IX

Die Belagerung

[433] Der gefangene Baraja lehnte an dem Stamme eines Eichenbaumes, an welchen man ihn gebunden hatte. Er sah den Tod in seiner schrecklichsten Gestalt vor sich. Eine Abtheilung der Wilden vollführten um ihn einen fürchterlichen Rundtanz; Andere hatten in der Erwartung, daß Schwarzvogel bald das Zeichen zum Beginne der Marter geben werde, die eisernen Beschläge von den brennenden Wagen gerissen und waren beschäftigt, sie glühend zu machen, um sie als Werkzeuge der Tortur zu gebrauchen. Diejenigen, welche sich keine solchen Instrumente verschaffen konnten, spitzten Pfähle, schärften Messer oder schnitten Pflöcke, die dem Gefangenen in das Fleisch getrieben werden sollten.

Baraja stand schon jetzt alle Qualen eines schmerzhaften Todes aus. Er dachte an die schrecklichen Schilderungen des alten Benito und hätte jetzt dem Schützen für eine mitleidige Kugel gedankt, welche ihn von einem langsamen Tode erlösen konnte.

Einer der Indianer trat zu ihm. Eine große, vom[433] Dolche eines Weißen herrührende Wunde ging über seine Brust von einer Seite bis zur andern, und trotz des angelegten Rindenverbandes strömte das Blut noch daraus hervor. Er tauchte einen Finger in das Blut und malte auf das Gesicht Baraja's eine Demarkationslinie, welche von der Stirn bis herab zum Kinn reichte.

»Das Bleichgesicht wird mir die Hälfte seines Gesichtes geben. Die halbe Stirn, das Auge und die Wange sind mein. Ich werde sie ihm herabreißen, wenn er noch am Leben ist!«

Ein Anderer trat herzu.

»Der Skalp des Bleichgesichtes gehört mir. Ich habe den Weißen gefangen!«

Er strich ihm mit dem Messer so nahe um den Schopf, daß Baraja die Spitze desselben zu fühlen meinte.

Ein Dritter funkelte ihn mit grimmigen Augen an.

»Mir gehört dann der nackte Kopf des Bleichgesichtes; ich werde auf ihn das kochende Fett seiner Brüder gießen.«

Ein Vierter faßte ihn bei der Schulter.

»Wird das Bleichgesicht den Muth haben, den Todesgesang anzustimmen? Ich werde ihm die Zunge herausschneiden, wenn er schweigt!«

Ein vielstimmiges Geheul erschallte jetzt rundum. Es war ein Zeichen der Ungeduld. Die Wilden wünschten, daß ihnen ihr Opfer überliefert werde. Da erhob sich Schwarzvogel, um das Zeichen zum Beginne der Folter zu geben.

Aber noch sollte die Todesstunde Baraja's nicht gekommen sein. Aus dem Dunkel der Nacht trat eine fremde Gestalt an das Feuer, an welchem der Häuptling saß, Sie trug die Kleidung der Papagosindianer.[434]

»El Mestizo!« meinte Antilope, welcher an der Seite Schwarzvogels Platz genommen hatte.

»Ja, El Mestizo,« klang die stolze Antwort des Wüstenräubers. »Er kommt, um seine rothen Brüder zu begrüßen.«

»Welcher Pfad sah die Füße meines Bruders?« frug der Häuptling.

»Sein Pfad ging in das Land der Bleichgesichter, wo die Söhne der Apachen Pferde fingen.«

Schwarzvogel horchte auf.

»Hat mein Bruder die Kinder der Apachen gesehen?«

»Er hat sie gesehen und mit ihnen gekämpft. Die ›starke Eiche‹ ist gefallen und mit ihr alle Rothgesichter unter den Händen der Weißen.«

Es war eine schlimme Nachricht, welche der Mestize brachte, aber keine Muskel des ehernen Gesichtes des Häuptlings zuckte.

»Sie sind gegangen zu Manitou in die ewigen Jagdgründe. Schwarzvogel aber wird gehen zu den Bleichgesichtern und für jeden seiner Söhne zwanzig Skalpe holen. Mein Bruder blicke um sich; die Erde hat getrunken das Blut der Weißen schon heute, und nur Einer steht am Pfahle, um den Sieg der Apachen mit seinem Schmerzgewimmer zu verherrlichen.«

El Mestizo blickte zu dem Gefangenen hinüber.

»Erlaubt mir, mein rother Bruder, mit dem Bleichgesicht zu sprechen?«

»Mein Bruder thue, was er will!«

Der Räuber der Savanne trat zu Baraja.

»Wie ist Euer Name?«

»Baraja.«[435]

»Ihr gehört zu der Expedition, die ein Don Arechiza von Tubac aus in die Apacheria geführt hat?«

»Ja.«

»Habt Ihr Gold gefunden?«

Die Züge des Gefangenen erhellten sich. Er hörte aus der Sprache des Mestizen, daß dieser kein Indianer sei, und fertigte sich sofort einen Plan zur Rettung.

»Ja.«

»Wie viel?«

»So viel, daß man ganz Sonora dafür kaufen könnte.«

»Caramba, Ihr spaßt am Marterpfahle!«

»Fällt mir gar nicht ein. Ich habe Gold gesehen, sage ich Euch, Stücke wie meine Faust, eine ganze Wagenladung. Ein Block ist dabei, zweimal so groß wie mein Kopf. Wollt Ihr es haben?«

»Teufel, ob ich will!«

»So macht mich frei! Für mein Leben verrathe ich Euch die Bonanza.«

Der Mestize sah ihm in das Auge, als wolle er ihm mit diesem Blicke bis in die tiefste Seele dringen.

»Ihr sprecht die Wahrheit?«

»Bei der heiligen Jungfrau, ja!«

»Und das Gold ist wirklich so massenhaft zu finden?«

»Ja.«

»Wer weiß noch von der Bonanza?«

»Drei Weiße, die sich jetzt dort befinden.«

»Drei? Ihre Augenblicke sind gezählt! Doch sagt, habt Ihr schon einmal von El Mestizo gehört?«

»Von El Mestizo und Mani Sangriente, ja.«

»Ich bin El Mestizo. Nun wißt Ihr wohl, daß Euch[436] bei mir noch Schlimmeres erwartet, als bei den Apachen, wenn Ihr versucht, mich zu betrügen?«

»Ich lüge nicht,« antwortete Baraja, den gefürchteten Menschen jetzt mit schreckerfülltem Blicke betrachtend.

»Nun wohl, so werde ich versuchen, Euch frei zu bekommen!«

Er kehrte zu Schwarzvogel zurück.

»Schwarzvogel wird den weißen Mann nicht martern.«

»Er wird ihn martern.«

»Nein, denn El Mestizo sagt es. Mein rother Bruder wird das Bleichgesicht freigeben!«

Schwarzvogel erhob fragend sein dunkles Auge. Der Mestize war ein Mann, dessen Freundschaft selbst ein Apache ein Opfer bringen konnte, aber ein solches Verlangen hatte er doch noch nicht gestellt.

»Der weiße Mann ist mein Bruder.«

»Und dennoch wird er sterben.«

»Ich werde meinem rothen Bruder ein Lösegeld für ihn bezahlen.«

»Welches?«

»Viele hundert Pferde der Bleichgesichter sammt den Hirten.«

»Er wird sterben.«

»Er wird leben, denn El Mestizo wird bezahlen noch mit dem Skalpe des größten Comanchen, den die Savanne trägt.«

»Wie heißt der Hund von Comanchen?«

»Falkenauge.«

»Falkenauge?« Das Auge des Häuptlings blitzte grimmig auf, und auch Antilope konnte eine Bewegung[437] der Ueberraschung nicht unterdrücken. »Spricht mein Bruder die Wahrheit?«

»Hat El Mestizo schon einmal eine Lüge gesagt?«

»Schwarzvogel glaubt seinem Bruder. Er wird den Skalp von Falkenauge erhalten?«

»Ja.«

»Und die Pferde und Hirten der Bleichgesichter?«

»Ja.«

»Wo wird er sie finden?«

»Mein Bruder gebe mir zwölf seiner Krieger, um den Skalp des Comanchen zu holen, und ziehe mit seinen Kriegern sofort nach dem Büffelsee, wo ich mit ihm zusammentreffen werde. Dort sind die Bleichgesichter mit ihren Heerden.«

»Wann soll er dort sein?«

»Nach vier Sonnen.«

»Mein Bruder soll den Gefangenen erhalten. Er nehme zwölf Krieger der Apachen und ziehe fort. Nach vier Sonnen wird Schwarzvogel mit seinem ganzen Stamme am Büffelsee sein, um ihn zu treffen.«

Als El Mestizo sich entfernte, fuhr er, zu Antilope gewendet, fort:

»Schwarzvogel ist verwundet, er kann nicht gehen und nicht reiten. Er wird seine Krieger auf den Kriegskanoe's nach dem Büffelsee führen.«

»Wollte er nicht die drei weißen Jäger verfolgen?«

»Die ›Herren der Wälder‹ sind stark und klug. Sie werden am Wasser hinabgehen und von den Apachen erreicht werden. Antilope, mein Sohn, nehme zehn meiner Krieger zu sich, um auf ihren Spuren zu gehen. Am Büffelsee wird Schwarzvogel ihn erwarten.«[438]

Während der gewandte und scharfsinnige Häuptling auf diese Weise so schnell seinen Feldzugsplan entwarf, trat El Mestizo zu Baraja und durchschnitt mit dem Messer seine Fesseln.

»Ihr seid frei, für jetzt aber mein Begleiter. Der geringste Versuch der Flucht kostet Euch das Leben.«

Die Wilden wollten ihre Unzufriedenheit über die Befreiung des Gefangenen zu erkennen geben, beruhigten sich aber sofort, als sie hörten, welch ein Preis ihnen dafür bezahlt werden solle.

El Mestizo suchte sich zwölf kräftige Krieger aus und zog mit ihnen ab. Schwarzvogel versammelte beim verlöschenden Scheine der Feuer die andern und wandte sich mit ihnen dem Strome zu. Die Stätte, welche der Schauplatz eines längeren, barbarischen Festes hatte werden sollen, war in kurzer Zeit verlassen.

In einiger Entfernung von dem Lager stieß El Mestizo auf seinen Vater, welcher hier auf ihn gewartet hatte. Die Unterredung zwischen Beiden wurde von Diaz belauscht, und dieser jagte dem Goldthale zu. Allein die Nacht war finster, und das stolpernde Pferd Cuchillo's so müde, daß sein Ritt nicht die gewünschte Schnelligkeit erreichte. Zudem verirrte er sich einige Male in der Dunkelheit, und so kam er nur einige kurze Minuten vor den Indianern bei der Pyramide an.

Währenddem hatten die drei Jäger unter abwechselndem Wachen einen Theil der Nacht durchschlafen. Eben weckte Rosenholz Pepe, um ihm die Wache zu übergeben, als er das Geräusch nahender Hufschläge vernahm.

»Ein Reiter, Pepe! Wer mag das sein?«

»Wohl ein Flüchtling aus dem Lager. Wir haben[439] ja das Schießen gehört. Vielleicht sind die Rothen Sieger, und die Goldsucher fliehen nun zerstreut über alle Richtungen der Ebene.«

»Er hält gerade auf uns zu.«

Wirklich kam der Reiter bis hart an die Pyramide. Hier hält er sein Pferd an.

»Sennor Bois-rosé, Sennor Pepe, Don Fabian!«

»Ah, Sennor Diaz, Ihr!« antwortete der Kanadier, welcher den Rufenden an der Stimme erkannte. »Was giebt es, daß Ihr so unerwartet zurückkehrt?«

»Ich muß Euch warnen. Die Indianer sind Herren der Ebene; nur ich und Baraja, der zum Lager zurückgekehrt war, sind entkommen. Er hat Euch verrathen, und die Wilden sind hart hinter mir, die Bonanza zu nehmen.«

»Teufel, dann ist es am Besten, wir gehen ihnen aus dem Wege.«

»Das könnt Ihr nicht, denn Ihr seid nicht beritten, und sie können nur wenige Schritte noch entfernt sein.«

»So kommt herauf zu uns. Unsere Festung werden sie nicht bekommen!«

»Das geht nicht. Ich muß sofort nach dem Büffelsee, um Don Augustin Pena zu warnen, der dort mit seinen Leuten von den Apachen überfallen werden soll.«

»So reitet, reitet, Sennor Diaz,« rief Fabian, der während des Gespräches erwacht war. »Reitet, daß Ihr hinkommt und grüßt Sennor Augustin und – und Rosarita von mir! Wir werden Euch schleunigst folgen, sobald wir von hier fortkönnen.«

»Wie viel sind es Rothe?« frug Pepe.[440]

»Nur Zwölf. Die Andern sind nach dem Büffelsee wie ich vermuthe.«

»Nur zwölf? Mit ihnen werden wir fertigt!«

»Es sind zwei Männer bei ihnen, welche wie Papago's gekleidet gehen.«

»Werden sie auch kennen lernen!«

»Dann viel Glück, Sennores, und scharfe Kugeln. Adios!«

Er zog sein Pferd herum und sprengte davon, um den Hügel herum, über welchen die drei Jäger gestern früh gekommen waren.

Da erscholl aus der Gegend, in welcher das Pferd des Indianertödters lag der Schrei eines Schakals.

»Das Viehzeug hat schon seine Beute gefunden,« bemerkte Pepe.

»Glaubt Ihr?« frug Fabian. »Mir scheint, der Laut kam nicht aus der Kehle eines Thieres, sondern eines Menschen.«

»Das ist möglich, mein Sohn,« sagte Bois-rosé. »Deine Ohren sind jünger als die unsrigen und unterscheiden also die Klangfarbe eines solchen Lautes genauer. Vielleicht ist einer der Rothen vorangeschlichen, um zu erkunden, ob sie ohne Gefahr nahen können.«

»Was sie vermögen, können wir auch!« meinte Pepe.

Und schon beim letzten Worte war er über den Rand des Plateau's verschwunden.

»Pepe, bleib'!« warnte Rosenholz mit halblauter Stimme, aber er konnte von dem schnellen Miquelete bereits nicht mehr vernommen werden.

Dieser glitt so leise wie möglich an der Wand der Pyramide hinab und kroch dann mit Anwendung aller[441] Vorsicht der Gegend zu, aus welcher der Schrei erklungen war. Er gelangte glücklich bis in die Nähe des todten Pferdes und bemerkte, daß Fabian sich nicht getäuscht habe.

Drei Männer standen, mit einander verhandelnd, abseits, während die Indianer nahe am Kadaver hielten. Dormillon benutzte einige daliegende Felsenstücke, um so nahe zu kommen, daß er ihr Gespräch belauschen konnte.

»Also wo befindet sich die Bonanza?«

»Das Goldthal lag jenseits der Anhöhe da drüben. Die Jäger aber haben seinen sämtlichen Inhalt in das Indianergrab gebracht.«

»Dann führt unser Weg über ihre Skalpe! Sie befinden sich auf der Pyramide?«

»Ja. Ich sah, wie sie sich dort oben für die Nacht einrichteten.«

»Sie ahnen nichts von unserem Kommen, werden aber eine Wache ausgestellt haben. Ich kenne diese Gegend sehr genau, denn hinter diesen Bergen ist der Aufbewahrungsort für unsern Kahn, wenn wir uns in der Apacheria befinden. Drei tapfere Jäger könnten die Pyramide gegen einen ganzen Indianerstamm vertheidigen, wenn sie nicht von der Höhe beherrscht würde, von welcher sich das Wasser stürzt. Wir müssen sie zu gewinnen suchen, ehe die Jäger eine Ahnung von unserer Anwesenheit bekommen; und hier lassen wir eine Sicherheitswache zurück, damit sie nicht nach dieser Seite ausbrechen können, bevor wir mit Anbruch des Morgens die Pyramide mit unsern Kugeln bestreichen können.«

Er wandte sich zu en Indianern, denen er einen Befehl ertheilte. Acht von ihnen zerstreuten sich über die Breite des Thales, die vier anderen aber folgten den drei[442] Männern, das Grabmal so weit wie möglich umgehend, nach der Schlucht, welche Baraja und Oroche am vorigen Tage emporgestiegen waren.

Pepe konnte sie nicht halten, so gern er es auch gethan hätte, denn er mußte sich allerdings sagen, daß er mit den Gefährten in eine höchst bedenkliche Lage kommen werde, wenn der Feind von der Höhe herab das Plateau der Pyramide mit seinen Kugeln bestreiche. Er kehrte so vorsichtig wie auf dem Herwege nach dem Grabmale zurück. Die beiden andern fühlten sich bei seinem Erscheinen erleichtert; sie hatten Sorge um ihn gehabt.

»Nun?« frug der Kanadier.

»Ich habe sie Alle gesehen. Es sind wirklich zwölf Schwarze und drei Weiße, der brave Sennor Baraja dabei. Er log ihnen vor, daß wir den Inhalt der Bonanza in das Innere der Pyramide geschafft hätten.«

»Ah,« vermuthete sofort Bois-rosé, »er ist gefangen worden und hat ihnen das Gold als Lösegeld versprochen. Aus der höchsten Noth gerettet, hat ihn dann sein Versprechen gereut, und er sucht nun mit einer Lüge loszukommen. Vielleicht meint er, daß wir uns gegenseitig tödten, er schleicht sich fort und bleibt alleiniger Besitzer der Bonanza. Wo sind sie?«

»Sie haben sich getheilt. Acht Rothe schließen uns nach der Ebene zu ein, und die Andern sind bereits hinauf über den Wasserfall, um mit dem Morgen ihr Feuer auf uns zu beginnen.«

»Klug ausgedacht!«

»Noch haben wir Zeit, uns fortzuschleichen. Nach jener Anhöhe ist uns der Weg offen geblieben.«

»Fürchtet Ihr Euch, Pepe?« frug Fabian.[443]

»Sennor, eine solche Frage leide ich nur von Euch! Ich habe sie nur wegen Euch ausgesprochen. Der Feind wird uns mit seinen Kugeln erreichen, und wenn es auch nicht sehr schade um zwei alte Knaben ist, wie ich und Rosenholz sind, so möchte ich doch nicht haben, daß der junge Graf de Mediana seinen Skalp in der Steppe lassen muß.«

»Sei ruhig, Pepe,« tröstete der Kanadier; »der Junge hat es nicht so schlimm gemeint. Ich sage Dir, daß ich das Placer nicht eher verlassen möchte, als bis der letzte Mitwisser, der es ja auch noch nicht verrathen hat, nicht mehr sprechen kann. Und unsere Lage ist nicht ganz so schlimm, wie Du meinst. Wir haben unsere drei guten Büchsen, den Karabiner Cuchillo's und die gute englische Flinte Don Estevan's; das erscheint mir genug gegen zwölf Rothhäute und drei weiße Hallunken, die allerdings eigentlich gar keine gute Kugel werth sind.«

»Aber unsere ausgesetzte Lage?«

»Kann verbessert werden. Wir haben Sättel und Decken, und hier liegen genug Steine, um jetzt während der Nacht eine Brustwehr zu errichten, hinter welcher wir vollständig sicher sind.«

Das war allerdings wahr, und die drei Männer machten sich sofort an das Werk, die Steine an demjenigen Rande der Pyramidenplatte, welche der Höhe gegenüber lag, zu einer Mauer aufzuhäufen. Die zwei gewaltigen Fichten, deren Stämme in dem Grabmale wurzelten, senkten ihre dichten Aeste tief herab. Auch zwischen diesen letzteren wurde mittelst der Sättel und Decken eine Wand gebildet, welche reichlichen Schutz gewähren mußte.

»So, jetzt sind wir fertig« meinte Rosenholz. »Diese[444] Decken bilden eine beinahe noch bessere Schutzwehr, als die Steine, deren abspringende Splitter uns verwunden können; sie halten die Kugeln ab, indem sie ihnen nachgeben. Nun sind wir vollständig gerüstet zur Vertheidigung. Waffen und Munition besitzen wir vollauf, und ich bin begierig, wer den Platz behalten wird, die ›Könige der Savanne‹ oder die rothen und weißen Hallunken, die ich wirklich kennen lernen muß.«

»Bis dahin aber haben wir einige Stunden noch Zeit. Ich bin an der Wache. Legt Euch nieder, denn es ist wahrscheinlich, daß wir unsere ganze Kraft und Aufmerksamkeit bedürfen werden.«

»Das können wir allerdings thun, wenigstens ist nicht anzunehmen, daß der Angriff noch während der Dunkelheit beginnen wird.«

Er wickelte sich in seine Decke und schlief bald so fest, als ob er sich an einem vollständig sicheren Orte befinde. Mit Fabian war es allerdings anders. Er fühlte sich noch von den gestrigen Ereignissen so aufgeregt, daß er es vorzog, mit Pepe zu wachen.

Sie unterhielten sich nur im leisesten Flüsterton, und als sich der Osten leise zu röthen begann, erstarb ihr Gespräch völlig.

Nach kurzer Zeit vermochten sie bereits, die Ebene zu überblicken, und da bemerkten sie, daß die dort postirt gewesenen Indianer sich nach der Höhe gezogen hatten. Dort oben allerdings hingen noch dichte Nebel, welche, von dem Staube des Wasserfalles gespeist und von dem leichten Morgenwinde bewegt, wie Wolken hin- und herwogten und den dort postirten Belagerern nicht erlaubten, die Pyramide zu beobachten.[445]

Es wurde heller und heller; der Wind verstärkte sich und zerriß die Wolken und Nebel, die er bald ganz auseinanderjagte. Nun konnten die Jäger auch die Anstalten beobachten, welche ihre Feinde getroffen hatten, um den Angriff zu unterstützen.

Der Rand des Weges, welcher oben auf der Höhe hinführte, war mit künstlich aufgerichteten Sträuchern und Reisern maskirt, hinter denen die Feinde Deckung fanden oder wenigstens nicht bemerkt werden konnten.

»Jetzt ist es hell genug, um ihre Kugeln zu erwarten,« meinte der Kanadier. »Aber was ist das? Eine Hand bewegt sich über den Büschen hin und her, zum Zeichen, daß man zu unterhandeln wünsche. Wir wollen ihnen aus Höflichkeit den Willen thun!«

Auch er erhob die Hand über die Steinbrüstung und gab damit seine Zustimmung zu dem Wunsche der Feinde.

Da zeigte sich an einer von Gebüschen nicht bedeckten Stelle eine Gestalt.

»Santa Lauretta, kennst Du den Kerl, Rosenholz?« frug überrascht Pepe.

»Half-Breed, wahrhaftig, der Raubmörder! Wo der ist, da ist auch sein Vater Red-Hand nicht weit!«

»Dem Himmel sei Dank, daß wir diese Kerle einmal vor uns haben! Ich werde sie nicht auf den Thunfischfang schicken, sondern etwas weit Besseres mit ihnen thun!«

»Ja, er ists,« bestätigte auch Fabian. »Er soll bald erfahren, wie ich mit seiner Büchse umzugehen verstehe!«

Jetzt erhob El Mestizo seine Stimme. Hätte er nicht gewußt, weiße Jäger vor sich zu haben, so hätte er es sicher nicht gewagt, sich ihren Gewehren in dieser Weise bloszustellen.[446]

»Was für Männer sind da unten auf dem Grabmale?« frug er.

»Wirst sie sofort sehen, Schurke!« antwortete die dröhnende Stimme des Kanadiers.

Er richtete seine herkulische Gestalt empor, so daß sie die Schanzmauer weit überragte. Auch Pepe sprang auf und stellte sich an seine Seite. Sofort erhoben die Indianer drüben ein gellendes Freudengeheul. Sie hatten die drei Jäger erkannt, die ihnen mit der Insel im Rio Gilo auf so unbegreifliche Weise entkommen waren.

»Der große Adler!« rief El Mestizo.

»Und der zündende Blitz!« ergänzte Pepe, sich fest auf den Lauf seiner Büchse stützend. »Wo habt Ihr denn den alten Spitzbuben, der sich Red-Hand schimpfen läßt?«

Da erhob sich neben dem Mestizen die hagere, sehnige Gestalt seines Vaters.

»Hier, seht ihn Euch an!« grinste er herüber. »Wir kennen uns wohl schon seit längerer Zeit?«

»Ich denke, seit dem Tage, an welchem Euch ein guter Kolbenschlag überzeugte, daß das Haar anderer Leute nicht auf Eurem Kopfe gewachsen ist. Was wollt Ihr heut von uns?«

»Das sollt Ihr sofort hören! Ihr habt einen Schatz unter Euch?«

»Einen Schatz? Welchen meint Ihr?«

»Das Gold der Bonanza.«

»Was habt Ihr damit zu schaffen?«

»Gebt es heraus!«

»Ah! Und dann?«

»Dann könnt Ihr ruhig gehen.«

»Sehr gut! Mit Sack und Pack?«[447]

»Mit Sack und Pack, doch ohne Waffen.«

»Ausgezeichnet! Ich sage Euch, wenn Ihr mit uns verhandeln wollt, so müßt Ihr so reden, wie man mit Männern spricht, die man durch Drohungen nicht einschüchtern und durch Lügen nicht bethören kann. Sagt, was Ihr von uns wollt, und dann sollt Ihr von uns eine offene Antwort hören!«

El Mestizo gab nach der Seite hin einen Wink, auf welchen ein Indianer zu ihm trat. Während er mit diesem verhandelte, suchte der Kanadier mit scharfem Auge das ganze drüben liegende Buschwerk ab.

»Pepe, willst Du die Verhandlung führen?«

»Wie Du willst?«

»Siehst Du dort zwischen dem Kirschlorbeerstrauche den Lauf einer Büchse?«

»Ja.«

»Paß auf. Sobald es blitzt, lässest Du Dich fallen. Die Kugel braucht von drüben bis herüber wohl so viel Zeit, daß Du zwischen Blitz und Treffen zur Erde bist.«

»Habe keine Sorge. Der Mann da drüben trifft mich nicht!«

»Aber ich ihn!« betheuerte Rosenholz, indem er sich gemächlich niederstreckte und die Mündung seiner Büchse so vorsichtig zwischen zwei Steine schob, daß sie von oben nicht bemerkt werden konnte.

»Ihr kennt die beiden Räuber schon?« frug Fabian.

»Ein wenig, mein Sohn. Ich lag eines schönen Tages im Schlafe, während Pepe gegangen war, um einen Trunk Wassers zu holen. Da überfielen mich die beiden Schufte und hatten mich gebunden, ehe ich zum Aufwachen kam. Sie wollten mir die Häute abnehmen, die Biberfelle[448] nämlich und meine eigene Haut, und schon hatte mir Red-Hand das Messer einmal um den Kopf gezogen, als Pepe kam und ihm mit dem Kolben bedeutete, wem das Fell gehöre. Wir ließen damals die Schufte laufen, besser aber wäre es gewesen, wenn wir ihnen den Weg in die ewigen Jagdgründe gezeigt hätten.«

Jetzt erhob sich drüben wieder die Stimme des Mestizen.

»Ihr wollt wissen, was Euch erwartet? Ergebt Euch auf Gnade und Ungnade!«

»Wem?«

»Mir. Es giebt einen Mann, der Schwarzvogel heißt; dieser will Euch gerne bei sich sehen, und ich werde Euch ihm unversehrt überliefern.«

»Seid Ihr fertig?«

»Ja.«

»Dann sollt Ihr auch unsere Antwort haben: Es giebt einen Mann, der Eure Büchse hat; Ihr sollt ihre Kugeln schmecken!«

»Der meine Büchse hat?« frug der Mestize gespannt.

Fabian erhob sich.

»Wollt Ihr noch einmal Abschied von ihr nehmen?« frug er, das Gewehr zeigend.

»Teufel, Tiburcio Arellanos! Jetzt giebt es keine Gnade mehr. Feuer!«

Es blitzte drüben auf, während El Mestizo, Red-Hand und der Indianer verschwanden. Aber im Nu lagen auch Pepe und Fabian am Boden; die verrätherische Kugel schlug in einen Stein, drüben jedoch ertönte ein lauter Schrei. Mit dem Blitze drüben hatte der Kanadier abgedrückt, und seine Kugel hatte ihr Opfer gefunden. Der Kampf war[449] begonnen worden zum Nachtheile der Belagerer, die ihren Verrath mit dem ersten Todten bezahlen mußten.

Pepe zog sein Messer und machte einen Einschnitt in den Stamm der einen Fichte.

»Eine Rothhaut. Bleiben elf!«

»Oder: Drei Weiße, bleiben zwei,« meinte der Kanadier. »Das Gesträuch, zwischen welchem hervorgeschossen wurde, hat eine dünne, lichte Stelle, hinter welcher ich nicht ein dunkles Gesicht, sondern dasjenige eines Weißen schimmern zu sehen glaubte.«

Seine Meinung wurde sofort bestätigt. Es wurde von sechs Händen drüben ein Weißer über die Büsche emporgehoben; man sah deutlich, daß ihm die Kugel durch den Kopf gegangen war. Im nächsten Augen blicke flog er über den Rand des Felsens herüber und stürzte mit laut schallendem Aufschlage in die Tiefe des Wasserkessels.

»Baraja!« meinte Fabian.

»Ja, Baraja,« bestätigte Rosenholz. »Die göttliche Gerechtigkeit begräbt ihn an demselben Orte, an welchem sein Opfer Oroche den Tod gefunden hat.«

»Und diese Gerechtigkeit,« fügte Dormillon bei, »läßt ihn als Ersten in einem Kampfe fallen, den er angestiftet hat. Nun ist der Letzte stumm, von dem ein Verrath der Bonanza zu befürchten gewesen wäre. Das Gold bleibt Euch sicher, Sennor Fabian!«

»Sie vermuthen es nach der lügenhaften Aussage des Verräthers hier unter uns in dem Grabe und werden den wirklichen Ort nie finden.«

»Aber die Ruhestätte Deines Oheims entweihen, mein Sohn. Doch ich hoffe, daß es uns gelingen wird, ihrer so Viele zu treffen, daß ihnen dies vergehen wird. Wir[450] sind zu Dreien; theilen wir also die Angriffslinie in drei Strecken, von denen jeder von uns eine mit seiner Büchse bewacht! Ich nehme den Theil rechts, bis zu dem wilden Rebengerank; Du, Pepe, nimmst die linke Flanke bis herauf zu dem Nußgesträuch, und Du, Fabian, das Centrum zwischen Beiden. Auf diese Weise konzentriren wir unsere Aufmerksamkeit auf eine Strecke, welche so wenig ausgedehnt ist, daß unser Auge nicht ermüdet.«

»So werde ich mir gleich einen Rothen holen!« meinte Pepe. »Ich lasse mich fressen, wenn dort hinter der kleinen Cypresse nicht ein Indianer sein Wigwam aufgeschlagen hat.«

Er gab dem Laufe seiner Büchse eine sichere Unterlage, zielte einen Augenblick lang und drückte dann los. Ein lautes Geheul gab Zeugniß, daß er nur zu gut getroffen habe.

»Die Hallunken sind so gütig, uns zu benachrichtigen, daß wir nur noch elf rothe Felle zu durchlöchern haben,« lachte er.

»Von denen sofort eines ein Loch bekommen wird,« fügte Fabian hinzu.

Auch seine Büchse donnerte, und ein zweites Geheul bewies, daß er sein Wort gehalten habe.

Einige Minuten lang herrschte jetzt drüben Ruhe, dann aber krachten sämmtliche Büchsen, welche dem Feinde zur Verfügung standen, und die Kugeln schlugen vor und hinter den Jägern in die Steine der Verschanzung und des Plateau's; aber keine einzige verursachte auch nur den geringsten Schaden.

Noch mehrere solcher Salven folgten, doch mit demselben Resultate. Die während der Nacht errichtete Balustrade[451] erwies sich als so vortrefflich, daß sich die Jäger hinter ihr vollständig in Sicherheit befanden.

»Sie mögen ihr Pulver und ihre Kugeln immerhin verschwenden,« sprach Bois-rosé, »wir aber schießen nur dann, wenn wir unseres Zieles sicher sind.«

»Sie wollen uns zu derselben Verschwendung bewegen,« bemerkte Pepe. »Siehst Du auf meiner Strecke den Federbusch, welcher über den Büschen herüberblickt? Sie haben ihn an einen Ast befestigt und glauben, daß wir nach ihm schießen sollen.«

»Der Ast steckt in der Erde, denn ich bemerke an dem Stutze auch nicht die allerkleinste Bewegung. Laß sie nur machen! Wenn sie sehen, daß wir uns nicht täuschen lassen, werden sie ungeduldig werden und den Ast bewegen. Das wird natürlich so geschehen, daß Einer von ihnen auf der Erde zu ihm hinkriecht und ihn mit ausgestrecktem Arme erfaßt. Dann nimmst Du Dein Ziel rechts und ich links von ihm, zwei Fuß entfernt tief am Boden, und ich will behaupten, daß wir den Kerl treffen.«

Es verging eine Weile, dann jedoch erwies sich die Voraussetzung des Kanadiers als richtig. Der Federstutz begann sich leise zu bewegen.

»Feuer, Pepe!«

Aus den Läufen der beiden Büchsen blitzte es auf, und dem Krachen der Schüsse folgte ein erneutes Wuthgeheul.

»Schneide eine neue Kerbe, Pepe, damit wir uns nicht verzählen!«

Der einstige Miquelete folgte der Weisung.

»Noch Neun! Wenn es in dieser Weise fortgeht, können wir uns in zwei Stunden vierzehn Skalpe holen.«[452]

»So schnell werden wir nicht befreit, Pepe. Sie werden bemerken, daß uns in dieser Weise nicht beizukommen ist, und einen Kriegsrath halten, um eine bessere Methode zu finden.«

Wirklich blieb es drüben von jetzt an eine ziemliche Weile ruhig. Es verging beinahe eine volle Stunde, und noch immer ließ sich kein Laut hören, keine Bewegung bemerken.

»Sie werden nichts Kluges finden. Trotzdem aber wäre es vortheilhaft für uns, wenn wir ihre Gedanken zu errathen suchten,« bemerkte Rosenholz. »Was meinst Du, Fabian?«

»Ich denke, daß sie einen Punkt suchen werden, von welchem aus uns ihre Kugeln zu erreichen vermögen. Das ist das Einzige, aus welchem uns Gefahr droht, und ich wundere mich, daß sie dies nicht schon längst gethan haben.«

»Sie haben jedenfalls bisher ihren Grund gehabt, dies zu unterlassen. Die einzige Stelle, von welcher aus wir ihren Büchsen ausgesetzt sind, sind jene Felskegel da oben, welche sich gegen einander neigen. Um diesen Ort aber zu erreichen, müssen sie eine Strecke emporklimmen, die zwar nur kurz ist, uns aber hinreichend Gelegenheit bietet, unsere Büchsen spielen zu lassen.«

»Sie werden es dennoch versuchen, früher oder später, mein Vater, und dann ist es gut, wenn wir nicht leere Läufe haben.«

»Das denke ich auch, und das werden auch die beiden Räuber berücksichtigen, die den Angriff leiten. Sie selbst werden sich unsern Kugeln nicht aussetzen, sondern nur die[453] Rothen zu den Felsen emporschicken, und zwar erst dann, wenn wir einmal geschossen haben.«

»Wir sind im Besitze von fünf Gewehren, was sie jedenfalls nicht wissen,« meinte Pepe. »Sparen wir die Schüsse in unsern Büchsen, Rosenholz, und nehmen wir die beiden andern in die Hand.«

»Richtig! Fabian, mein Sohn, Du wirst nicht schießen, damit wir drei Kugeln bereit haben.«

Er ergriff die englische Flinte Don Estevans, während Dormillon nach dem Karabiner Cuchillo's langte.

»Und dennoch schieße ich!« antwortete Fabian, und im nächsten Augenblicke krachte seine Büchse.

Er hatte das ganz leise Zittern eines Strauches bemerkt. Es erfolgte kein Geheul, aber der Strauch bog sich unter einer heftigen, konvulsivischen Bewegung, welche hinter ihm stattfand.

»Getroffen, mein Sohn! Dieser Mestize hat jedenfalls den Befehl gegeben, uns ferner nicht durch ihr Geschrei zu verrathen, daß wir gut zu zielen wissen. Pepe, eine Kerbe!«

»Noch acht!« zählte dieser, indem er seinen Einschnitt machte.

Fabian war noch nicht mit Laden fertig, so donnerte es drüben aus allen Büchsen. Salve auf Salve folgte, und der Kugelregen schlug zahlreiche Steinsplitter los, welche nach allen Richtungen umherflogen.

»Paßt auf,« warnte Pepe. »Sie haben einen Plan vor, den sie durch dieses Feuer einleiten und decken wollen, und ich lasse mich skalpiren, wenn es nicht derjenige ist, den wir bereits errathen haben!«

»So warte auf eine Pause zwischen den Salven und[454] drücke dann den Karabiner los,« befahl der Kanadier. »Halte aber Deine Büchse sofort bei der Hand! – Jetzt!«

Er sowohl als auch Dormillon drückten ab. Die Vermuthung der scharfsinnigen Jäger erwies sich als völlig richtig. Vier Indianer sprangen, sich jetzt sicher meinend, mit ihren Büchsen in der Hand nach den Felsen empor, hinter welchen sich Baraja und Oroche beim Nahen Cuchillo's versteckt hatten.

»Ich den Ersten, Pepe den Zweiten, und Du den Dritten, Fabian!« rief Rosenholz.

Drei Feuerstrahle sprühten zwischen den Steinen der Balustrade hervor; die drei anderen Wilden stürzten zusammen, und nur der Vierte erreichte sein Ziel, hinter welchem er sofort verschwand.

Kein einziger Laut drüben gab ein Zeichen von der Erbitterung, welche dieses Begegnen ihrer Kriegslist bei den Belagerern hervorrufen mußte.

»Eine – zwei – drei Kerben. Noch Fünf!« zählte Pepe, indem er mit sichtlicher Befriedigung seine Zeichen einschnitt.

»Von fünfzehn Feinden bereits acht gefallen!« lächelte der Kanadier. »Die kleinere Hälfte wird uns wohl mehr Arbeit machen, als die größere. Drückt Euch so eng wie möglich an die Verschanzung, sonst gebt Ihr dem Schurken da oben ein sicheres Ziel!«

Seine Warnung kam keinen Augenblick zu früh. Pepe hatte sich auf dem Rücken ausgestreckt, um zu laden; da blitzte es oben an dem Felsen auf, und die Kugel schlug zwischen seinen beiden Füßen in den Boden.

In demselben Momente aber hatte er die Beine[455] emporgezogen, daß die Kniee beinahe sein Kinn berührten. –

»Santa Lauretta, der Kerl will mir meine Schuhe kaput schießen! Wart, Hallunke, Du sollst nicht lange da oben blühen und gedeihen!«

Der Kanadier steckte den Lauf seiner Büchse zwischen die Steine und meinte ruhig:

»Fabian, mein Sohn, Deine Fußbekleidung ist länger als unsere Schuhe. Ziehe sie aus und schiebe sie so weit von Dir, daß der Rothe den Fuß zu sehen bekommt. Er schoß jetzt auf der rechten Seite der Felsen und wird, um uns irre zu machen, nun auf die linke hinüberwechseln. Diese neigt sich nach uns herüber, und wenn er die Büchse auch noch so hart an die Kante legt, der Ellbogen und ein Theil des Kopfes muß doch zum Vorschein kommen.«

Fabian folgte der Weisung, und der leere Stiefel zeigte sich allerdings so verführerisch für den Indianer, daß er sich zum Schuß verlocken ließ.

Hüben und drüben blitzte es auf; die beiden Schüsse deckten sich so, daß sie wie einer klangen; der Stiefel war nicht einmal gestreift worden, der Wilde aber kollerte, obgleich nur die eine Seite seines Gesichtes vom Ohre bis zum Auge an der Felsenkante auf einen kurzen Augenblick sichtbar gewesen war, todt den steilen Abhang herunter.

»Vortrefflich, Rosenholz!« belobte Pepe seinen Gefährten. »Der Mann wird fortan unsere Schuhe in Ruhe lassen. Acht Kerben – noch Vier!«

»Würde es nicht besser sein, mein Vater,« frug Fabian, »wenn wir die Munition für unsere Büchsen sparten? Wir wissen nicht, wie viel wir davon noch auf unserer Wanderung bis zum Büffelsee brauchen, und die Entfernung zwischen[456] hier und drüben ist nicht so groß, daß wir mit den beiden anderen Gewehren nicht zu treffen vermögen.«

»Du hast Recht, mein Sohn. Nimm Du den Karabiner, während ich mich der Flinte bedienen werde. Pepe mag seine Büchse fortbehalten!«

Drüben herrschte wieder tiefe Ruhe, die durch keinen Laut unterbrochen wurde. Jedenfalls saßen die Belagerer wieder beim Kriegsrathe. Keine Bewegung zeugte von ihrer Anwesenheit. Die Entwerfung eines neuen, besseren Planes mußte ihnen große Schwierigkeit verursachen. Die Sonne stieg höher und höher; sie erreichte den Zenith und begann, sich wieder hinabzusenken. Die drei Jäger hatten ihre Mahlzeit gehalten und sich gesättigt; nur der Durst plagte sie. Bei der drückenden Hitze des Tages hätte er sie noch viel mehr belästigt, wenn nicht die herabstürzenden Wasser der Kaskade einen seinen Staub verbreitet hätten, den man zwar nicht zu sammeln und zu trinken vermochte, welcher aber die Luft befeuchtete und, eingeathmet, die Qual des Durstes milderte.

Da endlich ließ sich drüben eine Aenderung bemerken, welche die Aufmerksamkeit der Waldläufer auf sich zog. Ganz am äußersten Punkte der Angriffslinie wurde ein aus einem Büffelfelle bestehender Kriegsmantel über zwei eng zusammenstehende, niedrige Büsche gebreitet.

»Was haben sie vor?« frug Pepe.

»Wenn sie drei oder vier solcher Mäntel über einander legen, so erhalten sie eine Verschanzung, welche selbst unsere Büchsenkugeln nicht zu durchdringen vermögen. Es ist nur dabei zu verwundern, daß sie dieses Bollwerk so weit auf der Flanke errichten, von wo aus sie doch nicht mit Sicherheit auf uns zielen können.«[457]

»Ich werde ihnen eine Kugel geben, denn jetzt ist es noch Zeit dazu,« sprach Pepe.

»Laß mich dies thun!« bat Bois-rosé. »Ich möchte einmal die Tragkraft dieser englischen Flinte probiren.«

Da er seitwärts zu zielen hatte, so war er gezwungen, den Lauf des Gewehres weiter als bisher zwischen den Steinen der Verschanzung hervorzuschieben. Er drückte ab; zu gleicher Zeit aber blitzte es auch gerade gegenüber auf, und die Kugel El Mestizo's schlug mit solcher Gewalt auf den Lauf der Flinte, daß diese seinen Händen entfuhr und weit hinüber in den See geschleudert wurde.

Wäre der Kanadier nicht ein so starker Mann gewesen, so hätte ihm der fürchterliche Prellschlag die Hand zerschmettern oder sonst erheblich beschädigen müssen.

»Teufel, war das ein guter Schuß!« rief er, sich die Hände reibend. »Das ist kein Anderer als dieser Mestize gewesen! Aber nun wissen wir wenigstens, was jene Lederverschanzung für einen Zweck hat. Sie wurde mit Bedacht da schief drüben angelegt, damit wir beim Zielen den Lauf weit sehen lassen müssen. Sie wollen uns entwaffnen, und ich bin nur froh, daß ich diesen Schuß nicht mit meiner guten Büchse unternommen habe, die ebenso verloren wäre, wie die Flinte Don Estevans. Das habe ich Deinem Einfalle, unsere Büchsenkugeln zu sparen, zu verdanken, mein Fabian!«

Pepe ergriff einen heruntergeschossenen Fichtenast und richtete ihn mit Hülfe seines Messers so vor, daß er die Gestalt eines Büchsenlaufes bekam.

»Rosenholz, thue mir doch einmal den Gefallen, mit diesem Holze zu schießen; ich werde dabei dem Sennor Mestizo Eins auf das Leder brennen!«[458]

»Sollten sie uns wirklich für so wenig witzig halten, auf den Verlust der Flinte nochmals im Ernste zu feuern?«

»Pah, es kommt ja auf den Versuch an!«

Er machte sich schußfertig, und Bois-rosé steckte den Ast langsam und zögernd, wie er es mit der Büchse gethan hätte, durch den Zwischenraum zweier Steine hervor.

Wirklich krachte drüben der Schuß; der Ast wirbelte, gut getroffen, durch die Luft, aber Pepe hatte den Augenblick des Aufblitzens gut wahrgenommen und auch abgedrückt. Ein Schrei bewies, daß seine Kugel ihr Ziel nicht verfehlt habe.

»Eine neue Kerbe!« rief er frohlockend.

»Oder auch nicht, Pepe!« entgegnete der Kanadier. »Der Schrei klang nicht wie der Todesschrei eines Menschen, sondern wie der Wuthschrei eines Verwundeten. Der Teufel muß diesen Mestizen schützen, daß er nicht zum Tod zu treffen ist.«

Wieder verging eine lange Zeit, ohne daß sich etwas Besonderes bemerkbar gemacht hätte. Die Sonne senkte sich hinter dem westlichen Horizont hinab; es war nicht mehr fern zur Dämmerung, und noch immer herrschte drüben tiefes Schweigen und ungestörte Regungslosigkeit.

»Sie werden die Nacht abwarten wollen, um uns zu überfallen,« meinte Pepe.

»Das werden sie bleiben lassen. Wir sind Drei gegen Sechs. Unsere Festung ist uneinnehmbar. Im Gegentheile habe ich große Lust, sie zu überrumpeln. Wenn wir jene Schlucht benutzen, können wir ihnen in den Rücken gelangen.«

»Sie aber auf demselben Wege auch herab zu uns.«

»Es ist sehr wahrscheinlich,« bemerkte Fabian, »daß[459] sie Etwas unternehmen werden, um unser Entweichen zu verhindern, denn es ist klar, daß wir die Dunkelheit benützen werden, um die Pyramide zu verlassen. Nach der Ebene hinab ist der Weg – – –«

Er hielt inne und deutete mit dem Arme nach der Richtung hin, welche er soeben angedeutet hatte.

»Siehst Du, mein Vater, daß ich Recht habe?«

Dort, wo das erschossene Pferd des Indianertödters lag, bewegten sich die Gestalten zweier Indianer, zu denen sich bald noch zwei weitere gesellten. Sie ließen sich in der Nähe des Kadavers nieder und nahmen eine Stellung ein, aus welcher zu ersehen war, daß sie sich zu einem längeren Verweilen entschlossen hatten.

»Sie sollen uns einschließen. Pah, das dürfte ihnen schwer werden,« meinte Bois-rosé. »Der Weg über dem Hügel, über welchen wir gekommen sind, bleibt uns auf jeden Fall – Alle Wetter, die Schurken verlegen uns auch dort die Bahn!«

Sie wandten ihre Augen nach der angegebenen Richtung und gewahrten Red-Hand und Sang-Mêlé, welche beschäftigt waren, einen Haufen Aeste und Reiser zusammenzutragen, welcher so groß war, daß er wohl den größten Theil der Nacht hindurch diesen ganzen Theil der Gegend erleuchten konnte.

»Und dennoch müssen wir von der Pyramide herunter, wenn wir die Räuber erlegen wollen,« erklärte Fabian. »Die Apachen sind nach dem Büffelsee, um Don Augustin Pena zu überfallen, und ich muß auf alle Fälle hin, um ihm beizustehen.«

Der Kanadier lächelte still in sich hinein. Er dachte[460] an den Namen Rosarita, welchen Fabian auf der schwimmenden Insel während des Schlafes geflüstert hatte.

»Wir werden es wohl fertig bringen, mein Sohn. Für mich und Pepe sind diese vier Indianer nicht zu viel, wenn wir sie in der Dunkelheit überraschen. Dann steht es uns frei, sofort nach dem Büffelsee aufzubrechen oder von hinten über die beiden Spitzbuben zu kommen.«

»Für Dich und Pepe? Ich werde wohl auch dabei sein!«

»Nein, mein Sohn, das kann ich nicht zugeben! Zwei gehen sicherer als Drei, und, um uns für alle Fälle vorzusehen, dürfen wir unsere Festung nicht ganz ohne Besatzung lassen. Einer muß zurückbleiben, um sie zu bewachen, bis wir mit den vier Rothen fertig sind, und wirst am Besten Du vorsorgen.«

Fabian gab seinen Einwand noch nicht auf, aber er wurde überstimmt und mußte sich in den Willen des Kanadiers fügen.

Einige Zeit, nachdem es dunkel geworden war, flackerte da, wo der Reisighaufen lag, eine helle, hohe Flamme auf, welche allerdings nur die eine Seite der Pyramide beleuchtete. Die übrige Umgebung ruhte in völliger Finsterniß.

»Jetzt wird es Zeit,« meinte Dormillon.

»Nein,« entgegnete Rosenholz, »wir müssen noch warten, bis die Aufmerksamkeit unserer Beobachter etwas nachgelassen hat.«

Dies geschah, und erst nach Verlauf von mehr als einer Stunde richtete sich der Kanadier aus seiner liegenden Stellung empor.

»Mein Sohn, wir werden gehen!«

»Wirklich ohne mich, Vater?«[461]

»Ja. Du mußt diese unsere Festung bewachen, auf welche wir ja angewiesen sind, wenn es uns nicht gelingen sollte, die Indianer aus dem Wege zu räumen.«

Der gute Bois-rosé wollte nicht sagen, daß ihn nur die Sorge um das Leben seines Lieblings zu dieser Maßregel bestimmte.

»Ich glaube nicht,« fuhr er fort, »daß Dir während unserer Abwesenheit hier eine Gefahr droht, und wir werden ja auch nur für wenige Minuten entfernt sein. Sollte aber dennoch Etwas passiren, was unsere Hülfe nöthig macht, so werden wir auf einen Schuß von Dir sofort herbeieilen. Komm, Pepe!«

Auch Dormillon erhob sich.

Sie ergriffen ihre Gewehre, huschten über die in völliger Dunkelheit liegende Plattform der Pyramide und glitten an der Böschung der letzteren hinab.

Kaum waren sie im Dunkel verschwunden, so tauchten zwei Gestalten von der Erde auf.

»Endlich gelingt uns eine List, Alter!« flüsterte El Mestizo. »Sie wollen die Rothen fortschaffen und mögen dies auch immer thun. Wir schleichen uns indessen hinauf und überwältigen diesen Tiburcio, der zurückgeblieben ist. Er wird uns mein Gewehr und seine Haare lassen müssen. Kommen sie dann zurück, so empfangen wir sie mit unsern Kugeln. Ist diese Pyramide einmal in unserem Besitze, so können sie uns nichts anhaben. Steige Du hier hinauf und mache, wenn Du am Rande angelangt bist, einiges Geräusch, welches seine Aufmerksamkeit auf Dich lenkt; desto sicherer komme ich über ihn!«

Red-Hand schickte sich an, diesem Befehle seines Sohnes Gehorsam zu leisten.[462]

Fabian saß auf der Plattform und lauschte in die Nacht hinaus. Er war besorgt um die beiden Gefährten, die jedenfalls einer nicht geringen Gefahr entgegengingen. Größere Sorge noch aber bereitete ihm der Gedanke an Don Augustin Pena, dessen schöne Tochter seine Gefühle mehr in Anspruch nahm, als er sich selbst gestehen wollte. Die beiden Räuber, welche den Haziendero mit seiner Tochter bereits einmal überfallen hatten, wußten jedenfalls um die Anschläge der Apachen, an denen sie vielleicht sogar Theil zu nehmen beschlossen hatten. Es drängte ihn fort, schnell fort nach dem Büffelsee, und es dehnten sich die Augenblicke der Abwesenheit seiner zwei Gefährten zu Stunden.

Da war es ihm, als habe er nicht weit vom Rande der Plattform ein Geräusch vernommen. Er kroch hinzu und erblickte eine dunkle Gestalt, welche eben im Begriffe stand, die Pyramide zu ersteigen.

»Pepe! Vater!«

»Ja!«

»Wie ist es gegangen?«

»Gut!« antwortete die Gestalt.

Jetzt erkannte er aber auch, daß es weder Pepe noch Bois-Rosé war. Er erhob die Büchse zum Schlage, fühlte aber in diesem Augenblicke seinen Arm gepackt, so daß das Gewehr seiner Hand entfuhr und von der Pyramide hinabglitt.

Der Erste der beiden Männer hatte jetzt auch die Plattform erklommen, und so sah sich der Jüngling von zwei riesenstarken Männern umschlungen, in denen er den Mestizen und Red-Hand erkannte.

Jetzt außer Stande, zu schießen, ließ er einen lauten[463] Schrei erschallen, dessen scharfer Ton weithin die Stille der Nacht durchschnitt.

»Gieb ihm das Messer, Alter!« gebot der Mestize, welcher nicht selbst zustoßen konnte, da er genug beschäftigt war, Fabian mit beiden Armen zu halten.

Red-Hand zog die Klinge. Dieser Anblick verdoppelte Fabians Kraft. Er riß sich los, ergriff sein eigenes Messer und stieß nach dem Alten. Dieser erhielt den Stich in den Oberarm und ließ seine Waffe fallen, um ihm das Messer zu entreißen. Das Handgemenge, während welchem Fabian seinen Schrei wiederholte, führte die drei Ringenden über die ganze Plattform hinüber; sie erreichten den Rand desselben und stürzten, während Einer sich mit dem Andern zu halten suchte, hinab.

Fabian erreichte den Boden besinnungslos; er war mit dem Kopfe auf einen Stein geschlagen. Der Mestize war der erste, welcher sich aufraffte.

»Lebst Du, Alter?«

»Ja.«

»Der Schlingel ist betäubt. Rasch, fass' ihn an und fort mit ihm!«

»Gieb ihm den Rest.«

»Nun nicht. Oben wäre es am Platz gewesen. Hörst Du die beiden Andern kommen? Sie ersteigen schon die Pyramide. Wir können nicht wieder hinauf. Fort!«

»Zuvor stoße ich ihn nieder!«

»Wage es, alter Sünder! Wenn wir ihn todt zurücklassen, bekommen wir sie nicht. Nehmen wir ihn aber als Gefangenen mit, so werden sie uns folgen bis wir sie haben. Fort mit ihm, sage ich Dir!«

Red-Hand gehorchte jetzt. Sie ergriffen den Bewußtlosen[464] und zogen ihn von der Pyramide hinweg, auf deren Plattform sich laute Rufe des Schreckes und der Wuth vernehmen ließen.

Der Kanadier und Pepe waren nach der Ebene hinabgeschlichen und unbemerkt in der Nähe des Pferdekadavers angekommen, wo die Indianer noch immer beisammensaßen. Sie mochten glauben, daß die Weißen die indianische Methode befolgen würden, ihr Unternehmen erst gegen das Grauen des Morgens zu beginnen, und strengten daher ihre Aufmerksamkeit nicht in der Weise an, wie es die gegenwärtige Lage erfordert hätte. Zudem hatten die beiden letzten Tage ihre Kräfte so in Anspruch genommen, daß sie sich ermüdet fühlten und nur mit halben Sinnen wachten.

»Sie werden es uns nicht sehr schwer machen,« flüsterte der Kanadier. »Vorwärts!«

Hart am Boden liegend, krochen sie mit unhörbaren, schlangengleichen Bewegungen auf die Rothen zu. Nur wenige Schritte noch von denselben entfernt, ließen sie ihre Büchsen liegen. Dann erhoben sie sich und stürzten sich mit der Schnelligkeit des Blitzes auf die Ahnungslosen. Eine einzige Minute genügte, dann wischte Pepe das blutende Messer ab und meinte:

»Zwölf Kerben. Fertig mit den Rothen!«

In diesem Augenblicke erscholl der erste Hilferuf Fabians.

»Santa Lauretta, wer war das?«

»Fabian!« rief der Kanadier, und noch während dieses Wortes raffte er seine Büchse auf und flog in langen, fürchterlichen Sätzen auf die Pyramide zu, Pepe mit seinem ebenfalls aufgegriffenen Gewehre hinter ihm drein. Dennoch[465] hatten sie noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als der zweite Schrei erscholl.

»Schneller, um Gotteswillen schneller, Pepe!« rief der Kanadier.

In wahren Riesensprüngen schoß er vorwärts; die Angst um Fabian gab ihm neben der Stärke eines Riesen noch die Spannkraft eines Tigers. Ohne zu forschen, ob Pepe ihm auch zu folgen vermöge, schnellte er über die Ebene dahin und sprang, bei der Pyramide angekommen, ohne Anwendung der sonst gebotenen Vorsicht an dieser in die Höhe.

»Fabian!« rief er, oben angekommen.

Keine Antwort ertönte.

»Fabian, mein Kind, mein Sohn!« wiederholte er in entsetzlicher Angst.

Auch jetzt blieb die Umgebung ruhig. Nur das Keuchen des emporklimmenden Dormillon ließ sich vernehmen.

»Wo ist er?« frug dieser außer Athem, als er das Plateau betrat.

»Verschwunden, ich weiß nicht, wohin!«

»Liegt seine Büchse hier?«

Sie suchten.

»Nein.«

»Dann ist ihm nichts geschehen,« beruhigte Pepe. »Er hat die Waffe bei sich und würde geschossen haben, wenn ihm eine Gefahr gedroht hätte.«

»Nein, er hat sich nicht freiwillig entfernt, er ist überfallen und fortgeschleppt worden. El Mestizo hat seine Büchse wieder geholt,« antwortete Bois-rosé, und »Fabian, Fabian!« erklang wie drohender Donner seine gewaltige Stimme durch die Nacht.[466]

Auch jetzt wieder blieb die Antwort aus.

»Hinab, Pepe! Wir müssen den Fuß der Pyramide untersuchen!«

Sie glitten die steile Böschung hinab und schritten in fieberhafter Aufregung rings um das Grabmal herum. Da stieß der Fuß Dormillons an etwas Hartes. Er hob es auf.

»Rosenholz, komm her! Wir befinden uns auf der Spur. Ich habe hier zwischen den Steinen seine Büchse gefunden!«

Der Kanadier kam herbeigeeilt und nahm die Waffe in die Hand.

»Sie ist noch geladen. Er ist im Ringkampfe überwältigt worden. O, wäre es doch Tag; dann könnten wir Alles aus den Spuren sehen!«

Er blickte rathlos zur Höhe. Ein matter Flimmer oscillirte durch die Dunkelheit. Er stieg einige Schritte empor und ergriff den Gegenstand.

»Sein Messer!«

»Und hier sein Hut!« rief Pepe. »Santa Lauretta, Du hast Recht, Rosenholz; er ist überfallen worden.«

Diese Gewißheit war jetzt unumstößlich. Sie ertheilte dem Kanadier die Wuth eines angeschossenen Ebers.

»Fabian!« brüllte er, daß es die Echo's wiederdonnerten.

Seine hohe Gestalt bebte unter der übermächtigen Aufregung, und es lag ein furchtbarer Grimm in dem knirschenden Tone, mit dem er, Pepe die Faust schwer auf die Schulter legend, betheuerte.

»Wir werden ihn wiederfinden, todt oder lebendig. Aber wehe Denen, die ihn angetastet haben; sie müssen sterben, und wenn sie der Satan selbst beschützt! – –«[467]

Quelle:
Der Waldläufer von Gabriel Ferry. Für die Jugend bearbeitet von Carl May. Stuttgart (1879), S. 433-468.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Waldläufer
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Der Waldläufer: Für die Jugend bearbeitet von Karl May

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