II. Brief.

Der Herr von S. an den Magister Wilibald.

[13] den 12ten. April.


Hochgeehrtester Herr Magister,


Sie hatten ein Recht, an mich zu schreiben: ja, Ihr Brief würde mir willkommen gewesen seyn, wenn Sie auch nur die Hälfte von den Bewegungsgründen, mich im Geiste zu begleiten, wie Sie sich höchst vortrefflich ausdrücken, angeführtet hätten. Ihre Freundschaft ist mir alle mal schätzbar: ich werde also Ihre Briefe in Amsterdam und Londen mit eben der Aufmerksamkeit lesen, mit welcher ich ehedem Ihre gelehrten[13] Vorlesungen anhörte. Wie würde ich auch sonst im Stande seyn, so viel tiefsinnige Sprüche zu errathen, und so viel strenge Beweise einzusehen, mit welchen Sie die Wahrheit vortragen und befestigen, wenn ich Ihrer Sprache nicht bereits gewohnt wär.

Meine Schwester und der Pfarr werden nicht weiter mit Ihnen disputiren wollen, vielweniger der Kutscher. Sie haben Wiganden ganz gewiß mit einem Sorite zu Boden geschlagen; welches Sie mir aber aus Bescheidenheit in Ihrem Briefe verschweigen. Uebrigens bewundere ich Ihre Herablassung in Ansehung des Verweises. O hätten Sie mir die Uebersetzung davon beigefügt! Ohne fehlbar ist es eine Umschreibung gewesen. Ne sutor vltra crepidam. Welcher vortrefliche Einfall! Sie waren also der Mahler; die Geschichte mit dem Jeremias das Bild, und Wigand der naseweise Schuster. Wie hat sich aber der Bube unterstehen dürfen, einem Manne zu widersprechen, welcher gelehrter ist als Aristoteles und Confucius? Ich wünsche Ihnen unterdessen Glück, daß sie den[14] Heiden bekehrt, und ihm die Rangordnung zwischen einem Kutscher und einem Postknechte beigebracht haben.

Die Nachricht, von dem nunmehro herrschenden Geschmack im Hause meines Oncle, vergnügt mich. Was kann doch ein Mann von Genie thun! Sie müssen mehr als eine Seele haben: wenn ich mich anders so ausdrücken darf. Mein Oncle war ja ehedem kein Liebhaber von Romanen, wenn ich den Don Quixotte ausnehme: daher auch die Heldenthaten, welche er noch als Fähndrich in Italien verrichtet, der beständige Gegenstand unserer Unterredung seyn mußten. Bey den Fräuleins aber war noch eher etwas auszurichten. Sie sind jung, und wie weiches Wachs, welches alle Eindrücke anzunehmen fähig ist. Fahren Sie indessen fort, meine Schwester nach dem Beispiele der Henriette Byron zu bilden. Ich werde Sie noch einmal so sehr lieben, wenn ich Sie einst in einem so vortrefflichen Lichte erblicken kann. Ich denke aber, Charlotte oder die vermählte Gräfin G. wird ihr besser gefallen: denn sie liebt[15] den Scherz, und verliehrt lieber ihren Freund, als einen sinnreichen Gedanken. Der Einfall, daß Sie den alten Pastor Ihren Senior nennen, ist so spashaft nicht, als Sie wohl meinen. Ich habe schon ehedem angemerkt, daß Sie der Tochter dieses ehrlichen Mannes nicht gleichgültig sind. Sie wird von Ihnen erobert werden, ehe Sie es denkt; und wie wird sie einem Liebesantrag widerstehen können, wenn Sie solchen mit Ihrer gewöhnlichen Beredsamkeit thun, und dabei einen Schluß mit dem andern verbinden. Ich küsse Ihnen die Hände, lieber Herr Magister, wenn Sie Ihren ersten Liebesantrag entweder drücken lassen, oder doch wenigstens einen Auszug davon in den gelehrten Zeitungen bekannt machen. Mein Oncle unterstützet Sie als Kirchenpatron bey jedem Versuch, welchen Sie bey dieser Schöne zu machen willens sind: damit doch Dero Verdienste um unser Haus einiger masen vergolten werden.

Sie thun mir viel Ehre an, wenn Sie mich zu einen Schiedsrichter in der Streitigkeit zwischen Ihnen und meiner Schwester[16] erwählen. Die Sache kann nicht seyn; die Erfahrung aber soll den ganzen Handel entscheiden. So bald als ich nach Londen komme, werde ich mich um die Wahrheit der Geschichte Sir Carl Grandisons bekümmern, und Ihnen von jeder gemachten Entdeckung getreue Nachricht geben. Sie sind zum siegen gebohren; und wer wird auch hierbei gerechter triumphiren, als Sie, Herr Magister? Künftige Woche gehe ich von hier ab. Amsterdam würde nur besser gefallen, wenn ich ein Kaufmann wär. Das schöne Geschlecht behauptet hier seinen Vorzug vor dem männlichen. Ich könnte meinen Brief noch mit einer schönen Stelle aus dem Horaz versiegeln, in welcher er uns die Sitten der Holländer schildert, ehe diese Republik errichtet würde: es mag aber unterbleiben. Weit feiner wird sich meine Zuschrift mit der aufrichtigen Versicherung endigen, daß ich zeitlebens sein werde

Dero

ergebenster

v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 13-17.
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