II.

[476] Auf dem ganz, ganz, ganz kleinen Bergle saß ein kleines Männle. Das war aber nicht etwa heute, sondern vor einer Reihe von Jahren, die nun vergangen sind. Das Männle war der damalige Musterwirt, der immer, wenn sich niemand bei ihm befand, gar pfiffig und selbstzufrieden vor sich hinschaute, sobald aber andere bei ihm waren, hatte er ein stilles, frommes, in sein schweres Schicksal ergebenes Gesicht.

Das Bergle sah zu dieser Zeit ganz anders aus als jetzt, ganz wild und unkultiviert. Aus seinen Steinritzen ragten einige Tannen. Im übrigen war es ganz und gar von einem stachligen Dickicht überwuchert, welches aus Brom- und Himbeersträuchern bestand. Eine Brücke über das Wasser gab es auch noch nicht, sondern es lag nur ein alter Holzklotz da, auf dem man wie ein Seiltänzer hinüberbalancieren mußte. Das tat besonders die Schuljugend gern, und zwar der Beeren wegen, die man sich da gleich von der[476] Ranke weg ins Mäulchen pflücken konnte. Nur durfte man sich nicht vom Musterwirt erwischen lassen, der es absolut keinem Menschen erlauben wollte, sein Bergle zu betreten. Er hatte sogar einen Pfändwisch mit einem Buschen Stroh darauf vor dem Steg errichtet; aber auch das hinderte die Jungens und Mädels nicht, von den verbotenen Früchten zu naschen, alldieweil die Jugend nun einmal keine Tugend hat. Man brauchte nur hübsch aufzupassen, wenn er kam. Da war man, husch, über den Steg hinüber und lachte ihn zu seinem Aerger auch noch aus, wenn er dann das Nachsehen hatte.

Es begab sich aber auch zuweilen, daß er pfiffiger als die kleinen, leckern Spitzbuben war. Da schlich er sich heimlich hinüber und verbarg sich im Gesträuch. Wer dann kam, der wurde von ihm bei der Parabel genommen und ganz gehörig abgebeutelt. Zuletzt gab er da stets noch die Ermahnung drein, daß es sich nicht für gottesfürchtige Christenkinder gezieme, erstens gegen das siebente Gebot im allgemeinen zu sündigen und zweitens gar sich fremde Beeren anzueignen.

So saß er auch jetzt wieder einmal an seiner Lieblingsstelle, wo man ihn von keiner Seite aus sehen konnte. Er schaute oft forschend auf den Weg hinab, der von den nächsten Häusern über die Wiese herüber kam und dann am Bache aufwärts nach dem nächsten Dorfe führte. Es war aber kein Mensch zu sehen, der die Absicht zeigte, nach dem Bergle zu kommen. Darüber freute er sich. Denn es gibt Beschäftigungen, bei denen man sich nicht gern stören läßt, besonders bei derjenigen, welche darin besteht, daß man einen ganzen Haufen harte Taler zählt.

»Genau fünfhundert,« sagte er, als er fertig war. »Einer wie der andere, neu aus der Schlägerpresse,[477] blitzblank und scharf geprägt. Es ist kein Tadel daran! Nun tue ich sie in die feuchte Erde, damit sie etwas beschlagen. Denn alt müssen sie aussehen, ehe man sie ausgeben kann. Es ist kein übles Geschäft; aber Papiergeld wäre noch besser. Das kommt viel billiger zu stehen. Darum soll es mich verlangen, ob mit dem Kupferstecher etwas zu machen ist, den ich mir so schlauerweise verschrieben habe. Wenn es klappt, so kann er heute schon kommen.«

Da, wo er saß, lag ein ziemlich großer Haufen kleiner Steine. Ueber diesen machte er sich her. Er brachte einen Teil davon auf die Seite, breitete auf die leer gewordene Stelle seine Taler aus und legte dann die Steine wieder darauf. Kein Mensch konnte ahnen, was für ein Schatz nun hier verborgen war.

»Nun schöpfe ich Wasser aus dem Bache und gieße es darüber. Das gibt die erforderliche Nässe. Wenn sie dann noch durch das dunkle Gummibad gegangen sind und den richtigen Schmutz angesetzt haben, so soll mir einer behaupten, daß es neue Taler seien!«

Er wollte sich erheben, duckte sich aber schnell wieder nieder.

»Wer kommt denn da? Das ist ja die Marie, die Klöppelmeisterin! Die geht spazieren, jetzt, zur Arbeitszeit? Das ist bei ihr noch niemals vorgekommen! Jetzt schreitet sie grad auf meinen Weg zu. Sie will herauf aufs Bergle. Und da draußen sehe ich jetzt den Musteranton! Er lenkt auf die Wiese ein. Haben die sich etwa hierher bestellt? Man weiß, daß sie einander gern sehen. Jetzt kann ich heimlich hören, wie es mit ihnen steht. Und das ist mir recht. Denn wenn der Anton dieses Mädchen nimmt, so muß ich ihn aus[478] meinen Händen lassen. Sie ist die geschickteste und fleißigste von allen; die macht ihn frei von mir!«

Das Mädchen war jetzt über den Bach herüber. Sie kam ein Stück herauf und setzte sich auf eine Rasenstelle. Der Bursche folgte ihr nach, blieb vor ihr stehen und reichte ihr die Hand. Was sie sprachen, konnte der Musterwirt nicht hören. Er kroch zwar näher hinzu, erreichte dadurch aber nur, daß er einzelne lauter klingende Worte oder Sätze vernahm.

»Für einen Spieler hältst du mich?« hörte er den Anton sagen. »Ich kenne keine Karte. Aber Dame spiele ich gern, doch auch nur mit dem Musterwirt; die anderen können nichts. Und Damespielen ist doch wohl nichts Böses!«

»Nein, wenn es nur zuweilen geschieht. Aber du sitzest mit ihm alle Abende beisammen und hast eine Leidenschaft dabei. Und alles, was man mit Leidenschaft tut, wird zum Schaden.«

»Marie, es ist keine Leidenschaft. Ich kann es sofort lassen!«

»Für immer?«

»Ja, ganz gern, dir zuliebe.«

»So mache dich von ihm los! Er nützt dich aus; er bezahlt dich schlecht. Du bekommst von ihm einen Hungerleiderlohn, und du lässest es dir gefallen, weil er dich mit seinem Damenspiele ködert. Ich weiß nichts gegen ihn; aber ich empfinde es in mir, daß er nicht der gute, fromme Mensch ist, der er scheint.«

Hierauf sprachen sie wieder leiser. Er hörte nur ihre Stimmen, nicht aber die einzelnen Worte. Nach längerer Zeit aber rief Anton um so lauter:

»Das soll ein Wort sein! Ich danke dir, Marie! Wir wollen fleißig sein; ich werde nicht mehr spielen,[479] sondern sparen. Ich habe dich hierher bestellt, weil man dich sonst allein fast gar nicht treffen kann. Nun ist das Bergle mir zum Glück geworden. Ich wollte, es wäre mein! Da baute ich mir drauf ein kleines Häusle und machte auch ein Gärtle drum herum. Da wohnte ich mit dir wie das Rotkehlchenpaar im kleinen Nestle, und unser Herrgott sollte seine Freude an uns haben!«

»Die könnt ihr ihm schon machen,« klang es da hinter ihnen. »Ich will euch gern dazu verhelfen.«

Der Musterwirt, welcher Antons Worte gehört hatte, war aufgesprungen und zu ihnen hingeeilt. Ein rascher Entschluß hatte ihn dazu getrieben. Sie standen Hand in Hand vor seinen Augen.

»Also heiraten wollt ihr euch, ihr Habenichtser?« fuhr er fort. »Der Anton hätte meine Tochter haben können, wenn er klug gewesen wäre. Ich meinte es gut mit ihm. Ihr aber denkt, es sei das Gegenteil. Und spielen soll er auch nicht mehr mit mir, mein Mustermacher? Nun, des Menschen Wille ist sein Himmelreich, oft aber auch seine Hölle. Ich werde euch nichts in den Weg legen. Ja, ich will euch sogar zu dem Rotkehlchennest verhelfen, von dem er jetzt geredet hat. Er darf nicht mehr mit mir spielen, obwohl er nichts verloren hat, denn wir spielen beide gleich. Eine Partie mußt du ihm schon noch erlauben, eine einzige, die letzte, allerletzte.«

»Um was?« fragte der Anton.

»Um mein Bergle hier. Wenn du sie gewinnst, ist das Bergle dein, das ganze, so wie es vor unseren Augen steht, und auch das Wasser, was rund um ihn läuft.«

Da blitzte es in den Augen Antons auf.[480]

»Du, diese Partie gewinne ich dir ab, Musterwirt!« sagte er.

»Das will ich ja,« lachte dieser. »Aber frage nur auch, was du dagegen zu setzen hast!«

»Nun, was?«

»Wenn du verlierst, so hast du drei volle Jahre ganz umsonst für mich zu arbeiten.«

»Ah, so? Das ist ein teurer Satz!«

»Noch lange nicht so teuer wie mein Bergle!«

»Weil du reicher bist, als ich. Für die Armut sind drei volle, unbezahlte Arbeitsjahre ein schwerer Einsatz. Ich mache nicht mit.«

Er trat um einige Schritte zurück.

»Also nicht,« sagte der Wirt enttäuscht. »Was sagt denn die Marie dazu? Die ist natürlich noch viel mehr dagegen als er!«

Sie sah ihm scharf und kalt in die Augen. Ihr Blick war wie ein Messer, das tief hinunterstieß.

»Ich freue mich darüber, daß er nicht will,« sagte sie; »denn er beweist mir dadurch, daß er gern das Gute tun wird, was ich von ihm erbitte. Ich durchschaue dich, Musterwirt. Du willst noch zwei Partien Dame gewinnen, nicht bloß eine. Die zweite mit ihm. Die erste aber spielst du jetzt mit mir, wenn auch ohne Brett und ohne Damensteine. Ich sage dir jedoch, daß du sie schon jetzt verloren hast, denn der Anton wird dieses letzte Spiel mit dir machen. Ich will es so!«

»Er soll drei volle Jahre Arbeit gegen das Bergle setzen?«

»Ja.«

»Mädel, bedenke, was du tust!«

»Sei still! Mich brauchst du nicht zu ermahnen.[481] Vorhin warst du überzeugt, daß du gewinnen werdest; jetzt aber hast du schon Angst bekommen.«

»Es ist nicht Angst, sondern Staunen. Er tritt vor mir zurück, und gerade du schiebst ihn zu mir hin! Ich kann das nicht begreifen.«

»Wenn nur ich es begreife, so ist es gut. Doch will ich es dir sagen. Der Anton sprach davon, daß der Herrgott seine Freude über uns haben werde. Er glaubt an ihn und ich auch; du aber nicht, obgleich du dich so stellst. Es ist in mir eine Stimme, welche mir sagt, daß der Herrgott mitspielen werde; der gehorche ich. So, nun weißt du es!«

»Ja, jetzt weiß ich es,« lachte er. »Also sag', Anton, bist du bereit dazu?«

»Ja,« antwortete der Bursche. »Was die Marie will, das tue ich.«

»So komm heute abend um sieben zu mir. Punkt acht wird es beginnen. Willst du?«

»Gern.«

»Wohlan, so sei's! Aber denke ja nicht daran, mich zu hintergehen! Ich bin der Kluge von uns beiden. Im Gesetz steht geschrieben, daß man Spielschulden nicht einklagen kann. Wenn ich gewinne, und du willst dann nicht für mich arbeiten, so muß ich es mir gefallen lassen; kein Paragraph steht mir zur Seite. Aber ich fange das ganz anders an, als du dir vielleicht denkst. Ich nehme zwei Bogen Papier. Auf den einen schreibe ich folgendes: ›Der Musteranton hat von morgen früh an drei volle Jahre lang für den Musterwirt zu arbeiten, was dieser ihm befiehlt. Er erklärt hiermit vor den unterschriebenen Zeugen, daß ihm diese Arbeit im voraus bezahlt worden ist.‹ Und auf dem anderen wird zu lesen sein: ›Der Musterwirt übergibt[482] dem Musteranton morgen früh das sogenannte Bergle als volles, unbestrittenes Eigentum, so wie es liegt und steht. Auch das Wasser rundum gehört dazu, weiter aber nichts. Der Musteranton hat dem Musterwirt das Bergle ganz bezahlt.‹ Diese Dokumente werden von uns beiden und von drei Zeugen unterschrieben. Während des Spieles bekommt der Ortsrichter sie in seine Tasche. Nach dem Spiele wird dasjenige des Gewinners zerrissen, der dann das andere bekommt. Bist du einverstanden?«

»Ja.«

»So erkläre ich dir hiermit, daß du mir mein Bergle bezahlt hast. Und was sagst du nun zu mir?«

»Daß du mir den Lohn für drei Arbeitsjahre vorausbezahlt hast.«

»Das wirst du heute abend auch vor den Zeugen sagen?«

»Ja.«

»So ist die Sache abgemacht. Punkt sieben wirst du kommen, und Punkt acht beginnt das Damenspiel. Es wird eine englische Dame, mit Vor- und Rückwärtsschlagen und auch noch über das Feld.«

»Was für eine, das ist mir gleich.«

»Gut; wir sind also fertig. Nun macht euch jetzt von dannen. Das Bergle ist noch mein, und morgen habt ihr auch nichts hier zu suchen, denn dein Mitspieler kann doch mit mir nichts machen!«

Die beiden gingen. Er sah ihnen nach, bis sie sich drüben voneinander trennten.

»Das habe ich gut gemacht!« lachte er zufrieden. »Er ist der beste Damenzieher weit und breit, aber gerade die englische spiele ich besser als er. Auch habe ich ihn eine Stunde früher bestellt. Da lasse ich ihn trinken.[483] Ich weiß schon, wie das anzufangen ist. Ich gebe im Dorfe bekannt, was geschehen soll. Da bekomme ich die ganze Stube voll Gäste. Ich schenke für alle ein Extrabier, für uns aber einen scharfen, starken Wein; den ist er nicht gewöhnt. Das erste Glas wird ihm schmecken. Das zweite nimmt ihm die Gedanken. Und beim dritten weiß er schon nicht mehr, was er tut. Für mich aber ist es, als ob ich Wasser trinke. Und sodann weiß ich noch etwas. Wenn er über den nächsten Zug nachsinnt, und ich schaue ihm scharf in das Gesicht, so wird er unsicher. Dann zieht er falsch. Er kann meine Augen nicht vertragen. Das habe ich oft beobachtet, und dann hat er stets verloren. Das tue ich auch heute. Jetzt aber will ich meine Taler noch begießen; dann gehe ich heim, um die Papiere gleich zu schreiben. Drei Jahre Arbeit! Er ahnt gar nicht, daß er die eigentliche Seele meines Geschäftes ist. Er erfindet unerschöpflich neue Muster. In diesen drei Jahren kann er mir für ein ganzes Menschenleben vorarbeiten. Dann aber ist er kaputt, und ich werfe ihn hinaus.«

Als die Steine bis tief in den Boden hinein durchnäßt waren, ging er nach Hause. In der Gaststube saß ein Handwerksbursche. Des Wirtes Tochter winkte ihren Vater zu sich. Sie war von ganz anderer Gestalt als er. Was ihm an Stärke und Länge fehlte, das hatte sie fast zu viel.

»Der dort hat schon einige Male nach dir gefragt,« sagte sie. »Er ist ein Kupferstecher und will hier übernachten.«

Der Musterwirt ging zu ihm hin und forderte die Legitimationspapiere. Das war seine Pflicht, wenn jemand über Nacht bleiben wollte. ›Frommhold Uhlig,[484] Kupferstecher und Graveur‹, las er auf dem Wanderbuche. Das war der Richtige, den er erwartete! Dieser saß schon beim vierten oder fünften Schnapse, doch ohne daß man die Wirkung des Alkohols an ihm verspürte. Er schien das Gift gewohnt zu sein. An der Wand lehnte sein Knotenstock, und auf dem Nebenstuhle lag sein kalblederner Ranzen. Der Wirt setzte sich zu ihm, um ihn fragend auszuhorchen. Der Fremde ließ dies einige Zeit geschehen und lächelte dazu. Als aber eine Frage gar zu verfänglich klang, lachte er laut auf und sagte:

»Musterwirt, spielt nicht mit mir Theater, sonst lasse ich den Vorhang sofort fallen. Es soll keiner von uns beiden denken, daß er dem anderen über ist. Mich fängt man nicht mit Fragen. Weißt du, was ich will und was ich kann?«

»Bis jetzt weiß ich nur, daß dich ein Bekannter zu mir schickt,« antwortete der Gefragte.

»So weiß ich mehr von dir, als du von mir, und kann es auch beweisen. Du bist das ›Geldmännle‹ und willst Papiergeld machen, anstatt bisher nur Taler. Brauchst nicht zu erschrecken. Ich bin grad so verschwiegen wie du. Du befindest dich in meiner Hand, und ich gebe mich in die deinige. Weiß deine Tochter von dem Geschäft?«

»Ja.«

»So brauchen wir uns nicht zu genieren. Es ist sonst niemand da. Paß auf, was ich dir zeigen werde!«

Er schnallte den Ranzen auf und zog einen Pack zusammengerollter schmutziger Wäsche heraus. Dieser enthielt, als er ihn öffnete, ein kleines, wohlverschnürtes Päckchen. Als die Bindfaden entfernt waren, kamen[485] mehrere lange, schmale Zeichnungen und Metallplatten zum Vorschein. Die schob der Handwerksbursche ihm hin und sagte:

»Da, schau dir das an, und dann sage mir, ob ich bei dir bleiben oder weiterwandern soll!«

Der Wirt zog seine Brille aus der Tasche. Es war eine sogenannte ›Nasenquetsche‹, ohne Seitenstangen. Jetzt nennt man diese Art von Brillen ›Klemmer‹, und wenn man vornehm tun will, so sagt man Pincenez. Er betrachtete die Linien und Gravierungen sehr eingehend. Der Ausdruck der Spannung, welcher dabei auf seinem kleinen Gesichte lag, ging mehr und mehr in den der Freude über.

»Ich will jetzt noch schweigen,« sagte er. »Du kommst mit mir hinauf in meine Stube, die nur für mich und meine Tochter da ist. Ich muß diese Sachen erst noch durch ein Vergrößerungsglas betrachten. Die Fünfziger und Hunderter scheinen vortrefflich zu sein. Das ist deine Sache, der Druck aber dann die meinige. Komm! Nimm deinen Stock und deinen Ranzen mit! Du bleibst für heute bei mir. Das andere wird sich morgen finden. Wir brauchen uns ja nicht zu übereilen.«

Sie verließen miteinander die Stube. Die Tochter hatte alles gehört und nickte dem Fremden freundlich zu, als er sich an der Tür noch einmal nach ihr umsah.

»Ich möchte, daß du bleibst!« rief sie ihm nach. »Die Burschen hier im Dorfe sind mir zu dumm!«

Nach einer Stunde kamen beide wieder herab.

»Dein Wille ist geschehen,« sagte der Handwerksbursche zu dem Mädchen, indem er sie in die Wange kniff. »Jetzt habe ich Geld und gehe in die Stadt,[486] um mir einen neuen Anzug zu besorgen und mich auch sonst auszustaffieren. Es ist ein weiter Weg, aber vor Mitternacht bin ich wohl wieder da. Wirst du auf mich warten?«

»Wenn du willst, jawohl.«

Als der Kupferstecher fort war, erzählte der Wirt von seiner Abmachung mit dem Musteranton. Die Tochter schien die Sache anders ansehen zu wollen als der Vater, ließ sich aber von seinen Gründen leicht überführen. Er setzte sich hin, um die beiden Dokumente zu schreiben, und ging, als er damit fertig war, in das Dorf. Er brauchte nur einigen Bekannten mitzuteilen, was für ein wichtiges Damenspiel heute vor sich gehen sollte, so konnte er überzeugt sein, daß es bald überall bekannt sein werde.

So kam es, daß schon alle Tische bei ihm mit Gästen besetzt waren, als es noch gar nicht sieben Uhr geschlagen hatte. Nur der Tisch, welcher in der Mitte der Stube stand, war freigeblieben, weil da der Kampf ausgefochten werden sollte. Punkt sieben Uhr kam der Musteranton. Er wurde lebhaft begrüßt und von dem Wirt an den erwähnten Tisch gewiesen. Dieser erklärte dann, daß er ein Faß Freibier geben werde, was mit allgemeiner Anerkennung begrüßt wurde! Als das Faß angesteckt worden war, brachte er eine Flasche Wein, zur Stärkung der beiden ›Helden des Abends‹, wie er sich ausdrückte. Es wurden die drei Zeugen bestimmt und die Dokumente verlesen, welche der mitanwesende Ortsrichter in Aufbewahrung nehmen sollte. Dieser lehnte aber ab, weil er sich nicht an einer Sache beteiligen dürfe, welche trotz aller Umschreibung doch nichts anderes als ein Glücksspiel sei. Darum sollte ein anderer unparteiischer Mann bestimmt werden, die[487] Papiere an sich zu nehmen. Da ging die Tür auf, und wer trat herein? Marie, die ›Klöppelmeisterin‹. Sie kam nicht allein; sie hatte eine Freundin bei sich.

»Ja, was ist denn das? Was willst denn du hier bei uns in der Gaststube?« fragte der Wirt. »Weiber gehören doch nicht hierher!«

Sie errötete zwar, als sie aller Augen auf sich gerichtet sah, antwortete aber doch mit fester Stimme:

»Ich gehöre dahin, wo der Anton ist. Er will mein Mann sein und ich seine Frau. Ich darf also nicht dabei fehlen, wo es darauf ankommt, ob wir das Bergle behalten werden, das wir heute an dich bezahlt haben. Denn daß es bezahlt ist, das steht doch in den Papieren, die ich da in deinen Händen sehe?«

»Ja,« antwortete er. »Ich wollte sie dem Ortsrichter in Aufbewahrung geben; der will sie aber nicht.«

»So weiß ich jemand, der da will.«

»Wer ist das?«

»Ich selbst. Gib sie her; ich hebe sie auf.«

Sie zog sie ihm schnell aus der Hand und steckte sie ein, noch ehe er es verhindern konnte.

»Das nenne ich aber resolut!« rief er aus.

»Bei einem Damenspiel gehören die Preise nicht in die Hände von Männern.«

»So! Na, ganz wie du willst! Aber wenn das eine Papier gewonnen hat, so wird das andere sofort zerrissen!«

»Ja, zerrissen und verbrannt,« nickte sie. »Wann geht es los?«

»Punkt acht.«

»Nicht eher?«

»Nein. Wir müssen doch erst den Wein zusammen trinken.«[488]

Dabei begann er, die Gläser zu füllen.

»Der Anton ist zum Spielen, aber nicht zum Trinken verpflichtet worden. Er geht jetzt mit uns noch eine halbe Stunde spazieren. Es ist erst halb. Wenn es ganz schlägt, sind wir wieder da. Komm, Anton!«

»Tausendmal gern!« antwortete dieser, stand auf und verließ mit den beiden Mädchen die Stube.

Der Wirt schaute ganz verblüfft hinter ihnen drein, griff unwillkürlich zum vollen Glase, stürzte den Wein hinunter und rief aus:

»So eine Wetterhexe! Da hört doch alles auf!«

Er machte ein so betroffenes Gesicht, daß sich ein allgemeines Gelächter erhob. Einer, den es nach dem Wein gelüstete, trat hinzu, goß wieder voll, nahm das eine Glas und rief:

»Musterwirt, denke einmal, daß ich der Anton bin, und tue mir Bescheid. Ich trinke dir zu, daß du gewinnen mögest. Das kannst unmöglich abschlagen!«

Ein anderer folgte diesem Beispiele. Der Wirt konnte gar nicht anders, er mußte noch zwei Gläser austrinken. Man trank ihm auch in Biergläsern zu. Er tat hier und da Bescheid, wenn auch nur wenig; aber als die halbe Stunde vorüber war, fühlte er deutlich, daß der Wein und das Bier sich nicht miteinander vertragen wollten. Eins blieb unten sitzen; das andere begann, ihm in den Kopf zu steigen. Er konnte viel vertragen, aber der Aerger über die unerwartete Einmischung des Mädchens war ihm auf die Nerven gefallen. Er befand sich in einer Aufregung, welche ihm die zu seinem Vorhaben nötige Ruhe fast vollständig raubte. Darum rief er, als Anton um acht Uhr seine beiden Begleiterinnen wieder mit hereinbrachte, diesen zornig zu:[489]

»Was wollt ihr schon wieder hier? Ich spiele mit ihm, aber nicht mit euch!«

»Wir spielen ja gar nicht mit; wir sehen nur zu,« antwortete Marie, indem sie an den Tisch trat. »Es ist Zeit. Ihr könnt anfangen!«

»So geht hinweg! Hierher gehören nur wir zwei!«

Er sagte das in einem solchen Tone, daß sich unter den Gästen tadelnde Stimmen erhoben.

»Wer es ehrlich meint, braucht uns nicht zu fürchten,« antwortete Marie. »Wir gehören hierher, denn wir haben die Preise einstecken. Wir setzen uns!«

Nun wagte er nicht mehr, zu widersprechen. Er nahm also Anton gegenüber Platz. An den beiden anderen Seiten saßen die Mädchen. Es war bestimmt worden, daß niemand herbeitreten dürfe, um zuzusehen. Das Spiel begann. Anton war bei vollster Ruhe. Wenn er nicht auf das Brett sah, hatte er nur Augen für seine Verlobte, die kein Wort sagte, ihm aber von Zeit zu Zeit lächelnd zunickte, meist aber den Wirt sehr scharf im Auge behielt. Dieser gab sich erst Mühe, gleichgültig oder gar überlegen zu scheinen. Bald aber stemmte er das Gesicht in beide Hände und starrte finster auf die vierundsechzig Felder, welche vor seinen Augen zu tanzen begannen. So oft er seinen Trick anwenden und den Gegner fest anschauen wollte, begegnete er Mariens Augen. Das regte ihn noch mehr auf. Als er aus diesem Grunde wieder einen falschen Zug getan hatte, fuhr er sie an:

»Was hast nur immer mich anzuglotzen! Ich mag deine Blicke nicht. Sie bringen mir Unglück!«

»So schau aufs Spiel und nicht auf sie!« antwortete Anton an ihrer Stelle. »Man wird sich[490] doch wohl nicht die Augen verbinden müssen, wenn man hier bei dir ist!«

Hierauf wurde es wieder still, bis nach längerer Zeit der Wirt jubelnd ausrief:

»Endlich, endlich habe ich dich! Das war ein Meisterzug von mir, wie ich fast noch keinen getan habe! Ich stand schlecht, sehr schlecht. Ich wußte fast nicht mehr, wohin. Nun aber habe ich dich gefaßt! Paß auf! Ich schlage dir jetzt einen – – zwei – – – drei Steine und bin im Siege, denn du mußt – – –«

Da hielt er erschrocken inne. Er hatte, während er es sagte, die drei feindlichen Steine geschlagen; aber als er hierauf den seinen hinter den letztgeschlagenen setzte, bemerkte er, daß ihm eine Falle gelegt worden war.

»Was muß ich denn?« fragte Anton lachend. Er sah, daß sein Mädchen vor Schreck bleich geworden war. Darum fuhr er fort: »Darfst nicht ängstlich sein, Marie! Es war nur die Nase, an der ich den Musterwirt geführt habe. Er hat mir drei Steine genommen. Ich opferte sie mit List denn nun komme ich hinterher. Merk auf! Ich schlage ihm dafür einen – – zwei – – drei – – vier Steine und setze den meinen hierher und tue noch einen darauf, denn er steht an dem Rande und ist jetzt eine Dame! Wie steht es mit dem Bergle und mit der dreijährigen Arbeit, Musterwirt?«

»Schweig!« herrschte ihn dieser an. »Was machst erst ein Gesicht wie ein neugeborenes Unschuldskind und haust mich dann mit allen Fäusten gleich über beide Ohren! Ich scharwerkiere mich schon wieder heraus. Darauf gebe ich dir mein Wort!«[491]

Er sann und sann, getraute sich aber nicht, zu ziehen.

»Ja, wenn ich nicht so dumm gewesen wäre, eine englische zu verlangen, da ginge es wohl noch!« gestand er wütend ein. »So aber sitzt deine Dame grad auf dem Mittelfelde und nimmt mir alle Steine weg, ich mag nun kommen, wie ich will!«

»Gibst dich also verloren?«

»Nein; fällt mir gar nicht ein! Gewinnen kann ich sie nicht, aber eine ›unendliche‹ muß es werden; da halten wir auf und fangen eine neue an!«

»Mag sein! Versuch' es!«

Das klang zustimmend. Darum schaute Marie besorgt zu Anton auf. Dieser zwinkerte ihr mit den Augen heimlich zu. Das beruhigte sie wieder. Endlich hatte sich der Wirt entschlossen. Er tat einen Zug und sagte:

»Hier ist dein Stein. Ich setze dir den meinen hin. Schlag' ihn damit!«

»Mit dem Stein? Willst mich mit Worten betrunken machen? Ich soll mit dem Steine schlagen, damit du wieder schlagen kannst? Ich schlage mit der Dame, einen – – zwei – – drei Steine. Wie steht es nun mit der ›unendlichen‹, Musterwirt?«

Da sprang der Kleine auf.

»Hole dich der Deixel!« brüllte er. »Ich habe nur noch zwei Steine, du aber sechs und dazu die Dame! Das Spiel ist aus! Ich habe das Bergle verloren! Und warum? Weil ich den Wein getrunken habe, den der Anton trinken sollte, und weil diese Klöppelhexe da mich nicht eine Minute lang aus ihren Augen gelassen hat. Hier ist der Lohn dafür da – da – da und da – und da!«[492]

Bei diesen Worten raffte er die Steine vom Brette zusammen und warf sie dem Mädchen in das Gesicht. Dieses aber stand auf, zog das eine Papier aus der Tasche, zerriß es und sagte:

»Daß du mich wirfst, Musterwirt, das ist mir keine Schande, sondern ein Vergnügen. Hier habe ich die drei Jahre zerrissen. Das Papier über das Bergle aber tragen wir schon morgen auf das Amt, wo du nachkommen kannst, um den Kauf zu unterzeichnen. Du mußtest diese zweite Partie verlieren, weil du die erste schon an mich verloren hattest. Jetzt weißt du nun, ob unser Mitspieler, der Herrgott, etwas über dich vermag oder nicht. Wir aber halten Wort: Er soll seine Freude über uns haben!«

»Ja, das soll er!« stimmte Anton bei. »Paßt auf, was ich jetzt tue.«

Er nahm das Damenbrett in beide Hände, holte aus und schlug es auf die Tischkante nieder, daß es auseinanderbrach. Die Stücke warf er weit von sich und fuhr fort:

»So wahr ich dieses Brett zerbrochen habe, so wahr wird mich niemand wieder bei einem Spiele zu sehen bekommen! Die Marie hat mir die Augen geöffnet. Man sagt, daß das Brett keine Karte sei; aber wenn dabei die Leidenschaft aus der einen Seite steht, so taucht auf der anderen auch sogleich der Teufel auf. Ich mache nicht mehr mit. Das Bergle ist mein. Ich habe es mit meiner letzten Dame gewonnen. Darum soll es von heute an nicht anders als nur das Damenbergle heißen. Gute Nacht, ihr Gäste! Gute Nacht auch, Musterwirt! Ich sage dir Dank für deinen Wein, den ich trinken sollte, aber nicht getrunken habe, weil mein guter Engel kam, um mich aus der Versuchung[493] zu erlösen. Komm, Marie! Wir haben Mondschein. Wir wollen hinaus zu dem lieben Damenbergle gehen und ihm sagen, daß es nun unser ist!«

Er nahm die beiden Mädchen an den Händen und ging mit ihnen fort, über die Wiese hinüber, bis der gewonnene Preis des Abends vor ihnen lag. Der Mond lächelte mit unverkennbarer Freundlichkeit und Güte zu ihnen nieder, und das Bergle sah wie eine von durchsichtigem Silber umsponnene, kleine Märcheninsel aus, auf welcher es hell-lichte Freude über den neuen Besitzer gab.

»Weißt, Marie, was ich machen werde, wenn du nichts dagegen hast?« sagte Anton.

»Nun, was?« fragte sie.

»Ich baue das Häusle wirklich, von dem ich gesprochen habe.«

»Hast denn ein Geld dazu?«

»Nein.«

»Wovon willst es denn bauen?«

»Von Holz und Stein. Ich nehme keinen Baumeister, keine Maurer und auch keine Zimmerleute. Ich mache alles selber. Das bringe ich schon zusammen. Für meine Musterarbeit brauche ich drei Stunden am Tage. Die übrige Zeit baue ich. Das Holz zu den Balken leiht mir der Förster. Die Steine breche und sprenge ich mir aus dem Bergle selbst heraus; das kostet nichts, und ich bekomme dadurch Platz und Land für das Gärtle. Wenn ich recht fleißig bin, kann ich bis zum Winter fertig sein. Dann kommst du und machst das Stüble und die Kammer fertig. Einen Ziegenstall baue ich auch dazu, damit die Abfälle nicht verloren gehen, sondern in Milch verwandelt werden.[494] Und wenn dann im Frühjahr alles fertig und hübsch beisammen ist, so lassen wir die Schneeglöckchen und Narzissen blühen und machen zu Ostern die Hochzeit. Bist einverstanden? Gelt?«

»Ja, wenn du so schön bauen kannst, so muß es wohl so werden,« antwortete sie. »Und daheim gibt es einen Schlüssel für meine Schublade, in der wohl an die fünfzig Taler liegen, die ich mir zusammengeklöppelt habe. Davon kannst du dir immer einen holen oder zwei oder drei oder fünf, wenn du sie brauchst. Denn die Wäsche und das andere alles, was ein Mädchen nötig hat, um Frau zu werden, das liegt schon fertig da.«

»Du willst mich also wirklich, wirklich nehmen?«

»Ja.«

»So gib mir einen Kuß auf dieses Wort!«

»Nein, heut' noch nicht. Den gibt's erst am Altar. Willst du mir das versprechen, Anton? Lieb haben wollen wir uns, so recht von Herzen lieb. Und arbeiten wollen wir. Und wenn das Häusle fertig ist, so kommt der Lohn dafür. Das ist der erste Kuß, und da müssen zwei dabei sein, nämlich der Herrgott und der Herr Pfarrer. Ist dir das recht?«

»Du willst es, und so bin ich einverstanden.«

»Ich danke dir! Nun gehen wir nach Haus. Brauchst mich nicht zu begleiten, wir sind ja zu zweien. Wie ich dich kenne, so bleibst noch ein bißchen da, schaust dir das Bergle an und gehst auf der Wiese hin und her, um über das Häusle nachzudenken. Morgen kommst dann zum ersten Mal zu mir in die Stube und sagst mir, wie es ausschaut und wieviel Fenster es haben wird. Nicht wahr?«[495]

»Ja,« antwortete er, glücklich lachend. »So wird es wohl sein.«

»Da hast meine Hand. Gute Nacht, Anton! Von jetzt an bist mein Bräutigam!«

»Und du meine Braut. Gute Nacht, Marie!«

Auch der Freundin wurde die Hand gedrückt; dann gingen die Mädchen heim. Marie fühlte sich unendlich glücklich. Als sie sich zur Ruhe gelegt hatte, konnte sie noch nicht schlafen. Erst betete sie. Dann dachte sie über sich und ihr armes, arbeitsvolles Leben nach. Sie war als vater- und mutterloses Waisenkind von Gemeindewegen an den Wenigstfordernden ausgeboten worden. Da hatte sich eine unterstützungsbedürftige Witwe gefunden, welcher das Kind mit einem Erziehungsbeitrag von wöchentlich einem Achtgutegroschenstück übergeben worden war. Dieser Beitrag hatte aber auch zugleich die materielle Grundlage für die Zukunft ihrer eigenen Kinder gebildet. Wieviel da auf jedes hungrige Mädchen kam, das kann man sich wohl denken. Die kleinen Händchen lernten niemals spielen. Kaum, daß sie sich bewegen konnten, trat die Arbeit schon an sie heran. Die Witwe war eine Spitzenklöpplerin, und es stellte sich heraus, daß Marie für diese Beschäftigung eine seltene Begabung besaß. Als sie die Schule verließ, konnte man ihr schon die verwickeltsten Muster anvertrauen. Sie brachte mehr fertig als jede andere, und jetzt gehörte sie zu den wenigen Glücklichen, die nicht mehr für den Massenunternehmer, sondern nur noch auf lohnende Privatbestellung zu arbeiten brauchten. Hierdurch war das Waisenkind nun eine kräftige Stütze für die Witwe und ihre Kinder geworden. Die älteste Tochter derselben, eben jenes Mädchen, welches mit Marie heute[496] beim Musterwirt gewesen war und nächstens mit einem armen Weber Hochzeit machen wollte, hatte es nur der geschickten und unermüdlichen Ziehschwester zu verdanken, daß sie das nicht mit leeren Händen zu tun brauchte. Wegen dieser Geschicklichkeit wurde Marie allgemein die ›Klöppelmeisterin‹ genannt. Sie war dem Musteranton schon seit langer Zeit gewogen, aber daß ihr heimlicher Wunsch in der Weise, wie es heute geschehen war, in Erfüllung gehen könne, das hatte sie nicht für möglich gehalten. Sie war mit einem Male nicht nur Braut, sondern sogar Grundeigentümerin geworden. Konnte man es da für verwunderlich halten, daß der Traum, als sie endlich einschlief, zu ihr trat und ihr die Schublade, von welcher sie gesprochen hatte, mit lauter, lauter, lauter blanken, funkelnagelneuen Talern füllte? Als sie früh erwachte, erinnerte sie sich sogar, daß auch einige sehr, sehr große Papiergelder dabei gewesen seien.

Als sie das während des frugalen Frühstückes erzählte, meinte die Witwe, daß es Träume gebe, welche keine Schäume seien. Und da ging auch schon die Tür auf, und der Anton trat herein.

»So früh?« fragte Marie staunend. »Es ist erst sieben Uhr!«

»Ja, erst sieben,« nickte er vergnügt. »Am liebsten aber wäre ich schon um zwei oder drei gekommen.«

»Weshalb?«

»Ich wollte gern deine Schublade sehen.«

»Brauchst schon Geld? Ich gebe dir's gern. Wieviel?«

»Mach' nur erst auf. Dann sag' ich's dir!«

Sie holte den Schlüssel und öffnete die Kommode, um die Lade aufzuziehen. Da lagen an die fünfzig[497] Taler; sie war davon fast halb voll! Er aber nahm keinen einzigen heraus, sondern er tat das gerade Gegenteil, indem er in seine eigenen Taschen langte und eine Hand voll Silbergeld nach der anderen hervorzog und in die Schublade legte, die fast ganz voll wurde.

»Da hast auch von mir noch fünfzig,« sagte er. »Lauter frische, blanke, funkelnagelneue Taler! Und da sind auch noch zwei Hunderttalerscheine dazu. Deshalb komme ich so früh. Schau her!«

Er zeigte sie ihr und sah ihr dabei mit strahlenden Augen in das erstaunte Angesicht.

»Aber – – – Anton – – – das – – das – – – das habe ich – – – das habe ich ja heute nacht geträumt!« rief sie aus.

»Ja, das hat sie geträumt,« bestätigte die Witwe, welche sich mit ihren Kindern froh herbeigedrängt hatte. »Und ich habe ihr gesagt, daß derartige Träume in Erfüllung gehen.«

»Den Traum mußt du mir später erzählen, denn jetzt habe ich keine Zeit,« sagte er. »Ich muß mit dem Musterwirt in die Stadt, wo wir den Kauf des Bergle auf dem Amt fertig machen.«

»Er weigert sich also nicht?« fragte Marie.

»Vielleicht war er es gewillt, aber die Geschichte mit den fünfhundert Talern hat ihn anders gestimmt.«

»Fünfhundert – –?«

»Ja. Ich habe ihm versprechen müssen, höchstens nur dir davon zu erzählen. Gegen andere soll ich schweigen. Komm mit heraus! Da will ich es dir berichten.«

Sie folgte ihm aus der Stube in das Freie, wo er mit ihr einen weichrasigen Feldweg einschlug. Indem[498] sie da nebeneinander hergingen, erzählte er ihr folgendes:

»Als du fort warst, gestern abend, tat ich, was du gesagt hattest: Ich schaute mir das Bergle an und dachte über das Häusle nach. Ich hatte mich grad auf der Stelle niedergesetzt, wo du standest, als du sagtest, das du mein sein willst. An dieser Stelle wollte ich bleiben. Es stand ein Kräutlein Augentrost da; das pflückte ich mir ab und tat es an die Brust. Hier ist es noch.«

»Und noch nicht verwelkt?« bemerkte sie errötend.

»Ich habe es dann zu Hause in das Wasser gestellt,« erklärte er. »Als ich so dasaß, lag das Bergle grad vor mir. Wenn ich die Augen öffnete, zeigte es sich mir im klaren Mondschein. Wenn ich sie zu machte, um nachzusinnen, dann sah ich das Häusle. Erst undeutlich. Aber je mehr ich nachdachte, desto deutlicher stand es vor meiner Seele. Endlich sah ich alles ganz bestimmt, das Dach mit dem Schornstein, vorn weit hervorragend, wegen der Sonne und des Regens, das Kämmerle oben und das Stüble unten, daneben der Ziegenstall mit dem Boden für das Winterfutter darüber. Da habe ich gerechnet und gemessen, wie lang und wie breit alles werden soll. Ich bin aufgestanden, um die Front und die Tiefe abzuschreiten, und als ich alles richtig gewußt habe, da hat es mir keine Ruhe gelassen; es hat mich förmlich gezogen und gestoßen; ich habe über den Steg hinübergemußt und das Bergle hinauf, um zu sehen, ob es nicht wohl gar zu klein ist für die Maße, die ich mir ausgesonnen hatte. Es war ganz hell. Ich konnte jeden Stein und jede Pflanze sehen. Aber ich hatte keinen Pflock und keine Schnur, um richtig auszumessen. Indem ich[499] sann, wie dem abzuhelfen sei, sah ich einen Haufen kleiner Steine. Sie waren feucht, wahrscheinlich von dem Tau. Wenn ich mir aus diesen Steinen Linien legte, so war es leicht, den ganzen Grundriß auf dem Boden zu bezeichnen. Ich begann mit dieser Arbeit, die schnell vorwärts ging. Der Haufen wurde kleiner, immer kleiner. Schon schaute die Erde darunter hervor. Da hörte ich es plötzlich klingen. Es war wie Silber oder ein anderes Metall. Ich schaute schärfer hin, und was sah ich liegen? Taler an Taler, ganz eng nebeneinander! Man hatte sie hierher getan und mit den Steinen zugedeckt. Du kannst dir denken, daß ich die übrigen Steine nun schnell und sorgfältig entfernte, um keine Münze mit fortzuwerfen. Als ich damit fertig war, funkelte mir der Schatz im Mondenschein silbern in die Augen. Ich zählte ihn. Es waren fünfhundert Taler, keiner mehr und keiner weniger. Ich suchte weiter nach. Ich grub sogar in den Boden. Aber ich fand weiter nichts. Da tat ich das Geld in mein Sacktuch und in die Taschen, um es heimzutragen. Ich stieg das Bergle hinab, ging über den Steg und dann über die Wiese, war aber noch nicht ganz hinüber, wer kam mir da entgegen? Der Musterwirt!

›Wo kommst du her?‹ fragte er mich.

›Vom Bergle,‹ antwortete ich.

›Was hast du dort so spät zu treiben?‹

›Einen Schatz habe ich gegraben. Musterwirt, das Bergle war dein, von heut' abend aber ist es mein. Hast du dort Geld versteckt?‹

Er antwortete nicht sogleich. Mir kam es vor, als ob er nicht erstaunt, sondern erschrocken sei. Dann fragte er mich:

›Hast du dort welches gefunden?‹[500]

›Ja.‹

›Wieviel?‹

›Rate es!‹

›Es werden die fünfhundert Taler sein, welche mein Oheim, der frühere Besitzer, während der Revolutionszeit dort versteckt hat, weil er sich vor den Freischärlern fürchtete. Es waren lauter neue Talerstücke, geprägt im Jahre 1846. Er starb noch während der Revolution. Später fand ich einen Zettel in der Bibel, worauf das versteckte Geld verzeichnet war, aber nicht der Ort, wo es lag. Nun kommst du jetzt mitten in der Nacht daher und sagst, du habest es gefunden. Komm zu mir! Es ist mein Eigentum!‹

›Deines? Nein, sondern meines!‹

›Wieso?‹

›Auf dem Dokumente steht, daß das Bergle mein volles, unbestrittenes Eigentum sei, so wie es liegt und steht.‹

›Aber doch nicht das Geld!‹

›Das gehört zum Bergle, auf dem es gelegen hat!‹

Hierauf hat er angefangen, mit mir zu streiten. Er hat absolut nicht nachgeben wollen, bis ich gesagt habe, daß ich das Geld in das Gericht tragen werde, welches entscheiden möge, wem es gehöre. Da ist er zu meinem Erstaunen plötzlich ganz klein geworden und hat mich um einen Vergleich gebeten. Ich hätte ihm gewiß und gern das ganze Geld gegeben; aber ich weiß nicht, wie es kommt, daß ich nicht an die Geschichte von seinem Oheim glauben kann, der doch gestorben ist, als die Revolution längst vorüber war. Die Sache hat einen Haken, den ich kennen lernen möchte. Das sagte ich ihm ganz offen und ganz ehrlich, worauf er mir den Vorschlag machte, das Geld mit[501] ihm zu teilen. Ich ging einstweilen hierauf ein, sagte ihm aber, daß ich meinen Teil nicht als mein festes Eigentum, sondern als eine Hypothek auf mein Häusle betrachten werde. Sobald sich der richtige Eigentümer finde und mir beweise, daß er es sei, solle er das Geld zurückerhalten. Dann habe aber auch er seinen Teil herauszugeben. Er gab mir keine Antwort und forderte mich auf, mit zu ihm zu kommen, weil wir hier auf der Wiese doch nicht teilen könnten. Im Gasthofe schlief schon alles. Wir waren ganz allein. Als ich ihm seine Hälfte vorzählen wollte, bat er mich um die sämtlichen Stücke. Sie seien noch wie ganz neu, und er liebe neues Geld. Er wolle mir anderes dafür geben. Ich war bereit dazu, und er ging, das andere zu holen. Als ich nun so allein dasaß, kam mir ein Gedanke. Ich traue dem Musterwirt nicht. Ich will den Haken entdecken, den es mit diesem Gelde hat. Da darf ich es nicht ganz von mir geben. Ich muß wenigstens einen Teil davon behalten, um es aufzuheben. Darum gab ich ihm dann nur für die zwei Hunderttalerscheine Silber; die übrigen fünfzig Taler aber behielt ich für mich. Er wollte das absolut nicht zugeben, doch ich blieb fest. Er bot mir sogar zehn Taler mehr; ich ging aber nicht darauf ein, weil dieses Verhalten mich nur noch stutziger machte. Als er sah, daß er hieran nichts ändern könne, beruhigte er sich, doch mußte ich ihm Verschwiegenheit geloben. Ich sagte ihm, daß ich vor dir niemals ein Geheimnis haben möge, und er gab diese einzige Ausnahme zu. Darauf ging ich ein, denn wenn ich einmal sprechen muß, so kann ich es durch deine Zunge tun und halte doch mein Wort. Hierauf hat er es mir ganz von selbst angeboten, mit ihm um acht Uhr nach der Stadt zu[502] fahren, um beim Gericht den Kauf des Bergle eintragen zu lassen. Schau, da oben kommt er schon mit dem Wagen. Er will mich abholen. Er weiß nicht, daß ich zu dir gegangen bin. Ich muß eilen, daß ich ihm da unten auf der Straße gleich begegne. Darf ich heute abend kommen, um dir zu berichten?«

»Ja. Anton, ich bitte dich, hüte dich vor ihm!«

»Das tue ich schon von selber. Er hat mir, als ich heute nacht von ihm ging, bessere Bezahlung für meine Muster versprochen. Das hat mich noch vorsichtiger gemacht. So oft der Musterwirt Gutes zu tun scheint, hat er Böses im Sinne! Jetzt aber muß ich eilen. Leb' wohl, Marie!« – – –

In den nächsten Tagen kam es zuweilen vor, daß ein dumpfer Knall im Dorfe zu hören war.

»Der Musteranton sprengt sein Damenbergle auseinander,« sagte man.

Fast noch mehr aber interessierte man sich für die Neuigkeit, daß der Musterwirt einen reichen Kompagnon bekommen habe, der Frommhold Uhlig heiße und dem Geschäft einen höheren Schwung verleihen wolle. Sie seien schon seit langer Zeit bekannt; das könne man daraus ersehen, daß der Kompagnon die Tochter des Wirtes heiraten werde. Nun wisse man auf einmal, warum ihr keiner der hiesigen Burschen vornehm und gut genug gewesen sei. Die Vorbereitungen zur Vermählung wurden in größter Oeffentlichkeit getroffen, und als der Tag kam, gab es eine Hochzeit, zu der beinahe das ganze Dorf geladen war.

Man hatte erfahren, daß der Bräutigam sich mit wohl hunderttausend Talern an dem Geschäft beteiligen werde, wenn auch nur nach und nach, weil so ein Unternehmen um so solider sei, je langsamer es wachse.[503] Es war also kein Wunder, daß man ihm überall mit der größten Höflichkeit begegnete. Dennoch wurde er, dem hiesigen Sprachgebrauche gemäß, nur mit seinem Vornamen genannt, und zwar mit der Veränderung, welche der erzgebirgische Dialekt mit sich bringt: Herr Frömmelt, anstatt Frommhold. Auf das ›Herr‹ hatte er auch in den Fällen nicht zu verzichten, daß er später mit diesem oder jenem Brüderschaft machte. Es klingt da oben so gar nicht übel, wenn man jemand sagen hört: »Wie geht es dir, Herr Frömmelt?« oder beim Kartenspiele: »Das mit dem Eichelsolo, das hast du ganz verkehrt gemacht, Herr Frömmelt!«

An seinem Hochzeitstage gab es ein Ereignis, welches ihm fast alle Gäste wohl mehrere Stunden lang entzog. Und wohin? Hinüber nach dem Bergle! Grad als er mit seiner Braut vor dem Altar stand, ertönte ein gewaltiger Krach. Der Musteranton hatte beim Sprengen mehrere Lunten zugleich in Brand gesetzt, und so geschah es, daß die Detonationen zusammentrafen. Man hörte den Schüssen an, daß sie eine große Wirkung hervorgebracht haben mußten. Welcher Art diese Wirkung war, das erfuhr man, als der aus der Kirche zurückkehrende Hochzeitszug am Gasthofe anlangte. Der Anton war zwar auch zum Feste geladen worden, hatte aber verzichtet, zu erscheinen, weil es nicht für nötig gehalten worden war, auch Maria mit einzuladen. Jetzt kam er aber doch, freilich nicht im hochzeitlichen Kleide, sondern im Arbeitsanzuge und bestaubt und beschmutzt vom Kopf bis herab zu den Füßen. Er hatte etwas in der Hand.

»Wo ist der Herr Bergwerkssteiger, der mit geladen ist?« rief er in den festlichen Zug hinein.

»Hier!« antwortete der Beamte.[504]

»Bitte, schauen Sie an, was ich hier habe! Was ist das wohl?«

Der Steiger nahm den Gegenstand, warf einen Blick auf denselben und rief dann aus:

»Alle Wetter! Das ist ja gediegenes Silber! Wo haben Sie das her?«

»Aus meinem Bergle.«

»Wann gefunden?«

»Soeben jetzt. Es ist noch mehr da.«

»Wo ist dieses Bergle?«

»Gleich da drüben am Wasser.«

»Wem gehört es?«

»Mir.«

»Nicht dem Fiskus?«

»Nein.«

»Das ist ein Ereignis! Meine Pflicht ruft mich hinüber. Bitte, führen Sie mich!«

Er verließ den Zug. Andere folgten sogleich. Die Kunde von dem plötzlichen, unerwarteten Funde ging wie ein Lauffeuer durch das Dorf. Am fünften Hause hieß es: »Der Musteranton hat Silber gefunden, eine ganze Stufe!« Am zehnten: »Der Musteranton hat einen ganzen Tragkorb reines Silber gefunden!« Am fünfzehnten: »Der Musteranton hat drei zweispännige Fuhren Silber aus dem Bergle herausgesprengt!« Und so wuchs die Menge des Metalles von Minute zu Minute so an, daß die Bewohner des letzten Hauses hörten: »Das Damenbergle ist ganz aus gediegenem Silber. Es liegt bis tief in den Erdboden hinein. Der Musteranton wird mit einem Schlage der größte Millionär!«

Was Beine zum Laufen hatte, das lief zum Bergle hinaus. Im Gasthof saß für einige Zeit das Hochzeitspaar[505] mit dem Brautvater ganz allein am Tisch. Dann aber ging die Aufregung ebenso schnell wieder zurück. Aus dem ganzen Bergle von Silber wurden die »drei zweispännigen Fuhren«, aus diesen der »ganze Tragkorb voll«, aus ihm die »ganze Stufe«, und als man endlich wieder auf das »Stück gediegenen Silbers« gekommen war, von welchem der Steiger gesprochen hatte, saßen die Hochzeitsgäste alle wieder beisammen und auch der Steiger dazu. Als er aufgefordert wurde, seine Ansicht herauszusagen, warf er diesem Gaste ein Ag2S zu; einem anderen gab er das Ag5SbS4 zu verstehen; ein dritter bekam das Ag3AsS3 zu hören, und als er einem vierten gar das (Ag2Cu2)S + Sb2As2S3 mit 64 bis 72 Prozent Silber über die ganze, lange Speisetafel hinunterrief, da hörte man auf, ihn zu belästigen, und er hatte erreicht, was er erreichen wollte: Er konnte essen und trinken, ohne bei jedem Bissen das silberne Damenbergle mit hinunterschlucken zu müssen.

Und wie hier an der Festtafel, so ging es in der folgenden Woche auch drüben am Wasser, welches so ruhig und still wie vorher rund um das jetzt ganz auseinander gesprengte Bergle floß. Es war eine gelehrte Kommission dagewesen. Hierauf wurden mehrere praktische Bergleute gesandt, die alles auf- und umwühlten. Was gefunden wurde, nahm man mit, und als der Musteranton dann nach der Stadt ging, um sich seine »Millionen« auszahlen zu lassen, bekam er grad und genau fünfhundert Taler auf den Tisch gelegt, die er schmunzelnd einsteckte und quittierte.

»Ich bin sehr froh, daß es nicht mehr geworden ist!« sagte er daheim zu Marie, als er ihr diese Summe brachte, damit sie von ihr aufbewahrt werde. »Das[506] Geld hätte mich vielleicht zum Protzen gemacht, der nicht mit seinem Häusle auf dem Bergle zufrieden ist, sondern es grad so verkehrt anfängt wie jetzt der Musterwirt, der nun mit seinem ›Herrn Frömmelt‹ einen Palast errichtet, der gar nicht in die Armut unseres Webertales paßt!«

Das kleine Männle baute nämlich auch. Es war über Antons Silberfund erst außerordentlich erschrocken gewesen. Als aber das geringe Resultat bekannt wurde, beruhigte es sich schnell. Die paar Taler, welche mit dem Bergle verloren gegangen waren, wurden durch die Geschicklichkeit des neuen Kompagnons ja hundertfach ersetzt. Es kam jetzt gar viel Geld ins Haus. Was aber nützt dieses Geld, wenn man nicht zeigen darf, daß man es hat! Es galt also, den Leuten einen Weg vorzutäuschen, auf dem es scheinbar verdient worden war. Das Mustergeschäft wurde erweitert. Herr Frömmelt knüpfte Verbindungen mit dem Auslande an, sogar mit Amerika. Man brauchte also mehr Maschinen zum Schlagen der Karten als bisher, und infolgedessen größere Räumlichkeiten. Dabei verstand es sich ganz von selbst, daß an dieser Erweiterung auch der Gasthof teilzunehmen hatte. Es war ein großer Tanzsaal nötig, damit der arme Weber sich auch einmal ein Vergnügen machen könne. Dazu gehörte unbedingt eine chemische Schnapsfabrik, denn Schnaps ernährt das Blut, gibt also Leben. Auch ein Verkaufshaus für alle möglichen Waren, wo dem mittellosen Arbeiter geborgt wird, was er braucht; nur muß er sich verpflichten, nie anderswo zu kaufen, wenn er die Arbeit behalten will. Sodann hat man den vielen, kleinen, selbständigen Unternehmern zu zeigen, daß man die Macht besitzt, alles in einer Hand zu[507] vereinigen. Es ist unsagbar vorteilhafter für das Volk, wenn einer viel verdient, als wenn viele wenig oder nichts verdienen. Er hat sie dann zu ernähren. Kurz und gut, der Musterwirt war bisher bei diesem Namen genannt worden, weil er neben seiner Schankwirtschaft auch die Musterschlägerei betrieb; von nun an aber wollte er der Volkswirtschaft die Muster liefern, nach denen der arme Mann sich in sein Schicksal zu fügen hat! Darum mußte gebaut werden, groß, breit und hoch!

Die Aufsicht über den Bau übernahm Herr Frömmelt. Sein Schwiegervater konnte das nicht, weil er jetzt sehr oft verreiste. Die neuen Geschäftsverbindungen erforderten das. Daß er bei seiner Heimkehr stets größere Summen mit nach Hause brachte, aber nie in Kassenscheinen, das brauchte niemand zu wissen, obgleich es schon im ganzen Dorfe bekannt geworden war, daß Herr Frömmelt einen unauslöschlichen Haß auf papierenes Geld geworfen hatte. Auch konnte er neue Taler nicht gut leiden.

So wuchs aus dem kleinen Gasthof eine lange, mehrere Stockwerke hohe Straßenfront heraus, welche die Firma ›Etablissement zum Musterwirt‹ bekommen sollte. Die arme Weberbevölkerung wußte gar nicht recht, woran sie eigentlich damit war. Der große ›Ballsaal‹, welcher gebaut wurde, wollte nicht mit ihren geringen Arbeitslöhnen harmonieren. Als dann an den neuen Parterrefenstern die Namen von über zwanzig Schnäpsen in goldenen Buchstaben zu lesen waren, da schüttelte man den Kopf, ging aber doch hinein, um sie zu kosten. Da gab es Tische, welche für das Kartenspiel besonders hergerichtet waren. Das hatte man noch nie gesehen. Später wurde der Verkaufsladen[508] eröffnet. Er bestand aus mehreren Abteilungen. Jedes Fenster hatte nur eine einzige, große Scheibe. Die aus der Stadt verschriebene Bedienung war ungeheuer höflich. Die Erwachsenen wurden nur mit ›Herr‹ und ›Madame‹ angeredet, die Schulmädchen mit ›Fräulein‹. Und was das ganz Besondere war: Man brauchte nicht gleich Geld. Wenn man fünf Groschen zahlte, so bekam man ein Buch, in welches alles eingetragen wurde. Man hatte nur zu unterschreiben, daß man bei keinem anderen kaufen werde, sonst sei der Betrag sofort gerichtlich auszupfänden. Man konnte alles haben, was der Mensch zur Nahrung, Kleidung und zur Wirtschaft brauchte. Daher kam es, daß ein jeder, der nur für einige Pfennige Pfeffer oder Salz in seinem Buche stehen hatte, auch gleich einen Sonntagsrock, ein Federbett, ein Möbel oder gar auch einen Ackerpflug geborgt bekam. Das war doch fein! Die Anerkennung für die beiden Musterwirte wuchs ein ganzes Jahr hindurch fast in das Himmelblaue hinein. Denn sogar den Schnaps, das Bier, den Tanz brauchte man nicht sogleich mit barem Gelde zu bezahlen. Es gab dafür besondere kleine Karten, die man ›Konsumbillets‹ nannte. Als es im nächsten Jahr zu einer Pfändung kam, der bald einige andere folgten, blieb den Betroffenen nichts, als das nackte Leben übrig, aber sie hatten es auch verdient, weil sie während dieser ganzen Zeit mehr im Gasthofe als daheim zu sehen gewesen waren.

Es verstand sich ganz von selbst, daß die menschenfreundliche Geschäftsführung der Musterwirte nicht bloß in ihrem Wohnorte anerkannt wurde. Man kam auch von den anderen Dörfern her, um bei ihnen einzukaufen. Die zwei Herren ›Buchhalter‹, welche angestellt[509] worden waren, konnten mit vollem Recht erzählen, daß es in der Umgegend Tausende von ›Ein kaufsbüchern‹ gebe, deren Besitzer nur von der ›Kulanz‹ ihrer beiden Prinzipale abhängig seien. Man munkelte zuweilen, daß dieser oder jener so tief ›in der Kreide stehe‹, daß er wohl kaum werde bezahlen können. Hörte man dann, daß er seine ganze Schuld mit einem Male berichtigt habe, so pflegte man scherzhaft zu sagen, daß wahrscheinlich das ›Geldmännle‹ bei ihm gewesen sei.

Es kam eine Zeit, in welcher man behauptete, daß es keinen gebe, der nicht in den Schuldbüchern der beiden Musterwirte verzeichnet sei. Dann fügte man aber stets zwei Ausnahmen hinzu, indem man den Herrn Pastor und den Musteranton nannte. Diese beiden standen ganz gewiß nicht darin.

Der Herr Pastor war ein gar eigener Charakter. Er stand sich mit allen Leuten gut, auch mit den beiden Musterwirten, die zu seinen besten Kirchenbesuchern gehörten. Aber als er einmal von Herrn Frömmelt gefragt wurde, ob er nicht auch ein Konto bei ihm haben wolle, antwortete er, jeder Mensch stehe schon bei dem Herrgott so tief im Konto, daß er seine irdischen Sachen unbedingt bar zu bezahlen habe. Das soll sogar ein wenig ironisch geklungen haben, was gar nicht zu verwundern war, weil der Herr Pastor überhaupt eine ironische Ader besaß, aus welcher auch die allerliebste Erzählung von Pluto und Vulkan stammte, denen das ›Musterbergle‹ bei der nachherigen größeren Ausführung so wunderbar in die Breite gelaufen war.

Und was den Anton betrifft, so sagte man von ihm, seine Marie sehe es nicht gern, wenn er mit den beiden Wirten mehr verkehre, als seine Musterzeichnerei für sie unbedingt erfordere. Was er brauchte, das[510] kaufte er, ebenso wie der Herr Pfarrer, in dem einzigen Laden, den es noch gab, weil die anderen alle durch die gewaltige Konkurrenz des ›Etablissements‹ erdrückt worden waren. Der Ertrag des Silbers hatte im Verein mit der stillen Hypothek hingereicht, das geplante Häusle auf- und auszubauen. Es war sogar ein Sümmchen übrig geblieben. Das Gärtle war entstanden, dazu ein Brückle über den Bach. Dann hatten die Schneeglöckchen und Narzissen geblüht, und hierauf war eine stille, aber frohe Hochzeit gehalten worden, mit nur ganz wenigen Gästen, nämlich dem Herrn Pastor und der Witwe samt den Kindern. Die älteste Tochter derselben hatte sich inzwischen verheiratet und kam mit ihrem Manne sehr oft ins kleine Häusle. Sie brachten später ein allerliebstes Büble mit, welches Hermännle hieß, und dessen Hauptvergnügen es war, sich auf die Ziege zu setzen, um zu reiten. Als er das schon beinahe konnte ohne sich halten zu lassen, machte er einst gar große Augen, als die Marie ihm ein ganz, ganz, ganz kleines Kindle zeigte, welches sie ihr ›Herzle‹ nannte. Es war in ein Bettle gebunden und nur allein für ihn gebracht worden, um seine Gespielin und Gefährtin zu werden. Das freute ihn so, daß er ihr sofort die Ziege schenken wollte, die er ganz gewiß keinem anderen Menschen angeboten hätte. Es wurde ihm aber bedeutet, daß Ziegen keine passenden Geburtstagsgeschenke seien.

Grad an dem Tage, als sich dieses ›Herzle‹ eingestellt hatte, war bei Herrn Frömmelt etwas Aehnliches passiert. Es kam für ihn ein Töchterlein, welches eine gar bedeutende Stimme hören ließ und das große ›Etablissement‹ in Alarm versetzte. Eine Woche später gab es zwei Kindtaufen, eine große und eine kleine. Der Schreihals bekam den Namen Rosalie. Welcher[511] Name dem anderen Kinde gegeben wurde, das ist vollständig nebensächlich. Die Mutter hatte es ihr ›Herzle‹ genannt, und was eine Mutter sagt, das gilt fürs ganze Leben.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß der alte, kleine Musterwirt sich dem Anton als Pate für sein Herzle angeboten hatte. Er glaubte, ihm damit eine große Ehre zu erweisen. Der Anton aber hatte das nicht eingesehen, sondern gesagt:

»Wenn du Pate stehen willst, so tue es bei deinem Enkel, der dir doch näher liegt, als mein Herzle. Ehe ich dich mit zum Taufstein nehme, müßte ich erst wissen, was es mit dem Gelde für eine Bewandtnis hat, welches ich damals unter den Steinen gefunden habe. Von Pluto und Vulkan kann das nicht stammen, sonst hätte es der Herr Pfarrer mit erzählt.«

Dieses Geld machte nämlich dem Musteranton noch immer sehr zu schaffen. Er besaß die fünfzig neuen Taler noch. Durch einen davon hatte er ein Loch gemacht, um ihn an sein Uhrband zu hängen, und dabei war ihm dieser Taler so fettig blau, so bleiern vorgekommen. Als er die anderen hierauf durchschaute und auf dem Tische klingen ließ, kamen sie ihm verdächtig vor. Sonderbarerweise fiel ihm sogleich das Geldmännle ein. Konnten Münzen, welche im Jahre 1846 geprägt worden waren, jetzt noch wie neu aussehen, zumal sie im Freien unter einem Steinhaufen gelegen hatten? Warum war der Musterwirt so bemüht gewesen, sie alle in seine Hand zu bekommen? Er war ein kleines hageres Männchen, was ganz genau zu dem Ausdrucke ›Geldmännle‹ paßte. Man sprach jetzt wieder oft von diesem geheimnisvollen Fälscher. Warum betonte der neue Kompagnon so oft und so sehr, daß er neue[512] Taler nicht leiden möge? Warum konnte er Kassenscheine ganz und gar nicht ausstehen? Etwa weil –? Hm!

Auch in Beziehung auf seine Arbeiten, welche er den Musterwirten lieferte, waren dem Anton Bedenken aufgestiegen. Er war nämlich bisher der einzige Musterzeichner gewesen, den der Kleine gehabt hatte. Nun gab es einen Kompagnon mit hunderttausend Talern Einlage. Man hatte das Geschäft erweitert, eine Menge neuer Verbindungen angeknüpft, und hierauf eine Menge von Bestellungen erhalten, wie man sagte. Wie kam es da, daß er noch immer der einzige Zeichner war? Er wußte, daß in kleinen, unbedeutenden Geschäften oft drei, vier oder noch mehr Zeichner sitzen und den ganzen Tag, von früh bis abends, zu tun hatten. Warum war er da allein? Bei dem gestiegenen Bedarf? Und seine ganze Arbeit konnte er in drei Stunden täglich vollauf verrichten! Wie stimmte das zusammen? Es hatte geheißen, daß auch die Musterschlägerei erweitert werde, nun aber schien sie im Gegenteil ganz eingestellt worden zu sein. Die ganze, angebliche Vergrößerung des Geschäftes bestand also höchstens in dem ausgedehnten Versand von Antons Mustern. Das aber konnte doch unmöglich so viel Geld einbringen, wie man den Leuten glauben machte.

Von jedem neuen Webmuster, welches Anton erfand, wurden Platten angefertigt, damit es in der erforderlichen Auflage gedruckt werden könne. Dazu hatte es früher einen besonderen Arbeiter gegeben; der war aber entlassen worden. Herr Frömmelt machte das in eigener Person und ging dabei so außerordentlich geheimnisvoll zu Werke. Es ist zwar erklärlich, daß man beim Drucken neuer Muster keine fremden Menschen, wohl gar Konkurrenten an sich kommen läßt, aber daß[513] selbst ihm, dem Anton, dem Erfinder dieser Zeichnungen, der Eintritt in die Stube verboten war, in welcher die neue Druckmaschine stand, dazu gab es doch keinen haltbaren Grund. Oder wurden vielleicht nicht nur Muster dort gedruckt, sondern auch noch andere Sachen, von denen niemand etwas erfahren durfte?

Dieser letzte Gedanke war dem Anton gekommen, er wußte nicht woher. Und er konnte ihn nicht wieder los werden, obgleich er sich die größte Mühe gab. Er trug ihn mit sich herum und sann über ihn nach Tag und Nacht. Es war ihm, als ob es sich hierbei auch um das Geheimnis mit den neuen Talern handle, und so kam er schließlich zu dem Entschluß, die Druck- und auch die Matrizenstube einmal ganz genau in Augenschein zu nehmen, was aber nur ganz heimlich geschehen konnte. Er behielt diesen Entschluß aber nur für sich und sagte nicht einmal seiner Marie etwas davon. Er hatte ihr schon auch gar nicht die Bedenken mitgeteilt, die ihn in letzter Zeit bewegten, weil er es nicht für nötig hielt, ihr Glück mit quälenden Gedanken zu trüben. Am allerwenigsten grad jetzt in diesen Tagen, wo der Herr und die Dame aus Brüssel so großen Wohlgefallen an ihr und dem kleinen Herzle gefunden hatten.

Es war nämlich vor einigen Tagen ein fremdes Ehepaar in das Dorf gekommen, welches das Erzgebirge bereiste, um die dortige Spitzenklöppelei zu studieren. Der Mann war ein Belgier und besaß ein Versandgeschäft in echten Brüsseler Spitzen. Er hatte erfahren, wie geschickt Marie sei, und hatte sie mit seiner Frau besucht. Diese hatte ihnen verschiedene Arbeiten vorgelegt und dazu eine Menge Muster, welche von Anton für sie gezeichnet worden waren. Dieser hatte[514] nämlich die größte Freude daran, mit ihr vor dem Häusle unter dem Dache zu sitzen und für sie zu zeichnen. Während die junge, glückliche Mutter die Klöppel fleißig klingen ließ und das jetzt vier Jahre alte Herzle sich Mühe gab, der Ziege das Liedchen ›Weißt du, wieviel Sternlein stehen‹, nachsprechen zu lassen, hatte der Vater das Zeichenpapier vor sich liegen und ließ Muster um Muster vor sich entstehen, von denen eines immer schöner als das andere war. Sonderbarerweise gab es aber kein einziges dabei, in dem sich nicht irgendwo und irgendwie ein Herzle befunden hätte. Auf diese Weise hatte er schon Hunderte von Mustern angefertigt, die alle in der Kommode lagen, um nach und nach geklöppelt zu werden. Das gab einen Vorrat, der wohl für ein ganzes Menschenleben ausreichte.

Diese Sammlung hatte Marie dem fremden Herrn gezeigt. Er sah bald sie, bald ihre Spitzen, bald auch die Muster und bald auch das Herzle an, schaute dann am Häusle hinauf und am Gärtle hinab und rief dabei aus:

»Aber liebe Frau, was sind Sie bei all Ihrer Armut doch so reich, ganz ohne es zu wissen! Können Sie schweigen?«

»Ja,« antwortete sie, erstaunt über diese sonderbar klingende Frage.

»Auch Ihr Mann?«

»Der erst recht!«

»Und das Herzle mit der Ziege jedenfalls auch!« lachte er vergnügt. »Darum werde ich Ihnen einen Vorschlag machen, von welchem niemand etwas erfahren darf. Sie arbeiten von jetzt an nur für mich, und zwar nach diesen, Ihren Herzlemustern. Ich sage Ihnen[515] aufrichtig, daß ich Ihre Spitzen als echte Brüssler verkaufen werde. Darum die Verschwiegenheit, um welche ich Sie bitte. Dafür aber bekommen Sie einen Arbeitslohn, wie ihn so hoch kein Mensch in Sachsen hier bezahlt. Ich werde mit Ihrem Manne alles Nötige feststellen. Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?«

Sie war natürlich sofort einverstanden. Das Herzle wurde auch gefragt; es nickte. Die Ziege schüttelte zwar den Kopf dazu, aber das konnte auch von der großen Fliege sein, die sich ihr gerade eben jetzt auf die Nase gesetzt hatte. Es wurde also für Einwilligung genommen.

Die Herrschaften kamen wieder, als der Anton da heim war. Da wurde alles notiert und unterschrieben. Die vorhandenen Spitzen packte man ein, nachdem sie sofort bezahlt worden waren, und zwar so gut, wie Anton und Marie es gar nicht für möglich gehalten hätten. Das Geschäft war abgeschlossen, und die beiden Fremden brauchten also das Bergle eigentlich nicht mehr zu besuchen. Sie kamen aber doch. Warum? Die Bewohner des Häusle hatten es ihnen angetan; das Glück, welches bei diesen wohnte, war ein Magnet, dem man nicht widerstehen konnte. Besonders hatte die Dame es auf das kleine Herzle abgesehen. Am liebsten hätte sie es mit nach Brüssel genommen, an Stelle des einzigen Kindes, welches ihr dort gestorben war. Aber die Eltern gaben es nicht her! Als sie endlich abreisten, taten sie es nicht anders: Marie mußte sich samt dem Herzle zu ihnen in den Wagen setzen um mitzufahren und in der Bahnhofsstadt noch einen ganzen Tag bei ihnen zu bleiben.

»Diesen Tag müssen Sie uns noch schenken, für[516] Sie zur Erholung und für uns zum besseren Abschiednehmen!« so bat die Dame.

Anton gab seine Erlaubnis gern. Marie war noch nie aus dem Dorfe hinausgekommen; er gönnte seiner Frau die große Ehre, die ihr durch diese Einladung widerfuhr, und so kam es, daß er heute den beiden ihm liebsten Wesen zum ersten Male die Hand zum Abschied reichte. Er tat es lächelnd, denn er wußte ja, daß er sie schon morgen wiedersehen werde.

Als er dann drüben im ›Etablissement‹ in der Zeichenstube saß, an deren Tür das fremde Wort ›Atelier‹ geschrieben stand, kam es ihm vor, als ob der sonst so gefügige Stift ihm heute nicht gehorchen wolle. Er fühlte eine Unruhe, welche er bisher nicht gekannt hatte. Er ging sehr oft hinaus; die Luft im Zimmer wurde ihm zu schwer. So wie heute ihm, muß es jemandem zu Mute sein, der etwas Böses getan hat oder an dem etwas Böses geschehen soll!

Der alte Musterwirt war nicht daheim. Er hatte gestern eine seiner häufigen Reisen angetreten, die manchmal nur einen Tag, oft aber auch noch länger dauerten. Der Kompagnon, Herr Frömmelt, ging soeben aus dem Hause und nach dem Niederdorf. Er hatte den Spazierstock in der Hand, ein Zeichen, daß es sich um einen längeren Ausgang handelte. Anton beschloß, auch zu gehen, und zwar nach Hause. Er brachte hier doch nichts fertig; vielleicht ging es besser, wenn er unter seinem Vordächle im Freien saß und an sein gutes Weible dachte. Er setzte also den Hut auf den Kopf und ging.

Als er unten im Hausflur an der Tür vorüber wollte, an welcher ›Druckerei und Stereotypie‹ zu lesen war, blieb er überrascht stehen, weil er sah, daß der[517] Schlüssel steckte. Das war noch nie der Fall gewesen, denn wenn sich einer der beiden Musterwirte darin befand, hatte er die Tür von innen verschlossen. Jeder von ihnen besaß einen Schlüssel zu diesen beiden Räumen. Nun waren beide nicht da, und Herr Frömmelt hatte vergessen, den Schlüssel abzuziehen. So eine treffliche Gelegenheit, die längstgehegte Wißbegierde zu befriedigen, stellte sich vielleicht im Verlaufe von Jahren nicht wieder ein. Anton beschloß, sie sofort auszunützen. Niemand war da. Kein Mensch sah, daß er hineinging und die Tür hinter sich wieder zuzog. Sie zu verschließen, wie es der Wirt machte, getraute er sich nicht; er hatte kein Recht dazu.

Da stand die Presse. Der Tisch war eingeschoben. Er zog ihn heraus. Fast hätte er vor Schreck laut aufgeschrieen. Die Platten enthielten keine Muster, sondern es waren die korrespondierenden Seiten von Hunderttaler- und Hundertguldenscheinen. Die Tür zur Stereotypie stand offen. Sie war von doppelt starkem Holze und an beiden Seiten mit Eisenblech beschlagen. Dazu hatte sie diesseits einen schweren, doppelten Eisenriegel. Das sah fast wie eine Gefängnistür aus. Anton ging hinaus. Allerlei Flaschen und Gläser standen zu beiden Seiten des Herdes, auf welchem das Feuer ausgegangen war. Aber Holz lag darauf, zum schnellen Anbrennen fertig gemacht. Es gab Stücke von gehackten Bleistangen und Silberplatten. Am Boden lagen zwei Prägstöcke. Er betrachtete den einen. Er war für Talerstücke vom Jahre 1850. Dieser Raum hatte kein einziges Fenster, der Vorsicht halber. Er mußte von einer Lampe erleuchtet werden, welche von der Decke hing. Sie brannte jetzt nicht, doch fiel das nötige Licht von der Druckstube herein.[518]

Es wurde dem Anton himmelangst; er fühlte, daß er wankte. Sein Kopf begann, ihm weh zu tun.

»Hinaus, nur hinaus aus dieser Falschmünzerhöhle!« dachte er. Er drehte sich um, um diesen Gedanken auszuführen. Da ging die vordere Tür auf, und – Herr Frömmelt trat herein. Es war ihm anzusehen, wie mächtig er erschrak.

»Der Musteranton!« rief er aus, aber nicht etwa laut schreiend, sondern grimmig fauchend, wie eine wilde Katze, die angeschossen worden ist. »Es fiel mir unterwegs ein, daß ich den Schlüssel stecken gelassen habe. Wie gut ist das! Da erwische ich dich!«

Er machte die Tür hinter sich zu und hielt dem Anton die geballten Fäuste hin. Seine Augen blitzten. Sein ganzes Gesicht war Haß und Zorn.

»Nein, sondern ich erwische dich!« antwortete der Zeichner. »Ich werde sofort zur Polizei gehen und ihr mitteilen, was ich soeben gesehen habe!«

»Das – – das tust du nicht!« hohnlachte der Wirt.

»Ich tue es, so wahr ich vor dir stehe!«

»Es wäre dein Untergang!«

»Nur der deinige, nicht aber der meinige. Jetzt weiß ich endlich, woher die falschen Taler stammen! Den einen habe ich hier noch an der Uhr; die anderen neunundvierzig liegen daheim in der Kommodenschublade. Weißt doch auch, wo ich sie gefunden habe?«

»Mein Schwiegervater hat es mir erzählt. Ich sollte dich gleich hier auf der Stelle niederschlagen; aber ich tue es nicht, denn ich bin ein guter Christ, kein Mörder. Versprich mir, zu schweigen, so wirst du ein steinreicher Mann!«[519]

»Nicht um tausend Millionen! Ich mache Anzeige; das ist meine Pflicht.«

»Ist das dein letztes Wort?«

»Ja, mein einziges und letztes. Deine Fäuste fürchte ich nicht. Ich habe auch welche!«

Da wurde das Gesicht des Herrn Frömmelt plötzlich ein ganz anderes. Der Grimm verschwand; es sah fast freundlich aus.

»So habe ich nichts dagegen,« sagte er. »Aber du weißt noch nicht alles, und wenn du zur Polizei gehst, mußt du ihr doch alles sagen können. Ich habe für solche Leute, wie du bist, etwas erfunden, wovon sogar mein Schwiegervater noch nichts weiß. Darum gibt es kein Fenster hier. Es ist sehr interessant. Ich werde es dir zeigen, und wenn du es gesehen hast, so wirst du gern und willig mit mir einverstanden sein.«

»Niemals!«

»O doch! Komm her zu mir zum Herd, daß du siehst, wie schnell es geht, dich in meinen Freund zu verwandeln!«

Anton trat näher hin. Ob er hier stand oder dort, das machte ja nichts aus. Der Wirt goß den Inhalt einer halbvollen Flasche auf das Holz des Herdes.

»Das ist Spiritus,« sagte er, »damit es schnell brennt.« Er zündete dann ein Streichholz an und schob es an das Feuchte. Die Flamme loderte sofort hoch auf. Dann holte er eine andere große, zugepfropfte Flasche herbei, warf sie in das Feuer und sagte:

»Sie wird zerspringen, sobald sie heiß geworden ist. Dann bist du mir gewogen. Wo ist deine Frau mit dem Kinde? Sie fuhr mit dem Fremden fort.«[520]

»In der Bahnhofsstadt. Sie kommt erst morgen wieder,« antwortete Anton.

Da tat es einen Knall. Sofort stieg ein dicker Qualm aus dem Feuer.

»Was ist denn das?« fragte er.

»Das wirst du sehr bald merken,« antwortete Herr Frömmelt. »Jetzt, Musteranton, zeige mich an, zeige mich an, bei welcher Polizei du willst! Ich lache euch beide aus, dich und sie!«

Bei diesen Worten sprang er zur Türe hinaus, warf sie zu und schob den Doppelriegel vor. Der so plötzlich Gefangene schlug mit den Fäusten von innen an die Platte. Aber beides, Holz und Eisen, war so stark, daß man es fast gar nicht hörte.

»Den habe ich fest und sicher,« grinste der Wirt, indem er tief aufatmete. »Der sagt kein Wörtchen mehr! In zwei Stunden ist er tot, erstickt in den giftigen Dünsten! Heut' in der Nacht trage ich ihn dann hinaus an das Bergle und werfe ihn in das Wasser. Da denkt man, er sei von der Brücke hineingefallen und ertrunken. Vorher aber nehme ich ihm den falschen Taler von der Uhr und die anderen aus der Schublade. Den Schlüssel hat er jedenfalls einstecken. Wie gut, daß seine Frau heute nicht im Häusle ist! Und wie werden sich meine Frau und mein Schwiegervater darüber freuen, daß ich mir das Dunstwerk doch noch angeschafft habe, ganz hinter ihrem Rücken. Sie wollten gar nichts davon wissen!«

Nun schob er den herausgezogenen Pressentisch wieder hinein. Dabei sagte er:

»Vor zwei, drei Stunden darf ich die Tür zum Anton nicht berühren. Wenn ich es täte, so käme[521] der Rauch herein, und ich würde selbst sogleich umgeworfen werden. Ich setze also den Spaziergang fort, von dem die Angst um den vergessenen Schlüssel mich heimgetrieben hat. Die Polizei! Lächerlich! Da, wo der Anton jetzt eben hingeht, gibt es sicher keine!«

Er schloß die vordere Tür zu, steckte den Schlüssel ein und ging zum zweiten Male nach dem Niederdorfe hinunter, mit größter Höflichkeit begrüßt von allen, welche ihm begegneten. Er dankte mit dem freundlichen, leutseligen Lächeln, welches er für alle Menschen hatte.

In der Gaststube hatte seine Frau am Fenster gestanden und ihm nachgesehen. Am anderen Fenster saß die Schenkmamsell, die gerade nichts zu tun hatte, weil keine Gäste da waren.

»Der junge Herr ging fort,« sagte sie. »Da oben kommt der alte!«

Sie hatte recht gesehen. Der kleine Wirt kehrte heim, kaum fünf Minuten später, nachdem sein Schwiegersohn gegangen war. Er sah seine Tochter am Fenster stehen und winkte ihr zu, herauszukommen. Im Flur trafen sie zusammen.

»Dieses Mal ist es sehr gut gegangen,« raunte er ihr zu. »Ich bringe fast lauter Goldstücke. Komm mit herein in die Druckerei!«

Er zog seinen Schlüssel aus der Tasche, schloß auf, trat mit ihr ein, schloß von innen zu und zog den Schlüssel wieder ab. Daß hierauf Stunden vergingen, ohne daß die beiden in die Stube zurückkehrten, fiel der Schenkmamsell nicht auf. Sie war dergleichen Absonderlichkeiten gewohnt. Als es dämmerte, stellte sich Herr Frömmelt wieder ein. Er fragte nach seiner Frau, die er nicht sah, und erfuhr, daß sie hinaus zum Vater gegangen sei, als dieser vor drei[522] Stunden von seiner Reise kam. Da griff er, sichtbar erschrocken, zum nächsten Lichte und eilte hinaus. Sein Schreck war so groß, daß er dabei die Gaststubentür ganz offen stehen ließ. Die Mamsell folgte ihm bis zu derselben hin. Sie sah, daß er die Tür zur Druckerei aufschloß. In dieser wurde es von seinem Lichte spärlich hell. Die jenseitige Tür zur Stereotypie war geöffnet worden. Ein scharfer, stechender Geruch drang in den Flur hinaus. Herr Frömmelt schrie:

»Er hat sie nachgeholt; er hat sie nachgeholt!«

Dann fiel das Licht aus seiner Hand; es wurde da drüben dunkel. Das Mädchen konnte diesen Ausruf nicht begreifen. Sie wäre Herrn Frömmelt vielleicht gefolgt aber sie wußte, daß man nicht hinüber durfte, und soeben schloß er hinter sich zu. – – –

Quelle:
Das Geldmännle. In: Erzgebirgische Dorfgeschichten. Karl Mays Erstlingswerke. Band I. – Dresden-Niedersedlitz (1903). S. 439–648, S. 476-523.
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