Sechstes Kapitel

[453] In einer vorgerückten Morgenstunde des folgenden Tages saß der Provveditore Grimani in einem kleinen behaglichen Gemache seines Palastes. Das einzige hohe Fenster war von reichen bis auf den Fußboden herabfließenden Falten grüner Seide halb verhüllt, doch streifte ein voller Lichtstrahl die silberglänzende Frühstückstafel und verweilte, von den verlockend zarten Farben angezogen, auf einer lebensgroßen Venus aus Tizians Schule Von der Sonne berührt schien die Göttin, die auf mattem Hintergrunde wie frei über der breiten Türe ruhte, wonnevoll zu atmen und sich vorzubeugen, das stille Gemach mit blendender Schönheit erfüllend.

Dem Provveditore gegenüber saß sein ehrenwerter Gast, Herr Heinrich Waser, diesmal mit sorgenbelasteter Stirne. Er war nicht gestimmt auf die feine, über das Gewöhnliche mit Geist und Anmut hinspielende Unterhaltung seines Gastfreundes einzugehen, und hatte sogar versäumt, seinen hochlehnigen Stuhl so zu setzen, daß er dem verlockenden Götterbilde den Rücken zuwandte, was er sonst nie zu tun vergaß, denn die schmiegsame[453] Gestalt mit dem Siegeszeichen des Parisapfels in der Hand pflegte ihn allmorgendlich zu ärgern und zu betrüben. Sie erinnerte ihn gewissermaßen an seine jung verstorbene selige Frau; aber wie ganz verschieden war hinwiederum dieses reizende Blendwerk von der Unvergessenen, deren Seelenspiegel nie ein Anhauch von Üppigkeit getrübt und die einen ausgesprochenen Abscheu empfunden gegen alles, was sich im mindesten von sittsamer Bescheidenheit entfernte.

Heute aber nahm er an der Göttin keinen Anstoß, er war weit davon entfernt sie nur zu beachten. Sein ganzes Denken war darauf gerichtet, das Gespräch auf seinen Freund Jenatsch zu bringen, ohne durch die sichere Unterhaltungskunst des Provveditore von der Fährte abgebracht und spielend im Kreise herumgeführt zu werden.

Er hatte heute schon in der Frühe, wie er daheim in Zürich zu tun pflegte, einen kurzen Morgengang gemacht, was hier in dem Gäßchen- und Wasserlabyrinthe der Lagunenstadt seinen vorzüglichen Ortssinn in spannender Übung erhielt. Er hatte zuerst den durch seine weltlustige Pracht ihn täglich überraschenden Markusplatz aufgesucht und sich hierauf sinnreich durch die enge lärmende Merceria nach dem Rialto durchgefunden. Dort hatte er von der Höhe des Brückenbogens mit aufmerksamem Auge den unendlichen Handel und Wandel der meerbeherrschenden Stadt gemustert. Dann war ihm plötzlich eingefallen, hinunterzusteigen auf den nahen Fischmarkt und die eben anlangenden seltsam geformten Seeungetüme zu besichtigen. Hier fiel sein Blick auf den von Herzog Rohan bewohnten Palast und in seinem Herzen erwachte der Wunsch, den gestern zweimal nur flüchtig begrüßten Jugendgenossen zu besuchen und sich nach dessen Fahrten und Schicksalen freundschaftlich zu erkundigen. Sicher, im Palaste des Herzogs ermitteln zu können wo Jenatsch hause, und nicht ohne Hoffnung ihn dort vielleicht persönlich zu treffen, winkte er einem Gondolier, der ihn mit wenigen Ruderschlägen an die Aufgangstreppe des Palastes brachte. Da er von der Dienerschaft erfuhr, Jenatsch sei nicht hier und der Herzog beschäftigt, ließ er sich bei der Frau Herzogin anmelden.

Die hohe Dame hatte ihm dann die gestrigen Ereignisse bewegt und wirkungsvoll, aber höchst unklar geschildert und dabei Andeutungen gemacht über das seinen Freund zermalmende Verhängnis, die den nüchternen Mann befremdeten und höchlich beunruhigten. Der Verhaftungsszene nächtliches Dunkel hatte sie[454] mit der Fackel ihrer Einbildungskraft keineswegs aufgehellt; dennoch wurde es dem klugen Zürcher sofort klar, daß Jenatsch in keiner andern Gewalt als in der Grimanis sich befinden könne. Er war dessen vollkommen gewiß, denn er erinnerte sich jetzt der nachlässigen Ruhe, mit welcher dieser Meister der Verstellungskunst gestern an der Tafel des Herzogs über die unbefugte Rückkehr des Bündners weggeglitten war, die er unter andern Umständen sicherlich als einen schweren Disziplinarfehler gerügt hatte.

Waser war sogleich nach Hause geeilt, und jetzt saß er dem undurchdringlichen Grimani gegenüber, aus dem er des Bündners Schuld und Schicksal herausbringen mußte.

Der Provveditore war in glänzender Laune. Er erging sich in heitern Reiseerinnerungen, erzählte von London und dem Hofe Jakobs I., wohin ihn vor einigen Jahren eine diplomatische Sendung geführt hatte, und entwarf von dem wunderlich pedantischen, aber, wie er hinzuzufügen sich beeilte, keineswegs auf den Kopf gefallenen König ein ergötzliches Bild. Auch gedachte er in liebenswürdigster Weise seiner Einkehr im Waserschen Hause zu Zürich, dessen patriarchalische Einfachheit und fromme Zucht ihn nach dem lärmenden und sittenlosen London wahrhaft erquickt hätte. Dies brachte ihn auf den besondern Charakter der schweizerischen Eidgenossenschaft und ihre Stellung in der europäischen Politik. Er beglückwünschte den Zürcher, daß dem kleinen Lande aus dem erwarteten Friedensschlusse ohne Zweifel eine durch feste Verträge verbürgte staatliche Unabhängigkeit erwachsen werde.

»Auf die von Niccoló Machiavelli euch vorausgesagte Weltstellung werdet ihr freilich verzichten müssen«, sagte er lächelnd, »aber ihr habt dafür euer eigenes Herdfeuer und eine kleine Musterwirtschaft, in der auch große Herren manches werden lernen können.«

Da hierauf Waser mit leisem Kopfschütteln bemerkte, dieses an sich wünschenswerte Resultat dürfte neben schönen Lichtseiten auch manche Schattenseiten zeigen, und er persönlich sehe sich nur mit Schmerz von dem protestantischen Deutschland abgedrängt, nickte ihm der venezianische Staatsmann einverstanden zu und sagte, staatliche Unabhängigkeit sei eine schöne Sache und es lasse sich dabei auch bei kleinem Gebiete ein gewisser Einfluß nach außen üben, vorausgesetzt, daß politische Begabung vorhanden sei und auf ihre Ausbildung aller Fleiß verwendet[455] werde; aber um weltbewegend einzuwirken sei nationale Größe notwendig, wie sie gegenwärtig nur das durch seinen genialen Kardinal zusammengefaßte Frankreich besitze. Das Wesen dieser Größe und in welchem letzten Grunde sie wurzle habe er oft mit forschenden Gedanken erwogen und sei zu einem eigentümlichen Schlusse gekommen. Es erscheine ihm nämlich, als beruhe diese materielle Macht auf einer rein geistigen, ohne welche die erste über kurz oder lang zerfalle wie ein Körper ohne Seele. Dieser verborgene schöpferische Genius nun äußere sich, nach seinem Ermessen, auf die feinste und schärfste Weise in Muttersprache und Kultur.

»Hier ist allerdings die Schweiz mit ihren drei Stämmen und Sprachen im Nachteile«, fuhr der Provveditore fort, der offenbar mit Vorliebe an Italien gedacht hatte, »aber mir ist um euch nicht bange. Ihr haltet durch andere zähe Bande zusammen. Für unsere gesegnete Halbinsel aber gereicht mir diese meine Wahrnehmung zum Troste. Heute unter verschiedene, zum Teil fremde Herren geteilt, besitzt sie immer noch das gemeinsame Gut und Erbe einer herrlichen Sprache und einer unzerstörbaren, in das leuchtende griechisch-römische Altertum hinaufreichenden Kultur. Glaubt mir, diese unsterbliche Seele wird ihren Leib zu finden wissen.«

Waser, dem diese mystischen Gedankengänge sehr ferne lagen und aus dem Munde seines sonst so kalten, diplomatischen Gastfreundes befremdlich klangen, bemächtigte sich jetzt der Rede, um in ein glänzendes Lob der Republik von San Marco auszubrechen, die, einzig in Italien, mit der Staatsweisheit und dem Rechtssinne der alten Roma eine Parallele bilde.

»Was die Fabeleien von willkürlicher Justiz und geheimen nächtlichen Hinrichtungen betrifft, so bin ich nicht der Mann, mein verehrter Gastfreund, an solche Märlein zu glauben«, schloß der Zürcher, erfreut mit einer, wie er überzeugt war, ungezwungenen Wendung an das heiß erwünschte Ziel zu gelangen, »und darum kann ich ganz ohne Rückhalt ein mir unerklärliches Ereignis mit Euch besprechen, das sich gestern im Canal grande begab und wobei mein Jugendfreund, der Hauptmann in venezianischen Diensten Georg Jenatsch, ohne Spur verschwunden sein soll. Die durchlauchtige Frau Herzogin Rohan, welche die Gnade hatte mich mit dem Vorfalle bekannt zu machen, schien mir, soweit ich ihre Andeutungen zu fassen vermochte, nicht ferne zu sein von der Ansicht, der Hauptmann wäre seiner unbefugten[456] Abreise aus Dalmatien wegen den venezianischen Bleidächern verfallen. Eine Vermutung, die ich bei dem eine höchste Kulturstufe erreichenden venezianischen Gesetze und der Milde seines Vollstreckers«, hier machte er eine verbindliche Handbewegung gegen den Provveditore, »– auch nach dessen gestrigen Äußerungen an der Tafel des Herzogs, unmöglich teilen kann.«

»Von Hauptmann Jenatsch habe ich sichere Kunde«, sagte Grimani mit einem unmerklichen Lächeln über die Gewandtheit seines Gastes. »Er sitzt unter den Bleidächern; aber, lieber Freund, nicht wegen eines Disziplinarfehlers, sondern belastet mit einer Mordtat.«

»Gerechter Gott! Und Ihr habt Beweise dafür?« rief Waser, dem es schwül wurde, sprang auf und schritt in dem kleinen Gemache bestürzten Gemüts auf und nieder.

»Ihr werdet, wenn Ihr es wünscht, die Akten lesen«, versetzte Grimani ruhig und ließ seinen Schreiber rufen, dem er befahl, ein Portefeuille, das er bezeichnete, sogleich zur Stelle zu bringen.

Nach wenigen Minuten hielt Waser zwei Aktenstücke über den Zweikampf zwischen Jenatsch und Ruinell hinter St. Justina zu Padua in den Händen, mit denen er sich, eifrig lesend, in die etwas erhöhte Fensternische zurückzog.

Das eine dieser Schriftstücke war das mit dem Magister Pamfilio Dolce aufgenommene Verhör, worin derselbe den Unfall des ihm zu Erziehung und Schatz befohlenen unschuldigen Knäbleins mit beweglichen Worten schilderte, alsdann zu der großen Szene bei Petrocchi überging, wo der barbarische Oberst sein in rühmlichen Studien ergrautes Haupt mit Schimpf bedeckt, er großherzige Hauptmann aber, von seiner – des Magisters – ehrwürdiger Erscheinung und bescheidener Forderung gerührt, mit schöner Menschlichkeit und antikem Edelmute für ihn eingetreten sei. – Dem mörderischen Duell hatte der Magister nicht beigewohnt, dagegen vom Gerichte sich die Gunst erbeten, dem Protokoll eine wichtige Papierrolle beilegen zu dürfen. Diese fiel Waser in die Hand; aber er warf jetzt nur einen flüchtigen Blick auf deren erste Seite. Er ergreife, sagte der Magister in der auf diesem Blatte stehenden Widmung, einem Meisterstücke kalligraphischer Kunst, die durch das Schicksal unverhofft ihm gewährte Gelegenheit, dem erlauchten Provveditore, als dem hohen Gönner aller Wissenschaft, die gesammelte Frucht eines arbeitsamen langen Lebens in Demut ersterbend anzubieten: eine Abhandlung[457] über die Patavinität seines unsterblichen Mitbürgers Titus Livius, das heißt, über die in dessen unvergleichliches Latein eingeflossenen charaktervollen paduanischen Provinzialismen.

Das zweite Schriftstück, das Waser entfaltete, war die Relation des Stadthauptmanns, die sich ausschließlich mit der Schlußszene des Handels beschäftigte.

Ein erschreckter Bürger habe ihn benachrichtigt, hinter St. Justina stehe ein gefährlicher Zweikampf bevor zwischen zwei Offizieren der venezianischen Armee. Er sei hingeeilt, von seinen tapfern Leuten zusammenraffend, was er auf dem Wege gefunden, und habe schon von ferne die Gruppe der Kampfbereiten und der um sie versammelten Neugierigen erblickt, auch deutlich erkennen können, wie nur der eine der Herren Grisonen mit grausamer Wut und rasenden Gebärden auf dem Kampfe bestand, der andere aber kaltblütig mit Ernst und Würde ihn zu beschwichtigen suchte, von den vernünftigen Vorstellungen und höflichen Bitten der anwesenden paduanischen Bürger hierin unterstützt, und sich dann mäßig und nur gezwungen verteidigte. Er habe sich seinem Gefolge voran aufs eiligste genähert, um, wie sein ehrenvolles Amt erheischte, seinen Leib als Schranke zwischen die Frevler am Gesetze zu werfen und den Degenspitzen im Namen der Republik Halt zu gebieten. Als er dies mit eigener Lebensgefahr getan, sei zwar der eine gehorsam zurückgewichen, der andere aber durchbohrt mit einem Fluche zusammengestürzt. Nach seinem Dafürhalten habe sich der Sinnlose mit blinder Wut in die nur zur Verteidigung ihm entgegengehaltene Waffe des andern geworfen, einen Augenblick ehe er die beiden Degen mit dem seinigen niedergeschmettert. – So glaube er seine Pflicht mit Aufopferung erfüllt zu haben und auf die Anerkennung der erlauchten Republik, sowie auf ein angemessenes Ehrengeschenk ohne Unbescheidenheit rechnen zu dürfen. –

»Mit diesen Papieren, Herr Provveditore, läßt sich eine Anklage auf Mord nie begründen«, sagte Waser vor seinen Gastfreund hintretend und die Akten nicht ohne sichtbare Zeichen der Entrüstung auf den Tisch legend, wobei der Traktat über die Patavinität des Livius auf den Marmorboden fiel. »Sie sprechen durchaus zugunsten des Hauptmanns und bezeichnen den Fall als strikte Notwehr.« –

»Wollt Ihr noch von den Aussagen der andern Zeugen Einsicht nehmen?« sagte Grimani kalt. »Sie stimmen übrigens durchaus[458] überein mit denjenigen des bettelhaften Pedanten und des prahlerischen Eisenfressers. Die Zeugnisse dieses Gesindels« – er stieß mit der Fußspitze an die gelehrte Arbeit des Magisters Pamfilio, die langsam über die Mosaiksterne des glatten Bodens rollte – »führen nur den Gutmütigen irre, der nicht versteht zwischen den Zeilen zu lesen. Verzaubert und belügt doch dieser ungesegnete Jenatsch mit seiner heuchlerischen Herzenswärme und seiner ruchlosen Kunst auch das Absichtlichste als Eingebung des Augenblicks oder harmlosen Zufall darzustellen, ohne Ausnahme alle von oben bis unten, von dem edeln Herzog Rohan bis zu diesen Larven hinab. – Angenommen daß diese Zeugnisse den Sachverhalt in völliger Wahrheit darstellen, so führt sie doch erst die Kenntnis der Verhältnisse des Hauptmanns und seines ränkevollen Charakters auf ihren richtigen Wert zurück, und mittelst dieser Kenntnis bin ich imstande, mein werter Freund, Euch, vielleicht zum Schrecken Eures harmlosen Gemüts, die Geschichte der Tötung des Obersten Ruinell in ihr wahres Licht zu stellen.

Ich will mich kurz fassen. Jenatsch hatte sich zum Ziele gesetzt um jeden Preis eines der vier bündnerischen Regimenter zu erlangen, die Herzog Rohan zum bevorstehenden Veltliner Feldzuge mit französischem Solde bildet. Alle vier aber waren schon vergeben, eines davon an Ruinell; folglich mußte einer der Obersten, am bequemsten Ruinell, den der Degen des Ehrsüchtigen erreichen konnte, weggeräumt werden. Als nun der Schulmeister den heißblütigen Oberst mit seinem unverschämten Bettel belästigte, ergriff der geistesgegenwärtige Jenatsch blitzschnell die Gelegenheit ihn zu reizen, indem er für den Pedanten Partei nahm. Wie die Flamme einmal aufstieg, war es dem Kühlgebliebenen ein leichtes, sie mit seinem boshaften Hauche zu schüren. Er wußte mit seiner absichtsvollen Sanftmut den Zornigen bis zur Raserei zu reizen und als geschickter Fechter den Degen so zu führen, daß keiner den sichern leisen Todesstoß gewahr wurde. – So trug die Sache sich zu, mein braver Herr, wenn die Republik nicht einen menschenunkundigen Neuling zu ihrem Provveditore hat. Euer Signor Jenatsch hat bei seiner dalmatischen Sendung zehnmal mehr List aufgewendet, als es nicht brauchte, diesen armen Trunkenbold aus dem Wege zu räumen.«

Waser hatte diese Auseinandersetzung mit Grauen angehört. Ihn fröstelte beim Gedanken an die Gefahr, die jedem Angeklagten aus dieser scharfsinnig argwöhnischen Auslegung an sich[459] unverfänglicher Tatsachen erwachsen mußte. Sogar ihn, den wohlwollenden, dem Hauptmanne befreundeten Mann, durchfuhr einen Augenblick der Gedanke, des Venezianers grausame Logik könnte recht haben. Aber sein gerader Menschenverstand und sein rechtliches Gemüt überwanden rasch diesen beängstigenden Schwindel. So hätte es sein können; aber, nein, es war nicht so. – Er erinnerte sich indessen, daß der Argwohn in Venedig ein Staatsprinzip sei, und verzichtete darauf, in diesem Augenblicke Grimanis Voreingenommenheit zu bekämpfen.

»Die Tatsachen entscheiden«, sagte er mit überzeugter Festigkeit, »nicht deren willkürliche Interpretation, und Hauptmann Jenatsch ist nicht ohne Schutz in Venedig, denn in Ermangelung eines bündnerischen Gesandten bei der Republik von San Marco glaube ich Geringer im Sinne meiner Obern zu handeln, wenn ich die Interessen des mit Zürich verbündeten Landes in Venedig nach Kräften wahrnehme.« –

»Da verwendet sich noch ein anderer Schutzpatron für die Unschuld, die ich in der Person des Hauptmanns Jenatsch verfolge«, sagte der Venezianer mit schmerzlichem Spotte, denn eben wurde ein in rote Seide gekleideter französischer Edelknabe eingelassen, um in des Herrn Provveditore eigene Hand ein Schreiben seines Gebieters, des Herzogs Heinrich Rohan, zu legen.

»Der erlauchte Herzog will mir die Ehre eines Besuches erweisen«, sagte Grimani die Zeilen durchlaufend, »das darf ich nicht zugeben. Meldet, daß ich mich ihm in einer Stunde vorstellen werde. – Eure Begleitung, Signor Waser, würde mich erfreuen.«


Damit erhob sich der feine bleiche Mann mit den melancholischen Augen und zog sich in sein Ankleidezimmer zurück.


Waser blieb zögernd stehen. Dann trat er zum Tische und durchlas sorgfältig die übrigen Zeugenaussagen. Zuletzt fiel sein Blick auf die unter einen Stuhl gerollte Abhandlung des Magisters Pamfilio Dolce aus Padua. Ihn jammerte ihr schmachvolles Schicksal.

»Da klebt viel Schweiß daran«, sagte er und hob die Rolle auf. »Ein Plätzchen in unsrer neu gegründeten Stadtbibliothek wird sich schon für dich finden, Werk eines dunkeln Daseins!« –[460]

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1968, S. 453-461.
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