Fünfter Auftritt.

[30] La Fleche. Frosine.


LA FLECHE ohne Frosine zu sehn. Das war ja ein lustiges Abenteuer! Er muß wohl irgendwo einen großen Trödelkram haben, denn auf unserer Liste kam nichts vor, das wir wieder erkannt hätten.

FROSINE. Ei, bist du's, mein kleiner La Fleche? – Wie kommst du hierher?

LA FLECHE. Ach, Frosinchen, du hier? Was hast du hier zu suchen?[30]

FROSINE. Was ich allenthalben suche und finde; Gelegenheit, den Leuten Dienst zu erweisen und, soviel ich kann, von meinen geringen Talenten Nutzen zu ziehn. Du weißt, unsereins muß in dieser Welt von seinem Verstande leben und hat keine andern Renten geerbt als ein wenig List und Anstelligkeit.

LA FLECHE. Hast du mit unserm Hausherrn etwas im Werk?

FROSINE. Ja. Ich besorge ein kleines Geschäft für ihn und spitze mich auf eine gute Belohnung.

LA FLECHE. Auf eine Belohnung? von ihm? – Nun, mein Seel, wenn du dem etwas ablockst, mußt du früh aufstehn, und ich kann dich versichern, das Geld ist hier im Hause sehr rar.

FROSINE. Es gibt gewisse Dienste, die den Leuten ganz besonders angenehm sind.

LA FLECHE. Dein gehorsamster Knecht! Du kennst unsern Herrn Harpagon noch nicht. Herr Harpagon ist unter allen Menschen der mindest menschliche Mensch, unter allen Sterblichen der härteste und zäheste. Es gibt gar keinen Dienst, der seine Dankbarkeit soweit brächte, die Hand dafür aufzutun. Lob, Anerkennung, Wohlwollen in Worten, Freundschaftsversicherungen soviel du willst – aber Geld? – keine Rede! – Ich wüßte nichts so Trocknes und Dürres als seine Liebkosungen und Gunstbezeigungen, und vor dem Wort Geben hat er solchen Abscheu, daß er nie sagt: ich gebe Euch mein Wort, sondern ich verpfände Euch mein Wort.

FROSINE. Laß das gut sein; ich verstehe mich auf die Kunst, die Leute zu rupfen; ich weiß, wie man's anfängt, sich ihre Zuneigung zu erwerben, ihr Herz zu kitzeln und ihre schwachen Seiten zu finden.

LA FLECHE. Ja, schön! Versuch's einmal, unsern Mann in Geldsachen gemütlich zu machen. Da ist er ein Türke; aber von solcher Türkenhaftigkeit, daß er die ganze Welt zur Verzweiflung bringen könnte; er sähe einen sterben, und es würde ihn nicht rühren. Mit einem Wort, er liebt das Geld mehr als guten Namen, Ehre und Tugend; wenn ihn jemand anspricht und ihn um etwas bittet, bekommt er Krämpfe; das ist der Punkt, wo er sterblich ist, das[31] durchbohrt ihm die Brust, das zerreißt ihm das Herz; und wenn ... aber da kommt er wieder; ich mache mich aus dem Staube.


Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 30-32.
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