Siebenter Auftritt.

[20] Valere. Harpagon. Elise.


HARPAGON. Hierher, Valere! Wir haben ausgemacht, meine Tochter und ich, daß du entscheiden sollst, wer von uns beiden recht hat.

VALERE. Ohne Zweifel Ihr, gnädiger Herr.

HARPAGON. Weißt du denn, um was sich's handelt?

VALERE. Nein. Aber Ihr könnt ein für allemal nicht unrecht haben; denn Ihr seid die Weisheit selbst.

HARPAGON. Ich will sie heut abend mit einem wackern und reichen Manne verheiraten, und der Grasaffe sagt mir ins Gesicht, daraus könne nichts werden. Was sagst du dazu?

VALERE. Was ich dazu sage?

HARPAGON. Ja.

VALERE. Hm! hm!

HARPAGON. Nun?

VALERE. Ich sage, daß ich im Grunde Eurer Meinung bin, denn Ihr könnt nicht anders als recht haben; aber sie hat ihrerseits auch nicht völlig unrecht.

HARPAGON. Was! Der Herr Anselme ist eine höchst vorteilhafte Partie; er ist ein Edelmann von wirklichem Adel, ein stiller, gesetzter, verständiger und sehr reicher Mann, dessen Kinder alle gestorben sind. Kann sie es denn besser verlangen?

VALERE. Das ist wahr. Aber sie könnte Euch vielleicht einwenden, daß Ihr die Sache etwas übereilt und daß man wenigstens noch einige Zeit warten sollte, um zu sehen, ob ihre Neigung ...[20]

HARPAGON. Ei was! Solch eine Gelegenheit muß man beim Schopf fassen. Es wird mir hier ein Vorteil geboten, den ich anderswo nie wieder finden würde; er verpflichtet sich, sie ohne Mitgift zu nehmen.

VALERE. Ohne Mitgift?

HARPAGON. Ja.

VALERE. Ah, dann sage ich nichts mehr. Ja, seht, das entscheidet ohne weiteres; da muß man die Segel streichen.

HARPAGON. Das ist für mich eine große Ersparnis.

VALERE. Natürlich. Dagegen ist nicht zu streiten. Freilich könnte Eure Tochter Euch vorstellen, daß die Heirat für sie eine hochwichtige Sache ist; daß sich's um das Glück oder Unglück ihres ganzen Lebens handelt; und daß eine Verbindung, die nur der Tod trennen kann, mit der größten Vorsicht geschlossen werden muß.

HARPAGON. Ohne Mitgift!

VALERE. Ihr habt recht; damit ist alles gesagt, das versteht sich. Es gibt zwar Leute, die Euch bemerken könnten, daß in solchen Fällen die Zuneigung eines Mädchens berücksichtigt werden sollte, und daß eine so große Ungleichheit des Alters, des Naturells und Gefühls eine Ehe den verdrießlichsten Zufällen aussetzen kann ...

HARPAGON. Ohne Mitgift!

VALERE. Freilich, darauf läßt sich nichts erwidern, das sehe ich wohl ein. Wer Teufel kann dagegen aufkommen? Es gibt allerdings Väter, denen die Zufriedenheit ihrer Töchter lieber ist als das Gold, das sie ihnen mitzugeben hätten; die nicht daran denken, sie ihrem Interesse zu opfern, und die vor allen Dingen danach streben, eine Ehe auf die schöne Harmonie zu gründen, die allein imstande ist, ihr Ehre, Ruhe und Glück zu sichern ...

HARPAGON. Ohne Mitgift!

VALERE. Ja, da liegt's; da muß jeder verstummen. Ohne Mitgift! Wer kann solch einem Grunde widerstehn?

HARPAGON beiseite; sieht nach dem Garten. Still, was war das? Ich glaube, der Hund hat gebellt. Gewiß sind Diebe bei meinem Gelde. Zu Valere. Geh nicht fort, ich bin gleich wieder da.


Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 20-21.
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