Vierter Auftritt.

[61] Harpagon. Cleanthe. Jacques.


JACQUES. Ei, ei, ei, mein gnädiger Herr, was soll das bedeuten? Wo denkt Ihr hin?

CLEANTHE. 's ist zum Lachen!

JACQUES zu Cleanthe. Ei, nicht so wild, Herr Cleanthe!

HARPAGON. So unverschämt mit mir zu reden!

JACQUES. Aber ums Himmels willen, gnädiger Herr!

CLEANTHE. Um kein Haar breit werde ich nachgeben!

JACQUES zu Cleanthe. Wie, Herr Cleanthe! gegen Euren Vater?

HARPAGON. Laß mich, sage ich.

JACQUES zu Harpagon. Wie, Herr Harpagon, gegen Euren Sohn? – Wenn's noch gegen mich wäre!

HARPAGON. Du sollst selbst über die Sache urteilen, Meister Jacques, und einsehn, wie sehr ich in meinem Recht bin.

JACQUES. Das will ich. Zu Cleanthe. Tretet ein wenig auf die Seite!

HARPAGON. Ich liebe das Mädchen, das ich heiraten will; und der Galgenstrick da hat die Frechheit, sie auch zu lieben, und will trotz meines Befehls nicht von ihr lassen.

JACQUES. Ei, da hat er unrecht.

HARPAGON. Ist denn das nicht unerhört? Ein Sohn, der gegen seinen Vater in die Schranken treten will? Und muß er mir nicht aus schuldigem Respekt freiwillig das Feld räumen?

JACQUES. Ihr habt recht. Laßt mich nur mit ihm reden und bleibt da.

CLEANTHE zu Jacques, der sich ihm genähert hat. Nun gut, weil er dich zum Schiedsrichter gewählt hat, so habe ich nichts dagegen; mir ist jeder recht, wer's auch sei, und du sollst entscheiden, Meister Jakob.[61]

JACQUES. Ihr erweist mir eine große Ehre, Herr Cleanthe.

CLEANTHE. Ich bin sterblich in ein junges Mädchen verliebt, das mir gleichfalls gewogen ist und meine Erklärung liebreich aufgenommen hat. Nun fällt es meinem Vater ein, unsre Liebe zu stören und selbst um sie anzuhalten.

JACQUES. Da hat er unrecht; das muß jeder einsehn.

CLEANTHE. Schämt er sich nicht, in seinem Alter noch an eine Heirat zu denken? Schickt sich's für ihn, noch verliebt sein zu wollen? Sollte er das nicht uns jungen Leuten überlassen?

JACQUES. Ihr habt recht; er ist wohl nicht gescheit. Laßt mich nur ein paar Worte mit ihm reden. Zu Harpagon. Seht, Euer Sohn ist doch nicht so wunderlich, als Ihr sagtet; er nimmt ja Vernunft an. Er sagt, er wisse recht gut, daß er Euch Respekt schuldig sei und wäre nur in der ersten Hitze so heftig geworden; er wolle sich Euch aber in allem unterwerfen, wenn Ihr ihn ein wenig besser behandeln und ihm irgendein Mädchen zur Frau geben wolltet, das ihm gefiele.

HARPAGON. Oh, dann sag ihm, Meister Jakob, in dem Fall habe er alles von mir zu hoffen, und Marianen ausgenommen, wolle ich ihm ganz freie Wahl lassen.

JACQUES. Das will ich schon machen. Zu Cleanthe. Seht, Euer Vater ist ja gar nicht so unverständig, wie Ihr sagt; er hat mir versichert, er sei nur über Euer Auffahren so in Zorn geraten und nur deshalb so unzufrieden, weil Ihr's nicht auf die rechte Manier mit ihm anfingt. Er ist ganz geneigt, Euch alles zuzugestehn, was Ihr wünscht, wenn Ihr's nur mit Sanftmut vortragt und ihm die Achtung und den Respekt und Gehorsam erweist, die ein Sohn seinem Vater schuldig ist.

CLEANTHE. Ach, Meister Jacques, du kannst ihm beteuern, daß, wenn er mir Marianen läßt, er den gehorsamsten aller Menschen in mir finden soll, und daß ich nie das geringste gegen seinen Willen beginnen werde.

JACQUES zu Harpagon. Damit wären wir in Ordnung! Er wird alles tun, was Ihr verlangt.

HARPAGON. Das geht ja sehr gut.[62]

JACQUES zu Cleanthe. Alles ist abgemacht; er ist mit Euren Versprechungen zufrieden.

CLEANTHE. Gott sei gelobt!

JACQUES. Meine Herren, jetzt dürft ihr nur weiter miteinander sprechen; ihr seid beide schon einig. Ihr zanktet vorhin bloß, weil ihr euch nicht recht verstanden hattet.

CLEANTHE. Mein guter Meister Jakob, ich werde dir zeit meines Lebens dafür dankbar sein.

JACQUES. Keine Ursache, Herr Cleanthe.

HARPAGON. Du hast mir wirklich einen Gefallen getan, mein ehrlicher Meister Jacques, und das verdient eine Belohnung. Harpagon greift in die Tasche, Jacques hält ihm die Hand hin, Harpagon aber zieht sein Schnupftuch heraus und sagt: Geh nur, ich werde dir's nicht vergessen, das versichre ich dir.

JACQUES. Ich küsse Euch die Hand, gnädiger Herr.


Quelle:
Molière: Der Geizige. Leipzig [o. J.], S. 61-63.
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