An ein Thal

[141] (Umarbeitung.)


Ich liebe dich, du kleines

Und stilles Veilchenthal;

Und dennoch schuf mir keines,

Wie du, so viele Qual.


Dich liebet auch Seline,

Die junge Schäferin,

Mit der bescheidnen Miene

Und, ach! dem harten Sinn.


Jüngst saß ich hier und spielte,

Beim letzten Sonnenlicht;

Zufrieden, denn ich fühlte

Noch dich, o Liebe, nicht.


Die Freiheit war's alleine,

Die mein Gesang erhob;

Nie hörten diese Haine

Von mir der Liebe Lob.


Nie sollst du mich bezwingen,

So sang ich allzu kühn;

O Liebe, deinen Schlingen

Will ich gewiß entfliehn!


Du änderst alle Herzen,

Zerstörest ihre Lust;

Und schaffest Gram und Schmerzen

Der jugendlichen Brust.


So sang ich dir, o Liebe,

Mit stolzem Herzen Hohn;

Und trotzte deinem Triebe,

Dem ich bisher entflohn.


Als plötzlich meinen Blicken

Sich eine Hirtin wies,

Und Sehnsucht und Entzücken

Die Ruhe mir entriß.[142]


Dorine saß und pflückte

Sich Blümchen, las sie aus,

Vereinte sie und schmückte

Sich mit dem bunten Strauß.


Gern hätt' ich sprechen wollen;

Umsonst bemüht' ich mich:

Kein Wort drang aus dem vollen

Beklemmten Herzen sich.


Noch lange stand ich, blickte

Mit trunknen Augen hin,

Und immer mehr entzückte

Mich diese Zauberin.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 141-143.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon