Zweiter Teil

Vorrede

(1786)


Um fernern schiefen Urteilen, wie schon einige über dies Buch gefällt sind, vorzubeugen, sehe ich mich genötigt, zu erklären, daß dasjenige, was ich aus Ursachen, die ich für leicht zu erraten hielt, einen psychologischen Roman genannt habe, im eigentlichsten Verstande Biographie und zwar eine so wahre und getreue Darstellung eines Menschenlebens bis auf seine kleinste Nüancen ist, als es vielleicht nur irgendeine geben kann. –

Wem nun an einer solchen getreuen Darstellung etwas gelegen ist, der wird sich an das anfänglich Unbedeutende und unwichtig Scheinende nicht stoßen, sondern in Erwägung ziehen, daß dies künstlich verflochtne Gewebe eines Menschenlebens aus einer unendlichen Menge von Kleinigkeiten besteht, die alle in dieser Verflechtung äußerst wichtig werden, so unbedeutend sie an sich scheinen. –

Wer auf sein vergangnes Leben aufmerksam wird, der glaubt zuerst oft nichts als Zwecklosigkeit, abgerißne Fäden, Verwirrung, Nacht und Dunkelheit zu sehen; je mehr sich aber sein Blick darauf heftet, desto mehr verschwindet die Dunkelheit, die Zwecklosigkeit verliert sich allmählich, die abgerißnen Fäden knüpfen sich wieder an, das Untereinandergeworfene und Verwirrte ordnet sich – und das Mißtönende löset sich unvermerkt in Harmonie und Wohlklang auf. –[107]


Der Umstand, wodurch Anton Reisers Schicksal unvermutet eine glücklichere Wendung nahm, war: daß er sich auf der Straße mit ein Paar Jungen balgte, die mit ihm aus der Schule kamen und ihn unterwegs geneckt hatten, welches er nicht länger leiden wollte; indem er sich nun mit ihnen bei den Haaren herumzauste, kam auf einmal der Pastor Marquard dahergegangen – und wie groß war nun Reisers Beschämung und Verwirrung, da ihn die beiden Jungen selbst zuerst aufmerksam darauf machten und ihm mit einer Art von Schadenfreude den Zorn vorstellten, den nun der Pastor Marquard auf ihn werfen würde.

Was? – ich will einst selbst solch ein ehrwürdiger Mann werden, wie daherkömmt – wünsche, daß mir das itzt schon ein jeder ansehen soll, damit sich irgendeiner findet, der sich meiner annimmt und mich aus dem Staube hervorzieht, und muß nun in der Stellung von diesem Manne überrascht werden, bei dem ich konfirmiert werden soll, wo ich Gelegenheit hätte, mich in meinem besten Lichte zu zeigen? – Dieser Mann, was wird er nun von mir denken, wofür wird er mich halten?

Diese Gedanken gingen Reisern durch den Kopf und bestürmten ihn auf einmal so sehr mit Scham, Verwirrung und Verachtung seiner selbst, daß er glaubte in die Erde sinken zu müssen. – Aber er ermannte sich, das Selbstzutrauen arbeitete sich unter der erstickenden Scham wieder hervor und flößte ihm zugleich Mut und Zutrauen gegen den Pastor Marquard ein – er faßte schnell ein Herz, ging geradesweges auf den Pastor Marquard zu und redete ihn auf öffentlicher Straße an, indem er zu ihm sagte, er sei einer von den Knaben, die bei ihm zur Kinderlehre gingen, und der Pastor Marquard möchte doch deswegen keinen Zorn auf ihn werfen, daß er sich eben itzt mit den beiden Jungen dort geschlagen hätte, dies wäre sonst gar seine Art nicht; die Jungen hätten ihn nicht zufrieden gelassen: und es sollte nie wieder geschehen. –

Dem Pastor Marquard war es sehr auffallend, sich auf der Straße von einem Knaben auf die Weise angeredet zu sehen, der sich eben mit ein paar andern Buben herumgebalgt hatte. – Nach einer kleinen Pause antwortete er: es sei freilich sehr unrecht und[109] unschicklich, sich zu balgen, indes hätte das weiter nichts zu sagen, wenn er es künftig unterließe; darauf erkundigte er sich auch nach seinem Namen und Eltern, fragte ihn, wo er bis jetzt in die Schule gegangen wäre usw., und entließ ihn sehr gütig. – Wer war aber froher als Reiser, und wie leicht war ihm ums Herz, da er sich nun wieder aus dieser gefährlichen Situation herausgewickelt glaubte!

Und wie viel froher würde er noch gewesen sein, hätte er gewußt, daß dieser ohngefähre Zufall allen seinen ängstlichen Besorgnissen ein Ende machen und die erste Grundlage seines künftigen Glücks sein würde. – Denn von dem Augenblick an hatte der Pastor Marquard den Gedanken gefaßt, sich näher nach diesem jungen Menschen zu erkundigen und sich seiner tätig anzunehmen, weil er nicht ohne Grund vermutete, daß, sobald des jungen Reisers Betragen gegen ihn nicht Verstellung war, es keine gemeine Denkungsart bei einem Knaben von dem Alter voraussetzte – und daß es nicht Verstellung war, dafür schien ihm seine Miene zu bürgen.

Den Sonntag darauf fragte ihn der Pastor Marquard des Nachmittags in der Kinderlehre öfter wie sonst; und Reiser hatte nun schon gewissermaßen einen seiner Wünsche erreicht, in der Kirche vor dem versammelten Volke wenigstens auf irgendeine Art öffentlich reden zu können, indem er die Katechismusfragen des Pastors mit lauter und vernehmlicher Stimme beantwortete, wobei er sich denn sehr von den übrigen unterschied, indem er richtig akzentuierte, da jene ihre Antworten in dem gewöhnlichen singenden Ton der Schulknaben herbeteten.

Nach geendigter Kinderlehre winkte ihn der Pastor Marquard beiseite und entbot ihn auf den andern Morgen zu sich – welch eine freudige Unruhe bemächtigte sich nun auf einmal seiner Gedanken, da es schien, als ob sich irgendein Mensch einmal näher um ihn bekümmern wollte – denn damit schmeichelte er sich nun freilich, daß der Pastor Marquard durch seine Antworten aufmerksam auf ihn geworden sei; und er nahm sich nun auch vor, Zutrauen zu diesem Manne zu fassen und ihm alle seine Wünsche zu entdecken.[110]

Als er nach einer fast schlaflosen Nacht den andern Morgen zu dem Pastor Marquard kam, fragte ihn dieser zuerst, was für einer Lebensart er sich zu widmen dächte, und bahnte ihm also den Weg zu dem, was er schon selbst vorzubringen im Sinn hatte. Reiser entdeckte ihm sein Vorhaben. – Der Pastor Marquard stellte ihm die Schwierigkeiten vor, sprach ihm aber doch auch zugleich wieder Mut ein und machte den Anfang zur tätigen Ermunterung damit, daß er versprach, ihn durch seinen einzigen Sohn, der die erste Klasse des Lyzeums in Hannover besuchte, in der lateinischen Sprache unterrichten zu lassen, womit auch noch in derselben Woche der Anfang gemacht wurde.

Bei dem allen glaubte Reiser in den Mienen und dem Betragen des Pastor Marquard zu lesen, daß er noch irgend etwas Wichtiges zurückbehielte, welches er ihm zu seiner Zeit sagen würde; in dieser Vermutung wurde er noch mehr durch die geheimnisvollen Ausdrücke des Garnisonküsters bestärkt, dessen Lehrstunden er noch besuchte, und der ihm immer einen Stuhl setzte, wenn er kam, indes die andern auf Bänken saßen. – Dieser pflegte denn wohl, wenn die Stunde aus war, zu ihm zu sagen: Sein Sie ja recht auf Ihrer Hut und denken Sie, daß man genau auf Sie achtgibt. – Es sind große Dinge mit Ihnen im Werke! und dergleichen mehr, wodurch nun Reiser freilich anfing, sich eine wichtigere Person als bisher zu glauben, und seine kleine Eitelkeit mehr wie zu viel Nahrung erhielt, die sich denn oft töricht genug in seinem Gange und in seinen Mienen äußerte, indem er manchmal in seinen Gedanken mit allem Ernst und der Würde eines Lehrers des Volks auf der Straße einhertrat, wie er dies schon in Braunschweig getan hatte, besonders wenn er schwarze Weste und Beinkleider trug. Bei seinem Gange hatte er sich den Gang eines jungen Geistlichen, der damals Lazarettprediger in Hannover und zugleich Konrektor am Lyzeum war, zum Muster genommen, weil dieser in der Art sein Kinn zu tragen etwas hatte, das Reisern ganz besonders gefiel.

Nie kann wohl jemand in irgendeinem Genuß glücklicher gewesen sein, als es Reiser damals in der Erwartung der großen Dinge war, die mit ihm vorgehen sollten. – Dies erhitzte seine Einbildungskraft[111] bis auf einen hohen Grad. Und da nun der Zeitpunkt immer näher heranrückte, wo er zum Abendmahl sollte gelassen werden, so erwachten auch alle die schwärmerischen Ideen wieder, die er sich schon in Braunschweig von dieser Sache in den Kopf gesetzt hatte, wozu noch die Lehrstunden des Garnisonküsters kamen, der denjenigen, die er zum Abendmahl vorbereiten half, dabei Himmel und Hölle auf eine so fürchterliche Art vorstellte, daß seinen Zuhörern oft Schrecken und Entsetzen ankam, welches aber doch mit einer angenehmen Empfindung verknüpft war, womit man das Schreckliche und Fürchterliche gemeiniglich anzuhören pflegt, und er empfand dann wieder das Vergnügen, seine Zuhörer so erschüttert zu haben, welches ihm wonnevolle Tränen auspreßte, die den ganzen Auftritt, wenn er so des Abends in der erleuchteten Schulstube zwischen ihnen stand, noch feierlicher machten.

Auch der Pastor Marquard hielt wöchentlich einige Stunden, worin er diejenigen, die zum Abendmahl gehen sollten, vorbereitete; aber das, was er sagte, kam lange nicht gegen die herzerschütternden Anreden seines Küsters, ob es Reisern gleich zusammenhängender und besser gesagt zu sein schien. – Nichts war für Anton schmeichelhafter, als da der Pastor Marquard einmal den Begriff, daß die Gläubigen Kinder Gottes sind, durch das Beispiel erklärte, wenn er mit irgendeinem aus der Zahl seiner jungen Zuhörer genauer umginge, ihn besonders zu sich kommen ließe und sich mit ihm unterredete, dieser ihm denn auch näher als die übrigen wäre, und so wären die Kinder Gottes ihm auch näher als die übrigen Menschen. Nun glaubte Reiser unter der Zahl seiner Mitschüler der einzige gewesen zu sein, auf den der Pastor Marquard aufmerksamer als auf alle übrigen wäre, – allein so schmeichelhaft auch dies für seine Eitelkeit war, so erfüllte es ihn doch bald nachher wieder mit einer unbeschreiblichen Wehmut, daß nun alle die übrigen an diesem Glück, was ihm allein geworden war, nicht teilnehmen sollten und von dem nähern Umgange mit dem Pastor Marquard gleichsam auf immer ausgeschlossen sein sollten. – Eine Wehmut, die er sich schon in seinen frühesten Kinderjahren einmal empfunden zu haben erinnert, da[112] ihm seine Base in einem Laden ein Spielzeug gekauft hatte, das er in Händen trug, als er aus dem Hause ging; und vor der Haustüre saß ein Mädchen in zerlumpten Kleidern ohngefähr in seinem Alter, das voll Verwunderung über das schöne Stück Spielzeug ausrief: Ach, Herr Gott, wie schön! – Reiser mochte etwa damals sechs bis sieben Jahre alt sein – der Ton des geduldigen Entbehrens, ohngeachtet der höchsten Bewunderung, womit das zerlumpte Mädchen die Worte sagte: Ach, Herr Gott, wie schön! drang ihm durch die Seele. – Das arme Mädchen mußte alle diese Schönheiten so vor sich vorbeitragen sehen und durfte nicht einmal einen Gedanken daran haben, irgendein Stück davon zu besitzen. Es war von dem Genuß dieser köstlichen Dinge gleichsam auf immer ausgeschlossen und doch so nahe dabei – wie gern wäre er zurückgegangen und hätte dem zerlumpten Mädchen das kostbare Spielzeug geschenkt, wenn es seine Base gelitten hätte! – So oft er nachher daran dachte, empfand er eine bittere Reue, daß er es dem Mädchen nicht gleich auf der Stelle gegeben hatte. Eine solche Art von mitleidsvoller Wehmut war es auch, die Reiser empfand, da er sich ausschließungsweise mit den Vorzügen in der Gunst des Pastor Marquard beehrt glaubte, wodurch seine Mitschüler, ohne daß sie es verdient hatten, so weit unter ihn herabgesetzt wurden.

Grade diese Empfindung ist nachher wieder in seiner Seele erwacht, so oft er in der ersten von Virgils Eklogen an die Worte kam: nec invideo usw. Indem er sich in die Stelle des glücklichen Hirten versetzte, der ruhig im Schatten seines Baums sitzen kann, indes der andere sein Haus und Feld mit dem Rücken ansehen muß, war ihm bei dem nec invideo des letzern immer gerade so zumute, als da das zerlumpte Mädchen sagte: »Ach, Herr Gott, wie schön ist das!«

Ich habe hier notwendig in Reisers Leben etwas nahholen und etwas vorweggreifen müssen, wenn ich zusammenstellen wollte, was nach meiner Absicht zusammengehört. Ich werde dies noch öfter tun; und wer meine Absicht eingesehen hat, bei dem darf ich wohl nicht erst dieser anscheinenden Absprünge wegen um Entschuldigung bitten.[113]

Man sieht leicht, daß Anton Reisers Eitelkeit durch die Umstände, welche sich jetzt vereinigten, um ihm seine eigne Person wichtig zu machen, mehr als zu viel Nahrung erhielt. Es bedurfte wieder einer kleinen Demütigung für ihn, und die blieb nicht aus. Er schmeichelte sich nicht ohne Grund, unter allen, die bei dem Pastor Marquard konfirmiert wurden, der erste zu sein. Er saß auch oben an und war gewiß, daß ihm keiner diesen Platz streitig machen würde. Als auf einmal ein junger wohlgekleideter Mensch in seinem Alter und von feiner Erziehung die Lehrstunden des Pastor Marquard mit besuchte, der ihn durch sein feines äußeres Betragen sowohl als durch die vorzügliche Achtung, womit ihm der Pastor Marquard begegnete, ganz in Dunkel setzte, und dem auch sogleich über ihm der erste Platz angewiesen ward.

Reisers süßer Traum, der erste unter seinen Mitschülern zu sein, war nun plötzlich verschwunden. Er fühlte sich erniedrigt, herabgesetzt, mit den übrigen allen in eine Klasse geworfen. – Er erkundigte sich bei dem Bedienten des Pastor Marquard nach seinem fürchterlichen Nebenbuhler und erfuhr, daß er eines Amtmanns Sohn und bei dem Pastor Marquard in Pension sei, auch mit den übrigen zugleich konfirmiert werden würde. Der schwärzeste Neid nahm auf eine Zeitlang in Antons Seele Platz; der blaue Rock mit dem samtnen Kragen, den der Amtmannssohn trug, sein feines Betragen, seine hübsche Frisur schlug ihn nieder und machte ihn mißvergnügt mit sich selbst; aber doch schärfte sich bald wieder das Gefühl bei ihm, daß dies unrecht sei, und er wurde nun noch mißvergnügter über sein Mißvergnügen. Ach, er hätte nicht nötig gehabt, den armen Knaben zu beneiden, dessen Glückssonne bald ausgeschienen hatte. Binnen vierzehn Tagen kam die Nachricht, daß sein Vater wegen Untreue seines Dienstes entsetzt sei. Für den jungen Menschen konnte also auch die Pension nicht länger bezahlt werden, der Pastor Marquard schickte ihn seinen Anverwandten wieder, und Reiser behielt seinen ersten Platz. Er konnte seine Freude wegen der Folgen, die dieser Vorfall für ihn hatte, nicht unterdrücken, und doch machte er sich selber Vorwürfe wegen seiner Freude – er suchte[114] sich zum Mitleid zu zwingen, weil er es für recht hielt – und die Freude zu unterdrücken, weil er sie für unrecht hielt; sie hatte aber demohngeachtet die Oberhand, und er half sich denn am Ende damit, daß er doch nicht wider das Schicksal könne, welches nun den jungen Menschen einmal habe unglücklich machen wollen. Hier ist die Frage: wenn das Schicksal des jungen Menschen sich plötzlich wieder geändert hätte, würde ihn Reiser aus erster Bewegung freiwillig mit lächelnder teilnehmender Miene wieder haben über sich stehen lassen, oder hätte er sich erst mit einer Art von Anstrengung in diese Empfindung versetzen müssen, weil er sie für recht und edel gehalten hätte? – Der Zusammenhang seiner Geschichte mag in der Folge diese Frage entscheiden!

Alle Abend hatte nun Reiser eine lateinische Stunde bei dem Sohn des Pastor Marquard und kam wirklich so weit, daß er binnen vier Wochen ziemlich den Kornelius Nepos exponieren lernte. Welche Wonne war ihm das, wenn denn etwa der Garnisonküster dazu kam und fragte, was die beiden Herren Studenten machten – und als der Pastor Marquard damals gerade seine älteste Tochter an einen jungen Prediger verheiratete, der eines Sonntags nachmittags für ihn die Kinderlehre hielt und dieser auf Reisern immer aufmerksamer zu werden schien, je öfter er ihn antworten hörte: welch ein entzückender Augenblick für Reisern, da derselbe nun nach geendigtem Gottesdienst zum Pastor Marquard kam und der Schwiegersohn des Pastors ihn nun mit der größten Achtung anredete und sagte, es sei ihm gleich in der Kirche, da Reiser ihm zuerst geantwortet, aufgefallen, ob das wohl der junge Mensch sein möchte, von dem ihm sein Schwiegervater so viel Gutes gesagt, und es freue ihn, daß er sich nicht geirrt habe.

In seinem Leben hatte Anton keine solche Empfindung gehabt, als ihm diese achtungsvolle Begegnung verursachte. – Da er nun die Sprache der feinen Lebensart nicht gelernt hatte und sich doch auch nicht gemein ausdrücken wollte, so bediente er sich bei solchen Gelegenheiten der Büchersprache, die bei ihm aus dem Telemach, der Bibel und dem Katechismus zusammengesetzt[115] war, welches seinen Antworten oft einen sonderbaren Anstrich von Originalität gab, indem er z.B. bei solchen Gelegenheiten zu sagen pflegte, er habe den Trieb zum Studieren, der ihn unaufhaltsam mit sich fortgerissen, nicht überwältigen können und wolle sich nun der Wohltaten, die man ihm erzeige, auf alle Weise würdig zu machen und in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit sein Leben bis an sein Ende zu führen suchen.

Indes hatte der Konsistorialrat Götten, an den sich Reiser schon vorher gewandt hatte, für ihn ausgemacht, daß er die sogenannte Neustädter Schule unentgeltlich besuchen könnte. – Allein der Pastor Marquard sagte, das dürfe nun nicht geschehen; er solle, bis er konfirmiert würde, noch von seinem Sohne unterrichtet werden, damit er alsdann sogleich die höhere Schule auf der Altstadt besuchen könne, wo der Direktor sich seiner annehmen wolle; und wegen der Eifersucht, die zwischen den beiden Schulen zu herrschen pflegte, würde er besser tun, wenn er jene nicht zuerst besuchte. – Dies mußte Reiser dem Konsistorialrat Götten selber sagen, um den freien Unterricht, welchen er ihm verschafft hatte, abzulehnen, worüber denn derselbe sehr empfindlich wurde und Reisern sehr hart anredete, ihn aber doch zuletzt wieder mit der Aufmunterung entließ, daß er sich auf andre Weise dennoch seiner annehmen wolle.

So schien nun an Reisers Schicksale, um den sich vorher niemand bekümmert hatte, auf einmal alles teilzunehmen. – Er hörte von Eifersucht der Schulen seinetwegen sprechen. – Der Konsistorialrat Götten und der Pastor Marquard schienen sich gleichsam um ihn zu streiten, wer sich am meisten seiner annehmen wollte. Der Pastor Marquard bediente sich des Ausdrucks, er solle nur dem Konsistorialrat Götten sagen, es wären seinetwegen schon Anstalten getroffen worden und würden noch Anstalten getroffen werden, daß er zu der höhern Schule auf der Altstadt hinlänglich vorbereitet würde, ohne vorher die niedere Schule auf der Neustadt zu besuchen. – Also Anstalten sollten nun seinetwegen getroffen werden, wegen eines Knaben, den seine eigenen Eltern nicht einmal ihrer Aufmerksamkeit wert gehalten hatten.[116]

Mit welchen glänzenden Träumen und Aussichten in die Zukunft dies Reisers Phantasie erfüllt habe, darf ich wohl nicht erst sagen. Insbesondre, da nun noch immer die geheimnisvollen Winke bei dem Garnisonküster und die Zurückhaltung des Pastor Marquard fortdauerte, womit er Reisern etwas Wichtiges zu verschweigen schien. –

Endlich kam es denn heraus, daß der Prinz Carl auf Empfehlung des Pastor Marquard sich des jungen Reisers annehmen und ihm monatlich ... Rtlr. zu seinem Unterhalt aussetzen wolle. – Also war nun Reiser auf einmal allen seinen Besorgnissen wegen der Zukunft entrissen, das süße Traumbild eines sehnlich gewünschten, aber nie gehofften Glückes war, ehe er es sich versehn, wirklich geworden, und er konnte nun seinen angenehmsten Phantasien nachhängen, ohne zu fürchten, daß er durch Mangel und Armut darin gestört werden würde. –

Sein Herz ergoß sich wirklich in Dank gegen die Vorsehung. – Kein Abend ging hin, wo er nicht den Prinzen und den Pastor Marquard in sein Abendgebet mit eingeschlossen hätte – und oft vergoß er im stillen Tränen der Freude und des Danks, wenn er diese glückliche Wendung seines Schicksals überdachte.

Reisers Vater hatte nun auch nichts weiter gegen sein Studieren einzuwenden, sobald er hörte, daß es ihm nichts kosten sollte. Überdem kam die Zeit nun heran, wo er seine kleine Bedienung an einem Ort sechs Meilen von Hannover antreten mußte, und sein Sohn konnte ihm also auf keine Weise mehr zur Last fallen. – Allein nun war die Frage, bei wem Reiser nach der Abreise seiner Eltern wohnen und essen sollte. Der Pastor Marquard schien nicht geneigt zu sein, ihn ganz zu sich ins Haus zu nehmen. Es mußte also drauf gedacht werden, ihn irgendwo bei ordentlichen Leuten unterzubringen. Und ein Hoboist, namens Filter, vom Regiment des Prinzen Carl erbot sich von freien Stücken dazu, Reisern unentgeltlich bei sich wohnen zu lassen. Ein Schuster, bei dem seine Eltern einmal im Hause gewohnt hatten, noch ein Hoboist, ein Hofmusikus, ein Garkoch und ein Seidensticker erboten sich jeder, ihm wöchentlich einen Freitisch zu geben.[117]

Dies verringerte Reisers Freude in etwas wieder, welcher glaubte, daß das, was der Prinz für ihn hergab, zu seinem Unterhalt zureichen würde, ohne daß er an fremden Tischen sein Brot essen dürfte. Auch verringerte dies seine Freude nicht ohne Ursach, denn es setzte ihn in der Folge oft in eine höchst peinliche und ängstliche Lage, so daß er oft im eigentlichen Verstande sein Brot mit Tränen essen mußte. – Denn alles beeiferte sich zwar, auf die Weise ihm Wohltaten zu erzeigen, aber jeder glaubte auch dadurch ein Recht erworben zu haben, über seine Aufführung zu wachen und ihm in Ansehung seines Betragens Rat zu erteilen, der dann immer ganz blindlings sollte angenommen werden, wenn er seine Wohltäter nicht erzürnen wollte. Nun war Reiser gerade von so viel Leuten von ganz verschiedener Denkungsart abhängig, als ihm Freitische gaben, wo jeder drohte, seine Hand von ihm abzuziehen, sobald er seinem Rat nicht folgte, der oft dem Rat eines andern Wohltäters geradezu widersprach. Dem einen trug er sein Haar zu gut, dem andern zu schlecht frisiert, dem einen ging er zu schlecht, dem andern, für einen Knaben, der von Wohltaten leben müsse, noch zu geputzt einher, – und dergleichen unzählige Demütigungen und Herabwürdigungen gab es mehr, denen Reiser durch den Genuß der Freitische ausgesetzt war, und denen gewiß ein jeder junger Mensch mehr oder weniger ausgesetzt ist, der das Unglück hat, auf Schulen durch Freitische seinen Unterhalt zu suchen und die Woche hindurch von einem zum andern herumessen zu müssen.

Dies alles ahndete Reisern dunkel, als die Freitische insgesamt für ihn angenommen und keine Wohltat verschmäht wurde, die ihm nur irgend jemand erweisen wollte. – An dem guten Willen aber pflegt es nie zu fehlen, wenn Leute einem jungen Menschen zum Studieren beförderlich sein zu können glauben – dies erweckt einen ganz besondern Eifer – jeder denkt sich dunkel, wenn dieser Mann einmal auf der Kanzel steht, dann wird das auch mein Werk mit sein. – Es entstand ein ordentlicher Wetteifer um Reisern, und jeder, auch der Ärmste, wollte nun auf einmal zum Wohltäter an ihm werden, wie denn ein armer Schuster sich erbot, ihm alle Sonntagabend einmal zu essen zu geben – dies alles[118] wurde mit Freuden für ihn angenommen und von seinen Eltern mit dem Hoboisten und dessen Frau überrechnet, wie glücklich er nun sei, daß er alle Tage in der Woche zu essen habe, und wie man nun von dem Gelde, das der Prinz hergebe, für ihn sparen könne.

Ach, die glänzenden Aussichten, die sich Reiser von dem Glück, das auf ihn wartete, gemacht hatte, verdunkelten sich nachher sehr wieder. Indes dauerte doch der erste angenehme Taumel, in welchen ihn die tätige Vorsorge und die Teilnehmung so vieler Menschen an seinem Schicksale versetzt hatte, noch eine Weile fort. –

Das große Feld der Wissenschaften lag vor ihm – sein künftiger Fleiß, die nützlichste Anwendung jeder Stunde bei seinem künftigen Studieren war den ganzen Tag über sein einziger Gedanke, und die Wonne, die er darin finden, und die erstaunlichen Fortschritte, die er nun tun und sich Ruhm und Beifall dadurch erwerben würde: mit diesen süßen Vorstellungen stand er auf und ging damit zu Bette – aber er wußte nicht, daß ihm das Drückende und Erniedrigende seiner äußern Lage dies Vergnügen so sehr verbittern würde. Anständig genährt und gekleidet zu sein gehört schlechterdings dazu, wenn ein junger Mensch zum Fleiß im Studieren Mut behalten soll. Beides war bei Reisern der Fall nicht. Man wollte für ihn sparen und ließ ihn während der Zeit wirklich darben.

Seine Eltern reisten nun auch weg, und er zog mit seinen wenigen Habseligkeiten bei dem Hoboisten Filter ein, dessen Frau insbesondre sich schon von seiner Kindheit an seiner mit angenommen hatte. – Es herrschte bei diesen Leuten, die keine Kinder hatten, die größte Ordnung in der Einrichtung ihrer Lebensart, welche vielleicht nur irgendwo stattfinden kann. Da war nichts, keine Bürste und keine Schere, was nicht seit Jahren seinen bestimmten angewiesenen Platz gehabt hätte. Da war kein Morgen, der anbrach, wo nicht um acht Uhr Kaffee getrunken und um neun Uhr der Morgensegen gelesen worden wäre, welches allemal kniend geschahe, indes die Frau Filter aus dem Benjamin Schmolke vorlas, wobei denn Reiser auch mit knien mußte. Des Abends nach[119] neun Uhr wurde auf eben die Art, indem jeder vor seinem Stuhle kniete, auch der Abendsegen aus dem Schmolke gelesen und dann zu Bette gegangen. Dies war die unverbrüchliche Ordnung, welche von diesen Leuten schon seit beinahe zwanzig Jahren, wo sie auch beständig auf derselben Stube gewohnt hatten, war beobachtet worden. Und sie waren gewiß dabei sehr glücklich, aber sie durften auch schlechterdings durch nichts darin gestört werden, wenn nicht zugleich ihre innre Zufriedenheit, die größtenteils auf diese unverbrüchliche Ordnung gebaut war, mit darunter leiden sollte. Dies hatten sie nicht recht erwogen, da sie sich entschlossen, ihre Stubengesellschaft mit jemanden zu vermehren, der sich unmöglich auf einmal in ihre seit zwanzig Jahren etablierte Ordnung, die ihnen schon zur andern Natur geworden war, gänzlich fügen konnte.

Es konnte also nicht fehlen, daß es ihnen bald zu gereuen anfing, daß sie sich selbst eine Last aufgebürdet hatten, die ihnen schwerer wurde, als sie glaubten. Weil sie nur eine Stube und eine Kammer hatten, so mußte Reiser in der Wohnstube schlafen, welches ihnen nun alle Morgen, sooft sie hereintraten, einen unvermuteten Anblick von Unordnung machte, dessen sie nicht gewohnt waren, und der sie wirklich in ihrer Zufriedenheit störte. – Anton merkte dies bald, und der Gedanke, lästig zu sein, war ihm so ängstigend und peinlich, daß er sich oft kaum zu husten getrauete, wenn er an den Blicken seiner Wohltäter sahe, daß er ihnen im Grunde zur Last war. – Denn er mußte doch seine wenigen Sachen nun irgendwo hinlegen, und wo er sie hinlegte, da störten sie gewissermaßen die Ordnung, weil jeder Fleck hier nun schon einmal bestimmt war. – Und doch war es ihm nun unmöglich, sich aus dieser peinlichen Lage wieder herauszuwickeln. – Dies alles zusammengenommen versetzte ihn oft stundenlang in eine unbeschreibliche Wehmut, die er sich damals selber nicht zu erklären wußte und sie anfänglich bloß der Ungewohnheit seines neuen Aufenthaltes zuschrieb.

Allein es war nichts als der demütigende Gedanke des Lästigseins, der ihn so danieder druckte. Hatte er gleich bei seinen Eltern und bei dem Hutmacher Lobenstein auch nicht viel Freude[120] gehabt, so hatte er doch ein gewisses Recht da zu sein. Bei jenen, weil es seine Eltern waren, und bei diesem, weil er arbeitete. – Hier aber war der Stuhl, worauf er saß, eine Wohltat. – Möchten dies doch alle diejenigen erwägen, welche irgend jemanden Wohltaten erzeigen wollen, und sich vorher recht prüfen, ob sie sich auch so dabei nehmen werden, daß ihre gutgemeinte Entschließung dem Bedürftigen nie zur Qual gereiche.

Das Jahr, welches Reiser in dieser Lage zubrachte, war, obgleich jeder ihn glücklich pries, in einzelnen Stunden und Augenblicken eines der qualvollsten seines Lebens.

Reiser hätte sich vielleicht seinen Zustand angenehmer machen können, hätte er das nur gehabt, was man bei manchen jungen Leuten ein insinuantes Wesen nennt. Allein zu einem solchen insinuanten Wesen gehört ein gewisses Selbstzutrauen, das ihm von Kindheit auf war benommen worden; um sich gefällig zu machen, muß man vorher den Gedanken haben, daß man auch gefallen könne. – Reisers Selbstzutrauen mußte erst durch zuvorkommende Güte geweckt werden, ehe er es wagte, sich beliebt zu machen. – Und wo er nur einen Schein von Unzufriedenheit andrer mit ihm bemerkte, da war er sehr geneigt, an der Möglichkeit zu verzweifeln, jemals ein Gegenstand ihrer Liebe oder ihrer Achtung zu werden. Darum gehörte gewiß ein großer Grad von Anstrengung bei ihm dazu, sich selber Personen als einen Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit vorzustellen, von denen er noch nicht wußte, wie sie seine Zudringlichkeit aufnehmen würden.

Seine Base prophezeite ihm sehr oft, wie ihm der Mangel jenes insinuanten Wesens an seinem Fortkommen in der Welt schaden würde. Sie lehrte ihn, wie er mit der Frau Filter sprechen und ihr sagen solle: »Liebe Frau Filter, sein Sie nun meine Mutter, da ich ohne Vater und Mutter bin, ich will Sie auch so lieb haben wie eine Mutter.« – Allein wenn Reiser dergleichen sagen wollte, so wars, als ob ihm die Worte im Munde erstarben; es würde höchst ungeschickt herausgekommen sein, wenn er so etwas hätte sagen wollen. – Dergleichen zärtliche Ausdrücke waren nie durch zuvorkommendes, gütiges Betragen irgendeines Menschen gegen[121] ihn aus seinem Munde hervorgelockt worden; seine Zunge hatte keine Geschmeidigkeit dazu. – Er konnte den Rat seiner Base unmöglich befolgen. Wenn sein Herz voll war, so suchte er schon Ausdrücke, wo er sie auch fand. Aber die Sprache der feinen Lebensart hatte er freilich nie reden gelernet. – Was man insinuantes Wesen nennt, wäre auch bei ihm die kriechendste Schmeichelei gewesen.

Indes war nun die Zeit herangekommen, wo Reiser konfirmiert werden und in der Kirche öffentlich sein Glaubensbekenntnis ablegen sollte – eine große Nahrung für seine Eitelkeit – er dachte sich die versammelten Menschen, sich als den ersten unter seinen Mitschülern, der alle Aufmerksamkeit bei seinen Antworten vorzüglich auf sich ziehen würde, durch Stimme, Bewegung und Miene. – Der Tag erschien, und Reiser erwachte, wie ein römischer Feldherr erwacht sein mag, dem an dem Tage ein Triumph bevorstand. – Er wurde bei seinem Vetter, dem Perückenmacher, hoch frisiert und trug einen bläulichen Rock und schwarze Unterkleider, eine Tracht, die der geistlichen gewissermaßen sich schon am meisten näherte.

Aber so wie der Triumph des größten Feldherrn zuweilen durch unerwartete Demütigungen verbittert wurde, daß er ihn nur halb genießen konnte, so ging es auch Reisern an diesem Tage seines Ruhms und seines Glanzes. – Seine Freitische nahmen mit diesem Tage ihren Anfang. – Er hatte den ersten des Mittags bei dem Garnisonküster und den andern des Abends bei dem armen Schuster – und obgleich der Garnisonküster ein Mann war, der das großmütigste Herz besaß und Reisern seinen Lebenslauf erzählte, wie er auch erst als ein armer Schüler ins Chor gegangen sei, aber schon in seinem siebzehnten Jahre den blauen Mantel mit dem schwarzen vertauscht habe – so war doch die Frau desselben der Neid und die Mißgunst selber, und jeder ihrer Blicke vergiftete Reisern den Bissen, den er in den Mund steckte. Sie ließ es sich zwar am ersten Tag nicht so sehr wie nachher, aber doch stark genug merken, daß Reiser niedergeschlagenen Herzens, ohne selbst recht zu wissen, worüber, zur Kirche ging und die Freude, die er sich an diesem sehnlich gewünschten Tage versprochen[122] hatte, nur halb empfand. – Er sollte nun hingehn, um sein Glaubensbekenntnis auf gewisse Weise zu beschwören. –

Dies dachte er sich, und ihm fiel dabei ein, daß sein Vater vor einiger Zeit zu Hause erzählt hatte, wie er wegen seines Dienstes vereidet worden war, daß er nichts weniger als gleichgültig dabei gewesen sei – und Reiser schien sich, da er zur Kirche ging, gegen den Eid, den er ablegen sollte, gleichgültig zu sein. – Aus dem Unterricht, den er in der Religion bekommen, hatte er sehr hohe Begriffe vom Eide und hielt diese Gleichgültigkeit an sich für höchst strafbar. Er zwang sich also, nicht gleichgültig, sondern gerührt und ernsthaft zu sein bei diesem wichtigen Schritte und war mit sich selber unzufrieden, daß er nicht noch weit gerührter war; aber die Blicke der Frau des Garnisonküsters waren es, welche alle sanfte und angenehme Empfindungen aus seinem Herzen weggescheucht hatten.

Er konnte sich doch nicht recht freuen, weil niemand war, der an seiner Freude recht nahen Anteil nahm, weil er dachte, daß er auch selbst an diesem Tage an fremden Tischen essen mußte. Da er indes in die Kirche kam und nun vor den Altar trat und obenan in der Reihe stand, so erwärmete das alles zwar wieder seine Phantasie – aber es war doch lange das nicht, was er sich versprochen hatte. – Und gerade das Wichtigste und Feierlichste, die Ablegung des Glaubensbekenntnisses, welches einer im Namen der übrigen tun mußte, kam nicht an ihn, und er hatte sich doch schon viele Tage vorher auf Miene, Bewegung und Ton geübt, womit er es ablegen wollte.

Er dachte, der Pastor Marquard würde ihn etwa den Nachmittag zu sich kommen lassen, aber er ließ ihn nicht zu sich kommen – und während daß seine Mitschüler nun zu Hause gingen und der zärtlichen Bewillkommnung ihrer Eltern entgegen sahen, ging Reiser einsam und verlassen auf der Straße umher, wo ihm der Direktor des Lyzeums begegnete, der ihn anredete und fragte, ob er nicht Reiserus hieße – und als Reiser mit Ja antwortete, ihm freundlich die Hand druckte und sagte, er habe schon durch den Pastor Marquard viel Gutes von ihm gehört und würde bald näher mit ihm bekannt werden.[123]

Welche unerwartete Aufmunterung für ihn, daß dieser Mann, den er schon oft mit tiefer Ehrfurcht betrachtet hatte, ihn auf der Straße anzureden würdigte und ihn Reiserus nannte.

Der Direktor Ballhorn war wirklich ein Mann, welcher einem jeden, der ihn sahe, Ehrfurcht und Liebe einzuflößen imstande war. Er kleidete sich zierlich und doch anständig, trug sich edel, war wohlgebildet, hatte die heiterste Miene, worin ihm sooft er wollte der strengste Ernst zu Gebote stand. Er war ein Schulmann, gerade wie er sein sollte, um von diesem Stande die Verachtung der feinen Welt, womit die gewöhnliche Pedanterie desselben belegt ist, abzuwälzen.

Wie es nun kam, daß er Reisern Reiserus nannte, mag der Himmel wissen, gnug, er nannte ihn so, und es schmeichelte Reisern nicht wenig, auf die Weise seinen Namen zum erstenmal in us umgetauft zu sehen. – Da er mit dieser Endigung der Namen immer die Idee von Würde und einer erstaunenswürdigen Gelehrsamkeit verknüpft hatte und sich nun schon im Geiste den gelehrten und berühmten Reiserus nennen hörte.

Diese Benennung, womit er so zufälligerweise von dem Direktor Ballhorn beehrt wurde, ist ihm nachher auch oft wieder eingefallen und manchmal mit ein Sporn zum Fleiße gewesen; denn mit dem us an seinem Namen erwachte auf einmal die ganze Reihe von Vorstellungen, einmal ein berühmter Gelehrter zu werden, wie Erasmus Roterodamus und andere, deren Lebensbeschreibungen er zum Teil gelesen und ihre Bildnisse in Kupfer gestochen gesehen hatte.

Am Abend ging er nun zu dem armen Schuster und wurde wenigstens mit freundlichern Blicken als von der Frau des Garnisonküsters empfangen. Der Schuster Heidorn, so hieß sein Wohltäter, hatte die Schriften des Taulerus und andre dergleichen gelesen und redete daher eine Art von Büchersprache, wobei er manchmal einen gewissen predigenden Ton annahm. Gemeiniglich zitierte er einen gewissen Periander, wenn er etwas behauptete, als: Der Mensch muß sich nur Gott hingeben, sagt Periander – und so sagte alles, was der Schuster Heidorn sagte, auch dieser Periander, der im Grunde nichts als eine allegorische Person war,[124] die in Bunians Christenreise oder sonst irgendwo vorkommt. Aber Reisern klang der Name Periander so süß in seinen Ohren. – Er dachte sich dabei etwas Erhabenes, Geheimnisvolles und hörte den Schuster Heidorn immer gern von Periander sprechen.

Der gute Heidorn hatte ihn aber etwas zu spät aufgehalten, und als er zu Hause kam, hatten sein Wirt und seine Wirtin schon ihren Abendsegen gelesen und nicht unmittelbar darauf zu Bette gehen können, welches seit Jahren nicht geschehen sein mochte. Dies war denn Ursach, daß Reiser ziemlich kalt und finster empfangen wurde und sich an diesem Tage, dem er so lange voll sehnlicher Erwartung entgegengesehen hatte, mit traurigem Herzen niederlegen mußte.

Diese Woche mußte er nun zum ersten Male herumessen und machte am Montage bei dem Garkoch den Anfang, wo er sein Essen unter den übrigen Leuten, die bezahlten, bekam, und man sich weiter nicht um ihn bekümmerte. – Dies war, was er wünschte, und er ging immer mit leichterem Herze hieher.

Den Dienstag Mittag ging er zu dem Schuster Schantz, wo seine Eltern im Hause gewohnt hatten, und wurde auf das liebreichste und freundlichste empfangen. Die guten Leute hatten ihn als ein kleines Kind gekannt, und die alte Mutter des Schusters Schantz hatte immer gesagt, aus dem Jungen wird noch einmal etwas – und nun freute sie sich, daß ihre Prophezeiung einzutreffen schien. Und wenn es Reiser je nicht fühlte, daß er fremdes Brot aß, so war es an diesem gastfreundlichen Tische, wo er oft nachher seines Kummers vergessen hat und mit heitrer Miene wieder wegging, wenn er traurig hingegangen war. Denn mit dem Schuster Schantz vertiefte er sich immer in philosophischen Gesprächen, bis die alte Mutter sagte: Nun Kinder, so hört doch einmal auf und laßt das liebe Essen nicht kalt werden. O, was war der Schuster Schantz für ein Mann! Von ihm konnte man mit Wahrheit sagen, daß er vom Lehrstuhle die Köpfe der Leute hätte bilden sollen, denen er Schuh machte. – Er und Reiser kamen oft in ihren Gesprächen ohne alle Anleitung auf Dinge, die Reiser nachher als die tiefste Weisheit in den Vorlesungen über die Metaphysik[125] wiederhörte, und er hatte oft schon stundenlang mit dem Schuster Schantz darüber gesprochen. – Denn sie waren ganz von selbst auf die Entwickelung der Begriffe von Raum und Zeit, von subjektivischer und objektivischer Welt usw. gekommen, ohne die Schulterminologie zu wissen, sie halfen sich dann mit der Sprache des gemeinen Lebens, so gut sie konnten, welches oft sonderbar genug herauskam, – kurz, bei dem Schuster Schantz vergaß Reiser alles Unangenehme seines Zustandes, er fühlte sich hier gleichsam in die höhere Geisterwelt versetzt und sein Wesen wieder veredelt, weil er jemanden fand, mit dem er sich verstehn und Gedanken gegen Gedanken wechseln konnte. Die Stunden, welche er hier bei den Freunden seiner Kindheit und seiner Jugend zubrachte, waren gewiß damals die angenehmsten seines Lebens. Hier war es allein, wo er sich mit völligem Zutrauen gewissermaßen wie zu Hause fühlte.

Am Mittwoch aß er denn bei seinem Wirt, wo das wenige, was er genoß, so gut es auch diese Leute übrigens mit ihm meinen mochten, ihm doch fast jedesmal so verbittert wurde, daß er sich vor diesem Tage fast mehr wie vor allen andern fürchtete. Denn an diesem Mittage pflegte seine Wohltäterin, die Frau Filter, immer nicht geradezu, sondern nur in gewissen Anspielungen, indem sie zu ihrem Manne sprach, Reisers Betragen durchzugehen, ihm die Dankbarkeit gegen seine Wohltäter einzuschärfen und etwas von Leuten mit einfließen zu lassen, die sich angewöhnt hätten, sehr viel zu essen und am Ende gar nicht mehr zu sättigen gewesen wären. – Reiser hatte damals, da er in seinem vollen Wachstum war, wirklich sehr guten Appetit, allein mit Zittern steckte er jeden Bissen in den Mund, wenn er dergleichen Anspielungen hörte. Bei der Frau Filter geschahe es nun wirklich nicht sowohl aus Geiz oder Neid, daß sie dergleichen Anspielungen machte, sondern aus dem feinen Gefühl von Ordnung, welches dadurch beleidiget wurde, wenn jemand ihrer Meinung nach zu viel aß. – Sie pflegte denn auch wohl von Gnadenbrünnlein und Gnadenquellen zu reden, die sich verstopften, wenn man nicht mit Mäßigkeit daraus schöpfte.

Die Frau des Hofmusikus, welche ihm am Donnerstag zu essen[126] gab, war zwar dabei etwas rauh in ihrem Betragen, quälte ihn aber doch dadurch lange nicht so als die Frau Filter mit aller ihrer Feinheit. – Am Freitage aber hatte er wieder einen sehr schlimmen Tag, indem er bei Leuten aß, die es ihn nicht durch Anspielungen, sondern auf eine ziemlich grobe Art fühlen ließen, daß sie seine Wohltäter waren. Sie hatten ihn auch noch als Kind gekannt und nannten ihn nicht auf eine zärtliche, sondern verächtliche Weise bei seinem Vornamen Anton, da er doch anfing, sich unter die erwachsenen Leute zu zählen. Kurz, diese Leute behandelten ihn so, daß er den ganzen Freitag über mißmütig und traurig zu sein pflegte und zu nichts recht Lust hatte, ohne oft zu wissen worüber. Es war aber darüber, daß er den Mittag der erniedrigenden Begegnung dieser Leute ausgesetzt war, deren Wohltat er sich doch notwendig wieder gefallen lassen mußte, wenn es ihm nicht als der unverzeihlichste Stolz sollte ausgelegt werden. – Am Sonnabend aß er denn bei seinem Vetter, dem Perückenmacher, wo er eine Kleinigkeit bezahlte und mit frohem Herzen aß, und den Sonntag wieder bei dem Garnisonküster.

Dies Verzeichnis von Reisers Freitischen und den Personen, die sie ihm gaben, ist gewiß nicht so unwichtig, wie es manchem vielleicht beim ersten Anblick scheinen mag – dergleichen kleinscheinende Umstände sind es eben, die das Leben ausmachen und auf die Gemütsbeschaffenheit eines Menschen den stärksten Einfluß haben. – Es kam bei Reisers Fleiß und seinen Fortschritten, die er an irgendeinem Tage tun sollte, sehr viel darauf an, was er für eine Aussicht auf den folgenden Tag hatte, ob er gerade bei dem Schuster Schantz oder bei der Frau Filter oder dem Garnisonküster essen mußte. Aus dieser seiner täglichen Situation nun wird sich größtenteils sein nachheriges Betragen erklären lassen, welches sonst sehr oft mit seinem Charakter widersprechend scheinen würde.

Ein großer Vorteil würde es für Reisern gewesen sein, wenn ihn der Pastor Marquard wöchentlich einmal hätte bei sich essen lassen. Aber dieser gab ihm statt dessen einen sogenannten Geldtisch, so wie auch der Seidensticker; von diesen wenigen Groschen nun mußte Reiser wöchentlich sein Frühstück und[127] Abendbrot bestreiten. So hatte die Frau Filter es angeordnet. Denn was der Prinz hergab, sollte alles für ihn gespart werden. Sein Frühstück bestand also in ein wenig Tee und einem Stück Brot, und sein Abendessen in ein wenig Brot und Butter und Salz. Dann sagte die Frau Filter, er müsse sich ans Mittagessen halten, doch aber gab sie ihm zu verstehen, daß er sich ja hüten müsse, sich zu überessen.

So war nun Reisers Ökonomie eingerichtet, was seinen Unterhalt anbetraf. Aber auch zu seiner Kleidung wurde nicht einmal von dem Gelde, was der Prinz für ihn hergab, etwas genommen, sondern ein alter, grober, roter Soldatenrock für ihn gekauft, der ihm zurechtgemacht wurde und womit er nun die öffentliche Schule besuchen sollte, in welcher nun auch der Allerärmste besser als er gekleidet war; ein Umstand, der nicht wenig dazu beitrug, gleich anfänglich seinen Mut in etwas niederzuschlagen.

Dazu kam nun noch, daß er das Kommißbrot, welches der Hoboist Filter empfing, holen und unter den Armen durch die Stadt tragen mußte, welches er zwar, wenn es irgend möglich war, in der Dämmerung tat, aber es sich doch auf keine Weise durfte merken lassen, daß er sich dies zu tun schäme, wenn es ihm nicht ebenfalls als ein unverzeihlicher Stolz sollte ausgelegt werden; denn von diesem Brote wurde ihm selbst wöchentlich eins für ein geringes Geld überlassen, wovon er denn sein Frühstück und seinen Abendtisch bestreiten mußte.

Gegen dies alles durfte er sich nun nicht im mindesten auflehnen, weil der Pastor Marquard in die Einsichten der Frau Filter, was Reisers Erziehung und die Einrichtung seiner Lebensart anbetraf, ein unbegrenztes Zutrauen setzte. In derselben Woche machte er auch noch seinen Besuch bei diesen Leuten und dankte ihnen, daß sie die nähere Aufsicht über Reisern hätten übernehmen wollen, den er nun völlig ihrer Sorgfalt anvertraute. Reiser saß dabei halbtraurig am Ofen, ob er gleich nicht gerne undankbar für die Vorsorge des Pastor Marquard sein wollte. Aber er hing nun von diesem Augenblick an ganz und gar von Leuten ab, bei denen er die wenigen Tage schon in einem so peinlichen Zustande zugebracht hatte. Bei aller dieser anscheinenden Güte, die[128] ihm erwiesen wurde, konnte er sich nie recht freuen, sondern war immer ängstlich und verlegen, weil ihm jede, auch die kleinste Unzufriedenheit, die man ihm merken ließ, doppelt kränkend war, sobald er bedachte, daß selbst der eigentliche Fleck seines Daseins, das Obdach, dessen er sich erfreute, bloß von der Güte so sehr empfindlicher und leicht zu beleidigender Personen abhing, als Filter und noch weit mehr seine Frau war.

Bei dem allen war ihm nun doch der Gedanke aufmunternd, daß er in der künftigen Woche die sogenannte hohe Schule zu besuchen anfangen sollte. Das war so lange sein sehnlichster Wunsch gewesen. Wie oft hatte er mit Ehrfurcht das große Schulgebäude mit der hohen steinernen Treppe vor demselben angestaunt, wenn er über den Marktkirchhof ging. – Stundenlang stand er oft, ob er etwa durch die Fenster etwas von dem, was inwendig vorging, erblicken könnte. Nun schimmerte von dem großen Katheder in Prima zufälligerweise ein Teil durch das Fenster – wie malte sich seine Phantasie das aus! Wie oft träumte ihm des Nachts von diesem Katheder und von langen Reihen von Bänken, wo die glücklichen Schüler der Weisheit saßen, in deren Gesellschaft er nun bald sollte aufgenommen werden.

So bestanden von seiner Kindheit auf seine eigentlichen Vergnügungen größtenteils in der Einbildungskraft, und er wurde dadurch einigermaßen für den Mangel der wirklichen Jugendfreuden, die andre in vollem Maße genießen, schadlos gehalten. – Dicht neben der Schule führten zwei lange Gänge nach den nebeneinander gebauten Priesterhäusern. Die machten ihm einen so ehrwürdigen Prospekt, daß das Bild davon nebst dem Schulgebäude Tag und Nacht das herrschende in seiner Seele war – und denn die Benennung ›hohe Schule‹, welche unter gemeinen Leuten im Gebrauch war, und der Ausdruck ›hohe Schüler‹, welchen er ebenfalls oft gehört hatte, machten, daß ihm seine Bestimmung, diese Schule zu besuchen, immer wichtiger und größer vorkam.

Der Zeitpunkt wo dies geschehen sollte, war nun da, und mit klopfendem Herzen erwartete er den Augenblick, wo ihn der Direktor Ballhorn in einen dieser Hörsäle der Weisheit führen würde.[129] Er wurde von dem Direktor geprüft und tüchtig befunden, in die zweite Klasse gesetzt zu werden. Die mit einer natürlichen Würde verknüpfte Freundlichkeit, womit ihn dieser Mann zuerst mein lieber Reiser nannte, ging ihm durch die Seele und flößte ihm das innigste Zutrauen verbunden mit einer unbegrenzten Ehrfurcht gegen den Direktor ein. O, was vermag ein Schulmann über die Herzen junger Leute, wenn er gerade so wie der Direktor Ballhorn den rechten Ton einer durch Leutseligkeit gemilderten Würde in seinem Betragen zu treffen weiß!

Den Sonntag nach der Konfirmation ging nun Reiser zuerst zum Abendmahl und suchte nun aufs gewissenhafteste die Lehren in Ausübung zu bringen, welche er sich darüber aufgeschrieben und auswendig gelernt hatte, als die vorhergehende Prüfung nach dem Buß- und Sündenspiegel und dann das Hinzutreten zum Altar mit einem freudigen Zittern. – Er suchte sich auf alle Weise in eine solche Art von freudigen Zittern zu versetzen; es wollte ihm aber nicht gelingen, und er machte sich selbst die bittersten Vorwürfe darüber, daß sein Herz so verhärtet war. Endlich fing er vor Kälte an zu zittern, und dies beruhigte ihn einigermaßen.

Allein die himmlische Empfindung und das selige Gefühl, das ihm nun diese Seelenspeise gewähren sollte, alles das empfand er nicht – er schrieb aber die Schuld davon bloß seinem eigenen verstockten Herzen zu und quälte sich selbst über den Zustand der Gleichgültigkeit, worin er sich fühlte.

Am meisten schmerzte es ihn, daß er nicht recht zur Erkenntnis seines Sündenelendes kommen konnte, welches doch zur Heilsordnung nötig war. Auch hatte er den Tag vorher in einer auswendig gelernten Beichte im Beichtstuhl bekennen müssen, daß er leider viel und mannigfaltig gesündigt mit Gedanken, Worten und Werken, mit Unterlassung des Guten und Begehung des Bösen.

Die Sünden nun, deren er sich schuldig glaubte, waren vorzüglich Unterlassungssünden. Er betete nicht andächtig gnug, liebte Gott nicht eifrig gnug, fühlte nicht Dankbarkeit gnug gegen seine Wohltäter und empfand kein freudiges Zittern, da er zum Abendmahle ging. – Dies alles ging ihm nun nahe, aber er konnte es doch mit Zwang nicht abhelfen, darum war es ihm insofern[130] recht lieb, daß ihm für diese Vergehungen von dem Pastor Marquard die Absolution erteilet wurde.

Dabei blieb er aber doch immer mit sich selber unzufrieden: denn zu der Gottseligkeit und Frömmigkeit rechnete er vorzüglich die Aufmerksamkeit auf jeden seiner Schritte und Tritte, auf jedes Lächeln und auf jede Miene, auf jedes Wort, das er sprach, und auf jeden Gedanken, den er dachte. – Diese Aufmerksamkeit mußte nun natürlicherweise sehr oft unterbrochen werden und konnte nicht wohl über eine Stunde in einem fortdauern – sobald nun Reiser seine Zerstreuung merkte, ward er unzufrieden mit sich selbst und hielt es am Ende beinahe für unmöglich, ein ordentlich gottseliges und frommes Leben zu führen.

Die Frau Filter hielt ihm an dem Tage, da er zum Abendmahl ging, eine lange Predigt über die bösen Lüste und Begierden, die in diesem Alter zu erwachen pflegten, und wogegen er nun kämpfen müsse. Zum Glück verstand Reiser nicht, was sie eigentlich damit meinte, und wagte es auch nicht, sich genauer darnach zu erkundigen, sondern nahm sich nur fest vor, wenn böse Lüste in ihm erwachen sollten, sie möchten auch sein von welcher Art sie wollten, ritterlich dagegen anzukämpfen.

Er hatte bei seinem Religionsunterricht auf dem Seminarium zwar schon von allerlei Sünden gehört, wovon er sich nie einen rechten Begriff machen konnte, als von Sodomiterei, stummen Sünden und dem Laster der Selbstbefleckung, welche alle bei der Erklärung des sechsten Gebots genannt wurden, und die er sich sogar aufgeschrieben hatte. Aber die Namen waren auch alles, was er davon wußte; denn zum Glück hatte der Inspektor diese Sünden mit so fürchterlichen Farben gemalt, daß sich Reiser schon vor der Vorstellung von diesen ungeheuren Sünden selbst fürchtete und mit seinen Gedanken in das Dunkel, welches sie umhüllte, nicht tiefer einzudringen wagte. – Überhaupt waren seine Begriffe von dem Ursprung des Menschen noch sehr dunkel und verworren, ob er gleich nicht mehr glaubte, daß der Storch die Kinder bringe. – Seine Gedanken waren gewiß damals rein; denn ein gewisses Gefühl von Scham, das ihm natürlich zu sein schien, war Ursach, daß er weder mit seinen Gedanken über dergleichen[131] Gegenständen verweilte, noch sich mit seinen Mitschülern und Bekannten darüber zu unterreden wagte. Auch kamen ihm seine religiösen Begriffe von Sünde wohl hiebei zustatten. – Es war ihm fürchterlich genug, daß es wirklich dergleichen Laster, die er nur den Namen nach kannte, in der Welt gab, geschweige denn, daß er nur einen Gedanken hätte haben sollen, sie näher kennen zu lernen.

Am Montag morgen introduzierte ihn nun der Direktor Ballhorn in die zweite Klasse des Lyzeums, wo der Konrektor und der Kantor unterrichteten. – Der Konrektor war zugleich Prediger, und Reiser hatte ihn oft predigen hören. – Er war es eben, dessen Art, sich in seinem Priesterornat zu tragen, Reisern besonders gefiel, so daß er dieselbe mit einem gewissen Auf- und Niederbewegen des Kinns zuweilen nachzuahmen suchte. Auch war der Pastor Grupen, so hieß er, noch ein sehr junger, der Kantor hingegen war ein alter und etwas hypochondrischer Mann.

In der zweiten Klasse waren schon ziemlich erwachsene junge Leute, und Reiser bildete sich nicht wenig darauf ein, nun ein Sekundaner zu sein.

Die Lehrstunden nahmen ihren Anfang: der Konrektor lehrte die Theologie, die Geschichte, den lateinischen Stil und das griechische Neue Testament. – Der Kantor den Katechismus, die Geographie und die lateinische Grammatik. Des Morgens um sieben Uhr fingen die Stunden an und dauerten bis zehn, und des Nachmittags um ein Uhr fingen sie wieder an und dauerten bis um vier Uhr. – Hier mußte nun also Reiser nebst zwanzig bis dreißig andern jungen Leuten einen großen Teil seines damaligen Lebens zubringen. Es war also gewiß kein unwichtiger Umstand, wie diese Lehrstunden eingerichtet waren.

Alle Morgen früh wurde nach der vorgeschriebenen Ordnung zuerst ein Kapitel aus der Bibel gelesen, wie es jedesmal in der Reihe folgte, es mochte nun so lang oder kurz sein, wie es wollte. Darauf wurde denn nach einer gewissen Heilsordnung zweimal die Woche eine Art von Theologie doziert, worin z.B. die opera ad extra und die opera ad intra vorkamen, die vorzüglich eingeprägt wurden. Unter den erstern wurden nämlich die Werke verstanden,[132] woran alle drei Personen in der Gottheit teilnahmen, als die Schöpfung, Erlösung usw., ob sie gleich einer Person vorzüglich zugeschrieben werden; und unter den letztern wurde das verstanden, wodurch sich eine Person von der andern unterschied, und was ihr nur ganz allein zukommt, als die Zeugung des Sohnes vom Vater, das Ausgehen des heiligen Geistes vom Vater und Sohn usw. Reiser hatte diese Unterschiede zwar schon auf dem Seminarium gelernet, aber es freute ihn doch sehr, daß er sie nun auch lateinisch zu benennen wußte. Die opera ad extra und die opera ad intra prägten sich ihm von dem theologischen Unterricht am tiefsten ein.

Zwei Stunden in der Woche trug der Konrektor eine Art von Universalgeschichte nach dem Holberg vor, und der Kantor lehrte die Geographie nach dem Hübner. Das war der ganze wissenschaftliche Unterricht. Alle übrige Zeit wurde auf die Erlernung der lateinischen Sprache verwandt. Diese war es denn auch allein, worin sich jemand Ruhm und Beifall erwerben konnte. Denn die Ordnung der Plätze richtete sich nur nach der Geschicklichkeit im Lateinischen.

Der Kantor hatte nun die Methode, daß er über eine Anzahl von Regeln aus der großen Märkischen Grammatik wöchentlich einen kleinen Aufsatz diktierte, der ins Lateinische übersetzt werden mußte, und wo die Ausdrücke so gewählt waren, daß immer gerade die jedesmaligen grammatikalischen Regeln darauf konnten angewandt werden. Wer nun auf die Erklärung derselben am besten achtgegeben hatte, der konnte auch sein sogenanntes Exerzitium am besten machen und sich dadurch zu einem höhern Platze hinaufarbeiten.

So sonderbar nun auch die um des Lateinischen willen zusammengelesenen deutschen Ausdrücke zuweilen klangen, so nützlich war doch im Grunde diese Übung, und solch einen Wetteifer erregte sie. – Denn binnen einem Jahre kam Reiser dadurch so weit, daß er ohne einen einzigen grammatikalischen Fehler Latein schrieb und sich also in dieser Sprache richtiger als in der deutschen ausdrückte. Denn im Lateinischen wußte er, wo er den Akkusativ und den Dativ setzen mußte. Im Deutschen aber hatte er[133] nie daran gedacht, daß mich z.B. der Akkusativ und mir der Dativ sei, und daß man seine Muttersprache ebenso wie das Lateinische auch deklinieren und konjugieren müsse. – Indes faßte er doch unvermerkt einige allgemeine Begriffe, die er nachher auf seine Muttersprache anwenden konnte. – Er fing allmählich an, sich deutliche Begriffe von dem zu machen, was man Substantivum und Verbum nannte, welche er sonst noch oft verwechselte, wo sie aneinander grenzten, als z.B. gehn und das Gehen. Weil aber dergleichen Irrtümer in der lateinischen Ausarbeitung immer einen Fehler zu veranlassen pflegten, so wurde er beständig aufmerksamer darauf und lernte auch die feinern Unterschiede zwischen den Redeteilen und ihren Abänderungen unvermerkt einsehen, so daß er sich nach einiger Zeit zuweilen selbst verwunderte, wie er vor kurzem noch solche auffallende Fehler habe machen können.

Der Kantor pflegte unter jede lateinische Ausarbeitung, nachdem er an den Seiten mit roten Strichen die Anzahl der Fehler bemerkt hatte, sein vidi (ich habe es durchgesehen) zu setzen. Da nun Reiser dies vidi unter seinem ersten Exerzitium sahe, so glaubte er, es sei dies ein Wort, das er selbst immer ans Ende der Ausarbeitung schreiben müsse, und dessen Auslassung ihm der Kantor mit als einen Fehler angerechnet habe. Er schrieb also mit eigner Hand unter sein zweites Exerzitium vidi, worüber der Kantor und sein Sohn, der dabei war, laut auflachten und ihm erklärten, was es hieße. – Auf einmal sahe nun Reiser seinen Irrtum und konnte nicht begreifen, wie er nicht selbst auf die richtige Erklärung des vidi gefallen sei, da er doch sonst wohl wußte, was vidi hieß.

Es war ihm, als ob er mit Beschämung aus einer Art von Dummheit erwachte, die ihm angewandelt hatte. Und er wurde auf einige Augenblicke fast ebenso niedergeschlagen darüber, als da der Inspektor auf dem Seminarium einst zu ihm sagte: dummer Knabe, indem er glaubte, daß er nicht einmal buchstabieren könne. Eine solche Art von wirklicher oder anscheinender Dummheit bei gewissen Vorfällen rührte zum Teil aus einem Mangel an Gegenwart des Geistes, zum Teil aus einer gewissen Ängstlichkeit oder auch Trägheit her, wodurch die natürliche Kraft des[134] Denkens auf eine Zeitlang an ihrer freien Wirksamkeit gehindert wurde.

Noch eine Hauptlektion waren die Lebensbeschreibungen der griechischen Feldherrn vom Kornelius Nepos, wovon wöchentlich ein Kapitel aus der Lebensbeschreibung irgendeines Feldherrn auswendig mußte hergesagt werden. Diese Gedächtnisübungen wurden Reisern sehr leicht, weil er nicht sowohl die Worte als die Sachen sich einzuprägen suchte, welches er allemal des Abends vor dem Schlafengehen tat und des Morgens, wenn er aufwachte, die Ideen weit heller und besser geordnet als den Abend vorher in seinem Gedächtnis wiederfand, gleichsam, als ob die Seele während dem Schlafen fortgearbeitet und das, was sie einmal angefangen, nun während der gänzlichen Ruhe des Körpers mit Muße vollendet hätte.

Alles, was Reiser dem Gedächtnis anvertraute, pflegte er auf die Weise auswendig zu lernen.

Er fing nun auch an, sich mit der Poesie zu beschäftigen, welches er schon in seiner Kindheit getan hatte, wo denn seine Verse immer die schöne Natur, das Landleben und dergleichen zum Gegenstand zu haben pflegten. Denn seine einsamen Spaziergänge und der Anblick der grünen Wiesen, wenn er etwa einmal vor das Tor kam, war wirklich das einzige, was ihn in seiner Lage in eine poetische Begeisterung versetzen konnte.

Als ein Knabe von zehn Jahren verfertigte er ein paar Strophen, die sich anfingen:


In den schön beblümten Auen

Kann man Gottes Güte schauen, usw.


welche sein Vater in Musik setzte. Und das Gedicht, das er jetzt hervorbrachte, war eine ›Einladung auf das Land‹, worin wenigstens die Worte nicht übel gewählt waren. – Dies kleine Gedicht gab er dem jungen Marquard, durch welchen es in die Hände des Pastor Marquard und des Direktors kam, die ihren Beifall darüber bezeigten, so daß Reiser beinahe angefangen hätte, sich für einen Dichter zu halten. Aber der Kantor benahm ihm fürs erste[135] diesen Irrtum, indem er sein Gedicht Zeile vor Zeile mit ihm durchging und ihn sowohl auf die Fehler gegen das Metrum als auf den fehlerhaften Ausdruck und den Mangel des Zusammenhangs der Gedanken aufmerksam machte.

Diese scharfe Kritik des Kantors war für Reisern eine wahre Wohltat, die er ihm nie genug verdanken kann. Der Beifall, den dies erste Produkt seiner Muse so unverdienterweise erhielt, hätte ihm sonst vielleicht auf sein ganzes Leben geschadet.

Demohngeachtet wandelte ihm der furor poeticus noch manchmal an, und weil ihn jetzt wirklich das Vergnügen, dem Studieren obzuliegen, am meisten begeisterte, so wagte er sich an ein neues Gedicht zum Lobe der Wissenschaften, welches sich komisch genug anhob:


An euch, ihr schönen Wissenschaften,

An euch soll meine Seele haften, usw.


Der Kantor lehrte auch lateinische Verse machen, trug die Regeln der Prosodie vor, die er nachher auf Catonis disticha beim Skandieren derselben anwenden ließ. Reiser fand hieran sehr großes Vergnügen, weil es ihm so gelehrt klang, lateinische Verse skandieren zu können und zu wissen, warum die eine Silbe lang und die andere kurz ausgesprochen werden mußte; der Kantor schlug mit den Händen den Takt beim Skandieren. Das anzusehen und mitmachen zu können, war ihm denn eine wahre Seelenfreude. – Und als nun gar der Kantor zuletzt eine Anzahl durcheinandergeworfener lateinischer Wörter, welches Verse gewesen waren, diktierte, damit sie wieder in metrische Ordnung gebracht werden sollten, welch ein Vergnügen für Reisern, da er nun mit wenigen Fehlern ein paar ordentliche Hexameter wieder herausbrachte und von dem Kantor einen alten Kurtius zum Prämium erhielt.

Hier herrschte nun gewiß der sogenannte alte Schulschlendrian, und Reiser kam demohngeachtet in einem Jahre so weit, daß er ohne einen grammatikalischen Fehler Latein schreiben und einen lateinischen Vers richtig skandieren konnte. – Das ganz einfache[136] Mittel hierzu war – die öftere Wiederholung des Alten mit dem Neuen, welches doch die Pädagogen der neuern Zeiten ja in Erwägung ziehen sollten. Eine Sache mag noch so schön vorgetragen sein, sobald sie nicht öfter wiederholt wird, haftet sie schlechterdings nicht in dem jugendlichen Gemüte. Die Alten haben gewiß nicht in den Wind geredet, wenn sie sagten: daß die Wiederholung die Mutter des Studierens sei.

Von zehn bis elf Uhr gab der Konrektor noch eine Privatstunde im deutschen Deklamieren und im deutschen Stil, worauf sich Reiser immer am meisten freute, weil er Gelegenheit hatte, sich durch Ausarbeitungen hervorzutun und sich zugleich vom Katheder öffentlich konnte hören lassen, welches einige Ähnlichkeit mit dem Predigen hatte, das immer der höchste Gegenstand aller seiner Wünsche war.

Außer ihm war nun noch einer, namens Iffland, der an dieser Übung im Deklamieren ein ebenso großes Vergnügen fand. Dieser Iffland ist nachher einer unsrer ersten Schauspieler und beliebtesten dramatischen Schriftsteller geworden; und Reisers Schicksal hat mit dem seinigen bis auf einen gewissen Zeitpunkt viel Ähnliches gehabt. – Iffland und Reiser zeichneten sich immer in der Deklamationsübung am meisten aus. – Iffland übertraf Reisern weit an lebhaftem Ausdruck der Empfindung – Reiser aber empfand tiefer. – Iffland dachte weit schneller und hatte daher Witz und Gegenwart des Geistes, aber keine Geduld, lange über einem Gegenstande auszuhalten. – Reiser schwang sich daher auch in allen übrigen bald über ihn hinauf. – Er verlor allemal gegen Iffland, sobald es auf Witz und Lebhaftigkeit ankam, aber er gewann immer gegen ihn, sobald es darauf ankam, die eigentliche Kraft des Denkens an irgendeinem Gegenstande zu üben. – Iffland konnte sehr lebhaft durch etwas gerührt werden, aber es machte bei ihm keinen so daurenden Eindruck. Er konnte sehr leicht und wie im Fluge etwas fassen, aber es entwischte ihm gemeiniglich ebenso schnell wieder. – Iffland war zum Schauspieler geboren. Er hatte schon als ein Knabe von zwölf Jahren alle seine Mienen und Bewegungen in seiner Gewalt – und konnte alle Arten von Lächerlichkeiten in der vollkommensten Nachahmung[137] darstellen. Da war kein Prediger in Hannover, dem er nicht auf das natürlichste nachgepredigt hatte. Dazu wurde denn gemeiniglich die Zwischenzeit, ehe der Konrektor zur Privatstunde kam, angewandt. Jedermann fürchtete sich daher vor Iffland, weil er jedermann, sobald er nur wollte, lächerlich zu machen wußte. – Reiser liebte ihn dennoch und hätte schon damals gern nähern Umgang mit ihm gehabt, wenn die Verschiedenheit der Glücksumstände es nicht verhindert hätte. Ifflands Eltern waren reich und angesehn, und Reiser war ein armer Knabe, der von Wohltaten lebte, demohngeachtet aber den Gedanken bis in den Tod haßte, sich auf irgendeine Weise Reichen aufzudringen. – Indes genoß er von seinen reichern und besser gekleideten Mitschülern weit mehr Achtung, als er erwartet hatte, welches zum Teil wohl mit daher kommen mochte, weil man wußte, daß ihn der Prinz studieren ließe, und ihn daher schon in einem etwas höhern Lichte betrachtete, als man sonst würde getan haben. – Dies brachte ihm auch von seinen Lehrern etwas mehr Aufmerksamkeit und Achtung zuwege.

Ob nun gleich zum Teil schon erwachsene Leute von siebzehn bis achtzehn Jahren in dieser Klasse saßen, so herrschten doch darin noch sehr erniedrigende Strafen. Der Konrektor sowohl als der Kantor teilten Ohrfeigen aus und bedienten sich zu schärfern Züchtigungen der Peitsche, welche beständig auf dem Katheder lag; auch mußten diejenigen, welche etwas verbrochen hatten, manchmal zur Strafe am Katheder knien.

Reisern war der Gedanke schon unerträglich, sich jemals eine solche Strafe von Männern zuzuziehen, welche er als seine Lehrer im hohen Grade liebte und ehrte, und nichts eifriger wünschte, als sich wiederum ihre Liebe und Achtung zu erwerben. Welch eine Wirkung mußte es also auf ihn tun, da er einmal, ehe er sichs versahe und ganz ohne seine Schuld, das Schicksal einiger seiner Mitschüler, welche wegen eines vorgefallenen Lärms vom Konrektor mit der Peitsche bestraft wurden, teilen mußte. Gleiche Brüder, gleiche Kappen, sagte der Konrektor, da er an ihn kam, und hörte auf keine Entschuldigungen, drohte auch noch dazu, ihn bei dem Pastor Marquard zu verklagen. Das Gefühl seiner[138] Unschuld beseelte Reisern mit einem edlen Trotze, und er drohte wieder, den Konrektor bei dem Pastor Marquard zu verklagen, daß er ihn unschuldigerweise auf eine so erniedrigende Art behandelte.

Reiser sagte dies mit der Stimme der unterdrückten Unschuld, und der Konrektor antwortete ihm kein Wort. Aber von der Zeit an war auch alles Gefühl von Achtung und Liebe für den Konrektor wie aus seinem Herzen weggeblasen. Und da der Konrektor nun einmal in seinen Strafen weiter keinen Unterschied machte, so achtete Reiser eine Ohrfeige oder einen Peitschenschlag von ihm ebenso wenig, als ob irgendein unvernünftiges Tier an ihn angerannt wäre. Und weil er nun sahe, daß es gleichviel war, ob er sich die Achtung dieses Lehrers zu erwerben suchte oder nicht, so hing er auch nun seiner Neigung nach und war nicht mehr aus Pflicht, sondern bloß, wenn ihn die Sache interessierte, aufmerksam. Er pflegte denn oft stundenlang mit seinem Freunde Iffland zu plaudern, mit dem er denn zuweilen gesellschaftlich am Katheder knien mußte. Iffland fand auch hierin Stoff, seinen Witz zu üben, indem er das Katheder, worauf sich der Konrektor mit den Ellenbogen gestützt hatte, mit dem mecklenburgischen Wappen und sich und Reisern mit den beiden Schildhaltern verglich. – Ifflands Schalkhaftigkeit war durch keine Strafen zu unterdrücken, ausgenommen durch eine, wo er einmal eine ganze Stunde lang mit dem Gesicht gegen den Ofen gekehrt stehen mußte und also seinen Witz nicht spielen lassen oder gegen jemand irgendeine Pantomime machen konnte. – Diese Strafe preßte ihm zum erstenmal Tränen aus, und er legte sich im Ernst aufs Bitten, welches er sonst nie tat. – So war die Disziplin des Konrektors beschaffen. – Es hatte einmal einer aus Versehen seine Nachtmütze statt des Buchs in die Tasche gesteckt, und er ließ ihn mit der Nachtmütze auf dem Kopfe eine Stunde lang vor der ganzen Klasse knien, worüber denn Iffland seinen tausend Spaß hatte und seinen Nachbarn, die sich über seine Pantomime und seine drollichten Einfälle zuweilen des Lachens nicht enthalten konnten, manche Ohrfeige zuzog.[139]

Was nun diese Disziplin des Konrektors auf das Gemüt und den Charakter seiner Untergebenen für eine Würkung getan, was für ein rühmliches Andenken er sich dadurch in den Herzen seiner Schüler gestiftet habe, und was für einen Kranz er sich dadurch erworben habe, mag seinem eigenen Gewissen anheimgestellt sein. – Wenn er sich denn oft so recht als ein Held gezeigt hatte, so pflegte er wohl zu sagen: Ich bin keine Schlafmütze wie andre, und deutete damit, daß es jedermann merken konnte, auf seinen Kollegen, den Kantor, der, ohngeachtet seiner hypochondrischen Laune und einiger ihm anklebenden Pedanterie, ein weit besserer Mann war als der Konrektor.

Nie hat Reiser von diesem einen Schlag bekommen, ob derselbe gleich sonst eben nicht karg mit Ohrfeigen und ziemlich freigebig mit der Peitsche war. Aber er sahe doch ein, daß es Reisern im Ernst darum zu tun war, Strafe zu vermeiden, und nun schlug er doch nicht blindlings zu. Bei ihm lernte auch Reiser weit mehr als bei dem Konrektor, weil er aus Pflicht aufmerksam war, wenn ihn gleich die Sache nicht interessierte. – Und da es ihm gelang, sich durch die lateinischen Ausarbeitungen bis zum ersten Platze hinaufzuarbeiten: wie aufmunternd war ihm nun das Lob des Kantors und wie eindringend der Zuspruch desselben, daß er sich nun auf diesem Platze solle zu behaupten suchen! – Nun erteilte der Kantor immer dem Ersten in der Klasse das Amt eines Zensors oder Aufsehers über das Betragen der übrigen, und da nun Reiser sich immer auf seinem ersten Platze behauptete, so gab ihm der Kantor den ehrenvollen Titel eines censor perpetuus oder immerwährenden Aufsehers. Er verwaltete dies Amt mit der größten Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit und sahe es oft mit Wehmut an, wie die Buben den guten Kantor, der freilich auch nicht immer den rechten Weg der Disziplin einschlug, ärgerten und ihm das Leben sauer machten, so daß derselbe oft in der Betrübnis seines Herzens ausrief: Quem Dii odere, paedagogum fecere, wen die Götter haßten, den machten sie zum Schulmann. – Für den Kantor hätte Reiser alles aufgeopfert, weil er nie ungerecht gegen ihn gewesen war, obgleich das Betragen desselben sonst auch nicht immer das freundlichste war. – Wie rührend[140] war es Reisern oft, wenn in der Katechismusstunde alles um ihn her lärmte und tobte, und der Kantor denn mit Gewalt aufs Buch schlug und sagte: Ich habe Gottes Wort an euch! – Nur schade, daß der gute Mann dergleichen Ausdrücke, die, zu rechter Zeit angebracht, ihre Wirkung nicht verfehlen, zu oft anbrachte und gewisse Gemeinplätze als: Torheit steckt dem Knaben im Herzen und dergleichen, alle Augenblicke im Munde führte, wodurch man sich denn am Ende so sehr daran gewöhnte, daß niemand mehr darauf achtete, und eben daher entstand die ewige Unruhe in den Lehrstunden des Kantors. – Der Konrektor sprach weniger bei seinen Züchtigungen, darum bewirkten sie mehr Stille und Ordnung.

Da nun Reiser auf eine kurze Zeit die Schule besucht hatte, so kam er auf den Einfall, ins Chor zu gehen; nicht sowohl um Geld zu verdienen, als vielmehr in einen neuen ehrenvollen Stand zu treten, wovon er sich schon als Hutmacherbursche in Braunschweig immer so große Begriffe gemacht hatte. –

Seine Phantasie hatte hier wieder Spielraum. – Das war ihm alles so himmlisch, so feierlich, in die Lobgesänge zur Ehre Gottes öffentlich mit einzustimmen. – Der Name »Chor« tönte ihm so angenehm. – Das Lob Gottes in »vollen Chören« zu singen war ein Ausdruck, der ihm immer im Sinn schallte. – Er konnte die Zeit kaum abwarten, wo er in diese glänzende Versammlung würde aufgenommen werden.

Einer seiner Mitschüler, der schon lange im Chor gesungen hatte, versicherte ihm zwar, er sei es so satt und überdrüssig, daß er lieber heute als morgen davon frei sein möchte. – Reiser konnte sich das unmöglich einbilden. Er besuchte mit großem Eifer die Lehrstunde, wo der Kantor Unterricht im Singen erteilte, und beneidete nun jeden, der eine bessere Stimme besaß als er.

Nicht weit von Hannover ist ein Wasserfall, wo er auf Anraten des Kantors oft stundenlang hinging, um sich recht auszuschreien und seine Stimme zu üben. – Allein es wollte mit dem Singen nie recht fort. Denn es fehlte ihm zugleich an dem, was man musikalisches Gehör nennt. Aber das Theoretische, was der Kantor bei seinem Unterricht mit einfließen ließ, war ihm desto willkommner,[141] und er machte dem Kantor durch seine Aufmerksamkeit viel Vergnügen.

Reiser empfand nun wirkliche Liebe gegen den Kantor und machte allenthalben sehr viel Rühmens von ihm, so wie dieser ihn wieder bei den Leuten lobte. – Da fügte es sich einmal, daß Reiser dem Kantor für das gute Zeugnis dankte, das ihm derselbe bei einem seiner Gönner gegeben hatte, und der Kantor erwiderte: Reiser habe ihm ja auch ein gutes Zeugnis gegeben; denn es war ihm wieder zu Ohren gekommen, wie gut Reiser allenthalben von ihm sprach.

Die Freude dieses Augenblicks hätte Reiser um vieles in der Welt nicht gegeben, so angenehm war es ihm, daß sein Lehrer es nun selber wußte, wie sehr er ihn liebte. – Wer ihm das beim ersten Anblick gesagt hätte, dem würde er es nicht geglaubt haben, daß der Kantor einmal so sehr sein Freund sein würde. Denn der Konrektor war erstlich sein Mann; dessen lächelnde freundliche Miene und glatte Stirne nahmen ihn ein, indes die finstere Miene des Kantors und seine runzelvolle Stirn ihn zurückscheuchten. Ach, was für ein artiger freundlicher Mann ist der Konrektor gegen den alten mürrischen Kantor! pflegte er im Anfang oft zu sagen: aber bei der genauern Bekanntschaft wandte sich das Blatt gar bald um.

Reiser suchte sich auch auf alle Weise in der Achtung des Kantors immer fester zu setzen. Dies ging so weit, daß er auf einem öffentlichen Spazierplatze, wo der Kantor hinzukommen pflegte, mit einem aufgeschlagenen Buche in der Hand auf und nieder ging, um die Blicke seines Lehrers auf sich zu ziehen, der ihn nun für ein Muster des Fleißes halten sollte, weil er sogar beim Spaziergehen studierte. – Ob nun Reiser gleich an dem Buche, das er las, wirklich Vergnügen fand, so war doch das Vergnügen, von dem Kantor in dieser Attitüde bemerkt zu werden, noch weit größer, und man siehet auch aus diesem Zuge seinen Hang zur Eitelkeit. Es lag ihm mehr an dem Schein als an der Sache, obgleich die Sache ihm auch nicht unwichtig war.

Man hatte eine erstaunliche Meinung von seinem Fleiß und pflegte ihm immer anzuraten, daß er seiner Gesundheit schonen sollte. Dies war ihm äußerst schmeichelhaft, und er ließ die Leute[142] bei dieser Meinung, obgleich sein Fleiß lange nicht so groß war, wie er hätte sein können, wenn das Drückende seiner Lage in Ansehung seiner Nahrung und Wohnung ihn nicht oft träge und mißmütig gemacht hätte.

Denn die unwürdige Behandlung, der er zuweilen ausgesetzt war, benahm ihm oft einen großen Teil der Achtung gegen sich selbst, welche schlechterdings zum Fleiß notwendig ist. – Oft ging er mit traurigem Herzen zur Schule, wenn er aber denn einmal darin war, so vergaß er seines Kummers, und die Schulstunden waren im Grunde noch seine glücklichsten Stunden.

Wenn er aber dann wieder zu Hause kam und sich manchmal verblümterweise mußte zu verstehen geben lassen, wie überdrüssig man seiner Gegenwart wäre – dann saß er stundenlang und getraute sich kaum Atem zu holen – er war dann in einem entsetzlichen Zustande – und hätte in der Welt nichts arbeiten können, denn sein Herz war ihm durch diese Begegnung zerrissen. –

So konnten auch die Blicke der Frau des Garnisonküsters, wenn er dort gegessen hatte, ihn auf einige Tage niederschlagen und ihm den Mut zum Fleiß benehmen.

Sicher wäre Reiser glücklicher und zufriedener und gewiß auch fleißiger gewesen, als er war, hätte man ihn von dem Gelde, das der Prinz für ihn hergab, Salz und Brot für sich kaufen lassen, als daß man ihn an fremden Tischen sein Brot essen ließ.

Es war abscheulich, in was für eine Lage er einmal geriet, da die Frau des Garnisonküsters über Tische erst anfing von den schlechten Zeiten und von dem harten Winter und dann von dem Holzmangel zu reden und endlich über die Besorgnis in Tränen ausbrach, wo man noch zuletzt Brot herschaffen solle; und da Reiser in der Verlegenheit über diese Reden unversehns ein Stück Brot an die Erde fallen ließ, ihn mit den Augen einer Furie anblickte, ohne doch etwas zu sagen. – Da sich Reiser über diese unwürdige Begegnung der Tränen nicht enthalten konnte, so brach sie gegen ihn los, warf ihm mit dürren Worten Unhöflichkeit und ungeschicktes Betragen vor und gab zu verstehen, daß dergleichen Leute, die ihr den Bissen im Munde zu Gift machten, an ihrem Tische nicht willkommen wären. – Der gute Garnisonküster,[143] der Reisern innig bedauerte, aber das Regiment nicht im Hause führte, erbarmte sich seiner und sagte ihm sogleich den Tisch auf. – So beschämt, erniedrigt und herabgewürdigt mußte nun Reiser aus diesem Hause gehen und durfte es kaum wagen, sich zu Hause davon etwas merken zu lassen, daß er einen Freitisch verloren habe.

Wenn ihm der Garnisonküster nachher zuweilen auf der Straße begegnete, drückte er ihm einen halben Gulden in die Hand, um ihn für die Mißgunst und den Geiz seiner Frau schadlos zu halten.

Nun gab es wieder eine Art Leute, welche, wenn sie Reisern eine Mahlzeit zu essen gaben, alle Augenblick zu sagen pflegten, wie gern es ihm gegönnt sei, und daß er sichs nur recht sollte schmecken lassen, denn für eine Mahlzeit werde es ihm nun doch einmal gerechnet und dergleichen mehr, welches Reisern nicht weniger verlegen machte, so daß ihm das Essen, statt des Vergnügens, was man sonst dabei empfindet, gemeiniglich eine wahre Qual war. – Wie glücklich fühlte er sich, da er am ersten Sonntage, nachdem er den Tisch bei dem Garnisonküster verloren und es zu Hause noch nicht hatte sagen wollen, ein Dreierbrot verzehrte und dabei einen Spaziergang um den Wall machte.

Es schien, als ob sich alles vereinigt habe, Reisern in der Demut zu üben; ein Glück, daß er nicht niederträchtig darüber wurde dann würde er freilich zufrieden und vergnügter gewesen sein, aber um alle den edlen Stolz, der den Menschen allein über das Tier erhebt, das nur seinen Hunger zu stillen sucht, wäre es bei ihm getan gewesen.

Der Stand des geringsten Lehrburschen eines Handwerkers ist ehrenvoller als der eines jungen Menschen, der, um studieren zu können, von Wohltaten lebt, sobald ihm diese Wohltaten auf eine herabwürdigende Art erzeigt werden. Fühlt sich ein solcher junger Mensch glücklich, so ist er in Gefahr, niederträchtig zu werden, und hat er nicht die Anlage zur Niederträchtigkeit, so wird es ihm wie Reisern gehen; er wird mißmütig und menschenfeindlich gesinnet werden, wie es Reiser wirklich wurde, denn er fing schon damals an, in der Einsamkeit sein größtes Vergnügen zu finden.[144]

Einmal schickte ihn die Frau Filter sogar mit einem großen Stück Leinwand in des Prinzen Haus, welches dort an die Leute zum Verkauf vorgezeigt werden sollte. – Alles Sträuben dagegen würde nichts geholfen haben – denn der Pastor Marquard hatte einmal der Frau eine unbeschränkte Gewalt über Reisern erteilet – und jede Weigerung würde ihm als ein unverzeihlicher Stolz ausgelegt worden sein. – Es würde ihm nicht ins Schild gemalt werden, pflegte dann die Frau Filter wohl zu sagen. – Ebenso wenig durfte er sich sträuben, das Brot zu holen, welches der Hoboist vom Regiment bekam, und ob er dies gleich immer in der Dämmerung tat und die abgelegensten Straßen wählte, damit ihn keiner seiner Mitschüler sehen möchte, so bemerkte ihn doch einmal einer derselben zu seinem größten Schrecken, welcher aber zum Glück so gut gesinnet war, daß er ihm völlige Verschwiegenheit versprach und hielt, ihm aber doch, wenn sie sich in der Klasse zuweilen verunwilligten, drohete, es ruchtbar zu machen.

Endlich wurde ihm denn doch von dem Gelde des Prinzen ein neues Kleid geschafft, weil sein alter roter Soldatenrock gar nicht mehr halten wollte; aber gleichsam, als wenn es recht eigentlich auf seine Demütigung abgesehen wäre, wählte man ihm graues Bediententuch zum Kleide – wodurch er wiederum gegen seine Mitschüler fast ebenso sonderbar als mit dem roten Soldatenrock abstach; und das Kleid durfte er anfänglich doch nur bei feierlichen Gelegenheiten, wenn etwa in der Schule Examen war, oder wenn er zum Abendmahl ging, anziehen.

Was ihn aber von allen Demütigungen, die er erlitt, am meisten kränkte und was er der Frau Filter nie hat vergessen können, war eine ungerechte Beschuldigung, die ihn bis in die Seele schmerzte, und die er doch durch keine Beweise von sich ablehnen konnte.

Die Frau Filter hatte ein kleines Mädchen von etwa drei bis vier Jahren von einer ihrer Anverwandtinnen zu sich genommen. Diesem Kinde dachte sie zu Weihnachten eine überraschende Freude zu machen und hatte zu dem Ende einen Baum mit Lichtern aufgeputzt und mit Rosinen und Mandeln behangen. Reiser blieb allein in der Stube, während die Frau Filter in die Kammer[145] ging, um das Kind zu holen. Nun fügte es sich, da sie wieder hereinkam, daß vermutlich durch die Bewegung der Türe der Baum mit allen Lichtern umfiel und Reiser in demselben Augenblick hinzulief, um ihn aufrecht zu erhalten, da dies aber nicht gehen wollte, sogleich wieder seine Hand davon abzog, welches nun gerade so aussahe, als ob er sich die ganze Zeit über mit dem Baum beschäftigt habe und nun, da die Frau Filter hereinkam, erschrocken sei und folglich den Baum habe fahren lassen, der nun wirklich umfiel. In den Gedanken der Frau Filter war es nun ausgemacht, daß er von dem Baum hatte naschen wollen und auf die Weise ihr und dem Kinde eine unschuldige Freude verdorben habe.

Diesen entehrenden Verdacht gab sie Reisern mit deutlichen Worten zu verstehen, und wie sollte er ihn von sich abwälzen? Er hatte keinen Zeugen. Und der Anschein war wider ihn. – Schon die Möglichkeit, daß man einen solchen Verdacht gegen ihn hegen konnte, erniedrigte ihn bei sich selber, er war in einem solchen Zustande, wo man gleichsam zu versinken oder in einem Augenblick gänzlich vernichtet zu sein wünscht.

Ein Zustand, der eine Art von Seelenlähmung hervorzubringen vermag, welche nicht so leicht wieder gehoben werden kann. – Man fühlt sich in einem solchen Augenblick gleichsam wie vernichtet und gäbe sein Leben darum, sich vor aller Welt verbergen zu können. – Das Selbstzutrauen, welches der moralischen Tätigkeit so nötig ist als das Atemholen der körperlichen Bewegung, erhält einen so gewaltigen Stoß, daß es ihm schwer hält, sich wieder zu erholen.

Wenn Reiser nachher irgendwo zugegen war, wo man etwa eine Kleinigkeit suchte, von der man glaubte, daß sie weggenommen sei, so konnte er sich nicht enthalten, rot zu werden und in Verwirrung zu geraten, bloß weil er sich die Möglichkeit lebhaft dachte, daß man ihn, ohne es sich geradezu merken lassen zu wollen, für den Täter halten könnte. – Ein Beweis, wie sehr man sich irren kann, wenn man oft die Beschämung und Verwirrung eines Angeklagten als ein stillschweigendes Geständnis seines Verbrechens auslegt. – Durch tausend unverdiente Demütigungen kann[146] jemand am Ende so weit gebracht werden, daß er sich selbst als einen Gegenstand der allgemeinen Verachtung ansieht und es nicht mehr wagt, die Augen vor jemanden aufzuschlagen – er kann auf die Weise in der größten Unschuld seines Herzens alle die Kennzeichen eines bösen Gewissens an sich blicken lassen, und wehe ihm dann, wenn er einem eingebildeten Menschenkenner, wie es so viele gibt, in die Hände fällt, der nach dem ersten Eindruck, den seine Miene auf ihn macht, sogleich seinen Charakter beurteilt. –

Unter allen Empfindungen ist wohl der höchste Grad der Beschämung, worin jemand versetzt wird, eine der peinigendsten.

Mehr als einmal in seinem Leben hat Reiser dies empfunden, mehr als einmal hat er Augenblicke gehabt, wo er gleichsam vor sich selber vernichtet wurde – wenn er z.B. eine Begrüßung, ein Lob, eine Einladung oder dergleichen auf sich gedeutet hatte, womit er nicht gemeinet war. – Die Beschämung und die Verwirrung, worin ein solcher Mißverstand ihn versetzen konnte, war unbeschreiblich. –

Es ist auch ein ganz besonderes Gefühl dabei, wenn man aus Mißverstand sich eine Höflichkeit zurechnet, die einem andern zugedacht ist. Eben der Gedanke, daß man zu sehr von sich eingenommen sein könne, ist es, der so etwas außerordentlich Demütigendes hat. Dazu kömmt das lächerliche Licht, in welchem man zu erscheinen glaubt. – Kurz, Reiser hat in seinem Leben nichts Schrecklichers empfunden als diesen Zustand der Beschämung, worin ihn oft eine Kleinigkeit versetzen konnte. – Alles andere griff nicht so sein innerstes Wesen, sein eigentliches Selbst an als grade dies. In Ansehung dieser Art des Leidens hat er auch das stärkste Mitleid empfunden. Um jemanden eine Beschämung zu ersparen, würde er mehr getan haben, als um jemanden aus würklichem Unglück zu retten: denn die Beschämung deuchte ihm das größte Unglück, was einem widerfahren kann.

Er war einmal bei einem Kaufmann in Hannover, der gemeiniglich statt der Person, mit der er sprach, einen andern anzusehen pflegte. Dieser bat, indem er Reisern ansahe, einen andern, der mit in der Stube war, zum Essen, und da Reiser die Einladung auf[147] sich deutete und sie höflich ablehnte, so sagte der Kaufmann mit sehr trockner Miene: Ich meine Ihn ja nicht! – Dies Ich meine Ihn ja nicht! mit der trocknen Miene tat eine solche Wirkung auf Reisern, daß er glaubte, in die Erde sinken zu müssen; dies Ich meine Ihn ja nicht! verfolgte ihn nachher, wo er ging und stund, und machte seine Stimme gebrochen und zitternd, wenn er mit Vornehmern reden sollte, sein Stolz konnte dies nie wieder ganz verwinden.

»Wie kann Er glauben, daß man Ihn zum Essen bitten sollte?« So legte Reiser das Ich meine Ihn ja nicht! aus, und er kam sich in dem Augenblick so unbedeutend, so weggeworfen, so nichts vor, daß ihm sein Gesicht, seine Hände, sein ganzes Wesen zur Last war und er nun die dümmste und albernste Figur machte, so wie er dastand, und zugleich dies Alberne und Dumme in seinem Betragen lebhafter und stärker als irgend jemand außer ihm empfand. –

Hätte Reiser irgend jemanden gehabt, der an seinem Schicksal wahren Anteil genommen hätte, so würden ihm dergleichen Begegnungen vielleicht nicht so kränkend gewesen sein. Aber so war sein Schicksal an die eigentliche Teilnehmung anderer Menschen nur mit so schwachen Fäden geknüpft, daß die anscheinende Ablösung irgendeines solchen Fadens ihn plötzlich das Zerreißen aller übrigen befürchten ließ und er sich dann in einem Zustand sahe, wo er keines Menschen Aufmerksamkeit auf sich mehr erregte, sondern sich für ein Wesen hielt, auf das weiter gar keine Rücksicht genommen wurde. – Die Scham ist ein so heftiger Affekt wie irgendeiner, und es ist zu verwundern, daß die Folgen desselben nicht zuweilen tödlich sind.

Die Furcht, in einem lächerlichen Lichte zu erscheinen, war bei Reisern zuweilen so entsetzlich, daß er alles, selbst sein Leben, würde aufgeopfert haben, um dies zu vermeiden. – Niemand hat das

Infelix paupertas, quia ridiculos miseros facit,

Traurig ist das Los der Armut, weil sie die Unglücklichen lächerlich macht,[148]

wohl stärker empfunden als er, dem lächerlich zu werden das größte Unglück auf der Welt dünkte. – Es gibt eine Art des Lächerlichen, welche ihm noch am erträglichsten war – wenn nämlich Leute bloß der Sonderbarkeit wegen über etwas lachen, das sie sich selbst nicht nachzutun getrauen, ohne es deswegen in einem verächtlichen Lichte zu betrachten.

Wenn er z.B. etwa von sich sagen hörte: Der Reiser ist doch ein sonderbarer Mensch, er geht des Abends ganz im Finstern dreimal um den Wall und spricht mit niemand als mit sich selbst, indem er sich die Lektion des Tages wiederholt, usw. – so war ihm das gar nicht unangenehm zu hören, es hatte vielmehr etwas Schmeichelhaftes für ihn, auf die Weise in einem gewissen sonderbaren Lichte zu erscheinen. – Aber als Iffland seinen Vers:


An euch, ihr schönen Wissenschaften,

An euch soll meine Seele haften,


lächerlich machte, das war für ihn sehr kränkend und beschämend, und er hätte viel darum gegeben, daß er diesen Vers nicht gemacht hätte.

Nachdem Reiser ein Vierteljahr lang die Singstunden des Kantors besucht hatte, erreichte er nun auch das so sehnlich gewünschte Glück, ins Chor zu gehen, wo er die Altstimme sang. –

Die Freude über seinen neuen Stand eines Chorschülers dauerte einige Wochen, solange es nämlich gut Wetter blieb. Er fand ein gar großes Vergnügen an den Arien und Motetten, die er singen hörte, und an den freundschaftlichen Unterredungen mit seinen Mitschülern, während daß sie von einem Hause und einer Straße zur andern gingen.

Ein solches Chor hat viel Ähnliches mit einer herumwandernden Truppe Schauspieler, in der man auch Freude und Leid, gutes und schlechtes Wetter usw. auf gewisse Weise miteinander teilt, welches immer ein festeres Aneinanderschließen zu bewirken pflegt.[149]

Am meisten hatte sich Reiser auf den blauen Mantel gefreut, der ins künftige seine Zierde sein würde. – Denn dieser Mantel näherte sich doch schon etwas der priesterlichen Kleidung. – Aber auch diese Hoffnung täuschte ihn sehr; denn die Frau Filter ließ, um für ihn zu sparen, aus ein paar alten blauen Schürzen einen Mantel für ihn zusammennähen, womit er unter den übrigen Chorschülern eben keine glänzende Figur machte.

Nun bemerkte Reiser gleich am ersten Tage unter den Chorschülern einen, der sich von den übrigen ganz besonders auszeichnete. – Man sahe es ihm gleich an, daß er ein Ausländer war, wenn man es auch nicht an seiner Sprache gehört hätte. Denn alle seine Mienen und Bewegungen zeigten mehr Lebhaftigkeit und Gewandtheit als das Äußere der steifen und schwerfälligen Hannoveraner. – Reiser konnte sich immer nicht satt an ihm sehen; und da er ihn nun reden hörte, so konnte er sich nicht enthalten, seine wohlgesetzten Ausdrücke in dem obersächsischen Dialekt zu bewundern; alles, was die Hannoveraner sagten, kam ihm dagegen plump und abgeschmackt vor. – Nun war der Präfektus im Chore ein alter versoffener Kerl, mit dem sich dieser Ausländer immer am meisten herumzankte und ihm gemeiniglich sehr treffende und beißende Antworten zu geben pflegte, wenn der Präfektus sich eine Art von Oberherrschaft über ihn anmaßen wollte. Und als dieser unter andern einmal zu ihm sagte, er sei schon zu lange Präfektus, als daß er sich von so einem Gelbschnabel dürfe Anzüglichkeiten sagen lassen, so antwortete der Ausländer, es bringe ihm freilich eben nicht viel Ehre, daß er so ein alter Knabe und noch immer Präfektus sei. – Diese Überlegenheit des Witzes, womit der Ausländer den Präfektus auf einmal niederschlug, machte Reisern noch aufmerksamer auf ihn, und da er sich nach dem Namen desselben erkundigte, erfuhr er, daß er Reiser hieße und aus Erfurt gebürtig sei.

Nun war es Reisern sehr auffallend, daß dieser junge Mensch, den er schon so liebgewonnen hatte, gerade mit ihm einerlei Namen führte, ohngeachtet er wegen der Entfernung des Geburtsortes schwerlich mit ihm verwandt sein konnte. – Er hätte gern gleich mit ihm Bekanntschaft gemacht, aber er wagte es noch[150] nicht, weil sein Namensgenosse ein Primaner und er nur ein Sekundaner war. – Auch fürchtete er sich vor dem Witze desselben, dem er sich nicht gewachsen fühlte, wenn er einmal auf ihn sollte gerichtet werden. Indes fügte sich ihre Bekanntschaft von selber, indem Philipp Reiser auf Anton Reisers stilles und in sich gekehrtes Wesen ebenso wie dieser auf das lebhafte Wesen von jenem immer aufmerksamer wurde und sie sich ohngeachtet dieser Verschiedenheit ihrer Charaktere bald unter der Menge herausfanden und Freunde wurden.

Dieser Philipp Reiser war gewiß ein vortrefflicher Kopf, der aber auch durch die Umstände, worin ihn das Schicksal versetzt hat, unterdrückt worden ist. – Nebst einer feinen Empfindung besaß er viel Witz und Laune, wirkliches musikalisches Talent und war zugleich ein vorzüglicher mechanischer Kopf – aber er war arm und dabei im höchsten Grade stolz – ehe er Wohltaten angenommen hätte, würde er Hunger gelitten haben, welches er auch wirklich öfters tat. – Hatte er aber Geld, so war er freigebig und gastfrei wie ein König, – dann schmeckte ihm wohl, was er genoß, wenn er reichlich davon mitteilen konnte – aber er hatte freilich Einnahme und Ausgabe nicht allzu gut berechnen gelernt und hatte daher sehr oft Gelegenheit, sich in der großen Kunst des freiwilligen Entbehrens von dem, was man sonst gern hätte, zu üben. – Ohne jemals Anweisung dazu gehabt zu haben, verfertigte er sehr gute Klaviere und Fortepianos, welches ihm zuweilen ansehnliche Einnahmen verschaffte, die ihm aber freilich bei seiner gar zu großen Freigebigkeit nicht viel halfen. – Dabei hatte er den Kopf beständig voll romanhafter Ideen und war immer in irgendein Frauenzimmer sterblich verliebt; wenn er auf diesen Punkt kam, so war es immer, als hörte man einen Liebhaber aus den Ritterzeiten. – Seine Treue in der Freundschaft, seine Begierde, den Notleidenden zu helfen, und selbst seine Gastfreiheit kam auf diesen Schlag heraus und gründete sich zum Teil auf die romanhaften Begriffe, womit seine Phantasie genährt war, obgleich sein gutes Herz der eigentliche Grund davon war – denn nur auf dem Boden eines guten Herzens können dergleichen Auswüchse von romanhaften Tugenden emporkeimen und Wurzel[151] fassen. In einer eigennützigen Seele und zusammengeschrumpften Herzen wird die häufigste Romanenlektüre nie dergleichen Wirkungen hervorbringen. – Man siehet nun leicht ein, warum Philipp und Anton Reiser sich auf halbem Wege begegneten und bei dem nähern Umgange füreinander gemacht zu sein schienen. Der erstere war beinahe zwanzig Jahre alt, da Reiser ihn kennen lernte; die Jahre, die er vor ihm voraus hatte, machten ihn also gewissermaßen zu seinem Führer und Ratgeber, nur schade, daß in dem Hauptpunkte, was die Ordnung des Lebens betraf, Reiser keinen bessern Führer und Ratgeber fand. – Indes hatte er doch nun den ersten eigentlichen Freund seiner Jugend gefunden, dessen Umgang und Gespräche ihm die Stunden, die er im Chore zubringen mußte, noch einigermaßen erträglich machten.

Denn nun war das schöne Wetter vorbei, und es stellten sich Regen, Schnee und Kälte ein – demohngeachtet mußte das Chor seine gewissen Stunden auf der Straße singen. – O, wie zählte Reiser jetzt, da er vom Frost erstarret war, die Minuten, ehe das lästige Singen vorbei war, das ihm sonst eine himmlische Musik in seinen Ohren dünkte.

Den ganzen Mittwoch – und Sonnabendnachmittag und den ganzen Sonntag nahm nun allein das Chorsingen weg – denn alle Sonntagmorgen mußten die Chorschüler in der Kirche sein, um vom Chore herunter das Amen zu singen. – Auch des Sonnabendnachmittags bei der Vorbereitung zum Abendmahle mußten die jüngern Chorschüler mit dem Kantor ein Lied singen und einer von ihnen einen Psalm oben von dem hohen Chore herunter lesen, welches nun für Reisern wieder ein großer Fund war – durch eine solche öffentliche und laute Vorlesung eines Psalms hielt er sich wieder für alle Beschwerlichkeiten des Chorsingens belohnt. – Er dünkte sich nun schon wie der Pastor Paulmann in Braunschweig dazustehen und mit erschütternder Stimme zu dem versammleten Volke zu reden.

Übrigens aber wurde das Chorsingen für ihn bald die unangenehmste Sache von der Welt. Es raubte ihm alle Erholungsstunden, die ihm noch übrig waren, und machte, daß er nun keinem einzigen ruhigen Tage in der Woche entgegensehen konnte. Wie[152] verschwanden die goldnen Träume, die er sich davon gemacht hatte! – Und wie gern hätte er sich nun aus dieser Sklaverei wieder losgekauft, wenn es noch möglich gewesen wäre. – Aber nun war das Chorgeld einmal zu seinen gewöhnlichen Einkünften mit gerechnet, und er durfte gar nicht einmal daran denken, je wieder davon loszukommen.

Den Gefährten seiner Sklaverei ging es größtenteils nicht besser wie ihm, sie waren dieses Lebens ebenso überdrüssig. – Und das Leben eines Chorschülers, der sich sein Brot vor den Türen ersingen muß, ist auch wirklich ein sehr trauriges Leben. Wenn einer den Mut nicht ganz dabei verliert, so ist das gewiß ein seltner Fall. Die meisten werden am Ende niederträchtig gesinnet und verlieren, wenn sie es einmal geworden sind, nie ganz die Spur davon.

Einen sonderbaren Eindruck auf Reisern machte das sogenannte Neujahrsingen, welches drei Tage nacheinander dauert und wegen der sehr abwechselnden Szenen, die dabei vorfallen, mit einem Zuge auf Abenteuer sehr viel Ähnliches hat. – Ein Häufchen Chorschüler steht in Schnee und Kälte dicht aneinander gedrängt auf der Straße, bis ein Bote, der von Zeit zu Zeit abgeschickt wird, die Nachricht bringt, daß in irgendeinem Hause soll gesungen werden. – Dann geht man in das Haus hinein und wird gemeiniglich in die Stube genötigt, wo denn erst eine Arie oder Motette, die sich auf die Zeit paßt, gesungen wird. – Alsdann pflegt mancher Hauswirt so höflich zu sein und die Chorschüler mit Wein oder Kaffee und Kuchen zu bewirten. Diese Aufnahme in einer warmen Stube, nachdem man oft lange in der Kälte gestanden hatte, und die Erfrischungen, die einem gereicht wurden, waren eine solche Erquickung, und die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, indem man an einem Tage wohl zwanzig und mehr verschiedene häusliche Einrichtungen und Familien in ihren Wohnzimmern versammlet sahe, machte einen so angenehmen Eindruck auf die Seele, daß man diese drei Tage über in einer Art von Entzückung und beständigen Erwartung neuer Szenen schwebte und sich die Beschwerden der Witterung gern gefallen ließ. – Das Singen dauerte bis fast in die Nacht, und die Erleuchtung[153] des Abends machte dann die Szene noch feierlicher. – Unter andern wurde auch in einem Hospital für alte Frauen zum Neujahr gesungen, wo sich die Chorschüler mit den alten Müttern in einen Kreis zusammensetzen und mit gefalteten Händen singen mußten: ›Bis hieher hat mich Gott gebracht‹ usw. – Bei diesem Neujahrsingen schien alles freundschaftlicher gegeneinander zu sein. Man sahe nicht so sehr auf die Rangordnung, die Primaner sprachen mit den Sekundanern, und eine ungewöhnliche Heiterkeit verbreitete sich über die Gemüter.

An diesem Neujahr überfiel auch Reisern eine erstaunliche Wut, Verse zu machen. – Er schrieb Neujahrwünsche in Versen an seine Eltern, seinen Bruder, die Frau Filter und wer weiß an wen und sprach darin von Silberbächen, die sich durch Blumen schlängeln, und von sanften Zephirs und goldnen Tagen, daß es zum Bewundern war. – Sein Vater hatte vorzügliches Vergnügen an dem Silberbach gefunden; seine Mutter aber verwunderte sich, daß er seinen Vater bester Vater nenne, da er doch nur einen Vater habe.

Seine poetische Lektion bestand damals fast in nichts als Lessings kleinen Schriften, die ihm Philipp Reiser geliehen hatte, und die er fast auswendig wußte, so oft hatte er sie durchgelesen. Übrigens sieht man leicht, daß er, seitdem er ins Chor ging, zu eignen Arbeiten, die von ihm abhingen, eben nicht viel Zeit übrig behielt. Demohngeachtet hatte er allerlei große Projekte; der Stil im Kornelius Nepos war ihm z.E. nicht erhaben gnug, und er nahm sich vor, die Geschichte der Feldherrn ganz anders einzukleiden; etwa so wie der Daniel in der Löwengrube geschrieben war – dies sollte denn auch eine Art von Heldengedicht werden.

In einer Privatstunde bei dem Konrektor wurden des Terenz Komödien gelesen, und schon der Gedanke, daß dieser Autor unter die schweren gezählt wird, machte, daß er ihn mit größerm Eifer als etwa den Phädrus oder Eutropius studierte und jedes Stück, was in der Schule gelesen wurde, sogleich zu Hause übersetzte. –

Als er nun auf die Weise wirklich in sehr kurzer Zeit starke Fortschritte getan hatte, besuchte er den alten tauben Mann wieder,[154] der nun weit über hundert Jahre alt und schon eine Zeitlang kindisch gewesen war, zu aller Verwunderung aber noch ein Jahr vor seinem Tode seinen völligen Verstand wieder erhielt. – Reiser wußte seine Stube am Ende des langen finstern Ganges, und ihm wandelte ein kleiner Schauer an, als er von ferne den scharrenden Gang des alten Mannes hörte, der ihn, da er hereintrat, sehr freundlich willkommen hieß und ihm mit der Hand winkte, daß er ihm etwas aufschreiben solle.

Mit vielem Entzücken schrieb ihm nun Reiser auf, daß er jetzt studiere und schon den Terenz und das griechische Neue Testament übersetze.

Der Greis ließ sich herab, an Reisers kindischer Freude teilzunehmen, und wunderte sich darüber, daß er bereits den Terenz verstünde, wozu doch schon eine Menge von Wörtern gehöre. Am Ende schrieb ihm Reiser, um seine Gelehrsamkeit ganz auszukramen, mit griechischen Buchstaben etwas auf – und der alte Mann ermunterte ihn zum fernern Fleiß und ermahnte ihn, des Gebets nicht zu vergessen, worauf er sich mit ihm auf die Knie niederwarf und gerade so wie vor fünf Jahren, da Reiser ihn zum ersten Male sah, wieder mit ihm betete.

Mit gerührtem Herzen ging Reiser zu Hause und nahm sich vor, sich ganz wieder zu Gott zu wenden, das hieß bei ihm, unaufhörlich an Gott zu denken – er erinnerte sich mit Wehmut des Zustandes, worin er sich als ein Knabe befunden hatte, da er mit Gott Unterredung hielt und immer voll hoher Erwartung war, was nun für große Dinge in ihm vorgehen würden. – In diesen Erinnerungen lag eine unbeschreibliche Süßigkeit, denn der Roman, den die frömmelnde Phantasie der gläubigen Seelen mit dem höchsten Wesen spielt, von dem sie sich bald verlassen und bald wieder angenommen glauben, bald eine Sehnsucht und einen Hunger nach ihm empfinden und bald wieder in einem Zustande der Trockenheit und Leere des Herzens sind, hat wirklich etwas Erhabnes und Großes und erhält die Lebensgeister in einer immerwährenden Tätigkeit, so daß auch die Träume des Nachts sich mit überirdischen Dingen beschäftigen, wie denn Reisern einst träumte, daß er in die Gesellschaft der Seligen aufgenommen[155] war, die sich in kristallnen Strömen badeten. – Ein Traum, der oft wieder seine Einbildungskraft entzückt hat.

Reiser liehe sich nun von dem alten Tischer die Guionschen Schriften wieder und erinnerte sich, indem er sie las, an jene glücklichen Zeiten zurück, wo er seiner Meinung nach auf dem Wege zur Vollkommenheit begriffen war. – Wenn er nun manchmal durch seine äußern Umstände traurig und mißmütig gemacht war und ihm keine Lektüre schmecken wollte, so waren die Bibel und die Lieder der Madam Guion das einzige, wozu er wegen des reizenden Dunkels, das ihm darin herrschte, seine Zuflucht nahm. Ihm schimmerte durch den Schleier des rätselhaften Ausdrucks ein unbekanntes Licht entgegen, das seine erstorbne Phantasie wieder anfrischte – aber mit dem eigentlichen Frommsein oder dem beständigen Denken an Gott wollte es demohngeachtet nicht mehr recht fort. – In den Verbindungen, worin er jetzt war, bekümmerte man sich eben nicht mehr um seinen Seelenzustand, und er hatte in der Schule und im Chore viel zu viel Zerstreuung, als daß er auch nur eine Woche lang seiner Neigung zum ununterbrochnen Insichgekehrtsein hätte getreu bleiben können.

Indes besuchte er doch den Greis vor seinem Tode noch verschiedene Male, bis er auch einmal zu ihm gehen wollte und erfuhr, daß er tot und begraben sei. – Seine letzten Worte waren gewesen: Alles! alles! alles! – Diese Worte erinnerte sich Reiser oft mitten im Gebet oder auch sonst nach einer Pause in einer Art von Entzückung von ihm gehört zu haben. – Es schien dann zuweilen, als wollte er mit diesen Worten seinen zur Ewigkeit reifen Geist aushauchen und in dem Augenblick seine sterbliche Hülle abstreifen. – Darum war es Reisern sehr auffallend, da er hörte, daß der alte Mann mit diesen Worten gestorben sei, und doch war es ihm auch, als sei er nicht gestorben, so sehr schien dieser fromme Greis immer schon in einer andern Welt zu leben. – Tod und Ewigkeit waren die letzten Male, da ihn Reiser sprach, fast sein einziger Gedanke. – Es war Reisern diesmal fast nicht anders, als ob der alte Mann ausgezogen sei, da er ihn habe besuchen wollen, und dies war bei ihm nichts weniger als Gleichgültigkeit,[156] sondern eine innige Vertraulichkeit mit dem Gedanken an den Tod dieses Mannes.

Indes hatte er an dem alten Mann wieder einen Freund seiner Jugend verloren, dessen Teilnehmung an seinem Schicksale ihm oft Freude gemacht hatte. Er fühlte sich in manchen Stunden, ohne selbst zu wissen warum, verlaßner wie sonst. – Die Frau Filter wurde der Last, welche ihr sein Aufenthalt bei ihr machte, ebenfalls immer überdrüssiger und sagte ihm endlich, nachdem sie dreiviertel Jahre lang Geduld gehabt hatte, die Wohnung auf, mit dem wohlgemeinten Rate, daß er sich nun nach einem andern Logis umsehen solle. – Indes war der Rektor des Lyzeums abgegangen, und der neue Rektor Sextroh, welcher an dessen Stelle gewählt wurde, war ein guter Freund von dem Pastor Marquard, der nun darauf dachte, Reisern bei diesem Mann ins Haus zu bringen, und ihn im voraus auf die großen Vorteile aufmerksam machte, welche ihm dadurch erwachsen würden, wenn er das Glück haben sollte, von diesem Manne in sein Haus aufgenommen zu werden. – Also bei dem Rektor sollte nun Reiser ins Haus ziehen – wie sehr schmeichelte dies seiner Eitelkeit! Denn, dachte er sich, wenn es ihm glücken sollte, sich bei dem Rektor beliebt zu machen, was für eine glänzende Aussicht sich ihm dann eröffnete, da überdem nun der Rektor sein Lehrer wurde, indem er nach Endigung seines ersten Schuljahres gleich nach Prima versetzt werden sollte, worin der Direktor und der Rektor allein Unterricht gaben.

Im Grunde war es ihm äußerst angenehm, daß ihm die Frau Filter die Wohnung aufsagte, weil er es nie hätte wagen dürfen, nur ein Wort davon zu erwähnen, daß er von ihr wegziehen wolle. – Hiezu kam nun noch, daß er die große Erwartung hatte, ein Hausgenosse des Rektors, seines künftigen Lehrers, zu werden. Allein um diese Zeit hatte sich eine neue Grille in seiner Phantasie zu bilden angefangen, welche auf sein ganzes künftiges Leben einen großen Einfluß gehabt hat.

Ich habe nämlich schon der Deklamationsübungen erwähnt, welche in Sekunda von dem Konrektor veranstaltet wurden. Dies hatte für ihn und Iffland einen so außerordentlichen Reiz, daß alles[157] andre sich dagegen verdunkelte und Reiser nichts mehr wünschte, als Gelegenheit zu haben, mit mehreren seiner Mitschüler einmal eine Komödie aufzuführen, um sich im Deklamieren hören zu lassen – dies hatte einen so unendlichen Reiz für ihn, daß er eine Zeitlang Tag und Nacht mit diesem Gedanken umging und selber den Entwurf zu einer Komödie machte, wo zwei Freunde voneinander getrennt werden sollten und darüber untröstlich waren usw. – Auch fand er in Leydings Handbibliothek, die ihm jemand geliehen hatte, ein rührendes Drama in Versen: ›Der Einsiedler‹, welches er gern mit Iffland aufführen wollte. Er wünschte sich denn eine recht affektvolle Rolle, wo er mit dem größten Pathos reden und sich in eine Reihe von Empfindungen versetzen könnte, die er so gern hatte und sie doch in seiner wirklichen Welt, wo alles so kahl, so armselig zuging, nicht haben konnte. – Dieser Wunsch war bei Reisern sehr natürlich; er hatte Gefühle für Freundschaft, für Dankbarkeit, für Großmut und edle Entschlossenheit, welche alle ungenutzt in ihm schlummerten; denn durch seine äußere Lage schrumpfte sein Herz zusammen. – Was Wunder, daß es sich in einer idealischen Welt wieder zu erweitern und seinen natürlichen Empfindungen nachzuhängen suchte!

In dem Schauspiel schien er sich gleichsam wiederzufinden, nachdem er sich in seiner wirklichen Welt beinahe verloren hatte. – Darum wurde auch in der Folge seine Freundschaft mit Philipp Reisern beinahe eine theatralische Freundschaft, die oft so weit ging, daß einer für den andern zu sterben entschlossen war. – Nun wurde ihm die Theatergrille so wert, daß die Sucht zu predigen beinahe ganz dadurch aus seiner Seele verdrängt wurde – denn hier fand seine Phantasie einen weit größern Spielraum, weit mehr wirkliches Leben und Interesse als in dem ewigen Monolog des Predigers. – Wenn er die Szenen eines Dramas, das er entweder gelesen oder sich selbst in Gedanken entworfen hatte, durchging, so war er das alles nacheinander wirklich, was er vorstellte, er war bald großmütig, bald dankbar, bald gekränkt und duldend, bald heftig und jedem Angriff mutig entgegenkämpfend.

Dabei war ihm nun die Aussicht auf Prima äußerst glänzend –[158] denn die Primaner des Lyzeums in Hannover hatten wirklich so viele äußere in die Augen fallende Vorzüge, wie in wenigen Schulen stattfinden mögen. – Sie hielten alle Neujahr bei einer großen Menge Zuschauer einen öffentlichen Aufzug mit Musik und Fackeln, indem sie dem Direktor und dem Rektor ein Vivat brachten. – Am Abend darauf überreichten sie das eine Jahr dem Direktor und das andere dem Rektor ein freiwillig zusammengebrachtes Geschenk, das gemeiniglich über hundert Taler betrug, und wobei derjenige, der es überreichte, eine kurze lateinische Rede hielt – alsdann wurden sie mit Wein und Kuchen bewirtet und durften sich die Freiheit herausnehmen, ihrem Lehrer in seiner Behausung ein lauterschallendes Vivat zu rufen.

Fast ein Vierteljahr vorher wurde immer schon von der Anordnung dieses Zuges gesprochen.

Alle Sommer in den Hundstagen wurde von den Primanern öffentlich Komödie gespielt, wo ihnen die Wahl der Stücke und die Anordnung ebenfalls allein überlassen war. – Dies beschäftigte sie fast den ganzen Sommer über. – Dann fiel im Jenner das Geburtsfest der Königin und im Mai das Geburtsfest des Königs ein, wo allemal mit großer Feierlichkeit ein Redeaktus veranstaltet wurde, bei dem der Prinz, die Minister und fast alle Honoratioren der Stadt erschienen. Die Vorbereitung hiezu nahm nun jedesmal sehr viel Zeit weg. – Dazu kamen jährlich noch zwei öffentliche Prüfungen, die auch allemal mit Ferien begleitet waren. – Hiedurch ging freilich viel Zeit verloren. – Indes waren dies alles doch so viele glänzende Ziele für einen ehrgeizigen Jüngling, welche ihm den Reiz der Schuljahre immer wieder auffrischten, sobald er verlöschen wollte.

Etwa einmal einer der Anführer bei dem Zuge mit Fackeln zu sein oder die lateinische Rede bei Überreichung des Geschenks zu halten oder eine Hauptrolle in einem der aufgeführten Stücke zu bekommen oder gar eine Rede an des Königs oder der Königin Geburtstage zu halten, das waren die Wünsche und Aussichten eines Primaners des Lyzeums in Hannover. – Hiezu kam nun noch der elegante Hörsaal der ersten Klasse, mit dem zierlich gebauten doppelten Katheder von schöngebohnten Nußbaumholz und vor[159] den Fenstern die grünen Vorhänge, welches alles sich vereinigte, um Reisers Phantasie aufs neue mit reizenden Bildern von seinem künftigen Zustande anzufüllen und seine Erwartung von dem, was nun mit ihm vorgehen würde, bis auf den höchsten Grad zu spannen. Sogleich nach seinem ersten Schuljahre ein Primaner zu werden, das war ein Glück, welches er sich kaum hätte träumen lassen.

Erfüllt von diesen Hoffnungen und Aussichten reiste er nun in der Ferienwoche vor Ostern mit Fuhrleuten, die denselben Weg nahmen, zu seinen Eltern, um ihnen sein Glück zu verkündigen. – Auf dieser Reise, da der Weg größtenteils durch Wald und Heide ging, nahm seine vorher erwärmte Phantasie einen außerordentlichen Schwung; er entwarf Heldengedichte, Trauerspiele, Romane und wer weiß was – zuweilen fiel ihm auch der Gedanke ein, sein Leben zu schreiben; der Anfang, den er sich dachte, lief aber immer auf den Schlag der Robinsons hinaus, die er gelesen hatte, daß er nämlich in dem und dem Jahre zu Hannover von armen, doch ehrlichen Eltern geboren sei, und so sollte es denn weiter fortgehen.

Sooft er nachher zu seinen Eltern reiste, es mochte nun zu Fuß oder zu Wagen sein, war unterwegens seine Einbildungskraft immer am geschäftigsten – ein ganzer Zeitraum seines verfloßnen Lebens stand vor ihm da, sobald er die vier Türme von Hannover aus dem Gesicht verlor – der Gesichtskreis seiner Seele erweiterte sich denn mit dem Gesichtskreis seiner Augen. – Er fühlte sich aus dem umschränkten Zirkel seines Daseins in die große weite Welt versetzt, wo alle wunderbaren Ereignisse, die er je in Romanen gelesen hatte, möglich waren – daß etwa von jenem Hügel plötzlich sein Vater oder seine Mutter wie aus der Ferne ihm entgegenkommen und wie er denn freudig auf sie zueilen würde – er glaubte schon den Ton der Stimme seiner Eltern zu hören – und da er nun das erstemal diese Reise tat, so empfand er wirklich das reinste Vergnügen der sehnlichen Erwartung, bei seinen Eltern zu sein: denn was hatte er ihnen nicht für große Dinge zu erzählen!

Da er nun am folgenden Mittag hinkam, bewillkommten ihn[160] seine Eltern und seine beiden Brüder mit herzlicher Freude in ihrer ländlichen Wohnung. Sie hatten einen kleinen Garten hinter dem Hause und waren soweit recht gut eingerichtet. Aber mit dem Hausfrieden stand es leider, wie er bald sahe, noch nach wie vor. Er hörte indes von seinem Vater wieder die Zither spielen und die Lieder der Madam Guion dazu singen. – Sie unterredeten sich nun auch über die Lehren der Madam Guion, und Reiser, der sich in seinem Kopfe schon eine Art von Metaphysik gebildet hatte, die nahe an den Spinozismus grenzte, traf mit seinem Vater oft wunderbar zusammen, wenn sie von dem All der Gottheit und dem Nichts der Kreatur, das die Madam Guion lehrte, sprachen. Sie glaubten sich einander zu verstehen, und Reiser empfand ein unendliches Vergnügen in diesen Unterredungen mit seinem Vater, denn es war ihm schmeichelhaft, daß sich sein Vater, der ihn sonst nur für einen dummen Jungen zu halten schien, nun selbst über dergleichen erhabne Gegenstände mit ihm unterredete. Dann besuchten sie den Prediger und die Honoratioren des Orts, wo Reiser allenthalben mit ins Gespräch gezogen wurde und sich auch, weil ihm diese Behandlung Selbstzutrauen einflößte, dabei ganz gut nahm. – Die Nachbaren seiner Eltern, und wer sonst hinkam, waren alle aufmerksam auf den Sohn des Lizentschreibers, den der Prinz in Hannover studieren ließe. – Die reine, ungetrübte Freude, die Reiser in diesen wenigen Tagen genoß, verbunden mit den angenehmsten Hoffnungen ersetzte ihm reichlich allen Kummer und unverdiente Demütigungen, die er ein ganzes Jahr hindurch erlitten hatte.

So nahe wie seine Mutter nahm doch niemand in der Welt an seinem Schicksal teil – sooft er sich des Abends zu Bette legte, sprach sie das ›Gott walte‹ über ihn und schlug über seine Stirne das Kreuz dazu, wie sie ehemals getan hatte, damit er sicher schlafen sollte, und kein Abend und kein Morgen verging, wo sie ihn auch in seiner Abwesenheit nicht mit in ihr Gebet einschloß. – Mit Wehmut nahm Reiser Abschied von seinen Eltern, und da er die Türme von Hannover wiedersahe, so beklemmten traurige Ahndungen sein Herz.

Den andern Tag nach seiner Zurückkunft wurde er von dem Direktor[161] zu der Klassenversetzung geprüft, und da er aus des Cicero Buche von den Pflichten etwas aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzen sollte, so fügte es sich, daß er in dem Exemplar, das ihm der Direktor gab, unglücklicherweise ein Blatt mit solcher Ungeschicklichkeit umschlug, daß er es beinahe zerrissen hätte. Durch so etwas konnte nun die Empfindlichkeit des Direktors, der in allem stets die äußerste Delikatesse suchte, gerade am stärksten beleidigt werden. – Reiser verlor unendlich bei ihm durch diesen Zug von anscheinenden Mangel an feiner Empfindung und feiner Lebensart. Der Direktor verwies ihm auf eine sehr bittere Art seine Ungeschicklichkeit, so daß Reisers Zutrauen zu dem Direktor, durch die Beschämung, worin er durch diesen bittern Verweis versetzt wurde, ebenfalls einen gewaltigen Stoß erhielt, wovon es sich nie wieder erholen konnte. Das schüchterne Wesen, das Reiser auf diese Veranlassung von nun an in der Gegenwart des Direktors bewies, diente dazu, ihn bei denselben noch immer mehr herabzusetzen. – Kurz, von einem einzigen zu schnell umgeschlagenen Blatte in dem Exemplar des Direktors von Ciceros Buche von den Pflichten schrieben sich größtenteils alle die Leiden her, die Reisern von nun an in seinen Schuljahren bevorstanden, und welche sich vorzüglich auf den Mangel der Achtung des Direktors gründeten, dessen Beifall, woran ihm so viel lag, er zuerst durch das zu schnelle Blattumschlagen verscherzt hatte.

Hiezu kam nun noch, daß die Frau Filter, ob er gleich von ihr wegzog, ihm doch sein neues Kleid einschloß und er mit einem alten Rock, den er noch von dem Hutmacher Lobenstein hatte, Prima besuchen mußte, wo er neben sich fast lauter wohlgekleidete junge Leute sahe. Der Rock gab ihm ein lächerliches Ansehen, weil er ihm zu kurz geworden war. Dies fühlte er selbst, und der Umstand trug sehr viel zu der Schüchternheit in seinem Wesen bei, das er in Prima mehr wie jemals äußerte. – Auch waren der Kantor und der Konrektor äußerst auf ihn aufgebracht, daß er ihnen von seiner Versetzung nach Prima vorher nichts gesagt und ohne ihren Rat diesen Schritt getan hätte. Er entschuldigte sich so gut er konnte damit, daß er es nicht bedacht hätte. Der Kantor[162] verzieh ihm auch bald, aber der Konrektor hat es ihm nie verziehen, sondern es ihn noch lange nachher entgelten lassen. Er machte nämlich eine starke Forderung an Reisern für die Privatstunden, die dieser bei ihm gehabt hatte, und wovon jedermann glaubte, daß er sie ihm umsonst würde gegeben haben – dies Geld ließ er Reisern einige Jahre hindurch von seinem Chorgelde abziehen, wenn es dieser oft am nötigsten brauchte. – Ein Umstand, der ihn ebenfalls sehr niederschlug.

Nun bekam er in dem Hause des Rektors zwar eine Stube und Kammer, aber auch weiter nichts, denn der Rektor war selbst noch nicht recht eingerichtet. Reiser hatte noch eine wollene Decke von seinen Eltern, dazu mietete man ihm ein Kopfküssen und Unterbette, um ja soviel wie möglich zu sparen; wenn es nun des Nachts kalt war, so mußte er seine Kleider zu Hülfe nehmen, um sich hinlänglich zu bedecken. Ein altes Klavier, das er hatte, diente ihm statt eines Tisches, dazu hatte er eine kleine Bank aus dem Auditorium des Rektors, über dem Bette ein kleines Bücherbrett an einem Nagel hängend, und in der Kammer hatte er einen alten Koffer mit ein paar abgetragenen Kleidungsstücken stehen – das war seine ganze häusliche Einrichtung, wobei er sich aber doch um ein großes glücklicher befand als in der Stube der Frau Filter, in welcher sonst weit mehr Bequemlichkeiten waren.

Wenn er nun allein auf seiner Stube war, so befand er sich so weit recht wohl, aber zu dem Rektor konnte er noch kein Zutrauen fassen. Wenn er ihn gleich im Schlafrock und in der Nachtmütze sahe, so schien doch immer ein Nimbus von Ernst und Würde sich um ihn her zu verbreiten, der Reisern in großer Entfernung von ihm hielt – er mußte ihm seine Bibliothek in Ordnung bringen helfen; wenn er denn zuweilen so dicht bei ihm stand, indem er ihm Bücher zureichte, daß er seinen Atem hören konnte, so fühlte er oft einige anschließende Kraft in sich – aber in dem folgenden Augenblick war die Schüchternheit und Verlegenheit wieder da. – Demohngeachtet liebte er den Rektor – und sein mit romanhaften Ideen angefüllter Kopf ließ ihn manchmal den Wunsch tun, daß er doch mit dem Rektor auf irgendeine unbewohnte[163] Insel versetzt werden möchte, wo sie durch das Schicksal gleichgemacht auf einen freundschaftlichen und vertrauten Fuß umgehen könnten.

Der Rektor tat alles, um Reisern Mut und Zutrauen einzuflößen; er ließ ihn verschiedne Mal mit sich allein an seinem Tische speisen und unterredete sich mit ihn. – Reiser hatte damals schon Schriftstellerprojekte: er wollte die alte Acerra philologika in einen bessern Stil bringen, und der Rektor war so gütig, ihn zu ermuntern, daß er immer dergleichen Projekte für die Zukunft nähren und sich mit dergleichen Ausarbeitungen beschäftigen solle.

Wenn nun Reiser über so etwas mit dem Rektor sprach, so fehlte es ihm immer an den rechten Ausdrücken, deren er sich bedienen sollte, welches seine Perioden sehr unterbrochen machte. – Denn er schwieg lieber, ehe er das unrechte Wort zu dem Gedanken wählte, den er ausdrücken wollte. – Der Rektor half ihm dann mit vieler Nachsicht zurecht. – Er ließ ihn auch zuweilen des Abends zu sich auf die Stube kommen und sich von ihm vorlesen.

Reiser erdreistete sich denn auch manchmal, Fragen an ihn zu tun: in wiefern z.B. ein Stuhl ein Individuum zu nennen sei, da man ihn doch immer noch wieder teilen könne, welcher Zweifel ihm bei der Logik, die er vom Direktor hörte, aufgefallen war – und der Rektor löste ihm sehr herablassend seinen Zweifel auf und lobte ihn dabei wegen seines Nachdenkens über dergleichen Gegenstände; ja, er scherzte zuweilen gar mit ihm, und wenn er ihm den Auftrag gab, irgendein Buch oder sonst etwas zu holen, so tat er dies nie in einem befehlenden Tone, sondern bittweise. – So war nun alles soweit recht gut – aber das Blattumschlagen schien nun einmal für Reisern eine unglückliche Sache zu sein – er mußte einmal für den Rektor geheftete Bücher aufschneiden und machte das so ungeschickt, daß er mit dem Federmesser tiefe Einschnitte in die Blätter machte, wodurch ein paar Bücher fast ganz verdorben wurden. – Der Rektor wurde darüber sehr böse und machte ihm den bittern Vorwurf, als ob er aus Bosheit die Einschnitte in die Blätter gemacht habe, um von der Arbeit frei zu sein. – Das war nun freilich nicht der Fall – der Vorwurf[164] schmerzte Reisern und trug viel dazu bei, seinen allmählich wachsenden Mut wieder niederzuschlagen.

Indes erholte er sich doch noch einmal wieder, da ihn der Rektor auf einer kleinen Reise nach einer benachbarten katholischen Stadt mitnahm, um die Feier des Fronleichnamsfestes mit anzusehen. – Der Rektor, der Konrektor, der Kantor und ein paar Kandidaten der Theologie fuhren auf einem Wagen mit Extrapost, wo Reiser auch ein Plätzchen erhielt. – Nun hörte er diese ehrwürdigen Männer, die durch das Aneinanderschließen, welches gemeiniglich bei einer kleinen Reisegesellschaft stattzufinden pflegt, vertraulich gemacht waren, sehr lebhaft miteinander scherzen; und dies tat eine ganz besondere Wirkung auf Reisern. – Der Nimbus um ihre Köpfe verschwand allmählich, und er sahe an ihnen zum ersten Male Menschen, wie andre Menschen sind. – Denn noch nie hatte er eine Gesellschaft von Schwarzröcken zusammengesehen, die sich ohne Zwang miteinander besprachen und alle das steife, zeremonienmäßige Wesen, das ihnen sonst von ihrem Stande anklebt, auf eine Zeitlang gegeneinander ablegten. Nur der gute Kantor behielt immer ein gewisses steifes Wesen bei, und da unterwegs eine große Menge Bettler, die geistliche Lieder absangen, dem Wagen entgegenkamen, schraubte man den Kantor mit diesem Auftritt, indem man ihn wegen dieser schrecklichen Disharmonien, wodurch sein Gehör ganz erschüttert wurde, herzlich bedauerte. – Es war zum ersten Male, daß Reiser sahe, wie sich solche ehrwürdige Männer auch ebenso wie andre Leute untereinander schrauben könnten. Und diese Erfahrung, die er machte, war ihm sehr nützlich, indem er nun jeden Priester, den er sonst noch immer gewissermaßen als eine Art von übermenschlichem Wesen betrachtete, sich etwa in den Zirkel einer solchen Reisegesellschaft dachte und ihn denn in seiner Vorstellung von dem Nimbus, der ihn vorher umgab, mit leichter Mühe entblößte.

Allein er fühlte es demohngeachtet wieder lebhaft, welch ein unbedeutendes Wesen er in dieser Gesellschaft war; und da man alle Merkwürdigkeiten der Klöster und andre Sachen in der katholischen Stadt besahe, wozu noch eine Anzahl zum Teil auch fremder[165] Personen sich gesellte, so fühlte er, wie es sich immer von selbst verstand, daß er bei allem der letzte war, und daß er dies noch als eine große Ehre ansehen mußte, die ihm widerfuhr – dieser Gedanke machte, daß er sich in der Gesellschaft verlegen, albern und dumm betrug, und dies verlegene und alberne Betragen fühlte er auch wieder selbst weit stärker, als es vielleicht irgend jemand außer ihm bemerken mochte; darum war er die Zeit über, in welcher er so viel Neues zu hören und zu sehen bekam, nichts weniger als glücklich und wünschte sich wieder auf sein einsames Stübchen mit der Bank und dem alten Klaviere und dem Bücherbrett, das über dem Bett am Nagel hing.

Was aber nun vorzüglich anfing, ihm sein Schicksal zu verbittern, war eine neue unverdiente Demütigung, wozu seine gegenwärtige Lage, die er doch wiederum nicht ändern konnte, die Veranlassung gab.

Als er nämlich die ersten Male Prima besuchte, so hörte er schon zuweilen hinter sich zischeln: Sieh, das ist des Rektors Famulus! Eine Benennung, mit welcher Reiser den allerniedrigsten Begriff verband; denn er wußte von den Verhältnissen eines Famulus auf der Universität noch nichts. Ihm bezeichnete Famulus womöglich noch weniger als einen Bedienten, der seinem Herren die Schuh putzt. – Dabei deuchte es ihm, als ob er allgemein von seinen Mitschülern mit einer Art von Verachtung betrachtet würde. – Dann dachte er sich in seinem kurzen Rocke, womit er sich immer selbst in einer lächerlichen Gestalt erschien. – In Sekunda war er ohngeachtet seiner schlechten Kleidung von seinen Mitschülern noch geachtet worden, wegen der hohen Meinung, die man davon hatte, daß ihn der Prinz studieren ließ. In Prima wußte man dies zwar auch zum Teil, aber die Idee, daß er beim Rektor Famulus war, schien ihn in aller Augen herabzusetzen. – Nun kam in Prima außerordentlich viel auf den Platz an, wo man saß: höhere Plätze konnten nur durch langen fortgesetzten Fleiß erlangt werden. Gemeiniglich rückte man alle halbe Jahre nur eine Bank in die Höhe. – Die ersten vier Bänke machten den untern und die letztern drei den obern Zötus aus. – Wer nun bei den[166] halbjährigen Versetzungen zurückblieb, für den war dies eine der größten Erniedrigungen.

Nun hatte Reiser gleich am dritten Morgen, während daß ein Primaner von dem untern Katheder ein geschriebnes Gebet ablas, da ihm sein Nachbar etwas sagte, eine lächelnde Miene gemacht, und da er sahe, daß er vom Direktor bemerkt wurde, diese Miene plötzlich in eine ernsthafte zu verwandeln gesucht. – Und der Eindruck, welcher noch von dem Blattumschlagen in seiner Seele zurückgeblieben war, machte, daß diese plötzliche Veränderung seiner Miene nicht im mindesten auf eine edle, sondern vielmehr höchst mißtrauische, gemeine und sklavische Furcht verratende Art geschahe, woraus der Direktor mit einem Blick des Zorns und der Verachtung, den er währendem Gebet auf Reisern warf, seine niedrige, gemeine Denkungsart zu schließen schien. – Ein solcher Blick vom Direktor war schon etwas, das allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen pflegte. – Da nun aber das Gebet vorbei war, so sagte er Reisern ein paar Worte über das Niederträchtige in seiner Miene, welche diesen auf einmal der Verachtung der ganzen Klasse aussetzten, der die Aussprüche des Direktors Orakel waren.

Reiser getraute sich von nun an nicht mehr, seine Augen zu dem Direktor aufzuschlagen, und mußte sich in den Stunden desselben wie ein Wesen betrachten, auf das nicht die mindeste Rücksicht genommen ward: denn der Direktor rief ihn niemals auf. – Ein paar junge Leute, die nach Reisern in Prima kamen, wurden über ihn gesetzt, und er mußte verschiedene Monate lang der letzte von allen bleiben. – Der junge Rehberg, ein vorzüglicher Kopf, der sich nachher als Maler berühmt gemacht hat, saß neben Reisern und schien sich an ihn schließen zu wollen; allein ein Blick des Direktors, womit derselbe ihn ansahe, da er einmal mit Reisern sprach, dämpfte jeden Funken von Achtung, den er gegen Reisern zu haben schien, und machte sein Herz von ihm abgewandt. – Das Betragen des Direktors gegen Reisern war eine Folge von dessen schüchternen und mißtrauischen Wesen, das eine niedrige Seele zu verraten schien; allein der Direktor erwog nicht, daß eben dies schüchterne und mißtrauische Wesen[167] wieder eine Folge von seinem ersten Betragen gegen Reisern war.

Dieser war nun einmal in der Achtung seiner Mitschüler gesunken, und jeder nahm sich jetzt heraus, zum Ritter an ihm zu werden, jeder wollte seinen Witz an ihm üben, und nahm er es gleich mit einem auf, so waren wieder zwanzig andre, die miteinander wetteiferten, ihn zum Ziel ihres Spottes zu machen; selbst seine Bravour, wenn er sich zuweilen mit denen, die es zu arg machten, schlug, wodurch jeder andre sich vielleicht wieder in Achtung gesetzt hätte, wurde lächerlich gemacht. – Man zischelte sich nicht mehr in die Ohren: Seht da, des Rektors Famulus! sondern sobald er des Morgens hereintrat, hieß es: Da kömmt der Famulus! und diese Ehrenbenennung schallete ihm aus allen Ecken entgegen. Es war, als ob sich alles verschworen hätte, sich auf ihn zu setzen und ihn lächerlich zu machen. –

Dieser Zustand wurde ihm eine Hölle – er heulte, tobte und geriet in eine Art von Raserei darüber, und auch dies wurde lächerlich gemacht. – Zuletzt trat denn zuweilen eine Art von Dumpfheit der Empfindung an die Stelle seines bis zur Wut und Raserei beleidigten Stolzes – er hörte und sahe nicht mehr, was um ihn her vorging, und ließ alles mit sich machen, was man wollte, so daß er in dem Zustande ein würdiger Gegenstand des Spottes und der Verachtung zu sein schien.

Was Wunder, wenn er am Ende durch diese fortgesetzte Behandlung würklich niederträchtig gesinnt geworden wäre? – Aber er fühlte noch immer Kraft genug in sich, in gewissen Stunden sich ganz aus seiner wirklichen Welt zu versetzen. – Das war es, was ihn aufrecht erhielt. – Wenn seine Seele durch tausend Demütigungen in seiner wirklichen Welt erniedrigt war, so übte er sich wieder in den edlen Gesinnungen der Großmut, Entschlossenheit, Uneigennützigkeit und Standhaftigkeit, sooft er irgendeinen Roman oder heroisches Drama durchlas oder durchdachte. – Oft träumte er sich auf diese Weise über allen Kummer der Erde hinaus, in heitre Szenen hin, wenn er vom Frost erstarrt im Chore sang, und verphantasierte so manche Stunde, wo denn gewisse Melodien, die er hörte und mitsang, seinen Traum oft fortpflanzen[168] halfen. – Nichts klang ihm z.B. rührender und erhabener, als wenn der Präfektus anhub zu singen:


Hylo schöne Sonne

Deiner Strahlen Wonne

In den tiefen Flor –


Das Hylo allein schon versetzte ihn in höhere Regionen und gab seiner Einbildungskraft allemal einen außerordentlichen Schwung, weil er es für irgendeinen orientalischen Ausdruck hielt, den er nicht verstand und eben deswegen einen so erhabnen Sinn, als er nur wollte, hineinlegen konnte: bis er einmal den geschriebenen Text unter den Noten sahe und fand, daß es hieß:


Hüll, o schöne Sonne, usw.


Diese Worte sang der Präfektus nach seiner thüringischen Mundart immer: Hylo schöne Sonne. – Und nun war auf einmal das ganze Zauberwerk verschwunden, welches Reisern so manchen frohen Augenblick gemacht hatte. – Ebenso war es ihm immer sehr rührend, wenn gesungen wurde: ›Du verdeckest sie in den Hütten‹ oder: ›lieg ich nur in deiner Hut, o so schlaf ich sanft und gut.‹ –

Er wiegte sich oft so sehr in die süßen Empfindungen von dem Schutz eines höhern Wesens ein, daß er Regen und Frost und Schnee vergaß und sich in der ihn umgebenden Luft wie in einem Bette sanft zu ruhen schien.

Allein von außen her schien sich alles zu vereinigen, um ihn zu demütigen und niederzubeugen.

Da es Sommer wurde, verreiste der Rektor auf einige Wochen, und er blieb nun während der Zeit allein in dessen Hause zurück, wo er die Zeit zu Hause ziemlich vergnügt zubrachte, indem er sich aus der Bibliothek des Rektors einiger Bücher zum Lesen bediente und unter andern auf Moses Mendelsohns Schriften und die Literaturbriefe verfiel, woraus er sich damals zuerst Exzerpte machte. –

Insbesondre zog er sich alles aus, was das Theater anging, denn[169] diese Idee war jetzt schon die herrschende in seinem Kopfe und gleichsam schon der Keim zu allen seinen künftigen Widerwärtigkeiten.

Durch das Deklamieren in Sekunda war sie zuerst lebhaft in ihm erwacht und hatte die Phantasie des Predigens allmählich aus seinem Kopf verdrängt – der Dialog auf dem Theater bekam mehr Reize für ihn als der immerwährende Monolog auf der Kanzel. – Und dann konnte er auf dem Theater alles sein, wozu er in der wirklichen Welt nie Gelegenheit hatte – und was er doch so oft zu sein wünschte – großmütig, wohltätig, edel, standhaft, über alles Demütigende und Erniedrigende erhaben – wie schmachtete er, diese Empfindungen, die ihm so natürlich zu sein schienen und die er doch stets entbehren mußte, nun einmal durch ein kurzes, täuschendes Spiel der Phantasie in sich wirklich zu machen. –

Das war es ohngefähr, was ihm die Idee vom Theater schon damals so reizend machte. – Er fand sich hier gleichsam mit allen seinen Empfindungen und Gesinnungen wieder, welche in die wirkliche Welt nicht paßten. – Das Theater deuchte ihm eine natürlichere und angemeßnere Welt als die wirkliche Welt, die ihn umgab.

Nun kamen die Sommerferien heran, und die Primaner führten, wie sie alle Jahr zu tun pflegten, öffentlich verschiedene Komödien auf. – Reiser konnte bei der allgemeinen Verachtung, der er als ein sogenannter Famulus des Rektors ausgesetzt war, sich nicht die mindeste Hoffnung machen, eine Rolle zu erhalten; ja, er konnte nicht einmal von irgendeinem der Mitschüler ein Billett erhalten, um zuzusehn. Dies schlug ihn mehr als alles Bisherige nieder – bis er auf den Einfall kam, mit zwei bis dreien seiner Mitschüler, welche auch keine Rollen hatten, gleichsam eine Partie der Mißvergnügten auszumachen und auf deren Wohnstube bei einer kleinen Anzahl Zuschauer eine Komödie besonders aufzuführen. –

Hiezu wurde denn Philotas gewählt, wo Reiser einem andren, der die Rolle des Philotas schlecht machte, sie mit Geld abkaufte und also nun den Philotas spielte.

Nun war er in seinem Elemente. – Er konnte einen ganzen Abend[170] lang großmütig, standhaft und edel sein – die Stunden, wo er sich zu dieser Rolle übte, und der Abend, wo er sie spielte, waren von den seligsten seines Lebens – obgleich das Theater nur ein schlechtes Zimmer mit weißen Wänden und das Parterre eine Kammer war, die daran stieß, und wo man statt der ausgehobenen Türe eine wollene Decke angebracht hatte, die zum Vorhang dienen mußte; und obgleich das ganze Auditorium nur aus dem Wirt des Hauses, der ein Töpfer war, nebst dessen Frau und seinen Gesellen bestand und die ganze Erleuchtung nur mit Pfenniglichtern bewerkstelligt wurde, die auf kleinen an die Wand geklebten Stücken von nassen Leimen brannten. –

Zum Nachspiel wurde aus Millers historisch-moralischen Schilderungen der sterbende Sokrates gegeben, worin Reiser nur einen Freund des Sokrates und der eine von seinen Mitschülern, namens G ..., den sterbenden Sokrates selbst machte, welcher denn ordentlich den Giftbecher leerte und zuletzt unter Zuckungen auf einem Bette, das in die Stube gesetzt war, verschied.

Dies letzte Nachspiel war es nun, was Reisern nachher fast seine ganzen Schuljahre verbittert hat. –

Die andern Primaner hatten nämlich erfahren, daß außer der ihrigen von denen, welchen sie keine Rollen gegeben hatten, noch besonders eine Komödie aufgeführt worden sei – sie sahen dies als einen Eingriff in ihre Rechte an, und als ob es gleichsam aus Trotz und Verachtung geschehen sei. –

Sie suchten sich für diese unverzeihliche Beleidigung, wofür sie es hielten, auf alle Weise zu rächen, und von der Zeit an durfte von den vieren, welche den Philotas und den sterbenden Sokrates aufgeführt hatten, keiner des Abends sicher auf der Straße gehen. – Diese viere waren von der Zeit an ein Gegenstand des Hasses, der Verachtung und des Spottes, welcher Reisern gerade am meisten traf; denn die andern besuchten die Schulstunden selten. – Gegen Reisern hatte man schon vorher nichts als Verachtung bezeigt, die außer einer Art von unerklärbarer allgemeiner Antipathie gegen ihn ihren Grund vorzüglich in seiner erniedrigenden oder wenigstens für erniedrigend gehaltenen Situation, seiner blöden Miene und seinem kurzen Rock haben mochte; zu dieser[171] Verachtung gesellte sich nun jetzt noch eine allgemeine Erbitterung gegen ihn, welche den Spott, womit man ihn überhäufte, so beißend wie möglich zu machen suchte. –

Und ob nun gleich nicht er, sondern G ... die Rolle des sterbenden Sokrates in dem Nachspiel gemacht hatte, so hieß er doch von nun an mit einem allgemeinen Spottnamen »der sterbende Sokrates« und verlor diesen beinahe nicht eher, bis diese ganze Generation nach und nach die Schule verlassen hatte; noch ein Jahr vorher, ehe er selbst die Schule verließ, war er eine lange Zeit kränklich gewesen und gar nicht aus dem Hause gekommen; als er nun wieder einer Komödie zusehen wollte, welche die Primaner damals aufführten, ließ man ihn zwar herein, aber man sahe ihn mit einem verächtlichen, höhnischen Blick an und sagte: Da ist der sterbende Sokrates, so daß Reiser gleich umkehrte und traurig wieder zu Hause ging. –

Sonst pflegt doch immer bei den Menschen eine gewisse Gutmütigkeit zu herrschen, daß sie nur denjenigen zum Gegenstande ihres Spottes machen, der gewissermaßen unempfindlich dagegen ist; sehen sie hingegen, daß einer durch den Spott wirklich beleidigt und gekränkt wird, so treiben sie's wenigstens nicht unaufhörlich, sondern das Mitleid gewinnt doch endlich über die Spottsucht die Oberhand.

Aber das war bei Reisern der Fall nicht – seine Gestalt verfiel von Tage zu Tage, er wankte nur noch wie ein Schatten umher; es war ihm beinahe alles gleichgültig; sein Mut war gelähmt – wo er konnte, suchte er die Einsamkeit – aber das alles erweckte auch kein Fünkchen Mitleid gegen ihn. – So sehr waren aller Gemüter mit Haß und Verachtung gegen ihn erfüllt. –

Außer ihm war noch ein gewisser T ... ein Gegenstand des Spottes, der zum Teil durch seine stotternde Sprache Veranlassung dazu gab. – Dieser aber schüttete den Spott ab, wie das Tier mit der unempfindlichen Haut die Schläge. – Indem man seiner spottete, so rechtfertigte man sich selbst damit, daß ihn der Spott nicht kränkte. – Bei Reisern nahm man darauf keine Rücksicht. Dies erbitterte endlich sein Herz und machte ihn zum offenbaren Menschenfeinde.[172]

Wo sollte nun wohl bei ihm ein rühmlicher Wetteifer, Fleiß und Lust zum eigentlichen Studieren herkommen? – Er wurde ja ganz aus der Reihe herausgedrängt – er stand einsam und verlassen da und suchte nur das, wodurch er sich immer noch mehr absondern und in sich selbst zurückziehen konnte; alles, was er für sich allein auf der Stube arbeitete, las und dachte, machte ihm Vergnügen, aber zu allem, was er in den Schulstunden mit andern gemeinschaftlich arbeiten sollte, war er träge und verdrossen; es war ihm immer, als ob er gar nicht dazu gehörte. –

Das war nun die schöne Erfüllung seiner Träume von langen Reihen von Bänken, auf denen die Schüler der Weisheit saßen, unter deren Zahl er sich mit Entzücken dachte, und mit denen er einst um den Preis zu wetteifern hoffte. –

Der Rektor, bei dem er wohnte, kam nun auch von seiner Reise wieder zurück und hatte seine Mutter mitgebracht, die seine Wirtschaft auf das genaueste einzurichten suchte. – Es wurde Winter, und man dachte nicht daran, Reisers Stube zu heizen – er stand erst die bitterste Kälte aus und glaubte, man würde doch endlich auch an ihn denken – bis er hörte, daß er sich bei Tage in der Gesindestube mit aufhalten sollte. –

Nun fing er an, sich um seine äußern Verhältnisse gar nicht mehr zu bekümmern. – Von seinen Lehrern sowohl als von seinen Mitschülern verachtet und hintangesetzt – und wegen seines immerwährenden Mißmuts und menschenscheuen Wesens bei niemand beliebt, gab er sich gleichsam selber in Rücksicht der menschlichen Gesellschaft auf – und suchte sich nun vollends ganz in sich zurückzuziehen.

Er ging zu einem Antiquarius und holte sich einen Roman, eine Komödie nach der andern und fing nun mit einer Art von Wut an zu lesen. – Alles Geld, was er sich vom Munde absparen konnte, wandte er an, um Bücher zum Lesen dafür zu leihen; und da nach einiger Zeit der Antiquarius ihn kennen lernte und ihm ohne jedesmalige bare Bezahlung Bücher zum Lesen liehe, so hatte sich Reiser, ehe er es merkte, tief in Schulden hineingelesen, die, so klein sie sein mochten, damals für ihn unerschwinglich waren.

Er suchte diese Schuld zum Teil durch den Verkauf seiner angeschafften[173] Schulbücher zu tilgen, die ihm der Antiquarius für ein Spottgeld abnahm – und ihm dafür aufs neue Bücher zum Lesen lieh, bis er wieder in neue Schulden geriet und denn wieder ängstlich auf Tilgung derselben denken mußte.

Das Lesen war ihm nun einmal so zum Bedürfnis geworden, wie es den Morgenländern das Opium sein mag, wodurch sie ihre Sinne in eine angenehme Betäubung bringen. – Wenn es ihm an einem Buche fehlte, so hätte er seinen Rock gegen den Kittel eines Bettlers vertauscht, um nur eins zu bekommen. – Diese Begierde wußte der Antiquarius wohl zu nutzen, der ihm nach und nach alle seine Bücher ablockte und sie oft in seiner Gegenwart sechsmal so teuer wieder verkaufte, als er sie ihm abgekauft hatte.

Es war unter diesen Umständen keinem zu verdenken, der Reisern für einen lüderlichen aus der Art geschlagnen jungen Menschen hielt, welcher seine Schulbücher verkaufte, statt seine Kenntnisse zu vermehren und den Unterricht seiner Lehrer zu nutzen, nichts als Romane und Komödien las – und dabei sein Äußeres ganz vernachlässigte; denn es war sehr natürlich, daß Reiser keine Lust zu seinem Körper hatte, da er doch niemanden in der Welt gefiel – und dann wurde auch alle das Geld, was die Wäscherin und der Schneider hätten bekommen sollen, dem Bücherantiquarius hingebracht – denn das Bedürfnis zu lesen ging bei ihm Essen und Trinken und Kleidung vor, wie er denn wirklich eines Abends den Ugolino las, nachdem er den ganzen Tag nicht das mindeste genossen hatte, denn seinen Freitisch hatte er über dem Lesen versäumt und für das Geld, was zum Abendbrot bestimmt war, hatte er sich den Ugolino geliehen und ein Licht gekauft, bei welchem er in seiner kalten Stube in eine wollene Decke eingehüllt die halbe Nacht aufsaß und die Hungerszenen recht lebhaft mitempfinden konnte.

Indes waren diese Stunden noch die glücklichsten, welche er gleichsam aus dem Gewirre der übrigen herausriß – seine Denkkraft war vollkommen wie berauscht – er vergaß sich und die Welt. –

Er las auf die Weise nach der Reihe die zwölf oder vierzehn Bände durch, welche damals vom deutschen Theater heraus waren, und[174] weil er Yoriks empfindsame Reisen mit großem Vergnügen zwei- bis dreimal durchgelesen hatte, so lieh er sich auch von dem Antiquarius die empfindsamen Reisen durch Deutschland von Schummel.–

Nun hatte er damals schon angefangen, sich die Titel der Bücher, welche er gelesen hatte, in einem dazu bestimmten Buche niederzuschreiben und sein Urteil dabei zu setzen, das mehrmalen ziemlich richtig ausfiel; wie er denn z.B. bei die empfindsamen Reisen durch Deutschland von Schummel das Urteil schrieb: ein exercitium extemporaneum, weil der Verfasser selbst gestand, daß er alle die verschiedenen Sachen in diesem dicken Buche bloß zusammengeschrieben habe, damit man urteilen solle, zu welchem Fach in der Schriftstellerei er sich wohl am besten schicken würde. – Der Verfasser dieser empfindsamen Reisen hat nachher dies exercitium extemporaneum durch seinen Spitzbart hinlänglich wieder gutgemacht.

Aber nicht leicht hat Reisern bei irgendeinem Buche die Zeit, welche er auf das Lesen desselben gewandt hatte, mehr gereut als bei diesen empfindsamen Reisen. –

So lernte er nun von selbst allmählich das Mittelmäßige und Schlechte von dem Guten immer besser unterscheiden. –

Bei allem aber, was er las, war und blieb nun die Idee vom Theater immer bei ihm die herrschende – in der dramatischen Welt lebte und webte er – da vergoß er oft Tränen, indem er las, und ließ sich wechselsweise bald in heftige, tobende Leidenschaft des Zorns, der Wut und der Rache und bald wieder in die sanften Empfindungen des großmütigen Verzeihens, des obsiegenden Wohlwollens und des überströmenden Mitleids versetzen. –

Seine ganze äußere Lage und seine Verhältnisse in der wirklichen Welt waren ihm so verhaßt, daß er die Augen davor zuzuschließen suchte. – Der Rektor rief ihn im Hause bei seinem Namen, wie man einen Bedienten ruft; und einmal mußte er einen seiner Mitschüler, der ein Sohn eines Freundes vom Rektor war, bei demselben zum Essen bitten; und während daß dieser des Abends bei dem Rektor speiste, mußte Reiser Wein holen und in der Gesindestube sein, die gleich neben der Stube war, wo gespeist[175] wurde, und wo er hören konnte, wie sein Mitschüler sich mit dem Rektor unterhielt, während daß er bei der Magd in der Stube saß.

Der Rektor gab verschiedene Privatstunden – wenn er nun etwa eine davon nicht halten konnte, so mußte Reiser bei seinen Mitschülern, mit denen er doch auch an diesem Unterricht teilnahm, herumgehen und ihnen die Privatstunde absagen, welches den Übermut derselben gegen ihn noch vermehrte.

Diese Zurücksetzung hatte ihren guten Grund in seinem Betragen – er war unteilnehmend an allem, was außer ihm vorging, und zu jedem Geschäft, was ihn aus seiner Ideenwelt herauszog, träge und verdrossen. – Was Wunder, da er an nichts teilnahm, daß man auch wieder an ihm nicht teilnahm, sondern ihn verachtete, hintansetzte und vergaß?

Allein man erwog nicht, daß eben dies Betragen, weswegen man ihn zurücksetzte, selbst eine Folge von vorhergegangner Zurücksetzung war. – Diese Zurücksetzung, welche in einer Reihe von zufälligen Umständen gegründet war, hatte den Anfang zu seinem Betragen und nicht sein Betragen, wie man glaubte, den Anfang zur Zurücksetzung gemacht.

Möchte dies alle Lehrer und Pädagogen aufmerksamer und in ihren Urteilen über die Entwicklung der Charaktere junger Leute behutsamer machen, daß sie die Einwirkung unzähliger zufälliger Umstände mit in Anschlag brächten und von diesen erst die genaueste Erkundigung einzuziehen suchten, ehe sie es wagten, durch ihr Urteil über das Schicksal eines Menschen zu entscheiden, bei dem es vielleicht nur eines aufmunternden Blicks bedurfte, um ihn plötzlich umzuschaffen, weil nicht die Grundlage seines Charakters, sondern eine sonderbare Verkettung von Umständen an seinem schlecht in die Augen fallenden Betragen schuld war.

Anton Reisers Schicksal schien es nun einmal zu sein, Wohltaten zu seiner Qual zu empfangen. – Es war Wohltat, daß er ein Jahr lang bei der Frau Filter im Hause war, und in welcher peinlichen und drückenden Lage brachte er dieses Jahr zu! – Es war Wohltat, daß er bei dem Rektor im Hause war, nur was für unzählige Demütigungen[176] und Verachtung von seinen Mitschülern zog ihm dieser ihm so reizend geschilderte Aufenthalt zu!

Dem äußern Anschein nach konnte nun auch von Reisern niemand als schlecht urteilen – und der Rektor sagte selbst zum Pastor Marquard, es würde höchstens einmal ein Dorfschulmeister aus ihm werden. – Dies hielt der Pastor Marquard nachher Reisern wieder vor, und sein Mut wurde durch dies Urteil des Rektors über ihn, dem er damals noch nicht viel Selbstgefühl entgegensetzen konnte, noch mehr niedergeschlagen.

Weil nun der Rektor sicher zu glauben schien, daß aus Reisern doch nie etwas würde, so brauchte er ihn indes, wozu er noch zu brauchen war, nämlich zu allerlei kleinen Diensten, die er ihn in und außer dem Hause verrichten ließ – und Reiser wurde nun im Grunde völlig wie ein Domestik betrachtet, ob er gleich ein Primaner hieß.

Einmal genoß er denn doch noch die Vorrechte eines Primaners, da er von dem Chorgelde, das er erhielt, seinen Teil zum Neujahrgeschenke für den Rektor mit hergab und auch dem Aufzuge mit Fackeln beiwohnte, da dem Direktor und dem Rektor nach hergebrachter Weise zum Neujahr eine Musik gebracht und ein Vivat gerufen wurde. –

Ob er gleich bei diesem Zuge der letzte oder einer der letzen in der Ordnung war, so erhob es doch seinen Mut außerordentlich wieder, da er sich ohngeachtet der vielen Herabwürdigungen und Demütigungen, die er erfahren hatte, doch hier gleichsam wieder in Reihe und Glied mit den übrigen stehen sahe, einen Degen nebst einer Fackel tragen und das Vivat mit rufen durfte.

Die Musik, die Zuschauer, die Erleuchtung von den Fackeln, die Anführer mit Federhüten und entblößten Degen – das alles beseelte ihn wieder mit neuem Mut, da er sich in diesem glänzenden Aufzuge mit befand. –

Und da er am andern Tage mit unter der Zahl der Primaner stand und dem Rektor mit einer lateinischen Anrede an ihn das Neujahrsgeschenk, wozu Reiser doch auch seinen Teil beigetragen hatte, auf einem silbernen Teller überreicht wurde, so fühlte er sich einmal mit einigem Wohlgefallen wieder in der wirklichen[177] Welt. – Er sahe sich doch hier nicht ganz ausgeschlossen und verdrängt. – Allein wie sehr verbitterte ihm der Haß und Übermut seiner Mitschüler auch diese kleine Aufmunterung wieder! –

Der Rektor bewirtete die Primaner, welche ihm das Geschenk gebracht hatten, mit Wein und Kuchen. – Diese tranken zu wiederholten Malen seine Gesundheit, wobei sie denn am Ende, da ihnen der Wein in die Köpfe stieg, ziemlich laut wurden. – Reiser trank einige Gläser Wein, ohne schlimme Folgen zu besorgen allein die gänzliche Ungewohnheit des Weintrinkens machte, daß ihn ein paar Gläser schon etwas berauschten; nun legten es seine edeldenkenden Mitschüler darauf an, ihn gänzlich betrunken zu machen, welches ihnen teils durch List und teils durch Drohungen gelang, so daß Reiser allerlei verwirrtes Zeug redete und am Ende zu Bette gebracht werden mußte. –

War nun Reiser vorher schon in dem Zutrauen und der Achtung aller derer, die ihn kannten, gesunken, so gab dieser Vorfall seinem guten Kredit nun vollends den letzten Stoß. – Vorher war er schon ein träger, unordentlicher und unfleißiger, nun war er auch ein unmäßiger und schlechter Mensch, weil er in dem Hause seines Lehrers, der zugleich sein Wohltäter war, durch sein unanständiges Betragen zugleich das undankbarste Herz verraten hatte.

Alle diese Folgen sahe Reiser dunkel voraus, da er am andern Morgen erwachte, und indem er sich anzog, machte er sich schon auf Bitte und Entschuldigung bei dem Rektor wegen seines gestrigen Betragens gefaßt. –

Er hatte seine Anrede recht gut ausstudiert und versicherte unter andern, daß er diesen Flecken auf alle Weise wieder würde auszutilgen suchen, worauf ihm denn der Rektor eben nicht sehr tröstlich antwortete, daß die nachteiligen Folgen von diesem Vorfall, wenn er bekannt würde, wohl schwerlich zu verhüten sein würden.

Der Rektor hatte darin sehr recht – denn der Vorfall wurde bald bekannt, und es hieß nun: Wie! der junge Mensch lebt von Wohltaten, selbst der Prinz wendet so viel an ihn, und da er in dem Hause seines Lehrers, seines Wohltäters, der ihm Obdach gibt,[178] gastfreundlich bewirtet wird, beträgt er sich so – wie niederträchtig, wie undankbar!

Ohngeachtet nun Reisern diese Folgen ahndeten, und er höchst traurig darüber war, empfand er doch am andern Tage, da er ins Chor kam und seine Mitschüler über sein blasses und verwirrtes Ansehn, das er noch von dem gestrigen Rausche hatte, lachten, eine Art von sonderbarem Stolz, gleichsam als ob er durch das gestrige Betrinken eine gewisse Bravour bezeigt hätte, daß er sogar affektierte, als ob sein Taumel noch fortdauerte, um dadurch Aufmerksamkeit auf sich zu erregen. –

Denn die Aufmerksamkeit der übrigen auf ihn, die diesmal mehr mit einer gewissen Art von Beifall als mit Spott verknüpft war, schmeichelte ihm. – Auch betrachteten ihn die andern so, wie man einen zu betrachten pflegt, der in demselben Fall ist, worin man selbst einmal war – denn der Präfektus war fast immer betrunken – dies geheime Vergnügen, welches Reiser empfand, da es ihm zu gelingen schien, sich durch das Schlechte bemerkt zu machen, ist wohl die gefährlichste Klippe der Verführung, woran die meisten jungen Leute zu scheitern pflegen.

Indes wurde dieser Übermut bei Reisern sehr bald wieder gedämpft, da er die nachteiligen Folgen, welche ihm der Rektor prophezeit hatte, nur zu bald empfand. – Allenthalben empfing man ihn mit kalten und verächtlichen Blicken. – Er ließ daher die meisten Freitische einen nach dem andern freiwillig fahren und hungerte lieber oder aß Salz und Brot – ehe er sich diesen Blicken aussetzen wollte. – Bei dem einzigen Schuster Schantz ging er noch immer mit Vergnügen hin, denn hier wurde er nach wie vor mit freundlichen Blicken empfangen, und man ließ ihn hier nicht für sein widriges Schicksal büßen.

Er war damals weit entfernt, daß er sich gegen sich selbst hätte entschuldigen sollen. – Vielmehr trauete er dem Urteil so vieler Menschen mehr als seinem eigenen Urteil über sich selbst zu – er klagte sich oft an und machte sich die bittersten Vorwürfe über seine Versäumnis im Studieren, über sein Lesen und über sein Schuldenmachen beim Bücherantiquarius – denn er war damals nicht imstande, sich das alles als eine natürliche Folge der engsten[179] Verhältnisse, worin er sich befand, zu erklären. – In solcher Stimmung der Seele, wo er gegen sich selbst aufgebracht und seine Phantasie noch durch ein Trauerspiel, das er eben gelesen hatte, erhitzt war, schrieb er einmal einen verzweiflungsvollen Brief an seinen Vater, worin er sich als den größten Verbrecher anklagte, und der mit unzähligen Gedankenstrichen angefüllt war, so daß sein Vater nicht wußte, was er aus dem Briefe machen sollte und für den Verstand des Verfassers im Ernst zu fürchten anfing. – Der ganze Brief war im Grunde eine Rolle, die Reiser spielte. – Er fand ein Vergnügen daran, sich selbst, wie es zuweilen die Helden in den Trauerspielen machen, mit den schwärzesten Farben zu schildern und dann recht tragisch gegen sich selbst zu wüten.

Da er nun niemand auf der Welt und auch sich selbst nicht einmal zum Freunde hatte, was konnte wohl anders sein Bestreben sein, als sich so viel und so oft wie möglich selbst zu vergessen?

Der Bücherantiquarius blieb daher seine immerwährende Zuflucht, und ohne diesen würde er seinen Zustand schwerlich ertragen haben, den er sich nun in manchen Stunden nicht nur erträglich, sondern sogar angenehm zu machen wußte, wenn er z.B. bei seinem Vetter, dem Perückenmacher, ein kleines, freilich eben nicht glänzendes Auditorium um sich versammlen und dem mit aller Fülle des Ausdrucks und der Deklamation, die ihm nur möglich war, irgendeines seiner Lieblingstrauerspiele, als Emilia Galotti, Ugolino oder sonst etwas Tränenvolles, wie z.B. den Tod Abels von Geßner vorlesen konnte, wobei er denn ein unbeschreibliches Entzücken empfand, wenn er rund um sich her jedes Auge in Tränen erblickte und darin den Beweis las, daß ihm sein Endzweck, durch die Sache, die er vorlas, zu rühren, gelungen war. –

Überhaupt brachte er die vergnügtesten Stunden seines damaligen Lebens entweder für sich allein oder in diesem Zirkel bei seinem Vetter, dem Perückenmacher, zu, wo er gleichsam die Herrschaft über die Geister führen und sich zum Mittelpunkte ihrer Aufmerksamkeit machen konnte – denn hier wurde er gehört – hier konnte er vorlesen, deklamieren, erzählen und lehren – und[180] er ließ sich wirklich mit den Handwerksgesellen, welche dort zusammenkamen, zuweilen in Dispüte über sehr wichtige Materien, als über das Wesen der Seele, die Entstehung der Dinge, den Weltgeist und dergleichen ein, wodurch er die Köpfe verwirrte indem er die Aufmerksamkeit dieser Leute auf Dinge lenkte, an die sie in ihrem Leben nicht gedacht hatten. –

Mit einem Schneidergesellen insbesondre, der anfing, an seinen Grübeleien Gefallen zu finden, unterhielt er sich oft stundenlang – über die Möglichkeit der Entstehung einer Welt aus nichts endlich gerieten sie auf das Emanationssystem und auf den Spinozismus – Gott und die Welt war eins.–

Wenn dergleichen Materien nicht in die Schulterminologie eingehüllt werden, so sind sie für jeden Kopf und sogar Kindern verständlich. –

Bei einem solchen Gespräch pflegte Reiser aller seiner Sorgen und seines Kummers zu vergessen – das, was ihn drückte, war denn viel zu klein für ihn, um seine Aufmerksamkeit zu beschäftigen – er fühlte sich aus dem umringenden Zusammenhange der Dinge, worin er sich auf Erden befand, auf eine Zeitlang hinaus versetzt und genoß die Vorrechte der Geisterwelt – wer ihm dann zuerst in den Wurf kam, mit dem suchte er sich in philosophische Gespräche einzulassen und seine Denkkraft an ihm zu üben. –

Indes wandte er doch seine Schulstunden ohngeachtet der wenigen Aufmunterung, die er darin genoß, und der vielen Demütigungen, die er darin erduldete, nicht ganz unnütz an. – Er schrieb bei dem Direktor neue Geschichte, Dogmatik und Logik und bei dem Rektor die Erdbeschreibung und einige Übersetzungen lateinischer Autoren nach, wodurch er denn doch immer neben seiner Komödien – und Romanlektüre noch einige wissenschaftliche Kenntnisse auffing und, ohne es eigentlich mit Absicht zu treiben, auch im Lateinischen noch einige Fortschritte machte. –

Das war aber alles nur wie zufällig – manche Stunde versäumte er dazwischen, und manche Stunde las er, während daß der Livius oder ein andrer lateinischer Autor gelesen wurde, für sich heimlich einen Roman, weil er doch einmal wußte, daß der Direktor ihn nicht mehr aufzurufen würdigte. –[181] Denn wenn er in den Schulstunden mitten unter einer Anzahl von sechs bis siebenzig Menschen saß, von denen fast kein einziger sein Freund war, und denen er fast insgesamt ein Gegenstand des Spottes und der Verachtung war, so mußte ihm dies natürlicherweise beständig eine sehr ängstliche Lage sein, wo er sich am meisten gedrungen fühlte, sich in eine andre Welt zu träumen, in der er sich besser befand. –

Aber auch diese Zuflucht mißgönnte man ihm – und indem er gerade einmal, noch ehe die Stunde anging, in einem Bande vom Theater der Deutschen las, so nahm man, während daß der Rektor hereintrat, ihm das Buch weg und legte es dem Rektor aufs Katheder hin, dem man nun auf Befragen, woher das Buch käme, sagte, daß Reiser während den Stunden darin zu lesen pflegte. Ein Blick voll wegwerfender Verachtung auf Reisern war die Antwort des Rektors auf diese Anklage.

Und dieser Blick kostete Reisern wiederum einen Teil des wenigen Selbstzutrauens, das ihm noch übrig geblieben war; denn weit entfernt, sich gegen sich selbst zu entschuldigen, glaubte er vielmehr diese Verachtung wirklich zu verdienen und hielt sich in dem Augenblick ebenso sehr für ein weggeworfnes verächtliches Wesen, als ihn der Rektor nur immer dafür halten konnte. –

Er sank durch diesen Vorfall noch tiefer als vorher in der Verachtung des Rektors – sein äußrer Zustand verschlimmerte sich daher von Tage zu Tage; und da er einmal vergessen hatte, einen Auftrag, den ihm ein Fremder an den Rektor gegeben hatte, auszurichten, so bediente sich der Rektor zum ersten Male des harten Ausdrucks gegen ihn, diese Vernachlässigung eines ihm gegebnen Auftrags sei ja eine ›wahre Dummheit‹.

Dieser Ausdruck brachte auf eine lange Zeit eine Art von wirklicher Seelenlähmung in ihm hervor. – Diesen Ausdruck und das »dummer Knabe« vom Inspektor auf dem Seminarium und das »ich meine Ihn ja nicht« von dem Kaufmann S ... hat er nie vergessen können – sie haben sich in alle seine Gedanken verwebt und ihm lange nachher oft alle Gegenwart des Geistes in Augenblicken benommen, wo er sie am meisten bedurfte.

Ein Freund des Rektors, welcher einige Wochen bei ihm logierte,[182] und für den Reiser auch einige Gänge tun mußte, gab der Magd und ihm bei seinem Abschiede ein Trinkgeld. – Reiser hatte eine sonderbare Empfindung dabei, da er das Geld nahm; es war ihm, als ob er einen Stich erhielte, wo sich der erste Schmerz plötzlich wieder verlor – denn er dachte an den Bücherantiquarius, und in dem Augenblick war alles übrige vergessen – für das Geld konnte er mehr als zwanzig Bücher lesen – sein beleidigter Stolz hatte sich noch zum letztenmal empört und war nun besiegt. – Reiser nahm von diesem Augenblick an keine Rücksicht mehr auf sich selbst – und warf sich in Ansehung seiner äußern Verhältnisse völlig weg. –

Seine Kleidung, die immer schlechter und unordentlicher wurde, kümmerte ihn nicht mehr.

In der Schule, im Chore und wenn er auf der Straße ging, dachte er sich mitten unter Menschen wie allein – denn keiner war, der sich um ihn bekümmerte oder an ihm teilnahm. – Sein eignes äußres Schicksal war ihm daher so verächtlich, so niedrig und so unbedeutend geworden, daß er aus sich selbst nichts mehr machte an dem Schicksal einer Miß Sara Sampson, einer Julie und Romeos hingegen konnte er den lebhaftesten Anteil nehmen; damit trug er sich oft den ganzen Tag herum.

Nichts war ihm unausstehlicher, als, wenn die Lehrstunden geendigt waren, sich beim Herausgehen unter dem Schwarm seiner insgesamt besser gekleideten, muntern und lebhaftern Mitschüler zu befinden, von denen ihn keiner mehr an seiner Seite zu gehen würdigte – wie oft wünschte er sich in solchen Augenblicken endlich von der Last seines Körpers befreit und durch einen plötzlichen Tod aus diesem quälenden Zusammenhange gerissen zu werden! Wenn er denn etwa durch ein Gäßchen, wo niemand neben ihm ging, sich den Blicken seiner Mitschüler entziehen konnte, wie froh eilte er dann in die einsamsten und abgelegensten Gegenden der Stadt, um seinen traurenden Gedanken eine Weile ungestört nachzuhängen.

Der größte Dummkopf unter allen, welcher auch allgemein verachtet war – gesellte sich zuweilen zu ihm, und Reiser nahm seine Gesellschaft mit Freuden an; denn es war doch ein Mensch, der[183] sich zu ihm gesellte – wenn er dann mit diesem ging, so hörte er oft hie und da einen seiner Mitschüler zu dem andern sagen: Par nobile Fratrum! (Ein edles Paar Gebrüder!) Mit diesem wirklichen Dummkopf wurde er also zugleich in eine Klasse geworfen. –

Da nun der Rektor auch gesagt hatte, es würde höchstens ein Dorfschulmeister aus ihm werden, so kam dies alles zusammen, um Reisern sein Selbstzutrauen gänzlich zu rauben, so daß er nun fast alles Zutrauen zu seinen eignen Verstandeskräften fahren ließ und oft im Ernst anfing, sich selbst für den Dummkopf zu halten, wofür er so allgemein erkannt wurde. – Dieser Gedanke artete denn aber auch zugleich in eine Art von Bitterkeit gegen den Zusammenhang der Dinge aus – er verwünschte in den Augenblicken die Welt und sich – weil er sich als ein höchst verächtliches Wesen zum Spott der Welt geschaffen glaubte. –

Wie weit das Vorurteil seiner Mitschüler gegen ihn und ihre Überzeugung von seiner angebornen Dummheit ging, davon mag Folgendes zum Beweise dienen:

Der Rektor hatte ihm erlaubt, die Privatstunden, welche er in seinem Hause gab, mit zu besuchen. – Unter andern gab nun der Rektor auch eine englische Stunde. – Reiser hatte das Buch nicht, worin gelesen wurde, und konnte sich also zu Hause nicht üben, er mußte mit einem andern einsehen; demohngeachtet begriff er in ein paar Wochen von bloßem Zuhören die meisten Regeln der englischen Aussprache; und da ihn der Rektor zufälligerweise auch einmal mit zum Lesen aufrief, so las er weit fertiger und besser als alle übrigen, die das Buch gehabt und sich zu Hause geübt hatten. –

Er hörte also einmal in der Nebenstube über sich sprechen, der Reiser müsse doch so dumm nicht sein, weil er die schwere englische Aussprache so bald gefaßt hätte; um nun diese günstige Meinung von ihm ja nicht aufkommen zu lassen, behauptete sogleich einer geradezu, Reisers Vater sei ein geborner Engländer, und er erinnre sich also der englischen Aussprache noch von seiner Kindheit her; die übrigen waren sehr bereit, dies zu glauben –[184] und so war denn Reiser aufs neue zu seiner vorigen Niedrigkeit in den Augen seiner Mitschüler herabgesunken.

Man sieht aus diesem allen, daß die Achtung, worin ein junger Mensch bei seinen Mitschülern steht, eine äußerst wichtige Sache bei seiner Bildung und Erziehung ist, worauf man bei öffentlichen Erziehungsanstalten bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit gewandt hat. –

Was Reisern damals aus seinem Zustande retten und auf einmal zu einem fleißigen und ordentlichen jungen Menschen hätte umschaffen können, wäre eine einzige wohlangewandte Bemühung seiner Lehrer gewesen, ihn bei seinen Mitschülern wieder in Achtung zu setzen. Und das hätten sie durch eine etwas nähere Prüfung seiner Fähigkeiten und ein wenig mehr Aufmerksamkeit auf ihn sehr leicht bewirken können. –

So verstrich nun dieser Winter für ihn höchst traurig – seine kleine Ökonomie war gänzlich zerrüttet – er hatte sich in seinem schlechten Aufzuge nicht getraut, sein monatliches Geld von dem Prinzen zu holen. – Bei dem Bücherantiquarius war er für seine Einkünfte tief in Schulden geraten – auch hatte er seine übrigen notwendigsten Bedürfnisse an Wäsche und Schuhen von den wenigen Groschen, die er wöchentlich einnahm, und dem Chorgelde, das er erhielt, nicht bestreiten können, da er überdem dem Bücherantiquarius alles zubrachte.

Unter diesen Umständen reiste er in den Osterferien zu seinen Eltern, wo er den Degen ansteckte, mit dem er sich im Philotas erstochen hatte, und nun seinen Brüdern täglich diese Rolle noch einmal vorspielte, sich auch von seinem verlaßnen Zustande und der Verachtung, worin er bei seinen Mitschülern stand, hier nicht das mindeste merken ließ, sondern vielmehr das Angenehme und Ehrbringende, was er von sich sagen konnte, auf alle Weise heraussuchte – daß ihn nämlich der Rektor auf einer Reise zur Gesellschaft mitgenommen, daß er in einer Privatstunde Englisch bei ihm gelernt habe, daß er bei dem Aufzug mit Fackeln und Musik gewesen und wie es dabei zugegangen sei usw.

Auch für sich selbst suchte er soviel wie möglich alles Unangenehme und Niederdrückende aus seinen Ideen zu verbannen –[185] denn er wollte hier nun einmal in einem vorteilhaften, ehrenvollen Lichte erscheinen, so wenig beneidenswert er auch war. –

In dieser angenehmen Selbsttäuschung brachte er hier einige Tage sehr vergnügt zu – allein so leicht wie ihm diesmal geworden war, da er aus den Toren von Hannover gekommen und er die vier Türme der Stadt allmählich aus dem Gesicht verloren hatte, so schwer wurde ihm ums Herz, da er sich diesen Toren wieder näherte und die vier Türme wieder vor ihm dalagen, die ihm gleichsam die großen Stifte schienen, welche den Fleck seiner mannigfaltigen Leiden bezeichneten.

Insbesondre war ihm der hohe, eckigte und oben nur mit einer kleinen Spitze versehene Marktturm, da er ihn jetzt wieder sahe, ein fürchterliche Anblick – dicht neben diesem war die Schule das Spotten, Grinsen und Auszischen seiner Mitschüler stand mit diesem Turm auf einmal wieder vor seiner Seele da – das große Zifferblatt an diesem Turm war er gewohnt, zum Augenmerk zu nehmen, sooft er die Schule besuchte, um zu sehen, ob er auch zu spät käme. – Dieser Turm war so wie die alte Marktkirche ganz in gotischer Bauart von roten Backsteinen aufgebaut, die vor Alter schon schwärzlich geworden waren. –

In eben dieser Gegend war es, wo den Missetätern ihr Todesurteil vorgelesen wurde – kurz, dieser Marktkirchtum brachte alles in Reisers Phantasie zusammen, was nur fähig war, ihn plötzlich niederzuschlagen und in eine tiefe Schwermut zu versetzen. –

Er hätte in der Tat nicht schwermütiger sein können, als er es jetzt war, wenn er auch alles das vorausgewußt hätte, was ihm von nun an in diesem Orte seines Aufenthalts noch begegnen sollte. – War aber schon vor einem Jahre, da er auch von seinen Eltern nach Hannover wieder zurückkehrte, seine Traurigkeit nicht ohne Grund gewesen, so war sie es diesmal noch viel weniger, da ihm einer der schrecklichsten Zeitpunkte in seinem Leben bevorstand. –

Ohne indes eine Ahndungskraft bei ihm vorauszusetzen, ließ sich seine Schwermut sehr natürlich erklären – wenn man erwägt, daß seine Einbildungskraft jeden engsten Kreis seines eigentlichen wirklichen Daseins, worin er nun wieder versetzt werden sollte,[186] schnell durchlief: die Schule, das Chor, das Haus des Rektors – in diesen Kreisen, wovon ihn immer einer noch mehr wie der andre einengte und alle seine Strebekraft hemmte, sollte er sich von nun an wieder drehen – – wie gern hätte er in diesem Augenblick seinen ganzen Aufenthalt in Hannover gegen den dunkelsten Kerker vertauscht, der gewiß weit weniger Fürchterliches und Schreckliches für ihn gehabt haben würde, als alle diese ängstlichen Lagen.

Indem er nun so in schwermütige Gedanken vertieft einherging und schon nahe am Tore war, schoß auf einmal wie ein Blitz ein Gedanke durch seine Seele, der alles aufhellte und wodurch sich ihm alles wieder in einem schönern Lichte malte – er erinnerte sich, daß er schon zu Hause bei seinen Eltern gehört hatte, es wäre eine Schauspielergesellschaft nach Hannover gekommen, die den Sommer über dort spielen würde. – Dies war die damalige Ackermannsche Truppe, welche fast alle die jetzt hin und her zerstreuten Zierden aller Bühnen Deutschlands in sich vereinigte. –

Mit schnellen Schritten eilte nun Reiser der Stadt zu, die ihm vorher so verhaßt und nun plötzlich wieder über alles lieb geworden war – ohne erst zu Hause zu gehen (es war noch Vormittag, denn er war die Nacht an einem Orte unterwegens geblieben, von welchem er nur noch ein paar Meilen bis nach Hannover zu gehen hatte), eilte er sogleich nach dem Schlosse, wo er wußte, daß der Komödienzettel mit dem Personenverzeichnis angeschlagen war, und las, daß man an demselben Abend noch Emilia Galotti aufführen würde. –

Sein Herz schlug ihm für Freuden, da er dies las, gerade dies Stück, bei dem er schon so manche Träne geweint und so oft bis ins Innerste der Seele erschüttert worden, und was bis jetzt nur noch in seiner Phantasie aufgeführt war, nun auf dem Schauplatz mit aller möglichen Täuschung wirklich dargestellt zu sehn. –

Er wäre den Abend nicht aus der Komödie geblieben, hätte es auch kosten mögen, was es gewollt hätte – da er nun zu Hause kam, so wurde die Stube, worin er schlief, geweißt und etwas darin gebaut, wodurch sie ganz unbewohnbar gemacht wurde. –[187] Dieser mißtröstende Anblick des Orts seines eigentlichsten Aufenthalts trieb ihn noch mehr aus der wirklichen ihn umgebenden Welt hinaus – er schmachtete nach der Stunde, wann das Schauspiel anheben würde.

Wohin er kam, konnte er seine Freude nicht verbergen; da er bei der Frau Filter in die Stube trat, war sein erstes Wort die Komödie, welches sie ihm lange nachher vorwarf – und ebenso war es, da er zu seinem Vetter, dem Perückenmacher, kam, wo er nun einige Nächte auf dem Boden schlafen mußte, während daß seine Stube in dem Hause des Rektors erst wieder bewohnbar gemacht wurde. –

Folgende Rollenbesetzung mag ohngefähr einen Begriff davon geben, was Emilia Galotti als das erste Schauspiel, das er in dieser Stimmung der Seele sahe, für eine Wirkung auf ihn müsse gehabt haben.

Die verstorbene Charlotte Ackermann spielte die Emilia, ihre Schwester die Orsina, und die Reinecken spielte die Claudia, Borchers den Odoardo, Brockmann den Prinzen, Reineck den Appiani und Dauer den Conti. – Wo mag Emilia Galotti wohl je wieder so aufgeführt worden sein?

Wie mächtig mußte Reisers Seele hier eingreifen; da sie nun die Welt ihrer Phantasie gewissermaßen wirklich gemacht fand! – Er dachte von nun an keinen andern Gedanken mehr als das Theater und schien nun für alle seine Aussichten und Hoffnungen im Leben gänzlich verloren zu sein. –

Was er nun irgend an Geld auftreiben konnte, das wurde zur Komödie angewandt, aus welcher er nun keinen Abend mehr wegbleiben konnte, wenn er es sich auch am Munde abdarben sollte. – Um der Komödie willen aß er oft den ganzen Tag über nichts als etwas Salz und Brot, wenn ihm nicht etwa die alte Mutter des Rektors Essen auf seine Stube schickte, welches sie doch zuweilen aus Mitleid tat. –

Und weil es nun Sommer war, so genoß er auch der Wonne, auf seiner Stube wieder allein sein zu können – welches ihm mehr wert war als die köstlichsten Speisen, die er hätte genießen können. –[188] Die Aussicht auf die Komödie am Abend tröstete ihn, wenn er am Morgen zu einem traurigen Tage erwachte, wie er denn nie anders erwachte. – Denn die Verachtung und der Spott seiner Mitschüler und das dadurch erregte Gefühl seiner eignen Unwürdigkeit, welches er allenthalben mit sich umhertrug, dauerte noch immer fort und verbitterte ihm sein Leben. – Und alles, was er tat, um sich hievon loszureißen, war im Grunde eine bloße Betäubung seines innern Schmerzes und keine Heilung desselben, sie erwachte mit jedem Tage wieder, und während daß seine Phantasie ihm manche Stunde lang ein täuschendes Blendwerk vormalte, verwünschte er doch im Grunde sein Dasein. –

Die häufigen Tränen, welche er oft beim Buche und im Schauspielhause vergoß, flossen im Grunde ebensowohl über sein eignes Schicksal als über das Schicksal der Personen, an denen er teilnahm, er fand sich immer auf eine nähere oder entferntere Weise in dem unschuldig Unterdrückten, in dem Unzufriednen mit sich und der Welt, in dem Schwermutsvollen und dem Selbsthasser wieder. –

Die drückende Hitze im Sommer trieb ihn oft aus seiner Stube in die Küche oder in den Hof hinunter, wo er sich auf einen Holzhaufen setzte und las und oft sein Gesicht verbergen mußte, wenn etwa jemand hereintrat und er mit rotgeweinten Augen dasaß. –

Das war wieder the Joy of Grief, die Wonne der Tränen, die ihm von Kindheit auf im vollen Maße zuteil ward, wenn er auch alle übrigen Freuden des Lebens entbehren mußte.

Dies ging so weit, daß er selbst bei komischen Stücken, wenn sie nur einige rührende Szenen enthielten, als z.B. bei der Jagd, mehr weinte als lachte – was aber auch ein solches Stück damals für Wirkung tun mußte, kann man wieder aus der Rollenbesetzung schließen, indem die Charlotte Ackermann Röschen, ihre Schwester Hannchen, die Reinecken die Mutter, Schröder den Töffel, Reineck den Vater und Dauer den Christel spielte. –

Wenn irgend äußere Umstände fähig waren, jemanden einen entschiednen Geschmack am Theater beizubringen, so war es, Reisers Vorliebe und seine besondern Verhältnisse abgerechnet, der[189] Zufall, welcher diese vortrefflichen Schauspieler damals in eine Truppe zusammenbrachte.

Man kann nun leicht schließen, wie Romeo und Julie, die Rache von Young, die Oper Klarisse, Eugenie, welche Stücke auf Reisern den stärksten Eindruck machten, gegeben werden mußten. –

Dies hatte nun auch so sehr alle seine Gedanken eingenommen, daß er alle Morgen den Komödienzettel gleichsam verschlang und alles, auch das: der Anfang ist präzise um halb sechs Uhr und der Schauplatz ist auf dem königlichen Schloßtheater, gewissenhaft mitlas – und für einen vorzüglichen Schauspieler, den er etwa auf der Straße erblickte, fast so viel Ehrfurcht wie ehemals gegen den Pastor Paulmann in Braunschweig empfand. – Alles, was zum Theater gehörte, war ihm ehrwürdig, und er hätte viel darum gegeben, nur mit dem Lichtputzer Bekanntschaft zu haben.

Vor zwei Jahren hatte er schon den Herkules auf dem Oeta, den Grafen von Olsbach und die Pamela spielen sehen, wo Ekhof, Böck, Günther, Hensel, Brandes nebst seiner Frau und die Seilerin die vorzüglichsten Rollen spielten, und schon von jener Zeit her schwebten die rührendsten Szenen aus diesen Stücken noch seinem Gedächtnis vor, worunter Günther als Herkules, Böck als Graf von Olsbach und die Brandes als Pamela fast jeden Tag wechselsweise einmal in seine Gedanken gekommen waren – und mit diesen Personen hatte er denn auch bis zur Ankunft der Ackermannschen Truppe die Stücke, die er las, in seiner Phantasie größtenteils aufgeführt. –

Es fügte sich also gerade bei ihm, daß er, wenn jene mit diesen zusammengenommen wurden, nun alle die vorzüglichsten Schauspieler Deutschlands zu sehen bekommen hatte, die jetzt in ganz Deutschland zerstreut sind. –

Dadurch bildete sich ein Ideal von der Schauspielkunst in ihm, das nachher nirgends befriedigt wurde und ihm doch weder Tag und Nacht Ruhe ließ, sondern ihn unaufhörlich umhertrieb und sein Leben unstät und flüchtig machte. –

Weil er ehemals Böck und jetzt Brockmannen die Rollen spielen sahe, wobei am meisten geweint wurde, so waren diese auch seine[190] Lieblingsakteurs, mit denen sich seine Gedanken immer am meisten beschäftigten. –

Allein bei alle den glänzenden Szenen, die aus der Theaterwelt beständig seiner Phantasie vorschwebten, wurden seine äußern Umstände von Tage zu Tage zu schlechter. – Er verlor immer mehr in der Achtung der Menschen, geriet immer tiefer in Unordnung, – seine Kleidung und Wäsche wurden immer schlechter, so daß er am Ende Scheu trug, sich vor Menschen sehen zu lassen – er versäumte daher, so oft er konnte, die Schule und das Chor und hungerte lieber, als daß er irgendeinen seiner noch übrigen Freitische besucht hätte, ausgenommen den bei dem Schuster Schantz, wo er auch unter diesen mißlichen Umständen noch immer gastfreundlich empfangen und mit der liebreichsten Art bewirtet wurde. –

Da nun dem Rektor endlich Reisers inkorrigible Unordnung und insbesondere das immerwährende späte Zuhausekommen aus der Komödie unausstehlich wurde, so sagte er ihm das Logis auf. –

Reiser hörte die Ankündigung des Rektors, daß er zu Johanni ausziehen und sich während der Zeit nach einem andern Logis umsehen sollte, mit gänzlicher Verhärtung und Stillschweigen an, und da er wieder allein war, vergoß er nicht einmal eine Träne mehr über sein Schicksal – denn er war sich selbst so gleichgültig geworden und hatte so wenig Achtung gegen sich und Mitleid mit sich selber übrig behalten, daß, wenn seine Achtung und Empfindung des Mitleids und alle die Leidenschaften, wovon sein Herz überströmte, nicht auf Personen aus einer erdichteten Welt gefallen wären, sie notwendig sich alle gegen ihn selbst kehren und sein eignes Wesen hätten zerstören müssen.

Da ihm der Rektor das Logis aufgesagt hatte, so zog er daraus die sichere Folge, daß nun auch der Pastor Marquard sich nicht weiter um ihn bekümmern würde, und so war es nun auf einmal mit allen seinen Aussichten und Hoffnungen vorbei. – Die paar Wochen, welche er noch bei dem Rektor blieb, brachte er nach seiner gewöhnlichen Weise zu – dann zog er bei einem Bürstenbinder ins Haus, wo nun das Vierteljahr, welches er von Johanni bis zu Michaelis zubrachte, das schrecklichste und fürchterlichste in[191] seinem ganzen Leben war, und wo er oft am Rande der Verzweiflung stand. –

Da er nun hier eingezogen war, so fühlte er sich auf einmal aus alle den Verbindungen, die er vormals so ängstlich gesucht hatte, herausgesetzt und zwar, wie er selbst glaubte, durch seine eigne Schuld herausgesetzt. – Der Prinz, der Pastor Marquard, der Rektor, alle die Personen, von denen sein künftiges Schicksal abhing, waren nun nichts mehr für ihn, und damit verschwanden zugleich alle seine Aussichten. –

Was Wunder, daß sich durch diese Veranlassung eine neue Phantasie in seiner Seele bildete, in der er von nun an Trost suchte und sie Tag und Nacht mit sich umhertrug, und welche ihn von der gänzlichen Verzweiflung rettete.

Er hatte nämlich damals unter andern die Operette Klarissa oder das unbekannte Dienstmädchen gesehen, und nicht leicht hätte in seiner Lage irgendein Stück mehr Interesse für ihn haben können als dieses. –

Der vorzüglichste Umstand, wodurch dies große Interesse bei ihm bewürkt wurde, war, daß ein junger Edelmann sich entschließt, ein Bauer zu werden, und auch wirklich seinen Entschluß ausführt. – Reiser nahm auf die Veranlassung, die ihn dazu brachte, weil er nämlich das unbekannte Dienstmädchen liebte usw., gar keine Rücksicht, sondern es war ihm eine so reizende Idee, daß ein gebildeter junger Mensch sich entschließt, ein Bauer zu werden, und nun ein so feiner, höflicher und gesitteter Bauer ist, daß er sich unter allen übrigen auszeichnet. –

In dem Stande, worin sich Reiser begeben, war er nun einmal ganz zurückgesetzt, und es schien ihm unmöglich, sich je wieder darin emporzuarbeiten. – Allein für einen Bauer hatte doch sein Geist einmal weit mehr Bildung erhalten, als es sonst zu diesem Stande bedarf – als Bauer war er über seinen Stand erhoben, als ein junger Mensch, der sich dem Studieren widmet und Aussichten haben soll, fand er sich weit unter seinen Stand erniedrigt. Die Idee, ein Bauer zu werden, wurde also nun bei ihm die herrschende und verdrängte eine Zeitlang alles übrige. –

Nun besuchte damals eines Bauern Sohn, namens M ..., die[192] Schule, dem er im Lateinischen zuweilen einigen Unterricht gegeben hatte – diesem sagte er seinen Entschluß, ein Bauer zu werden, worauf ihm dann derselbe eine detaillierte Schilderung von den eigentlichen Arbeiten eines Bauernknechtes machte, die Reisern seine schönen Träume wohl hätten verderben können, wenn seine Phantasie nicht zu stark dagegen angewürkt und nur immer die angenehmen Bilder mit Gewalt nebeneinander gestellt hätte. –

Sonst kömmt auch selbst in der Operette Klarissa schon eine Stelle vor, wo ein Bauer dem jungen Edelmann, der ihm sein Gütchen abkaufen will, von seinem Vorsatz abrät – und am Ende eine sehr ausdrucksvolle Arie singt, wie der Landmann gerade im besten Arbeiten begriffen ist, und auf einmal steigt ein Gewitter auf:


Die Blitze schießen,

Die Donner rollen,

Und der Landmann geht verdrießlich,

Verdrießlich zu Hause. –


Das ›verdrießlich‹ insbesondere war durch die Musik so ausgedrückt, daß die ganze Zauberei der Phantasie schon durch dies einzige Wort hätte zerstört werden können – welches gleichsam das Gegengift aller Empfindsamkeit und hohen Schwärmerei ist, womit das Schmerzhafte, das Schreckliche, das Niederbeugende, das in Zorn Setzende, aber nur das Verdrießlichmachende nicht wohl bestehen kann.

Aber dies Gegengift half bei Reisern nicht – er ging ganze Tage einsam für sich umher und dachte darauf, wie er es machen wollte, ein Bauer zu werden, ohne doch in der Tat einen Schritt dazu zu tun – vielmehr fing er an, sich in diesen süßen Schwärmereien selbst wieder zu gefallen – wenn er sich nun als Bauer dachte, so glaubte er sich doch zu etwas Besserm bestimmt zu sein und empfand über sein Schicksal wieder eine Art von tröstendem Mitleid mit sich selbst.

Solange ihn nun diese Phantasie noch emporhielt, war er nur[193] schwermutsvoll und traurig, aber nicht eigentlich verdrießlich über seinen Zustand. – Selbst seine Entbehrung der notwendigsten Bedürfnisse machte ihm noch eine Art von Vergnügen, indem er nun beinahe glaubte, daß er für sein Verschulden doch zu sehr büßen müsse, und also noch die süße Empfindung des Mitleids mit sich selbst behielt. –

Endlich aber, nachdem er zum ersten Male drei Tage ohne zu essen zugebracht und sich den ganzen Tag über mit Tee hingehalten hatte, drang der Hunger mit Ungestüm auf ihn ein, und das ganze schöne Gebäude seiner Phantasie stürzte fürchterlich zusammen – er rannte mit dem Kopfe gegen die Wand, wütete und tobte und war der Verzweiflung nahe, da sein Freund Philipp Reiser, den er so lange vernachlässigt hatte, zu ihm hereintrat und seine Armut, die freilich auch nur in einigen Groschen bestand, mit ihm teilte. –

Indes war dies nur ein sehr geringes Palliativ – denn Philipp Reiser befand sich damals in nicht viel bessern Umständen als Anton Reiser.

Dieser geriet nun wirklich in einen fortdaurenden fürchterlichen Zustand, der der Verzweiflung nahe war.

Sowie sein Körper immer weniger Nahrung erhielt, verlosch allmählich seine ihn sonst noch belebende Phantasie, und sein Mitleid über sich selbst verwandelte sich in Haß und Bitterkeit gegen sein eignes Wesen. Ehe er nun einen Schritt zu der Verbesserung seines Zustandes getan oder sich an irgendeinen Menschen nur mit dem Schein einer Bitte gewandt hätte, unterwarf er sich lieber freiwillig mit der beispiellosesten Hartnäckigkeit dem schrecklichsten Elende. –

Denn mehrere Wochen hindurch aß er wirklich die Woche eigentlich nur einen einzigen Tag, wenn er zum Schuster Schantz ging, und die übrigen Tage fastete er und hielt mit nichts als Tee oder warmen Wasser, das einzige, was er noch umsonst erhalten konnte, sein Leben hin. – Mit einer Art von schrecklichem Wohlbehagen sahe er seinen Körper eben so gleichgültig wie seine Kleider von Tage zu Tage abfallen.

Wenn er auf der Straße ging und die Leute mit Fingern auf ihn[194] zeigten und seine Mitschüler ihn verspotteten und hinter ihm her zischten und Gassenbuben ihre Anmerkungen über ihn machten – so biß er die Zähne zusammen und stimmte innerlich in das Hohngelächter mit ein, das er hinter sich her erschallen hörte. –

Wenn er aber dann wieder zum Schuster Schantz kam, so vergaß er doch alles wieder. – Hier fand er Menschen, hier wurde auf einige Augenblicke sein Herz erweicht, mit der Sättigung seines Körpers erhielt seine Denkkraft und seine Phantasie wieder einen neuen Schwung, und mit dem Schuster Schantz kam wieder ein philosophisches Gespräch auf die Bahn, welches oft stundenlang dauerte, und wobei Reiser wieder an zu atmen fing und sein Geist wieder Luft schöpfte – dann sprach er oft in der Hitze des Disputierens über einen Gegenstand so heiter und unbefangen, als ob nichts in der Welt ihn niedergedrückt hätte. – Von seinem Zustande ließ er sich nicht eine Silbe merken. –

Selbst bei seinem Vetter, dem Perückenmacher, beklagte er sich nie, wenn er zu ihm kam, und ging weg, sobald er sahe, daß gegessen werden sollte – aber eines Kunstgriffes bediente er sich doch, wodurch es ihm gelang, sich vom Verhungern zu retten. –

Er bat sich nämlich für einen Hund, den er bei sich zu Hause zu haben vorgab, von seinem Vetter die harte Kruste von dem Teig aus, worin das Haar zu den Perücken gebacken wurde, und diese Kruste nebst dem Freitische bei dem Schuster Schantz und dem warmen Wasser, das er trank, war es nun, womit er sich hinhielt.

Wenn nun sein Körper einige Nahrung erhalten hatte, so fühlte er ordentlich zuweilen wieder etwas Mut in sich. – Er hatte noch einen alten Virgil, den ihm der Bücherantiquarius nicht hatte abkaufen wollen; in diesem fing er an, die Eklogen zu lesen. – Aus einer Wochenschrift, die Abendstunden, die er sich von Philipp Reisern geliehen hatte, fing er an, ein Gedicht, der Gottesleugner, das ihm vorzüglich gefiel, und einige prosaische Aufsätze auswendig zu lernen. – Aber mit dem bald wieder fühlbaren Mangel an Nahrung erlosch auch dieser aufglimmende Mut wieder,[195] und dann war die Tätigkeit seiner Seele wie gelähmt. – Um sich vor dem Zustande des tödlichen Aufhörens aller Wirksamkeit zu retten, mußte er zu kindischen Spielen wieder eine Zuflucht nehmen, insofern dieselben auf Zerstörung hinausliefen.

Er machte sich nämlich eine große Sammlung von Kirsch- und Pflaumenkernen, setzte sich damit auf den Boden und stellte sie in Schlachtordnung gegeneinander – die schönsten darunter zeichnete er durch Buchstaben und Figuren, die er mit Tinte darauf malte, von den übrigen aus und machte sie zu Heerführern – dann nahm er einen Hammer und stellte mit zugemachten Augen das blinde Verhängnis vor, indem er den Hammer bald hie, bald dorthin fallen ließ – wenn er dann die Augen wieder eröffnete, so sah er mit einem geheimen Wohlgefallen die schreckliche Verwüstung, wie hier ein Held und dort einer mitten unter dem unrühmlichen Haufen gefallen war und zerschmettert dalag – dann wog er das Schicksal der beiden Heere gegen einander ab und zählte von beiden die Gebliebenen.

So beschäftigte er sich oft den halben Tag – und seine ohnmächtige kindische Rache am Schicksal, das ihn zerstörte, schuf sich auf die Art eine Welt, die er wieder nach Gefallen zerstören konnte. – So kindisch und lächerlich dieses Spiel jedem Zuschauer würde geschienen haben, so war es doch im Grunde das fürchterlichste Resultat der höchsten Verzweiflung, die vielleicht nur je durch die Verkettung der Dinge bei einem Sterblichen bewirkt wurde. –

Man sieht aber auch hieraus, wie nahe damals sein Zustand an Raserei grenzte – und doch war seine Gemütslage wieder erträglich, sobald er sich nur erst wieder für seine Kirsch- und Pflaumensteine interessieren konnte – ehe er aber auch das konnte; wenn er sich hinsetzte und mit der Feder Züge aufs Papier malte oder mit dem Messer auf den Tisch kritzelte – das waren die schrecklichsten Momente, wo sein Dasein wie eine unerträgliche Last auf ihm lag, wo es ihm nicht Schmerz und Traurigkeit, sondern Verdruß verursachte – wo er es oft mit einem fürchterlichen Schauder, der ihn antrat, von sich abzuschütteln suchte. –[196] Seine Freundschaft mit Philipp Reisern konnte ihm damals nicht zustatten kommen, weil es jenem nicht viel besser ging – und so wie zwei Wandrer, die zusammen in einer brennenden Wüste in Gefahr vor Durst zu verschmachten sind, indem sie forteilen, eben nicht imstande sind, viel zu reden und sich wechselsweise Trost einzusprechen, so war dies auch jetzt der Fall zwischen Anton Reisern und Philipp Reisern.

Allein eben der G ..., welcher einst den sterbenden Sokrates gespielt hatte, wovon Reiser noch immer den Spottnamen trug, entschloß sich, bei ihm zu ziehen, und war auch gerade in denselben Umständen wie Reiser, nur mit dem Unterschiede, daß er durch wirkliche Liederlichkeit hineingeraten war – an ihm fand also Reiser nun einen würdigen Stubengesellschafter.

Es dauerte nicht lange, so zog auch der Bauernsohn, namens M., zu diesen beiden, der ebenfalls in keinen bessern Umständen war. – Es fand sich also hier eine Stubengesellschaft von drei der ärmsten Menschen zusammen, die vielleicht nur je zwischen vier Wänden eingeschlossen waren. –

Mancher Tag ging hin, wo sie sich alle drei mit nichts als gekochtem Wasser und etwas Brot hinhielten. – Indes hatten G ... und M ... doch noch einige Freitische. –

G ... war im Grunde ein Mensch von Kopf, der sehr gut sprach, und gegen den Reiser sonst immer viel Achtung empfunden hatte.

Einmal bekamen beide auch noch eine Anwandlung von Fleiß und fingen an, Virgils Eklogen zusammen zu lesen, wobei sie wirklich das reinste Vergnügen genossen, nachdem sie eine Ekloge mit vieler Mühe für sich selbst herausgebracht hatten, und nun ein jeder eine Übersetzung davon niederschrieb – allein dies konnte natürlicherweise unter den Umständen nicht lange dauern – sobald ein jeder seine Lage wieder lebhaft empfand, so war aller Mut und Lust zum Studieren verschwunden. –

In Ansehung der Kleidung war es mit G ... und M ... ebenso schlecht wie mit Reisern bestellt – sie machten daher, wenn sie ausgingen, zusammen einen Aufzug, der das wahre Bild der Liederlichkeit und Unordnung schien, so daß man mit Fingern auf[197] sie wies, weswegen sie denn auch immer auf Abwegen und durch enge Straßen aus der Stadt zu kommen suchten, wenn sie spazieren gingen.

Diese drei Leute führten nun auch völlig ein Leben, wie es mit ihrem Zustande übereinstimmte – sie blieben oft den ganzen Tag im Bette liegen – oft saßen sie alle drei zusammen, den Kopf auf die Hand gestützt, und dachten über ihr Schicksal nach; oft trennten sie sich, und ein jeder ließ für sich seiner Laune freien Lauf – Reiser ging auf den Boden und musterte seine Kirschkerne – M ... ging bei sein großes Brot, das er sorgfältig in einem Koffer verschlossen hatte – und G ... lag auf dem Bette und machte Projekte, die denn nicht die besten waren, wie sich bald nachher zeigte. – Zwei Bücher las doch Reiser damals, weil er kein anders hatte, zu verschiedenen Malen durch, indem er auf dem Boden zwischen seinen Kirschkernen saß – das waren die Werke des Philosophen von Sanssouci und Popens Werke nach Duschens Übersetzung, die er beide von dem Schuster Schantz geliehen bekommen hatte.

Diese drei Leute gingen nun auch eines Tages zusammen in einer schönen Gegend von Hannover längs dem Fluß spazieren, in welchem sich eine kleine Insel erhob, die ganz voller Kirschbäume stand. –

Für unsre drei Abenteurer waren diese Kirschbäume, die alle voll der schönsten Kirschen saßen, ein so einladender Anblick, daß sie sich des Wunsches nicht enthalten konnten, auf diese Insel versetzt zu sein, um sich an dieser herrlichen Frucht nach Gefallen sättigen zu können.

Nun fügte es sich gerade, daß eine Menge Floßholz den Fluß hinuntergeschwommen kam, welches sich in der Verengung des Flusses zwischen dem Ufer und der Insel zuweilen stopfte und eine anscheinende Brücke bis zu der Insel bildete.

Unter G ...s Anführung, der in der Ausführung solcher Projekte schon geübt zu sein schien, wurde nun ein Wagestück unternommen, das leicht allen dreien das Leben hätte kosten können. – Sie zogen nämlich da, wo das Floßholz sich gestopft hatte, ein Stück nach dem andern aus dem Wasser heraus und trugen es alle[198] auf einen Fleck, wo ihnen die Passage über den Fluß zwischen dem Ufer und der Insel am engsten zu sein schien, und nun bauten sie die Brücke, worüber sie gehen wollten, erst vor sich her, indem sie ein Stück Holz nach dem andern vor sich hinwarfen, um festen Fuß zu fassen – natürlicherweise mußte diese Brücke unter ihnen zu sinken anfangen, und sie kamen sehr tief ins Wasser, ehe sie kaum die Hälfte ihres gefährlichen Weges zurückgelegt hatten – endlich landeten sie denn doch, obgleich mit Lebensgefahr, auf der Insel an. –

Und nun bemächtigte sich aller dreier auf einmal ein Geist des Raubes und der Gier, daß ein jeder über einen Kirschbaum herfiel und ihn mit einer Art von Wut plünderte. –

Es war, als hätte man eine Festung mit Sturm erobert; man wollte für die überstandene Gefahr, die man sich selbst gemacht hatte, Ersatz haben und dafür belohnt sein.

Da man sich sattgegessen hatte, wurden alle Taschen, Schnupftücher, Halstücher, Hüte, und was nur etwas in sich fassen konnte, von Kirschen vollgestopft – und in der Dämmerung wurde der Rückweg über die gefährliche Brücke, wovon indes schon ein Teil weggeschwommen war, wieder angetreten und ohngeachtet der Beute, womit die Abenteurer belastet waren, mehr durch Zufall als Geschicklichkeit oder Behutsamkeit, glücklich geendet.

Reiser fand sich zu dergleichen Expeditionen gar nicht übel aufgelegt – dies deuchte ihm eigentlich nicht Diebstahl, sondern nur gleichsam eine Streiferei in ein feindliches Gebiet zu sein, die wegen des Muts, der dabei erfordert wird, immer noch eine ehrenvolle Sache ist. –

Und wer weiß, zu welchen Wagestücken von der Art er noch unter G ...s Anführung mit geschritten wäre, wenn er länger bei diesem gewohnt hätte. –

Allein dieser G ... gehörte denn doch im Grunde mehr zu den abgefeimten als zu den herzhaften Parteigängern – denn er war niederträchtig genug, selbst seine beiden Stubengesellschafter und Gefährten, Reisern und M ..., zu bestehlen, indem er ihnen ein paar Bücher und andre Sachen, die sie noch hatten, nahm und heimlich verkaufte, wie sich nachher zeigte. –[199] Kurz, dieser G ..., mit dem Reiser so nahe zusammen wohnte, war im Grunde ein abgefeimter Spitzbube, der, wenn er den ganzen Tag über auf dem Bette lag und nachsann, auf nichts als Bübereien dachte, die er ausführen wollte – und der demohngeachtet von Tugend und Moralität sprechen konnte wie ein Buch, wodurch er Reisern zuerst eine solche Ehrfurcht gegen ihn eingeflößt hatte.

Denn von der Tugend hatte er sich damals ein sonderbares Ideal gemacht, welches seine Phantasie so sehr einnahm, daß ihn oft schon der Name Tugend bis zu Tränen rührte. –

Er dachte sich aber unter diesem Namen etwas viel zu Allgemeines und dachte dies Allgemeine viel zu dunkel und mit zu weniger Anwendung auf besondre Vorfälle, als daß es ihm je hätte gelingen können, auch den aufrichtigsten Vorsatz, tugendhaft zu sein, auszuführen – denn er dachte immer nicht daran, wo er nun eigentlich anfangen sollte. –

Einmal kam er an einem schönen Abend von einem einsamen Spaziergang zu Hause, und der Anblick der Natur hatte sein Herz zu sanften Empfindungen geschmolzen, daß er viele Tränen vergoß und sich in der Stille gelobte, von nun an der Tugend ewig getreu zu sein! – und da er diesen Vorsatz fest gefaßt hatte, so empfand er ein so himmlisches Vergnügen über diesen Entschluß, daß es ihm nun fast unmöglich schien, je von diesem beglückenden Vorsatze wieder abzuweichen. – Mit diesen Gedanken schlief er ein – und da er am Morgen erwachte, so war es wieder so leer in seinem Herzen; die Aussicht auf den Tag war so trübe und öde; alle seine äußern Verhältnisse waren so unwiederbringlich zerrüttet; ein unüberwindlicher Lebensüberdruß trat an die Stelle der gestrigen Empfindung, womit er einschlief – er suchte sich vor sich selbst zu retten und machte den Anfang tugendhaft zu sein damit, daß er auf den Boden ging und in Schlachtordnung gestellte Kirschkerne zerschmetterte. –

Dies nun zu unterlassen und statt dessen etwa in dem alten Virgil, den er noch hatte, eine Ekloge zu lesen, wäre der eigentliche Anfang zur Ausübung der Tugend gewesen – aber auf diesen zu geringfügig[200] scheinenden Fall hatte er sich bei seinem heldenmütigen Entschlusse nicht gefaßt gemacht.

Wenn man die Begriffe der Menschen von der Tugend prüfen wollte, so würden sie vielleicht bei den meisten auf ebensolche dunkle und verworrene Vorstellungen hinauslaufen – und man sieht wenigstens hieraus, wie unnütz es ist, im allgemeinen und ohne Anwendung auf ganz besondre und oft geringfügig scheinende Fälle von Tugend zu predigen. –

Reiser wunderte sich damals oft selbst darüber, wie seine plötzliche Anwandlung von Tugendeifer so bald verrauchen und gar keine Spur zurücklassen konnte – aber er erwog nicht, daß Selbstachtung, welche sich damals bei ihm nur noch auf die Achtung anderer Menschen gründen konnte, die Basis der Tugend ist – und daß ohne diese das schönste Gebäude seiner Phantasie sehr bald wieder zusammenstürzen mußte.

Sooft es ihm während dieses Zustandes noch möglich gewesen war, einige Groschen zusammenzubringen, so oft hatte er sie auch in die Komödie getragen – da aber die Schauspielergesellschaft in der Mitte des Sommers wieder wegzog, so war nun eine Wiese vor dem neuen Tore nicht nur das Ziel seiner Spaziergänge, sondern fast sein immerwährender Aufenthalt – er lagerte sich hier zuweilen den ganzen Tag auf einen Fleck im Sonnenschein hin oder ging längs dem Flusse spazieren und freute sich vorzüglich, wenn er in der heißen Mittagsstunde keinen Menschen um sich her erblickte. –

Indem er hier ganze Tage lang seinen melancholischen Gedanken nachhing, näherte sich seine Einbildungskraft unvermerkt mit großen Bildern, welche sich erst ein Jahr nachher allmählich zu entwickeln anfingen. –

Sein Lebensüberdruß aber wurde dabei aufs äußerste getrieben oft stand er bei diesen Spaziergängen am Ufer der Leine, lehnte sich in die reißende Flut hinüber, indes die wunderbare Begier zu atmen mit der Verzweiflung kämpfte und mit schrecklicher Gewalt seinen überhängenden Körper wieder zurückbog. –[201]

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Anton Reiser. Frankfurt a.M. 1979, S. 105-203.
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