Drittes Kapitel

[729] An einem Fenster, dessen Blick über die Türme von Novara und eine schwül dampfende Ebene hinweg die noch morgenklaren Schneespitzen des Monte Rosa erreichte, saß Pescara und arbeitete an dem Entwurfe des Feldplanes, der das Heer des Kaisers nach Malland führen sollte. So unablässig ging er seinem Gedanken nach, daß er die leisen Tritte des Kammerdieners nicht vernahm und ihn erst gewahr wurde, als jener die Limonade bot. Während er das leichte Getränk mit dem Löffel umrührte, bemerkte er: »Ich schelte dich nicht, Battista, daß du heute nacht gegen meinen ausdrücklichen Befehl bei mir eingetreten bist Du magst, nebenan schlafend, mich wohl schwerer als gewöhnlich atmen gehört haben – ein Alp, eine Beklemmung ... nicht der Rede wert.« Er nahm einen Schluck aus dem Glase.

Battista, ein schlauer Neapolitaner, verbarg seinen Schrecken unter einer devoten Miene. Er log und beteuerte bei der heiligen Jungfrau, er habe geglaubt sich bei Namen rufen zu hören, nimmer hätte er sich erdreistet ohne Befehl das Schlafzimmer[729] der Erlaucht zu betreten, während er doch in Tat und Wahrheit ungerufen und gegen ein strenges Verbot seines Herrn aus einer schönen menschlichen Regung diesem beigesprungen war. Er hatte ihn schrecklich stöhnen hören und dann in seinen Armen auf dem Lager emporgehalten, bis der Feldherr den Atem wiederfand.

»Es war nichts«, wiederholte dieser, »ich bedurfte keinen Beistand. Doch will ich dich, wie gesagt, nicht schelten, jetzt da wir uns trennen müssen. Ich verliere dich ungern, aber Sohnespflicht geht vor. Und da deine greisen und siechen Eltern in Tricarico darben, darf ich dich nicht halten. Gehe und bereite ihnen ein sorgenloses Alter. Als perfekter Barbier und zungenfertiger Schelm, wie ich dich kenne, wirst du dir überall zu helfen wissen. Gehe mit Gott, mein Sohn, du sollst mit mir zufrieden sein.« Und er ergriff die Feder.

Battista fiel aus den Wolken. Er verschwor sich mit einer verzweifelten Gebärde, dieses Mal der Wahrheit gemäß, sein Vater sei längst im Himmel und seine Mutter, die Carambaccia, gewerbsam und kerngesund und fett wie ein Aal. Der schreibende Feldherr erwiderte: »Du hast recht, Battista, in Potenza wohnen deine armen Eltern, nicht in Tricarico, doch das liegt nahe beisammen.« Er reichte dem verabschiedeten Diener eine Kassenanweisung.

So niedergeschmettert Battista sein mochte – er wußte, ein Wort Pescaras sei unwiderruflich – ließ er doch blitzschnell einen schrägen Blick über die Ziffer der Summe gleiten, welche nur eine bescheidene war. Der Feldherr verschwendete weder im Großen noch im Kleinen, weder das Gut des Kaisers noch das seinige. Auch hütete er sich wohl den Barbier durch eine allzu reiche Spende auf die Wichtigkeit des Vorfalles aufmerksam zu machen und in den Schein zu kommen, als wolle er sein Schweigen erhandeln, denn er war völlig überzeugt, daß Battista bei erster Gelegenheit sein Wissen noch teurer verkaufen würde, dort wo man ein Interesse hatte von dem leiblichen Befinden des Feldherrn genau unterrichtet zu sein.

Schmerzlich enttäuscht und seine Geburtsstunde verwünschend, fiel Battista dem gnädigen Herrn zu Füßen, umfing ihm das Knie und küßte ihm die Hand. »Lebe wohl«, sagte dieser, »und räume das noch ab.« Er wies auf das Geschirr und winkte den Übertreter seines Befehles freundlich weg aus seinem Dienste.[730]

Bevor er sich wieder in seinen Plan vertieft hatte, klirrte draußen ein fallender Löffel und ein in Scherben springendes Glas und der Herzog von Bourbon, der den vernichteten Battista unsanft beiseite geworfen, zeigte unangemeldet seine hohe schlanke Gestalt, denn er hatte zu jeder Stunde freien Eintritt bei dem Feldherrn.

»Hoheit?« wendete sich Pescara gegen ihn und erhob sich vom Sitze.

»Um Vergebung. Ich war im Begriffe zu meinen Truppen zu verreiten«, erklärte der Herzog, »da kam mir in der Vorstadt ein reisender Kaufmann unter die Augen, welcher eben vor der Pforte des Arztes Euer Erlaucht, des Messer Numa Dati von seinem Maultier absaß. Hätte die Gestalt nicht ein würdiges Antlitz getragen, ich hätte darauf geschworen, meinen unvergeßlichen Freund, den Kanzler von Mailand, zu erblicken. Ich ließ einen meiner Leute sich nach dem Fremdling erkundigen und erfuhr, der Reisende sei ein Gastfreund des Arztes, ein Juwelier aus Mailand namens Scipione Osnago. Vielleicht, oder auch nicht, sondern eine der zahlreichen Larven des vielgestaltigen Kanzlers. Er schiebt den Leib auf eine gewisse Weise, die sich schwer verleugnen läßt, und da ich noch nicht durch das Tor war, ritt ich leicht wieder zurück, um Euch den wahrscheinlichen Besuch dieses kostbaren Mannes zu melden.«

»Ich erwartete ihn längst mit den Ausflüchten und Beteurungen des Mailänders«, erwiderte der Feldherr. »Da er aber nicht erschien und wir aus guten Quellen wußten, sein Herzog fahre fort zu befestigen und zu rüsten, begann ich auf den Kanzler zu verzichten. Nun kommt er zu spät. Morgen, um Mitternacht, verläuft die dem Herzog gegebene Frist. Schlag zwölf marschieren wir; es wäre denn, Morone brächte große Neuigkeiten.«

»Ja, dieser Morone!« plauderte der Bourbon. »Der wird schon etwas gebraut haben. Da ich unser Ultimatum nach Mailand brachte, sah ich es hinter seiner Stirn wimmeln wie in einem Ameisenhaufen. Ihr macht Euch keinen Begriff, Marchese, was das für ein frecher Kopf ist. Während ich in Malland regierte und er mein Rat und Schreiber war, hat er mich über Tisch – denn ich liebte es, mit ihm zu speisen und mich an seinen Fabeln und Einfällen zu ergötzen – auf alle Throne gesetzt und mit allen Fürstinnen gekuppelt. Und das Tollste: es war Verstand in dem Unsinn. Ich bin doch neugierig, was er wieder ausgeheckt[731] haben wird, um sich und seinem Herzog aus der Klemme zu helfen. Sicherlich etwas ungeheuer Geniales, einen Gipfel, einen Abgrund. Wenn er zum Beispiel« – der Herzog lachte herzlich – »uns beiden kaiserlichen Feldherrn die Führung der Liga böte und als Handgeld zwei verlockende italienische Kronen aus den Falten seiner Toga zum Vorschein brächte?«

»Hoheit scherzt!«

»Wie anders, Marchese!« erwiderte der Herzog und wollte sich beurlauben. Da ergriff er noch die Hand des Feldherrn und sagte in einem weichen Tone, der eine vor der Welt verheimlichte Freundschaft enthüllte: »Pescara, ich danke dir, daß du mir Leyva vom Halse hältst, indem du mir den rechten Heerflügel gibst und ihm den linken. Ich mag mit dem Unleidlichen nicht zusammenreiten. Es entstünde Unglück und größeres als jüngst auf dem Markte von Novara. Er könnte sich wiederum gegen mich vergessen und ich müßte ihn niederstoßen wie einen tollen Hund.« Er sagte es leise mit gesenktem Blick.

Pescara behielt die Rechte des Herzogs und warnte und bat. »Welch ein Auftritt!« sagte er. »Hier auf offenem Markte, wegen der Armseligkeit eines bestrittenen Quartieres! Ich versendete Leyva gleich nach Neapel, um vom Vizekönig Truppen für unsern Feldzug zu verlangen, obwohl ich weiß, daß er keine abgeben kann, nur um Euch die Verlegenheit und den Anblick eines verhaßten Gesichtes zu ersparen. Wie konntet Ihr das gegen einen Mitfeldherrn! Das war nicht gut. Das ist beklagenswert. Das darf sich nicht wiederholen, ich bitte Euch darum.«

»Der Anlaß war nicht der Rede wert, Pescara, aber –«

»Das schlimmste Wort, das Leyva gebraucht hat, war, nach Zeugen, er lasse sich nichts bieten von einem Vornehmen, und Ihr zoget und Eure Leute mußten Euch halten.«

»Oh«, flüsterte der Herzog, »von einem Vornehmen? Ich habe feine Ohren. Es war ein anderes Wort ... das ich dem Kaiser und dem Papst in die Kehle zurückstieße!«

»Ein anderes Wort?« sagte Pescara, um seine Frage sogleich zu bereuen, da er den Herzog erbleichen und völlig fahl werden sah. Er erriet, daß der alte Leyva gemurrt, er lasse sich nichts bieten von einem Verräter, oder daß das wunde Gewissen des Bourbon so verstanden hatte.

Die unausgesprochene Freundschaft, die den einfachen Adeligen und den Mann von königlichem Geblüte verband und die das Wunder tat, zwischen zwei jugendlichen und schon berühmten[732] Feldherrn mit nicht völlig klar geschiedenen Gewalten und Befugnissen die natürliche Eifersucht zu ersticken, beruhte einfach auf dem Bewußtsein des Herzogs, daß seine Verbündung mit dem Feinde Frankreichs der Achtung Pescaras keinen Eintrag tue. War es Klugheit, war es Gleichgültigkeit gegen die sittlichen Dinge, war es Freiheit von jedem, auch dem begründetsten Vorurteil, oder war es die höchste Gerechtigkeit einer vollkommenen Menschenkenntnis, was immer – Pescara hatte den in kaiserlichen Dienst tretenden fürstlichen Hochverräter mit offenen Armen empfangen und mit der feinsten Mischung von Kollegialität und Ehrerbietung behandelt. Vielleicht auch hatte er in diesem Zerrütteten, der sich selbst verfluchend sein Vaterland mit fremden Waffen verwüstete, den ursprünglichen und unzerstörbaren Adel erkannt. Dafür war der Herzog Pescara dankbar.

Der Feldherr, die Hand des Unseligen in der seinigen, redete ihm mit sanfter Stimme zu: »Gespenster, Hoheit! Ihr habet gehört, was nicht gesprochen wurde. Werft hinter Euch! Verschüttet den Abgrund mit Lorbeer! Seid Ihr nicht der Liebling des Kriegsgottes? und ein Meister der Staatskunst? Sind nicht wir beide noch Jünglinge mit unzähligen Tagen, diesseits der Lebenshöhe, kaum in der Hälfte der Dreißig, und im ersten Drittel eines Jahrhunderts, das überquillt von großen Möglichkeiten und weiten Aussichten! Unser die Fülle des Daseins! Karl, laß uns leben!«

Der Bourbon vernahm nicht den verstohlenen Seufzer, welcher sich der Brust des Feldherrn entwand. Er drückte heftig die Hand Pescaras und seine dunkeln Augen blitzten eroberungslustig. Dann, um seine innere Bewegung zu verbergen, sprang er nach seiner Weise mit beiden Füßen ins Zynische über. Der feurige Ton Pescaras hatte seine frechste Jugendlichkeit erweckt. »Und schöne Männer sind wir!« jubelte er. »Du begreifst, Gatte der prächtigen Victoria, daß sich mir Herz und Magen umkehrte, da mich diese Porcaccia die Königin – Mutter um jeden Preis zum Manne haben wollte! Siehst du mich als den Vater König Franzens? O das liebe Stiefsöhnchen! ›Madame‹, sagte ich und machte ihr eine tiefe Verbeugung, ›es geht nicht. Ihr würdet mich mit Eurer Nase vom Bette stoßen!‹ und ganze Wendung und über die Grenze!« Während er eine ausgelassene Lache aufschlug, trat der vom Staub der Reise bedeckte Del Guasto ein, begrüßte den Ohm und Feldherrn und verneigte sich vor der lustigen Hoheit.[733]

Dann wendete er sich wieder gegen Pescara, welchen er mit erstaunten und bewundernden Augen betrachtete, als hätte die von der italienischen Verschwörung dem Feldherrn angesonnene Rolle dessen Gestalt vergrößert, und erzählte: »Wir verritten von Rom, nicht zur Freude der Herrin in zahlreicher Gesellschaft, mit Leyva, der aus Neapel zurück ist, und mit einem Vornehmen, von königlichem Geblüte, wie sie sagen, der sich Moncada nennt und den Ihr kennen werdet. Er bringt Euch eine Botschaft des Vizekönigs. Ich gewann einen Vorsprung, um Donna Victoria anzumelden. Sie strahlt vor Freude Euch wiederzusehen und schließt zugleich fest die Lippen, denn sie bringt ein politisches Geheimnis, wie ich vermute, und ein päpstliches Mysterium, wie ich ahne, und dieselbe Donna Victoria legt die Stirn in zornige Falten gegen Euren bei ihr in Ungnade gefallenen Neffen, den sie vor Euch in aller Form rechtens verklagen wird. Wegen etwas Menschlichem«, lächelte er.

»Oder etwas Unmenschlichem«, spottete Pescara. »Meldet Ihr sonst etwas, Don Juan?«

»Wenn mich meine Augen nicht getäuscht haben, die Ankunft des Kanzlers von Mailand.«

»Ah!« lachte Bourbon.

»Ich bin mit ihm schon in Rom zusammengestoßen, unfern des Palastes Colonna, da ich nächtlicherweile dahin zurückkehrte. Längs der Mauer sah ich etwas Diebisches in langer Gewandung schleichen, und da ich das Verdächtige mit der Fackel meines Dieners beleuchtete, war es die unverschämte Stumpfnase und unter einem Juristenbarett das freche Kraushaar, das ich von Pavia her kenne, wohin der tolle Kanzler, wie sie ihn nennen, nach der Schlacht Euch zu beglückwünschen kam. Er mag Donna Victoria eine letzte Heimlichkeit des Papstes gebracht haben, bei welchem sie sich an jenem Nachmittage verabschiedet hatte.« Er sagte das mit einer versteckten Bosheit.

Der Feldherr blickte streng. »Don Juan«, sagte er, »Ihr habet Euch um den Wandel Donna Victorias nicht zu kümmern und noch weniger ihn zu beaufsichtigen. Jeden ihrer Schritte, ihre leiseste Miene und Gebärde billige und lobe ich zum voraus.«

Don Juan verneigte sich. »Unterwegs nach Novara«, fuhr er fort, »bin ich ihm dann noch mehrere Male begegnet, das heißt einem gewissen Fruchthändler Paciaudi aus den Marken mit einer greulichen Warze auf der Nase, welcher mir, da ich ihn anredete, nicht vorenthielt, er sei ein zugrunde gerichteter[734] Mann: eine unvermutete päpstliche Maßregel verbiete die Ausfuhr und er habe einen strengen Lieferungsvertrag mit Euer Erlaucht. Dabei schob und gebärdete er sich nicht viel anders als der Kanzler. Dieser hat gegenwärtig allerhand Geschäfte und nimmt die possierlichsten Figuren an. Man findet ihn überall auf der Halbinsel wie – ohne die fernste Vergleichung – Eure große Gestalt.«

»Was wollt Ihr sagen, Don Juan?«

Del Guasto, der vor nichts erschrak, zögerte doch mit der Antwort vor der kalten Miene Pescaras, und dann hielt ihn die Anwesenheit des Herzogs zurück.

»Ich habe kein Geheimnis vor der Hoheit«, sagte der Feldherr. »Redet, Don Juan.«

Trotz diesem Befehle kam dem verwegenen Jüngling die allgemeine Rede an diesem Orte und zu dieser Stunde, mitten im kaiserlichen Lager und während er durch das Fenster den taktfesten Schritt eines vorbeimarschierenden spanischen Heerhaufens vernahm, so ungeheuerlich vor, daß er der schamlosen Öffentlichkeit der italienischen Verschwörung ein leichtes Gewand umwarf.

»Ohm«, berichtete er geringschätzig, »wovon mir noch immer die Ohren gellen, das ist ein wütender Streit, welcher unter allen Ständen, in Schenken und Barbierstuben, auf den Ballspielplätzen und, wie ich glaube, bis in die Plauderecke der Sakristeien ausgebrochen ist – über das wahre und gültige Vaterland der Avalos: ob wir Neapolitaner sind oder Spanier. Und nicht genug an Geschrei und Gebärde, auch Blätter und Schriften voll von unserm Ursprung flattern durch die Luft.«

Der Feldherr zuckte die Achseln. »Das Geschreibsel«, sagte er »fand sich auch über meine Tische verstreut, ich habe es weggeworfen. Müßiges Gezänke.«

Don Juan wurde hartnäckig. »Zugleich erzählte man mir, daß an den Universitäten unter Juristen und Theologen wieder heftig über Umfang und Grenzen des päpstlichen Lehensrechtes auf Neapel gestritten wird.«

»Das überlassen wir diesen Gelehrten. Nicht wahr, Hoheit?« scherzte Pescara. »Und was das Vaterland der Avalos angeht Neffe, so rate ich dir, Ehre zu halten, spanische oder neapolitanische.«

Jetzt meldete der diensttuende Page, ein zarter Knabe mit großen unschuldigen Augen, ein Enkel des Arztes Numa Dati und[735] der Bruder der von Del Guasto zerstörten Julia, den Besuch eines Apothekers namens Baldassare Bosi aus Orvieto, welcher mit einem Paket im Vorzimmer stehe und sich durchaus nicht abweisen lasse. Er sei bei dem Großvater abgestiegen, der dem Gaste diesen Zettel für die Erlaucht gegeben habe. Der Knabe überreichte das Papier, auf welchem mit verzitterten Zügen »Morone« geschrieben stand.

Pescara besann sich einen Augenblick. »Weiß der Fremde die Gegenwart der Herrschaften?« fragte er den Pagen.

»Ich denke nicht, Erlaucht«, antwortete dieser.

»So führe ihn ein, aber erst, wann ich rufen werde.«

Jetzt wendete er sich rasch gegen den Herzog. »Hoheit muß mir einen Gefallen tun. Da Sie für möglich hält, daß der Kanzler von Mailand mit mir konspirieren will, würde ich gegen die gewöhnlichste Vorsicht fehlen, wenn ich den Menschen, der draußen steht, ohne Zeugen mit mir reden ließe. Ich muß solche haben, zwei höchst glaubwürdige Zeugen, wo nicht unserer Gesichter, doch eines jeden unserer Worte, damit nicht der Argwohn von Madrid, noch die Eifersucht unsers Leyva, noch« – er dämpfte die Stimme – »jener Verderbliche, mit welchem Ihr geritten seid, Don Juan, und der unter dem Vorwand einer Botschaft des Vizekönigs mich hier umlauern soll, Grund finde, mich, ich sage nicht des Verrates, sondern nur eines falschen Schrittes zu bezichtigen. Hören aber will ich den Kanzler, der mir in seiner Torheit und Leidenschaft die Pläne und Mittel des Feindes enthüllen wird. Er kann es wie kein anderer. Unter dem Zwang dieser Umstände lasse sich Hoheit herab den Lauscher zu machen. Und Ihr, Del Guasto, leistet der Hoheit Gesellschaft.« Er schritt auf einen schweren roten Vorhang mit goldenen Quasten zu, dessen breite Falten den Eingang in ein Nebenzimmer bis auf die Schwelle nieder verbargen und den er jetzt auseinanderschlug. »Hier ist Hoheit aufgehoben«, sagte er.

Sosehr den Herzog das würzige Abenteuer lockte, stand er doch einen Augenblick unschlüssig. »Aber wenn Morone die Decke hebt?« fragte er, und der Marchese erwiderte: »Das wird er nicht. Keine Besorgnis. Ich stehe dafür.« Del Guasto blähte die Nüstern vor Wollust. Er rückte einen Schemel für den Herzog, hinter dessen Schultern er Stellung nahm als der zweite Lauscher. Der rote Vorhang zog sich zusammen.

Pescara aber fühlte sich von dem Pagen Ippolito umschlungen, der an ihm emporflüsterte, mit Tränen in den Augen: »Es[736] ist kein Apotheker mehr, sondern ein Zauberer in langen schwarzen Gewändern mit einem Talisman auf der Brust und einem schrecklichen Gesichte!«

»Furchtsamer Junge! Bring ihn!«

»Da ist er schon!« schrie Ippolito und flüchtete sich.

»Ihr, Morone? und im Staatsgewand? doch von der Reise erhitzt, wie ich sehe. Eure drei Masken haben Euch wohl den Atem benommen.«

Morone atmete schwer und hörbar. Schweißtropfen quollen ihm auf der Stirn. Er stand wortlos.

»Was bringt Eure Weisheit?« fragte der Feldherr mit ernsthaften Augen und empfing von dem Stammelnden keine deutliche Antwort. Nach einer Pause ergriff Pescara mit spielender Hand die Münze, wel che der Kanzler an einer schweren goldenen Kette auf der Brust trug. »Ein Lionardo, Kanzler? Und wen stellt es dar? den Mohren? Ein geistvoller Kopf!«

Aber selbst an seinen geliebten Herrn vermochte der Kanzler nicht anzuknüpfen, so völlig war er außer Fassung.

Da begann der Feldherr ohne weitere Einleitung: »Euer Herzog, Morone, wünscht günstigere Bedingungen? Es könnte Rat werden, sobald mich die Hoheit von ihren guten Absichten überzeugt haben wird. Nehmen wir einmal mein Ultimatum Punkt um Punkt miteinander durch.« Er trat an den Tisch und suchte ein Papier.

Nun empfand er einen heißen Atem an der Wange und ein Geflüster füllte sein Ohr. »Pescara«, keuchte es, »nicht darum handelt es sich, sondern Italien gibt dir sein Heer!«

»So ist es gut«, erwiderte der Feldherr, ohne den Kopf zu drehen. »Es unterwirft sich dem Kaiser?«

Da schrie es hinter ihm: »Nicht dem Kaiser, sondern dir, wenn du von ihm abfällst!«

Jetzt wendete sich Pescara gegen den Tollkühnen und drohte mit feindseliger Gebärde: »Du rasest! Ich weiß nicht, was mich abhält, dich zu ergreifen und aus dem Fenster zu werfen!«

Der Kanzler blieb furchtlos und schrie zum andern Male mit Dammenden Augen: »Diese Stunde bietet dir deine Größe, Pescara! Laß sie nicht vorüber! Du würdest es bereuen! Du würdest daran sterben!«

»St! Wie du schreist! Wenn man lauschte! hinter diesem Vorhang ... wenn ich selbst ... hältst du mich dessen für unfähig? Überzeuge dich doch und hebe die Decke!«[737]

Morone war wieder völlig im Besitze seiner selbst, nachdem er die Scham und den Schreck der ersten Worte überwunden hatte. »Pescara«, sagte er, »ich habe stets gefunden, daß der Schlaueste und am meisten Argwöhnische endlich doch an eine Stelle tritt und an einem Abgrunde steht, wo er trauen und glauben muß. So der Valentino mit dem Rovere, so mein geliebtester Herzog der Mohr mit seinen Hauptleuten und Schweizern.«

»Beide wurden verraten, Morone!«

»Ja, Pescara, aber der feine Mohr und der ruchlose Borgia, beide gingen sie vertrauend unter, und das war ein heller Schimmer von Menschlichkeit über dem Dunkel ihres verdienten Sturzes. Wenn ich das Größte wage und von dir das Größte fordere, werde ich in diesem heiligen Augenblicke so lächerlich sein, einen Vorhang zu heben wie ein betrogener Ehemann, der den versteckten Buhlen seines Weibes sucht? Nein, ich gebe mich preis! Höre mich an, und dann überliefere mich dem Blocke, wenn du darfst!«

»Das ist nicht klein«, sagte Pescara ohne Spott und fügte dann zweifelnd hinzu: »Ob ich dich höre? Meine Neugierde ist rege, das bekenne ich, und einem so heroischen Menschen darf ich doch nicht einfach die Türe weisen. Zuerst aber saget mir, Kanzler: habe ich Euch oder Eurem Fürsten Grund oder auch nur den geringsten Anlaß gegeben, meine Feldherrntreue zu beargwöhnen?«

Der Kanzler verneinte.

»Viel Unwahres wird geredet: die Majestät habe mich schlecht belohnt, und ich soll dieses schwer empfunden haben. Fußet Ihr auf diesem Undanke des Kaisers und auf diesem Grolle Pescaras, so tut keinen Schritt weiter: Ihr würdet in den trügerischen Boden versinken.«

»Da fuße ich nicht.«

»Oder ermutigt Euch jene öffentliche Rede Italiens, die mir schmeichelt und mir droht, mich verherrlicht und verdächtigt? Diese italienische Meinung ist eine heimtückische Mache. Sie soll mich in Madrid entwurzeln und in Italien vergewaltigen. Ich habe vorgebeugt und die arglistigen Schriften wie in einen Käfig eingesperrte Schlangen dem Kaiser überliefert. Habet Ihr Eure Finger auch in dieses Gift getaucht, Morone?«

Der Kanzler erbleichte. »Bei den Göttern der Unterwelt, daran trage ich keine Schuld!« rief er aus.

»Du willst mich nicht überlisten, Kanzler, so willst du mich überreden?«[738]

»Nein.«

»Was denn?«

»Überzeugen.«

»Das Beste. Aber es wird Zeit kosten. Setzet Euch, Kanzler!« Er rückte mit rascher Bewegung zwei Stühle, und jetzt saßen sie sich gegenüber, Morone mit vorgebogenem Leib und Knie, während der Feldherr nachlässig zurücklehnte.

»Pescara, welches ist die schönste deiner Schlachten, das Wunder der Kriegskunst?«

Der Feldherr gab keine Antwort, da sich diese von selbst verstand, aber er tat einen leichten Seufzer.

»Und was hat der Kaiser aus deinem Siege von Pavia gemacht?«

Ein Blitz fuhr aus dem grauen Auge Pescaras. »Er hat ihn verstümpert« murmelte er.

»Du gabst ihm einen erbeuteten König, und Karl weiß nichts mit ihm anzufangen! Er preßt ihn wie ein Wucherer. Er verlangt Vielfältiges und Unmögliches statt des Möglichen und Einfachen. Verzichte auf Italien, Bruder, so hätte ein großer Sieger zu König Franz geredet, das ist dein natürliches Lösegeld, und das kannst du, ohne deinem Frankreich wehe zu tun. Verzichte und ziehe!«

Pescara lächelte. »Du bist ein gefährlicher Mensch, Morone, wenn du Gedanken errätst. Aber nicht ich, du hast ihnen Worte gegeben. Ich habe nichts gesprochen.«

»Ich danke dem Kaiser!« fuhr der Kanzler sich begeisternd fort. »Er hat die Siegesgöttin von Pavia beleidigt, und sie kehrt zu dir, mein Pescara, zurück! Nicht nur für, auch gegen den Kaiser hat sie gekämpft. Sie hat Italien gegen die Fremdherrschaft vereinigt. Sie hat ihm seinen Feldherrn gezeigt.

Mein Pescara, welche Sternstellung über dir und für dir! Die Sache reif und reif du selbst! Eine entscheidende Zeit, ein verzweifeltes Ringen, Götter und Titanen, Freiheit sich aufbäumend gegen Zwingherrschaft, die Welt heute noch Bewegung und Fluß, morgen vielleicht zur Lava erstarrend! Und eine Tat, die für dich bereitliegt und zu welcher du geboren wurdest! Zuckt dir die formende Hand nicht danach? Ein vernünftiges Werk, eine ewige Gründung! Blick auf die Karte und überschaue die Halbinsel zwischen zwei Meerfarben und dem Schnee der Gebirge! Befrage die Geschichte: ein lebendiges Geflecht, oft gewaltsam zerrissen und immer wieder zusammenwachsend, von Republiken[739] und Fürsten, mit zwei alten Feinden, zwei falschen Ideen, zwei grausamen Chimären, Papst und Kaiser! Siehe den ausgestreckten Finger Gottes, daran sich eine neue Menschheit emporrichtet: eine sich selbst regierende und veredelnde Menschheit ohne höchstes Amt, weder weltliches noch geistliches, ein Reigen frei entwickelter Genien, ein Konzert gleichberechtigter Staaten –«

Pescara ergriff den beschwingten Redner am Arm, als wollte er ihn festhalten. »Fliege mir nicht davon, Girolamo!« scherzte er.

Dieser riß sich los und: »Laß dich nicht hindern an diesem göttlichen Werke«, rief er, »durch abergläubische Vorurteile und veraltete Begriffe, die weder in deinem Kopfe, noch in deinem Herzen, noch in der Natur der Dinge sind. Ich kenne dich, Pescara: du bist ein Sohn Italiens und wie dieses erhaben über Treue und Gewissen!«

»Ihr seid doch ein lasterhaftes Geschlecht, ihr Italiener«, lächelte Pescara. »Aber du machst dich größer im Bösen, als du bist: denn diese Weisheit kommt nicht von dir, sondern euer Dämon, der Florentiner, hat sie dir eingeblasen. Lebt er noch?«

Der Kanzler wußte, wen Pescara meinte. »Er darbt, vergessen und verachtet«, erwiderte er mit Beschämung, »unser größter Geist.«

»Verdientermaßen. Es gibt politische Sätze, die ihre Bedeutung haben für kühle Köpfe und besonnene Hände, die aber, verderblich und verwerflich werden, sobald sie ein frecher Mund ausspricht oder eine strafbare Feder niederschreibt. Doch das sind Allgemeinheiten, und alles käme auf die Anwendung an. Wie denkst du dir zum Beispiel, Kanzler, das Tatsächliche meines Verrates?«

Dieser öffnete den Mund, als hätte er unerschöpflich zu reden. Da berührte ihn Pescara leise mit dem Finger. »Sachte, vorsichtig!« warnte er. »Jetzt betrittst du ein schmales und schwankes Brett: es könnte kommen, daß ich dich nach deiner Rede als Verschwörer müßte in Fesseln legen lassen. Sprich nicht in deinem eigenen Namen, rate ich dir, sondern laß dir eine Maske bieten, wie du sie liebst, und warum nicht die des verschollenen florentinischen Sekretärs, ob er nun noch unter uns wandle oder schon im Geisterreiche? Rede, Niccolò Machiavelli! Ich werde dich schweigend und – bewundernd anhören und dir dann doch vielleicht beweisen, daß du für einen Staatsmann immer noch[740] viel zuviel Einbildungskraft besitzest. Oh, ich will dich kritisieren, mein Niccolò! Aber beginne.«

Dieser forgesetzt scherzende Ton des Feldherrn beleidigte den Kanzler und er empörte sich dagegen: »Jetzt sei des Spieles ein Ende. Erniedrige den nicht zum Schauspieler, welcher sein Leben wagt für die Rettung seines Vaterlandes! Pescara, ich bitte dich um Ernst!«

»Um Ernst? Es sei!« erwiderte der Feldherr und schloß die Augen, wie um besser zu lauschen. Jetzt erschrak der Kanzler einen Augenblick vor der Blässe und Strenge des magern Angesichtes. Doch er war entschlossen.

»Es ist kein Übel, Erlaucht«, begann er, »was Ihr dem Kaiser berichtet habt; es ist gut, daß Ihr Euch so lange als möglich sein Vertrauen erhaltet und Euch selbst dann noch nicht erkläret, wann der Papst und die Liga ihr Manifest werden erlassen haben. Inzwischen befestigt Ihr Eure Stellungen und sichtet Euer Heer.«

Pescara runzelte die Stirn.

»Leyva muß weg«, forderte der Kanzler.

Pescara zählte an den Fingern.

»Was rechnet Ihr, Pescara?« fragte der Kanzler verwundert.

Dieser erwiderte ruhig: »Muß Leyva draufgehen, so dürfen meine deutschen Hauptleute auch nicht leben bleiben, denn sie hangen an Kaiser und Reich. Ihre Häupter müssen fallen. Oder vergifte ich sie in einem gastlichen Trunke? Was rätst du, Kanzler?«

Morone erbleichte.

»Und was fange ich mit meinen spanischen Edelleuten an? Lasse ich sie auch ermorden?«

»Die Kastilianer«, antwortete Morone mit klopfendem Herzen, »fallen wohl zum Kaiser zurück. Die andern verlocket Ihr mit unendlicher Beute. Sie widerstehen nicht, am wenigsten die neapolitanischen Aragonesen. Ich kenne diese Rasse: sie gleicht den räuberischen Helden der Neuen Welt. Denket nur an Euren Del Guasto, welch ein Ungeheuer!«

Pescara widersprach nicht.

»Eure Gemeinen aber, die aus allen Ländern der Erde zusammengeflossen sind, beherrschet Ihr durch Eure unerschütterliche Seele und durch Eure eiserne Kriegszucht, nicht zu vergessen einen regelmäßigen Sold, wie ihn der Kaiser nie zu geben vermochte, Euch aber gehören jetzt alle Schätze Italiens. Und erlittet[741] Ihr eine Einbuße an Leuten, so füllet Ihr das Heer aus den Schweizern, die sich nun überallhin vermieten, seit sie aus Mangel an Führung und an einem Staatsgedanken ihre schon gewonnene Weltstellung und ihre auswärtige Politik verscherzt haben.«

»Schade«, redete Pescara mit sich selber. Er hatte eine Art Zärtlichkeit für die Schweizer, die er zweimal überwunden und von welchen er bei Bicocca, mit einer insbesondere gegen deren rasende Sturmläufe erfundenen Stellung des Geschützes, in wenig Minuten ein volles tollkühnes Tausend vernichtet hatte. Er liebte dies tapfere Volk, obwohl er seine Speerwunde von Pavia dem Stoß einer Schweizerlanze verdankte. »Ihre Freiheit wird ihnen bleiben, aber schade«, wiederholte er.

»Eures Heeres sicher«, fuhr der Kanzler fort –

»Nehme ich Mailand«, ergänzte Pescara. »Mein Plan ist entworfen.«

»Ihr braucht es nicht zu nehmen, da der Herzog ein Mitglied der Liga ist, deren Feldherr Ihr seid.«

»Richtig, das hatte ich vergessen. Auf alle Fälle, Mailand ist der Zentralpunkt. Und dann?«

»Gebietet Ihr über die Truppen der Heiligkeit, Venedigs und Neapels, die kleinern nicht zu nennen.«

»Halt, Morone! Neapel ist spanisch.«

»Nach Neapel habet Ihr dann Euren Neffen gesendet als Euren Vizekönig, der es durch seine Grausamkeit in wenigen Wochen unterworfen haben wird.«

»Als meinen Vizekönig? Ich König von Neapel? Seit wann trage ich die Krone?« fragte Pescara gelassen.

»Siehe, die geflügelten Füße, die sie Euch bringen, sind vor Eurer Schwelle«, sprach der Kanzler errötend.

Die kalte Miene des Feldherrn erwärmte sich, wie von einem Strahle berührt, nicht aus einer Krone, sondern aus dem Lichtkreise seines nahenden Weibes. »Weiter geträumt, Morone«, sagte er.

»Einmal an der Spitze der vereinigten italienischen Waffen und in unnehmbaren Stellungen«, fuhr der Kanzler mit erstaunlicher Sicherheit fort, »hindert nichts, daß Ihr Euch mit dem Kaiser auseinandersetzet, vielleicht sogar ohne Schlacht, denn ich weiß, daß Ihr, obschon, nein, weil der erste Feldherr der Zeit, das scharfsinnige Schachspiel und die umfassenden Berechnungen der Strategie jenen plötzlichen und im merhin blinden Entscheidungen der Walstatt vorziehet. Ich sage, vielleicht sogar ohne Blutvergießen,[742] denn der Kaiser wird nicht so leicht einen neuen Feldherrn finden und ein zweites Heer in Italien zusammenbringen, nachdem er Euch und das Eurige verloren hat, wenigstens wenn ihm Frankreich und England zu tun geben, laut des von ihnen mit unserer Liga getroffenen Abkommens.«

»Ich kenne euer Bündnis mit König Franz, sogar seinen Wortlaut«, warf Pescara hin, »kann aber keinen Wert darauf legen. Der König verquält sich in seinem spanischen Kerker. Um eine Stunde früher auf ein gesatteltes Pferd zu springen, verrät er eure Liga hundertmal, wie ich ihn zu kennen glaube.«

»Noch vor wenigen Tagen«, beteuerte der Kanzler mit einem komischen Gesichte, »hat mir die Regentin Louise von Paris geschrieben, sie halte das Bündnis fest wie ihre Tugend –«

Ein Pfiff durchschnitt das Gemach ... der Kanzler horchte verwundert. Es mochte ein Vogel am Fenster vorbeigeschwirrt sein.

»Es sind noch andere da, die den Kaiser beschäftigen«, fuhr er fort, »der Halbmond und die deutschen Fürsten.«

»Der Halbmond, ja«, urteilte der Feldherr. »Mit den deutschen Fürsten aber und selbst mit ihrer neuen Lehre könnte sich der Kaiser allenfalls vertragen. Meinst du nicht, Morone?«

Dieser antwortete denkend: »Es scheint so, aber ist doch nicht, wenn ich richtig sehe. Jedenfalls nicht mit der neuen Lehre. Der Kaiser bedarf der Kirche für sein schweres und dunkles Gemüt das er von der Mutter geerbt hat. Der neue Glaube verlangt kräftigere Seelen.«

»Verstehst du etwas von diesen Dingen, Kanzler?« fragte der Feldherr neugierig.

»Wie sollte ich, Pescara? Ich bin wie du und wir alle ein Bewohner der Wirklichkeit, ein Kind der Helle, das mit der antiken Weisheit über das Ende hinaus nichts sieht als Larven und Schemen und auf wogendem Nebel die riesigen Spiegelungen wieder dieses unsers eigenen und irdischen Daseins. Unter denen aber, welche mit dem Volke Gut und Böse glauben und Leib und Seele und die Fabel eines letzten Gerichtes, wird jetzt, wie du weißt, unversöhnlich gestritten über die beste Rüstung an jenem Tage der blasenden Posaune. Unsere kluge Kirche öffnet ihre Buden und legt verständig ihren Vorrat an guten Werken zum Verkauf aus. Der deutsche Mönch aber zankt und schreit. Das ist Plunder! Werft euer Geld nicht weg! Ihr habt es umsonst. Eure Schulden sind bezahlt. Glaubet es nur, und sie sind nicht[743] mehr! Solches aber zu glauben, braucht es eine große Tapferkeit denn es ist unter dem Unglaublichen das Unglaublichste. Doch bringen es diese deutschen Köpfe fertig, so brauchen sie gar keine Pfaffheit mehr und sind in ihrer trotzigen Sicherheit uns Italienern gewaltig überlegen, die wir ungläubig sind oder abergläubisch.

Ich rede im groben, Pescara. Aber diese Vorstellungen, nichtig an sich, werden im Leben zu den realsten Mächten, die kein Staatsmann vernachlässigen darf. Und du mit deiner großen Aufgabe am wenigsten, Pescara, wenn du auch selbst ein Gottloser bist, wie ich dich kenne.« Sein Lächeln blieb unerwidert.

»Hier irrst du dich, Kanzler«, sagte Pescara ernst. »Ich glaube an eine Gottheit, und wahrlich keine eingebildete. Doch in dem andern hast du recht. Ich habe es mit Augen gesehen. Am Abende meiner Schlacht« – er meinte die von Pavia – »sah ich im Lazarett zwei höchst frevelhafte Menschen sterben, einen Deutschen und einen Spanier, diesen unter seinen Reliquien und in den Armen zweier Priester zitternd und bebend, jenen allein, doch voller Zuversicht und Freude. Ich sprach ihn an, denn ich weiß ein paar deutsche Wörter, und erfuhr, daß er traue und trotze auf den reuigen Schächer. Doch lassen wir diese Farben der Seele. Zurück zu deiner Sache, denn ich meine, daß du noch nicht damit zu Ende bist.«

»Gewiß nicht, Pescara. Dann erst, wann du durch das Schwert oder durch ein listiges Abkommen den Kaiser außer Spiel gesetzt haben wirst, dann erst baust du deine Größe und Italiens Freiheit. Die zwölf Arbeiten des Herkules! Doch du rufst alle Seiten und Eigenschaften deines Wesens unter die Waffen: Geduld und Entschluß, Begeisterung und Berechnung, Arglist und große Gesinnung. Kein Teilchen von dir wird müßig gehen. Du kennst dich noch gar nicht, Pescara! Dann erst wirst du dich zeigen als der, welcher du bist, in deinem ganzen Wuchse: für das Volk ein furchtbarer und wohltätiger Dämon, für das Heer ein unfehlbarer Sieger, für den Patrioten der Vollender Italiens, für den Gelehrten der wiederaufgelebte römische Ehrgeiz, für die Fürsten, soviel du ihrer bestehen lässest, der herrschende Bundesgenosse. Du beutest alle Möglichkeiten und Begünstigungen des Jahrhunderts aus. Du wirst der Verteidiger des Papstes und eroberst ihm seine Städte und Provinzen zurück, die du für dich behältst; du reitest als Schiedsrichter zwischen der verröchelnden Republik und den Mediceern in Florenz ein und sie gehorchen[744] dir beide. Ja sogar die stolze Fürstin der Hadria zwingst du in deinen Machtkreis! Ich sehe dich«, jubelte Morone, »wie du ihr Doge wirst und dich dem Meere vermählst.

So wächsest du, bis dich und dein herrliches Weib auf dem römischen Kapitol tausend frohlockende Arme vergötternd in die Lüfte heben und dich ganz Italien als seinen König zeigen, welches du dann, wie dir jetzt, ich fürchte, noch nicht möglich ist, als deinen Besitz und deinen Ruhm ein wenig lieben wirst, damit endend, womit ich angefangen habe, denn allein meine Liebe zu Italien, das Beste, das einzig Gute an mir, wirft mich dir zu Füßen, du Kaltherziger!« Und er umfing das Knie des Feldherrn mit einer so inbrünstigen Gebärde, daß dieser aufspringend einer solchen Anbetung sich entzog, aber doch innerlich ergriffen schien, sei es daß ihn diese Wahrheit des Gefühls in einem lügnerischen Geiste fesselte, sei es daß sein mächtiger Verstand die angedeuteten Züge seiner und Italiens möglicher Größe unwillkürlich zu einem lebensfähigen Ganzen zusammenschloß.

Er ließ den Kanzler und schritt mit über der Brust gekreuzten Armen mehrere Male langsam durch das Zimmer, zuletzt wie zufällig wieder vor ihm stehenbleibend. »Wie viele meiner Jahre verlangst du von mir, Morone?« warf er hin.

»Viele, ohne Zweifel«, versetzte der Kanzler. »Je mehrere, desto besser! Nur mit jenen langen und fruchtbaren Pausen, welche die Dinge still und unaufhaltsam wachsen lassen, unzerstörlich scheinende Hindernisse zernagen, die Gewissen abstumpfen und beruhigen und selbst das urprünglich Frevle entsühnen und heiligen, nur auf solchen breiten und notwendigen Stufen ist Bleibendes im Staate erreichbar. Dein bester Verbündeter, Pescara, ist das Leben. Zehn, zwanzig, warum nicht dreißig Jahre, Pescara? Du stehst ja in der Fülle der Kraft und schöpfst nur so mit der Hand aus der überströmenden Quelle. Du hast deinen Schatz kaum noch angegriffen, und nicht zum wenigsten darum haben dich die unsterblichen Götter Italiens zu diesem deinem herrlichen Werke berufen, weil du, römisch gesprochen, ein Jüngling bist und dich noch lange kein Todesschatten berühren darf!«

Ein plötzlich hervortretender harter und finsterer Zug hatte das Antlitz des Feldherrn verwandelt. Er traf den Kanzler mit einem so feindseligen Blicke, daß dieser um einen Schritt zurückwich. »Weißt du«, drohte er, »daß, wenn mich mein Ehrgeiz[745] überwältigen sollte, das erste Opfer dein Gebieter der Sforza wäre? Denn ich finge damit an, euer Mailand dem Bourbon zu geben, der mein Alter ego, meine rechte Hand und ein Gonzaga ist. Ich würde es ihm gönnen! Überlieferst du mir den Sforza?«

»Bei allen Göttern, nein!« schrie der entsetzte Kanzler. »Ich meinen Herzog verraten! Niemals! Nimmermehr! Und«, rief er empört, »wie darfst du daran denken, Pescara, unsere reine und heilige Sache mit dem Borbone zu beflecken!«

»Sehet diesen Menschen!« verhöhnte ihn Pescara. »Gibt es etwas Frecheres? Dem armseligsten Fürsten will er Treue halten, und mutet mir zu, sie meinem erhabenen Kaiser zu brechen! Sehet diesen unzusammenhängenden Geist! Er verlockt mich zum Verrat und will rein bleiben von Verrat!«

»Das ist etwas völlig anderes«, wehklagte der Kanzler. »Der Connétable hat sein Vaterland verraten, und du rettest es, indem du von einem Fürsten abfällst, welcher nicht der deinige ist. Meinen Herzog preisgeben, meinen holdseligen Herrn! Der Mohr wird mir im Traume erscheinen!« ... er tat einen erbärmlichen Seufzer ... »Doch, dennoch, es sei! Aber jetzt, Pescara, widerstehe auch du nicht länger! Erbarmst du dich Italiens? Gib Antwort, Grausamer!« und die Tränen brachen ihm aus den Augen.

»Heute nicht, Morone!« tröstete ihn Pescara. »Wir sind beide ermüdet und bedürfen der Ruhe. Es ist die Stunde der Siesta.« Er klingelte. »Ippolito«, unterwies er den Knaben, »führe den Herrn, der ein großer Staatsmann ist, in den Turmflügel. Der Haushofmeister soll ihm die ganze Zimmerreihe des Oberstockes öffnen und ihn sorgfältig bedienen und reichlich bewirten lassen. Ihr findet eine gewählte Bibliothek, Kanzler, und wollet Ihr Luft schöpfen, so steiget in den Garten hinab, er ist schattig und reicht bis an die Wälle. Ich lade Euch nicht zu Tafel, da ich Donna Victoria erwarte, der mein Abend gehört. Lasset Euch die Zeit nicht lange werden. Morgen sehen wir uns wieder.«

»Wie wird mir der Tag vergehen?« jammerte der Kanzler.

»Alles geht vorüber. Noch eins: nähert Euch, ich bitte, den Wachtposten nicht, Ihr verstündet denn das Deutsche.« Er sah den Kanzler erbleichen. »Fürchtet nichts«, schloß er freundlich und entließ ihn.

Wie er sich wieder umwendete, näherten sich ihm der Herzog und Del Guasto, die ihr Versteck verlassen hatten, beide in der höchsten Aufregung, der bleiche Bourbon mit fieberhaft geröteten[746] Wangen, Del Guasto mit lodernden Augen. Pescara erriet, daß das belauschte Gespräch und der gezeigte Ruhm sie beide verführt und bezaubert hatte. Del Guasto lechzte nach Beute und der Herzog nach dem reinigenden Lorbeer. Noch schwiegen sie, aber ihre dringende und flehende Gebärde wollte sich in Worte verwandeln. Da schloß ihnen Pescara den Mund.

»Herrschaften«, sagte er, »hier wurde Theater gespielt. Das Stück dauerte lange. Habt ihr nicht gegähnt in eurer Loge?«

Da schlug der Bourbon in plötzlich umspringender Stimmung eine gelle Lache auf. »Trauerspiel oder Posse?« fragte er.

»Tragödie, Hoheit.«

»Und betitelt sich?«

»Tod und Narr«, antwortete Pescara.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1968, S. 729-747.
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