III

[1221] »Das Abendessen wird heut etwas später werden als gewöhnlich«, sagte Hr. Oheim. »Wie ich höre, so hat kein Mensch auf das Füllen gerechnet, und dem armen Tier ist weder Krippe noch Reifen zurechtgemacht. Sie zersägen eben eine alte Krippe aus dem Kühstalle, und machen auch ein Gestell, das einen Reifen für diese Nacht vorstellen soll. Es war sogar keine Halfter da, und man darf doch den armen Narrn die ganze Nacht über nicht frei neben der Mutter stehen lassen, weil's ihm einfallen könnte die alte böse Milch von neuem einzusagen.« Wie wir uns so am Küchenfeuer wärmten, trat der Pfarrer herein mit einem großen weißen Reitermantel unterm Arm. Er war gekommen mich abzuholen, daß ich die Nacht in seinem Hause zubringen sollte. »Daraus wird nichts, mein lieber Herr Pastor«, rief ihm Mademoiselle[1221] Oheim entgegen. »Herr Müller bleibt bei uns, und Mama und ich haben schon oben weiß für ihn gedeckt. – Und wir tun nichts gerne umsonst – wissen Sie das?« – Ich folgte der gutherzigen Einladung, und der Pfarrer ließ sich auch bereden zum Abendessen zu bleiben. Endlich kam auch der junge Herr Oheim zur Gesellschaft, nachdem er für seine Tiere gesorgt hatte. – »Sie als ein Reitersmann«, sagte er zu mir, »werden es nicht übelnehmen, wenn das Essen heut ein wenig spät wird. Ich denke, Sie setzen sich wohl selbst nicht eher zu Tische, bis Ihr Roß versorgt ist.« »Sie haben heut einen guten Tag gehabt«, sagte der Pfarrer zu ihm – »So so –« war die Antwort. »Und hier hab ich auch für Sie gesorgt. Sehen Sie«, indem er etwas aus der Tasche zog das ich nicht sogleich erkennen konnte, »hier ist der wahre Lichen rangiferinus, den ich heute im Vorbeireiten auf den Felsen des Aschberges angetroffen habe. Und so ist denn nun die Sammlung vollständig. Sehen Sie in Ihren Speciebus nach, ob das nicht das wahre Rentierenmoos ist, das so gut bei uns wächst als in Lappland?« Der Pfarrer war wie von Freuden über den gefundenen Schatz außer sich – »Machen Sie hurtig«, sagte Fr. Oheim, »daß Sie Ihr Kleinod unbeschädigt nach Haus bringen. Da wird die arme Frau eine böse Nacht haben, weil der Herr für Freuden nicht schlafen kann.« Mademoiselle Oheim kam mit einem großen Becken Wasser herein: »Darf ich gehorsamst bitten, daß Ihr Kleinod zu saufen bekommt, so gut wie des Hrn. Heinrichs Füllen. Es könnte bis nach Tische Not leiden.« »Das ist diesmal nicht nötig, ihr Kinder«, sagte der Pfarrer; »ich sehe ihr wißt noch nicht, daß Lichen und Muscus wie Franzose und Engländer voneinander verschieden sind.« »Unser lieber Pfarrer«, sagte Hr. Oheim zu mir, »hat bisher keine Frau, und wenig Ackerbau gehabt; um sein bißchen Existenz loszuwerden hat er sich daher auf sieben Künste zugleich gelegt. Meinen Kindern hat er seinen Geschmack an der Naturgeschichte mitgeteilt, und wenn's bei diesen auch bisher nur Spielwerk gewesen ist, so ist's doch immer besser, als das Spielwerk mit bloßen Büchern. Es schärft wenigstens die Sinne, und gewiß auch das Judizium.«

Weil das Gesinde hineingekommen war, so klopfte Frau Oheim zum Essen. Über Tische war, wie man denken kann, der Hauptdiskurs von den neuen Pferden. »Ich habe heut im Nachhausereiten an Sie und an Ihre Philosophie gedacht, Hr. Pfarrer!« sagte der junge Oheim. – »Wieso?« – »Wenn Sie mich immer so gern überreden wollten, daß das Hoffen besser sei wie das Haben.[1222] Ich war heut im großen Triumph ausgegangen, wenn ich meinen Handel überlegte, und bin ganz capot nach Hause geritten, nachdem er geschlossen war.« – »Gereut Sie's denn schon?« – »Das wär zu frühe – und ich hoffe das soll auch wohl ausbleiben. Aber ich dachte es sollte mir Mühe kosten: und da ich alles so leicht fand, verdroß mich das. Wär mein Verkäufer ein Jude oder ein reicher Schultheiß gewesen, wie wollt ich ihm mit Vergnügen das Messer an die Kehle gesetzt haben! Aber so war's ein armer ehrlicher Teufel, den die Not dazu brachte. Da verging mir das Handeln. – Ich hätte ihm auch das Füllen nicht abnehmen können. Aber da war ein garstiger Jude da, der darum handelte, und es vielleicht für 8 oder 10 Taler erwischt hätte. Er wollte mir auch die Pferde verleiden, und sagte immer sie hätten keine Gestalt. Wenn sie nur brav sind, und die Arbeit tun, und Fresser sind – Wir fahren nicht spazieren damit. Als der gute Mann sahe, daß ich auf dem Füllen bestand, so sagte er mit Tränen in den Augen: ›Nehmen Sie's hin, ich weiß es ist doch gut bei Ihnen aufgehoben. Aber lassen Sie mir's sagen, wenn Sie's einmal verkaufen wollen. Vielleicht bin ich alsdann imstande, es Ihnen zu bezahlen.‹ Mir war's als wenn ich der Vormund über das Tier würde, und ich gab ihm die Hand darauf, daß es nie aus meinen Händen in andre als die seinige kommen sollte. Hab ich zuviel versprochen, Papa?« »Nein«, sagte Hr. Oheim. »Das Füllen ist dein, denn ich habe nicht drauf gezählt, und das Futter das es frißt will ich dir auch an deinem Heiratsgut nicht abziehen«, sagte er mit Lächeln. »Wenn's 3 Jahre alt ist, so wollen wir sehen, wie wohlfeil du das Herz hast es deinem Bauern wieder anzuschlagen.« – »Ich habe ihnen die Hufe besehen«, fiel der Sohn ein, »sie haben herrliche gesunde Wände – die Eisen halten auch noch. Wir können also, wenn Philipp fürs Futter sorgt, morgen mit der Dämmerung hinaus, und sehen was sie in der Arbeit vermögen. Ich denke wir reißen den Acker gerade vor der Mühle auf, und da wird sich's zeigen ob sie Kräfte in den Knochen haben. Ich fahre morgen selbst, und wenn Philipp sich gut aufführt und sie gehörig pflegt, soll er übermorgen auch mitfahren. Also, Mademoiselle, nur dafür gesorgt, daß morgen unser Frühstück gleich parat ist.«

Als der Tisch abgehoben war, ging der Pfarrer weg, und der junge Oheim beurlaubte sich auch. Die Tochter stand mit einem Licht da, und Madame Oheim präsentierte mir die Hand. »Kommen[1223] Sie, unsre Tochter soll uns leuchten, wir wollen sehen wo Ihr Schlafzimmer ist, und ob wir's Ihnen recht gemacht haben. Herr Oheim mag uns folgen wenn er will.« Ich ward die Treppe herauf in ein schönes geräumiges Zimmer geführt. Madame Oheim zog die Vorhänge des Betts auf, und sagte zu mir, »sehen Sie selbst, ob Sie auf diese Art oder anders gerne schlafen.« Ich war von der freimütigen Güte so betreten, daß ich nicht antworten konnte. »Wir haben Ihnen die Matratzen oben hingelegt, weil wir denken Sie schlafen in der Stadt nicht auf Federn. Sind Sie's aber anders gewohnt, so sagen Sie's frei heraus, denn wir sind beide noch da, und können's anders machen.« Ich wollte etwas zur Antwort stottern, aber Mutter und Tochter wünschten mir beide gute Nacht, und ließen mich mit dem Vater allein. Nun hatte ich Zeit mich umzusehen, und ich muß sagen, ich fand das Ameublement so sonderbar, daß ich's dem Herrn des Hauses nicht bergen konnte. Da war Kostbares und Gemeines so untereinandergemischt, daß ich nicht wußte, was ich sagen sollte. Die Vorhänge meines Betts waren linnen, und es schien, so artig es aussah, doch wie man sagt, Hausmacherzeug. Hingegen waren die Stühle und Lehnsessel die schönste Tapetenstickerei. Die Wände waren weiß, und mit Schmetterlingtafeln, und ausgestopften Vögeln unter Gläsern, auch mit einigen Handzeichnungen behangen. In der Tiefe des Zimmers brannte das Feuer in einem Kamin, das eine marmorne Einfassung zu haben schien. Auf dem Gesimse standen zwei gelbe Wachslichter.

Als ich meine Nachtmütze in den Nacken schob, und das ganze Arrangement noch einmal mit großen Augen überlief, sagte Hr. Oheim: »Kommen Sie und setzen Sie sich noch eine Viertelstunde zu mir ans Kamin. Sie können doch nicht ruhig schlafen, wenn ich Ihnen nicht sage, wie das alles hier zusammengekommen ist. Sehen Sie das alles, groß und klein, ist Hausmacherzeug, und das ist der Grund des schönen Ensemble, was Ihnen als Stadt- und Weltmann so ungern in Kopf will. Wenn man bei euch Herren Symmetrie und Harmonie, wie ihr's nennt, hervorbringen will, so muß man alle vier Weltteile dazu aufbieten. Wir haben das aber nicht nötig, sondern nehmen was uns vor der Nase liegt. Hier den Vorhang haben meine Leute gesponnen, und er ist im Hause gewebt. Die Stühle und Sessel haben ich und meine Frau und Tochter gestickt, wie wir, bei unserm ehmaligen kleinen Feldbau, im Winter nicht wußten, was wir mit den trüben Tagen anfangen sollten. Die Kamineinfassung ist[1224] nichts Bessers als der Stein wovon mein ganzes Haus gebaut ist. Vor ein paar Jahren hatte der Pfarrer den Furorem mineralogicum; er lebte und schwebte also über allen Steinbrüchen, und probierte mit seinem Magnet, seinem Stahl, und Fläschchen Scheidewasser, alle Steine auf Gottes Erdboden. Da fand sich's nun, daß der Stein, wovon ich von ohngefähr gebaut hatte, Gott weiß was für ein schöner Serpentino antico wäre. Er schliff ihn an, und beredete den Steinhauer des Orts, daß er ein paar große Stücke aussuchen sollte. Er wies ihn am Ende an, ihm sogar die letzte Politur mit simpeln Knochen zu geben, und so ward ich zu meinem Kamin beredt, damit der Pfarrer und sein System recht behielt. Das übrige was Sie an den Wänden sehen, sind die Spielwerke meiner Kinder. Und die Wachslichter, die hier brennen, wachsen hinter meinen Scheunen. Ich weiß nicht, ob's Ihnen so ist wie mir: ich bin mein Leben lang durch nichts als goldne Sprüche regiert worden, die mir statt alles Räsonnements dienten. Und so ist mir auch der goldne Spruch, der durch mein jetziges Leben zieht, der: Genieße nichts, als was du dir erworben hast. Ich glaube, ich würde von Haus und Hofe laufen, wenn ich's geerbt hätte. Aber so da ich's erworben habe, ist mir's in allen Teilen lieb. Alles, wohin ich mich setze, worauf ich ruhe, was ich berühre, ist mein, weil ich seine Geschichte weiß, und mit dieser die Geschichte des besten Teils meines Lebens mir vortritt. So vergleich ich immer alles in Gedanken mit dem was es war, und was es jetzo ist, und, nächst dem tiefen Gefühl von Gottes Segen, ist mir das Andenken an meine Arbeit wert. Sowenig ein vernünftiger Mensch wünschen wird, seine Kinder auf einmal groß und erzogen zu sehen, so wenig hat's mich vom Anfang an verdrossen, Fleiß und Sorge auf diese meine Habe zu wenden. So wie die Kinder nach vieler Mühseligkeit und langen Jahren endlich erwachsen, so ist auch alles um mich her groß geworden, und meine Hecken, meine Bäume und Bäche gehören alle zu meiner Familie.« – Ich sahe, daß der gute Mann warm ward, und ich hätte ihn in diesem Augenblick von Patriarchengefühl umarmen mögen, wenn mir seine Predigt die er mir eben hielt nicht die Furcht eingejagt hätte, als ob er glaubte, ich hätte von der Güte seiner Existenz noch eine Überzeugung nötig. – Er überließ mich bald meinen eignen Überlegungen; allein meine Seele war zu voll von allem dem, was ich Neues und Unerwartetes in dieser glücklichen Familie fand, als daß ich so bald ein Auge hätte zutun können. In den süßen Träumen, die mich[1225] auf meinem gastfreundlichen Lager besuchten, stand immer Mlle. Oheim mitteninne; und sowenig das liebe Kind sich mit mir zu tun gemacht hatte, so war doch dies Bild von Güte, Freimütigkeit, geschäftigem und munterm Wesen so nahe vor meinen Augen, daß ich noch nicht einmal Zeit genug gehabt habe, zu sagen, daß es auch von Figur ein allerliebstes blondes Mädchen war.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1221-1226.
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