2. Die Bekämpfung der Frauenbewegung
Mißverstehen der Nötigung zur Frauenbewegung – Ihre Funktion als Medikament, ihr historisch vorbedingter Ursprung und ihre eigentliche Gravitation der Zukunft gegenüber – Beurteilung von seiten des Rassentheoretikers – Von seiten der Ästheten – Die Massenhaften und die Einzelnen der Bewegung – Die vom Geschlecht und die [239] fürs Geschlecht Emanzipierte – Antike Frauenbewegung, Hetärismus, Amazonentum – Verdrängung der alten Jungfer durch die Junggesellin – Die Mütterlichkeit produktiver Frauen – Zusammenhänge von weiblichem Erleben und künstlerischem Schaffen – Der Kampf um Frauenrechte: ein Mittel zur Erlangung von Weibesrechten.

Diese Widerstände stammen aus den verschiedensten Lagern. Mit jener Gegnerschaft, die auf seiten der Reaktion steht und im Interesse dieser Reaktion neue Entwicklungsmöglichkeiten niederzuhalten sucht, wollen wir[239] uns natürlich hier nicht befassen. Ihre Haltung ist zu selbstverständlich, ist eine ebenso unabweisbare Tatsache, als wie ihr Gegenspiel eine Tatsache ist, und der bloße Bestand dieser Konstellation spricht für sich. Aber befremdlich ist das Unverstehen, das merkwürdigerweise gerade aus dem Lager der Intellektuellen dem Phänomen der Frauenbewegung gegenüber erwächst. Nicht nur, was sie als »Muß« bedeutet, wird unterschätzt, nicht nur ihre Funktion als Medikament in einem kranken Gesellschaftskörper, sondern auch ihre historischen Bedingungen, ihr Wesen als notwendige geschichtliche Form, als »dritte« Stufe in der Geschichte der Selbsterhaltung der Frau – und darum ihre Unvermeidlichkeit – werden verkannt. Noch weniger aber wird ihre Zukunft, ihre geheimste und letzte Gravitation, die im Geschlechte selbst wurzelt und auf Befreiung des Geschlechtes hinwirkt, verstanden. Da ist der Rassentheoretiker, der in dieser Bewegung ein »los vom Manne, los vom Kind und los von der Mutterschaft«55 sieht. Eine solche Befürchtung heißt die Frauenbewegung zutiefst mißverstehen. Vielleicht war ein Unterklang davon zu Beginn der Bewegung da, aber auch nur in dem Sinne, daß es sich darum handelte, nicht lediglich den ganzen Bestand der Persönlichkeit auf ein Schicksal zu setzen, dessen Erfüllung schließlich nicht von einem selbst allein abhängt. Daß diese gänzliche Abhängigkeit des Weibes und seines Schicksals von dem, was der Mann mit ihr unternimmt, von jeder die Persönlichkeit hoch wertenden Instanz aus als ein Fluch empfunden wurde, der diese Persönlichkeit zerschmettern kann, zeigt uns schon die Dichtung. Der Mythos aller geschichtlichen Zeiten kennt das freie Weib in der Gestalt der Walküre und der Amazone, und Wotans Zorn weiß für die schuldig gewordene Walküre keinen anderen Fluch auszusinnen als diesen:
[240]

»Die magdliche Blume

verblüht der Maid;

ein Gatte gewinnt

ihre weibliche Gunst:

dem herrischen Manne

gehorcht sie fortan,

am Herde sitzt sie und spinnt,

aller Spottenden Spiel und Ziel.«


Und die Antwort:


»Soll ich gehorchen

dem herrschenden Manne –

dem feigen Prahler

gib mich nicht preis!

nicht wertlos sei er,

der mich gewinnt.«


Diese Antwort beweist, worum es sich dem freien Weibe handelt. Nicht von jedem feigen Prahler, der es »im Schlafe« (!) findet, hänge ihr Schicksal ab, ihr Sein oder Nichtsein. »Nicht wertlos sei er, der mich gewinnt!« – Nichts anderes will das Bemühen der Frau um Selbständigkeit. Nicht »los vom Manne«, sondern los vom elenden Manne, vom wertlosen Wicht, dem es angehören soll, nur weil er gerade des Weges daher kommt und weil es selbst – »im Schlafe« liegt.


»Hierher auf den Berg

banne ich dich;

in wehrlosen Schlaf

schließe ich dich;

der Mann dann fange die Maid,

der am Wege sie findet und weckt.«


Daß nicht jeder, der am Wege sie findet – in wehrlosem Schlafe verschlossen – sie mit sich nehmen könne, das allein will die Walküre, die Amazone, die bewußte wehrhafte Weiblichkeit. Sie will Herrin sein ihrer Gunst, sie will geschützt sein durch das Feuer ihrer Persönlichkeit, das dem schwachen Manne den Weg zu ihr verwehrt. Je freier das Weib in der Verfügung über sein Geschlecht wird, desto edlere Früchte trägt es als Mutter. Wenn es wieder »weihlicher Helden« bedarf, um die Gunst der[241] Frauen zu erobern, wird die Menschheit jedenfalls bessere Früchte in ihren Rasseprozessen erzielen, als wenn das Weib durch seine unbeschirmte Lage gezwungen ist, jedem windigen Wicht – um im Stil der Wagnerschen Alliterationen zu bleiben – jedem feigen Prahler anzugehören.


Der Höhepunkt des Unverständnisses der Frauenbewegung gegenüber wird von der Seite jener Intellektuellen erreicht, welche wir als »Ästheten« in besonderer Gruppe erkennen. So sagt einer aus dieser Gruppe das Folgende56:

»Milliarden von Jahren hat der Mann gegen die feindliche Natur gekämpft. Sie liegt durch Dampf und Elektrizität, durch Demokratie und Gesetze gebändigt zu seinen Füßen. Es wäre an der Zeit, an eine neue Liebeskultur zu denken. Sehe das Weib zu, daß es die Größe des Augenblickes erfasse. Es kann sich und uns glücklicher machen, wenn es schön ist und begehrenswert, als wenn es Medizin studiert, auf russische Gouverneure schießt oder um Wahlrecht schreit.«

Gewiß ist es nicht der Natur jedes Weibes gemäß, sich in formalistische Studien zu versenken, zu schießen und zu schreien. Aber es gehorcht der Not, nicht dem eigenen Triebe, wenn es Betätigungen unternimmt, die ihm nicht bequem sind. Derselbe Autor gibt zu, daß der Werbekampf seit Jahrtausenden – seit der Mann Eigentum zu vergeben hat, auf dem Kopf steht, daß seitdem die Weibchen, anstatt die Männchen »sich schmücken, singen und Räder schlagen müssen«. Nachdem aber selbst diese Verkehrung der Werbung nichts half, nachdem trotz allen Singens, Schmückens und Räderschlagens das Weibchen trotzdem nicht mehr sicher darauf rechnen konnte, am Eigentum eines Mannes zu partizipieren, da dem Manne der Brotkampf selbst so scharf zusetzte, daß einerseits[242] die Kraft seiner erotischen Impulse an und für sich geschwächt wurde, andererseits er nicht mehr – oder nicht zur richtigen Zeit – in der Lage war, allein das Weibchen und ihre Brut zu erhalten – mußte das Weibchen selbst Eigentum zu erwerben suchen und zu diesem Zwecke formalistisch studieren, schießen und schreien. So weit mußte es kommen, bis zur Wurzel des Baumes mußte das Übel nagend vordringen, zur Geschlechtskrise mußte es werden, auf daß man es endlich in seiner wahren ungeheuerlichen Natur erkenne. Dieses Übel aber ist das geschlechtliche Elend der Zeit; die zwangsweise Verkehrung des Werbekampfes, die verhinderte frei Auslese und die unterbundene Zuchtwahl. Diesem Übel gegenüber erstand die Frauenbewegung, wie ein Medikament gefunden wird, wenn schließlich die Not am größten ist. Gift gegen Gift – ein Medikament gegen ein unnatürliches Übel – eine Waffe zur Bekämpfung und zur möglichsten Abwendung des Geschlechtsboykotts, der über Millionen Frauen und Männer durch die Zwangslage, die unser auf dem Kapitalismus ruhendes Heiratssystem geschaffen hat, verhängt ist – und in letzter Linie ein Mittel zur ökonomischen Selbsterhaltung der Frau, da die Erhaltung durch den Mann aus kapitalistischen Ursachen versagte – das ist die Frauenbewegung, so ist sie zu verstehen.

Es geht nimmermehr an, die Erscheinungen der Frauenbewegung nur unter dem Gesichtswinkel des Ästheten zu beurteilen. Daß dem ästhetisch empfindsamen Menschen, der die Phänomene des Geschlechtsgegensatzes ungebrochen erhalten sehen möchte, vieles an der Frauenbewegung nicht gefällt, besonders dort, wo sie aufhört, Kulturgewinn für die Frauenseele (und damit für die Gattung) zu bedeuten und gemeinster, traurigster, zermürbendster Brotkampf wird, ist begreiflich. Aber nimmermehr darf diese Erscheinung, losgelöst aus ihren Zusammenhängen, mit der gegebenen Wirtschafts- und Sexualordnung[243] zur Diskussion gestellt werden. Es geht nicht an, die harte Tatsächlichkeit »der« Dinge zu übersehen, so wenig wie es angeht, wenn man zu einem solchen Problem das Wort ergreifen will, die Idee »des« Dinges zu ignorieren. Nichts wert ist das eine ohne das andere, schafft nur Begriffsverwirrung und Mißverständnisse.

»Es wäre an der Zeit, an eine neue Liebeskultur zu denken. Sehe das Weib zu, daß es die Größe dieses Augenblicks erfasse.« Jawohl, es ist Zeit, allerhöchste Zeit sogar. Aber um in diesem Augenblick wirklich tätig einzugreifen, wie der Verfasser ja selbst vom Weibe verlangt, genügt es nicht, daß es »nur schön« sei und dazu Purzelbäume schlage. Das hat sie ja, um das Männchen anzulocken, zur »Liebeskultur«, seit Jahrtausenden getan, wie der Verfasser selbst zugibt. Da es ihr angesichts der wirtschaftlichen Not des Mannes und der Schwächung seiner Sexualimpulse (die die sexuelle Anarchie, die dem Manne von seiner Geschlechtsmoral erlaubt ist, auf dem Gewissen hat) nichts mehr nützt, um ihr die Versorgung zu sichern, da sie außerdem die Freiheit der Wahl mehr und mehr begehrt – was im Interesse der Früchte der Auslese nur zu begrüßen ist – muß sie außer Radschlagen und Schönsein noch eine andere Möglichkeit zur Erhaltung ihrer persönlichen Existenz, ihrer »physischen Integrität« (wie Popper-Lynkeus den elementaren Bestand der Person nennt57) in Händen haben. Ohne wirtschaftliche Befreiung gibt es eben auch keine Befreiung anderer Art. Und wird nicht auch – um die moralische Nötigung zur Bewegung der Frauen zu berühren – ein Mensch wirklich gemein, wenn er Purzelbäume schlagen muß – nicht um dadurch Liebe zu gewinnen – sondern um gefüttert zu werden? Daß es den Mann zwar glücklich macht, die Frau »nur schön« zu sehen, geben wir zu, aber daß es ihm möglich ist, dieses Glück aus der platonischen Sphäre der Betrachtung[244] in die des wirklichen Besitzes zu heben, müssen wir unter den gegebenen Umständen bezweifeln. Das Weib soll »Sonne, nur Sonne« sein. Die Männer können aber die Mittel, sich diese Sonnen zu kaufen, nicht mehr aufbringen. Und nun gar all das Gestirn und Trabantentum, das um diese Sonnen kreist und zu ihnen gehört – wie soll der Mann dieses ganze Sternensystem (des Familienhaushaltes) allein bezahlen können! »Wer die Sonne in die Tasche steckt, verbrennt sich die Hose und beschmutzt die Sonne,« sagt Flaubert, allerdings in einem anderen Zusammenhang. Dieses Bild läßt sich aber sehr wohl auch auf unseren Fall anwenden.


Es ist ein merkwürdiges, nicht uninteressantes Phänomen, daß mit der fortschreitenden Dürftigkeit der männlichen erotischen Impulse der »Schrei« nach dem nichts als passiven Weibe, das sich begnügt, »Resonator des männlichen Strebens nach Vollkommenheit«58 zu sein (ohne sich zu derartigem Streben selbst zu erkühnen), von jener Gruppe der Moderne, die wir als »Ästheten« kennen, immer häufiger laut wird. Der dekadente Mann, der Dégéneré, weiß mit dem aktiven Weibestyp von selbständiger Persönlichkeit – dessen höchste Erscheinungsform im Mythos von der Amazone, in der Gestalt Brünhilds repräsentiert ist – nichts anzufangen. Die Frauenbewegung erscheint ihm nur dazu da, aus den Frauen Vogelscheuchen zu machen. Sollte nicht hinter diesem Ästhetenschrei nicht so sehr verminderte Weiblichkeit als etwa ein Manko an Männlichkeit zu suchen sein? Mit der selbständigen aktiven Weiblichkeit »fertig zu werden«, ist eben schwieriger, fordert »tauglichere« Helden, als sie dem passiven Frauentyp gegenüber nötig sind. – Mir scheint, mir scheint, »ihm macht Brünhilde Müh!«...[245] Nicht immer steht hinter diesen Angriffen der Ernst einer positiven Gesinnung. Es ist ein Unterschied zwischen Thesen, mit denen sich literarisch flunkern und solchen, mit denen sich leben läßt. Oft verbirgt sich hinter diesen Phrasen, auch wenn sie sich aus exakten Ausdrücken zusammensetzen, ein hohles Geflunker, dem man es anmerkt, daß es aus einer Irritation der Nerven stammt und nicht aus irgendeiner fest fundierten Gesinnung, die logisch unangreifbare Argumente zu bieten vermöchte. Auch von Frauenseite begegnet man dieser Art von antifeministischem Geflunker, auch von selbst »emanzipierten« Frauen kann man es vernehmen. Auf diese Frauen, die zum Teil recht wohlbekannte Namen tragen, hier näher einzugehen, scheint mir nicht nötig.

Ein Einwurf, der mir einer Beachtung wert scheint und der der Frauenbewegung des öfteren gemacht wird, ist dieser: sollten es nicht nur jene Schichten von Frauen sein, die mit ihrer Weiblichkeit irgendwie minderwertig sind – welche die Frauenbewegung notwendig haben? Sind die Frauen, die im Berufsleben verbleiben, nicht doch die generell geringeren – die weniger Begehrten?

Und wenn schon? Was würde das an der Notwendigkeit ändern, daß auch sie auf menschenwürdige Art versorgt werden? Sind sie weder zur Prostitution noch zur Ehe – den beiden Hauptformen, die ihrer »generellen Bestimmung« heute zur Verfügung stehen – tauglich, so müssen sie doch erst recht irgendwo unterkommen, »man müßte sie denn alle erwürgen«.

Aber ich glaube nicht, daß das eigentliche Wesen dieser »Bewegung« in dem Schicksal dieser Frauen – dieser im Brotkampf Exploitierten repräsentiert wird. Hier sehen die Ästheten schwach, und alle ihre Argumente gleiten ab. Hinter dieser Bewegung steht das mißhandelte Geschlecht, welches nach seinen Rechten schreit. Das kann man aber nimmermehr erkennen, wenn man in diese Schicht (der[246] Exploitierten) schaut. Dazu muß man die »Einzel-Frauenbewegung« betrachten. Dieses Wort ist jüngst von einer Emanzipierten, die auch zu jener »Reaktion« gegen die Frauenbewegung gehört59, deren Argumente im mageren Boden des Ästhetentums ihre etwas verworrenen Wurzelfasern ausbreiten, mit Glück gebraucht werden.

Wie jede soziale Reformation zeitigt auch die Frauenbewegung zwei verschiedene Arten von Trägerinnen, die die schärfsten Gegensätze repräsentieren. Wie der Sozialismus auf der einen Seite den Typus des Verzichtmenschen hervorbringt – so hat er auf der anderen Seite einen Lassalle hervorgebracht, dem das Bedürfnis nach allen Luxusgütern der Erde im Blute saß. Gerade deswegen aber mußte er Sozialist sein – ganz wie sein Gegensatz, der Bedürfnislose, der Mönch, es ist.

So hat die Frauenbewegung zwei Typen hervorgebracht, die als riesige Gegensätze gegen einander stehen und wirken: die vom Geschlecht Emanzipierte und die fürs Geschlecht Emanzipierte. So gegensätzlich diese Typen auch sind, so sehr bedingen sie einander, so unentbehrlich scheinen beide für die tiefste Idee dieser Bewegung. Erst wenn eine Bewegung in solchen Gegensätzen kulminiert, erst dann scheint sie tief verwurzelt mit den Gesetzen des historischen Geschehens.

Auf der einen Seite der Frauenbewegung sieht man jene Schar, die der Schrecken des ästhetisch und erotisch empfindenden Mannes ist, die die Emanzipation vom Geschlecht wenn nicht fordert, so doch zumeist akzeptiert und die »Arbeit« als vollgültiges Surrogat für das Geschlechtsleben anerkannt haben will! Auf der anderen Seite – das Weib, das als Repräsentantin der »Einzel-Frauenbewegung« gelten kann, weil die Befreiung der innersten Persönlichkeit der einzelnen Frau seine wichtigste Sache ist. Die Persönlichkeit des Einzelindividuums[247] aber, zum Unterschied von der Klasse, wurzelt im Geschlecht. Diese Art »Emanzipierter«, die für dieses ihr Geschlecht emanzipiert sein will, ist es, in der das Geschlecht selbst verkörpert scheint. Auch sie bedarf der wirtschaftlichen Selbständigkeit gleich jener anderen. Denn ohne wirtschaftliche Freiheit gibt es weder eine innere noch sonst eine Freiheit.

Ein Zusammenhang zwischen geistigen Frauenbewegungen mit jenen Frauen, die in ihrem Geschlecht besonders stark empfanden, hat immer bestanden ... »Wahrscheinlich ging jene Frauenbewegung, die wir aus den Dichtungen des Aristophanes dunkel erkennen, im vierten Jahrhundert von Hetären aus. Die zuverlässigsten Nachrichten, die wir über Aspasia besitzen, haben eine starke Ähnlichkeit mit dem Bilde, das Euripides und Aristophanes uns von der Frauenbewegung machen«60. Antike, historische und mythologische »Frauenbewegungen« finden wir immer in einem gewissen Zusammenhang mit dem Hetärismus – freilich dem hochentwickelten Hetärismus, der die ihm Dienende nicht als mißbrauchte Buhlerin, sondern als gefeierte Freundin der Männer erscheinen läßt. Dieser freie Hetärismus wieder ist mit dem Amazonentum in geheimnisvollem Zusammenhang. »Das Amazonentum steht mit dem Hetärismus in engster Verbindung. Diese beiden merkwürdigen Erscheinungen des weiblichen Lebens bedingen und erläutern sich gegenseitig«61. Aber es kommt der Augenblick, wo diese beiden hohen repräsentativen Typen, die, beide im Geschlechte wurzelnd, Frauenbewegungen erzeugen, sich voneinander lösen. Der Amazonentyp, als der der Frau, die ihre Existenz auf sich selbst stellt, auf ihre eigene Kraft, will sich verschenken, vielleicht vergeuden, aber niemals verkaufen in des Wortes eigentlicher Bedeutung, das heißt, seine Gunst um wirtschaftlicher Nötigungen willen preisgeben müssen, sei es[248] mit oder ohne Ehe. »Der Hetärismus muß zum Amazonentum führen. Durch des Mannes Mißbrauch entwürdigt, fühlt das Weib zuerst die Sehnsucht nach einer gesicherten Stellung und nach einem reineren Dasein.« Rein aber ist ein Dasein nur, wenn es frei ist. In dieser Darstellung bedeutet die Amazone nichts anderes als die geschlechtsstolze Frau, die, um von keinerlei Geschlechtsfron wirtschaftlich abzuhängen, die käufliche Hetäre überwindet.

Die tiefen Motive des Amazonenmythos in den verschiedenen Sagenkreisen deuten auf ewig Typisches in den Vorgängen zwischen dem Mann und dem hochgearteten Weibe. Die Amazone zieht ins Feld, um sich den Geliebten zu »überwinden« (Penthesilea). Die Walküre liegt umwabert vom freislichen Feuer, das ein Feiger nie durchdringt. Und die Brünhild des alten Nibelungen-Textes knüpft den unechten Freier, der an sie heranzudringen wagt, in der Hochzeitsnacht an ihrem Gürtel auf! – Selbst bei den Chinesen finden wir Amazonensagen.


Wenn wir nun wieder zu unseren modernen Antifeministen zurückkommen, deren ästhetenhafte Auflehnung gegen die Frauenbewegung uns hier aufhält, so finden wir in ihren Streitrufen eine ganz merkwürdige blut-, fleisch- und knochenlose Verherrlichung gerade der »Hetäre«. Sie fordern vom Weibe, daß es »Hetäre« sei und sonst nichts, unbekümmert darum, ob denn die Hetäre heute ihre männlichen Partner fände. Die Zumutung, einer entwickelten weiblichen Persönlichkeit »Hetärentum« oder sonst irgendeine scharf abgegrenzte Form eines vorwiegend geschlechtlichen Daseins zuweisen zu wollen, ist so abgeschmackt, daß sie kaum einer Widerlegung bedarf. Sie ist so gedankenlos, so gesinnungslos, so wenig bedacht auf die wirklichen Zusammenhänge[249] der Dinge und so geistlos wie etwa die Anpöbelung, die sich von seiten jener Ästheten an das bloße Wort »Reformkleid« anschließt. So wenig, wie der das »Reformkleid« verhöhnende Ästhet beachtet, daß noch niemals ein Maler und Plastiker das Ideal des weiblichen Körperzaubers anders als im »Reformkleid« – es sei denn nackt – dargestellt hat – nämlich im freifließenden, dem Körper anschmiegsamen Einheitskleid und nicht etwa in »Rock«, »Bluse« und Korsett – so wenig beachtet er, daß die -Frau, die sich heute darauf verlegt, »Hetäre«, »Kind-Weib« oder dergleichen zu sein, bald in Syphilis, Schwindsucht und Armut verfällt und zumeist als Toilettefrau endigt ...

Es ist auch nicht recht zu erkennen, was diese Rufer im Streit eigentlich mit dem Weib anfangen wollen. Man hört zumeist nur das Negative, was das Weib nicht soll. Übereinstimmung findet man bei diesen »Rufern« oft in dem Punkt, daß sie das Weib nur als »Anregerin« geistig gelten lassen wollen, nicht als selbständige Intelligenz oder, wie sie es nennen, »zersetzt« vom Intellektualismus. »Natur« soll sie sein, »und als solche Harmonie«. Als solche stehe sie »als Anregerin und Resonator des männlichen Dranges zur Vollkommenheit neben dem Manne«62.

Ist es notwendig, diesen Wunsch nach geistiger Passivität des Weibes psychologisch auszudeuten? Ist es notwendig, in die Motive dieser »Abwehr« hineinzuleuchten? Notwendig, zu sagen, wie unbequem dem Mann, wenn er engen Herzens und mittelmäßigen Geistes ist, eine selbständige weibliche Geistigkeit werden kann – besonders da ja auch diese aktive Geistigkeit zur Harmonie der Natur mit sich selbst und zu besserer Harmonie der Frau führen kann? – Es ist nicht notwendig. Wir wollen das Niveau dieser Untersuchung nicht durch Polemik gemeiner Art drücken.[250] Was die Frau »ist« und »soll«, nicht ist und nicht soll, weiß jeder dieser Literaten bis aufs Itipferl genau. Sonderbar nur, daß ihr jeder einen anderen Imperativ in die Ohren brüllt. Sollte es aber nicht auch ein wenig – Angst sein, die diesen Herren im Leibe sitzt, Angst vor der durchbildeten geistigen Weiblichkeit? Die Kritik der instruierten Frau an der männlichen Geistigkeit ist unter Umständen eine Attacke an die stärkste Leidenschaft des Mannes: an seine Eitelkeit. Ob er sie als Magd – wie der Barbar – oder als »Resonator« – wie der Ästhet – neben sich zu sehen wünscht – es läuft auf eins hinaus: sei überhaupt nichts, als was ich dir anweise zu sein. Und was er ihr jeweilig anwies zu sein, das lehrt die Geschichte, auf deren Blättern Aberglaube, Dummheit und Gewalttätigkeit wahre Orgien feiern.

Auch eine Problemstellung, die auf Vergleiche mit männlichen Genies hinausläuft, ist an und für sich korrupt. Nicht darum handelt es sich: kann die Frau ein Goethe, ein Beethoven sein usf., sondern darum, daß sie ihre ureigensten Möglichkeiten zur besten Entwicklung bringe. So wenig wie sich eine menschliche Varietät gewaltsam erzeugen läßt, wenn die Bedingungen ihrer Entstehung nicht von Natur aus da sind, so wenig läßt sie sich unterdrücken, fortschaffen, wenn sie da sind, wenn sie selbst einer Situation und Konstellation notwendig entsprang wie die Pallas dem Haupte des Zeus. Und solche »Varietäten« sind sowohl die geistig selbständigen, wie die geistig passiven Frauen. Beide können formenbildend, wertezeugend wirken, beide in ihrer Art schöpferisch sein, beide auch den Gefährten und die Umwelt »inspirieren«. Das Wesen des »Gehirnweibes« als Gegensatz zur Möglichkeit weiblicher »Harmonie in sich selbst« aufzufassen, ist eine positive Täuschung. Ninon war eigentlich ein »Gehirnweib«, trotzdem sie so schön war und so sehr Frau war – und es gibt sehr dumme[251] Frauen, die unweiblich, unsinnlich und unschön auch noch dazu sind. »Gehirntiere sind auch Liebestiere im verfeinertsten Sinn«, heißt es bei Bölsche. Die Frauen der Romantiker, die der Enzyklopädisten, waren gleichzeitig die »Inspiratorinnen« und »Resonatoren« ihrer männlichen Gefährten – die vollkommensten, die die Männer jemals besessen haben – und wurden auch von diesen ihren Gefährten entsprechend eingeschätzt – und dabei durchaus selbständige, zumeist produktive Intellekte. Die Frauenemanzipation der Gegenwart hat allerdings auch höchst schauderhafte Typen hervorgebracht, das ist sicher. Das sind die, auf deren Natur wir bei der Betrachtung des vom Geschlecht emanzipierten Weibes hingewiesen haben. Und die Aversion der Männer gegen diese Typen ist sehr begreiflich. Aber diese Aversion darf nicht die Betrachtung des sozialen Phänomens dieser ganzen Bewegung in seiner Totalität – nicht das Verständnis der Zentralmotive, die dahinter stehen, und der tiefen Zusammenhänge dieser Motive mit der gegenwärtigen Sexual- und Wirtschaftsordnung – und der der Zukunft – gefährden. Auch liegt es auf der Hand, daß diese Art Frauen, die sich als Emanzipationsmegären so überaus unliebsam präsentieren, auch ohne »Beruf« und ohne »Bildung« nicht reizvoller sein würden. Und endlich: gibt es nicht noch ärgere weibliche Typen in jenen Schichten, die der Frauenbewegung fern stehen? Ist nicht die mißbrauchte und vertierte Dirne noch viel trauriger anzusehen? Ist nicht die stumpfsinnige Haustochter, die aufs Heiraten lauert und jeden Mann mit süßlichem Lächeln umkreist – ist nicht die den Mann be»sitzende«, auf ihre Rechte pochende Ehefrau noch widerlicher?

Und ist für den wirklich männlichen Geist ein höherer weiblicher Typus vorstellbar, als der des kultivierten »emanzipierten« Weibes, das dabei in hohem Grade sein Geschlecht repräsentiert?[252]

Die Verehrung der weiblichen Geistigkeit strahlt hell durch die Renaissance. »Die Weiber mögen so verehrt und geliebt werden, als sie es verdienen, d.h. nur wenig und zuzeiten; versteht sich, wenn sie keine anderen als sinnliche Vorzüge besitzen, nämlich jene geistige Schönheit«63.

Bei der Schreckhaftigkeit jener Ästheten vor geistig selbständiger Weiblichkeit muß ich wieder an den Roman von Laßwitz denken. Die Frauen der Martier sprechen die Sprache der höchsten Kultur, in der wissenschaftlich exaktesten Weise und mit philosophischer Tiefe führen sie die Unterhaltung. Die geistige Sprache dieser Frauen stört aber diese Männer, die Bewohner des Mars, nicht. Der auf den Mars verschlagene »Erdensohn« hat Mühe, die Ausdrucksweise dieser Frauen zu verstehen, der Tiefe ihres Gedankenganges zu folgen, und kann sich über den Kontrast zwischen der Anmut ihrer Erscheinung, der Güte ihres Wesens und ihrer scharfen Gedankenpräzision nicht genug wundern. Bei aller geistigen Tiefe und Fülle, die diese Frauen und Männer vom Mars verbindet, gedeiht doch vortrefflich das »Liebesspiel« und auch der Liebesernst zwischen ihnen. Auch die Erdensöhne passen sich auf dem Mars diesem hohen Niveau an. Dem degenerierten Erdensohn von heute aber schwindet das bißchen erotischen Impulses, das er aufzubringen vermag, wenn geistige Vorstellungen, von Frauen ausgehend, sich in die bildhaft sinnlichen Eindrücke der Liebe mischen.


Die Suggestibilität des Mannes zeigt sich der Frauenfrage gegenüber so recht deutlich; wie sie da fast alle straucheln über allzu naheliegende Suggestionen – über die Vorstellung von Disharmonien mit dem Geschlecht, während sie die am meisten auf der Hand liegende Disharmonie[253] – die, die aus der Unterdrückung irgendeiner menschlichen Strebung kommt – übersehen. Wie hat man hierzulande über den Massendemonstrationszug der englischen Frauen (1908), der ihrem Kampf um das Stimmrecht galt, gehöhnt. Wie hatte doch keiner dieser ästhetisierenden Lemuren – Halbnaturen – für den großartigen Gedanken Nerv und Ahnung, der eben in dem Massenhaften dieser Demonstration, an der sich die Frauen aller Klassen, von der kleinen Arbeiterin bis zur gefeierten Schauspielerin und Weltdame beteiligten, zum Ausdruck kam. Die nach Millionen zählende Hälfte der Bevölkerung, durch ihr Geschlecht verbunden, zog an diesem Tage durch die Stadt und – zeigte sich. Dieses Sichzeigen bedeutet: hier sind wir, hier in der Gesellschaft, die uns ihre Gesetze aufdrängt. Und da wir ihnen unterstehen, diesen Gesetzen, fordern wir Anteil an ihrer Gestaltung.

Stimmrecht und Reformkleid sind für den Ästheten dasselbe, was ein rotes Tuch für den Stier ist.

Das nüchternste, ödeste und gottverlassenste Bestreben der Frauen ist für diese Ästheten ihr Bemühen um Stimmrecht. Sie sehen darin den Gipfel der Entgeschlechtlichung. Sie erwägen aber keinen Augenblick, diese Zartbesaiteten, was das graue, öde, langweilige Stimmrecht in der Praxis bedeutet. Stimmrecht bedeutet Teilnahme an der Gesetzgebung. Von der Gesetzgebung aber hängt es ab – ob unsere Kinder gute oder schlechte Schulen besuchen, ob Krankenhäuser in genügender Zahl da sind, oder ob die Mutter mit dem sterbenden Kinde am Arm von einem zum anderen irren muß, ob wir durch Steuern erdrückt oder durch günstige soziale Organisationen gefördert werden, ob unsere Männer in heiratsfähigem Alter ein Einkommen haben oder sich rackern müssen, bis sie alt und grau werden, ehe sie Weib und Kind erhalten können – ob wir lieben dürfen,[254] ohne mitsamt der Frucht unseres Leibes in Schande und Not zu sinken, ob wir auf der Straße niederkommen müssen, wenn wir arm sind, oder ob Vorkehrungen getroffen sind, die uns davor bewahren, ob Mutterschaft frei wird – durch hohen sozialen Schutz – oder nicht. Über das Stimmrecht geht also auch der Weg zum »Recht zu lieben«. Stimmrecht ist ein unentbehrliches Mittel zur Befreiung der Persönlichkeit, des Geschlechtes, der Klasse und der Gattung. Hinter dem weiblichen Kampf um Stimmrecht steht insbesondere das mißhandelte Geschlecht. Persönlichkeit und Klasse, Geschlecht und Gattung – sie sind durch Mann wie Weib vertreten, darum müssen auch im Gesetze Mann und Weib vertreten sein, soll das Gesetz wahren und gerechten Bedürfnissen dienen. »Für die politischen Rechte der Frauen gelten genau dieselben Argumente, deren Anerkennung man in bezug auf die politische Emanzipation der Besitzlosen, der Arbeiter und zuletzt der Neger erzwungen hat ... Der Mangel des Stimmrechtes bedeutet für die Frau: du sollst kein Eigentum haben, keine Erziehung, kein Recht an den Kindern, dich darf der Mann, der Starke, züchtigen, dich stößt die Gesellschaft als Witwe mit deinen unversorgten Kindern hilflos wie Hagar in die Wüste des Elends. Du sollst nicht erwerben, spricht der Staat, solange die Männer die Konkurrenz der Frauen fürchten. Erwirb, spricht derselbe Staat von dem Augenblick an, wo er fürchten muß, daß ihm die unversorgte Witwe zur Last falle ... Es mag paradox klingen und ist doch vollkommen wahr: die Arbeit der Frau wird deshalb schlechter bezahlt als die des Mannes, weil sie das Stimmrecht nicht hat ... Ich frage jeden aufrichtigen Menschen: wären Gesetze, wie die über das Vermögensrecht der Frauen, über ihre Rechte an den Kindern, über Ehe, Scheidungen usw., denkbar in einem Lande, wo die Frauen das Stimmrecht ausübten?...[255] Die Frauen haben Steuern zu zahlen wie die Männer, sie sind verantwortlich für Gesetze, an deren Beratung sie keinen Anteil haben; sie sind also den Gesetzen unterworfen, die andere gemacht. Das nennt man in allen Sprachen der Welt Tyrannei ... Die Frau besitzt, wie der Sklave, alles, was man ihr aus Güte bewilligt«64.


Unauflösliche Widersprüche dieser antifeministischen Rufer auch bezüglich dessen, was die »Emanzipierte« geschlechtlich will und soll. Will sie nichts, so sagen sie ihr nach, sie »empfindet ihr Geschlecht als Last, ihre Sexualität als Schimpf, die Erotik als Schmach und als animalischen Zwang«65. Will sie ihr Teil vom Leben auch in der Liebe, so ist sie voll »dreister Hetäreninstinkte«. Man findet aber merkwürdigerweise sowohl geschlechtliche Anästhesie als die Neigung zum »dreistesten« Hetärentum am meisten unter jenen Frauen, die der Frauenbewegung am fernsten stehen. Der »Mangel an weiblichem Sexualgenuß« – ein der medizinischen Terminologie entnommener Ausdruck – wird 40% der Ehegattinnen der Vernunftehen nachgesagt. Und die »dreisteste« Form des Hetärismus findet sich in der Prostitution. Mit beiden hat die Frauenbewegung nichts zu schaffen, bedeutet vielmehr die Auflehnung gegen beide.

Auch eine Lockerung der Beziehungen von Frau zu Frau wird der Frauenbewegung zugeschrieben. Ich finde gerade im Gegenteil, daß niemals die Möglichkeiten herzlichster Kameradschaft und tiefsten Verständnisses zwischen Weib und Weib in so hohem Grade bestanden haben, wie gerade heute. Steht doch heute der »Ehefrau«[256] nicht mehr die »alte Jungfer« als trauriges Schreck- und Zerrbild ihrer eigenen Schicksalsmöglichkeit gegenüber. Die alte Jungfer hat vielmehr einer anderen »Spielart« weichen müssen. Das in seinem Geschlecht beleidigte, enttäuschte und in seiner ganzen Existenz aufs Trockene gesetzte, aufs ödeste Nichts verwiesene alte Mädchen mußte zur vergrämten und odiosen alten Jungfer werden. Es war »alt«, wenn es sich der Mitte der Zwanziger näherte und noch kein Mann angebissen hatte. Seit das Mädchen aber seine Existenz nicht mehr ausschließlich auf das Anbeißen eines Mannes stellt, seinem Dasein Fülle, Bewegung und Gravitation gegeben hat, indem es seine menschlichen Kräfte spielen ließ, seitdem ist es weder »alt« mit fünfundzwanzig Jahren – noch hat es nötig, »Jungfer« zu bleiben, wenn der Mann seiner Liebe ihm nicht die volle Versorgung zu bieten vermag. Die unverheiratete Frau bleibt also auf dem Plan, aber sie ist nicht mehr die alte Jungfer, sondern eben das weibliche Pendant zum Junggesellen: die Junggesellin. Und hier haben wir einen neuen sozialen Typus und keinen üblen. Und weit entfernt, daß die Beziehungen von Frau zu Frau sich lockern, sehen wir vielmehr nicht selten solche Junggesellinnen als wirtschaftliches Paar zusammen hausen. Zwei solcher Mädchen, die beide auf eigenen Füßen stehen, gründen oft ein Heim, als das Zentrum ihrer beiderseitigen Bestrebungen, schließen sich fest zusammen und nehmen nicht selten ein Kind an, wenn keine von beiden ein eigenes besitzt – ein Beweis für das ungeschwächte mütterliche Bedürfnis des Weibes. Wenn auch diese Gemeinschaft von Junggesellinnen weit davon entfernt ist, ein vollgültiges Surrogat für das Zusammenleben des Weibes mit dem Manne zu bieten, so ist sie doch noch tausendmal besser als der zwangsweise Verbleib eines erwachsenen Menschen in einem Familien-Milieu, das er vielleicht längst überwachsen hat. Besser auch als die[257] grausame Atomisierung, die das unversorgte Mädchen außerhalb der Familie und der Ehe früher erwartete. Auch diesen Zusammenschluß selbständiger Frauen, auch diese Rettung ihrer Weiblichkeit aus dem Altjungferntum hat die Frauenbewegung ermöglicht.


Das folgende Gedicht fand ich, als mir zufällig ein illustriertes Blatt, das sonst nicht zu meiner Lektüre gehört, in die Hände kam:


Garçonwohnung

»Aus Bronzeleuchtern stilles Kerzenschimmern,

Auf schweren Rahmen goldigweiches Flimmern

Und Spiegelglanz in blanken Waffenstücken,

Die matte, stahlgraublaue Wände schmücken.


Hoch über Türen starke Hirschgeweihe.

Viel Frauenköpfe in gewählter Reihe,

Darüber sich vergessne Blumen neigen.

Teppich und Felle hüten tiefes Schweigen.


Leicht lehnt am Schreibtisch ein gebeugter Rücken,

Zwei schmale Füße ungeduldig rücken

Am tiefen Sessel aus rotbraunem Leder,

Auf lila Bogen kichert eine Feder.«

(Hans Herbert Ulrich)


Warum soll nicht auch die »Junggesellin« so zu denken sein? Warum soll nicht die Frau, die der Familiengemeinschaft widerstrebt, oder die richtige Gemeinschaft, die ihr das Opfer ihrer Freiheit wert scheint, nicht findet, in ihrer behaglichen Wohnung, erworben und erhalten durch ihr in Unabhängigkeit erworbenes Einkommen, hausen, als freie Gesellin, über sich selbst verfügend und ihres Lebens froh! An statt sich in den Familien verheirateter Verwandter bitteren Herzens als alte Jungfer herumzudrücken – »Tante« der Kinder, die andere geboren, froh, wenn ihr jemand ein altes Kleid schenkt – finden wir sie in einer vornehmen, ihr allein eigenen Häuslichkeit. Anstatt vergrämt zu altern, weil ohne Vergangenheit, die[258] des Lebens wert war – bleibt sie jung und elastisch, solange sie eine Gegenwart hat. »Sie hat eine Vergangenheit« – das ist heute eine Schande für eine Frau. Sie hat keine Vergangenheit – welch ein monströses Schicksal!

»Hoch über Türen starke Hirschgeweihe,« – hoffentlich hat sie auf Edelhirsche und nicht auf Lapins gejagt – und Männerköpfe »in gewählter Reihe« – auch das, auch das! Und ohne sentimentale Belastung, in froher Ruhe und mit ungebrochener Persönlichkeit.


»Leicht lehnt am Schreibtisch ein gebeugter Rücken,

Zwei schmale Füße ungeduldig rücken

Am tiefen Sessel aus rotbraunem Leder,

Auf lila Bogen kichert eine Feder.«


So will ich die Junggesellin. Ihre Feder muß ja nicht gerade »kichern«, aber doch lächeln. Nur nicht stöhnen und ächzen soll sie. Das aber kann nur sein, wenn die, die sie führt, frei ist von jeder Geschlechtsfron, der aktiven sowohl, die darin besteht, sich gegen seine Neigung hingeben zu müssen, als auch der passiven des erzwungenen Liebesverzichtes.


Eine Problemstellung, der man öfter begegnet, ist die, ob denn die Produktivität des weiblichen Geistes nicht die »Erstickung« des spezifisch weiblichen Fühlens und Erlebens fordere, etwa wie ein Opfer, das eine strenge Göttin ihren Jüngern auferlegt. Hier kann sich natürlich jeder am verläßlichsten auf seine eigenen Erfahrungen berufen. Ich glaube nicht, daß die Verkümmerung der Möglichkeiten spezifisch weiblicher Erlebnisse die Produktivität steigert, sondern umgekehrt, daß die Frau nur durch dichteste Fülle weiblichen Erlebens auch zur stärksten Kraft ihrer persönlichsten und geistigsten »Stimme« gelangt. Immer und immer aber wird die Frage erhoben, ja durch Enqueten zu lösen gesucht, ob weibliches Erleben[259] und geistige Arbeit sich vereinen lassen. Ich sage umgekehrt: ein Leben, das der geschlechtlichen Erfüllung entbehrt und Produktivität, lassen sich – wenigstens bei der gesunden, in ihrem Triebleben normal entwickelten Frau – nicht, oder nur unter großen Kämpfen vereinen, es sei denn, daß ein Leid besonderer Art sie hellseherisch macht. Gewöhnlich ist dieser Vorgang aber nicht. Denn woher soll ihr aus der Öde ihres weiblichen Schicksals die Kraft kommen, die zu jedem tätigen Werke gehört? Freilich bedeuten die physischen Veränderungen, die durch die Mutterschaft im weiblichen Organismus vorgehen, oft tiefgreifende Störungen der Produktivität. Aber diese Störungen sind nur temporäre Unterbrechungen. In der Zeit der Schwangerschaft und während der ersten Säuglingspflege wird die Frau ohne Zweifel den größten Teil ihrer Energien für ihre generelle Funktion verbrauchen; aber eine weise gesellschaftliche Ökonomie wird mit diesem Tribut, der zur Erhaltung der Gattung notwendig ist, rechnen und ihn ziffernmäßig bewerten. Lang und weit ist die Kette der Lebensjahre einer Frau; vor und nach jeder Unterbrechung ihrer Tätigkeit durch die Mutterschaft hat sie reichlich Zeit zu sozialer Leistung. Und was man einmal sehr gut gekannt hat, das verlernt man auch nie mehr. Ist die Hauptinanspruchnahme, die die früheste Jugend des Kindes von der Mutter verlangt, vorüber, so wird sie, und vielleicht mit besseren Kräften, wieder nach der Tätigkeit greifen, die sie früher betrieb und sich wieder besinnen auf das, »was sonst sie gewesen« (wie Wotan zur entrechteten Walküre sagt). Es war bis vor kurzem noch modern, dem emanzipierten Weibe vorzuwerfen, es wolle keine Kinder, es wolle sich nur »ausleben«. Seit ein »Bund für Mutterschutz« aus der Frauenbewegung, die Tag für Tag deutlicher zur Mutterbewegung wird, hervorgegangen ist, ist die Nichtigkeit dieses Argumentes wohl zur Genüge erwiesen. Wohl aber ist die Behauptung,[260] daß ein Wunsch nach Kinderlosigkeit bestehe, zwar nicht auf die geistige Frau – aber auf den geistigen Mann anzuwenden und zumeist zutreffend. Fast jeder Mann flüchtet vor der Idee der Vaterschaft, soferne sie ihm im geringsten Unebenheiten verursachen könnte. Nur wenn mit der ganzen Suggestion des »Familienlebens« gearbeitet wird, dann begeistert er sich für seine Rolle als »Papa«. Der bessere Mann wird zwar auch illegitime Kinder nachher lieben – »wenn sie da sind«, aber nur selten sie vorher »wollen«. Er flieht selbst die Liebe, wenn sie ihn mit der Vaterschaft zu »beschenken« droht. Nietzsche sagte in seiner Abhandlung über Askese66: »Ein verheirateter Philosoph gehört in die Komödie.« Buddha, als ihm die Geburt eines Sohnes gemeldet wurde, erging sich in der Klage: »Rahula67 ist mir geboren, eine Fessel ist mir geschmiedet.«

Und von der Besiegung dieser Heirats- und Fortpflanzungsunwilligkeit des Mannes sollte bis vor kurzem das Schicksal einer Frau abhängen! Immer unwürdiger, immer unhaltbarer wurde ihre Stellung, immer mehr und mehr mußte sie durch sinnliche Überrumpelung oder Bestechung (durch Mitgift) den Mann für die Erfüllung ihres »Beruf es« – zu dem ja nun einmal zwei gehören – zu gewinnen suchen. Was Wunder, daß sie schließlich nach einem anderen Mittel suchte, um leben und bestehen zu können.

Daß die Mütterlichkeit ein Wesenselement der bedeutendsten produktiven Frauennaturen war, beweisen Gerhardt und Simon68 an den Biographien von George Elliot, George Sand, Harriet Beecher-Stowe, Marceline Desbordes-Valmor, Elisabeth Barret-Browning, Mary Sommerville, Mary Wollstonekraft, Frau von Staël, Madame Roland und vielen anderen. Alle diese Frauen waren[261] Mütter, zärtliche und aufopfernde Mütter und dabei groß, tief und ahnend in ihrer Produktivität. Nicht minder mütterlich empfinden oft geistige Frauen, denen die physische Mutterschaft durch irgendwelche Gründe und Schicksale versagt blieb. Ein Konflikt scheint mir, ich muß es wiederholen, nicht zwischen geistigem Schaffen und erfülltem Frauenleben, sondern zwischen ersterem und nicht erfülltem Frauenleben zu bestehen. Und eine ganz ehrliche Enquete müßte eigentlich dahin zielen, Frauen, denen die Erfüllung ihres weiblichen Schicksals versagt blieb, dahin zu bringen, mitzuteilen, inwieweit sich dies bei ihrer Produktivität bemerkbar mache. Durch Ehrlichkeit würde da so manches Geheimnis der Produktivität kund werden.


Was also ist und will die Frauenbewegung, da sie das, was ihre Angreifer zumeist in ihr sehen, weder ist noch will.

Die Frau will Anteil an »Geld, Macht, Ehren«, gewiß – und das aus erster Hand, nicht nur über den Umweg der Ehe; vor allem aber will sie freie Verfügung über die Gestaltung ihres Lebens, und diese Möglichkeit gibt ihr nur die wirtschaftliche Selbständigkeit. Die Frauen wollen teilnehmen an sozialer Arbeit um der Möglichkeiten materiellen, gesellschaftlichen und moralischen Weiterkommens willen, wie sie nur durch Tätigkeit in einem geeigneten Berufe zu erringen sind. Um überhaupt lebenswillig zu bleiben, muß ein Mensch irgendeine Zukunft haben – irgendein Hoffen, dessen Erfüllung von der eigenen Kraft und Leistungsfähigkeit abhängt. Das Schicksal der Frau war bis jetzt so gut wie ohne Zukunft, es sei denn die, die ihr durch ihre Kinder werden konnte. Ein Eigenschicksal zu haben – abgesehen von dem, das man als Glied der Gattung hat – ist aber jedes Menschen Recht.[262]

Der Kampf um Frauenrechte ist in meinen Augen nur ein Weg, ein Mittel zur Erlangung von Weibesrechten, zur freien Selbstbestimmung der Frau, auch in der Mutterschaft und in der Liebe, ein Mittel, ihre Persönlichkeit zu erweitern, damit sie besser Mensch sei, und damit auch besser Frau sei. Und da es ohne wirtschaftliche Befreiung auch in ihren Beziehungen zum Manne für sie keinerlei Freiheiten gibt, bedarf sie dieser wirtschaftlichen Befreiung. Sie muß in der Geschlechtsauslese vollkommen frei werden, vollkommen unabhängig von wirtschaftlichen Nötigungen, um sowohl zur Vermehrung ihrer eigenen Glücksmöglichkeiten als zur Verbesserung der Früchte des Rasseprozesses, dessen Baum sie ist, ihr Teil beizutragen.

Das Geschlecht ist es, welches sich in der Frauenbewegung endlich auflehnt, und nichts als das Geschlecht. Das Geschlecht, welches auf den Aushungerungszustand gesetzt wurde und in die schmählichste Abhängigkeit von jedem Futterspender gebracht worden war, mußte zur Selbsthilfe schreiten. Seit der Frau die Möglichkeit der freien Wahl in ihrem Geschlechtsleben abgeschnitten war – durch die vollkommene Abhängigkeit von alledem, was der Mann außerhalb seines persönlichen Wertes an sie zu vergeben hatte – mußte sie diesen, seinen persönlichen Wert – an die letzte Stelle setzen, die bei der »Wahl« in Frage kam.

Die Frauenbewegung eröffnete ihr einige (nicht alle) Möglichkeiten, nicht abzuhängen von diesen Futterwerten, die der Mann an sie zu vergeben hatte, wieder einigermaßen Herrin der eigenen Situation zu werden. Hat der Mann sie »werben« lassen – warten, hangen und bangen, zappeln und radschlagen – weil ihre einzige Möglichkeit geschlechtlicher Erlösung zusammenfiel mit der Überwindung der zahllosen Schwierigkeiten der Ehe – nun wird sie ihn wieder »werben« lassen – wenn sie so weit ist.

Ein Racheakt also die Frauenbewegung? Nein, ein Erlösungsakt. [263] Einer der Wege zur Erlösung des gefangenen, mißbrauchten Geschlechtslebens von Mann und Weib. Freilich nicht der letzte Weg zu diesem Ziel – nur der erste und der augenblicklich gangbarste.

Der letzte Weg trägt den Namen »Mutterschutz« und setzt an Stelle der Selbstbewegung der Frau die bewußte Initiative der Gesellschaft.

55

Robert Hessen, »Neue Rundschau«, Juli 1908.

56

Avincenna, Zeitschrift »März«, II. Jahrg., Heft 11.

57

»Fundament eines neuen Staatsrechtes«. C. Reißner, Dresden.

58

Karl Scheffler: »Die Frau und die Kunst.«

59

Lucia Frost.

60

J. Bruns: »Frauenemanzipation in Athen«.

61

Bachofen.

62

Karl Scheffler: »Die Frau und die Kunst«.

63

Giordano Bruno: »Eroici furori«.

64

Hedwig Dohm: »Der Frauen Natur und Recht«, Berlin 1876 und »Der Jesuitismus im Hausstande«, Berlin 1873.

65

Karl Scheffler: »Die Frau und die Kunst«.

66

Genealogie der Moral.

67

Kleiner Dämon.

68

Mutterschaft und geistige Arbeit.

Quelle:
Grete Meisel-Hess: Die sexuelle Krise. Jena 1909, S. 239-264.
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