5.

[64] Die künstlerischen Gesetze, nach denen die geschriebene Prosa sich bildet, haben auf die Sprache des wirklichen Lebens in Deutschland keine Anwendung. Beide stehen abgerissen von einander und getrennt sich gegenüber, obwohl die bedeutsamste Beziehung zwischen ihnen anzuknüpfen wäre. Bevor wir die Kunst der productiven Prosa erörtern, dürfte es interessant sein, auf die Prosa der deutschen Conversation einen Blick zu werfen, und von unserem Gesellschaftszustand, in seinem Verhältniß zur Sprache, eine Andeutung zu geben. –

Wessels bekannte Parodie: »Liebe ohne Strümpfe« wurde von Scalabrini in Musik gesetzt, ohne daß dieser italienische Componist auch nur ein Wort von dem dänischen Texte verstanden hätte. Eine ähnliche Parodie mit Harmoniezwang wird noch heut alle Abende in unserer Gesellschaftsunterhaltung[65] aufgeführt. Die bodenlose deutsche Höflichkeit gleicht jener Liebe ohne Strümpfe, ihr Text ist eine Travestie, und der Maestro, den man bon ton nennt, hat, um Sinn, Wort- und Menschenverstand ganz unbekümmert, eine Musik daraus gemacht, in dem bekannten Grundsatz: Quand le bon ton parait, le bon sens se retire. Diese Composition, die uns als deutsche Gesellschaftssprache an die Ohren schlägt, ist, wie ich beweisen werde, eine verderbte Grammatik, eine verderbte Logik, ein verderbtes Menschengefühl und eine verderbte Natur; aber sie ist nichtsdestoweniger Musik, und für den gewohnten Umgangsverkehr unsere einzige Lebensmelodie, die einzige anerkannte Tanzregel, nach der man sich nicht nur dreht, sondern auch denkt.

Man hat noch nicht die Geschichte der deutschen Höflichkeitssprache geschrieben. Und doch ist es bei ihrer Betrachtung der größte Trost, daß sie eine Geschichte hat, mithin ebenso gut einer Verbesserung in aufsteigender Linie fähig ist, als sie in absteigender eine Verderbung erlitten. Ich sehe schon das staunende Lächeln eines unserer Nachkommen,[66] die ich mir als so glückliche Menschen träume, daß sie die höchste Cultur zur höchsten Natur in sich zurückgebildet haben! Was werden diese kräftigen Naturmenschen künftiger cultivirter Staaten dazu sagen, wenn sie Nachgrabungen auf unserer verschütteten Zeit anstellen, wie wir heut Mammuthsgerippe aus urweltlichen Erdschichten hervorziehen, und sie dann, vor Schreck den grammatischen und logischen Spaten, mit dem sie uns durchgruben, sinken lassend, etwa folgenden räthselhaften Eselskinnbackenknochen einer vormaligen deutschen Gesellschaftsunterhaltung in die Hände bekommen, eine Fossilie, die heutzutage, mit frischem schönem Fleisch bekleidet, als Symbol und Physiognomie eines wohlerzogenen Gesprächs angesehen werden muß:


Abgehorcht.

(Berlin, 11, ** 183.)


JUNGER HERR. Haben gnädiges Fräulein schon das neueste Werk vom geistreichen Rummelsburg gelesen?[67]

JUNGE DAME. Ihnen zu dienen.

JUNGER HERR. Gnädiges Fräulein erweisen mir allerdings einen Dienst damit, denn nun werden Sie mich beehren, Ihr Urtheil hören zu dürfen.

JUNGE DAME. Sie verzeihen.

JUNGER HERR. Sie haben Recht und ich glaube Sie zu verstehen. Fräulein meinen, es sei unverzeihlich, über einen solchen Autor zu kritisiren.

JUNGE DAME. Sehr wahr.

JUNGER HERR. Ich möchte aber dennoch um Entschuldigung bitten, und eine Seite an unserm großen Rummelsburg hervorheben, die merkwürdig ist, – wenn Sie erlauben, seine allzumaterielle Behandlung der Liebe.

JUNGE DAME erröthend. Gewiß. – Man dürfte nicht ermangeln, Ihnen hierin beizustimmen – Sie fängt hastig an zu stricken.[68]

JUNGER HERR mit halber Stimme. Und haben Sie niemals geliebt, Fräulein?

JUNGE DAME. Ich bitte recht sehr. Sie entschuldigen.

JUNGER HERR. Sollte die Liebe hier in Berlin einer Entschuldigung bedürfen?

JUNGE DAME. Verzeihen Sie.

JUNGER HERR. Verzeihen Sie selbst vielmehr, wenn ich zu dreist gewesen – –

JUNGE DAME zu ihrer Nachbarin leise ins Ohr. Ich finde, daß er viel Geist hat. Man kann sich recht gegen ihn aussprechen.

JUNGER HERR zu seinem Nachbar leise ins Ohr. Ich finde, daß sie gar nicht so übel ist. Hinter ihren Redensarten lauert ohne Zweifel viel Geist versteckt. – –


* * *


Dieser flüchtige Küchenzettel einer gewiß ganz[69] normalen Unterhaltung zeigt die meisten und geläufigsten Formeln, auch in grammatischer Hinsicht, auf, in denen sich die deutsche Umgangs- und Höflichkeitssprache auf ihrer gegenwärtigen Stufe bewegt. Sie ist zu dieser abenteuerlichen Pedanterie erst allmählich gelangt, und der Sprachforscher, welcher eine gesellschaftliche Grammatik zusammenstellt, müßte nothgedrungen zum Satiriker werden, wenn er nicht zu bedenken hätte, daß der innere Geist der Nation selbst gesünder und kernhafter ist, als sein äußeres Umgangsleben, das hinter diesen verstauchten Formen einer gemüthlosen Gutmüthigkeit und einer gutmüthigen Gemüthlosigkeit ganz andere Menschen und Herzen verhüllt. Zwar dürfte es immer etwas Verdienstliches sein, die hypochondrische Höflichkeit der deutschen Sprache mit einigen Salzdosen frischen Spottes zu reizen, verdienstlicher gewiß, als einen positiven Beitrag zu ihr zu liefern im Sinne des anstandsvoll lächelnden Freihern von Rumohr, der sich in seiner Schule der Höflichkeit aus vornehmer Ferne mit der deutschen Höflichkeit vornehm herumcomplimentirt und uns unsern Weichselzopf in eine gewisse[70] Kunstform gestriegelt und verfestigt hat. Das Lakaienmäßige der deutschen Umgangssprache bezeichnete schon Herder so1, der überhaupt schon frühe, mehr als bekannt ist, einer gewissen antinationellen Opposition manche Stichwörter hingeworfen hat, die später auf anderm Grunde aufgenommen und zu einer systematischen Controverse versponnen wurden. Man muß aber vielmehr nie vergessen, daß eine wesentliche Verschiedenheit zwischen unserm Nationalcharakter selbst und seinen traditionellen Ausdrucksformen existirt, denn wäre unsere innere Nationalität ebenso schielend, gedankenlos kriechend und meinungsscheu, als unsere gesellschaftlichen Phrasen, so taugten wir wahrlich nichts bis in die Seele hinein, und jede Mühe wäre unnütz, durch Opposition solchen unterhöhlten Charakteren aufzuhelfen. Und in der That, wenn man die göttliche Gabe der Rede durch den schimmernden Gesellschaftssaal und seine Gruppen und Reihen hintönen hört,[71] und die Worte, wie eine vermummte Maskenschaar, durcheinanderflüstern, um immer Das auszudrücken, was man nicht ist und nicht meint, ein Assecuranzsystem gegenseitig verabredeter Täuschung, so könnte man glauben, in Deutschland gebe es keine Aufrichtigkeit, keine Gedankenfreiheit, keine Freundschaftsbrust, und keinen Nachtigallenschlag der Liebe! Denn welche Nachtigall, nachdem sie herrlich geschlagen, wird sich devot den Schnabel wischen, und sich ganz gehorsamst entschuldigen, daß sie Gedanken und Gefühle hat, sogar um Verzeihung bitten, daß sie überhaupt eine Nachtigall, und kein Wiedehopf, zu sein wagt! Ja selbst den Himmel scheinen sich diese Leute durch ihre Höflichkeit zu verderben, indem sie durch eine unerhörte Steigerung des Wortes seelig, die sich in keiner andern Sprache ähnlich wiedergeben läßt, Ständeunterschiede sogar in der Unsterblichkeit annehmen! Es fehlte nur noch die Höflichkeit jener wilden Völkerschaften, die von Zeit zu Zeit aus Artigkeit gegen einen neuen Herrn alle Wörter und Zeichen ihrer Landessprache gänzlich umändern, sodaß unter dem einen Herrscher Tisch heißt, was unter dem andern[72] ein Stuhl gewesen, unter dem einen Esel, was unter dem andern ein Löwe, unter dem einen Bewegung, was unter dem andern Stillstand u.s.w. Die deutsche Bergmannsnatur aber, die lauter ungehobene Schätze und unabgelagerte Stein- und Metallklumpen in ihren Schachten verbirgt und somit ursprünglich aus Unbeholfenheit, treuherziger Grobheit und Wehmuth zusammengefügt ist, hat sich nur mit Gewaltanthuung hinter die herkömmlichen Höflichkeitsfalten verschleiert, sowie in einem umgekehrten Falle gerade die härtesten Menschen oft von Natur sehr weich sind, nach dem bekannten Wort: »ich bin zu weich, ich kann das Mitleid nicht vertragen!« So ist auch der Deutsche eigentlich zu grob, um die Grobheit vertragen zu können, und deshalb giebt er sich, durch sein allzugroßes Selbstbewußtsein ängstlich und peinlich gemacht, jener glacirten Höflichkeitssprache hin, die aus grammatischer Verdorbenheit und psychologischem Unsinn ein hinlänglich plattes Glatteis crystallisirt hat, um darauf ohne Anstoß und ohne alle Ecken der Meinung hinundherrutschen zu können. Die deutsche Höflichkeit macht in ihren unaufhörlich sich[73] selbst bewachenden und entschuldigenden Wendungen die Capriolen einer Katze, welche nach dem Schatten einer für wirklich gehaltenen Maus schnappt, die ein Knabe durch ein Papierbild an der Mauer hervorgegaukelt. Sie würde nichts erreichen als ihre eigene Beschämung, wenn man sie beim Wort nähme und auf ihren Inhalt zurückführte!

Die Schlechtigkeit unserer Umgangssprache, die alles patriarchalische Herz für menschliches Vernehmen verloren und kein Lachen und kein Weinen der Seele auf ihren überstimmten Claviaturen hat, ist also, wie wir anzudeuten gesucht, durchaus keiner Entsittlichung des Nationalcharakters zuzuschreiben. Diese Sprache ist das Sündenkind der deutschen Gesellschaftlichkeit, welche bekanntlich etwas von den Interessen der Nationalität ganz Abgesondertes, eine für sich bestehende Kalksteinformation unserer gebildeten Stände ist. Die deutsche Gesellschaftlichkeit in ihrem gegenwärtigen Zustande ist die Selbstironisirung des deutschen Gemüths. Die deutsche Sprache aber war von jeher ein so tiefsinniges, Gedankeneinsamkeit liebendes, nachtigallenartiges,[74] deutsches Wesen, daß sie sich in Gesellschaft nie gut befand, und die Salons floh, um in den Wäldern zu träumen oder auf den Dachstuben der Poeten und Weisen sich heimlich zu gestalten, gleich jenem schönen, scheuen, talentvollen Mädchen, das, hinter ihren andern weltlustigen Schwestern zurückgesetzt, immer zu Hause bleibt, aus Liebe zur stillsinnigen Verborgenheit, in der ihre ersten Gedanken knospen. Deutsche Gesellschaft und deutsche Sprache waren sich lange Zeit zwei fremde und widerstrebende Elemente. Zwar durfte sich die deutsche Sprache einer sehr frühen Periode rühmen, wo sie, am Hofe der fränkischen Könige, sogar Hofsprache gewesen, und (seit 486) im ganzen fränkischen Reiche für das vornehmere Organ galt,2 aber es kam eine Zeit,[75] wo sie nicht nur aus den öffentlichen Verhandlungen, sondern auch aus dem gesellschaftlichen Leben wieder verstoßen wurde. In dem ganzen mittleren Zeitalter Europas eigneten die deutschen Laute nur den niederen Ständen, sowie heutzutage noch in Rußland in der Regel nur mit dem Gesinde und den Leibeigenen russisch gesprochen wird. Die unteren Stände waren es aber auch, welche unsere Nationalsprache wieder zu Ehren brachten und in ihre Lebensrechte einsetzten, denn aus der Mitte der deutschen Aristokratie, die so lange französisch gesprochen und sich gänzlich in die Manieren aus Ludwigs XIV. Zeit eingekleidet hatte, konnte jener neue Umschwung der deutschen Rede nicht hervorgehen, der namentlich unter Friedrich dem Großen und zu einer Epoche sich zeigte, wo die Höfe nicht mehr den alten Einfluß auf die öffentliche Meinung ausübten, und dagegen die Schriftsteller mehr als je auf diese einzuwirken begannen.3[76]

Man ist jedoch meistentheils viel zu ungerecht bei der Beurtheilung jenes gesellschaftlichen Gebrauchs, den man in Deutschland von der französischen Rede gemacht hat, und die beschränkten Deutscheiferer einer gewissen Zeit haben sich dabei auf dem Steckenpferd ihres kleinlichen Franzosenhasses recht heldenhaft zu tummeln gewußt. Einige Nachzügler galloppiren noch heut darauf herum. Es versteht sich, daß eine Nation nicht für eine civilisirte gelten könnte, welche nicht die ganze Peripherie ihrer geistigen Bedürfnisse mit ihrer Landessprache vollendet zu umschreiben vermöchte; aber es ließe sich die Frage aufwerfen, ob nicht für das moderne gesellschaftliche Leben, so wie es sich heut bei uns gebärdet, die Vermittelung einer fremden Zunge immer von vielfachem Nutzen wäre? Während der Eichenwald der deutschen Production in seinen landschaftsgemäßen Blättern und Blüthenzweigen ausschlüge und unaufhaltsam weiterwüchse, könnte man der deutschen Sprache durch Fernhaltung von den unnatürlichen Denkformen unserer Gesellschaftlichkeit eine urkräftige Aechtheit bewahren. Der gesellschaftliche Verkehr selbst kann aber durch[77] ein fremdes Organ in dem Element, worauf er doch einmal beruht, nur erleichtert und begünstigt werden. Ich verstehe unter der Gesellschaftlichkeit etwas Anderes als die ächte menschliche Geselligkeit, und daher werde ich dem Tadel entgehen, dies sei eine misanthropische Grammatik. Die Geselligkeit ist ein Liebesmal unserer Gedanken, Gefühle und gegenseitigen Eigenthümlichkeiten; die Gesellschaftlichkeit ist eine hermetische Verschließung derselben. Wie die armen Indianer sich schämen, in Gegenwart von Fremden ihre Muttersprache zu reden, so schämen wir uns in unsern deutschen Gesellschaften oft Dessen, was als das Beste und Schönste in uns steckt, womit wir aber alle Institutionen des Salons über den Haufen stürzen würden, wenn wir den in uns redenden Meinungen Worte geben wollten. Als Scheinbilder uns repräsentirend, würden wir oft eine Wohlthat darin finden, uns für die Chiffrirung Dessen, was wir nicht sind, einer fremden Sprache fortdauernd bedienen zu können. In fremder Mundart fühlt man eine größere Berechtigung zur Ostentation, man übt das Sprechen, um zu sprechen, mit leichtsinnigerer Freiheit, und[78] giebt sich mit mehr Beschäftigung den gesellschaftlichen Formen hin, die man auch in jeder andern Sprache kürzer und muthiger ausdrückt, als in der deutschen. Man würde unsern Gesellschaftsumgang dadurch noch entschiedener von dem wahren Leben abzeichnen, und ihm sein Phrasenhaftes als eine Symbolik der üblichen Repräsentation zugestehen, die darum auch in fremder Zunge laut wird. Wenn sich die Deutschen des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts, bis in das achtzehnte hinein, französischer Umgangssprache bedienten, so war es für die nationale Gesinnung, die dadurch in den Schatten gestellt wurde, eine Schmach und Schande, aber man könnte zugleich behaupten, daß sie damals die geselligen Beziehungen und Umgangsphrasen nicht so naturwidrig und gegen allen Sprachgeist ausdrückten, wie später, als die deutsche Sprache zur Gesellschaftssprache abgerichtet und in die Salons gezogen wurde.

Die natürliche und humane Höflichkeitssprache der Franzosen, mit deren leichtgeschürzten Gewändern die deutsche Geselligkeit so lange ihre beste Toilette bestritten, hat auf den deutschen Geist[79] selbst keine nachhaltige Wirksamkeit ausgeübt. Man könnte sich vielmehr wundern, daß die Höflichkeit unserer Nation, nachdem sie in den französischen Formen sich mit der Unbefangenheit und dem dreisten Selbstvertrauen der großen Welt auszudrücken gelernt, bald darauf mit ihrem landesthümlichen Organ in die gekünsteltste und geschraubteste Pedanterie des Ausdrucks zurückzusinken vermochte, und jenen timiden und bettelhaften Umgangston wieder anstimmte, in dem wir noch heut concertiren. Dabei ist unsere heutige Umgangssprache, trotz aller puristischen Stahl- und Schwefelbäder, doch keinesweges frei von dem Hange, sich wieder mit ausländischen Wörtern und Wendungen zu rekrutiren, und namentlich für piquante Bezeichnungen einer gewissen geistreich vornehmen Anschauungsweise französische Ausdrücke, die allerdings meist unübersetzbar sind, in Cours zu geben. Diese Neigung tritt immer sichtbarer wieder hervor, und hat sich auch literarisch abgezeichnet. Die Werke des Fürsten Pückler haben noch in einem tiefern, als dem gewöhnlichen Sinne, eine gesellschaftliche Bedeutung für unser Jahrhundert,[80] doch spiegeln sie zugleich in ihrer naiven und liebenswürdigen Selbsthingebung eine gewisse Sprachmengerei ab, wodurch sie die heutige gäng und gäbe Ausdrucksweise unserer höheren geistreichen Zirkel entschieden charakterisiren, und um so unmittelbarer, da sie, nur mit individueller Originalität versetzt, aus diesen Elementen frischweg und ungezwungen in die Literatur übersiedelt sind. Wo eine geniale und sinnreich leichtfertige Bewegung gemacht oder ein besonders treffender Einfall markirt werden soll, ist auch sogleich nicht nur ein französisches Bonmot zur Hand, sondern oft ganze Reihen und Sätze in fremder Zunge, die mit graziösem Anstand eingestreut werden; am häufigsten in den Briefen des Verstorbenen, die unter allen Werken dieses Autors der unabsichtlichste Abdruck aller seiner Eigenheiten sind. Diese Sprache, die in Schriften von rein literarischem und künstlerischem Charakter meistentheils ein Gräuel wäre, in jenen Darstellungen aber durch ihre ganze Tonart und Entstehung eine gewisse Berechtigung annimmt, liefert den Beweis, daß die Liebenswürdigkeit französischer Aisancen und Nüancen noch immer eine[81] gewisse Aufforderung zu haben scheint, sich in das gesellschaftliche Leben der Deutschen zu mischen. Dieselbe Erscheinung, nur auf einem geistigeren Grunde ausgeprägt, bemerkt man in den Briefen der an das großartigste Weltleben hingegebenen Rahel, die oft für die Bezeichnung ihrer witzigsten Combinationen, hinundwieder selbst für manche ihrer visionnairen Anschauungen, keine deutschen Wörter hat, sondern nur französische, welche aber dann äußerst treffend sind und mit blitzschneller Kürze schlagen. Aus vielen ihrer Briefe redet auch im ganz unmittelbaren Abdruck die Sprache des Familien- und täglichen Umgangslebens, wie es sich besonders in den berliner Kreisen von höherer Art und Bildung gesprächlich zu äußern pflegt, und auch darin tönt uns eine Mischung von fremden und heimischen Lauten entgegen, zum Beweis, daß dem Purismus in Deutschland nur Palliativkuren gelungen waren. Er hat auch seine zu einer gewissen Zeit so gewaltigen Bestrebungen gerade jetzt, wo er die mehrfachsten Herausforderungen hätte, zurückgezogen; wenigstens zieht er es vor, über das unabläugbare Factum, welches ihm in[82] unsern Tagen die gebräuchliche Gesellschafts- und Umgangssprache wieder entgegenhält, zu schweigen. Dagegen kann der Purismus den Triumph erleben, daß sich in den literarischen und poetischen Kunstwerken der Nation, auch selbst in ihren ephemeren öffentlichen Schriften, die Reinheit der Sprache fortwährend so ächt, als es nur möglich, zu behaupten strebt, wenn sie auch gerade nicht jede witzige und energische Bewegung des Gedankens an einen engherzigen Wörterpatriotismus fesselt.

Die eingeständliche Meinungslosigkeit, aus der unsere gesellschaftlichen Phrasen hervorgegangen, trägt auch davon die Schuld, daß für viele Dinge des Umgangs ein französischer Ausdruck vorgeschoben wird, indem unser Deutsches entweder noch nicht die Keckheit solcher Bezeichnung unter seinen Wörtern ausfündig gemacht, oder auch die Sache dadurch gemildert und schonend verhüllt werden soll, daß wir sie dem Andern nicht gerade mit einem deutschen Wort ins Gesicht sagen. Beruhte unsere Conversationssprache nicht auf solchen Rücksichten und Voraussetzungen, so würden sich für manche gesellschaftliche Leichtfertigkeiten und Umgangsgewohnheiten,[83] die sich französisch sehr geläufig sagen, schon mehr entsprechende deutsche Bezeichnungen von gleicher Leichtigkeit eingefunden haben. Aber aus dieser deutschen Voraussetzung, daß die größte Höflichkeit darin bestehe, dem Andern so wenig als möglich unmittelbar gegenüberzutreten, hat sich unsere Umgangssprache sogar grammatisch gebildet. Dies charakterisirt sich namentlich durch den gesellschaftlichen Gebrauch der Pronomina, der seine bestimmt nachzuweisende Geschichte in unserer Sprache hat, von den Zeiten natürlicher Unbefangenheit und Vertraulichkeit an bis zu dem extremen Zustande, in dem wir uns gegenwärtig mit diesen Anredewörtern (gewissermaßen den Vorposten des Gesprächs) befinden.

Man kann annehmen, daß bis ins funfzehnte Jahrhundert hinein das für alle Verhältnisse des Lebens gebräuchliche Anredewort in dem einfachen Du bestand, der natürlichsten und arglosesten Form, um eine Gegenseitigkeit zweier Personen, die miteinander in Beziehung treten, auszudrücken.4 Du[84] sagte man nicht nur im vertrauten Umgange, wie wir heutzutage ausschließlich; sondern auch an den Höfen, oder wosonst nur ein Ceremoniell die Verhältnisse hätte erschweren können, hörte man keine andere Anrede. Briefe und andere literarische Ueberlieferungen aus jener Zeit bewahren die Zeugnisse davon auf, obwohl schon im Anfange des funfzehnten Jahrhunderts Veränderungen allmählig sichtbar werden. Bald mußte es für vornehmer gelten, die zweite Person des Pluralis Ihr als Anrede zu brauchen, Du war namentlich in den höheren Zirkeln nicht mehr fashionable, und nur den Subalternen wurde es noch von ihren Vorgesetzten im Umgange geboten.5 Die Aristokratie ihrte sich gegenseitig, und die Demokratie wurde von ihr gedutzt. Bei größeren Anregungen des deutschen Lebens von Außen[85] und vielfältigeren Mischungen des Nationalverkehrs wurde jedoch die Höflichkeit, die einmal vom Pfade der Natur zu weichen angefangen, immer mehr verleitet, sich auf Absonderlichkeiten und ausgesuchte Kniffe zu legen. Die Römer waren selbst in ihrer demoralisirtesten Periode, wo in genialen Köpfen Scharfsinn und Wahnwitz wetteiferten, um neue und unerhörte Typen der Schmeichelei für die Kaiser zu erfinden, nicht darauf gefallen, zum Triumph der Höflichkeit die Pronomina ihrer Sprache zu nothzüchtigen. Sie sagten Du selbst zu ihrem Tiberius, Caligula, Nero. Die Deutschen mißbrauchten aus Gutmüthigkeit, Taktlosigkeit und Unsicherheit des Welttons die erstaunliche Biegungsfähigkeit ihrer Sprache zu niedagewesenen Spiegelfechtereien. Die dritte Stadie der im Irrgarten der Pronomina umhertaumelnden Höflichkeit war die dritte Person des Singular: Er, worin das sechszehnte und siebzehnte Jahrhundert hindurch die gebräuchlichste Anrede im geselligen Leben bestand, zu einer Zeit, wo durch Interessen des Handels, der Politik und der erwachenden Wissenschaften die italienische Sprache an den deutschen Höfen und[86] in den gebildeteren Umgangskreisen sehr in Aufnahme gekommen war.6 Denn diese dritte Person des Pronomens im Singular war ohne Zweifel nur als eine Nachahmung der italienischen Sprachgewohnheit entstanden, obwohl man sich im Italienischen, mit noch weichlicherer Färbung, des Femininums dabei bedient und Jedem, den man anredet, die Galanterie erweist, ihn zum Weibe zu machen. So weit war es jedoch in Deutschland zu dieser Zeit, wenn auch schon Paul Flemming seine Geliebte sein »göttliches Mensch« nannte, nicht mit der chevaleresken Verehrung der Weiblichkeit gediehen, daß man es für höflicher hätte halten sollen, auch dem Manne ein zarteres weibliches Genus in der Anrede beizulegen.

Nachdem einmal die dritte Pronominalperson in unsere Höflichkeitsterminologie eingewandert war, lag, bei fortdauernder Leidenschaft zur immer größern Steigerung der Höflichkeit, der Uebergang nahe, in der dritten Person der Mehrheit statt Er nunmehr Sie zu sagen, auf welcher Stufe[87] wir noch heutzutage stehen geblieben sind. Diese dritte Person des Pluralis zeigt sich als neue Mode des höchsten und elegantesten Welttons schon in deutschen Briefen vom Ende des siebzehnten Jahrhunderts, wovon Günther (a.a.O. S. 267 fg.) aus Martin Zeiller's epistolischer Schatzkammer Beispiele anführt. Wenn jedoch in der genannten Abhandlung behauptet wird, die Wahl des Pluralis in der Anrede sei aus einer Nachahmung des Französischen hervorgegangen, so ist dies nicht wahrscheinlich, da es, nachdem das Du schon früher in die Mehrheit des Ihr sich ehrerbietiger umgesetzt hatte, sich jetzt auf dieselbe Weise wiederholte, statt des fashionable gewesenen Er abermals dieselbe dritte Person der Mehrheit: Sie als höchste Entwickelung der correspondirenden Formel in Mode zu bringen. Denn einmal entspricht diese Verhöhnung aller grammatischen und logischen Gesetze, einen uns Gegenüberstehenden mit der dritten isolirten und ihn gewissermaßen wieder von uns entfernenden Person anzureden, der Gesinnungsart unserer Höflichkeitssprache überhaupt, wonach sie die Tendenz hat: sich immer so fern[88] als möglich zu dem Andern zu stellen, statt der nächsten Gegenseitigkeit des Zweiten, die auch grammatisch die zweite Person sein würde, sich die entferntere Bekanntschaft in der dritten Person zu wünschen, und ihn deshalb in dieser auf Schrittweite gestellten Position sich respectvoll gegenüber bestehen zu lassen. Dann aber ist der Hang, diese dritte Person zuletzt sogar in der Mehrheit: Sie auszudrücken, ebenfalls aus dem allgemeinen Grundsystem der Höflichkeit herzuleiten. Eine einzelne Person gewissermaßen als eine Mehrheit von Personen zu behandeln und anzureden, dürfte die allergrößte Höflichkeit sein, die man nur immer in der Idee des Menschen erschwingen kann, und wenn das Sie eine Narrheit ist, so läßt sich doch, wie bei jeder, auch etwas Weisheit und metaphysische Ironie heraussophistisiren. Obwohl am Ende Niemand mehr sein kann, als »Er selbst allein«, so stecken doch in einem Menschen immer mehrere und sehr verschiedene Personen, die allerdings bei der Anrede und im Umgange zu berücksichtigen sind, besonders da im letzteren oft eine ganz andere Person heraustritt, als im Hintergrunde verhüllt bleibt, und[89] man, für unvorhergesehene Fälle, gut thut, mit einem einzigen höflichen Schlagwort alle in einem Menschen befindlichen Personen zu gleicher Zeit zu becomplimentiren. Dieser Pluralis dient auch zur Bezeichnung von äußerer Macht und Ansehn nachdrücklich, schon bei den Alten. Römischem Consularstolz und Patrizierpomp gehörte das allumfassende nos für das einzelne ego gewissermaßen zur Purpurverbrämung der toga praetexta, doch wurde es zu Cicero's Zeit auch selbst im engeren freundschaftlichen Verkehr gehört. Durch die Anrede in der Mehrheit bezeichnest Du eine Person mit Allem, was an ihr darum und daran hängt, mit Sack und Pack, mit Gut und Geld, mit Orden und Connexionen, mit schöner Frau und einflußreichem Vetter, kurz mit Allem, was Werth und Verdienst an ihm ausmacht, ausmachen könnte oder ausmachen sollte; und so ist es kein Wunder, daß der Pluralis als das vieldeutigste Symbol der Höflichkeit, worunter er alle vergangene, gegenwärtige und zukünftige Aufmerksamkeit in Raum und Zeit, im Aeußern und Innern zusammenfaßt, endlich die Oberhand und Höhe der deutschen Höflichkeitssprache[90] behaupten mußte. Dagegen bemächtigt sich die vertrautere Rede der Liebe, der Religion, des altberechtigten Umgangs, des vergeistigten Gesprächs mit entfernten verehrten Personen, immer ausschließlich der einfachen Zahl. Wer uns in der einfachen Zahl mit Du anredet, geht auf unsere Einfachheit, die Monas in uns, los, er appellirt an den einfachen Kern in uns, den die gesellschaftliche Höflichkeit in die faltenreiche Mehrheit einwickelt, und wir stehen mit ihm, es mag so kurzweilig klingen als es will, auf einem ganz andern Fuß der Hingebung und Mittheilung, weil wir auf dem Fuß des Singularis mit ihm stehn.

Die vielfältige Zahl in der Anrede ging Hand in Hand mit dem Gebrauch gewisser abstracter Sammelbegriffe, wie man die ehrerbietigen Personenumschreibungen: Euer Liebden, Euer Gnaden, u.s.w. nennen könnte, die schon sehr früh aufkamen, und mit denen sich auch jene argen Schönpflästerchen auf dem natürlichen Antlitz unserer Sprache: Dero, Ihro, als Nachahmungen des Italienischen loro, vostro verbanden. Zur Erfindung solcher Abstracta hatte sich zwar die[91] Schmeichelei der Römer unter ihren Kaisern schon verstiegen, aber ohne dabei die Gesetze der Sprache zu fälschen, denn zu der Anrede, Tua majestas gesellte sich noch immer der Singularis, während, aus oben angegebenen Gründen, das Gefühl deutscher Höflichkeit die Mehrheit verlangt. Aus derselben Anschauungsweise entstanden auch die Abstracta des Briefstils: Ew. Hochwohlgeboren, Ew. Wohlgeboren u.s.w., deren Abschaffung sich sogar der Liberalismus einmal zum Gegenstande der Opposition machte, womit es aber ebenso wenig glücken wollte, wie mit jener Revolte, welche in einer kleinen Stadt gegen den Gebrauch des Hutabnehmens ausbrach, die bekanntlich durch den Patriotismus der Hutmacher wieder vereitelt wurde. Jene Formeln sind uns einmal ans Herz gewachsen und entsprechen unserm ganzen gesellschaftlichen Treiben und Denken. Abstract ist diese Höflichkeit, weil sie völlig davon absieht, daß die Person, die sie gewissermaßen nur mit abgewandtem Gesicht sich anzureden getraut, sich ihr in unmittelbarster Nähe und zu allem freien Gebrauch der Gegenseitigkeit gegenüberbefindet. Indeß von Abwesenden[92] entweder in der dritten Person der Mehrheit oder mit der Abstraction zu sagen: »der Herr Geheimerath sind ausgegangen«; »Seine Hochwürden haben gestern den Arzt rufen müssen«, sollte als lediglich bedientenhaft aus dem Sprachkatechismus jedes Gebildeten verschwinden7. –

Wie die deutsche Höflichkeitssprache mit den wunderlichen Sprüngen eines Tanzbären sich allmählig zu constituiren gesucht, haben wir angedeutet.[93]

Wäre sie den bekannten Worten Yoricks gefolgt, die man offenbar für die beste Geselligkeitstheorie halten muß: life is too short to be long about the forms of it, so hätten wir einen Ausdruck unseres Umgangslebens, der auf eine ganz andere Grammatik und Logik begründet sein müßte. Was aber die Ausbildung unserer Umgangssprache gehindert und von dem eigentlichen Ideengehalt unseres Wesens abgesondert hat, ist zugleich der vorherrschend geistige Charakter unserer Sprache überhaupt, die nicht, wie die französische, die Fähigkeit besitzt, die eigensten Gedanken sogleich in courante Weltmünze, à la portée de tout le monde, umzusetzen. Man höre zu, wenn ein gebildeter und geistreicher Gelehrter, der wenig aus seinen Ideenkreisen herauszutreten geübt, in den Fall kommt, einem gewöhnlichen Bürger oder Handwerker etwas auseinanderzusetzen, was irgendwie einen ideellen Bezug und keine äußerliche Vorstellbarkeit hat; man wird finden, daß er sich bei weitem zu geistig für seinen Zuhörer ausdrückt, zu seiner eigenen Verlegenheit. Diese Trennung der intellectuellen Anschauung und der populairen Umgangssprache liegt[94] bei keinem andern Volke in einem so ungeheuern und beispiellosen Conflict. Deutsche Volksredner, die den populairen Ton zu treffen ein Talent haben, wie es im Durchschnitt bisher unentwickelt unter uns geblieben, würden am besten die Schwierigkeit zu beschreiben wissen, welche ihnen bei augenblicklichen Ideenerörterungen das metaphysische Temperament der deutschen Sprache, ihr tiefsinniger Anflug, ihr Hang zu abstracten Bezeichnungen, entgegenstellen. Die französische Sprache ist dagegen schon als allgemeines Umgangsmittel und Volksorgan gedacht und gemacht; sie kennt gar nicht einen so ausgebildeten Unterschied zwischen populairem und ideellen Ausdruck. Diese Sprache verbindet die Stände bei weitem gleichartiger, als die unsrige, welche sie vielfach trennt. Die öffentliche Debatte hat dort eine Vermittelung zwischen dem tiefsinnigsten Franzosen und seinem ungebildetsten Zeitgenossen geschaffen, die nicht ohne Einfluß auf die Sprache der Dichter und Denker, der Wissenschaft und der Idee, verbleiben konnte. Jede Gedankenäußerung erscheint sogleich mitten hineingestellt in den allgemeinen Verband der Nation, und die Production[95] bringt die Grillen der Einsamkeit und Absonderung, in der sie entstand, wenigstens auf ihrem Antlitz, in ihrer Sprache, nicht mit auf den Markt. Wird dadurch die Wissenschaft oft verflacht, das Gefühl entheiligt, so gewinnt doch auf anderer Seite das Umgangsleben an Geist und Gefühl, oder vielmehr es entsteht eine wohlthätige und für das wirkliche Leben ersprießliche Mischung, ein allgemeineres Verständniß durchzieht und umfaßt das Land, und wenn man einen gemeinen Franzosen über Ansichten und Maximen, über Interessen der Allgemeinheit, mit seinem bewußtvollen Anstand reden hört, vergißt man meistentheils gern, daß er nach den bekannten statistischen Berechnungen vielleicht gerade zu Denen gehört, die weder lesen noch schreiben können. Dafür kann er hören und sprechen.

Das Verhältniß der deutschen Sprache zum wirklichen Leben ist ein noch unausgebildetes, und daher die künstliche Zwittergestalt unserer Umgangssprache, die, wie wir gesehen, für ihre heimathliche Verlegenheit immer neue fremdländische Wendungen und Verstecke aufsuchte. Unsere Sprache[96] fühlt und gebraucht ihre tiefsten Lebenskräfte in der Ausarbeitung unseres ideellen Menschen, sie ist ein Monolog unserer Gefühle, eine Selbstbetrachtung unserer Gedanken, ein Gebet unsers Herzens; aber in alle die äußerlichen Verbindungen unserer Wirklichkeit ist sie uns bisjetzt so verdrossen und nachlässig gefolgt, wie mancher große Mann, der im Bewußtsein seines innern Werthes wenig bekümmert ist, ob ihm in einer Gesellschaft lauter geistreiche oder lauter triviale Reden entschlüpfen, sich am liebsten aber schweigend darin verhält. So befänden wir uns denn in diesem Augenblick mit unserer Sprache auf der umgekehrten Bildungsstufe, als auf welcher Leibnitz zu seiner Zeit in den »Unvorgreifflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache« sie am geeignetsten für das wirkliche und gewerkliche Leben, am ungeeignetsten für den Gedanken und Gemüths-Ausdruck bezeichnete, indem er sagte:8 »Ich finde, daß die Teutschen ihre Sprache bereits hoch bracht,[97] in allen dem, so mit den fünff Sinnen zu begreiffen, und auch dem gemeinen Manne fürkommt; absonderlich in leiblichen Dingen, auch Kunst- und Handwerkssachen, weil nemlichen die Gelehrten fast allein mit dem Latein beschäfftigt gewesen, und die Muttersprache dem gemeinen Lauff überlassen, welche nichtsdesto weniger auch von den sogenannten Ungelehrten nach Lehre der Natur gar wohl getrieben worden. Und halt' ich dafür, daß keine Sprache in der Welt sei, die (zum Exempel) von Ertz und Bergwerken reichlicher rede, als die Teutsche. Dergleichen kann man von allen andern gemeinen Lebensarten und Professionen sagen, als von Jagt- und Waid-Werk, von der Schifffahrt und dergl.. Wie denn alle die Europäer, so auffem großen Welt-Meer fahren, die Namen der Winde und viel andre Seeworte von den Teutschen, nehmlich von den Sachsen, Normannen, Osterlingen und Niederländern entlehnt. – Es ereignet sich aber einiger Abgang bei unserer Sprache in denen Dingen, so man weder sehen noch fühlen, sondern allein durch Betrachtung erreichen kann; als bey Ausdrückung der Gemüthsbewegungen, auch der[98] Tugenden und Laster, und vieler Beschaffenheiten, so zur Sitten-Lehr und Regierungskunst gehören; dann ferner bei denen noch mehr abgezogenen und abgefeimten Erkänntnissen, so die Liebhaber der Weisheit in ihrer Denk-Kunst, und in der allgemeinen Lehre von den Dingen unter dem Nahmen der Logick und Metaphysick auff die Bahn bringen; welches Alles dem gemeinen Teutschen Mann etwas entlegen, und nicht so üblich, da hingegen der Gelehrte und Hoffmann sich des Lateins oder anderer fremden Sprachen in Dergleichen fast allein und insoweit zu viel beflissen; also daß es denen Teutschen nicht am Vermögen, sondern am Wollen gefehlet, ihre Sprache durchgehends zu erheben. Denn weil alles, was der gemeine Mann treibet, wohl in Teutsch gegeben, so ist kein Zweiffel, daß dasjenige, so vornehmen und gelehrten Leuten mehr fürkommt, von diesen, wenn sie gewolt, auch sehr wohl, wo nicht bester, in reinem Teutsch gegeben werden können.« –

Karl V. sagte, er wolle Spanisch reden mit dem lieben Gott, Französisch mit den Damen, Deutsch mit seinen Pferden. Diese durch die historische[99] Situation seiner Zeit sehr richtig begründeten Sprachunterschiede haben heut keine Geltung mehr. Die deutsche Sprache hat sogar angefangen, mehr als je in geschichtliche Berührungen zu treten, und in dem weltliterarischen Verkehr, den Goethe prophezeiht und in Gestaltung begriffen sah, tönen uns bereits auf den wichtigsten Plätzen Europas ihre eigenthümlichen Laute zurück. Der höhere Weltverkehr, die allgemeineren Nationalbeziehungen, in die sofort die geistige Production unaufhaltsam hineingerissen wird, müssen auch auf die Sprache ihre Rückwirkung ausüben, und namentlich die deutsche wird davon noch neue und nicht unwesentliche Anflüge zu empfangen haben. Die Pedanterieen unserer Gesellschaftssprache, die durch Entschuldigungsformeln persiflirte menschliche Gegenseitigkeit, werden in der nächsten Weltbildungsepoche von selbst ausscheiden, und wenn sich auf dieser Stadie größerer Vereinheitlichung des innern und äußern, nationellen und ideellen Menschen nicht gerade patriarchalische Elemente in den Umgang wieder einfinden, so doch gewiß frischerer Naturausdruck, und, bei allgemein gesunden und geraden Situationen,[100] ungeheuchelte Freigebung des Inhalts an das Wort. Denn die Verrenkung der Umgangssprache entspringt nur aus der Verrenkung der ächten Situation, aus der inneren Unbefriedigung der Gegenseitigkeit, in der Ich und Du sich zu einander verhalten. Die deutsche Umgangssprache hat schon sehr verschiedene Tonarten angenommen, sie wird neue nicht von sich weisen, die aber aus dem socialen Leben von selbst heraustreten müssen. Ihre Conversationsgewandtheit mit Pferden, die Karl V. rühmte, ihre Unentbehrlichkeit im Munde der Handwerker, Schiffer und Bergleute, die Leibnitz hervorhob, ferner die fromme und erbauliche Anfärbung, mit der zu einer gewissen orthodoxen Zeit in Deutschland auch der Ausdruck des täglichen Familienumgangs bezeichnet war, dann die ganz treu abgeprägte bürgerliche Conversation, wie sie aus Ifflands Stücken noch zu uns redet, alle diese Tinten sind heut in einer pointirten Geistreichigkeit aufgegangen, die, mit ästhetischem Anwurf, am meisten unsere gesellschaftliche Mittheilung überfirnißt. Die Geistreichigkeit unsers Zeitalters, die man sich ebenso wahr als wohlfeil zum Stichblatt satirischer[101] Anwandelungen zu nehmen pflegt, ungeachtet Jeder darin befangen, ist ohne Zweifel eine Uebergangsstufe zur Flüssigmachung des geistigen Fonds in der Nation, eine, wenn auch in ihrem Erscheinen widerwärtige Wendung zu derjenigen Periode, wo das Esoterische sich nicht mehr dem wirklichen und populairen Leben, als einer ihm ericht ebenbürtigen Form, gegenübersetzt. Die geistniche Schminke des modischen Umgangs ist daher bei weitem nicht so kränkend, als die damit verbundenen grammatischen Formen, welche wir an uns vorübergehen ließen, abgeschmackt und vernunftwidrig uns dünkten, und doch fordern diese letzteren, so lange sie noch nicht durch das Leben selbst widerlegt sind, eine nicht in allen Fällen zu weigernde Beobachtung. Die socialen Einflüsse werden aber auf die Gesellschaftssprache wie eine klimatische Nothwendigkeit einwirken. Die französische Sprache, obwohl sie das deutsche Mißverhältniß des Umgangsausdrucks zum innern Charakter nicht kennt, ist doch ebenfalls jetzt in denselben Bewegungen begriffen, die in einem Streiten für die unumschränkte Herrschaft des Gedankens über Wortform und grammatische[102] Verbindung eine eigenthümliche Sprachumwälzung vollbringen. Die neuromantische Sprache Victor Hugo's, Alfred de Vigny's und ihrer Genossen ist als Symptom wichtig; noch merkwürdiger erscheint uns, in unserer Beziehung, die Sprache in den Romanen der Marquise Dudevant (G. Sand), worin die sociale Speculation ganz neue Laute und Wendungen der Rede versucht. –

Fußnoten

1 Unter Anderm in einer seiner trefflichen Schulreden, von der Ausbildung der Sprache und Rede in Kindern und Jünglingen.


2 Nach dem Vertrage von Verdún blieb sie im deutschen Reiche herrschend, bis mit Konrad III. das schwäbische Zeitalter begann. Vgl. Grotefend, über Luthers Verdienst um die Ausbildung der hochd. Schriftsp. (in den Schriften der frankfurt. deutsch. Gesellschaft), welcher (S. 30) anführt, daß noch im Jahre 1531 zu Augsburg bei Steyner eine Uebersetzung des Cicero vom Freiherrn von Schwarzenberg erschienen, worauf stehe: »Alles in hoffränkisch teutsch gebracht.«


3 S. Luden's Nemesis, 1818. Bd. 12. über das Verhältniß der deutschen Sprache zur französischen.


4 S. Schriften der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft in Mannheim. (Mannh. 1787.) III. Bd. S. 251. fg. »Ueber das Sonderbare der deutschen Höflichkeitssprache im Gebrauche der Fürwörter«; von Professor Günther.


5 Vgl. Günther a.a.O. S. 263.


6 Vgl. Günther a.a.O. S. 279.


7 Wie man jedoch aus Höflichkeit auch zur gänzlichen Auslassung aller Pronomina kommen konnte, bloß der umschreibenden Abstracta sich bedienend, davon führt Günther a.a.O. S. 269 Proben an, indem er bemerkt: »Ganze Briefe (aus dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts) kann man lesen, in welchen kein einziges Fürwort, weder Er noch Sie, vorkommt, z.B. ›des Herrn günstiges Schreiben habe ich erhalten und daraus ersehen, daß der Herr das Büchlein zurückbegehre, welches ich von dem Herrn geleihet habe‹ u.s.f. Um nur nicht Er zu setzen, welches damals schon zu gemein schien, aber auch, um nicht zu viel zu vergeben, und Sie zu gebrauchen, welches nur noch für die fürnehmsten Personen bestimmt war, bequemte man sich lieber einstweilen zum steifsten Unsinn«. – Das abstracte Ceremoniell unseres heutigen Briefstils droht jedoch ebenfalls allem freien Gebrauch der Pronomina den Garaus.


8 S. Leibnitii Opera, ed. Lud. Dutens. (Genev. 1768.) Tom. VI. Pars II. p. 959.


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 103.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Kunst der deutschen Prosa
Die Kunst Der Deutschen Prosa: Aesthetisch, Literargeschichtlich, Gesellschaftlich (German Edition)

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Leo Armenius

Leo Armenius

Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.

98 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon