Fünftes Kapitel

[772] Als Victoria erwachte, lag ihr Haupt auf einem leeren Pfühle, und durch das geöffnete Fenster strömte die Morgenluft. Sie sprang auf, den Gatten zu suchen, und fand ihn, der die Terrasse auf und nieder schritt und den der Schlummer erfrischt und wie neu belebt hatte. Sie wurde ungläubig an den nächtlichen grausamen Kampf in ihren Armen, er war ihr wie ein Traum.

Da begann Pescara: »Gestern, liebe Herrin, habet Ihr mich um den Namen meines Genius befragt und mir bangte ihn vor Euch auszusprechen. Endlich hättet Ihr mir mein Geheimnis fast entrissen, denn es ist schwer, einem geliebten Weibe etwas vorzuenthalten. Da erschien er selbst und berührte mich. Ihr kennet ihn nun und der gefürchtete Name bleibe unausgesprochen. Keine Tränen! Ihr habet sie gestern vergossen. Sondern saget mir jetzt, wohin wünschet Ihr Euch zu begeben, während ich das Heer des Kaisers gegen Mailand führe?«

»Wie konntest du es mir so lange verbergen, Ferdinand?«

»Zuerst – nicht lange – verheimlichte ich es mir selbst ... doch nein, ich wußte mein Los schon am Schlachtabend von Pavia. Mit jener blutigen Wintersonne bin ich untergegangen. Meines Zieles und mei ner gezählten Tage gewiß, wie hätte ich die deinigen vorzeitig verfinstern dürfen? Du sagtest mir zuweilen, es sei grausam, eine süß Schlummernde zu wecken, und littest es nicht. Ich aber bin nicht grausam.«

»Du bist es«, erwiderte sie, »sonst hättest du mich nicht so bitter getäuscht, sondern mich gerufen und dich von mir pflegen lassen.«

»Niemand durfte darum wissen«, sagte er.

»Und dein Arzt? Der mußte es wissen und ich zürne ihm, daß er mich belogen hat, da ich an ihn schrieb und ihn beschwor, mir die Wahrheit zu sagen!«[772]

»Der arme Numa!« sagte der Feldherr. »Er ist schon unglücklich genug, daß er mich nicht heilen kann. Er riet mir damals eine lange Ruhe auf Ischia, ich aber sagte ihm: es ist umsonst. Doch wozu dies alles? . . . Wohin gedenkst du zu gehen, Victoria?«

»Nein, Ferdinand, sprich! Verheimliche mir nichts mehr!«

»Es ist umsonst, sagte ich ihm, die Lunge ist durchbohrt und das Herz leidet. Friste mich, Numa! Ziehe mich hinaus, in den Sommer, in den Herbst, bis zu den ersten Flocken! Soviel Zeit brauche ich, meinen Sieg zu vollenden. Und vor allem, sagte ich halte reinen Mund! Niemand erfahre unser Geheimnis! Es würde die Kräfte des Feindes verdreifachen und mich und mein Heer verderben. Noch einmal, schweige! Ich will es! gebot ich ihm ... Und ich habe das Leben geheuchelt, so gut, daß mir Italien den Brautring bot!« Er lächelte. »Und ich werde noch einmal zu Pferde sitzen! Du aber, Victoria, gelobst mir – doch kein Gelübde, du tust es mir zuliebe – nicht ungerufen mir nachzueilen durch die Staubwolke meines Marsches und über blutgetränkte Felder. Auch würdest du dem Kriegsvolke zu spotten geben, nicht über dich, gut und schön wie du bist, sondern über den verhätschelten Feldherrn. Also du bleibst. Aber wo? Hier?«

Victoria besann sich, trostloses Leid in den Zügen. Dann sagte sie: »Gestern, wie ich herritt, kam ich, schon im Weichbilde der Stadt, an einem kleinen Frauenkloster vorüber. Es heißt, wie ich erfuhr, Heiligenwunden. Dort will ich deines Rufes harren, Buße tun und für deine Genesung beten.«

»Für meine Genesung?« lächelte er. »Tue das. Auch wirst du dich in Heiligenwunden nicht langweilen; das Kloster, höre ich, hat herrliche Stimmen und ist berühmt wegen seines Chorgesanges. Reiten wir hin, bald, jetzt da es frisch und der Staub der Heerstraße noch nicht aufgewühlt ist.« Er ging leichten Schrittes durch den Park nach dem alten Schlosse hinüber, um satteln zu lassen.

Victoria folgte mit langsamen Schritten, und da sie Numa den Arzt erblickte, der sich nach der Nacht des Feldherrn zu erkundigen kam, ging sie auf ihn zu mit schmerzlich bewegter Miene sie wollte ihm vorwerfen, daß er ihr die Wirklichkeit verhehlt; und zugleich ihn beschwören, mit den letzten Mitteln und Geheimnissen seiner Kunst das geliebte Leben zu fristen. Da aber der Arzt die Colonna kommen sah, streckte er in dem Gefühle seiner Ohnmacht die zitternden Hände abwehrend gegen sie aus,[773] als flehe er: Schone meiner, ich vermag nichts! Sie verstand die Gebärde und ging ihres Weges, an Ippolito vorüber, der das Knie vor ihr bog, und den sie nicht gewahr wurde, zum großen Herzeleid des Knaben.

Im Schloßhofe fand sie den schwer und kostbar geschirrten Rappen Pescaras und ihren ebenfalls gesattelten falben Berber. Der Feldherr hob sie zu Pferde und sie ritten unter grüßendem Trommelwirbel über die sich senkende Zugbrücke hinaus in die unabsehbaren Reisfelder der lombardischen Ebene. Ihnen folgte in gemessener Entfernung ein Reitknecht des Pescara, ein von südlicher Sonne geschwärzter Kalabrese, und auf einem Maultier die römische Zofe Victorias.

Hinter den Reisenden verhallten im Schloßhof die ungehörten Hilfrufe des vergessenen Kanzlers. Er war aus schlimmen Träumen erwacht und schon in der Frühe durch die Gärten geirrt, immer wieder an Mauern und Wälle gelangend, hier von deutschen, dort von spanischen Wachtposten beobachtet. Die Schwaben ergötzten sich weidlich an seinem ausschweifenden Gebärdenspiel, während die Spanier einverstandene schadenfrohe Blicke tauschten: sie zweifelten nicht, der Feldherr habe den Minister des Feindes in die Falle gelockt, und versprachen sich, ihn morgen, wenn er dem Heere nachgeschleppt würde, nach Herzenslust zu quälen und gründlich auszuplündern. Endlich war er in das Rondell gekommen und erschöpft auf dieselbe Bank gesunken, wo er gestern den schlummernden Pescara gefunden und belauscht hatte. Da vernahm er den Salut der Torwache, rannte nach dem Schloßhof und wollte über die Brücke nachstürzen. Von dem Posten mit vorgestreckten Hallebarden empfangen, sah er jammernd den Feldherrn und Victoria in den Dunst der Ferne entschwinden.

Es war nach einem leuchtenden ein trüber Tag. Kein Windhauch und nicht der leiseste Versuch einer Wolkenbildung. Keine Lerche stieg, kein Vogel sang, es dämmerte ein stilles Zwielicht wie über den Wiesen der Unterwelt. Das Frauenkloster wurde sichtbar und vergrößerte langsam seine friedlichen Mauern.

Freilich ritten die beiden fast nur im Schritte, die verwitwende Victoria in tiefem Schweigen, während, durch einen wunderbaren Gegensatz, das Gedächtnis des jetzt ausruhenden Feldherrn auf leichten und liebenden und inbrünstigen Schwingen in die Jugend zurückkehrte und die an seiner Seite Trauernde wie der in die reizenden und rührenden Gestalten des knospenden[774] Mädchens und der zärtlichen Braut verwandelte. Er enthielt sich nicht sie an kleine Dinge jener glücklichen Tage zu erinnern, aber er gewann ihrer Kümmernis kein Lächeln ab. Er war seines lastenden Geheimnisses ledig, dessen Bitterkeit sie jetzt auf einmal und in vollen Zügen kostete.

Nun waren sie schon so nahe, daß sie Chorgesang im Kloster vernahmen. »Was singen sie dort?« fragte er gleichgültig. »Ich meine, ein Requiem«, sagte sie.

Wie sie vor dem Kloster abstiegen, da siehe trat ihnen aus der Pforte die Äbtissin entgegen, hinter sich zwei bescheidene Nonnen. Sie mochte irgendein Kind in ein Reisfeld auf die Lauer gelegt haben, das nun auf schnellen nackten Füßen vorausgelaufen war. Die Äbtissin hatte die Ankunft Donna Victorias in Novara schon gestern in Erfahrung gebracht und sich gleich geschmeichelt, die gottesfürchtige und leutselige Frau werde Heiligenwunden nicht unbesucht lassen, denn das Kloster besaß neben den geschulten Stimmen seines Chores noch eine größere Auszeichnung: die mystische und täglich sterbende Schwester Beate, welche die blutigen Male an ihrem kranken und abgezehrten Leibe trug Die unternehmende und beherzte Äbtissin hatte sich vorgenommen von der Colonna, der sie Macht über den Gatten zutraute, den Nachlaß einer schweren Kriegssteuer zu erbitten, welche der gottlose und habgierige Feldherr – dieses Rufes genoß Pescara bei der italienischen Klerisei – zuwider den kanonischen Sätzen und gegen alle Billigkeit auf die Güter des Kloster gelegt hatte. Daß aber der Feldherr, der es vermied eine christliche Stätte zu betreten, Madonna Victoria begleiten würde, war der Äbtissin nicht im Traume eingefallen.

Sie begrüßte, eine angenehme Frau mit dunkeln, klugen Augen und blassen, gefälligen Zügen, das hohe Paar in wenigen gewählten Worten. Dann schwieg sie aufmerksam, die Rede Pescaras erwartend, dessen edle Erscheinung ihr Eindruck machte.

»Ehrwürdige«, begann der Feldherr, »Donna Victoria wünscht während des Feldzuges, den ich morgen beginne und dessen Dauer ich auf eine Woche berechne, ein paar ruhige und fromme Tage hier in eurem Konvente zu genießen, bis ich sie nach Mailand rufen werde, nach vollendetem Kampfe. Habet Ihr ein schickliches Gemach zu vergeben?«

Rasch erwiderte die Äbtissin, das ihrige stehe zu Gebote.

»Ich verlange eine einfache Zelle wie die der geringsten Schwester, mit dem gewöhnlichen Geräte«, sagte Victoria, deren Blässe[775] die Äbtissin befremdete. Aber sie schrieb dieselbe der begreiflichen Sorge um den zu Felde ziehenden Gatten zu.

»Wenn sich Donna Victoria eingerichtet hat«, schloß Pescara, – »werde es mir gemeldet. Ich habe noch mit ihr zu sprechen, und bitte Klausur und Zelle betreten zu dürfen. Ausnahmsweise, da ich dem Kloster wohlwill. Ihr findet mich in der Kirche.« Er verneigte sich und schritt auf diese zu.

Victoria fragte, was die Nonnen gesungen hätten, und erhielt die Antwort: »Ein Requiem. Für die junge Julia Dati, die Enkelin unsers greisen Arztes, welche in Rom gestorben ist« Dann folgte sie der Äbtissin, während die beiden Nonnen zugeflüsterte Befehle auszurichten gingen.

Indessen durchmaß der Feldherr, ohne das Haupt zu entblößen oder irgendeine der üblichen Devotionen zu verrichten, die Länge der Kirche mit festem Gange, die Arme über dem Panzer kreuzend. Er hatte sich, da er auf dem Heimritte seinen in Novara feldmäßig einrückenden Truppen begegnen mußte, leicht behelmt und beharnischt, und schritt wie ein Held und Herrscher auf der Stätte des Gebetes und der Demut.

»Nein«, sprach er zu sich mit geschlossenem Munde, »es sei heute das letzte Mal. Ich will von ihr Abschied nehmen als ein Lebender. Ich will es ihr ersparen, mich leiden zu sehen. Sie soll mich wiederfinden, wenn ich ruhe.«

Sich allein glaubend, wurde er durch das Gitter des Chores belauscht. Diesen hatten die Nonnen wieder betreten, auf das Geheiß der Äbtissin, denn Pescara sollte die Stimmen ihres Klosters hören. Selbst die mystische Beate war gekommen und vereinigte ihren schwärmerischen Blick mit demjenigen vieler feurig braunen oder schwarzen Augen, welche die Heldengestalt verschlangen. Alle versammelten Himmelsbräute priesen die Colonna selig und beneideten ihre irdische Lust, während die glücklich Geglaubte nicht ferne davon in einer Zelle mit gerungenen Händen verzweifelte. Auch Schwester Beate erlag der Versuchung diesen stolzen Herrn der Welt zu bewundern, überwand sich aber tapfer und flehte den Himmel inbrünstig an, der Colonna zum Heil ihrer Seele ihren Abgott zu entreißen. Aber diese heftigen Gefühle wichen dem harmloseren der Eitelkeit. Nach dem Geflüster einer kleinen Beratung und einem leisen Räuspern intonierten die Schwestern jubelnd ihr Prachtstück, ein Tedeum, das sich auch für den Sieger von Pavia besser eignete als irgendeine andere Prosa oder Sequenz.[776]

Und er hätte wohl gelauscht, aber er stand regungslos, wie gebannt vor dem gekreuzigten und schon entseelten Christus eines großen Altarbildes, dessen helle Farben noch in voller Frische leuchteten. Doch es war nicht das göttliche Haupt, das er beschaute, sondern er betrachtete den Kriegsknecht, der seine Lanze in den heiligen Leib stieß. Dieser war offenbar ein Schweizer; der Maler mußte die Tracht und Haltung eines solchen mit besonderer Genauigkeit studiert oder frisch aus dem Leben gegriffen haben. Der Mann stand mit gespreizten Beinen, von denen das linke gelb, das rechte schwarz behost war, und stach mit den behandschuhten Fäusten von unten nach oben derb und gründlich zu. Kesselhaube, Harnischkragen, Brustpanzer, Arm- und Schenkelschienen rote Strümpfe, breite Schuhe, nichts fehlte. Aber nicht diese Tracht, die er zur Genüge kannte, fesselte den Feldherrn, sondern der auf einem Stiernacken sitzende Kopf. Kleine, blaue, kristallhelle Augen, eingezogene Stumpfnase, grinsender Mund, blonder, krauser Knebelbart, braune Farbe mit rosigen Wangen, Ohrringe in Form einer Milchkelle, und ein aus Redlichkeit und Verschmitztheit wunderlich gemischter Ausdruck. Pescara wußte gleich, mit dem Gesichtergedächtnis des Heerführers, daß er diesen kleinen, breitschultrigen, behenden Gesellen, dessen schwarzgelbe Hose den Urner bedeutete, schon einmal gesehen habe. Aber wann und wo? Da schmerzte ihn plötzlich die Seite, als empfinge er einen Stich, und jetzt wußte er auch, wen er da vor sich hatte: es war der Schweizer, der ihm bei Pavia die Brust durchbohrt. Kein Zweifel. Den Lanzenstoß des neben ihm an die Erde Geduckten empfangend, hatte er einen Moment in dieses kristallene Auge geblickt und diesen Mund vergnüglich grinsen gesehen. Nach der Erkennung machte das unerwartete Wiederfinden auf den Feldherrn weiter keinen Eindruck und mit freundlicher Miene fragte er die Äbtissin, die jetzt neben ihm stand, um ihn zu Donna Victoria abzuholen, wer das gemalt hätte. Sie antwortete, die Augen flüchtig niederschlagend: »Zwei Mantovaner, begabte junge Leute, aber von bedenklichen Sitten, die das Kloster gerne wieder scheiden sah.«

Da Pescara die Zelle öffnete, sah er Victoria auf den Knieen liegen. Eine Weile schaute er schweigend, als wolle er nicht stören, durch ein Fenster des gekuppelten Rundbogens, in dessen Brüstung er sich gesetzt hatte, auf Rasenhügel und Grabkreuze, endlich fragte er: »Was tust du, Victoria?«

»Buße«, sagte sie.[777]

»Für wen?«

Sie erhob sich und antwortete mit noch gefalteten Händen: »Ich tue Buße für mich und Euch und Italien. Für dieses seiner stolzen Frevel und ungewöhnlichen Sünden wegen, an denen es zugrunde gehen wird, da Ihr der einzige waret, der es retten konnte. Für mich, weil ich gekommen bin, Euch in Versuchung zu führen. Für Euch, da Ihr diese Erde verlassen wollet. Ich habe gebetet für Euer unvergängliches Teil, aber der Himmel« – sie schüttelte traurig das Haupt – »hat mich noch nicht erhört.«

Er zog sie auf die Bank der Fensterbrüstung und nahm sie bei der Hand, wie der Bruder die Schwester. Eine Lust sich hinzugeben überkam ihn, sei es weil das Geheimnis zwischen ihm und seinem Weibe weggenommen war, oder in dem unbewußten Wunsche das letzte Beisammensein zu verlängern.

»Kleingläubige«, begann er heiter, »überlasse mich meinem dunkeln Beschützer! Als ein Knabe glaubte ich mit der Mutter, die eine Heilige war, an das, was die Kirche verheißt; jetzt sehe ich rings das Fluten der Ewigkeit. Der Todesengel war mir nahe, schon in meiner ersten Schlacht, da, von ihm bezeichnet, mein Zeltgenosse – dein Bruder, Victoria – lautlos, eine Kugel im Herzen, zusammenbrach. Ich habe ihm manche Hekatombe geschlachtet, und auch er hat mich oft, fast auf jeder Walstatt, grüßend berührt; denn es scheint, ich bin verwundbarer als andere. Aber Zeit hat es gebraucht, bis ich den Schnitter lieben lernte. Noch in den Wochen nach Pavia, da ich wußte, daß er mich erwählt hatte, habe ich mich gegen ihn gesträubt und aufgebäumt und empört wie ein trotziger Jüngling. Allmählich aber ahnte ich und jetzt bin ich gewiß, daß er die rechte Stunde kennt. Der Knoten meines Daseins ist unlösbar, er zerschneidet ihn.«

Die bleiche Victoria hing an seinen Lippen und staunte mit starren Augen, als sehe sie den herrlichsten Palast brennen und von der lodernden Flamme jeden Säulenknauf beleuchtet.

»Ich sage dir, Weib«, fuhr er fort, »mein Pfad versinkt vor mir! Ich gehe unter an meinen Siegen und an meinem Ruhme. Wäre ich ohne meine Wunde, dennoch könnte ich nicht leben. Drüben in Spanien Neid, schleichende Verleumdung, hinfällige und endlich untergrabene Hofgunst, Ungnade und Sturz; hier in Italien Haß und Gift für den, der es verschmäht hat.

Wäre ich aber von meinem Kaiser abgefallen, so würde ich an mir selbst zugrunde gehen und sterben an meiner gebrochenen Treue, denn ich habe zwei Seelen in meiner Brust, eine italienische[778] und eine spanische, und sie hätten sich getötet. Auch glaube ich nicht, daß ich ein lebendiges Italien hätte schaffen können. Zwar es trägt die strahlende Ampel des Geistes, doch es hat sich aufgelehnt in der unbändigen Lust eines strotzenden Daseins gegen ewige Gesetze. Es büße, du hast es gesagt, Victoria; in Fesseln leidend, lerne es die Freiheit. Dieses spanische Weltreich aber, das in blutroten Wolken aufsteigt jenseits und diesseits des Meeres, erfüllt mich mit Grauen: Sklaven und Henker. Ich spüre die grausame Ader in mir selbst. Und das Entsetzlichste: ich weiß nicht, welcher mönchische Wahnsinn! Dein verderbtes Italien aber ist wenigstens menschlich.«

Victorias Augen verklärten sich, da sie sah, daß Pescara Italien liebte. »Du hättest ihm Freiheit und Freiheit ihm Tugend gegeben!« rief sie, doch Pescara fuhr fort, als hätte er nicht gehört: »Nun aber bin ich aus der Mitte gehoben, ein Erlöster, und glaube, daß mein Befreier es gut mit mir meint und mich sanft von hinnen führen wird. Wohin? In die Ruhe. Und jetzt laß uns scheiden, Victoria.« Er wollte ihr die Tränen vom Auge küssen, fand aber den zärtlichsten Mund, der ihm entgegenkam.

»Noch eines«, sagte er. »Laß die Welt über mich urteilen, wie sie will. Ich bin jenseits der Kluft. Lebe wohl! Begleite mich nicht! Besuche mich in Mailand, aber nicht, bevor ich rufe!«

Victoria versprach, um nicht Wort zu halten.

Da Pescara sich bei der Äbtissin verabschiedete, brauchte sie ihr Anliegen gar nicht auszusprechen. Der Feldherr gewährte den Nachlaß der Kriegssteuer als ein selbstverständliches Gegengeschenk für die seinem Weibe gegebene Herberge. Über dieses Ende einer ökonomischen Bedrängnis und eines schmalen Tisches ward eine solche Freude im Kloster, daß die Schwestern zu Ehren ihres Gastes die Tafel mit den ausgesuchtesten Leckerbissen besetzten. Doch Victorias Platz blieb leer.

Sachte ritt Pescara, von den Segnungen des Klosters begleitet, gegen die Türme der Stadt zurück. Sein feuriger Rappe schien sich über den gemessenen Gang zu wundern. Die auf der Ebene gellende Feldmusik und die überall marschierenden Truppen verrieten ihm den Beginn eines Feldzuges. Er schnoberte, als wittere er schon den Pulverdampf, und schritt stolz, als trage er den Sieg.

Abschied ist schwer, dachte der Feldherr, ich möchte ihn nicht wiederholen. Noch einmal hatte sich das Leben an ihn gedrängt und er das Beste des Daseins, Schönheit und Herzenskraft, in[779] den Armen gehalten. Der Jüngling war in ihm aufgelodert und wenige Augenblicke, nachdem er Victorien so erbaulich zugeredet, lehnte er sich auf gegen die Vernichtung. Das edle Blut, das in den sterblichen Adern rinnt, die Tatkraft, empörte sich gegen den ewigen Frieden. Ein Zorn blitzte auf in seinen hellen grauen Augen gegen seinen Mörder, den er im Bilde wiedererblickt, und er schlug mit der gepanzerten Rechten gegen seine Brust, als zerdrücke er darauf die Wespe, die ihn gestochen hatte. Jetzt wieherte auch der Rappe und setzte sich in kurzen Galopp, von dem Feldherrn unwissentlich mit der Ferse berührt oder so verwachsen mit ihm, daß er seinen Unmut mitfühlte.

In dieser Stimmung gewahrte Pescara auf einem nahen Reisfelde die wechselnden Stellungen eines tollen Kampfes, welcher dasselbe zerstampfte. Ein einzelner wehrte sich verzweifelt gegen eine Übermacht. Der zerlumpte kleine Kerl in gelben und schwarzen Fetzen focht wütend mit seiner Speerhälfte wider ein Dutzend Spanier. Zweie hatte er hingestreckt, wurde jetzt aber von den übrigen überwältigt, und schon saß ihm eine Schwertspitze an der Kehle, als der auf ihm knieende Spanier von einem andern zurückgerissen wurde, welcher auf den heransprengenden Feldherrn deutete.

Pescara winkte und der Trupp mit dem Gefangenen folgte ihm unter eine mächtige Eiche, die an der Landstraße stand, weitum der einzige Baum in der schwülen Ebene. Der Feldherr stieg ab und lehnte sich an den bemoosten Riesenstamm. Seine Brust keuchte von dem raschen Ritt und es kam ihm gelegen, sie zu beruhigen, Rast haltend unter dem Vorwand eines Verhöres.

Der spanische Wachtmeister berichtete: sie hätten einen Schweizer durch das Getreide laufen sehen, wohl einen Versprengten von Pavia, welcher bislang sich irgendwo untergeduckt, und ihn gehascht, da es möglicherweise ein mailändischer Spion sei. Seinen Vortrag beendigend, blickte der spanische Spitzbart zu einem starken Aste auf, welchen die Eiche waagrecht hervorstieß.

Pescara deutete die Spanier weg, die sich in einiger Entfernung wachehaltend verteilten, und musterte dann den Schweizer vom Wirbel zur Zehe. So verrostet der Harnisch und so zerlumpt das schwarzgelbe Unterkleid war, erkannte er doch gleich die Tracht des Klosterbildes und nicht minder die glitzernden Äuglein und jetzt, wahrhaftig, verzog der vor ihm Stehende sein Gesicht zu jenem lächelnden Grinsen, sei es aus Angst, sei es weil auch er sich den Feldherrn ins Gedächtnis zurückrief.[780]

»Heb auf und gib«, befahl dieser und zeigte auf den Lanzenstumpf, welchen einer der Kriegsknechte zu den Füßen des Gefangenen geworfen hatte als Beweisstück für die Verwundung seiner Kameraden. Es war eine vordere Spießhälfte, deren Spitze blutete. Der Schweizer gehorchte, und der Feldherr betastete prüfend die Spitze mit dem Finger; dann warf er den Stummel weg.

»Wie heißest du?« fragte er.

»Bläsi Zgraggen aus Uri«, war die Antwort.

Der Feldherr verzichtete darauf, diesen unmundlichen Geschlechtsnamen zu wiederholen, der von dem zerrissenen Kamm eines Schweizergebirges zu stammen schien, und bediente sich des Vornamens, welchen er italianisierte. »Biagio«, sagte er, »du hast mir zwei Leute verwundet; ich denke, ich lasse dich hier aufknüpfen.«

Bläsi Zgraggen versetzte trotzig: »Lasset Ihr mich henken, so ist es weniger wegen dieses letzten Handels, sondern eher weil ich –«

»Schweig!« gebot der Feldherr. Er konnte sich rächen, indem er dem Kriegsrechte freien Lauf ließ, aber eine solche Rache weder sich selbst noch seinem Opfer eingestehen. »Wie bist du hier zurückgeblieben?« fragte er.

Zgraggen, der ein geläufiges Lombardisch sprach, begann herzhaft: »Auf dem Felde von Pavia wurde ich verwundet und niedergeritten und lag, den geknickten Spieß neben mir. Nächtlicherweile schleppte ich mich dann den Bergen zu, hungernd und bettelnd. Herr, sehet Ihr rechts von den zwei Pappeln das lange rote Dach? Dort haust die Narracivallia mit ihrem Manne. Dieser dingte mich zur Feldarbeit – bis sich der Krieg verzogen hatte, jetzt käme ich doch nicht über die Grenze. Hernachmals machte mir die Narracivallia Augen. Da erschienen mir im Schlaf der Vater und die beiden Großväter, die mir alle noch daheim leben, wenn auch die Ahnen in großer Schwachheit. Zuerst kam der Vater, hob den Finger und sagte: ›Nimm dich in acht, Bläsi!‹ Dann kam der väterliche Ahn, faltete die Hände und sagte: ›Denk an deine Seele, Bläsi!‹ zuletzt kam der mütterliche Ahn; zeigte die Tür und sagte: ›Lauf, Bläsi!‹ Da schoß ich auf und suchte meine Kleider. Freilich meine seidenen Handschuhe und meinen gekettelten Kragen hatte mir die Narracivallia abgeschwatzt, um damit in der Kirche Staat zu machen. Ich war nur noch meines halben Verstandes mächtig und verlor auch diesen,[781] da ich im Morgenlicht bei Heiligenwunden eintrete zum Englischen Gruß und – denket Euch meinen Schrecken – mich selber erblicke wie ich leibe und lebe und Gott ersteche!«

»Ei«, lächelte Pescara.

»Ein Schelmstück!« zürnte Zgraggen. »Wisset, Herr, ein paar Pinsler hatten sich zeither mit ihrem Zeuge da herumgetrieben und ließen sich einmal in der Meierei ein Glas Milch geben. Der eine faßt mich ins Auge. ›Da haben wir, den wir brauchen‹, sagt er und beschaut mein Schwarzgelb. ›Mann, holt Euern Spieß und Harnisch.‹ Ich tue ihm den Willen. Jetzt heißt mich der Pinsler die Beine spreiten, spreitet sie gleichfalls und reißt mich ab auf ein Stück Leinwand. Dann versprachen mir die Spitzbuben mein Konterfei zu hohen Ehren zu bringen, ich aber stehe in Heiligenwunden und steche in den Salvator!«

Der Feldherr empfand ein gewisses Wohlwollen für den ehrlichen Gesellen. »Nimm«, rief er in einer seltsamen Laune und streckte dem Urner seinen vollen Beutel entgegen. Dieser nahm ihn mit der Rechten und ließ die Goldstücke zählend in die Linke gleiten, ernsthaft und bedächtig. Dann schob er die Dukaten in die Tasche und wollte den Beutel dem Feldherrn zurückstellen.

»Behalte! Er hat goldene Schleifen!«

Der Urner schickte den Beutel den Dukaten nach. »Wo stellet Ihr mich ein, Herr?« fragte er. Er konnte sich nichts denken, als daß ihn Pescara geworben und ihm Handgeld gegeben habe.

Pescara erwiderte: »Ich habe dich nicht gedingt und ich meine, nachdem dich die dreie so ernst vermahnt haben, kehrst du am besten in deine Heimat zurück und nährst dich redlich, wie es im Sprichwort heißt.«

»Aber warum denn schenkt Ihr mir so viel Geld wo ich Euch nichts zuliebe getan habe?« sagte Zgraggen. Sondern viel Leides, setzte er in Gedanken hinzu. Diese Vergeltung Pescaras überstieg das Fassungsvermögen des Urners und beängstigte seine Rechtlichkeit.

»Aus Großmut«, scherzte der Feldherr.

Bläsi kannte das Wort nicht. Da fiel ihm ein, es werde Großtun bedeuten, und da er im Lager oft gesehen hatte, wie Prahlerei das Geld mit vollen Händen wegwirft, beruhigte er sich dabei. »Ja so«, sagte er. Pescara aber winkte, sein Roß vorzuführen.

»Und damit du durchkommst«, sprach der Feldherr schon im[782] Bügel, »nimm noch das.« Er warf ihm eine Passiermarke zu und wenig fehlte, Zgraggen hätte gedankt. Wenigstens wollte er noch langes Leben wünschen; aber den Feldherrn zum Abschied anschauend, erkannte er das Siechtum in diesem Antlitze mit seinen Älpleraugen, welche das alle Welt täuschende geistige Leben desselben nicht bestach. Unwillkürlich wünschte er: »Gott gebe Euch selige Urständ, Herr!« Dann über seine eigene Rede und ihre böse Bedeutung bestürzt, lief er querfeldein mit seinem halben Spieße, den er sorglich aufgehoben und nun als Reisestab führte. Die Spanier hatten verwundert zugesehen, der alte Wachtmeister aber schüttelte bedenklich und abergläubisch den Kopf über die seltsame Freigebigkeit seines sparsamen Feldherrn.

Der Trupp, welcher den Urner gefangen hatte, gehörte zu dem Heerhaufen, der jetzt in einer Staubwolke hinter schlagenden Trommeln heranrückte. Der Feldherr ritt seinen Tapfern entgegen, von brausendem Jubel empfangen, und lenkte das Roß zwischen die Feldmusik und die erste Kompanie, deren Hauptmann ehrerbietig Raum gab.

Eine Weile blieb er allein an der Spitze der Truppen. Da nahte von Novara ein Reitender in weißem Mantel und gesellte sich zu ihm. Zusammen ritten sie durch das Schloßtor. Schweigend folgte der Begleiter dem Gange Pescaras und überschritt hinter ihm die Schwelle des Gemaches.

Pescara wendete sich. »Was wollt Ihr, Moncada?« fragte er, und dieser antwortete: »Eine Unterredung ohne Zeugen, die Ihr mir nicht zum zweiten Male verweigern werdet.«

»Ich stehe zu Diensten.«

»Erlaucht«, begann der Ritter, »ich habe, wie Ihr erlaubtet, den Kanzler drüben gesprochen. Er war voller Angst und Blässe und beteuerte mit tausend Eiden, er sei gekommen, Aufschub und leichtere Bedingungen zu erlangen, nur dieses habe ihn nach Novara geführt. Dann schwatzte er wild durcheinander wie das böse Gewissen. Dieser Mensch ist ein Abgrund von Lüge, in welchem der Blick sich verliert. Ich bin sicher, daß er im Namen der Liga hier ist.«

»Nicht anders«, sagte der Feldherr.

»Und daß er Euch die Führung derselben angeboten hat?«

»Nicht anders.«

Jetzt entstand Lärm im Vorzimmer. Ippolito beiseite werfend, verwildert, mit rasenden Mienen und verrückten Augen stürzte der Kanzler herein. Ihm folgten auf dem Fuße, beide schon gepanzert,[783] Bourbon und Del Guasto, denen er auf dem Gange begegnet, und die ihn zurückhalten wollten. In Verzweiflung warf er sich dem Feldherrn zu Füßen, während Moncada langsam in den Hintergrund zurückwich.

»Mein Pescara«, schrie der Geängstigte, »alle Geduld nimmt ein Ende! Ich kann die Marter nicht länger ertragen. Jede Minute dehnt sich mir zur qualvollen Ewigkeit. Ich vergehe. Sei barmherzig und gib mir deine Antwort!«

Pescara erwiderte mit Ruhe: »Vergebet, Kanzler, wenn ich Euch habe warten lassen. Meine Zeit war nicht frei, doch eben wollte ich nach Euch schicken. Eure gestrige Rede hat mich beschädigt, denn das Los eines Volkes ist keine Kleinigkeit – aber bitte, setzet Euch, ich kann nicht sprechen, wenn Eure Gebärden so heftig dareinreden.«

Der Kanzler packte krampfhaft die Lehne eines Sessels.

»Ich habe die Sache gewogen ... doch, Kanzler, lassen wir zuerst alles Persönliche, denket weg von Euch selbst und von mir, es bleibt die Frage: verdient Italien zu dieser Stunde die Freiheit und taugt es, so wie es jetzt beschaffen ist, sie zu empfangen und zu bewahren? Ich meine nein.« Der Feldherr sprach langsam, als prüfe er jedes seiner Worte auf der Waage der Gerechtigkeit.

»Zweimal hat Freiheit in Italien gelebt, zu verschiedenen Zeiten. In der beginnenden römischen Republik, da das Staatswohl alles war. Dann in jenen herrlichen Gemeinwesen, Mailand, Pisa und den andern. Jetzt aber steht es an der Schwelle der Knechtschaft, denn es ist los und ledig aller Ehre und jeder Tugend. Da kann niemand helfen und retten, weder ein Mensch noch ein Gott. Wie wird verlorene Freiheit wiedergewonnen? Durch einen aus der Tiefe des Volkes kommenden Stoß und Sturm der sittlichen Kräfte. Ungefähr wie sie jetzt in Germanien den Glauben erobern mit den Flammen des Hasses und der Liebe.

Aber hier! Wo in Italien ist, ich sage nicht Glaube und Gewissen, da das für euch veraltete Dinge sind, sondern nur Rechtssinn und Überzeugung? Nicht einmal Ehre und Scham ist euch geblieben, nur die nackte Selbstsucht. Was vermöget ihr Italiener? Verführung, Verrat und Meuchelmord. Worauf zählet ihr? Auf die Gunst der Umstände, auf die Würfel des Zufalls, auf das Spiel der Politik. So gründet, so erneuert sich keine Nation. Wahrlich, ich sage dir, Kanzler« – und Pescara erhob die[784] Stimme wie zu einem Urteilsspruch – »dein Italien ist willkürlich und phantastisch, wie du selbst es bist und deine Verschwörung!«

»Wahrheit«, ließ sich die Stimme Moncadas vernehmen.

»Auch der Held, Morone, den ihr euch erwählt habet, entbehrt des Daseins.«

Doch diese leisen letzten Worte Pescaras wurden überschrieen. Morone hatte schnell den Kopf gewendet und den Ritter erblickt: wie er seinen Anschlag dem Spanier preisgegeben sah, geriet er in Wut, seine Züge verzerrten sich und er tobte wie ein Besessener. »Falsch und grausam! Falsch und grausam! O ich mit Blindheit Geschlagener!« Dann von sinnloser Rachgier überwältigt, schrie er gegen Moncada: »Wisset es, Ritter, dieser« er wies auf den Feldherrn – »ist der Schuldige! Seinetwillen die ganze Verschwörung! Ich bin seine Kreatur, und nun opfert mich der Unmensch!«

Jetzt sprang der Herzog dazwischen, der mit Del Guasto hinter Pescara stehend den leidenschaftlichen Auftritt genoß. »Saute, Paillasse mon ami, saute pour tout le monde!« verhöhnte er Morone. »Ja, wenn wir nicht gelauscht hätten, wir zweie, hinter dem roten Vorhang und der goldenen Quaste dort! Ich muß dir das mal erzählen, Schatz, es ist zum Totlachen. Hörtest du nicht, wie ich dich auspfiff?« Dann plötzlich ernst werdend, richtete er den Blick fest auf Moncada, legte die Hand auf die Brust und beteuerte: »Bei meinem königlichen Blute, der Feldherr hat in jener gestrigen Stunde nicht haarbreit geschwankt in seiner Ehre und Treue!«

Morone war vernichtet. Del Guasto legte Hand an ihn und zog ihn mit sich fort. »Herr Kanzler«, spottete er, »bedanket Euch, unser Lauschen erspart Euch die Folter.« Auch der Herzog ging, einer bittenden Gebärde Pescaras gehorchend.

»Erlaucht«, begann Moncada, »hier bin ich überzeugt. Mit diesem habet Ihr nur Euer Spiel getrieben, vielleicht herablassender, als für spanischen Stolz sich geziemte. Mit einem solchen Menschen konspiriert kein Pescara. Aber, Erlaucht, in seiner ohnmächtigen Wut hat dieser Verlogene Wahrheit gesprochen, wenn er Euch beschuldigte, der Urheber der italienischen Verschwörung zu sein. Nicht der Urheber, aber der Begünstiger. Sie nicht entmutigend, habet Ihr sie genährt und großgezogen. Es war leicht, ein entschiedenes Wort zu sprechen und ihr Halt zu gebieten mit einer entrüsteten und weithin sichtbaren Gebärde. Das[785] habet Ihr nicht getan: Ihr stundet als eine dunkle und deutbare Gestalt.«

»Ritter«, unterbrach ihn Pescara, »nicht Euch habe ich Rechenschaft zu geben von meinem Tun und Lassen, sondern allein meinem Kaiser.«

»Eurem Könige«, versetzte Moncada. »Ihn so zu nennen, gebietet Euch die Ehrfurcht, denn ein König von Spanien ist mehr als der Kaiser. Und der Enkel Ferdinands wird ein König von Spanien werden. Karl entwickelt sich langsam, unter verschiedenen und streitenden Einflüssen, aber sein spanisches Blut wird erstarken und sein deutsches aufsaugen bis auf den letzten Tropfen. Er verabscheut die Ketzerei und seine Frömmigkeit wird ihn zum Spanier machen.« Er sagte das mit einem stillen Lächeln und schwärmerisch erglänzenden Augen.

»Avalos«, fuhr er fort, »deine Väter haben für den Glauben gegen die maurischen Heiden gekämpft, bis dein Ahn mit jenem Alfons nach Neapel schiffte. Kehre zu deinem Ursprung zurück! Das edelste Blut fließt in deinen Adern. Wie kannst du, der das Große liebt, zaudern zwischen dem spanischen Weltgedanken und den erbärmlichen italienischen Machenschaften? Unser ist die Erde, wie sie einst den Römern gehorchte. Siehe die wunderbaren Wege Gottes: Kastilien und Aragon vermählt, Burgund und Flandern erworben, das gewonnene Kaisertum, eine entdeckte und eroberte neue Welt, und, das alles beherrschend, ein gestähltes Volk mit einem gesegneten, zwiefach in Heidenblut getauften Schwerte! Was dir jener Elende bot, Spanien gibt es dir tausendfältig: Schätze, Länder, Ruhm und – den Himmel!

Denn für den Himmel kämpfen wir und für den katholischen Glauben, daß eine Kirche herrsche auf Erden. Sonst wäre Gott vergeblich Mensch geworden. Voraussehend, wie in diesen Tagen die Hölle den Apostolischen Stuhl besudeln und ihre letzte Ketzerei, den germanischen Mönch, ausspeien werde, erschuf er den Spanier, jenen zu reinigen und diese zu zertreten. Darum gibt er uns die Welt zur Beute, denn alles Irdische hat himmlische Zwecke. Ich habe lange darüber gesonnen in meinem sizilischen Kloster, und wähnte wohl selbst der Auserwählte zu sein zu diesem geistlichen Kriegsdienste. Da wurde er mir in einem Gesichte gezeigt, der andere, der Berufene. Ich war solcher Ehre unwürdig, meiner Sünde wegen, und trat in die Welt zurück.«

Pescara schwieg und betrachtete den Verzückten.[786]

»Aber ich wirke, solange es Tag ist. Kein Jahr ist um, ich stand hinter Ferdinand Cortez, da ihm auf dem Berge der Dämon die goldenen Zinnen Mexikos zeigte, wie er dir, Pescara, jetzt Italien zeigt Diese Hand hielt den Strauchelnden zurück, und nun strecke ich sie gegen dich, Pescara, daß du ein Sohn Spaniens bleibest, welches die Welt ist, und das der in der Glorie schwebende katholische Ferdinand beschützt.«

Jetzt brach der Feldherr sein Schweigen und zürnte: »Nenne mir jenen nicht, er hat mir den Vater getötet!«

Moncada seufzte schwer.

»Du bereust?«

Der Ritter schlug sich zerknirscht die Brust und murmelte, mit sich selbst sprechend: »Meine Sünde ... meine Sünde ... ungebeichtet und ungespeist!«

Da erriet Pescara, daß dieser Fromme nicht seinen Mord bereue, sondern daß er ihn vollbracht an einem geistlich Unvorbereiteten. »Weiche von mir!« gebot er.

Moncada trat zurück bis zur Schwelle, wie aus einem Traum erwachend. Dann sammelte er sich und sagte: »Verzeihung, Erlaucht! Ich war abwesend. Noch ein nüchternes Wort. Ich kenne Euer Ziel nicht. Noch bin ich nicht Euer Feind. So oder so werdet Ihr Malland nehmen. Dieser erste Schritt enthält weder Treue noch Untreue. Ich erwarte Euern zweiten, ob Ihr den Herzog absetzet und die Empörung strafet. Tut Ihr es nicht, so verratet Ihr Spanien und Euern König!« Und er verschwand.

Pescara zog sich zurück und genoß Speise. Dann empfing er vor seinem flackernden Kaminfeuer, das an einem Herbstabende nicht fehlen durfte, den Herzog mit Del Guasto und gab ihnen seine letzten Befehle. Den Rest der Zeit benützte er, um seine geheimen Papiere zu sichten: was sich um einen Mächtigen dreht, eine Welt von Schlechtigkeit. Er vernichtete das meiste, es in den Herd werfend: er wollte niemanden verderben. Auch das Geheimschreiben des Kaisers sollte verschwinden, doch seine Asche nicht mit der übrigen sich vermengen. Er ließ ein glimmendes Kohlenbecken bringen, in dessen bläulichen Flämmchen er den Brief seines Kaisers verbrannte. Als er zu. Ende war, hatten sich seine Kerzen schon zur Hälfte verzehrt: es ging auf Mitternacht Pescara kreuzte die Arme über der Brust und verfiel in ein so tiefes Sinnen, daß er die Schritte eines Eintretenden nicht vernahm. Da sprach es zu ihm: »Was ist dein Ziel, Avalos?« Er erblickte Moncada.[787]

Der Feldherr griff mit der Hand in das erloschene Kohlenbecken, schloß sie und streckte sie gegen Moncada. »Mein Ziel?« sagte er und öffnete die Hand: Staub und Asche.

Jetzt gellten Drommetenrufe durch das Schloß. Trommelwirbel folgten. Alles geriet in Bewegung. Der Feldherr ließ sich von seiner Dienerschaft waffnen. Als er bei flackerndem Fackellicht, das sich auf Speeren und Rüstungen spiegelte, die gepflasterte Halle des Erdgeschosses betrat, erblickte er sein schwarzes Tier, welches, kostbar geschirrt, mit ungeduldigen Hufen Funken aus dem Boden schlug, daneben eine Sänfte mit zwei leichten Trabern. Beide hatte er befohlen, die Wahl dem Augenblicke vorbehaltend. Mit einem Seufzer bestieg er die Sänfte, seine wiederbeginnenden Schmerzen darin zu verbergen, und verschwand durch das Tor, während sein verschmähtes Schlachtroß sich zornig gebärdete und den Reitknecht, welcher es besteigen wollte, abwarf. Es mußte seinem Herrn ledig nachgeführt werden.

Nun wurde auch der gefangene Kanzler gebracht. Spanische Soldaten umringten ihn, beraubten ihn seiner Kette, seiner Ringe, seines Beutels und setzten ihn, nicht auf sein edles Maultier aus dem mailändischen Marstalle, sondern rücklings auf einen armseligen Esel, dessen Schwanz sie ihm nach ihrer grausamen Art durch die gefesselten Hände zogen. Dann ging es durch das Tor unter einem höllischen Gelächter, in welches der Kanzler aus Verzweiflung mit einstimmte.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1968, S. 772-788.
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