Zweiundzwanzigster Auftritt.

[73] Argan. Beralde. Angelique. Cleanthe. Toinette.


ANGELIQUE. Ach, welche angenehme Überraschung! Mein teurer Vater, weil Ihr mir denn durch das größte Glück vom Himmel wiedergeschenkt seid, erlaubt mir, daß ich Euch fußfällig um etwas bitte. Wenn Ihr der Neigung meines Herzens nicht günstig seid – wenn Ihr mir Cleanthen als Gatte weigert, so beschwöre ich Euch, daß Ihr mich wenigstens nicht zwingt, einen andern zu heiraten. Das ist die einzige Gnade, um die ich Euch anflehe.

CLEANTHE wirft sich Argan zu Füßen. Ach, mein Herr, laßt Euch von unsern Bitten rühren und widersetzt Euch nicht einer so schönen gegenseitigen Liebe.

BERALDE. Bruder, kannst du da noch widerstehen?

TOINETTE. Herr Argan, könnt Ihr bei so viel Liebe unempfindlich bleiben?

ARGAN. Nun, so mag er Arzt werden, dann will ich die Heirat zugeben. Zu Cleanthe. Ja; werdet Arzt, und Ihr sollt meine Tochter haben.

CLEANTHE. Von Herzen gern, Herr Argan! Wenn es nur daran liegt, so will ich, um Euer Eidam zu sein, Doktor, ja wenn Ihr wollt, selbst Apotheker werden. Das ist nicht der Rede wert, und ich täte noch ganz andre Dinge, um die schöne Angelique zu erhalten.

BERALDE. Aber Bruder, da fällt mir etwas ein. Werde doch selbst Arzt! das ist ja noch bequemer, und du findest dann alles, was du brauchst, in dir selbst.

TOINETTE. Das ist auch wahr. Das wäre das rechte Mittel,[73] Euch bald zu kurieren: es ist ja keine Krankheit so frech, daß sie sich an einem Arzt vergreifen sollte.

ARGAN. Ich glaube, Bruder, du willst mich zum besten haben. Bin ich denn nicht zu alt, um zu studieren?

BERALDE. Ei was, studieren! Du bist gelehrt genug, und es gibt viele unter ihnen, die nicht so viel wissen als du.

ARGAN. Man muß aber doch fließend Lateinisch sprechen können, die Krankheit kennen und die Mittel dagegen wissen?

BERALDE. Das lernt sich alles mit dem Mantel und dem Doktorbarett; du wirst nachher mehr wissen, als dir lieb sein wird.

ARGAN. Wie? – Man kann gleich über die Krankheiten mitsprechen, wenn man den Doktormantel angezogen hat?

BERALDE. Freilich. Sowie man im Mantel und Barett spricht, wird jeder Galimathias gelehrt und jeder Unsinn Vernunft.

TOINETTE. Wahrhaftig, Herr Argan, und wenn Ihr nichts hättet als Euern Bart, so wäre das schon viel; der Bart macht den halben Arzt.

CLEANTHE. Ich bin jedenfalls zu allem bereit.

BERALDE zu Argan. Wenn dir's recht wäre, könnten wir die Sache gleich in Ordnung bringen.

ARGAN. Wie denn? Gleich?

BERALDE. Ja, und hier in deinem Hause.

ARGAN. In meinem Hause?

BERALDE. Ja. Ich kenne eine mir befreundete Fakultät; sie wird sich gleich hier einstellen, und dann kann die Zeremonie in deinem Saal stattfinden. Kosten soll dir's nichts.

ARGAN. Aber ich? Was soll ich denn sagen? Was werde ich antworten?

BERALDE. Das werden sie dir in zwei Worten beibringen und dir schriftlich geben, was du zu sprechen hast. Geh nur und zieh dir einen schicklichen Rock an: ich will sie gleich holen lassen.

ARGAN. Das muß man sich doch mit ansehn.


Quelle:
Molière: Der eingebildete Kranke. Leipzig 1945, S. 73-74.
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