Dritter Abschnitt.

Das Gastmahl

[102] Wäre es nach Marien gegangen, so hätte sie das ganze Vermögen ihres steinreichen Bräutigams in ihre Schürze genommen, und es in den nächsten Bach geschüttet. Aber Erdmann wehrte es ihr, raffte Alles sorgfältig wieder in den Sack, band ihn zu, und nahm sich vor, ihn zum Denkmahl fehlgeschlagener Hoffnung, und zum Beweis der großen Wahrheiten aufzuheben, die er aus seines klugen Mädchens Munde gehört hatte.

Vermochte nicht zu sprechen, sein Herz war zu bewegt, doch die Thräne in seinem Auge und die Heftigkeit, mit welcher er Marien in seine Arme schloß, sagten ihr: Ich verlasse dich nicht! Ich höre nicht auf zu hoffen, und wenn sich auch unserer Verbindung noch mehr Hindernisse entgegenstellten! – Auch Marie war stumm, und so gingen Beide Arm in Arm bis an den gewöhnlichen Scheideweg, um hier von einander Abschied zu nehmen. Da gedachten Beide plötzlich der Geschenke, die sie sich gegenseitig gemacht hatten, und indem sie befürchteten, daß auch diese sich verwandelt haben könnten, griffen sie ängstlich danach, er nach dem Ringe, und sie nach dem[102] Verlobungsthaler. Es gewährte ihnen einigen Trost, daß sich beide Geschenke noch richtig vorfanden, denn sonst würde der Kummer der armen Liebenden den höchsten Grad erreicht haben.

»Es scheint,« sagte Marie mit von Schluchzen unterbrochener Stimme, indem sie die symbolischen Hände auf dem Gepräge mit Andacht betrachtete, »es scheint, als könne wenigstens keine böse Macht unserm Bündnisse etwas anhaben! Gott sei dafür gelobt und gebenedeit.«

»Darum laß uns ferner hoffen,« setzte Erdmann hinzu, »wer weiß, welche glückliche Zeiten unsrer noch in der Zukunft warten!« –

Als Erdmann nach Hause kam, hörte er schon von weitem Frau Else mit dem Gesinde schelten, und verglich das Bild dieses tobenden Weibes mit dem seiner weinenden Marie; eine schöne Vorbereitung zu dem Gespräche, welches ihm diesen Abend mit Meister Melchior bevorstand.

»Erdmann,« sagte der Alte, als er ihn bei Seite genommen hatte, »du bist heute abermals lange über die Gebühr ausgeblieben; ich fürchte, du bist wieder mit der nichtsnutzigen Dirne im Gebirge herumgezogen, wie du zu thun pflegst! Schäme dich dieses Unwesens, und verscherze dein Glück nicht; ich könnte dir ein junges, schönes und reiches Weib verschaffen, die zugleich so flink, gewandt und anstellig ist, wie sie ein Mann deines Standes sich nur wünschen kann. Auch bringt sie dir[103] Haus und Hof, Acker und Vieh, und Alles, was in der vierten Bitte steht, mit, wenn nur ihr Vater, dessen einziges Kind sie ist, die Augen, schließt. Ihr wäre mit so einem Manne wie du, dir mit so einem Weibe wie sie, gedient; sprich, was soll ich ihr für Antwort sagen?«

»Herr, ich merke, ihr redet von eurer Tochter; aber wie wäre Frau Elsen mit einem armen Knechte geholfen?«

»Schalk! verstelle dich nicht! Du arm? Wir sind hinter deine Geheimnisse gekommen; wir wissen, wo deine Geldsäcke liegen!«

»So wißt ihr mehr als ich, Herr! Meine Schätze sind die Steine auf dem Felde, die ich zur Kurzweil sammle, und heimtrage, damit ich doch auch Etwas zu verschließen habe, wie ihr mit euren Geldtruhen thut.«

»Soll das entscheiden, was ich dir vor Augen legen will?« rief Melchior. Erdmann bejahte, und der Gastwirth entfernte sich. – Nun hatte dieser weise und vorsichtige Mann einen Nachschlüssel, welcher Alles öffnete, was in seinem Hause verschlossen war, so daß ihm nichts zwischen seinen vier Mauern verborgen blieb. Vermittelst jenes Schlüssels hatte er Erdmanns Reichthum entdeckt, und er bediente sich dieses unerlaubten Instrumentes auch jetzt, um das herbeizuholen, was, wie er meinte, unsern Erdmann zu einem offnen Geständniß bewegen sollte.

»Der Henker trage dir in Zukunft deine Geldsäcke!« schrie er, indem er mühsam den Schatz herbeischleppte, den Mariens unglücklicher Liebhaber gleich nach seiner[104] Heimkunft wieder sorgfältig verschlossen hatte. »Doch tröste dich, mein Sohn, wir wollen ihn schon dünn machen; in Reichenbach stehen hübsche Gasthöfe zu verkaufen, sehr hübsche Gasthöfe; da könnt ihr euch hinsetzen, du und Frau Else, und wirthschaften, bis der alte Vater stirbt.«

»Herr,« sagte Erdmann, der mit in einandergeschlagenen Armen dastand, und bald den zu seinen Füßen liegenden schweren Sack, bald den gesprächigen Gastwirth mit den Augen maß, »Herr, ohne euch zu fragen, wie ihr dazu kommt, meine Truhen mit Diebesschlüsseln zu erbrechen, und in meinen Habseligkeiten herum zu wühlen, bitte ich euch jetzt nur, die Mühe zu übernehmen, und den Inhalt meines Geldsacks zu untersuchen, damit wir genau wissen, wie viel ich eurer Tochter zubringe.«

»Hab's schon gethan, du schlauer Gast, hab's schon oft gethan, kenne das Eingeweide des ledernen, dicken Beutels auf ein Haar, – fünfhundert und neun und vierzig Goldthaler, achtzig – doch, wir wollen zählen, damit du siehst, daß nichts davon abhanden gekommen ist. Ich bin ein ehrlicher Mann, und dir, mein Sohn, wollte ich eher zehn Stück zulegen als eins entwenden.«

Hierauf rieb sich Melchior schmunzelnd die Hände, bückte sich, lößte die Riemen des Beutels auf, und schüttete mit großem Geprassel – das auf den Boden, was wenige Stunden vorher die armen Liebenden so schrecklich in ihrer Erwartung getäuscht hatte.[105]

Erdmann brach in ein lautes Gelächter aus, und Melchior starrte lange mit stummen Erstaunen die rothen Ziegelsteine an, die zu seinen Füßen lagen. –

Mit Erdmanns Lachen, und mit Melchiors Erstaunen waren indeß noch zu bittere Nebengefühle verbunden, als daß es dabei hätte sein Bewenden haben können. Der Erstere, der nochmals die Schmerzen der Täuschung empfunden, schöpfte schnell Argwohn und Verdacht und überhäufte Meister Melchiorn mit Vorwürfen und Drohungen. Dieser war voll Unmuthes über die Vernichtung seiner liebsten Hoffnungen, und daher nicht in der Stimmung viel zu vertragen. Es kam zu einem heftigen Zanke, wo Bitterkeiten und lose Worte von beiden Seiten nicht gespart wurden. »Ich will dir lehren,« schrie Melchior, »das Geld, das du in meinem Dienste erworben hast, aus dem Hause zu tragen, es an liederliche Dirnen zu verschenken, und mich dann mit Kieselsteinen zum Besten zu haben.« – »Und ich will euch lehren,« antwortete Erdmann, »meine Truhen mit Diebesschlüsseln zu erbrechen, und in meinen Sachen herumzustören. In eurem Dienste habe ich wenig genug erworben, denn ihr gönntet mir ja kaum Kupfermünze, wenn ihr Gold einnahmt. Hätte ich übrigens etwas besessen, – worüber ich euch gar keine Rechenschaft schuldig gewesen wäre, – so würde es gewiß der Unsegen verzehrt haben, der auf eurem Hause ruht. Könnt ihr leugnen, daß sich einst das Geld in euren Händen in glühende Kohlen verwandelte? Ihr werdet eure rechte Hand Niemand sehen[106] lassen, in die euch einst ein gewisser Geist zur Strafe eures Geizes und Wuchers ein passendes Zeichen eindrückte.«

Diese harte Rede des aufgebrachten Jünglings zog eine harte Antwort nach sich; man drohte sich gegenseitig mit der Obrigkeit, und als man immer heftiger wurde, mischten sich endlich Frau Else und das Gesinde mit in den Streit. Es wurde nun auf deren Vorschläge hin ausgemacht, daß man die Weitläufigkeiten gerichtlicher Klagen vermeiden, und wenn es nicht anders sein könne, sich in Güte trennen wollte. Der friedliche Erdmann, den schon jedes Wort reute, das ihm der Zorn eingegeben hatte, ungeachtet sich das meiste Recht auf seiner Seite befand, war gern zu einem gütlichen Vergleiche bereit, aber der dicke Melchior, der sich gleich einer giftigen Kröte aufblähte, war so aufgebracht, daß er durchaus darauf bestand, Erdmann solle noch dieselbe Nacht sein Haus verlassen. Die Knechte, die ihn sehr liebten, gaben dieß jedoch nicht zu; sie erklärten ihrem Herrn, daß sie, wenn die Sache zur Klage käme, offen die Wahrheit sagen und gegen ihn zeugen würden, und verlangten, daß Erdmann erst am andern Morgen ehrlich entlassen werden sollte, und daß es ihm auch gestattet sein müßte, alle seine Habseligkeiten, sogar den Sack mit den Kieselsteinen mit sich zu nehmen.

Nachdem Melchior in diesem Punkte nachgegeben hatte, und der Streit somit geschlichtet war, begab sich Jedermann zur Ruhe. Melchior und Erdmann waren indeß[107] noch zu sehr aufgeregt, als daß sie hätten bald einschlafen können. Bei Ersterem war es giftiger Grimm, und bei Erdmann tiefer Kummer, der den holden Traumgott von dem Lager verscheuchte. –

Ein Stunde nach Mitternacht hörte man ein gewaltiges Donnern am Thorwege. Die Knechte und Mägde mußten in tiefem Schlafe liegen, denn es ließ sich trotz des großen Lärmes Niemand von ihnen sehen. Erdmann, der noch wachte, verhielt sich, als bereits seines Dienstes entsetzt, gleichfalls still auf seinem Lager, und Meister Melchior mußte selbst hinunter, um den späten Passagier einzulassen. Ihm kam ein Grauen an, als er mit dem flakkernden Lichte über den düstern Hof ging; auch war er entschlossen, nicht eher zu öffnen, als bis er eine christliche Antwort auf den Spruch: alle gute Geister, etc. vernommen haben würde.

»Oeffne die Thür!« rief der Fremde mit einer rauhen Stimme, »ich habe keine Zeit, hier lange zu warten, denn ich habe noch einen weiten Weg vor mir!« Es lag so etwas Gebietendes in der Sprache des Mannes jenseit der Pforte, daß Herr Melchior geöffnet hätte, und wenn der Arge in eigner Person draußen gewesen wäre. Melchior gehorchte daher, und sah mit einiger Beruhigung weder Schwanz noch Hörner, sondern einen rüstigen Reiter auf einem schwarzen Pferde, der ein ziemlich unverdächtiges Ansehen hatte.

»Ist hier das Wirthshaus zum Riesen?« fragte jetzt dieser.[108]

»Zu dienen, mein Herr; aber beliebt es euch nicht, abzusteigen?«

»Ich steige nicht ab, denn ich muß weiter, die Herberge für meinen sehr hohen und sehr erlauchten Gebieter zu bestellen, welcher heute über drei Tage mit einem kleinen Gefolge durch das Gebirge ziehen wird, und in diesem Hause das Mittagsmahl einnehmen will. Darum trage Sorge, daß auf benannte Zeit eine Tafel für dreizehn Personen, mit den seltensten und theuersten Gerichten, die du bekommen kannst, wohl und fürstlich bestellt sei. Es soll dein Schade nicht sein, denn ich habe Befehl, dir für jede Person drei Goldkronen zu versprechen, auch pflegt mein Herr beim Abschiede reiche Trinkgelder auszutheilen.«

Kaum hatte der Unbekannte seine Rede geendigt, als er sein Pferd anspornte und schnell aus Melchiors Augen verschwand. So wenig nun auch Veranlassung da war, in dieser nächtlichen Bestellung etwas Geisterhaftes und Unheimliches zu finden, und so lukrative Aussichten sie auch dem geizigen Gasthalter eröffnete, so überfiel diesem doch ein Grauen, als er den Boten so schnell aus den Augen verlor. Er schlug die Hausthür krachend zu, und eilte, so schnell er konnte, nach seiner Tochter Kammer, theils um nicht allein zu sein, theils um mit ihr die wichtige Neuigkeit zu besprechen.

Frau Else hatte schon von ihrem Fenster aus das ganze Gespräch mit angehört, und konnte daher mit gutem Gewissen bezeugen, daß es kein Traumgesicht gewesen[109] sei, was, wie ihr Vater zu glauben anfing, ihn geneckt habe. Auch redete sie ihm die Grille aus, als habe des Reiters Pferd, wie er beim Scheiden bemerkt haben wollte, nur drei Beine gehabt, und sie wußte überhaupt den ganzen Vorfall als so natürlich darzustellen, daß sich endlich Melchior darüber beruhigte, und nun mit seiner Tochter überlegte, was behufs der Bewirthung des Fremden Alles anzuschaffen sei. Ein fürstliches Mittagsmahl, das nach damaligen Zeiten so honett bezahlt werden sollte, auszurichten, war keine Kleinigkeit; der größte Theil der Nacht ging darüber hin, den Küchenzettel zu machen, und als man damit endlich fertig war, wurde die wichtige Frage abgehandelt, wer, da Erdmann nun verabschiedet sei, die nothwendigen Bestellungen in den nächsten Ortschaften machen sollte. Um der Ehre des Hauses nichts zu vergeben, glaubte Frau Else, für eine Menge seltner Gerichte sorgen zu müssen, die ihrer Meinung nach jedoch nur mit Hilfe dessen anzuschaffen wären, der bisher alle auswärtigen Geschäfte besorgt hatte.

»Alles wohl erwogen, Vater,« sagte sie endlich mit der ihr eignen Sanftmuth, »so habt ihr thöricht daran gethan, den braven Jungen ohne Weiteres zu verabschieden. Mit seinem versteinerten Reichthume kann es seine eignen Bewandnisse haben; was Gold war, kann es auch wohl wieder werden.«

»Else,« erwiederte der Papa, »du redest wie eine Närrin! Sind denn die glühenden Kohlen wieder das geworden, was sie früher waren?«[110]

»Ihr mögt darin Recht haben, doch ist der Erdmann ein wackrer, gewandter Bursche, der mir gefällt, und den ich, wenn er auch keinen Pfennig hat, haben will und haben muß, und sollte ich euch zum Trotze mit ihm davon laufen!«

»Es fragt sich erst, ob er sich mit dir und deinen Kindern beladen will!«

»Das wollen wir sehen. Ihr wißt wohl, er hatte keine andere Einwendung wider euren Antrag, als daß mir mit einem armen Knechte nicht geholfen sein würde. Laßt mich nur machen. Ohne ihn können wir, wie ihr selbst einseht, nichts anfangen, denn wir haben nicht allein keinen bessern Einkäufer, sondern auch keinen zierlicheren Diener als ihn. Wer soll übermorgen der Herrschaft bei der Tafel aufwarten? Etwa ihr oder eure plumpen Knechte? – Und daß ihr es nur wißt, jetzt gehe ich hinauf, mit ihm zu reden; was das fruchten wird, sollt ihr sehen!«

Erdmann hatte, von dem späten Klopfen an der Hausthür neugierig gemacht, die Bestellung des Boten aus seinem Kammerfenster so gut vernommen, als Frau Else einige Stockwerke tiefer; er hatte über die Sache nachgedacht, und bei dem Gefühle seiner Unentbehrlichkeit im Hause schon eigentlich errathen, was nun erfolgen würde. Die Abgesandtin mit den Friedensvorschlägen fand ihn also nicht ganz unvorbereitet, und was noch mehr sagen will, nicht ganz ungeneigt, auf ihre Vorschläge einzugehen. Erdmann war nach der unerklärlichen Versteinerung seines[111] Schatzes ganz arm, und es konnte ihm nicht einerlei sein, ob er morgen, ohne mehr zu besitzen, als den kleinen Rückstand seines Lohnes, das Haus verlassen, oder noch die reichen Trinkgelder der fremden Herrschaft mitnehmen sollte, auf die er, wenn er blieb, wohl rechnen konnte. Ohne sich also auf Frau Elsens Abschweifungen von der Hauptsache einzulassen, sagte er zu, es noch bis übermorgen mit anzusehen, und die Bestellungen, die ihm für den künftigen Tag vorgelegt wurden, so gut auszurichten, als ob zwischen ihm und Meister Melchiorn nichts vorgefallen wäre.

Frau Else brüstete sich gegen ihren Vater mit dem glücklichen Erfolge ihrer Bemühungen, und Erdmann machte sich, als der Tag zu grauen begann, auf den Weg, indem er dießmal einen Esel mitnahm, der ihm die vielen Einkäufe tragen sollte. Kaum hatte er das Haus verlassen, so rechnete er schon aus, wie viel Zeit er zu den vielfachen Geschäften, die er zu besorgen hatte, brauchen würde, und wie lange er wohl bei seiner Marie, die er bestimmt zu treffen hoffte, verweilen könnte. So sehr er nun auch eilte, um bald in die Stadt zu kommen, so schien sich doch der Weg unter seinen Füßen zu verlängern, und er traf dort später als gewöhnlich ein. Zu seinem großen Leidwesen ging es ihm auch hier mit den Einkäufen nicht recht von Statten; was er sonst an einem Orte fand, mußte er heute an zehn Orten zusammensuchen, die Verkäufer waren eigensinnig und hielten ihn mit langem Handeln auf, und als er endlich das sonst so geduldige[112] Thier mit den Einkäufen beladen wollte, zeigte sich dieß so unbändig, daß er lange Zeit brauchte, um es wieder zu beruhigen. Der arme Erdmann wurde durch alle diese Widerwärtigkeiten ganz verstimmt, und nur die Hoffnung, auf dem Rückwege seine Marie zu sehen und zu sprechen, tröstete ihn einigermaßen. Als er jedoch an die Stelle kam, wo er sonst seine Geliebte zu finden pflegte, war diese nicht zugegen, und es half ihm auch nichts, überall den Namen Marie! Marie! ertönen zu lassen, den nur das Echo, gleichsam spottend, wiedergab. Da es schon spät war, durfte er sich hier nicht länger aufhalten, und mußte tiefbetrübt weiter ziehen. Nachdem er noch geraume Zeit in den abgelegensten Gegenden des Gebirges, durch welche eigentlich gar kein Weg führte, und die er nur in verliebter Phantasie allein, oder an der Hand seiner Marie zuweilen besuchte, herumgeirrt war, sah er endlich das Wirthshaus unten im buschigen Thale vor sich liegen, und nun zog er mit seinem langöhrigen Gefährten gemächlich den Abhang hinab. Obschon es ihm nämlich lieb war, den beschwerlichen Weg endlich ganz zurückgelegt und seine Einkäufe wohlbehalten nach Hause gebracht zu haben, so wäre er doch noch lieber gleich wieder umgekehrt, um seine Marie zu suchen, deren heutiges Ausbleiben ihn so sehr beunruhigte.

Frau Else stand an der Hausthür und half die Einkäufe vom Esel abladen; Erdmann aber, anstatt mit Hand anzulegen, oder wenigstens das Thier fest zu halten, war so ganz in sich vertieft, daß er sich um den[113] Esel gar nicht bekümmerte. Kaum fühlte sich dieser von seiner Last befreit, als er rasch davon sprang, und sich mit einer Schnelligkeit, die man an ihm gar nicht gewohnt war und die daher Alle in Erstaunen setzte, zwiden nächsten Hügeln verlor.

»Ach laß den Langohr! Du bist mir lieber als zehn Seinesgleichen!« sagte Frau Else sehr galant, als Erdmann, der dem Flüchtigen nachgeeilt war, nach einer halben Stunde wiederkam und erklärte, daß das Thier nirgends zu finden sei, und daß er der eintretenden Dunkelheit wegen einen Kienstock anzünden und nochmals versuchen wollte, den Flüchtigen aufzufinden. – »Laß ihn laufen,« schrie Frau Else, »er ist zum Futter gewöhnt! Morgen wird er wol wieder kommen, und kommt er nicht, so ist mir's lieber, ich misse ihn als dich!«

Diese Worte, aus denen ein plumpe Zärtlichkeit sprach, wurden von unserm Erdmann gar nicht beachtet; er folgte der Dame des Hauses verdrießlich und mit trägem Schritt in die Gesindestube, wo die Hälfte des Dienstvolks sammt Herrn Melchior schon beschäftigt war, die nöthigen Zurichtungen zu dem übermorgen bevorstehenden Mittagsmahle zu machen. In den damaligen Zeiten bestand der vornehmste Prunk einer wohlbesetzten Tafel nicht sowohl in Mannigfaltigkeit, als in Menge der aufgetragenen Speisen, nicht sowohl in Wohlgeschmack und guter Wahl der Schüsseln, als in ihrer Größe und der Höhe der Spitzsäulen, die man auf denselben empor thürmte. Um der damaligen Mode Ehre[114] zu machen, war diesen Tag über schon viel Blut im Gasthofe zum Riesen vergossen worden, und während Herr Melchior und Frau Else die feisten Braten spickten, war das Gesinde beschäftigt, mehr Kapaunen, Hühner, Tauben und Enten zu entfedern, und zuzurichten, als Gäste zur Tafel erwartet wurden – in Summa man sah, daß Herr Melchior dießmal das gemachte Gedinge von drei Kronen a Person nicht mit Sünden verdienen wollte.

Frau Else, die heute lauter Liebe und Zärtlichkeit war, labte Erdmann mit Speise und Trank, wies ihm den besten Platz am Fenster an – denn die Nächte waren kalt – stellte ihm frei, an der Arbeit Theil zu nehmen, und gebot einem Fremden, der im Winkel saß, und den Erdmann noch nicht wahrgenommen hatte, in seiner Erzählung fortzufahren, die durch die Ankunft des beladenen Esels, und dessen bösliche Entweichung etwas lange unterbrochen worden war.

Erdmann schlug die Augen auf, und erblickte beim düstern Scheine des Feuers die kleine, eingeschrumpfte Gestalt eines dem Anschein nach fast hundertjährigen Greises, den er wegen seines langen weißen Bartes und der etwas jüdischen Physiognomie für einen Israeliten gehalten haben würde, wenn nicht in den damaligen Zeiten mancher hochbejahrte christliche Mann einen ähnlichen Auswuchs, um sein Ansehen bei Enkeln und Urenkeln zu vermehren, an Kinn und Wangen geduldet hätte.

»Was soll ich da weiter erzählen,« versetzte der Alte auf nochmalige Aufforderung, »genug die breßlauischen[115] Unruhen vor hundert Jahren, und das was heute in Schweidnitz vorgegangen ist – –«

»In Schweidnitz?« wiederholte Erdmann, der augenblicklich an die einzige Person dachte, die ihn in dieser Stadt interessirte. »In Schweidnitz, was ist dort vorgegangen?«

»Habe keinen Athem, mein Sohn, es noch einmal zu wiederholen! –«

»Wart' ich will dir's erzählen, warte!« schrie Melchior, der immer noch auf Erdmann grollte. »Deine Dirne hat auch Theil daran gehabt, die Landläuferin! die Unglücksstifterin! Nun hat sie weder Dach noch Fach, und ich will sie zeitig genug vor meiner Thüre um Brod betteln sehen.«

»Marie! meine Marie!« schrie Erdmann, indem er aufsprang, und zwischen Melchiorn und Elsen wie ein Sturmwind zur Thür hinausfuhr. »Marie! meine Marie!« schrie er, als er jetzt den Thorweg aufsprengte und in die dunkle Nacht hinaustrat, ohne zu wissen, was er in dem wilden Gebirge wollte. Er hörte hinter sich die Pforte mit drei Riegeln verwahren, und aus dem Fenster ertönte ihm Elsens fast vor Wuth erstickte Stimme nach: »Höre Gesell! weil du einmal draußen bist, so vergiß nicht meinen Esel zu suchen, und komme mir ohne ihn nicht wieder vor die Augen; er ist mehr werth, als alle liederliche Dirnen von Schweidnitz, denen du nachläufst!«

Erdmann antwortete nicht; »ach Marie! Marie!« sagte er zu sich selbst, »also deshalb sah' ich dich heute nicht! Welch' ein Unglück mag dich betroffen haben!«[116]

Rastlos irrte Erdmann im unwegsamen Gebirge umher, kein Stern schickte einen mitleidigen Strahl durch die finstre Nacht, seinen Weg zu erhellen. In seiner Seele war es eben so düster; er konnte keinen klaren Gedanken fassen, und erst spät fiel es ihm ein, wie thöricht er gethan hatte, sich durch ein bloßes Wort in Verzweiflung stürzen zu lassen, wie doppelt thöricht, den Ort zu verlassen, wo er etwas mehr hätte erfahren können, um hier auf's gerathewohl nach Marien umher zu irren. »Marie! Marie!« rief er unaufhörlich, aber es antwortete nur das Echo. Er lauschte, glaubte die Stimme der Geliebten zu hören, und lies sich tiefer in's Gebirge locken, – da war's ein rufendes Käuzlein, das ihn getäuscht hatte, oder das vielstimmige Sausen des entfernten Gebirgsstromes, dem er sich oft verwegen genug näherte, um durch Ausgleiten vom jähen Ufer sein Leben einzubüßen.

Es war lange nach Mitternacht, als der Mond aufging und ihm die Ursache eines Geräusches zeigte, das er schon seit einer Stunde bald vor sich, bald hinter sich, bald etwas entfernt, bald dicht an seiner Seite vernommen hatte; es glich dem sanften Trabe eines unbeschlagenen Thieres, und unwillkührlich gedachte er des verlornen Esels, den er in der Angst seines Herzens bisher ganz außer Acht gelassen hatte. – Jetzt sah er beim Mondenschimmer ganz deutlich, daß sein Ohr ihn nicht getäuscht hatte, und daß der Entflohene wirklich wenige Schritte vor ihm hertrabte. Wie verwunderte er sich aber,[117] als er auf des Esels Rücken eine kleine Figur hängen sah, welche dem Erzähler im Wirthshause mit dem Judenbarte auf ein Haar glich! Bald zeigte sich die Aehnlichkeit noch sichtbarer, als an einer lichten Stelle des Weges der Mond das Gesicht des Reiters beschien. »Er ist es, er ist es selbst!« schrie Erdmann, und machte einige große Schritte, die ihm aber dem Reiter nicht um einen Strohhalm näher brachten. – »O guter Vater,« fuhr er keuchend fort, »verzieht! verzieht doch ein wenig, ich habe euch wichtige Dinge zu fragen.« – »Mich fragen?« erwiederte der Alte, »meinen wohlerworbenen Esel willst du mir nehmen, den ich als freie Beute hier im Walde fand.«

Mit diesen Worten trieb der weißbärtige Räuber sein Thier aus voller Macht an; es flog über Stock und über Steine, war bald diesseit bald jenseit des Stromes, bald auf einer so hohen Felsenspitze, daß Erdmanns scharfes Auge es kaum erkennen konnte, bald wieder ihm so nahe, daß er es mit der Hand erreichen zu können glaubte.

»O Bösewicht!« schrie Erdmann dem Räuber zu, »jetzt hast du also Athem genug, durch dies weite Gebirge umher zu jagen, während du gestern Abend nicht vermochtest, mir auf eine einzige wichtige Frage zu antworten! O halt ein! halt ein! und sage mir nur ein Wort von Marien! Der Esel soll dein sein, ich will dir ihn nicht nehmen, und ihn gern im Wirthshause mit meinem rückständigen Lohne ersetzen. –«

Aber der wohlberittene Greis hörte nicht; der weiße[118] Bart wehte im Mondschein, der braune Mantel flatterte, das Thier unter ihm schnob und braußte gleich einem rüstigen Hengste, bis in Erdmann ziemlich spät der Gedanke erwachte, dies gehe nicht mit rechten Dingen zu, und Entsetzen sowohl als Ermüdung ihn ohne Besinnung zu Boden stürzten.

Der Tag war angebrochen, als er sich ein wenig zu erholen begann; er vernahm das sanfte Weinen einer weiblichen Stimme an seiner Seite, fühlte sich von zarten Händen geliebkoßt, und schlug die Augen auf. »Marie! Marie!« rief er, und schlang seine Arme um ihren zu ihm herabgebeugten Nacken, »ist es möglich, daß ich am Morgen gefunden habe, was ich die Nacht über mit so viel Schmerzen suchte?«

»Und ist es möglich,« schluchzte sie, »daß ich dich lebend in meine Arme schließe? Ach das war eine fürchterliche Ohnmacht! Das kommt von dem forcirten Reiten! Der verwünschte Esel! Gottlob, daß er dich endlich abwarf und hier ins Gras legte; es war übrigens kein artiger Spaß, dein armes Mädchen, das überdieß gekränkt genug ist, so die halbe Nacht hinter dir herzujagen.«

Erdmann machte große Augen und sah Marien an! »Gott weiß, was du meinst!« sagte er endlich, »ich habe keinen Esel gesehen als den, den mir der alte Bösewicht, den ich sogern ein paar Worte über dich abgestohlen hätte, hinweg ritt. Aber laß das jetzt, und sage, sage mir nur, wo du seit gestern gewesen bist, und was es für Bewandniß mit den schweidnitzischen Geschichten hat?«[119]

»Ach du könntest längst Alles wissen, hättest du meinen Athem besser geschont, und dich deines armen Mädchens erbarmt, die nun außer dir Niemand hat, und die es nicht verdiente, in ihrer Noth so von dir geneckt zu werden.«

»Marie, ich verstehe dich nicht, aber ich ahnde außerordentliche Dinge, und ich muß dich bitten, damit wir Beide uns verständigen, mir Alles, was dir seit vorgestern begegnete, umständlich zu erzählen.«

»Ich werde mich kurz fassen können, da dir die schweidnitzischen Geschichten schon bekannt zu sein scheinen.«

»Nichts, nichts ist mir bekannt; ich erfuhr nichts weiter, als daß in Schweidnitz Unruhen vorgefallen, woran du Theil gehabt hättest, und daß du nun ohne Schutz und Obdach dem größten Elend ausgesetzt wärest – das war es, was mich zu dem Herumjagen im Gebirge veranlaßte, denn ich glaubte, dich hier finden zu müssen, und Gottlob, daß ich dich endlich gefunden habe.«

»Ach Erdmann,« sagte hierauf Marie mit einem tiefen Seufzer, »wenn du sonst nichts weißt, so habe ich dir viel zu erzählen! – Warum habe ich mich dir auch nicht eher vertraut! Wie viel Angst hätte ich mir ersparen können! Aber zu fest bewahrte Verschwiegenheit war es, die mich in Noth stürzte! – Nicht von vorgestern, nein vom ersten Beginn unserer Bekanntschaft muß ich meine Geschichte anfangen, muß dich mit Einem bekannt machen, den ich eher kannte als dich, und dessen Andenken[120] ich schon deshalb immer verehren werde, weil die menschenfreundlichen Besuche, die ich ihm machte, Gelegenheit gaben, dich kennen zu lernen.«

Erdmanns Stirne runzelte sich ein wenig, als er von menschenfreundlichen Besuchen bei einem Fremden hörte. »Ich glaubte,« sagte er, »du habest nur deiner Spinn- und Webegeschäfte wegen diese Gegenden besucht.«

»Sie waren die ersten Veranlassungen meiner kleinen Reisen durch das Gebirge, das ich Anfangs, mit den Legenden von dem mächtigen Berggeiste, der er es beherrschen soll, nicht unbekannt, immer mit einem geheimen Grauen betrat; nach und nach, als mir hier nie etwas Außerordentliches begegnete, wurde ich indeß muthiger, glaubte nicht an Rübezahl, oder hielt mich von ihm wohlgelitten. Meistens dachte ich gar nicht an ihn, und fand in seinen Gebieten, in der süßen Ruhe und Freiheit der Natur, die hier herrscht, die seligste Erholung für meine langweilige, unschmackhafte Arbeit am Spinnrocken. – Es kam bald dahin, daß ich unter Thieren, Bäumen und Pflanzen viele Bekannte hatte, daß ich jeden Hügel, jeden Pfad mit seinem eignen oder einem von mir erdachten Namen zu nennen wußte, und mich hier ganz einheimisch fühlte. Besonders war mir der Theil des Gebirges, aus welchem die Weistritz entspringt, der Rumpelbrunnen genannt, immer einer der bekanntesten und liebsten, und bald sollte er mir durch eine Begebenheit, die noch jetzt Einfluß auf mein Schicksal hat, noch interessanter werden.[121]

In der Zeit, wo gewöhnlich der Fluß von Frühlingsgewässern anzuschwellen beginnt, just auf der Stelle, wo mich deine Hand, mein Erdmann, später den Fluthen entriß, fand auch ich einst ein menschliches Geschöpf im Wasser liegend, dessen Rettung insofern möglich war, als es noch mit den Kleidern im Gesträuch des Ufers festhing. Der Figur und dem Umfange nach hielt ich den Verunglückten für einen zehn- bis zwölfjährigen Knaben, und meine Kräfte also dem schweren Werke, ihn aus dem Wasser zu ziehen, für angemessen. ›Vielleicht ist hier noch Leben,‹ sagte ich zu mir selbst, indem ich mich an einen überhangenden starken Baumast hielt, und mich tiefer herabbeugte, ›vielleicht kann ich durch die Rettung dieses armen Geschöpfes eine bekümmerte Mutter erfreuen, und der Welt einen guten Bürger erhalten.‹

Ich hatte den Willen zu einer menschlichen That, und wie das Sprichwort lautet, wo Wille ist, da verleiht Gott die Kräfte. Wie ich es anfing, weiß ich nicht mehr, genug es gelang mir, und mein Geretteter lag vor mir auf dem Ufer; es war jedoch kein Kind, sondern ein kleiner, steinalter Mann, dem, wie er sagte, mein Werk seiner Rettung kaum dankenswerth schien, da ich ihm doch nur wenige Tage eines elenden Lebens erhalten hätte. Der gute Mann ist nun todt, und man soll dem, der sich im Reiche der Wahrheit befindet, keine Lügen nachsagen, aber mir ist hundertmal eingefallen, wenn er mir durch seine ängstliche Todesfurcht die Sorge um sein Leben so schwer machte, daß er jenesmal nur so redete, um sich den Dank für seine Rettung zu ersparen.[122]

Ungeachtet der mürrischen Weise, mit welcher er mir dieses seltsame Kompliment machte, regte sich doch gegen ihn in meinen Herzen eine Art von schmerzhafter, mitleidiger Liebe, die wir Weiber besonders gegen Kinder und Alte zu fühlen pflegen. Das was ich für ihn gethan hatte, machte mir ihn noch lieber, und ich sagte ihm, ich würde seinem Lebenshaße zum Trotze auf die Verlängerung seiner Tage denken.

›Schwer genug wird es dir werden,‹ erwiederte er, ›da ich, wie du siehst, ganz schwach und hülflos bin, und ohne die zärtlichste Pflege nicht einen Tag mehr leben werde.‹

›Und die sollt ihr haben, bis ihr stark genug werdet, mir in die nächste Stadt zu folgen, wo es mehr mitleidige Herzen giebt, die das ersetzen werden, wozu ich zu schwach bin.‹

›Wenn du deine Hand von mir abziehen willst, so kannst du eben so gut mich wieder in den Strom werfen, denn ich kann und werde nicht unter Menschen gehen!‹

Ich fragte warum, aber er antwortete nicht, und ich setzte mein Werk des Wärmens und Abtrocknens stillschweigend fort, bis er sich völlig erholte; darauf brachte ich ihn in eine mir wohlbekannte Berghöhle, wo ich mich oft vor Regen und Sonnenglut geborgen, oder am Mittag ausgeruht hatte, und bereitete ihm ein Bett von Moos und dürren Kräutern. Er fing an zu schlummern, und ich benutzte diese Zeit, nach einem Baume zu eilen,[123] wo ich etwas wilden Honig wußte, pflückte von den Sträuchen einige Hände voll Beeren, und ein kleiner Krug mit Milch, den mir die Leute im Dorfe, wo ich Flachs gekauft, geschenkt hatten, diente mir jetzt dazu, das Mahl, das ich auf einen Teppich von grünen Blättern vor meinem Schlummernden ausbreitete, vollkommen zu machen.

Er erwachte, sah mit Vergnügen, was ich ihm aufgetischt hatte, und aß und trank zum Verwundern, worüber ich, weil ich einem so betagten Manne solchen Appetit nicht zugetraut hatte, große Freude bezeigte.

›Du bist sehr gut,‹ sagte er, ›vielleicht würde jedoch deine Theilnahme an meinem verlassenen Zustande abnehmen, wenn du wüßtest, wer ich bin.‹

›Und wer seid ihr denn?‹

›Ich will glauben, daß ich dir dieß ohne Gefahr für mich entdecken kann, denn ich habe dich ja an den verhaßtesten Geschöpfen hier im Gebirge Liebe üben sehen; ich sah dich einst einer alten Eidechse, welche blind war, Futter zutragen; wie solltest du nicht auch an einem verlassenen unwerthen Menschen Barmherzigkeit üben!‹

›Vater, eure Reden betrüben mich! Wer seyd ihr? Unwerth ist in meinen Augen kein Geschöpf! Euer Unglück und euer Elend wird meine Liebe zu euch nur verdoppeln.‹

›Ich kann vielleicht ein Boshafter, ein Verbrecher sein, oder zu einem überall verschrieenen Geschlechte gehören! Schon als Kind bei der großen breßlauischen Judenverfolgung[124] aus meinem Vaterlande vertrieben, habe ich ein mehr als hundertjähriges Leben unter Druck und Elend bis hierher geschleppt, habe meinen Tod, das Ende meiner Leiden in den Fluthen finden sollen, und bin von dir wider Willen gerettet worden. –‹

›Vater, seid ihr ein Jude, so will ich euch zu euren Glaubensgenossen bringen; ich wohne zu Schweidnitz in der Judenstadt, wo ich viele wohlhabende Juden kenne.‹

›Ich sage dir aber, daß ich keinen Menschen sehen will als dich! Wenn du mich Jemand entdeckst: – –‹

Der Greis machte bei diesen Worten ein fürchterliches Gesicht, und die Kraft, mit welcher er auf den Boden schlug, so daß mein ausgeleerter Milchtopf umfiel und zerbrach, sagte mir, daß ich mich vor seinem Zorne zu hüten habe.

Zitternd versprach ich ihm Alles, was er wollte, doch ließ ich mich durch keinen Eid binden.

Gern hätte er mich zu seiner Pflege beständig bei sich behalten, aber wie konnte ich ihm zu Liebe meine gute Herrschaft vernachlässigen? Ich mußte zu dieser zurück, und mein Geretteter, der sich Abraham von mir nennen ließ, mußte sich gefallen lassen, mich nur gelegentlich zu sehen, und so viel Pflege von mir anzunehmen, als ich ihm ohne Versäumniß leisten konnte. Seine Erhaltung war mir nicht leicht; er gab mir nur selten etwas, wovon ich seine Bedürfnisse bestreiten konnte, denn, wie er sagte, so war er selbst arm. Er lebte daher größtentheils[125] von dem, was ich mir selbst abdarben, oder für ihn in dem Kloster, wohin ich zuweilen geschickt wurde, erbetteln konnte. Ohne es zu wollen, erwarb ich mir durch meine Fürbitten für einen Armen, und durch die Freude, die ich bezeigte, wenn ich etwas Erquickendes für ihn erhielt, die Gnade der Aebtissin, und das Versprechen, einst auf leidliche Bedingungen Aufnahme in ihrem Kloster zu finden. Ach Gott! dies war bisher meine einzige und gewisseste Aussicht! Nun ist sie auch verschwunden; die gute Gräfin von Würban, die bisherige Domina, ist todt, und der gute Wille der neuen Oberin und der übrigen Klosterfrauen ist durch die gestrigen Begebenheiten, die nur gar zu schnell zu ihren Ohren gelangten, ganz verschwunden, so daß ich jetzt im eigentlichsten Sinne des Wortes ganz hoffnungs- und heimlos bin.

Doch wieder zu meiner Geschichte. Von meinem Pfleglinge ärntete ich, ungeachtet Allem, was ich für ihn that, wenig Dank; er war voller Eigensinn und Launen, tadelte meine kleinen Gaben, beschuldigte mich, ich sei seines Lebens überdrüssig und wünsche seinen Tod, schimpfte und schmähte mich, und drohte mir einst sogar mit Schlägen. In der That, es gehörte Geduld der Heiligen dazu, dies Alles auszuhalten, und es waren nur zwei Dinge, die mich zu sehr an ihn fesselten, als daß ich ihn je hätte verlassen können; das eine war, seine angenehme für mich in tausenderlei Betracht lehrreiche Unterhaltung, wenn ich ihn einmal heiter fand, und das andere, die Vorstellung von seiner gänzlichen Hülflosigkeit,[126] wenn ich die Hand von ihm abziehen würde. Obgleich ich ihn zuweilen, wenn er in Zorn gerieth, im Verdacht hatte, er stelle sich schwächer als er sei, so hatte ich doch täglich unzähliche Beweise, daß er unvermögender war, als ein Kind, und ohne meine Unterstützung nicht leben konnte. Um nicht über seine Grillen und Launen verdrießlich zu werden, bemühte ich mich, diese als aus seiner Krankheit und Schwäche hervorgehend zu betrachten, und es gelang mir durch diese Erwägung den aufsteigenden Unwillen in Mitleid zu verwandeln.

Unter den Einfällen, mit welchen er mich zu peinigen pflegte, war einer der bemerkenswerthesten, daß er mir zuweilen entlief, daß ich ihn dann in allen Höhlen des Gebirges und in allen Gebüschen des Waldes mühsam wiedersuchen mußte, wenn ich nicht, – wie mir einmal geschah, als ich dachte, er würde wohl von selbst wiederkommen, – ihn des andern Tages halbtodt vor Nässe, Kälte und Ermattung in oder außer halb seiner Höhle wiederfinden wollte.

Auf einer dieser Wanderungen mußte er dich und mich belauscht haben, denn ich wüßte nicht, wie ihm sonst unser Verhältniß kund geworden wäre. Er hielt mir damals eine lange Strafpredigt über meinen Umgang mit dir, die ich indeß mir wenig zu Herzen nahm. Abraham schien schlechterdings mich für sich allein in Anspruch nehmen zu wollen, und jedes andre Geschöpf um meine Gesellschaft zu beneiden. Seine Klagen, daß ich ihn um deinetwillen vernachlässige, daß ich ihn, dir zur Liebe, später[127] besuche und früher verlasse, waren unausstehlich und was das Letzte anbelangt, vielleicht nicht ganz ungegründet; freilich konnte mich, wenn die Stunde kam, wo du vorübergingst, nichts bei ihm zurückhalten. –

Der Winter kam; ich mußte nicht allein das Vergnügen aufgeben, dich zu sehen, sondern auch meinen armen Alten seinem Schicksale überlassen. Er weinte wie ein Kind um sein Leben, das er ohne mich nicht erhalzu können vorgab, und jetzt fühlte ich erst, wie lieb er mir ungeachtet seiner Launen war. Auch ich weinte sehr und bat ihn, mir zu erlauben, ihn in die Stadt zu führen, oder seinen Aufenthalt den barmherzigen Brüdern zu Reichenbach kund zu thun, welche Vorschläge er jedoch mit Unwillen verwarf. Der fallende Schnee ließ mich befürchten, daß ich den Hülflosen heute zum letzten Male gesehen haben würde, und ich trennte mich daher von ihm, wie von einem sterbenden Freunde. Nach der Zeit machte ich noch öfters Versuche, zu ihm zu kommen, aber sie mißlangen alle, denn der Schnee hatte nicht allein die Gebirge ganz pfadlos, sondern auch alle Gegenden derselben so unkenntlich gemacht, daß ich nicht einmal mehr wußte, wo ich meinen Pflegling suchen sollte, und über dem vergeblichen Bestreben, seine Höhle dennoch zu finden, mehrmals in Lebensgefahr gerieth.

Ich beweinte ihn als einen Todten, und nahm mir fest vor, im künftigen Frühjahre die Gegend, wo ich sein Grab vermuthete, gänzlich zu meiden, um nicht die Erinnerung an den Todtgeglaubten zu sehr aufzufrischen.[128]

Demungeachtet war mein erster Gang, als ich das verjüngte, von Schnee und Eis befreite Gebirge wieder betrat, nach der Höhle, wo der Alte seinen letzten Seufzer ausgehaucht haben mußte. Denke dir nun mein Erstaunen, als ich den, dessen irdische Ueberreste ich suchte, lebend und ungefähr in demselben Zustande wiederfand, in dem ich ihn verlassen hatte.

›O Vater! Vater!‹ rief ich, indem ich auf ihn zueilte. ›ist es möglich, daß ihr noch lebt, und welches Wunder hat euch erhalten? –‹

›Du bildest dir sehr viel ein,‹ erwiederte er mit mürrischem Tone, ›wenn du glaubst, der Himmel habe Niemand als dich, seine Wohlthaten auszustreuen; freilich deinetwegen hätte ich ruhig umkommen können.‹

›Vater, ich schwöre euch, nur die Unmöglichkeit – –‹

›Es ist gut! – Was bringst du mir zu meiner Erquickung? Ich will nicht hoffen, daß du leer gekommen bist.‹

Ohne zu antworten verließ ich ihn, und eilte nach meinem Flachskörbchen, das ich vor der Höhle abgesetzt hatte, und in welchem etwas sparsame Wegzehrung für mich enthalten war; ich brachte es ihm, bat vorlieb zu nehmen, und er wurde aufgeräumter.

›Marie,‹ sagte er, ›die Wahrheit zu gestehen, thust du viel an mir; wäre ich der schönste Jüngling von der Welt, du könntest dich nicht zärtlicher um mich bemühen.‹

›Eben weil ihr das nicht seid, Vater, darum suche ich euch nach Kräften zu pflegen. Euer Alter macht mir[129] die Sorge um euch zur Pflicht. Junge Bursche können sich meiner Milde wenig rühmen.‹

›Einer ist doch wohl in der Welt, dem zu Liebe du schon manchen mühseligen Weg gemacht hast! – Begegnete dir Erdmann schon im Gebirge?‹

›Nein, Vater, es ist heute mein erster Ausgang.‹

›Liebst du ihn und hoffst du ihn wiederzusehen?‹

›Vater, wie sollte ich ihn lieben! Ich kenne ihn ja so wenig!‹

›Nun, wenn du ihn also nicht liebst, so wird es dir leicht sein, ihn einem Andern aufzuopfern. Willst du bei mir bleiben? – Siehe, meinem Wesen steht eine große Veränderung bevor; binnen kurzer Zeit werde ich diese eingeschrumpfte Hülle ablegen, und wieder jugendlich blühen, schöner als dein Erdmann, schöner als alle Jünglinge der Welt. Mit meinem Alter und meiner Häßlichkeit wird auch meine Armuth schwinden, und ich werde reich genug sein, dir ein Glück zu bereiten, das alle deine Erwartungen übersteigen wird. – Du schweigst? Willst du, oder willst du nicht?‹

›Nein, Vater,‹ sagte ich zitternd, ›denn erstens glaube ich kein Wort von dem, was ihr mir vorschwatzt, und zweitens wäre auch Alles wahr, so – so –‹

›So wäre dir Erdmann doch lieber? – Nun so geh! renne hin in dein Verderben! Du wirst den Geliebten zwar heute noch sehen, aber dein Zusammentreffen mit ihm wird kein erfreuliches sein!‹[130]

Ich ging und brauche dir, mein Erdmann, wohl kaum zu sagen, daß dies der nämliche Tag war, an welchem ich beinahe in den Fluthen umgekommen wäre. – Die Weistritz war während meiner Unterhaltung mit dem Alten, die länger gedauert haben mußte, als ich meinte, fürchterlich angeschwollen; das Wasser schien von Augenblick zu Augenblick zu wachsen, doch war noch der lange Steg sichtbar, der in der Gegend, wo der Fluß am schmälsten ist, auf die Wiese führt. Ich ermannte mich, setzte einen Fuß in's Wasser auf das durchscheinende Bret – Laß dich warnen! rief mein Alter hinter mir her, den ich noch nie so laut hatte rufen hören; ich hielt einen Augenblick inne, aber jetzt sah ich dich, wie ich meinte, von fern den gewohnten Pfad herauf kommen, und ein unwiderstehlicher Zug riß mich dir entgegen. Noch that ich einige Schritte mit Festigkeit, aber nun täuschte mich der Wiederschein der nahen Berge, ich schwankte, ich sank, und – ward von dem wilden Strom davon getragen.

Du weißt das Uebrige. Ich erwachte in deinen Armen, ich dankte dir ein Leben, das ich ferner nur dir zu weihen schuldig war. Dieser Vorfall trug wesentlich dazu bei, meine bisherige Neigung zu dir, die vielleicht schon längst Liebe war, noch mehr zu verstärken, und als du mir bald darauf das Geständniß der Liebe ablegtest, vermochte ich nicht länger, meine Gefühle für dich zu verbergen. Der Gedanke an ewige Vereinigung, mit dem du so vertraut warst, kam mir dennoch nie in den Sinn. Du gründetest deine Hoffnungen auf die Milde eines[131] übermenschlichen Wesens; ich zweifelte, und wer von uns Beiden Recht hatte, das erwieß das Abentheuer mit dem steinernen Schatze.

Was meinen alten Vater Abraham anbelangt, so fuhr ich fort, ihn auch nach meiner Rettung zu besuchen, obgleich ich mich wegen der verschmähten Warnung ein wenig vor ihm scheute, und seit dem wunderbaren Zeuge, das er mir das letztemal vorgeschwatzt hatte, eine kleine Verminderung meines bisherigen Zutrauens zu ihm spürte. Zum Glück machte er mir nie wieder ähnliche Anträge, auch gedachte er deiner weder im Guten noch im Bösen. Ich war aufrichtig genug gewesen, ihm meine Lebensrettung zu erzählen, und jetzt mochte ihm wohl unser Verhältniß zu heilig erscheinen, als daß er hätte noch länger versuchen sollen, es zu stören. Doch war er deshalb eben nicht freundlicher gegen mich, und ich entsinne mich besonders, daß ich an dem Tage, an welchem du mir deine Lebensgeschichte erzähltest und ich dir Gleiches zu thun versprach, viel von seinen Launen auszustehen hatte, und tausend Verweise wegen meines Unglaubens, meiner naseweisen Urtheile und anderer Fehler hören mußte, die ich in seiner Gegenwart zu äußern nie Gelegenheit hatte, da mir die Furcht vor ihm immer die Zunge gefesselt hielt.

Ach, es sollte dies das Letztemal sein, daß ich von ihm zu leiden hatte! Ich fand ihn am andern Morgen, ehe ich dir begegnete, sehr schwach, und er starb in meinen Armen. ›Marie!‹ sagte er wenige Minuten vor[132] seinem Tode, ›ich habe dich wohl geprüft, und du verdientest für deine Geduld Belohnung, wenn ich nicht noch so viel an dir zu tadeln hätte. Hüte dich, und lade nicht durch vorwitzige Urtheile noch ärgere Züchtigungen auf dich; es ist thöricht, über Dinge zu entscheiden, die man nicht versteht.‹

›Guter Vater,‹ sagte ich, ›ich danke euch für eure Lehre, die mir aus mehr als einer Ursache lieb ist. Ihr habt mit so kräftiger Stimme gesprochen, daß ich euer Ende unmöglich so nahe glauben kann, als ihr mich bereden wollt.‹

›Von der Wahrheit meiner Worte,‹ erwiederte er, ›wirst du dich in wenig Augenblicken überzeugen. Wisse übrigens, daß ich denjenigen, der meinen Leichnam zur Erde bestattet, zu meinem Erben erkläre. Bist du stark genug, diese Arbeit zu verrichten, so soll Alles, was ich zurücklasse, dein sein; sonst sei es dir auch erlaubt, dir einen Gehülfen zu wählen, und mit ihm die Erbschaft zu theilen. Doch sorge dafür, daß meine irdische Hülle gleich in den nächsten Stunden nach meinem Tode beerdigt werde.‹

Bald nach diesen Worten schlossen sich seine Augen, und nachdem ich nach vielen vergeblichen Versuchen, ihn zu erwecken, von seinem Hinscheiden überzeugt war, machte ich unter tausend Thränen Anstalten zu seiner Beerdigung, wozu es mir jedoch, wie ich bald merkte, in jeder Beziehung an Kräften fehlte. Ich verließ die Höhle mit dem festen Entschlusse, dich zum Vertrauten des lang verschwiegenen[133] Geheimnisses zu machen, aber schnell besann ich mich anders, denn ich fürchtete, daß ich dann bei dir wieder einen Verdacht erregen würde, den du erst den Tag vorher auf eine sehr unzweideutige Art gegen mich geäußert und mit Mühe aufgegeben hattest.

Mein Todter war nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach ein Jude, wenigstens war das Wenige, was er mir einst von seiner Person gesagt hatte, ganz geeignet, diese Muthmaßung zu erregen. Ich kann es nicht läugnen, daß der Widerwille gegen dieses Volk, der uns von Kindheit auf eingeprägt wird, mir manchen harten Kampf gekostet hatte. Bei dir mußte ich ähnliche Gesinnungen vermuthen, ohne zu wissen, ob du sie der Menschheit zur Ehre so glücklich besiegen würdest, wie ich. Du hattest noch vor Kurzem unter allen Beschuldigungen meiner Feinde, die du mir mittheiltest, auf das Wort Jüdin den meisten Nachdruck gelegt, und hattest nicht ganz mit meiner Vertheidigung befriedigt geschienen. Sollte ich durch die Theilnahme an meinem seltsamen Unbekannten neuen, vielleicht unaustilgbaren Verdacht erregen? Du hättest mich vielleicht für Vater Abrahams Kind oder Enkelin gehalten, und hättest dich von mir getrennt, ohne dich eines Andern belehren zu lassen.

Ich faßte daher einen andern Entschluß, und eilte, dich zu sehen und mich in deinem Umgange zu trösten. Du erinnerst dich des Inhaltes unserer gestrigen Gespräche; Trübsinn und Schwermuth blickte aus Allem hervor, was ich dir zu sagen hatte; auch fragtest du mich[134] nicht nach der Ursache meiner trüben Stimmung, denn der Vorfall mit deinem Schatze konnte diese hinlänglich entschuldigen.

Wir trennten uns voll Kummer über die Verwandlung deines betrügerischen Reichthumes, die alle unsere Hoffnungen vernichtete; ich aber konnte mich nicht enthalten, so spät es auch war, noch einmal in die Höhle zu gehen, um zu versuchen, ob das Todtengräbergeschäft mir jetzt leichter würde, als diesen Morgen. Ich mußte indeß abermals unverrichteter Sache zurückkehren, und es wurde Nacht, als ich die Stadt erreichte.

Ueberzeugt, daß der alte Abraham zu dem Volke gehöre, unter welchem ich in Schweidnitz wohnte, hielt ich es für das Beste, die Sorge für seinen Leichnam seinen Glaubensverwandten zu übertragen, und begab mich also, noch ehe ich das Haus meiner Herrschaft wieder betrat, zu einem der vornehmsten Juden, dem ich so viel von meiner Geschichte mittheilte, als ich für gut hielt. Ich fand Gehör, und bat um Verschwiegenheit. Noch in derselben Nacht machte sich die ganze Judenschaft auf, den verblichenen Bruder nach Schweidnitz zu schaffen, ihn ehrlich nach ihrer Weise zu beerdigen, und dafür seine Erbschaft in Empfang zu nehmen. Ich verhielt mich während dieser Zeit ruhig in dem Hause meiner Herrschaft, und glaubte einen großen Stein von meinem Herzen gewälzt zu haben. Aber o Gott! welch ein Ungewitter stand mir und der ganzen Nachbarschaft auf den nächsten Tag bevor! So gut ich auch Vater Abrahams Glaubensgenossen[135] den Ort bezeichnet hatte, wo sie seinen Leichnam finden sollten, so hatten sie doch trotz allem Suchen die Leiche nicht gefunden. Sie kamen noch vor Tagesanbruch ganz wüthend unverrichteter Sache zurück, machten groß Geschrei von dem, was sie diese Nacht über im Gebirge erlitten hätten, hielten das Ganze für die Erfindung eines muthwilligen Christenmädchens, und rüsteten sich, die Schmach an Schuldigen und Unschuldigen zu rächen. Sie stürmten das Haus, in welchen ich war, und es kam zum völligen Aufruhr. Meine Herrschaft ließ sich nicht ungeneigt finden, durch Auslieferung meiner Person Frieden zu erlangen, aber ich entkam glücklich, und floh, weil ich im Gebirge unter deinem Schutze wenig Sicherheit wußte, nach dem Marienkloster im Walde, wo ich die Aufnahme fand, von der ich dir schon gesagt habe. Ach, auch hier wurde ich verstoßen! Man nannte mich bald eine Jüdin, bald eine Friedensstörerin und ich mußte froh sein, mich auch hier durch die Flucht zu retten.

Wo sollte ich anders hin als in das Gebirge, wo ich noch die einzige mir verwandte Seele, die ich auf der Welt hatte, zu finden wußte! Aber ach, es war schon später Abend; die Zeit, wo ich hoffen konnte, dir zu begegnen, war längst vorüber, und ich mußte mich begnügen, mich dem Hause, wo du wohntest, so sehr als möglich zu nähern, um dich am nächsten Morgen, wenn du aus dem Hause gingest, gleich zu bemerken.

Als ich so in der Dämmerung hin und herirrte, weinte, und mich mit tausenderlei Gedanken quälte, hörte ich dicht an[136] meiner Seite ein leises Traben, und fühlte im nämlichen Augenblicke einen großen haarigen Kopf, der sich mit freundlichem Ungestüm an meinem Arm schmiegte. Es war dein Grauschimmel, der mich im Dunkeln so gut erkannte, als ich ihn. Er liebkoßte die Hand, die so oft, wenn du ihn an das Gesträuch bandest, um ruhig mit mir zu kosen, ihm Brod darreichte, oder ihm die Mühe ersparte, das frische Gras vom Boden abzufressen. Ich fühlte nicht geringere Freude über seine Anwesenheit, als er über die meinige. Ich glaubte, wo das Thier sich befände, da könntest du nicht fern sein, und dünkte es mir seltsam, dich bei so später Nacht noch außer dem Hause zu wissen, so fiel mir schnell ein, Freund Langohr könne etwa entwischt sein, und du würdest nicht ermangelt haben, sobald du seine Flucht bemerktest, ihm nachzusetzen. Ich vergalt dem Thiere diese gute Botschaft mit einem Theile meines Abendbrotes, das ich, als ich entfloh, mit mir genommen hatte, band meinen Gefährten, um seiner und deiner desto gewisser zu sein, an einen Baum, unter welchem ich bald darauf mein Lager nahm, und des langen Wartens auf dich endlich überdrüssig, entschlummerte.

Stelle dir meine Freude und dann wieder mein Entsetzen vor, als ich auf einmal durch das Geschrei und Springen meines Nachbars aus dem Schlafe geweckt, im matten Schimmer des aufgehenden Mondes eine Gestalt, gleich der deinigen, gewahr wurde, die sich auf den Esel schwang, und im vollen Gallop davon ritt. Welch[137] ein Gefühl, dich erst unverhofft so nahe und im nächsten Augenblicke wieder so fern zu sehen! Ich rief dich, so laut ich vermochte, aber du hörtest nicht und ich war genöthigt, dir nachzueilen, um mich dir bemerkbar zu machen.

Der Vorsprung, den du auf dem Thiere, das ich noch nie so laufen sah, vor mir hattest, war groß, doch ereilte ich dich einigemale; du schienst mich zu sehen, mich zu kennen, ich streckte schon die Arme nach dir aus, du wartetest meiner, – aber auf einmal ging das Jagen von Neuem an. Ich verlor dich aus dem Gesichte und sah dich wieder; ich ruhte, weil ich zu erschöpft war, und du warst mir ganz nahe; ich erhob mich, und auf einmal gallopirtest du wieder jenseit des Flusses dahin. – Gottlob, daß das muthwillige Thier dich endlich abwarf, und daß ich dich hier von deiner stundenlangen Ohnmacht wieder zu dir selbst kommen sah.«

Erdmann schüttelte den Kopf. »Und bist du sicher,« sagte er, »daß der Eselreiter kein Anderer war, als ich? Mich dünkt, die Aehnlichkeit zwischen ihm und mir war nicht allzugroß.«

»Das helle Mondlicht müßte mich seltsam getäuscht haben.«

»Und sahst du es, wie das Thier mich abwarf?«

»Ich sah es leer hinter dem Hügel hervorspringen, und vermuthete, daß es seinen Reiter hier im Thale gelassen haben müßte. Ich suchte dich und fand dich ohnmächtig[138] auf dem Boden liegend; das Uebrige ließ sich ja errathen.«

Marie vermaß sich viel, hier rathen zu können, wo offenbar ein launiges Wesen höherer Art im Spiele war, welches durch mißverstandene Winke, unüberlegte Worte, übereilte Urtheile so schnell und bitter beleidigt werden konnte, daß es kein Bedenken trug, selbst seinen auserkornen Lieblingen die verdrießlichsten Possen zu spielen. – In der That hatten Erdmann und Marie in der Unschuld ihres Herzens schon Mancherlei gesagt und gethan, was sie bitter bereut haben würden, wenn sie den, von welchem unter ihnen so oft die Rede war, recht gekannt hätten.

»Komm, komm, Marie!« sagte Erdmann mit bedenklichem Kopfschütteln, indem er aufstand, und seiner Geliebten die Hand reichte »wir wollen über diese seltsasamen Dinge jetzt nicht weiter nachdenken und lieber überlegen, was wir vor der Hand zu thun haben. Wisse, ich bin frei wie du, denn morgen verlasse ich meinen Dienst im Wirthshause; von diesem Augenblicke an bin ich ganz dein, nur fragt es sich, wo du während der Zeit bleiben wirst, und was wir dann, eins so arm wie das andere, anfangen sollen!«

Marie gestand weinend, daß sie nicht zu rathen wüßte und sich ganz seiner Leitung überlassen wollte.

»Marie,« sagte Erdmann nach einigem Bedenken, »würdest du dich entschließen können, künftige Nacht und einen Theil des künftigen Tages, während ich noch[139] bei meiner Herrschaft bin, hier im Gebirge allein zu bleiben?«

»Ich bin hier so oft allein gewesen, und mir ist, das Abentheuer mit dem Eselreiter ausgenommen, nie etwas Bedenkliches zugestoßen; warum sollte ich gerade heute diese Gegend fürchten, die mir jetzt allein einen Aufenthaltsort gewähren kann!«

»Nun so laß uns vor allen Dingen den Esel suchen, ohne den ich nicht vor Frau Elsens Augen kommen darf; du versteckst dich dann hier im Gebirge, und ich gehe nach Hause, wo es heute sehr viel zu thun giebt. Jede Stunde, die ich abstehlen kann, schenke ich dir, und versorge dich so gut als möglich mit Nahrung. Aber morgen, morgen soll es schon besser werden; wir haben ein fürstliches Mahl auszurichten, wovon genug übrig bleiben wird, mein armes Mädchen zu laben. Ich erwarte von den Fremden, welche bei uns einkehren sollen, große Trinkgelder; habe ich diese, so komme ich, dich aus deinem Verstecke abzuholen, und in dem nächsten Orte mit dir zur Kirche zu gehen. Wir sind dann Mann und Frau, und haben die ganze weite Welt vor uns, unser Glück zu suchen. Gott gab uns frohe Herzen und gesunde starke Arme; ich als Knecht, du als Magd in irgend einem bemittelten Hause, können wir uns wohl eine Zeitlang ehrlich fortbringen, bis Gott weiter hilft.«

Der gemachte Plan hatte Mariens völligen Beifall, und man wollte eben mit Aufsuchung des Esels beginnen,[140] als Marie doch noch eine kleine Einwendung dagegen machte.

»Erdmann,« sagte sie, »mir fällt eben ein, daß wir einer andern Arbeit den Vorzug geben müssen.«

»Und welcher?«

»Die Gebeine meines armen alten Freundes liegen noch unbeerdigt in der Höhle, wo sie die schelmischen Juden nicht finden konnten, oder finden wollten; soll ich diese Gegend verlassen, ohne ihm die letzte Ehre erzeigt zu haben?«

»Marie! Marie! Ich fürchte, es hat mit deinem Alten eine seltsame Bewandniß; die Wahrheit zu gestehen, so halte ich ihn wenigstens für einen argen Zauberer.«

»Erdmann, wenn du mich liebst, so schone das Andenken des Verstorbenen; muß ich doch auch deinen Rübezahl in seinen Würden lassen, der dich mit seinen steinernen Goldmünzen so arg getäuscht hat.«

Erdmann schwieg, denn wunderliche Gedanken durchkreuzten seinen Kopf, und so kamen sie in der Höhle an, wo die fromme Marie die Exequien eines Geschöpfes feiern wollte, das sie so weidlich geplagt hatte, und das sie doch noch mit gutherziger Unschuld liebte.

Der Leichnam lag so offen auf der Stelle, wo ihn Marie vor zwei Tagen hingelegt hatte, daß man nicht begriff, wie er von irgend Jemand hatte übersehen werden können. Beide Liebende nahten sich der Leiche, doch Erdmann mit heimlichen Grauen, denn ihm däuchte, die nämliche Gestalt zu sehen, die er gestern Abend im[141] Wirthshause beim Feuer erblickt, und die ihm diese Nacht so seltsam geäfft hatte.

Er verbarg sein Entsetzen, um Marien, welcher eine einsame Nacht im Gebirge bevorstand, nicht zaghaft zu machen, und schickte sich an, mit den nöthigen Werkzeugen, welche die erschrocknen Juden in voriger Nacht zurückgelassen haben mochten, eine Grube zu machen, indeß die Leidtragende bei der Leiche stand, und um der Sache ihre gehörige Feierlichkeit zu geben, ein Todtenlied anstimmte.

Erdmann, welcher nicht wollte, daß Marie Hand an den ihm so verdächtigen Leichnam legte, verrichtete Alles, was nun noch zu thun war, und schwitzte dabei Todesschweiß; es war ihm, als hinge Blei an seinen Händen und Füßen, und er dankte Gott und seinen Heiligen, als das schwere Werk vollendet war. »Komm! komm!« sagte er zu Marien, »laß uns von hinnen eilen, und diese Gegend nie wieder betreten.«

So nöthig dem armen Brautpaare eine kleine Verbesserung ihrer Umstände gewesen wäre, so dachte doch Keines von ihnen an die, dem Todtengräber versprochene Erbschaft. Marie wußte überdieß zu gut, wie arm der Alte gewesen war, und Erdmann fühlte zu viel Grauen in dieser Höhle, als daß er sich nach irgend etwas Anderem, als nach ihrem Ausgange hätte umsehen sollen; doch stießen sie im Forteilen an einen kleinen ledernen Beutel, den Erdmann aufhob und ihn Marien reichte. Sie öffnete ihn und zog zwei grobe Silberstücke heraus. »Ach,« meinte sie, »das also ist der ganze Reichthum des guten[142] Alten, den er vielleicht für mich sparte! Ach, wie gern wollte ich ihn missen! Wie viel lieber wäre es mir, er hätte sich davon gütlich gethan, und dadurch vielleicht sein Leben verlängert!«

Erdmann ermahnte seine Geliebte, als er sie aus der Höhle führte, diese Gegend in den bevorstehenden Stunden der Einsamkeit zu vermeiden und mehr in der Nähe des Wirthshauses zu verweilen, wo ihr der dichte Fichtenwald Gelegenheit genug gäbe, sich verborgen zu halten, und wo er sie mit leichter Mühe zu allen Stunden finden könne.

Sie legten den Weg dahin langsam zurück, weil sie sich überall nach Frau Elsens verlornem Vieh umsahen, das sie jedoch nirgends fanden. Erdmann mußte sich daher entschließen, ohne dasselbe Frau Elsen unter die Augen zu treten und dem Ungewitter Trotz zu bieten, das seiner vielleicht wartete.

Er wurde jedoch besser empfangen, als er gedacht hatte, denn so wie der morgende Tag mehr und mehr nahte, so häuften sich auch die Geschäfte. Frau Else war bei Zubereitung des köstlichen Nachtisches, und konnte sich um nichts bekümmern, als um ihre Torten, welche eben von der milden Glut des Ofens die letzte Bewährung erhielten. Es war tief in der Nacht, als man endlich mit Allem fertig wurde. Frau Else brummte, daß ihr die Bewirthung fremder Leute, welche vielleicht gar schlecht bezahlen würden, so viele Mühe mache, und Erdmann hatte erst kurz vor Schlafengehen Gelegenheit, der armen Marie etwas Speise zu bringen, denn bis dahin hatte[143] man jeden seiner Schritte bewacht. Er durfte nicht, wie er wohl gewünscht hatte, während der Nacht bei der obdachlosen Geliebten verweilen, wenn er nicht wollte, daß man ihn vermissen, ihn aufsuchen, und nicht allein ihn, sondern auch Marien finden sollte. Marie sah dies noch besser ein, als er, und trieb ihn mit Gewalt von sich.

»Ach!« sagte er, »daß ich dich mit mir nehmen könnte, um dir wenigstens zu zeigen, wie Alles so schön zugerichtet ist. Die Tafel ist schon zur Probe geschmückt, und trägt bereits einen Theil der Schüsseln, die sie belasten sollen; da giebt's Spitzsäulen von Obst und gewürztem Kuchen, bunte Torten mit grünen Blättern geschmückt, Mandeln und zuckersüße Rosinen – in Summa ein Hochzeitmahl kann nicht prächtiger zugerichtet sein.«

»Wenigstens das unsrige nicht!« meinte Marie lächelnd; »nun der Himmel wird ja wohl ein paar Erdäpfel haben wachsen lassen, bei denen wir, wenn wir vom Traualtar kommen, fröhlich sein können.«

Der entwichene und noch nicht wiedergefundene Esel diente Erdmann zum Vorwand, sich am andern Morgen mit Tagesanbruch vom Hause zu entfernen. Da man seiner bei den Küchengeschäften nicht bedurfte, so ließ man sich's gefallen, und prägte ihm nur ein, sich um Mittag gewiß wiedereinzufinden, damit er beim Empfang der fremden Herrschaften gegenwärtig wäre. Er versprach es und flog in Mariens Arme.

»Marie,« sagte er, »ich bin nicht abergläubisch, aber heute muß ich dir mit nüchternem Munde einen seltsamen[144] Traum erzählen, den ich diese Nacht hatte, als es schon weit gegen den Morgen war; solche Träume pflegen immer erfüllt zu werden.«

»Erzähle nur,« sagte das Mädchen, »hernach sollst du auch von mir etwas Seltsames erfahren. Ich habe diese Nacht die Hochzeittafel, wovon du so viel schwatztest, gesehen, und mit dir am obern Ende derselben gesessen.«

»Ist das Alles?« fiel ihr Erdmann ins Wort, »auch ich habe im Traume an einer Hochzeittafel gesessen, zugleich erschien mir aber der Herr vom Berge, wie ich ihn in meinen glücklichen Kindertagen oft gesehen habe, und gebot mir, nach einem Orte hier im Gebirge zu gehen, den ich noch nie gesehen, und von dem ich auch nie habe reden hören.«

»Etwa nach der Andreaskapelle?« unterbrach ihn Marie.

»Ja, ja, aber woher weißt du es?«

»Der gute Alte, den wir gestern beerdigten, ist mir erschienen, und hat mir versprochen, ich sollte dort einen Schatz erhalten, den er und Mutter Ludlam mir von meiner Kindheit an zugedacht hätten.«

»Sonderbar! Ziemlich dieselben Versprechungen machte mir der Berggeist!«

»Meinst du nicht, Erdmann, daß wir jetzt gleich nach jenem Orte gehen?«

»Ich wäre es wohl zufrieden, wenn ich nicht meinen Esel suchen müßte!«

»Er ist gefunden; er begegnete mir gestern Nacht,[145] bald nachdem du von mir geschieden warst, im Walde, und ich habe ihn nicht weit von hier im Gebüsch angebunden.« Erdmann ging, sich von der frohen Neuigkeit mit eignen Augen zu überzeugen, und machte sich dann mit seinem Mädchen auf den Weg nach der Andreaskapelle, welche tief im Gebirge an einem Orte lag, den weder Erdmann noch Marie, so genau sie auch diese Gegenden kannten, je gesehen hatten.

Die Kapelle war, gleich dem Kloster im Walde, eine Stiftung der alten Grafen von Würban, von denen einige hier begraben lagen, und über deren Asche von den Mönchen aus dem benachbarten Kloster unablässig Gebete zur Ruhe ihrer Seelen gesprochen wurden. Zu gewissen Zeiten diente die Kapelle aber auch zu andern gottesdienstlichen Handlungen, und die Bewohner der umliegenden Gegend wallfahrteten oft dahin, um dort ihre Andacht zu verrichten. Auch geschah es zuweilen, daß hier Trauungen vollzogen wurden, doch mußten dann schwere Abgaben an den Schutzheiligen der Kapelle bezahlt werden.

Erdmann und Marie wußten von Allem diesen nichts, und gingen den Weg', den ihnen der Traum zeigte, froher als die Vögel des Himmels, die über ihnen sangen. In der That hatten wohl nie ein paar Liebende weniger Ursache zur Heiterkeit, als diese armen verlassenen Geschöpfe, die keine Verbindung mit der ganzen übrigen Welt, keine Aussicht, keine Hoffnung hatten, als die, welche ihnen mit dem geringsten Geschöpfe gemein war, die[146] Hoffnung: der, welcher ihnen das Dasein gab, werde sie auch erhalten.

Nachdem sie lange gewandert waren, dachte Erdmann an den erhaltenen Befehl, zur rechten Zeit nach Hause zu kommen, und sprach vom Rückweg: da sahen sie plötzlich auf dem Gipfel eines nahen Berges ein kleines Gebäude mit einem runden Thurme liegen, das bisher von den umliegenden Bergen verdeckt worden war; der Zahn der Zeit hat es seitdem gänzlich zernagt, und heut zu Tage sind nicht einmal mehr die Trümmern davon zu finden.

»Wollen wir, so nahe am Ziel, unverrichteter Sache umkehren?« fragte Marie, indem sie auf das nahe Kirchlein deutete. »Wer weiß« erwiederte er, »ob wir hier finden, was unsere Träume sagten; Traum ist Schaum, mit dem versprochenen Schatze wird es wohl dieselbe Bewandniß haben, wie mit Vater Abrahams Erbschaft und Rübezahls Thalern, und wer weiß, ob zehn Meilen in der Runde eine Andreaskapelle zu finden ist!«

»Dort kommt ein Mann herab,« sagte sie, »laß uns ihn um den Namen des Gebäudes fragen, aus welchem er kommt.«

»O Marie!« rief Erdmann, den ein eiskalter Schauer überfiel, »wenn du Muth hast, jenen Mann anzureden, so weiß ich nicht, was ich von dir denken soll!«

»Und warum sollte ich nicht?« lachte sie? – »Guter Vater, ist das die Andreaskapelle?«

»Ja! eilt, denn man erwartet euch!«

Während Marie mit dem Fremden sprach, hatte sich[147] Erdmann von ihrem Arme losgemacht und war einige Schritte zurückgetreten.

»Was ist dir?« fragte das Mädchen, indem sie sich wieder zu ihm wandte.

»Kennst du denn den Mann nicht, mit dem du eben gesprochen hast? Es war kein Anderer, als der verwünschte Alte, den ich zuerst im Wirthshause kennen lernte, der mich eine ganze Nacht mit dem Esel neckte, der auch dich schon auf tausenderlei Art gefoppt hat, und den ich endlich gestern mit unsäglicher Mühe und Todesangst in die Erde verscharrte; aber ich merke wohl, er wird nicht aufhören uns zu äffen, und wenn wir ihn auch unter ein Alpengebirge vergrüben.«

Marie sah ihren Geliebten mit großen Augen an, und drehte sich dann rasch um, der Person, mit welcher sie eben gesprochen hatte, nachzuschauen. »Gott sey mir gnädig!« schrie sie, und verbarg ihr Gesicht an Erdmanns Brust, »es ist wirklich der alte Abraham! Er sieht sich nach mir um, er droht mir mit dem Finger, wie er mir sonst zu drohen pflegte, wenn er seine böse Laune hatte!«

Marie war halb ohnmächtig; Erdmann setzte sie in's Gras, und als sie sich ein wenig erholte, erzählte er ihr von den Drangsalen, die er bei der Beerdigung des muthwilligen Alten erduldet hatte. Marie war nämlich damals so sehr in Trauer und Andacht versunken gewesen, daß sie gar nicht bemerkt hatte, was Erdmann während seines Todtengräbergeschäfts ausgestanden. Erst jetzt erfuhr sie, daß nicht allein der Leichnam des Alten ganz unerhört[148] schwer war, sondern daß es auch dem armen Erdmann schlechterdings unmöglich gewesen, dem Todten eine schickliche und anständige Lage im Grabe zu geben, und daß er dieß endlich habe zuwerfen müssen, obgleich der widerspenstige Todte das Gesicht gegen alle hergebrachte Sitte nicht nach Morgen, sondern nach Abend gekehrt habe.

Marie kreuzte sich, und obgleich Erdmann rieth, schnell den Rückweg anzutreten, ohne sich weiter um die Andreaskapelle und die Versprechungen eines Traumes zu kümmern, der ihnen wahrscheinlich von ihrem muthwilligen Peiniger eingegeben worden sei, so bestand sie doch auf dem Gegentheile. Sie sagte, sie wollte lieber sterben, als sich der Gefahr aussetzen, dem Gespenste noch einmal zu begegnen; auch sei es christlicher Brauch, bei einem Gotteshause nicht vorbeizugehen, ohne daselbst vorher ein kurzes Gebet gesprochen zu haben.

Erdmann, der frühzeitig anfing, sich unter den Gehorsam seines künftigen Weibes zu schmiegen, leitete sie vollends den Berg hinauf, und bald traten sie in das kühle Kirchengewölbe.

Die Kirche war wie zu einer großen Feierlichkeit mit weißen Wachskerzen erhellt, vor dem Altare stand ein Geistlicher im vollen Ornate, und um ihn herum einige Diakonen. Die beiden Ankommenden stellten sich hinter eine Säule, um daselbst ihr stilles Gebet zu verrichten, und sich dann in aller Demuth wieder zu entfernen. Aber einer von den Mönchen wurde an sie abgeschickt, sie zu befragen, wer sie wären und von wannen sie kämen. Beide[149] fühlten sich von einer seltsamen Bestürzung befallen, welche sie hinderte, zu antworten. »Ich merke,« sagte der Geistliche, »ich muß meine Erkundigungen anders einkleiden. Ist euer Name, junger Mann, Erdmann? und stammt ihr aus dem Hause derer von Erdmannsdorf?«

»Ja, ehrwürdiger lieber Herr, aber zur Zeit bin ich nichts als ein armer Knecht!«

»Und ihr, meine Freundin, heißt Marie? seid eine Engländerin? und zählt euch zu dem Geschlechte – –«

»Der Turner! Trotz meiner hohen Abkunft bin ich indeß genöthigt, mich gegenwärtig vom Spinnen zu ernähren.«

»Ganz recht, ganz recht, und ihr seid also gerade diejenigen, welche wir erwarten. Kommt und nehmt eure Stelle ein!«

Mit diesen Worten wurden sie vor den Altar geführt, und dem Geistlichen gegenüber gestellt, der ein wenig von seinem Buche aufsah, und sie folgendermaßen anredete.

»Meine Geliebten in dem Herrn! Ich frage euch, ob ihr gesonnen seid, euch ehlich mit einander zu verbinden, und ob ihr dies Gotteshaus in dieser Absicht betreten habt?«

Die erstaunten Liebenden konnten eigentlich nur die erste dieser Fragen mit gutem Gewissen mit Ja beantworten, indeß meinten sie, daß es an heiliger Stätte nicht rlaubt sei, viel Worte zu machen, und sie sagten also[150] schlechthin Ja, indem sie es dem Geistlichen überließen, die Antwort nach Gutdünken zu deuten.

Von diesem vielsagenden Ja hing jedoch Alles ab, was nun geschah. Man nahm es für ausgemacht an, daß sie nach Allem, was man schon von ihnen wußte, hier priesterliche Einsegnung wünschten, und die Trauungsceremonie begann, welche wohl nie ein paar Verlobte mehr überrascht haben mag. – Alles was hier vorging, war ihnen ein Räthsel, und es ist wohl möglich, daß ihre Andacht von dem heimlichen Grübeln, dessen sich Keines erwehren konnte, ein wenig gestört wurde.

»Meine Theuren!« sagte der Mann vor dem Altare nach geendigter Feierlichkeit und ertheiltem Kuß und Segen, »ihr sollt wissen, daß unserm Abte diese Nacht ein ehrwürdiger Greis erschienen ist – vielleicht ein Patriarch, vielleicht ein uns unbekannter Heiliger – mit dem Befehle, ein junges Paar eures Namens und Standes, welches sich heute in der Andreaskapelle einfinden würde, ehlich zu verbinden In Folge dieser Erscheinung haben wir euch schon seit einigen Stunden erwartet, und würden vielleicht auf den Gedanken gekommen sein, es habe unsern ehrwürdigen Obern ein Traumbild getäuscht, wenn nicht vor einer kleinen Weile ein ehrbarer Mann gekommen wäre, der uns eure nahe Ankunft ansagte, und unserm armen Heiligen in euern Namen eine reiche Steuer überlieferte. Geht nun hin in Frieden; euch ist geschehen, was ihr wünscht und was der Himmel will, und ein Zeugniß des geknüpften Bundes soll euch beim Austritte aus der Kirche,[151] wo ihr nicht vergessen werdet, der Armuth ein Almosen zu schenken, ausgeliefert werden.«

Betäubt und wie im Traume gingen die Neuverbundenen von dannen; sie waren nun Mann und Frau, und wußten kaum, wie sie es geworden waren. An der Kirchthür gab man ihnen ein schöngeschriebenes, mit St. Andrä-Bild und Unterschrift wohl versehenes Zeugniß, des Inhalts, wie Erdmann Erdmannsdorf und Marie, aus dem englischen Geschlecht Turner, am Tage Peter und Paulo der Apostel, hier die priesterliche Einsegnung erhalten, und die heilige Stätte als in Gottesaugen Eheleute verlassen hätten. Auch bot man ihnen die Armenbüchse, wodurch das dürftige Paar nicht wenig in Verlegenheit kam, doch besann sich Marie schnell, zog Vater Abrahams Erbschaft, die beiden Silberstücke hervor, und legte sie in die Büchse; eine reiche Geberin, obgleich so arm wie jene Witwe, welche ihr ganzes Vermögen von zwei Scherflein in den Gotteskasten steuerte.

Stillschweigend legten die Neuvermählten den Bergweg zurück, bis endlich Marie begann: »Ist es möglich, daß dies Alles uns wirklich begegnete?« »O Marie!« rief Erdmann und schlang seinen Arm um sie, »wie gern wollte ich Alles glauben, wie entzückt wollte ich dich als mein Weib begrüßen, wenn nicht die Einmischung des fatalen Alten mir vor Betrug bange machte.«

»Lästre nicht, Erdmann, und bedenke, daß er uns ungleich mehr Gutes als Böses erwiesen hat.«

»Ich kann mich nicht mit dem Alten befreunden; ist[152] er Mensch, ist er ein Zauberer, ist er Phantom, oder überirdisches Wesen, ist er vielleicht gar – –«

Hier stockte Erdmann, zu zaghaft, den Gedanken, der ihm in den Sinn kam, auszusprechen. Was war bei ihm, der die Launen des Berggeists so gut kannte, natürlicher, als die Muthmaßung, jener habe bie Abentheuer der letzten Tage veranlaßt!

Erdmann dachte nun über die jüngsten seltsamen Vorfälle nach und beschäftigte sich wenig mit Marien, weshalb auch der Heimweg langsamer und stillschweigender zurückgelegt wurde, als die Wallfahrt zum Traualtar; es sollen überdies Neuvermählte kurz nach der priesterlichen Einsegnung von einem gewissen Tiefsinn befallen werden, der durch nichts zu vertreiben ist, als durch das Geräusch, womit man die Hochzeiter an ihrem Ehrentage zu betäuben pflegt.

Auch Marie schwieg, doch überließ sie sich weniger düstern Grübeleien, als den regsten Dankempfindungen gegen die Vorsicht. –

Erst als man das Wirthshaus zum Riesen mit seinen rauchenden Schornsteinen vor sich sah, wurde die tiefe Stille unterbrochen. – »O Marie!« rief Erdmann, »du bist nun mein auf ewig, und ich soll dich jetzt schon verlassen? Es schmerzt mich unendlich, dich wie eine Verbrecherin ungelabt in dein Versteck zurückgehen zu lassen; wüßte ich nur ein Mittel, dich mit in das Haus zu bringen, damit du wenigstens an den köstlichen Brocken Theil nehmen könntest, die von dem heutigen Gastmahle übrigbleiben werden.«[153]

»Erdmann, ich fühle weder Hunger noch Durst, auch kann ich warten, bis du Gelegenheit findest, mich zu versorgen; doch fällt mir eben ein, wie ich Zutritt in dem Gasthofe erlangen, und wenigstens die köstliche Zurichtung der Tafel sehen könnte, wovon du gestern so viel Rühmens machtest. Bist du gewiß, daß mich Niemand im Hause kennt?«

»Das bin ich, wäre es auch nur in Folge der abgeschmackten Beschreibungen, die man, um dich bei mir zu verläumden, täglich von dir macht. Wer diese Gestalt lästern kann, muß sie nie gesehen haben!«

»Gut! das Kompliment bei Seite gesetzt, will ich es darauf wagen, und binnen hier und einer Stunde an dem großen Thorwege sein. Der wiedergefundene Esel soll mich begleiten. Ich werde anklopfen; – man macht mir auf. Was willst du Dirne? fragt Frau Else mit rauhem Tone – Gestrenge Frau, ich bringe euern Esel, den ich im Gebirge fand. – Es ist gut! da hast du einen Kreuzer für deine Mühe! – Ach nein, gestrenge Frau, Geld brauche ich nicht, aber ich bin müde und hungrig, wenn ihr mir erlauben wolltet – – Nun so komm herein! – Siehst du, Erdmann, so wird es gehen, und dein Wunsch und meine Neugierde sind auf einmal befriedigt!«

»Reizendes Geschöpf!« rief der junge Ehemann, »thue, wie du gesagt hast, ich werde dich mit Ungeduld erwarten.«

Als Erdmann an das Thor des Wirthshauses kam[154] bemerkte er an dem Stande der Sonne, daß es schon weit über Mittag sein müsse. Ihm bangte, die bestimmte Zeit versäumt zu haben, denn obgleich er sich vor dem Schelten seiner Herrschaft wenig fürchtete, deren Dienst er noch am nämlichen Tage verlassen wollte, so konnte es ihm doch nicht gleichgültig sein, die reichen Trinkgelder versäumt zu haben, wenn etwa die vornehme Herrschaft da gewesen, und schon wieder geschieden sein sollte. Ach, er war ja so arm, daß ihm die kleinste Gabe willkommen sein mußte, und seit Marie an der Kirchthür Vater Abrahams ganze Erbschaft in die Armenbüchse gelegt hatte, war auch sie, wenn man den unveräußerlichen Verlobungsthaler abrechnete, von Allem entblößt, was man Geld oder Geldeswerth nennen kann.

Fast schien es, als ob Erdmanns Besorgnisse Grund hätten, denn vor dem Hause war keine Spur von herrschaftlichen Wagen und Pferden zu sehen, und das Thor des Gasthofes war so fest verschlossen, als wenn hier Niemand mehr erwartet würde.

Zitternd klopfte er an, und Frau Else selbst öffnete ihm die Thür.

»Ich will nicht hoffen, Frau, daß ich zu spät –«

»Spät genug kommst du, aber immer noch zur rechten Zeit, du leichtfertiger Herumstreicher! Geschwind herein, denn nur auf dich haben wir noch gewartet!«

»Frau, euer Esel, nach dem ihr mich aussandtet – –«

»Nichts von Eseln, gehe hinauf in deine Kammer, lege dein Sonntagshemd und den scharlachnen Brustlatz[155] an, kämme dein Haar, und komm eilig herab, daß wir zur Mahlzeit gehen.«

Erdmann machte große Augen, er verstand nichts von dem, was man ihm sagte, nichts von Frau Elsens außerordentlicher Freundlichkeit, und am wenigsten von dem festlichen Staate, in welchem sie einherzog. Sie trug ein grasgrünes Kleid, welches seit ihrem ersten Hochzeittage nicht wieder auf ihren Leib gekommen war, und das mit ihrem braungelblichen Teint wunderbar kontrastirte; eine hohe Spitzenhaube saß auf dem Wirbel des schwarzhaarigen Kopfes und ließ die Schönheiten des aufgeschwollnen Gesichtes unbedeckt.

Sie war schrecklich anzusehen; unserm Erdmann wandelte ein Lachen an, und er machte, daß er bei ihr vorüber, und wie ihm befohlen war nach seiner Kammer kam. Als er durch die Küche ging, da knisterte das Feuer, da gingen die Bratenwender, dampften die Ragouts, als ob noch keine Gäste da gewesen wären; auch sah er, daß in dem offnen Tafelzimmer noch alles leer und in voller Pracht stand. Nur Vater Melchior saß in einem Winkel, und that sich vorläufig bei einigen Flaschen alten Rheinwein gütlich, die für die heut ankommende hohe Herrschaft besonders aufgespart worden waren.

Erdmann wurde immer mehr irre. Ihm begegnete auf der obern Treppe einer von den Knechten, gleichfalls im Sonntagsstaate, den er fragte, was hier nur vorgehe.

»Armer Junge,« rief Joseph mit unterdrücktem Lachen,[156] »lustig wollen wir uns machen, und zwar auf deine Unkosten.«

»Ich verstehe deine Worte nicht! Wie steht's mit den Gästen? wann werden sie kommen?«

»Die Gäste sind schon alle im Hause, es fehlt nur noch an dir. Eile und schmücke dich, denn alle Augen werden heute nur auf dich sehen.«

Erdmann schüttelte den Kopf, ihm flogen wunderliche Gedanken durch den Sinn, doch that er, wie ihm gesagt war. Er wusch das blühende Gesicht, kämmte das lockige nußbraune Haar, legte die genannten Feierkleider an und stand da, in dem kunstlosesten Putze ein vollkommner Adonis.

Herr Melchior war, als er hinab kam, eben mit der dritten Flasche fertig, und kaum im Stande, die Fragen, die Erdmann nun auch an ihn richtete, verständlich zu beantworten.

»Bursche!« sagte er, »jetzt ist hier von keinen Gästen mehr die Rede, du sollst nicht aufwarten, du sollst mit zu Tische sitzen; auch könnte dir, wenn du wolltest, wohl noch ein größeres Glück beschieden sein.«

»Ei, warum sollte er nicht wollen?« schrie Frau Else. »Laß den Vater, Erdmann, du siehst wie es mit ihm steht, und komm zu mir, ich will dir Alles erzählen. – Wie spät am Tage es ist, das siehst du an den langen Schatten, und warum wir demungeachtet noch nicht Mittag gehalten haben, das sollst du gleich erfahren. Wo du diese lange Zeit über umhergewandert bist, will[157] ich nicht fragen; bin ich doch sicher, daß die verlaufene Dirne aus Schweidnitz keinen Antheil an deinen Wanderungen gehabt hat. Gott und seine Heiligen sein gelobt, daß sie, wie wir aus glaubwürdigem Munde vernommen haben, im vorgestrigen Aufruhre den Lohn ihres Vorwitzes erhalten hat, und dir und mir nicht mehr schaden wird!«

»Frau,« sagte Erdmann unwillig, »ihr werdet langweilig, ich will einen Andern fragen. Joseph, erzähle du, was hier vorgegangen ist.«

»Je nun, Erdmann, es wurde Mittag, wir warteten, und es kamen keine Gäste! Frau Else fluchte, daß ihre Gerichte verdürben, und toste mit Töpfen und Tiegeln – da kam der kleine Alte aus Schweidnitz, den du an jenem Abende in der Wirthsstube sahst, und der bei ihr wohl gelitten ist, weil er ihr immer etwas aufbindet. Schöne Frau, sprach er, als ihm Frau Else ihre Noth geklagt hatte, mir kommt die Sache bedenklich vor. Ihr wartet auf Gäste, die nicht kommen werden, und wenn wir die Sache beim Lichte besehen, so ist die ganze Bestellung wohl nur ein loser Streich des Herrn vom Berge, der euch vielleicht seine Affection bezeigen und euch auf seine Kosten das Verlobungsmahl ausrichten will. Zählt doch ein wenig nach! wie viel sind eurer im Hause? Herr und Frau, drei Kinder, drei Knechte, drei Mägde, und der junge Gesell, der draußen im Gebirge den Esel sucht, – netto zwölf Personen. – Ach, lieber Herr, fiel Frau Else ein, und ihr die dreizehnte! Ihr würdet ja an meinem[158] Ehrentage nicht fehlen! Ja, ja! mir wird nun Alles klar; der verwünschte Poltergeist, der uns manchmal grob genug geneckt, und uns einst bald um Haus und Hof gebracht hat, will nun Buße thun; es soll ihm auch Alles vergeben sein, wenn er mir nur den Bräutigam geneigt macht. – – Dieser Bräutigam nun, mein lieber Erdmann, bist du, und du wirst wissen, wie du dich bei der Sache zu verhalten hast.«

Erdmann erschrack nicht wenig über diese Erzählung. »Wieder ein unerklärlicher Streich jenes Wesens, das ich mir nicht zu nennen getraue!« sagte er zu sich selbst, »wie wird dies Alles noch enden! Soll ich, schon mit meiner Marie auf ewig verbunden, hier noch mit dieser Unholdin gequält werden? – Ach hätte ich nur nicht in Mariens Einfall gewilligt, sie hierherkommen zu lassen! Wer weiß, welche Beschimpfungen ihr bevorstehen, wenn sie entdeckt wird! Wer weiß, ob wir nicht noch überdies durch die Erscheinung jenes Gespenstes erschreckt werden, das es sich zum Geschäfte macht, uns fortwährend zu quälen! –«

»Sage mir,« fuhr er hierauf laut fort, »wird der Alte, von dem du sprachst, die dreizehnte Person bei der Tafel sein?«

»Er hat es nicht gewiß versprochen,« antwortete Joseph, »doch sagte er, im Fall er nicht käme, würde er an seiner Statt eine andere Person schicken, die zum Wahrzeichen, daß sie die rechte sei, den verlornen Esel wiederbringen sollte. Traget Sorge – gebot der Alte ferner – jener Person den ersten Platz an der Tafel zu geben, ich[159] habe ihr zwei goldne Ringe anvertraut, die sie am Ende der Mahlzeit dem Bräutigam und der Braut nach meiner Vorschrift ausliefern wird. Es ist ein kleines Hochzeitgeschenk vom Vater Abraham!«

»Und,« fiel Frau Else ein, »unser Hochzeitgast ist nun noch das Einzige, worauf wir warten; es ist sehr unartig von ihm, uns so lange warten zu lassen; wäre es mir nicht um die goldnen Ringe zu thun, ich wollte es ihm und seinen Abgesandten schon gedenken!«

In diesem Augenblicke wurde leise an die Thür geklopft. Erdmanns vernehmlicher schlagendes Herz verkündete ihm, wer an der Thür sei; gern wäre er der Kommenden entgegen geflogen, aber Furcht, sich zu verrathen, und Frau Elsens starker Arm hielt ihn zu rück. Eine der Mägde wurde abgeschickt, weil, wie die Domina des Hauses meinte, es den Königen des Festes nicht gezieme, den Gästen entgegen zu gehen. – Man brachte die Nachricht in das Tafelzimmer, daß eine junge, schlecht, aber reinlich gekleidete Dirne Einlaß verlange.

»Was sollen wir mit der Person!« schrie Frau Else, welche keine besondre Freundin des jungern Theiles ihres eignen Geschlechts war, »man werfe sie aus dem Hause, wenn sie nicht gutwillig gehen will!«

»Aber, Frau, sie bringt den verlornen Esel, und trägt zwei goldne Ringe am Finger.«

»Ei, so muß man sie einlassen,« stammelte Melchior, »sie ist eine Agesandte von dem guten Alten, gegen den ich schon mehr Verbindlichkeiten habe, als ihr Alle denkt. Er sagte mir im Vertrauen, daß ich unter jedem der aufgelegten[160] Gedecke die bedungenen drei Kronen finden würde, und ich habe sie gefunden, habe sie abgeräumt, ha! ha! ha! Sonst hätte ein Jeder von der werthen Tischgesellschaft denken mögen, das, was auf seinem Platze läge, wäre sein Eigenthum! Ach der gute Alte! der gute Alte!«

Aus Vater Melchior sprach der Wein, und er redete die Wahrheit. Mit nüchternem Munde würde er vielleicht nicht so offenherzig gewesen sein. – Er taumelte hinaus, die Stellvertreterin des sogenannten guten Alten selbst einzuführen, und erschien nach einer kleinen Weile mit der schüchternen Marie, die vor Verlegenheit kein Wort hervorzubringen wußte. Herr Melchior führte sie nach dem Befehle des Alten an das obere Ende der Tafel, und gab ihr auf der einen Seite Erdmann, auf der andern Frau Elsen zu Nachbarn. Die Letzte brummte, es sei ein dummer Einfall von dem Alten, ein Weibsbild an seiner Stelle zu schicken, und sie wollte ihm, so bald sie ihn sähe, dafür den Kopf zurecht rücken.

Als nach gesprochenem Gebete ein Jeder sein Tellertuch aufhob, siehe, da lagen, ungeachtet Herr Melchior vorher aufgeräumt hatte, unter jedem Gedeck noch drei Kronen, außer unter denjenigen des Herrn Melchior, der Frau Else und ihrer Kinder. Die Knechte und Mägde jauchzten; Erdmann steckte seinen Fund, als ein Geschenk eines unsichtbaren Wohlthäters, ruhig in die Tasche, aber die furchtsame Marie, durch Frau Elsens grimmiges Gesicht erschreckt, überreichte dieser ihre drei Kronen, welche ohne Dank und ohne Bedenken angenommen wurden.[161]

Die Gäste waren alle tüchtig hungrig und durstig, ausgenommen Frau Else und ihr Vater, welche sich schon vorher in aller Stille gehörig gesättigt hatten, daher sie auch die Fröhlichkeit nicht theilten, die die übrige Tischgesellschaft beim Anblick der vollen Schüsseln ergriff. Melchior, der sich schon nach dem ersten Gange an seinen Stuhl zurücklehnte, begann einzuschlafen, und Frau Else fing an, neidische Blicke auf ihre holde Nachbarin zu werfen, und aus einigen heimlichen Händedrücken, welche zwischen Marien und Erdmann in der Stille vorfielen, ein geheimes Verständniß zu muthmaßen. Es schien ihr jedoch der Muth zu fehlen, das Benehmen der Neuverehlichten zu rügen, und mochten wohl die goldnen Ringe, die an Mariens rechter Hand glänzten, und auf welche sie Anspruch zu haben meinte, ihr Anstand und Mäßigung predigen.

Die jungen Eheleute hätten viel darum gegeben, sich einige Worte sagen zu können, aber die lästige Aufpasserin legte ihnen Zwang auf. Erst am Ende der Mahlzeit, als der gute Wein die Knechte und Mägde laut machte, und sie mit großem Geschrei die Gesundheit des wohlthätigen Herrn vom Berge ausbrachten, gab ihnen die lange Strafpredigt, welche Frau Else dem muthwilligen Gesinde hielt, Gelegenheit, sich einige abgebrochene Worte zuzuflüstern.

»Denkst du an unsern Traum?« fragte Erdmann Marien »O ja! – Du und ich am obern Ende der Tafel! Wer hätte das gedacht!«[162]

»Wer für die Trauung sorgte, ließ uns gewiß auch das Hochzeitsmahl bereiten!«

Marie konnte nicht antworten, denn Frau Elsens Angesicht, das immer finsterer wurde, wandte sich jetzt wieder zu ihr.

Erst als beim Desert Meister Melchior, der sich nur viertelstundenweise ermuntert hatte, um von Neuem zu trinken vom Stuhle fiel und unter dem Geleite seiner scheltenden Tochter zu Bette gebracht wurde, hatten die Liebenden abermals Gelegenheit zu einer kurzen Unterhaltung.

»Ich bitte dich, Liebe,« sagte Erdmann, »erkläre mir das Räthsel mit den goldenen Ringen an deinem rechten Zeigefinger!«

»Auch sie sind ohne Zweifel ein Geschenk unsers unsichtbaren Wohlthäters, den es vielleicht dauern mochte, daß wir uns bei der Trauungsceremonie so kärglich mit Mutter Ludlams silbernem Fingerreif behelfen mußten; ich fand sie, als ich den schweren Gang hierher antrat, im dichtesten Gebüsch. Die eingegrabenen Anfangsbuchstaben zeigen, für wen sie bestimmt sind.«

Bei diesen Worten trat Frau Else mit entzündetem Gesichte wieder in das Zimmer und das vertraute Gespräch hatte ein Ende.

»Daß muß wahr sein!« schrie sie, »mir muß auch Alles widrig gehen! Nun ist der Vater zu Bette, und wer will nun verrichten, was ihm obgelegen hätte? – Wir haben hier ein Verlobungsmahl gehalten, und Niemand weiß noch, wer Braut oder Bräutigam ist! – Ich werde[163] doch fürwahr nicht selbst reden und fragen sollen: Erdmann willst du mich zum Weibe? – Hört, Jungfer, dort oben in dem weißen Röckchen, so schlecht ihr euch auch zu diesem Ehrenwerke schicken mögt, so beweißt doch das Wahrzeichen, was ihr bei euch hattet, daß ihr den Auftrag habt, die Sache zu entscheiden; macht also ein Ende, gebt die goldenen Ringe an eurer Hand dahin, wohin sie gehören, und geht dann eurer Wege.«

Marie zitterte, so hart angeredet zu werden, und sah Erdmann voll Bestürzung an. Sein Blick gab ihr Muth zur Antwort.

»Frau Else,« sagte sie, »ich habe keinen Auftrag an euch, aber die goldenen Ringe an meiner Hand dahin zu geben, wohin sie gehören, das wird mir wenig Bedenken kosten. Den ersten und größten überlasse ich demjenigen, der diesen Morgen in der Andreaskapelle durch Priesters Hand mir ehelich angetraut wurde, und den andern behalte ich für mich selbst.«

Wer kann die Scene beschreiben, die nach diesen Worten erfolgte! Frau Else war wüthend, und als ihr Erdmann seinen Trauschein vorlegte, um dadurch Marien's Aussage zu bekräftigen, hätte sie dies theure Document beinahe in tausend Stücke zerrissen. Mit großer Mühe rettete er es aus ihren Händen, und hielt es hoch empor, bis Joseph, der ihm zu Hülfe kam, es an sich nahm. Er las hierauf den Trauschein den übrigen Knechten und Mägden vor, und nachdem sich diese überzeugt hatten, daß Niemand als die hüflose Fremde ein Recht[164] auf Erdmann habe, suchten sie ihn und Marien vor Frau Elsen's grimmigem Wüthen zu schützen. Wohl wäre Erdmann ihr gewachsen gewesen, aber er wollte ungern anders als vertheidigungsweise gegen sie verfahren, und ein Kampf, in welchem man aus Großmuth einen wüthenden Gegner schont, ist immer eine schwere Sache. Auf sein Verlangen that man daher weiter nichts, als das tobende und kreischende Weib fest zu nehmen, und sie einstweilen in ihre Kammer zu bringen.

Als die Wüthende aus dem Zimmer gebracht worden war, nahm Erdmann seine zitternde Marie bei der Hand, um sie aus dem Hause zu führen, wo ferner ihres Bleibens nicht war. Der ehrliche Joseph, der zurückgeblieben war, indeß die beiden andern Knechte Frau Elsenhinwegbrachten, sammelte in der Geschwindigkeit noch die Ueberbleibsel des Nachtisches zur Wegzehrung, entließ sie mit einem treuherzigen Händedruck, und schloß die Thüre hinter ihnen zu.

Sie waren nun außer der Gränze des ihnen gefährlichen Gebietes, und Frau Else, welche über nichts bittere Kränkung fühlte, als daß sie ihrer Nebenbuhlerin das Hochzeitsmahl hatte ausrichten müssen, schimpfte aus ihrem Fenster hinter ihnen her. »Du Bettler!« schrie sie Erdmann nach, »sollst dich auch nicht rühmen können, daß du etwas von deinen Habseligkeiten zurückgelassen habest! Da! – und so geh zum Teufel!«

Mit diesen Worten fiel eine Last zwischen Erdmann und Marien nieder, welche, wenn sie eines von ihnen getroffen hätte, der Hochzeit ein trauriges Ende gemacht[165] haben würde. Die erschrockene Marie, die ein wenig gestreift war, that einen lauten Schrei, und Erdmann bückte sich, seinen Steinsack aufzuheben, welchen ihm die Wüthende, ganz uneingedenk der Worte: Was Gold war, kann es auch wohl wieder werden, im Zorn hintennach geworfen hatte. Erdmann hob den Sack auf, zog seinen Hut gegen die Megäre am Fenster, und schlenderte langsam, Arm in Arm, mit seiner Geliebten den Weg nach dem Walde, der bisher der heimathlosen Marie Obdach gewährt hatte, und der nun bis auf Weiteres Beiden zur Wohnung dienen sollte.

Hier wurde Rath gepflogen, was weiter zu thun sei, und Marie trat zuerst mit einem Wunsche hervor, den sie bisher in dem Innersten ihres Herzens verschlossen gehalten hatte. »Ach,« sagte sie, »daß ich dich und mich in die glücklichen Gegenden versetzen könnte, wo ich die Welt zuerst erblickte! Dort ist der Himmel milder, die Erde fruchtbarer, die Menschen gütiger als in deinem rohen Vaterlande!«

Erdmann übersah das Falsche und Beleidigende in den Worten der jungen Patriotin, und zog statt aller Antwort die unter der Serviette gefundenen drei Kronen, seinen ganzen Reichthum, aus der Tasche hervor.

»Ich verstehe dich,« erwiederte Marie, »und–schweige. Der Weg ist weit, die Ueberfahrt theuer, und wovon sollen wir dort leben? Verzeihe, verzeihe den unüberlegten Wunsch deines Weibes!«

»Ja,« sagte Erdmann, und gab den Steinsack, den[166] er unter dem Arme trug, einen Ruck, um ihn bequemer zu fassen, »wenn dieser da noch seinen ehmaligen Werth hätte, dann wäre Vieles möglich zu machen. Wir gingen dann nach England, kauften das kleine Gut deiner Eltern bei Noorpark unweit Farnham, in der Nachbarschaft der Ludlamshöhle, – versteht sich, ohne uns mit der Schuldfrau einzulassen. – –«

»Davor wäre ich sicher!« erwiederte Marie, »Erdmann ist weiser als mein unglücklicher Vater! – Aber laß die Luftschlösser, und sage mir, ob du die Last unter deinem Arme ewig tragen willst? Laß sie hier im Walde, oder erlaube mir, sie in den nächsten Fluß zu werfen!«

»Gott weiß, warum es mir so schwer wird, mich von dem Denkmahle meiner vergeblichen Hoffnungen zu trennen! Doch du hast Recht, mein Arm erstarrt mir ob der unnützen Bürde. Da ist der Deliquent! thue mit ihm, was dir recht dünkt, nur erlaube mir, ein oder zwei Stücke davon zum Andenken zu behalten.«

Mit diesen Worten ließ er den lastenden Sack auf die Erde nieder, öffnete ihn, und – – – – ich will sterben, wenn nicht alle meine Leser errathen, was geschah! – Keine Steine, nein, der volle, alte, herzerfreuende Glanz der ehemals gesammelten Goldstücke strahlte ihm entgegen, unter welchen sich einige wenige silberne Münzen, sowie die raren Kreuzpfennige gleichsam verbargen.

Voll Erstaunen, mit dankend gen Himmel gefaltenen Händen standen Beide bei dem überraschenden Anblick.[167] Keines vermochte ein Wort zu sprechen. Umarmungen folgten dem Stillschweigen, diesen Freudenthränen, und die Geschichte hat ganz vergessen zu melden, wann und wie die frohe Bestürzung aufhörte.

Sie läßt uns die Neuvermählten auf der Reise nach England wiederfinden, und beweißt dadurch, was wir schon früher bemerkten, daß Erdmann Marien nichts abzuschlagen vermochte. Ihre Reise war kurz und glücklich, und sie behielten von dem Rübezahl'schen Schatze noch genug übrig, um daran denken zu können, sich in Marien's Lieblingsgegend anzukaufen.

Das kleine Gut, das Richard und Marie Turner einst besessen hatten, wurde ihr Eigenthum, und es gelang ihnen durch Fleiß und Sparsamkeit, binnen kurzer Zeit einen gewissen Wohlstand zu begründen. Viele von den guten Bauern im Dorfe, die Mariens Eltern gegekannt hatten, lebten noch, viele von Mariens ehmaligen Spielgefährten waren so wie sie herangewachsen, und Alle freuten sich, die so lange schmerzlich Vermißte wieder zurückgekehrt zu sehen.

Von allen ihren Bekannten geachtet und gegenseitig bemüht, sich das Leben zu erheitern, genossen Erdmann und Marie ein Glück, das durch Nichts gestört wurde. –

Die Märchenerzähler, welche ihre Helden nicht besser als durch großen Reichthum beglücken können, behaupten dagegen nicht allein, Erdmann und Marie hätten in einem wohlverwahrten Wandschranke des Hauses den Beutel mit dem Darlehn wiedergefunden, den die Letzte in ihren zarten Kinderjahren Mutter Ludlam wiederbringen[168] half, sondern auch auf einer Wallfahrt nach Deutschland im Riesengebirge später noch Vater Abrahams vernachlässigte Erbschaft gehoben: uns aber, die wir mehr an ein Glück glauben, das man sich durch Arbeit und Mäßigkeit bereitet, ist nichts hiervon kund worden. Erdmanns Vaterland wurde allerdings wieder von ihnen besucht, und sie ermangelten nicht, alle Gegenden zu begrüßen, die ihnen aus der Kindheit ihrer Liebe merkwürdig waren; aber der Proteus des Riesengebirgs, der sie hier so weidlich geneckt hatte, und der vielleicht, so wie seine Kousine Ludlam in England, große Dinge mit ihnen im Sinne gehabt haben mochte, die in Folge seines Gegensinnes nicht zur Wirklichkeit kamen, machte keine Miene, wieder mit ihnen in Bekanntschaft zu treten. Der einzige Freund und Bekannte, den sie wieder fanden, war der ehrliche Joseph, der Metten geheirathet, und den Gasthof zum Riesen mit Hinwegnehmung des ärgerlichen Schildes gepachtet hatte; denn Meister Melchior war an den Folgen seiner Unmäßigkeit bei Erdmanns Hochzeitfest gestorben, und Frau Else hatte bald darauf das Haus räumen müssen, weil die Neckereien Vater Abrahams, den Jedermann für Rübezahls Bruder oder für ihn selbst hielt, endlich ganz unausstehlich wurden. –[169]

Fußnoten

1 Die Eule genannt bis auf den heutigen Tag, aber jetzt kein kahles Gebirg mehr, sondern mit grünenden Fruchtfeldern und lachenden Dörfern bedeckt.


2 Die Grafen von Würban erbauten im Jahre 1230 das Marienkloster im Walde.


3 Unter dem Namen Gugler verstand man im vierzehnten Jahrhunderte den wilden Haufen von englischen Völkern, die unter Anführung des Cervola herüber kamen, um die Ansprüche des Herrn von Coucy an den Elsaß geltend zu machen.
[170]

Quelle:
Benedicte Naubert: Volksmährchen der Deutschen. Neue Ausgabe 1–4, Band 2, Leipzig 1840.
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Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

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Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

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