8.

[129] Mit der sogenannten Correctheit des Stils geht es wie mit der Tugend. Wo sie allzu absichtlich und bewußtvoll ihr Wesen treibt, wird sie zur Pedanterie und hat ihren Werth verloren, der in etwas Geheimnißvollem und Unverdüfteten beruht. Ein gar zu correcter Stil gleicht dem französischen Gartengeschmack, der glatte Laubwände schneidet, aber keine Natur duldet. Man geht an den nach schönem Maaß gestutzten Bäumen vorüber, die geraden Linien der Wege entlang, und sucht den Wald, aus dem eine Putzstube geworden. Durch diese künstlichen, hochgezogenen Hecken dringt selbst der Sonnenstrahl nur in matten Schlagschatten, bei aller Regelmäßigkeit der Vertheilung ist die Beleuchtung schlecht, und die Perspective dürftig. Freies Gehölz mit bewegten Zweigen, worauf Drossel und Finke schlagen,[130] sind unentbehrlich zum schönen Landschaftsbild, zu einem guten Stil.

Die Correctheit der Schreibart wird vornehmlich in zwei Dingen zum Fehler, einmal, wenn sie das Bestreben nach Deutlichkeit zu offenbar werden läßt, und das andere Mal, wenn sie in der Wahl ihrer Bilder und Beiwörter zu ängstlich mit der Prosa der Wirklichkeit rechnet, sich immer auf das strenge Maaß derselben zurückführend. Was die Deutlichkeit anbelangt, so soll man zwar mit der Absicht schreiben, nicht undeutlich zu sein, aber nicht mit der Absicht, deutlich zu sein, sowie Quinctilian sagt: – non ut intelligere possit, sed ne omnino possit non intelligere curandum; denn der Stil soll kein Interpret und Cicerone des Gedankens sein, sondern dieser selbst, und er darf nicht vorsätzlich noch hellere Lichter aufstecken, als die innere Beleuchtung und Deutlichkeit des Inhalts schon hat. Die Correctheit der Beiwörter, besonders was das bildliche Element daran betrifft, läßt sich schwieriger abfertigen oder bestimmen. Die Beiwörter sind die Farbengebung der Diction, aber zugleich die Blüthensitze für die schaffende[131] Productivität des Stils. Sie sind verwerflich, wenn sie bloß der Verschönerung oder Verzierung wegen dastehen, und nicht durch das Hauptwort nothwendig werden, dem bloßen ästhetischen Müßiggang der Rede angehörend; in welcher Weise freilich viele Schriftsteller sich mit Goldblech und Flittern behängen, und worin die sogenannte poetisirende Prosa, die nicht die wahre poetische ist, ihren Kostenaufwand bestreitet. Die Beiwörter, welche wesentlich die Zustände des Hauptworts malen, gewissermaßen die prismatische Ausstrahlung seines Begriffs, dürfen jedoch allen Farbenschimmer und Bilderglanz, der nur in die Tonart des darzustellenden Gedankens hineinpaßt, alsdann in Anspruch nehmen, und keine Poesie des Gegenstandes mag ihnen, mit dem eigenthümlichen Maaß, worin der Meister des Stils seine feinste Kunst verräth, auszudrücken gewehrt sein. Ihre Correctheit ist in der Richtigkeit der Bilder allerdings wünschenswerth, aber nicht zu übertreiben, da jedes Bild, wenn man es zu genau in seine Bestandtheile und Beziehungen zerlegt, am Ende aufhört richtig zu sein. Für den Verstand werden sich immer auch bei den[132] besten Schriftstellern Katachresen auffinden lassen, doch fragt sich, ob z.B. laute Thränen weinen, als eine Katachrese zu mißbilligen sei? Nach strengster Wirklichkeit giebt es allerdings keine lauten Thränen, da der Tropfe im Auge keinen Ton hat, aber doch ließe sich das Beiwort vollkommen vertheidigen, insofern die ganze Anschauung, in weiterer Ergänzung des Bildes, richtig ist. Hier würde man die freie Beweglichkeit des Stils sehr beeinträchtigen, wollte man ihn zu einer pedantischen Umschreibung statt des prägnant andeutenden Beiworts nöthigen. Mit der grammatischen Correctheit im Gebrauch der Adjectiven sieht es in allen Sprachen schlecht aus, und die Grammatiker müssen sich entschließen, dem productiven Bedürfnisse des Stils allen Spielraum zu lassen. Wenn König Lear von den Fürsten Frankreichs und Burgund sagt (1 Akt, 1. Sc.): Long in our court have made their amorous sojourn, so ist auch im Deutschen ein verliebter Aufenthalt eigentlich eine Katachrese, da der Aufenthalt selbst nie verliebt sein kann, sondern[133] nur aus Verliebtheit gemacht wird; aber diese grammatische Zersetzung würde Niemand für eine preiswürdige Correctheit halten, noch weniger zur Veranschaulichung des Sinnes, die in jenen beiden Wörtern sehr treffend ist, ihrer bedürfen. Aehnliches wäre an häufig vorkommenden Ausdrücken, wie verliebte Grillen, bedrückte Zeiten, u. dgl. m., jeden Augenblick auszusetzen und zu vertheidigen. Berühmt ist die wohlschlafende Nacht, die man sich in manchen Provinzen wünscht, und die zwar grammatisch leicht anzugreifen, aber nichtsdestoweniger dem Sinne nach wohl zu rechtfertigen wäre. Die Nacht ist gewissermaßen der Inbegriff und Sammelpunct aller Schlafenden, die Nacht mit ihrem Ruhegebot und Alles beendigenden, lösenden und einhüllenden Frieden, ist der Schlaf selbst, das Collectivbild des Schlummers, die athmende Vergessenheit der Müden. Eine schlafende Nacht kann man sehr gut sich denken und sagen, und daher auch eine wohlschlafende sich wünschen, die im Dialekt anmuthiger Lippen oft ganz lieblich klingt und wirkt. Dagegen muß wohl die vorhabende [134] Spazierfahrt, die sich Schiller einmal in seinem Geisterseher beikommen ließ, vor der gerechten Mißbilligung der Grammatiker sich zerschlagen.

In der Wahl der Beiwörter sind die bildlichen mehr aufzusuchen, als die abstracten, denn die bilderstürmerische Correctheit der Schreibart hat immer nur graue Regenwolken des Stils und Canzlei- und Compendiensprache erzeugt. Die Beiwörter müssen das schöne feste Fleisch des Satzes, das Blühende und Jugendliche an ihm, sein, aber nicht die fahle Runzel des reflectirten Nachdenkens über sich selbst, der welkmachenden Abstraction. Jean Paul, ein großer Poet der Beiwörter, sagt in seiner Aesthetik sehr bezeichnend: »die Beiwörter, die rechten und sinnlichen, sind Gaben des Genius; nur in dessen Geisterstunde und Geistertage fällt ihre Säe- und Blüthenzeit. Wer ein solches Wort erst sucht, findet es schwerlich. Hier stehen Goethe und Herder voran, auch den Deutschen, nicht nur den Engländern, welche jede Sonne mit einem Umhange von beiwörtlichen Nebensonnen und Sonnenhöfen verstärken. Herder[135] sagt: das dicke Theben – der gebückte Sklave – das dunkle Getümmel ziehender Barbaren etc. Goethe sagt: Die Liebes-Augen der Blumen – der silberprangende Fluß – der Liebe stockende Schmerzen zu Thränen lösen – vom Morgenwind umflügelt etc. Besonders winden die goethischen (auch seine unbildlichen,) gleichsam die tiefste Welt der Gefühle aus dem Herzen empor; z.B. »wie greift's auf einmal durch diese Freuden, durch diese offne Wonne mit entsetzlichen Schmerzen, mit eisernen Händen der Hölle durch.« Wie wird man dadurch dem gemeinen Gepränge brittischer Dicht-Vornlinge noch mehr gram. – So ergrauen auch Geßner's verwässerte Farben gegen die festern, hellern im Frühling von Kleist.« –

Ein schöner und correcter Stil bestand sonst in der sorgfältigsten Beobachtung jener stilistischen Figuren, wie Repetition, Exclamation, Aposiopese, Ellipse, Annomination und vieler anderer, die, meistentheils der Rhetorik der Alten entnommen, in allen Lehrbüchern des deutschen Stils sich aufgezählt finden, und deren Erörterung bei[136] ihrer völlig verloren gegangenen Bedeutung für uns überflüssig ist. Diese Figuren verhalten sich zur heutigen modernen Prosa, der Prosa des darstellenden Gedankens, wie die abgestorbenen Kategorien der formellen Logik zu dem Form und Inhalt ineinsgestaltenden Idealismus. –

Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 129-137.
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