Achtes Kapitel

[74] Wie Lazaro bei einem Alguazil Dienste nahm und was ihm bei diesem zustieß.


Nachdem ich Abschied von dem Kapellan genommen, verdingte ich mich als Gehilfe bei einem Alguazil; aber ich blieb nicht lange bei ihm, weil mir dieses Geschäft zu gefahrvoll schien, vornehmlich als einmal des Nachts einige Schelme, die sich in einen Schlupfwinkel versteckt hatten, mich und meinen Herrn mit Steinwürfen und Knütteln verfolgten. Meinem Herrn spielten sie, wie ich vermute, übel mit, mich aber konnten sie nicht erreichen.

Aus dieser Ursache gab ich dieses Gewerbe auf, und indem ich darauf sann, welche Lebensweise ich ergreifen müßte, um Ruhe zu finden und etwas für das Alter zurückzulegen, gefiel es Gott, mich zu erleuchten und mir den Weg dazu und die vorteilhafteste Art zu zeigen. Und so wurden mir durch die Begünstigung meiner Freunde und Gönner alle meine bis jetzt erlittenen Drangsale und Beschwerden vergolten, indem ich das erlangte, wonach ich strebte: dies war ein königliches Amt; denn ich sah, daß außer denen, die ein solches bekleiden, niemand zu etwas kömmt. Das Amt, dem ich noch bis auf den heutigen Tag vorstehe und das ich zu Gottes und Eur Gnaden Ehre verwalte, besteht darin, daß ich den Wein öffentlich ausrufe, der in dieser Stadt verkauft wird, daß ich bei Auktionen ausrufe und es bekannt mache, wenn etwas verlorengegangen ist, und die, welche die Gerechtigkeit bestraft, begleite und laut ihr Verbrechen kund tue: kurz, ich bin auf gut deutsch ein Ausrufer. Es ist mir auch so gut geglückt, und ich habe diesen Dienst mit solcher Leichtigkeit verrichtet, daß fast alle Sachen, die in dieses Fach[75] einschlagen, durch meine Hände gehen, so daß man in der ganzen Stadt, wenn man Wein oder etwas anderes verkaufen will und Lazaro von Tormes nicht die Besorgung hat, überzeugt ist, nicht den gehörigen Nutzen daraus zu ziehen.

Als nun zu dieser Zeit der Herr Erzpriester von St. Salvador, mein Patron und Eur Gnaden Diener und Freund, dessen Wein ich ausrief, Nachricht von meiner Person bekam und meine Tüchtigkeit und meinen guten Lebenswandel sah, bemühte er sich, mich mit seiner Magd zu verheiraten. Ich sah ein, daß mir von einer solchen Person nichts als Ehre und Gutes erwachsen würde, und willigte ein.

Ich verheiratete mich demnach mit ihr und habe es auch bis jetzt noch nicht bereut, denn unabgesehen, daß sie ein gutes, fleißiges und dienstwilliges Kind ist, so besitze ich auch noch in meinem Herrn Erzpriester alle mögliche Hilfe und Unterstützung.

Etliche Male im Jahre gibt er ihr ungefähr einen Scheffel Weizen, Ostern ihr Fleisch und, wenn es ihm einfällt, Opferkuchen und auch die alten Beinkleider, die er ablegt: er ließ uns auch ein kleines Häuschen, dicht neben dem seinigen, mieten, und beinahe alle Sonn- und Festtage speisen wir in seinem Hause. Aber böse Zungen, an denen es nie fehlt, ließen uns nicht ruhig leben; sie sagten, ich weiß nicht was alles, daß sie meine Frau zu ihm gehen, sein Bett machen und ihm sein Essen zubereiten sähen. Aber Gott helfe ihnen mehr, als sie die Wahrheit sagen; denn außer dem, daß sie kein Weib ist, die an solchen Possen Gefallen findet, so tat mir auch mein Herr noch überdies ein Versprechen, das er, wie ich glaube, auch halten wird; denn er sprach eines Tages in ihrer[76] Gegenwart sehr weitläufig mit mir und sagte: Lazaro von Tormes, wer auf das Geschwätz böser Zungen hört, der wird nie gedeihen. Ich sage dies, weil ich mich nicht wundern würde, wenn einer, der dein Weib in meinem Hause aus und ein gehen sieht, darüber murmelte. Sie kommt aber gewiß zu deiner und ihrer Ehre zu mir, dies verspreche ich dir. Deshalb merke nicht auf das, was man dir vielleicht sagen könnte, sondern auf das, woran dir gelegen sein muß, ich meine auf deinen Vorteil.

Sennor, antwortete ich ihm, es ist mein Entschluß, mich zu braven Leuten zu halten. Wahr ist es indes, daß einige meiner Freunde mir etwas davon gesagt haben, und mehr als dreimal haben sie mich versichert, daß meine Frau, ehe sie mit mir verheiratet ward, drei Kinder gehabt habe; mit Ehrfurcht gegen Eur Gnaden sei es gesagt, da sie eben gegenwärtig ist.

Jetzt stieß meine Frau Flüche über sich aus, so daß ich dachte, das Haus mit uns allen würde versinken; dann fing sie an zu weinen und brach in tausend Verwünschungen aus wider den, der sie mit mir verheiratet hätte: dergestalt, daß ich lieber hätte tot sein wollen, als daß dieses Wort über meine Lippen gekommen wäre.

Endlich machten wir ihr, von der einen Seite ich und von der andern mein Herr, solche Vorstellungen und verhießen ihr so viel, daß sie ihre Tränen stillte. Mit einem Schwure versprach ich ihr, daß ich nie in meinem Leben diese Sache wieder erwähnen wollte, ja, daß ich sogar froh wäre und nichts dawider hätte, wenn sie bei Nacht und bei Tag aus und ein ginge, da ich von ihrer Ehrbarkeit völlig überzeugt wäre.

Also blieben wir alle drei sehr einig. Bis auf den heutigen Tag hat uns auch niemand dieses Vorfalls wieder[77] erwähnen hören, und wenn mir ja einmal einer über diesen Punkt etwas sagen will, so unterbreche ich ihn und sage zu ihm: Höre, wenn du mein Freund sein willst, so sage mir nichts, was mir unangenehm ist; denn den halte ich nicht für meinen Freund, der mir unangenehme Dinge sagt, und am wenigsten den, der mich mit meinem Weibe entzweien will. Sie ist die Sache, die mir auf der ganzen Welt am liebsten ist: ich liebe sie mehr als mich selbst, und Gott hat mir durch sie viel Gnade erwiesen, mehr noch als ich verdiene; denn das will ich auf die geweihte Hostie schwören, daß sie ein so braves Weib ist, als nur in den Mauern von Toledo eines lebt: und wer mir etwas anderes weismachen will, dem werde ich den Hals brechen! – Auf diese Weise sagt man mir nichts mehr, und ich habe Frieden in meinem Hause.

Dies trug sich zu in demselben Jahre, in welchem unser glorreicher Kaiser in diese berühmte Stadt Toledo kam und daselbst Hof hielt, wobei es große Feierlichkeiten und Feste gab, wie Eur Gnaden gehört haben werden.

Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 74-78.
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