II. Inneres Leben

[103] Auf dem »Graben« ist etwas Sonnenschein.

Natürlich nur der Kommerzialrat Sonnenschein.

(Es unterliegt heute überhaupt nicht dem geringsten Zweifel mehr, daß Prag tatsächlich von orientalischen Kaufleuten, wie die Sage berichtet, gegründet wurde.)

Herr Sonnenschein steht gern bei dem Laden der Firma Waldek & Wagner, Gummiwaren und Uterusilien, – und auf seinem Antlitz ruht der Glanz, der von jeher großen Kaufleuten eigen war: Marco Polo, Fugger, Li-hung-tschang.

Er steht dort gern –, es ist mitten zwischen zwei Banken, der böhmischen Landesbank und der Kreditanstalt, und das macht immer ä guten Eindruck. – Und dann ist er stets schwarz angezogen.

– »Schwarz is immer elegant.« –

»Hab' dj' Ähre!« – hat jetzt jemand laut gegrüßt. –

Herr Feldeck von Feldrind ist es. – Ein feiner Kopf.

Die Brusttasche dick geschwollen. – Stearinkerzen hat er drin. – Er nimmt sie immer aus den Laternen seiner Equipage, damit sie der Kutscher nicht stiehlt.

Man dreht sich um: Ah![104]

Die harmlose kleine Frau Doktor Teichhut ist vorbeigegangen. Klapp, klapp, klapp, mit hohen Absätzen. Sie imitiert sengenden Blick, sieghaft, als hätte sie ein neues Laster erfunden.

Und dort hält ein Wagen. Welch prächtiger Landauer!

Schau nur!

Die Gemahlin des Millionärs Steißbein sitzt darin und ißt mit bloßen Fingern kalte Linsen aus ihrer Pompadour.

Verlegen ruft die Tochter, die eben vorübergeht, ihr zu:

»Aber, Mámma, was eßt du das?!«

Jedoch die alte Dame läßt sich nicht beirren.

Ja, und wer ist denn das? – Schon aus Wien zurück? – Ah, da staun ich:

Der Berufsduellant Her Aaron Gedalje Hehler ist angekommen. –

Wer kennt ihn nicht!

Fünfundvierzig Kilo schwer, ist er die Leichtgewichtsbalmachome par excellence.

Sein unbändiger Mut ist Stadtgespräch, und ein Duell mit ihm muß etwa Schauderhaftes sein.

Gott sei Dank hat er noch keins gehabt.

Er macht einen äußerst verwegenen Eindruck, und daran ist weiter nichts Wunderbares, denn einer[105] seiner Ahnen schon hat sich kühn bis zu weiland Hermann dem Cherusker vorgedrängt, um sich das Knopperngeschäft im Teutoburger Wald nicht entgehen zu lassen.

Erst kürzlich wieder hat man ihn dekoriert, den Herrn Hehler, – von Armenien aus, zusammen mit dem Friseur Schicketanz und dem Diurnisten Oberkneifer aus Marienbad, aber gewiß nicht seiner Furchtlosigkeit oder unvergleichlichen Befähigung, die Ehrbegriffe im kabbalistischen Sinne zu deuten, wegen, sondern offenbar der Verdienste halber, die er sich in den Tagen, als er noch ungetauft und Kommis in der Zichorienbranche war, um Armenien und die angrenzenden Länder erworben hatte.

»Maj Kärl is ä hajpohrn Leedi,« singt er abends so gerne beim Wein, denn er liebt die englische Sprache, – der streitbare Herr Gedalje Hehler!

Jetzt aber, vorgeneigter Leser, folge mir willig ins Café Continental, es ist gerade gegenüber und das Herz Deutsch-Prags.

Siehst du, dort links mündet die Schwefelgasse, so benannt, weil sie täglich der tiefsinnige Rechtsgelehrte Jellinek durchquert, und dort rechts steht der Insektenpulverturm, der mit Recht die »Zeltnergasse« – abschließt.[106]

Für Leute, die noch nicht in Prag akklimatisiert sind, empfiehlt es sich ja allerdings, ehe sie zum Besuche des Caféhauses schreiten, sich längere Zeit in einem Wachsfigurenkabinett abzuhärten.

Man wird dann nicht so leicht erschrecken und manche kleine Freude haben, wenn man gelegentlich einen oder den anderen verbürgten Prager Ehrenmann kennen lernt und sich innerlich froh gestehen kann: hurra, ganz denselben Kopf habe ich ja schon in Spiritus gesehen.

Selbstverständlich ist und bleibt aber ein Panoptikum immer nur ein mildes Training, und so manchem, der unvorbereitet das Café betrat, ist der Schreck arg in die Glieder gefahren. –

Ahnungslos drängt man sich zwischen Sesseln hindurch, wehrt dankend dem aufmerksamen Kellner, der einem verbindlich sämtliche österreichischen Wochen-, Tages- und Sennesblätter anbietet, und sieht plötzlich auf:

Um Gottes willen, was ist denn das? –

Da sitzen ja drei assyrische Flügelstiere hinter einem Tisch? –

Mit langen, schwarzen viereckigen Bärten und glühenden Augen, und starren einem auf die Stelle, wo man die Brieftasche stecken hat.

Es sind aber nur der Herr Eisenkaß aus der Schmielesgase, der Herr Jettinger und der Spezialist[107] für unheilbare Krankheiten Doktor Paschory, und ihr Aussehen büßt viel an Schrecklichkeit ein, wenn sie aufstehen, denn sie haben krumme Hosen und den friedlichen Plattfuß.

Und in der Stammecke tagaus tagein, da sitzt ein Herr, der ist vielleicht gar kein Herr, sondern ein Kondor. Er ist immer à quatre épingles, aber er ist doch ein Raubvogel.

Er ist sogar ganz gewiß ein Raubvogel!

Wetten?

Seinen Namen habe ich vergessen, er soll eine »Seehandlung« betreiben, sagt man. – Heißt wohl, er handelt, was er »seht«. –

Mit seinen kleinen Augen, dem dünnen, faltigen Hals und dem riesigen Kondorschnabel ist er entsetzlich unheimlich anzuschauen; weiß Gott, man würde sich nicht wundern, wenn er plötzlich still in seine Tasche griffe, einen Haufen Gedärme hervorzöge und sie unter heiserem Geierschrei verzehren würde. –

Und jetzt steht plötzlich alles auf und grüßt ehrerbietig!?!

Ein würdevoll aussehender Herr ist soeben eingetreten, – ein kleines Unterschleifchen im Knopfloch – und dankt herablassend nach allen Seiten. –

Er war früher schon Ehrenmann. Aber nur Amateur. Jetzt ist er falscher Zeuge von Beruf.

Daher die allgemeine Beliebtheit.

Quelle:
Gustav Meyrink: Gesammelte Werke, Band 4, Teil 2, München 1913, S. 103-108.
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