Der Umweg.

[70] Er fühlte sich angezogen und zurückgestoßen, als er den Thurm von Ribbeckenäuchen wieder vor sich sah. –

Die Straße gieng durch das Dorf, ein Fußweg gieng vorbei – sollte er die gerade Straße oder den krummen Fußweg gehen?

Er gieng die gerade Straße nicht; denn sein Innerstes war mit sich selbst im Streit. –

Hier war es, wo seine Lebensbahn aus dem Gleise wich – auf diesem Fußwege um das Dorf bildete sich im Kleinen ab, was Jahre hindurch ihn quälen würde. –

Für ihn war die breite Heerstraße, welche vom Aufgange bis zum Niedergange die Länder durchschneidet, die von den Menschen nach ihren Zungen und Sprachen benannt sind. –[71]

Der Fußweg um das Dorf aber vollendete und verlohr sich in sich selber – und Hartknopf fühlte durch diese sanfte Krümmung sich unwillkührlich angezogen, von der andern Seite in das Dorf wieder zurückzukehren.

Die süße Täuschung erhielt in seiner Seele die Oberhand – das häusliche stille Leben stellte sich ihm mit seinen reizendsten Farben dar – das wirthbare Stübchen mit dem runden Tischgen – der grüne Kirchplatz, dem Fenster gegenüber, und die spielenden Knaben des Dorfs. –

Auf dem krummen Fußwege, der sich durch die grünen Saaten schlängelte, mahlte seine Phantasie, das in sich selbst vollendete ruhige Leben aus, das kein höher Ziel als sich selber kennt, und seinen schönen Kreislauf mit jedem kommenden Tage wiederholt.

So wie hier der Weg in die Krümmung sich verlohr – verlohr sich seine Aussicht in das Leben im süßen Traum vom Erwachen zu frohen Tagen, vom Genuß des Lebens und der Gesundheit bei dem harmonischen Wechsel der Jahreszeiten.[72]

Das Vermiedene stellte sich ihm nun so reihend dar, eben weil er es geflissentlich vermeiden wollte – da rächte es sich an seiner Phantasie mit den Farben des Morgenroths, worin alle seine Gedanken und Bilder sich kleideten. –

Ob es gleich die schwüle Zukunftschwangere Mittagsstunde war, in welcher er gut dem einsamen Pfade um das Dorf gieng. –

Dieser hohe Mittag lud ihn in den wirthbaren Schatten ein, wo sanfte Kühlung herrschte, wo schon die Blicke ihn willkommen hiessen, die ihn gestern so freundlich wiederzukommen baten.

Alles war so stille auf dem Felde und im Dorfe – nur die summende Fliege weckte das Ohr zu horchen, und leise Wünsche stahlen sich in die Seele des Einsamen, der mit schnellern Schritten vorwärts gieng, je näher er sich am Ziele sah. –

Am Ziele, das im Widerschein der Phantasie sich dicht vor seine Augen hingezaubert hatte, und bald, da er es fest zu umfassen glaubte, in die ungemessene Ferne plötzlich wieder zurückwich. –[73]

Aber auch dieser Wirbel vermochte den Strom nicht in seinem Laufe zu hemmen, welcher Dämme durchbrach, und sich sein Bett durch Felsen wühlte. –

Die willkommene Thür des Pächter Heil eröfnete sich, und nahm den Wanderer ein. –

Sophie Erdmuth saß in einer Ecke, und nähte, als Hartknopf in die Stube trat – sein erster Blick fiel auf sie – ihn bewillkommend stand sie auf, und erwiederte durch einen sanften Händedruck seinen Blick voll ernster Liebe.

Er aß bei dem Pächter Heil das Mittagsmahl, und als er über das Torfmoor nach Ribbeckenau wieder zu Hause kehrte, ertönte ihm unterwegens folgende Sinfonie.

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 70-74.
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