nach und erreichte ihn an der untern Treppe.

»Nicht so, nicht so!« stieß sie hervor. Ihr Busen wogte, und ihre Hand, welche die Korridorlampe ergriff, bebte, daß der Cylinder erklang. »Ihr dürft den Posten, auf welchen Papa Euch stellte, nicht verlassen, bis er zurückkehrt. Kommt, laßt uns ihn erwarten!«

Er sah ihre Aufregung, ihre Bangigkeit und konnte nicht anders, er mußte ihr folgen. Sie trat in das Balkonzimmer, nachdem sie den Befehl ertheilt hatte, die Flammen des Salons zu verlöschen.

»Warum wolltet Ihr gehen, Sir! Ich hatte Euch noch so viel zu bitten.«

»Sprecht, Miß!«

»Ihr dürft nicht dem Leben entsagen, Ihr sollt den Ruhm festhalten und vergrößern, den Ihr Euch erworben habt!«

»Der Ruhm ist kalt; kein Lorbeer wärmt, wenn das Herz erstarren will. Soll es leben, so braucht es Liebe, nichts als Liebe!«

Sie faltete die Hände über der Brust und blickte zu Boden.

»Liebe! Ich habe sie nie gekannt, denn Kindesliebe ist nicht die, welche Ihr meint. Das Frauenherz ist weich und kennt kein anderes Gesetz als das Gefühl; aber kann sie auch das Herz des Mannes in so kurzer Zeit sich unterthänig machen?«

»Gott ist die Liebe, Miß, und Beide sind allmächtig! Sie kommt, sie ist da und gebietet im Augenblicke über die verborgensten Gedanken und die offensten Thaten des Menschen. Wer sie aus dem Herzen reißt, vernichtet dieses und mit ihm sich selbst.«

Sie legte ihre Hände flehend auf seinen Arm.

»O, thut das nicht; ich müßte mir ewig zürnen!«

Noch ehe er zu antworten vermochte, hatte sie das Zimmer verlassen und war auf den Balkon getreten. Er folgte ihr und nahm neben ihr Platz, ohne zu ahnen, daß der entflohene Pfahlmann in seinem eigenen Zimmer stehe und ihn beobachte.

»Nur zürnen, Miß! Wäre der Zorn das Einzige, was Ihr fühlen würdet?«

»Nein, noch viel, viel mehr!« hauchte sie.

»Was noch? O bitte, sagt es mir!«

Sie fühlte, über das Geländer gebeugt, die Berührung seines Armes und machte keine Bewegung, sich demselben zu entziehen.

»So Schreckliches, daß ich keinen Namen dafür finde.«

»Marga, darf ich lieben und hoffen?«

»Dort kommt Papa!« Sie trat in das Zimmer zurück. Ihr Auge leuchtete, und ihre Wangen glühten. »Bin ich denn dieser Liebe, dieser Hoffnung werth?«

»Marga, mein Leben, meine Seligkeit! Wäre ich der Größte unter den Großen der Erde, ich würde dennoch in Demuth um das kleinste Wörtchen bitten, wie ich es hören möchte!«

Der Bankier trat ein. Er war so aufgeregt, daß er die ungewöhnliche Haltung der Beiden gar nicht beachtete.

»Ihr habt Recht gehabt, Sir!« keuchte er mit fliegendem Athem. »Die Empfehlung war gefälscht. Wir müssen den Schurken haben!«

»Wir werden ihn bekommen, selbst wenn es ihm gelungen wäre, für jetzt zu entwischen. Ist er aber nach seiner Wohnung gegangen, was er sicher gethan hat, wenn er nicht vorher auf das Geschehene vorbereitet war, so wird Tim Summerland ihn sicher nicht aus dem Auge lassen. Ihr wart doch jedenfalls schon beim Prokurator oder auf der Polizei?«

»Nein, noch nicht. Ich habe in meinem Grimm und der Eile gar nicht daran gedacht!«

»So müßt Ihr das Versäumte sofort nachholen. Ich gehe unterdessen zu Tim, um Euch dort zu erwarten. Wir haben es[566] mit einem ebenso raffinirten wie verwegenen Manne zu thun und dürfen keine Zeit verlieren!«

Sie gingen, und Marga blieb allein zurück. Sie nahm auf dem Sopha Platz und öffnete ihr Album. Hier war das Gedicht verborgen, welches sie aus der Zeitung geschnitten hatte. Sie las es wieder und immer wieder.

»Ich undankbare Thörin! Solch ein Glück, solch eine Seligkeit sich beinahe zu verscherzen! Ja, er hat Recht: Die Liebe kommt, sie ist da und gebietet; so war's bei mir, so war's bei ihm, und jedes Zagen ist Sünde. O Mutter, könntest Du doch leben und sehen, wie froh, wie unendlich froh das Herz Deines Kindes ist!«

Sie bog sich in die weiche Lehne zurück, schloß die Augen und träumte süße, holde Bilder, die ihrem selig ahnenden Herzen entstiegen und ihren reinen Busen höher schwellen ließen. So lag sie lange, lange. Da erklangen draußen Schritte; es klopfte, und ehe sie noch sich erhoben hatte, stand der Geliebte vor ihr. Er sah den Zeitungsausschnitt in dem geöffneten Album liegen und wußte nun, daß sie sich nur mit ihm beschäftigt habe.

»Ich komme als Bote. Wilson ist seit hier nicht in seiner Wohnung gewesen. Die Policemen suchen ihn an den Orten, wo er zu verkehren pflegte, und da er ihnen persönlich unbekannt war, muß sich Papa an der Nachforschung betheiligen. Er läßt bitten, nicht in Sorge um ihn zu sein. Auch ich werde mit Summerland nach ihm suchen, vermuthe jedoch, daß er Stenton bereits verlassen hat. In diesem Falle weiß ich genau, wohin er sich wendet und werde ihm noch in der Nacht folgen. Darf ich dann um die Freundlichkeit bitten, mich bei Mutter Smolly zu entschuldigen, von der ich doch unmöglich Abschied nehmen kann?«

»Ihr wollt fort, ihm nach, wollt Euch in die Gefahr begeben, von ihm – nein, nein, das darf ich nicht gestatten, das kann ich unmöglich zugeben! Bleibt, Sir, bleibt, und überlaßt die Verfolgung des Bösewichtes der Polizei!«

Er lächelte glücklich und überlegen zugleich.

»Gegenüber einem offenen Feinde, und das ist er mir nun, kenne ich keine Gefahr. Auch ist meine Abreise ja noch nicht sicher bestimmt; es ist ja möglich, daß er die Stadt noch nicht verlassen hat; dann fällt er gewiß in unsere Hände, und ich bleibe hier.«

»So versprecht mir, auf alle Fälle noch einmal hier vorzusprechen! Ich bleibe wach, bis Papa kommt und ich genau Nachricht habe.«

»So werde ich wiederkehren. Bis dahin aber – gute Nacht!«

Er reichte ihr die Hand. Sie sah seinen bittend-fragenden Blick und fühlte seinen leisen Versuch, sie an sich zu ziehen. Sie schlang aus eigenem Antriebe die Arme um ihn.

»Richard, erhalte Dich mir. Schone Dich, wenn Du ihn triffst!«

Ihre Lippen trafen die seinen in einem leisen, schnellen Kusse, dann entschlüpfte sie ihm in das Nebengemach.

Dort vertauschte sie das Salonkleid mit einem bequemen Negligé und hatte eben diese Beschäftigung beendet, als sie bemerkte, daß er in seine Wohnung gegangen sein müsse, da die Fenster derselben erleuchtet waren. Jedenfalls verließ er diese bald wieder; sie wollte ihn sehen und begab sich auf den Balkon.

Nach einiger Zeit öffnete sich auch drüben die Thür zum Altane, und er trat heraus, um nach Summerland zu blicken, der ihn abholen sollte. Er winkte grüßend mit der Hand herüber und sie erhob die ihrige zur Antwort, stockte aber mitten in der Bewegung. Ein Schatten glitt an den zwei Fenstern des Studirzimmers vorüber und im nächsten Augenblicke sah sie im Innern des nach dem Balkon offenen Raumes das Gesicht Wilsons erscheinen.

Ein jäher Schreck durchzuckte sie, aber im Moment hatte sie sich wieder gefaßt, erhob den Arm und rief:

»Wilson hinter Dir!«

Er wandte sich um, keinen Augenblick zu früh, denn schon stand der Genannte hinter ihm und hatte das Messer zum Stoße gezückt.

»Hülfe, Hülfe!« schrie Marga in wahrer Todesangst. Sie sah nur noch, daß die beiden Männer auf dem Altane mit einander rangen, dann sprang sie in das Zimmer zurück, die Treppe hinab, über die Straße hinüber und flog dort athemlos zu seiner Wohnung empor. Sie trat gerade in dem Momente ein, als Forster den Balkon verließ.

»Richard, wo ist er? Ich tödte ihn!«

Beim ersten Angriffe Wilsons war sie in Ohnmacht gefallen, hier aber zeigte sie sich über alles Erwarten muthig und geistesgegenwärtig. Der eine Kuß hatte sie verpflichtet, für den Geliebten Alles, selbst das Leben zu wagen.

»Fort. Ein Sprung vom Altaue hat ihn gerettet, während ich ihn loslassen mußte, um das Messer zu entfernen.«

»Du blutest! Er hat Dich verwundet! Um Gott, zeige schnell her!«

»Es ist nichts, Marga, zwei kleine Fleischwunden. Laß mich, ich muß ihm nach!«

»Nicht um die ganze Welt!«

Er wollte ihr enteilen, obgleich ihn ihr Hiersein mit namenlosem Entzücken erfüllte; sie aber hing sich so fest an ihn, daß er Gewalt hätte brauchen müssen, um loszukommen.

»Bitte, Marga, er wird mir entgehen!«

»Laß ihn, laß ihn! Ich müßte vor Sorge sterben, wenn ich Dich so von mir ließ. Komm, entferne den Rock; laß mich die Wunden sehen!«

Er sah, daß hier jeder Widerstand vergeblich sei, und folgte ihrem Gebote. Wilson hatte ihm einen Schnitt in die Linke und einen Stich in den Arm versetzt. Beide waren nicht gefährlich, verursachten aber eine heftige Blutung. Er blickte ihr lächelnd zu, als sie diese zu stillen versuchte und dann einen kunstgerechten Verband anlegte.

»So,« meinte sie, als sie fertig war; »jetzt ist keine Besorgniß mehr nöthig, Du böser, lieber Mann! Aber ohne Deine Marga wärst Du ihm nachgesprungen und hättest Dich unterwegs vielleicht gar verblutet.«

»Nein, ohne meine Marga wäre ich schon früher ein Kind des Todes gewesen, denn ohne Deinen Warnungsruf hätte mich sein Messer hinterrücks getroffen. Wie soll ich Dir danken, Du herrliches, entzückendes Wesen!«

Er zog sie mit herzlicher Innigkeit an sich.

»Damit, daß Du mich immer, immer so lieb behältst wie jetzt!« flüsterte sie, ihre schönen, warmen Formen zärtlich an ihn schmiegend.

Sie war so reizend in dem leichten, duftigen Gewande, daß er für Augenblicke den Flüchtling vergaß und nur Liebe und Seligkeit von ihren Lippen trank. Doch nicht lange, so ertönten draußen Schritte und Summerland trat ein. Er machte nicht wenig erstaunte Augen, als er das Mädchen erblickte, und es wurde ihm in kurzen Worten Alles mitgetheilt.

»Er ist hier gewesen? Damn! Hat er Euch bestohlen, Sir?«

»Weiß nicht, Tim; habe auch keine Zeit mehr, darnach zu forschen. Hat er es gethan, so werde ich es schon noch bemerken. Jetzt aber müssen wir hinter ihm her.«

»Natürlich. Aber nehmt einen Revolver mit oder so etwas Aehnliches, der Kerl darf nicht mit Seide angefaßt werden!«

Sie verließen die Wohnung. Forster begleitete Marga bis in die ihrige und schloß sich dann dem auf ihn wartenden Gefährten an.

»Wohin jetzt?« frug dieser.

»Nirgends hin als wieder in mein Haus. Ich werde nach dem Dienstmädchen sehen, das mir soeben ein gefallen ist. Ohne Sarah hat er nicht zu mir gekonnt; sie muß uns Aufschluß geben und das Weitere wird sich dann schon finden.«

»All reight, Sir! Dieser Gedanke ist nicht schlecht, Master Wilson mag einstweilen laufen, meinetwegen bis Babylon, wo die Weiden standen, welche die sieben fetten Kühe des Königs Pharao wegfraßen, wir holen ihn doch noch ein und helfen ihm zu einem guten Stricke, das ist so sicher wie meine Mütze!«

Quelle:
Ein Dichter. Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten von Karl Hohenthal. In: All-Deutschland! 3. Jg. 1879. Heft 16–20. Stuttgart (1879). Nr. 36, S. 566-567.
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