10. Auftritt.

[49] Hartwig. Bolzau. Wilhelmine. Dann Bertha und Ludmilla.


BOLZAU Arm in Arm mit Wilhelmine von rechts. Die Kapaunen waren ganz hart – aber Du bist außer Schuld, meine gute Fran Klopft ihr auf die Hand. – ganz außer aller Schuld!

WILHELMINE. Da ist ja Herr Hartwig!

BOLZAU. Auch zum Stiftungsfest – nun willkommen. Giebt ihm die Hand.

HARTWIG. Sie wissen ja, daß ich immer für die Kunst schwärme, Frau Commerzienräthin – ich wollte nicht verfehlen, den ersten Besuch in Ihrem Hause zu machen – in dem ich so oft freundlich aufgenommen wurde! Freue mich, Sie so wohl und munter zu sehn!


Ludmilla und Bertha von rechts sind zu Bolzau herangetreten.


LUDMILLA, BERTHA zugleich. Gesegnete Mahlzeit, Oheim! Geben ihm die Hand.

BOLZAU. Danke – danke – gleichfalls, lieben Kinder! Vorstellend. Herr Doctor Hartwig – meine Nichte Bertha.

HARTWIG. Freue mich sehr! – Bei Seite. Sapperment, die ist hübsch!

BOLZAU. Und hier meine Nichte Ludmilla.

HARTWIG. Habe die Ehre – Bei Seite. Das ist ja die reizende Blondine.

WILHELMINE hat das Erstaunen Hartwig's bemerkt, tritt zwischen Hartwig und Ludmilla. Kennst Du den Herrn etwa?

LUDMILLA. Nein, liebe Tante!

WILHELMINE. Es schien mir beinah so – sei so gut, laß den Kaffee in der Veranda auftragen![50]

LUDMILLA. Gleich, liebe Tante. Ab durch die Mitte.

HARTWIG für sich. Da schwebt sie schon wieder!

BERTHA hat eine Zeitung an Bolzau überreicht. Hier die neueste Zeitung, lieber Oheim! Verbeugung gegen Hartwig.

BOLZAU. Danke sehr, mein Kind.

BERTHA geht durch die Mitte ab.

HARTWIG. Die schwebt aber auch!

WILHELMINE. Ich werde den Herren den Kaffee hereinschicken – lassen Sie sich nicht stören.

HARTWIG. Oh bitte, Frau Commerzienräthin.

WILHELMINE ist an Bolzau herangetreten. Bolzau, schlafe nicht etwa, hörst Du?

BOLZAU. Aber Minettchen!

WILHELMINE. Denke daran, Du hast Marienbader Kreuz getrunken –

BOLZAU. Vor vier Wochen!

WILHELMINE. Alterchen – es bekommt Dir nicht. Hörst Du, nicht schlafen.

BOLZAU. Aber Minettchen!

WILHELMINE durch die Mitte ab.


Während der nächsten Scene sieht man Wilhelmine, Bertha und Ludmilla ab und zu durch die große Mittelthür im Garten hin- und hergehen.


BOLZAU setzt sich in die Sopha-Ecke. Hartwig auf einen Stuhl daneben. Bitte, lieber Hartwig!

HARTWIG. Sie sind ein beneidenswerther Onkel – Sieht sich nach den Damen um. ein Paar so reizende Nichten zu haben.

BOLZAU gähnend. Ja – sehr nette, gute Wesen. Bei Seite. Wenn ich jetzt eine Viertelstündchen nicken könnte.


Franz bringt ein Kaffeebrett mit Tassen – präsentirt Hartwig, der eine Tasse nimmt. Bolzau dankt.
[51]

HARTWIG. Um aber von unserem Fest zu sprechen, lieber Herr Commerzienrath – ich bin eigentlich in Geschäften hier –

BOLZAU. In Geschäften – so.

HARTWIG. Sie sind ja Vorsitzender in der heutigen Comité-Sitzung. Ich muß Ihnen offen sagen, daß sich die Concordia zurückgesetzt fühlt.

BOLZAU. So – so – Gähnt.

HARTWIG. Man hat das Tenor-Solo mit Brummstimmen vom Programm gestrichen. Nicht etwa, weil ich das Tenor-Solo habe, berühre ich diesen Punkt – Gott bewahre – aber wenn die Euterpe uns unsre besten Nummern streicht, können wir nicht zur Geltung kommen – das werden Sie einsehn – nicht wahr?

BOLZAU mit Schlaf kämpfend. Sehe ich ein! Hm –

HARTWIG. Die Concordia muß also darauf bestehn, daß das Tenor-Solo vorgetragen wird. Zweitens wegen der Festrede. Ihr Neffe Scheffler hat im vorigen Jahre die Festrede gehalten – daraus kann aber doch nicht das Recht hervorgehn, daß er nun stets diese Rede hält. Ich mache mir in der That eigentlich gar nichts aus dem reden – obgleich ich eine gewisse Gabe der Rede zu haben glaube – aber die Concordia wünscht, daß der Redner für dieses Jahr aus ihrer Mitte genommen wird. Ja ich glaube, die Concordia tritt ganz zurück, wenn diesem Wunsch nicht nachgegeben wird, und so habe ich es übernommen, Ihnen dies vorzutragen. Wie ist Ihre Meinung darüber, Herr Commerzienrath? Sieht Bolzau an. Ich glaube gar, er schläft – und ich habe doch so interessant gesprochen. – Steht auf. Zu Wilhelmine, die mit Ludmilla und Bertha eintritt. Pst – pst – Frau Commerzienräthin – er schläft! Tritt zu Ludmilla und Bertha.

WILHELMINE vortretend. Er schläft? Sieht Bolzau an. Richtig! Oh über die Schwäche der Männer – er weiß, daß es ihm schädlich ist, und nun doch – Tritt zu ihm – berührt ihn leise. Bolzau.[52]

BOLZAU. Hm! Macht eine Belegung mit der Hand, als wenn er die Fliegen fortjagen will.

WILHELMINE wie oben. Bolzau! Etwas stärker.

BOLZAU. Hm! Geste wie oben.

WILHELMINE schüttelt ihn etwas. Aber Bolzau!

BOLZAU erwachend. Ja ja – Tenor-Solo mit Brummstimmen. Sieht Wilhelmine. Ah so – Du bist es, Minna!

WILHELMINE vorwurfsvoll. Aber Bolzau! Ist das Deine Stärke?

BOLZAU. Ich habe nicht geschlafen – nein, ich sprach ja mit Hartwig – Steht auf.

WILHELMINE. Du hast nur so gethan – das kenne ich schon! Komm, ich mache mit Dir eine Promenade in den Garten – das ist Dir viel gesünder – komm – komm.

BOLZAU. Na denn in Gottes Namen, mein Engel! Nimmt Wilhelminen's Arm und geht mit ihr nach der Thüre zu. Ich mache eine kleine Vergnügungs- Tour mit meiner Frau – Zu den Damen. Unterhaltet Herrn Hartwig in der Zeit! Bolzau und Wilhelmine ab durch die Mitte.

HARTWIG. Oh bitte – es ist stets die Aufgabe des Mannes, die Damen zu unterhalten.

BERTHA. Halten Sie das für eine Herkules-Arbeit?

LUDMILLA. Allerdings – das klingt, als wenn es entsetzlich schwer wäre!

HARTWIG bei Seite. Nummer 3 – ungeheuer heitres Temperament! Laut. Meine verehrten Fräulein, sie greifen mich da von beiden Seiten an. Der Kampf ist ungleich, denn ich werde geblendet durch ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit. Wenn der Glanz solcher Augen – Zur Andern. solcher Augen das Herz verwirrt so kann der Verstand nur eine untergeordnete Rolle spielen.

BERTHA. Das ist kein gutes Zeichen für den Verstand![53]

HARTWIG. Sie sprachen vorhin von Herkules. Wissen Sie, daß Herkules auch stets Sieger war, mein Fräulein?

LUDMILLA. Nur Sieger über Ungeheuer! Das ist nicht galant, mein Herr! Sind wir etwa Ungeheuer?

HARTWIG für sich. Mit denen ist schwer fertig zu werden!

BERTHA. Sie sind auch zum Stiftungsfest gekommen?

HARTWIG. Allerdings, mein Fräulein!

LUDMILLA für sich. Er hält sie für ein Fräulein! Lacht.

HARTWIG. Ich war früher Mitglied der Concordia, man wünschte meine Mitwirkung – ich singe nämlich Tenor – dann sieht man dabei seine alten Bekannten wieder – ich sollte hier bei einem alten Freunde wohnen – dem Doctor Scheffler –

BERTHA bei Seite. Das hätte noch gefehlt!

LUDMILLA. Warum thun Sie das nicht?

HARTWIG. Offen gestanden – es gefiel mir nicht recht in seinem Hause!

BERTHA bei Seite. Oho!

HARTWIG. Mein alter Freund war unruhig – zerstreut – er kam mir blaß und abgefallen vor –

BERTHA. Blaß und abgefallen?

HARTWIG. Früher war er stets luftig und heiter – ich glaube, seine Verheirathung ist Schuld daran.

LUDMILLA bei Seite. Oh weh!

BERTHA. Kennen Sie denn seine Frau nicht?

HARTWIG. Nein – habe auch gar keine Lust, se kennen zu lernen.

BERTHA bei Seite. Das ist stark!

HARTWIG. Ich habe einen scharfen Blick in solchen Dingen, meine Damen. Wenn ein junger Mann nach wenigen Monaten der Ehe sich so verändert – ist immer die Frau daran Schuld! Sie wird herrschsüchtig, zänkisch, eigensinnig sein![54]

LUDMILLA bei Seite. Arme Bertha! Tritt zu ihr.

HARTWIG. Das kann ein Mann schwer ertragen – und so ist denn mein armer Freund Scheffler geknickt – gebeugt – gebrochen! Ich mache drei Kreuze über ihn. Armer guter Freund!

BERTHA zu Ludmilla. Das verdient eine exemplarische Strafe! Laß uns allein, Ludmilla!

LUDMILLA. Was willst Du thun, Bertha?

BERTHA. Im Staube soll er liegen! Gehen Beide nach der Thür zu.

HARTWIG beide betrachtend. Es scheint, ich habe Eindruck gemacht! Für welche soll ich mich entscheiden?

LUDMILLA an der Thür. Ich werde den Onkel und die Tante fern halten. Ab durch die Mitte.

HARTWIG. Das Schicksal spricht – mit einer allein – sie ist mir verfallen.

BERTHA. Sie waren etwas hart in Ihrem Urtheil, Herr Hartwig! Ludmilla ist eine Freundin der Frau Doctor Scheffler! Es hat sie verletzt!

HARTWIG. O, ich bedaure – doch die Wahrheit verletzt öfter.

BERTHA. Sie scheinen überhaupt nicht viel von uns zu halten.

HARTWIG wärmer. Oh, mein Fräulein – Alles mit Unterschied. Wer freilich das Glück hätte, Sie zur Gattin zu erhalten, der würde aufblühen zu neuem Leben – und nicht geknickt sein wie der arme Scheffler.

BERTHA sieht ihn koquett an. Meinen Sie?

HARTWIG bei Seite. Alle Wetter – welch ein Blick!

BERTHA. Oh, ich kann mir die Stellung einer Frau sehr süß und lohnend ausmalen. Mit warmem Segenswunsch entläßt sie den Gatten zu seinem Beruf – zu seinem Verkehr mit der Welt. Kehrt er heim, bereitet sie ihm das häusliche Wohlbehagen – mit sanfter Hand streicht[55] sie die Falten von seiner Stirn – die der Kampf des Lebens darauf gezogen – und ein liebevoller Blick des Gatten ist ihre schönste Belohnung.

HARTWIG. Welch wunderbare Grundsätze – verehrungswürdig.

BERTHA. Ich finde sie nur natürlich!

HARTWIG bei Seite. Das ist ein leibhaftiger Engel!

BERTHA. Mir sagte einst ein ehrwürdiger alter Mann – liebe Tochter – Du hast auf Erden keinen anderen Beruf, als zu lieben, wenn Du den erfüllst, wirst Du glücklich sein.

HARTWIG. Oh mein Fräulein – man müßte Sie als Muster für die ganze Frauenwelt aufstellen. – So würden Sie fühlen? So würden Sie lieben?

BERTHA sehr koquett. Wenn ich den Mann fände – wie er als Ideal vor meiner Seele steht!

HARTWIG sehr erregt. Und welche Eigenschaften müßte der Mann besitzen?

BERTHA. Sie verlangen eine förmliche Beichte, lieber Herr Hartwig!

HARTWIG bei Seite. Lieber Herr Hartwig hat sie gesagt! Laut. Oh bitte, reden Sie!

BERTHA. Ich weiß nicht – mir ist, als könnt' ich Ihnen Nichts abschlagen. Also – ein angenehmes Aeußere wäre mir erwünscht.

HARTWIG bei Seite. Ist vorhanden!

BERTHA. Er müßte unterrichtet sein – viel wissen.

HARTWIG bei Seite. Ich habe studirt!

BERTHA. Noch mehr würde ich aber Geist schätzen!

HARTWIG bei Seite. Das ist meine Hauptstärke!

BERTHA. Auch in der Kunst dürfte er nicht unbewandert sein.

HARTWIG bei Seite. Mein Tenor! – Wir sind für einander geschaffen![56]

BERTHA. Dann müßte ich untrügliche Beweise haben, daß er mich liebt.

HARTWIG. Welche Beweise verlangen Sie?

BERTHA. Er müßte mir zeigen, daß er in meinem Besitz das Glück seines Lebens fände.

HARTWIG bei Seite. Nummer 4 – sie ist romantisch. Losbrechend. Das thut er! Doch weg mit der dritten Person. Das thue ich, mein Fräulein. Lassen Sie sich sagen, daß Sie mein Herz gewonnen haben, als ich Sie nur sah – daß Ihre himmlische Güte mich ganz gefangen genommen hat – daß Sie mich zum glücklichsten Menschen machen, wenn Sie mich er hören. Geist besitze ich in genügendem Maße – und singen kann ich auch: meine Stimme ist ein sanfter Tenor! Doch um ein so himmlisches Wesen wie Sie, wirbt man nicht mit bloßen Worten – auf die Knie muß man sich werfen und flehen – mein Fräulein – Kniet nieder. machen Sie mich zu Ihrem Sklaven.

BERTHA bei Seite. Da liegt er!

HARTWIG. Schenken Sie mir diese himmlische Hand!

BERTHA in verändertem Ton. So, mein Herr! Jetzt lasse ich Ihnen Zeit, über Alles nachzudenken! Wendet sich zum Abgehen, bei Seite. Rache ist süß! Ab durch die Mitte.

HARTWIG verblüfft, während er knieen bleibt. Sie läßt mir Zeit, über Alles nachzudenken? Das verstehe ich nicht! Was will sie damit sagen? Oh – wie hieß sie doch – jetzt hab' ich richtig ihren Namen vergessen.


Quelle:
Gustav von Moser: Lustspiele. Band 1, Berlin 1873, S. 49-57.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon