Erster Auftritt.

[54] Cleanthe. Mariane. Elise. Frosine


CLEANTHE. Wir sind hier viel sicherer; kommt nur alle hier herein. Hier stört uns niemand, und wir können frei sprechen.

ELISE. Ja, liebes Fräulein, mein Bruder hat mir vertraut, daß er Euch liebt. Ich weiß, was es sagen will, seine liebsten Wünsche so gekreuzt zu sehn, und bitte Euch, überzeugt[54] zu sein, daß ich den lebhaftesten Anteil an Eurem Schicksal nehme.

MARIANE. Es ist mir ein süßer Trost zu wissen, daß ein Wesen wie Ihr sich meiner annimmt; und ich beschwöre Euch, mein Fräulein, mir stets Eure großmütige Freundschaft zu erhalten, die mein Mißgeschick so sehr zu lindern vermag.

FROSINE. Es war, meiner Treu, ein wahres Unglück für euch, daß ihr mich nicht schon früher in euer Geheimnis gezogen habt. Ich hätte alle die Widerwärtigkeiten abgewendet und die Sache nicht soweit kommen lassen.

CLEANTHE. Was hilft's! – Mein Unstern hat's so gewollt. Aber zu was entschließt Ihr Euch, meine teure Mariane?

MARIANE. Ach, steht es denn in meiner Macht, einen Entschluß zu fassen? – In meiner Abhängigkeit kann ich ja nichts anderes tun als wünschen!

CLEANTHE. Wie! Ich habe keinen andern Beistand in Eurem Herzen als bloße Wünsche? Kein tatkräftiges Mitleid? Keine hilfreiche Güte? Keine zum Handeln entschlossene Hingebung?

MARIANE. Was kann ich Euch erwidern? Setzt Euch nur in meine Lage und sagt mir, was ich tun kann. Ratet mir; bestimmt alles! ich will mich ganz auf Euch verlassen und halte Euch für zu verständig, um etwas anderes von mir zu verlangen, als was Ehre und Anstand mir erlauben.

CLEANTHE. Ach, was bleibt mir übrig, wenn Ihr mich nur auf das verweist, was die leidigen Vorurteile einer strengen Ehre und einer peinlichen Konvenienz mir gestatten?

MARIANE. Aber wie kann ich anders? Wenn ich auch die vielen Rücksichten beiseite setzen wollte, zu denen unser Geschlecht verpflichtet ist, so bindet mich doch die zärtliche Verehrung, welche ich für meine Mutter fühle. Sie hat mich seit meiner Kindheit mit der liebevollsten Sorgfalt erzogen, und ich kann mich nicht entschließen, ihr Kummer zu bereiten. Handelt selbst; gebt Euch alle Mühe, sie für Euch zu gewinnen. Tut und sagt, was Ihr wollt, ich gebe Euch die Vollmacht; und wenn es nur darauf ankommt, daß ich mich zu Euren Gunsten ausspreche, will[55] ich mich entschließen, ihr meine ganze Neigung für Euch zu gestehn.

CLEANTHE. Frosine, meine gute Frosine, willst du uns denn nicht helfen?

FROSINE. Ei, Kinder, was braucht ihr da noch erst zu fragen? Von Herzen gern – wenn ich nur könnte! Ihr alle wißt, ich bin von Natur eine mitleidige Seele. Der Himmel hat mir kein eisernes Herz geschaffen, und es ist mir ja immer ein Hauptvergnügen, den Leuten meine kleinen Dienste zu leisten, wenn ich sehe, daß sie sich einander in allen Ehren gut sind. Was wäre denn dabei zu tun?

CLEANTHE. Denk ein wenig nach, ich bitte dich.

MARIANE. Zeige uns eine Aussicht!

ELISE. Erfinde ein Mittel, um den Knoten wieder zu lösen, den du geschürzt hast.

FROSINE. Das ist nicht so leicht! Zu Mariane. Wenn es nur auf Eure Mutter ankäme – die ließe schon mit sich reden, und man könnte sie vielleicht dahin bringen, das Geschenk, das sie dem Vater zugedacht hat, auf den Sohn zu übertragen. Zu Cleanthe. Die Hauptschwierigkeit bleibt, daß Euer Vater Euer Vater ist.

CLEANTHE. Das ist klar!

FROSINE. Ich meine, er wird es nie verzeihen, wenn man ihm einen Korb gibt, und wird nachher wenig Lust haben, in Eure Heirat zu willigen. Man müßte es daher so abkarten, daß er selbst sein Wort zurücknähme, und ihm auf irgendeine Weise einen Widerwillen gegen das Fräulein beibringen.

CLEANTHE. Da hast du recht.

FROSINE. Freilich habe ich recht, das weiß ich wohl; so müßte man's angreifen; aber wie zum Henker soll man die Mittel finden? – Still! – Wenn wir eine nicht mehr ganz junge Frau auftreiben könnten, die ein Talent hätte wie ich und die gut genug Komödie spielte, um eine Dame von Stand vorzustellen? Wir könnten sie schon in aller Eile gehörig herausstaffieren und sie mit einem recht fremd klingenden Namen als eine Marquise oder Vikomtesse etwa aus der Bretagne auftreten lassen; ich würde[56] es dann schon klug einfädeln und Eurem Vater weismachen, es sei eine reiche Person, die außer ihren Häusern noch hunderttausend Taler bar hätte, sterblich in ihn verliebt wäre und keinen andern Wunsch hätte, als seine Frau zu werden und ihm ihr ganzes Vermögen im Ehekontrakt zu verschreiben; dann zweifle ich nicht, er würde auf einen solchen Vorschlag eingehn. Denn er liebt Euch zwar, das weiß ich; aber sein Geld liebt er doch noch mehr; und wenn er, durch solch einen Köder verblendet, nur erst auf Euch verzichtet hätte, so wäre nachher nichts daran gelegen, daß ihm die Augen aufgingen und er erführe, wie es mit dem Kapital unserer Marquise beschaffen wäre.

CLEANTHE. Das alles ist sehr gut ausgedacht.

FROSINE. Laßt mich nur machen. Mir fällt eben eine gute Freundin ein, die ganz für die Rolle paßt.

CLEANTHE. Wenn dir's gelingt, Frosine, so rechne auf meine Dankbarkeit. Aber vor allem, liebste Mariane, laßt uns versuchen, Eure Mutter zu gewinnen; es ist schon viel erreicht, wenn wir diese Heirat rückgängig machen. Tut dazu Eurerseits, ich beschwöre Euch, was Ihr irgend könnt; ihre mütterliche Zärtlichkeit wird Euch Gewalt über sie geben. Ruft ohne Bedenken alle beredsame Anmut, allen unwiderstehlichen Reiz zu Hilfe, die der Himmel Euren Augen und Euren Lippen verliehn hat, und vergeßt ja keins jener zärtlichen Worte, keine jener sanften Bitten und jener rührenden Liebkosungen, denen niemand etwas abschlagen kann.

MARIANE. Ich werde tun, was ich vermag, und nichts vergessen.


Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 54-57.
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