1.

Der Diamantenraub

[741] Es war das prächtigste Haus von Ustjug Weliki, welches die alte, fromme Gräfin von Smirnoff mit ihrer wunderschönen Tochter Paulowna bewohnte, und die schwer solide Einrichtung dieses gräflichen Hauses war ganz geeignet, ein sprechendes Zeugniß von dem unerschöflichen Reichthume der beiden Damen zu geben.

Der Sommer neigte sich zur Rüste, und der Herbst begann, mit seinem Früchtesegen die Aeste und Zweige der Obstbäume zu beschweren, so daß sie sich tief herab zur Erde beugten und, um nicht zu brechen, fester Stützen bedurften. Paulowna promenirte in den Gängen des hinter dem Hause gelegenen Gartens. An ihrer Seite schritt ein Mann, welcher sich bemühte, sie mit einem angelegentlichen Gespräche zu fesseln.

Er mochte am Ende oder am Anfange der dreißiger Jahre stehen, war groß, kräftig und schlank gebaut, hatte eine Adlernase, vielleicht nur ein wenig zu aristokratisch lang, einen etwas scharfen Blick, eine hohe, breite Stirn, frische, volle Lippen, und glänzend schwarzes Haar. Es war ein schöner Mann, aber er machte nicht den Eindruck eines angenehmen Mannes, nicht etwa, als wenn er ein schöner Mann gewesen wäre, von dem man hätte sagen müssen, er sei eben nichts als ein schöner Mann, im Gegentheile, es lag vielleicht nur zu viel Geist und Kraft in diesem Gesichte. Aber allerdings konnte man sich nicht klar werden, ob ein gewisser, allzustark hervortretender Zug des Bewußtseins geistiger Ueberlegenheit, oder ein nicht zu verkennender Ausdruck von Spott, oder ein zugleich lauernder und durchbohrender Blick der schwarzen Auges, ober was sonst dem Gesichte den Eindruck des Unbehaglichen, um nicht geradezu zu sagen, des Unheimlichen verlieh.

Es war der Oberst Graf Milanow, von dem man sich erzählte, er sei der erklärte Günstling des Zaaren und – in seinen Vermögensverhältnissen so derangirt, daß er Mühe habe, sich dem Drängen seiner unzähligen Gläubiger zu entziehen. Wäre seine fromme Tante, die Gräfin Smirnoff, ohne Erbin gewesen, so hätte ihm deren Hinterlassenschaft einst zufallen müssen; da dieser Weg der Rettung ihm aber nicht zu Gebote stand, so befand er sich gegenwärtig auf Urlaub bei ihr, um seinem Glücke auf eine andere Weise unter die Arme zu greifen: er befand sich im besten Zuge, Paulowna zu erklären, daß er ohne sie und ihre Gegenliebe nicht zu leben vermöge.

Sie hatte ihr kleines, weißes Händchen auf seinen Arm gelegt und hörte ihn mit einer Miene an, die so still, so unbeweglich war, daß man hätte meinen sollen, der Gegenstand ihres Gespräches sei ein profaner, so alltäglicher, daß es sich nicht der Mühe verlohne, darüber auch nur eine Wimper zu zucken.

»Wie gesagt, theures Cousinchen, ich sterbe vor Begierde, Dich als mein ewiges Eigenthum betrachten zu dürfen. Soll ich mit Mama sprechen?«

»Sage vorher, mein theurer Cousin, wie viele Minuten die Ewigkeit eines Offiziers zu dauern pflegt?«

»Du scherzest, bei einer so hochwichtigen Veranlassung, Paulowna?«

»Sind Eure Ewigkeiten wirklich so sehr wichtig? Mir sind sie, aufrichtig gestanden, zu kurz, und daher scheint es mir übel gethan zu sein, die dauernde, wenn auch ruhige Zuneigung eines liebenswürdigen Vetters mit der bald verlöschenden Flamme eines nach Abwechselug strebenden Anbeters umzutauschen.«

»Du behauptest, daß ich veränderlich sei?«

»Nichts Anderes. Ich kenne Dich; ich kenne Euer bewegtes Leben am Hofe und fühle in mir nicht die geringste Begabung für das Interessante und Abenteuerliche. Ich werde Deine Ansprüche nie befriedigen können und trete das Glück, welches Du mir bietest, an eine Würdigere ab.«

»Ist dies Deine feste Entschließung, Paulowna?«

»Meine feste. Es wäre mir lieb gewesen, Du hättest sie errathen, als mich zur Mittheilung derselben zu veranlassen.«

Er antwortete nicht, aber aus seinem dunklen Auge zuckte ein Blitz auf sie hernieder, der ganz geeignet war, ihr Besorgniß einzuflößen, wenn sie ihn bemerkt hätte.

Ein Zeitlang noch schritten sie schweigend neben einander her; dann verabschiedete sich Paulowna, um die Mutter aufzusuchen, der Graf aber schritt dem hinteren Theile des Gartens zu, welcher von dichtem Gebüsch bestanden war. Kaum hatte er das Dickicht erreicht, so ertönte aus demselben der krächzende Ruf eines Kolkraben. Er klatschte leicht in die Hände, und sofort drängte sich zwischen den Zweigen ein junger, schmächtiger Mann hervor, aus dessen Zügen die verkörperte List und Verschlagenheit zu lesen war.

»Alles besorgt, Iwan?«

»Alles, Herr.«

»Den Brief geschrieben?«

»Ja.«

»Und abgegeben?«

»Auch.«

»In der neuen Livree?«

»Die mir ganz vortrefflich paßt,« nickte der Gefragte.

»Du verstehst Dich auf das Frisiren?«

»Ausgezeichnet.«

»Das Fräulein wird der Gräfin ähnlich sehen?«

»Vollständig.«

»Du hast alles Nöthige bei Dir?«[741]

»Es fehlt nicht das Geringste.«

»Und Du kennst die Pforte, welche vom Garten direct in den Keller führt?«

»Die Nachschlüssel waren schon gestern fertig. Ich habe mir heut Nacht jeden Winkel des Hauses ganz genau betrachtet.«

»Gut, so geh an Deinen Posten. Für Eure Sicherheit werde ich die beste Sorge tragen. Du bist in Petersburg der Polizei entsprungen. Gelingt der Streich, erhältst Du von mir eine hinreichende Summe, im Auslande zu verschwinden; gelingt er aber nicht, so liefere ich Dich zurück und Du bist verloren.«

Es war Iwan Wessalowitsch, der berüchtigte Petersburger Gauner. Er verbeugte sich mit slavischer Demuth vor dem Günstling des Kaisers, bei dem er, der Verbrecher, Zuflucht gefunden hatte, und verschwand dann lautlos wieder im Gebüsch.

Der Graf kehrte langsam in das Wohnhaus zurück und ließ sich bei der Gräfin Mutter melden, um ihr seinen Morgengruß darzubringen. Sie empfing ihn mit jener conventionellen Freundlichkeit, welche man für entfernte Verwandte zu haben pflegt, ohne ihnen weitere Rechte einzuräumen. Er schien diese Zurückhaltung, welche die alte, solide Dame dem verschwenderischen Neffen gegenüber zeigen zu müssen glaubte, nicht zu bemerken und nahm an einem der Fenster Platz, um der Vorlesung, die er unterbrochen hatte, scheinbar aufmerksam zuzuhören.

Die Gesellschafterin der Gräfin, ein junges Mädchen von derjenigen Schönheit, welche einen meist nur vorübergehenden, aber desto glühenderen Eindruck zu machen pflegt, las mit wohlklingender, salbungsvoller Stimme aus einer prachtvoll gebundenen Heiligenlegende vor, die gewöhnliche Lectüre der Gräfin, und es erforderte einen so ausgezeichneten Menschenkenner, wie der Graf es war, um hinter den gläubig frommen, kindlich einfältigen Zügen des schönen Wesens Etwas zu vermuthen, was mehr auf den Genuß des irdischen Lebens als auf den Gewinn der einstigen Seligkeit gerichtet war.

»Bis hierher, meine gute Wanka,« meinte endlich bei einem Abschnitte die Gräfin. »Lege Dir das Zeichen ein, damit wir diese herrliche Geschichte morgen nicht verfehlen. Findest Du sie nicht auch außerordentlich tröstlich für die Leiden dieses Daseins? Der Herr ist allezeit bei uns mit seiner Hülfe und thut Großes über unser schwaches Verstehen, wenn wir ihn im rechten Glauben darum bitten.«

»So ist es, meine gnädige Gräfin,« antwortete das Mädchen mit einem unwiderstehlich innig reinen Aufschlage ihres seelenvollen Auges. »Der Herr erhalte Ihnen dies selige Gottvertrauen in der Einsamkeit, die meine schwache Kraft vergebens Ihnen zu erleichtern sucht!«

»Ich danke Dir, mein liebes Kind! Leider hast Du Recht. Meine Tochter ist leider dem Wege des Heils entfremdet und nimmt nur ungern Theil an unsern religiösen Uebungen. Bis jetzt haben alle meine Gebete nichts gefruchtet, das verlorene Schäflein dem treuen Hirten wieder zu gewinnen, aber mit Deiner Hülfe wird es noch gelingen. Laß uns nur zusammenhalten in Bitten und Flehen, dann wird der Herr uns noch mit seiner Hülfe begnadigen. Jetzt aber ist es Zeit, zur Kirche zu fahren. Heut ist es an Dir, unsre täglichen Krankenbesuche zu machen.«

Mit einem gnädigen Neigen ihres Kopfes verließ sie das Zimmer. Mit einigen raschen, leisen Schritten stand der Graf vor der Gesellschafterin.

»Wanka, einen Kuß!«

Sie bot ihm lächelnd die vollen, rothen Lippen. Er zog sie fest an sich und küßte sie wiederholt.

»Du bist ein listiger Satan, Wanka! Hast Du noch Muth?«

Ihr Auge blitzte jetzt ganz anders, als es vorher geblickt hatte.

»Muth? Pah! Ist Alles vorbereitet?«

»Alles.«

»Und mein Antheil?«

»Wird Dir noch heut ausgezahlt.«

»Dann vorwärts! Ich habe für die Alte den Wagen zu bestellen; ich für mein Theil aber verzichte auf einen solchen. Demuth erhöht die Werke der Liebe.«

Es war ein höhnisches und zugleich schadenfrohes Lachen, welches ihre schönen Züge entstellte.

»So geh. Ich werde die Dienerschaft beschäftigen, bis der Coup gelungen ist.«[742]

Wanka ging in ihr Zimmer, zog sich zum Ausgehen an und verließ in demselben Augenblicke das Haus, an welchem die Gräfin in den Wagen stieg. Einige Zeit lang die Straße verfolgend, bog sie sodann in ein schmales Seitengäßchen ein, welches hinter den Gärten dahinführte. Bald gelangte sie an ein kleines Pförtchen, welches sie passierte und hinter sich verschloß. Sie befand sich im Garten des gräflichen Hauses.

»Wanka!« flüsterte es neben ihr im Busche.

»Iwan!«

Er trat hervor, faßte sie bei der Hand und zog sie, immer gedeckt von den Zweigen, fort bis an die Kellerthür. Er öffnete diese mit dem Nachschlüssel und zog sie durch Keller, Flur und über die Treppe, bis wieder in ihr Zimmer zurück, welches sie unbemerkt erreichten. Hier öffnete er das Paquet, welches er unter dem Arme mitgebracht hatte. Es enthielt eine Perrücke, Locken, eine falsche Nase und verschiedene Büchsen und Schächtelchen.

»Schnell, setze Dich. Wir haben nur noch zehn Minuten Frist.«

Sie nahm auf einem Stuhle Platz, und unter seinen kunstfertigen Händen hatte sie sich bald in eine alte Dame verwandelt, welche bei einigermaßen schwacher Beleuchtung recht gut für die Gräfin gehalten werden konnte.

»Nun das Kleid.«

Sie eilten in das Boudoir der Gräfin. Wanka legte ein seidenes Kleid derselben an und Iwan warf sich in eine Livree, welche sein Packet noch enthalten hatte. Dann stellte er sich an das Fenster, um durch die feinen Gardinen die Straße zu beobachten.

»Bisher ging Alles ganz vortrefflich,« meinte das Mädchen. »Die Hauptsache ist, daß der Graf die Domestiken beschäftigt.«

»Trage um ihn nur keine Sorge. Es ist ja in seinem eigenen Interesse, daß er sein Möglichstes thut.«

»Und das gnädige Fräulein? Wenn sie uns überrascht!«

»Auch daran habe ich gedacht; aber sie ist unschädlich. Der Deutsche ist bei ihr.«

»Wirklich?«

»Ich sah ihn kommen.«

»Dann werden sie so in die Zärtlichkeiten vertieft sein, daß sie für nichts mehr Augen und Ohren besitzen. Aber schau, da kommt der Juwelier. Rasch an die Thür, Iwan, daß er nicht klingelt!«

Leise, kaum hörbare Schritte ließen sich einige Augenblicke später auf dem mit einem dicken Teppiche belegten Vorsaale bemerken. Der Diener trat in das Vorzimmer, hinter ihm ein Herr, welcher einen kleinen Miniaturkoffer trug.

»Ich werde Sie sofort anmelden!« meinte der Erstere, indem er im Sprechzimmer verschwand.

Als er zurückkehrte, winkte er dem Juwelier zum Eintreten. Dieser sah sich der Gräfin gegenüber. Mit einer tiefen Verbeugung trat er auf sie zu.

»Gnädige Frau hatten heut die Güte, durch Dero Diener mir ein Billet zu handen zu stellen, in welchem – –«

»In welchem ich Sie ersuchte,« fiel sie ihm strafend, daß er die Unterredung begonnen habe, in das Wort, »mir Einiges von Ihren Vorräthen zur Ansicht zu bringen. Ich bin nämlich in der Lage, Ihnen mittheilen zu können, daß meine Tochter sich in nächster Zeit verheirathen wird, eine dringende Veranlassung für mich, Ihre kunstfertige Hand in Anspruch zu nehmen. Leider verhinderte mich ein kleines Unwohlsein, Sie in Ihrem Atelier aufzusuchen, daher sandte ich Ihnen mein Billet mit dem Wunsche, Sie bei mir zu sehen.«

»Dieser Wunsch war mir Befehl. Ich habe das Beste ausgelesen, um es Hoheit vorzulegen.«

»So kommen Sie!«

Sie führte ihn in das abgelegene Boudoir. Er merkte nicht, daß der Diener ihm leise durch die sammetnen Portièren folgte, und öffnete das Kofferchen. Kaum aber war dies geschehen, so erhielt er einen Schlag über den Kopf, daß er sofort besinnungslos zu Boden stürzte. Iwan beugte sich über ihn.

»Gut getroffen! Herunter mit der Maske. Dort steht die Waschtoilette!«

Er vertauschte die Livree im Handumdrehen mit seinem vorigen Anzug und half dann Wanka bei dem Reinigen ihres von den verschiedensten Farbestoffen entstellten Gesichtes.

»Nun fort, und zwar schnell. Du mußt zu Deinen Kranken, um nöthigen Falls Dein Alibi beweisen zu können!«

Sie verließen das Haus auf demselben Wege, auf dem sie es betreten hatten.

Quelle:
Nach Sibirien. Von Emma Pollmer. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878). Nr. 48, S. 757.
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