Zweiter Abschnitt.

Die Ludlams-Höhle

[52] Als Erdmann nach Hause kam, schalt Vater Melchior, Frau Else rumorte mit Tiegeln und Töpfen, und die schmutzige Metten weinte bitterlich. Das arme Geschöpf war nur aus Neigung für Erdmann, die sie mit allen Einwohnerinnen des Gasthofs zum Riesen theilte, damals in ihrem Dienste geblieben, als das übrige Gesinde abgezogen, und um seinetwillen mußte sie jetzt leiden. Als sie Marien, wie wir schon erzählt, heimlich bewirthet, und in ihrem Bette getrocknet und gewärmt hatte, da schenkte ihr das dankbare Mädchen ein seidnes Tuch, – ihren liebsten Staat, – den sie bei der Wassergefahr um den Hals getragen hatte. Diese Kostbarkeit hatte die strenge Hausregentin in der Garderobe der armen Dirne entdeckt und durch gewaltsames Forschen das ganze Geheimniß, so weit es der Inquisitin bekannt war, heraus gebracht.

»Es ist eine Schände,« brummte Else, als Erdmann in die Küche trat, »für einen sonst so wackern jungen Burschen, sich mit gemeinen Dirnen abzugeben, und sie der Herrschaft ins Haus zu bringen. Als wenn es nicht[52] brave und redliche Weiber gäbe, die sein Glück machen könnten!« – Herr Melchior aber sagte: »höre, Gesell, wenn ich dir gewogen bleiben soll, so laß ab von deiner Marie, die ich wohl kenne! Sie wohnt zu Schweidnitz in der Judenstadt, und ist eine Landläuferin, eine Guglerin – –«

»Oder gar eine Jüdin,« fiel Frau Else ein; »Niemand weiß, woher sie gestoben oder geflogen ist, und kein gutes Haar ist an ihr!«

Erdmann stand wie versteinert über das Ungewitter, das ihn hier erwartete, und hielt es für das Klügste, es austoben zu lassen, ohne sein Stillschweigen zu brechen. Metten mußte noch dieselbe Nacht aus dem Hause. Erdmann gab ihr in der Stille einige von seinen Goldstücken auf den Weg, und verschloß sich nach verrichteter Hausarbeit in sein Kämmerlein, um über das, was ihm begegnet war, nachzudenken.

Die schweren Beschuldigungen, die Meister Melchior und seine Tochter gegen die arme Marie vorgebracht hatten, verfehlten nicht, auf Erdmann einen großen Eindruck zu machen. Zwar erweckten sie bei ihm kein Mißtrauen gegen die Geliebte, aber sie erzeugten doch eine quälende Unruhe. – Mit Sehnsucht harrte er dem Tage entgegen, der ihm über die Verhältnisse der so sehr angeklagten Marie Aufschluß geben sollte, und schon fürchtete er, daß er vielleicht verhindert werden könnte, mit dieser zusammenzutreffen. Beinahe wäre dieß der Fall gewesen, denn Frau Else war am andern Morgen sehr gegen die beabsichtigte[53] Wanderung und erst, als es sich erwieß, daß gerade heute höchst wichtige Aufträge in der Stadt zu besorgen waren, die keinen Aufschub litten, wurde ihm gestattet, den Weg dahin anzutreten. Beim Fortgehen entließ man ihn mit der ernsten Verwarnung, dießmal nicht so lange auszubleiben wie gewöhnlich, und die Possen mit der verlaufenen Dirne unterweges zu lassen.

Erdmann kümmerte sich wenig um diese Ermahnungen, und war entschlossen, zu thun, was ihm beliebte, nicht was die unbefugten Richter seiner Handlungen ihm vorschrieben. Wie immer, glückte es ihm auch diesmal, seine Geschäfte in ganz kurzer Zeit abzumachen. Ehe man noch im Gasthofe glauben konnte, er habe jetzt die Stadt erreicht, war schon daselbst Alles ausgerichtet, und bald saß er an der gewöhnlichen Stelle an Mariens Seite, die er jedoch in einer traurigen Stimmung fand.

Zurückhaltung und unnöthige Umschweife sind die Quellen der unheilbarsten Zwistigkeiten; es würden sich im wirklichen Leben, so wie in der Romanenwelt, nicht so viele Verwirrungen finden, wenn man überall fein gerade zu Werke ginge, wie Erdmann that. Man hatte ihm Etwas wider sein Mädchen in den Kopf gesetzt, und kaum war er eine Viertelstunde mit ihr zusammen, so wußte sie schon Alles, was man Schlimmes von ihr gesagt hatte.

Marien's Mienen verzogen sich bei Erdmann's Mittheilung halb zum Lachen, halb zum Weinen, und erst nach einer langen Pause fing sie zu sprechen an:[54]

»Was sich die Leute doch für große Mühe gehen,« rief sie, »eine Liebe zu stören, von welcher noch Keines von uns weiß, ob der Himmel seine Zustimmung dazu geben wird.«

»Ich hoffe, Marie, wir haben die Zustimmung des Himmels und aller guten Geister, wenn du nur im Stande bist, die Beschuldigungen zu entkräftigen, die man gegen dich vorgebracht hat.«

»Was würdest du nun aber thun, wenn der größte Theil jener Beschuldigungen auf Wahrheit beruhte?«

»Du erschreckst mich, Marie! Und doch, ich fühle es, würde ich nie aufhören, dich zu lieben, möchte es auch mit dir stehen, wie es wollte! – O rede, und reiße mich aus meiner Ungewißheit!«

»Man nennt mich eine Landläuferin! – gut, wenn ein armes, von seinem Vaterlande entferntes Mädchen diesen Namen verdient, so bin ich es. Eine Guglerin3! – bezeichnet man mit dieser Benennung die Britten, welche vor einigen Jahren mit dem Schwerte in der Hand das feste Land betraten und hier Wunder der Tapferkeit verrichteten, so gehöre ich allerdings zu diesem Geschlechte, denn ich bin eine Engländerin, wie du heute aus meiner[55] Geschichte ohnedem vernommen haben würdest. – Eine Jüdin soll ich auch sein – – –«

»Nun? du sollst? Was wirst du auf diese Beschuldigung erwidern?«

»Sage mir, Erdmann, war der Menschenfreund im Evangelio, der den unter die Mörder Gefallenen pflegte und verband, ein Jude?«

»Nein! Aber ich sehe nicht ein, was du mit dieser Frage willst.«

»Ich wünschte nur zu wissen, ob etwa Jemand, der mit einem Juden in Berührung kommt, ebenfalls als ein solcher angesehen werden kann! – Weshalb mich übrigens manche Leute für eine Jüdin halten, weiß ich selbst nicht recht, und vermuthe nur, daß meine Wohnung Veranlassung zu diesem Gerede gegeben hat. – Meine Herrschaft – fast eben so arm wie ich – wohnt nämlich in dem gastlichen Theile von Schweidnitz, der vor hundert Jahren den aus Breslau vertriebenen Juden als Zufluchtsort diente, – aber muß ich darum sein, was meine Nachbarn sind? – Dann müßte ich ja besorgen, in meinem Erdmann einen Genossen von Meister Melchior zu sehen, und dann hättest du mir, wenn auch Alles wahr wäre, wessen man mich beschuldigt, wahrhaftig wenig vorzuwerfen.«

Marie, die sonst so sanftmüthige Marie, ward bitter! Erdmann suchte sie zu besänftigen, was ihm auch leicht wurde, denn mit ihm zürnte sie ja nicht. Es kam bald dahin, daß die beiden Liebenden wieder in so traulicher[56] Einigkeit beisammen saßen, als ob nichts vorgefallen wäre, und Marie fühlte sich gefaßt genug, ihre Geschichte zu beginnen.

»Daß ich eine Engländerin bin,« fing sie ihre Erzählung an, »hast du bereits erfahren, und dies ist auch das Wichtigste, was ich dir von meiner Person zu sagen weiß. Ich bin noch zu jung, um selbst viel Abenteuer erlebt zu haben, und es sind mehr die Schicksale meiner Eltern, die ich dir zu erzählen beabsichtigte, und die dir über gewisse Verhältnisse Aufschluß geben werden.

Wenn ich dir nun vor allen Dingen sage, daß meine Mutter edler Abkunft war, so hoffe ich, daß der Herr von Erdmannsdorf mir dieß nicht als Eitelkeit auslegen und nicht etwa glauben wird, ich erwähnte solches nur darum, damit er, – falls wir noch ein Paar werden sollten – sich vor keiner Mißheirath fürchte.«

»Holdes Mädchen!« rief Erdmann, den der kleine Muthwille, der aus ihren Worten sprach, nicht wenig ergötzte, »du verstehst es, mich mit tausendfachen Banden an dich zu fesseln! Bald zeigst du eine liebe, süße Einfalt, bald einen weisen Ernst, bald bist du das launige Geschöpf, das sich – wie jetzt – durch einen harmlosen Scherz für unschuldig erlittenen Schimpf rächt!« – Marie lächelte und fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Meine Mutter war die Urenkelin des berühmten Sir William Turner, der zu Zeiten eines unserer alten Könige eine wichtige Rolle spielte. Doch du bist wahrscheinlich in der Geschichte meines Vaterlandes eben so[57] unwissend als ich in der deinigen, und ich will dich daher nicht mit Aufzählung der Schicksale meiner Urahnen behelligen.

Meine Mutter war ungeachtet des großen Namens, den sie führte, so arm, wie ihre Tochter, die jetzt an deiner Seite sitzt, und mußte gleich dieser, von der Arbeit ihrer Hände leben. Doch war sie reich an Tugenden. Ihr Wandel war still und sittsam, und deshalb war sie bei den Mitbewohnern ihres Geburtsortes, – eines kleinen Dorfes nahe bei Farnham in der Grafschaft Surry, – so wohl angesehen, daß, als sich in ihrem zwanzigsten Jahre ein Freier meldete, die ganze Gemeinde einig ward, meine Mutter nothdürftig auszustatten, ihr das Hochzeitmahl auszurichten und dem verlobten Paare noch eine besondere Gunst zu erweisen.

Die Gemeinde besaß in der Gegend von Noorparck, nicht weit von ihrem Dorfe, ein kleines Haus nebst etwas Wiese und Ackerfeld, so viel als ein einzelner Mann bearbeiten kann. Seit undenklichen Zeiten bestand nun eine Stiftung, nach welcher diese Meierei immer an ein junges Ehepaar für die Zeit von zwei Jahren übergeben werden mußte, und zwar unentgeldlich, damit, – so lauteten die Worte des alten Stifters in der sorgfältig bewahrten Urkunde, – damit das junge Paar wenigstens im Anfange der Ehe sorgenfrei leben könnte. Während nun die Meierei früher meistens an die Kinder der reichsten Pächter vergeben worden war, die durch ihren Einfluß diese Gunst zu erlangen wußten, so vereinigte sich[58] doch diesmal die ganze Gemeinde, jenes Besitzthum der guten Marie Turner zuzusprechen, die als elternlose Waise einer solchen Wohlthat um so mehr bedurfte, als ihr Bräutigam zwar ein braver, aber armer Kriegsmann war. Heutzutage nennt man es Heldenwagniß oder Thorheit, wenn zwei Arme einander freien, damals aber fand man die Heirath meiner Mutter weder sonderbar noch thöricht. Liebe schloß sie, das Brautpaar hatte Lust und Kräfte zur Arbeit, und es bedurfte also nur einer kleinen Unterstützung, die man ihnen gern verwilligt hatte.

An einem bestimmten Tage brachte man die Verlobten in feierlicher Procession nach der Waverly-Abtei, wo sie eingesegnet wurden, und bei der Heimkehr ermangelte man nicht, einen gewissen, großen kupfernen Kessel mitzunehmen, welcher in dortiger Kirche verwahrt, und gewöhnlich bei ähnlichen Hochzeitausrichtungen, wie die meiner Eltern, zur Bereitung der Speisen gebraucht wurde.

Als des Abends, nach einem froh durchtanzten und durchspielten Tage, die Alten beim starken Biere saßen und sich gütlich thaten, und die jüngern Leute dem Gespräche der Greise zuhörten, begann einer von diesen folgendermaßen: ›Laßt uns auf das Wohlsein der Patronin des jungen Ehepaars trinken! Die Becher hochgehalten! Es lebe Mutter Ludlam in ihrer Höhle!‹ – Die Meisten von der Gesellschaft wußten, wem die ausgebrachte Gesundheit galt, und tranken freudig mit; aber der Bräutigam, der aus einer entfernten Gegend nach Surry gekommen war, sagte, nachdem er seinen Becher[59] geleert hatte: ›guter Vater, wem zu Ehren habe ich getrunken, und wer ist überhaupt Mutter Ludlam, die ihr meine Patronin nennt?‹

›Junger Mann,‹ versetzte der Alte, ihr sollt Alles erfahren, denn es würde euch übel anstehen, aus Mutter Ludlams geweihtem Kessel gegessen zu haben, und nach Mitternacht den Kehraus um denselben zu tanzen, ohne zu wissen, was es damit für eine Bewandniß hat. Die Geschichte der Mutter Ludlam, die leider heutzutage von der leichtsinnigen Jugend für ein Mährchen gehalten wird, lautet so:

Drei Meilen von Farnham, in der guten Grafschaft Surry liegt ein sandiger Hügel, der sich südwärts öffnet und eine Höhle bildet, in welcher in der grauen Vorzeit ein Weib gewohnt haben soll, das der Sage nach von menschlichem Geschlechte, jedoch mit übernatürlichen Kenntnissen ausgerüstet war. Ich habe indeß in einem alten, glaubwürdigen Buche gelesen, daß jenes Weib ein in diese Gegend gebannter Geist war, der daselbst unter menschlicher Gestalt gewisse, uns Sterblichen unbekannte Absichten ausführte. Unsere Urväter haben dieses geheimnißvolle Wesen noch gesehen, seine Wohlthaten genossen und es Mutter Ludlam genannt, was in der alten gothischen Mundart ungefähr so viel geheißen haben mag, als Mutter Geberin, oder gebende Mutter. Der Name war gut gewählt, denn in der That war Geben des guten Geschöpfes tägliches Werk; sie gab so lange, bis sie nichts mehr hatte, oder bis der Undank,[60] die Unbescheidenheit, oder die Ungenügsamkeit der Beschenkten sie ungeduldig machte. Sie hörte nun mit dem Geben auf, weil sie aber die Erdbürger nicht ganz verlassen konnte oder wollte, so fing sie jetzt an, den Hülfsbedürftigen das zu leihen, was sie früher verschenkt hatte. Bei ihr konnte man Alles haben. Sie lieh gern und ohne Interessen; aber prompt mußte man im Wiedererstatten sein. Wenn der Termin der Zurückgabe, den sich Jeder – jedoch nur auf Tage, nicht auf Jahre – festsetzen durfte, verflossen war, ohne daß man ihr das Geliehene zurückgebracht hatte, so bestrafte sie die Wortbrüchigen hart, doch weiß man nicht, worin die Strafe gewöhnlich bestanden hat. – Alles, was aus ihren Händen kam, es mochte Gold oder Geräthe sein, das brachte Segen und machte dem Borger die Erstattung leicht. So soll der Erbauer der Waverly-Abtei, – ein armer Pilger aus dem heiligen Lande, – hinab in ihre Höhle gestiegen sein, und um Holz, Steine und ein wenig Geld zu Erbauung einer Klause gebeten haben, – da ist ihm so viel davon geworden, daß er es mit Pferden und Wagen hat hinwegfahren müssen! Aus der kleinen Klause entstand ein großes Kloster, und nach Verlauf von dreihundert Tagen, den Termin, den sich der Pilger selbst bestimmt hatte, ist er im Stande gewesen, das Geborgte in Natura wieder zur Stelle zu schaffen. – Wer von der Mutter Ludlam etwas leihen wollte, brachte sein Anliegen auf folgende Weise vor: Um Mitternacht ging der Borger entweder allein, oder in Begleitung eines[61] Kindes durch die weite Oeffnung, welche damals an zwanzig Fuß breit und zehn Fuß hoch gewesen sein soll, in die Höhle hinein, bis zu einer Stelle, wo sich die Höhle nordwärts krümmt. Hier fand er einen klaren Bach, der sich in ein Marmorbecken ergoß, das Anton Waverly, der Erbauer jener Abtei, wo ihr eingesegnet worden seid, hatte machen lassen, und an dieser Stelle soll Mutter Ludlam – eine freundliche Alte – oft sichtbar gewesen sein. – Ließ sie sich aber auch nicht sehen, so hatte man weiter nichts zu thun, als dreimal um den Brunnen zu gehen und zu sagen: ›Gute Mutter Ludlam, leihe mir dieses oder jenes, in so und so viel Tagen bringe ich es wieder.‹ Wenn man sich dann langsam entfernte, so fand man am andern Morgen das Geforderte am Eingange der Höhle, wohin man es, wie schon gesagt, genau zur bestimmten Zeit und Stunde und in eigner Person wiederbringen mußte. Nun begab es sich einst, daß ein junger Mann, so wie ihr, Hochzeit machte, zu der, weil er reich war und viele Freunde hatte, mehr Gäste kamen, als er erwartet hatte. Im ganzen Dorfe war kein Kessel, der groß genug gewesen wäre, die Brautsuppe darin zu kochen. Da höhnten ihn die losen Gesellen und sprachen: ›Hochzeiter! steige hinab zur Leihfrau und borge von ihr, was du bedarfst!‹ Um seinen Muth zu zeigen, that er, wie sie ihm sagten, und ging am Vorabende des Hochzeitfestes in die Höhle und bat: ›gute Mutter Ludlam, leihe mir einen Kessel zur Brautsuppe, aus welchem alle meine Gäste satt werden können; morgen[62] um diese Zeit bringe ich ihn wieder.‹ – Er erhielt, was er forderte und lief nach Hause, einige Knechte zu holen, die ihm das ungeheure Ding, das ihr heute gesehen habt, heimholen mußten.

Man kochte darin, man aß und wurde satt. Jedermann behauptete, nie hätte eine Suppe köstlicher geschmeckt, als diese; auch fehlte es nicht an Großprahlereien des Bräutigams und schmeichlerischen Lobeserhebungen seiner Freunde wegen seines Muthes, denn es war eine geraume Zeit vergangen, daß Niemand gewagt hatte, ein Darlehn von der strengen Schuldfrau zu fordern, die wahrscheinlich das letzte mal einem bösen Bezahler übel mitgespielt haben mochte.

Unter lärmender Freude ging der Tag hin, und Mitternacht kam heran, ohne daß der Borger an sein Versprechen dachte. Er führte sein junges Weib heim, und beschied seine Gesellen auf den nächsten Tag zu neuer Freude. Ach, diese Freude sollte in eine Todtenklage verwandelt werden! Man fand am andern Morgen den jungen Ehemann todt, und sein Weib in einer todtenähnlichen Ohnmacht auf ihrem Lager. Keine Hülfleistung konnte den Unglücklichen erwecken, und die junge Frau wußte nichts zu sagen, als daß sie über einen fürchterlichen Traum, den sie vergessen habe, erwacht sei, daß sie ihren Mann, weil ihr ein Grausen angewandelt, habe wecken wollen, ihn jedoch todt gefunden, und daß sie darauf wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen sei. – Bei reiflicher Ueberlegung aller Umstände konnte[63] man nicht anders glauben, als daß der schnelle Tod des jungen Mannes ein Werk der Mutter Ludlam gewesen sei, die sich an den Wortbrüchigen habe rächen wollen. Man fand ihre Strenge sehr grausam und unvernünftig, und brachte ihr mit Fluchen den Kessel wieder; aber sie mochte nicht zurücknehmen, was ein Mensch mit seinem Leben erkaufen mußte, und soll seitdem das Leihen ganz aufgegeben haben. Der Kessel lag ein ganzes Jahr am Eingange ihrer Höhle, bis man ihn nach Waverly zurückbrachte und bestimmte, daß er bei ähnlichen Hochzeitausrichtungen, wie die eurige, nicht allein immer gebraucht, sondern daß dem jungen Ehepaare auch noch ein Geschenk von drei Kronen verehrt werden solle, die euch diese Nacht beim Tanze um den kupfernen Kessel jedenfalls gereicht werden. –

Richard, mein Vater, war hocherfreut über das tröstliche Ende der Geschichte, denn Geld hatte er wenig in den Händen, und die unerwartete Hochzeitsteuer kam ihm sehr gelegen. ›Ei so soll sie hoch leben, die gute Zauberin!‹ rief er und trank noch einen Becher aus: ›Auf euer Wohlsein, Mistreß Ludlam! Wenn mir einmal das Borgen ankommt, so werde ich an eurem Leihhause nicht vorübergehen!‹

Die Gäste lachten über den Einfall, man stand auf, und machte Anstalten zum Weggehen. Das Brautpaar mußte neunmal die Runde um den schwarzen Kessel machen, wobei es an wohlangebrachten, unschuldigen Neckereien nicht fehlte; dann gab man ihnen die drei[64] Kronen, welche Richard als nunmehriger Hausvater zu sich nahm, und sich mit seiner jungen Frau zum Heimzuge fertig machte. Es war eine helle Sommernacht, voll Mondschein und leuchtender Insekten. Das ganze Dorf begleitete die Neuvermählten unter dem Schalle von Becken und Schalmeien nach dem einsamen Hause, welches nun zwei Jahre lang, bis nach vollbrachter Ernte, ihr Eigenthum sein sollte. Unter den jungen Leuten, die sie mit heimführen halfen, befanden sich gewiß ein paar Liebende, die sich diese Nacht bei dem Schimmer der Gestirne das Wort gaben, recht bald dem Beispiele der Neuvermählten zu folgen, denn damals zeigte Hymen ein so lockendes Gesicht, daß nicht leicht junge Leute ihn bei einem Hochzeitfeste in der Nähe lächeln sahen, ohne daß sich hier und da Liebesbündnisse entspannen, welche nächstens Gelegenheit zu neuen Festen gaben.

Richard und Marie begannen ihren Hausstand unter den glücklichsten Aussichten; in ihrer kleinen Wirthschaft schien, wenigstens auf den ersten Anblick, Nichts zu fehlen, so wohl hatte man sie ausgestattet, und hinsichtlich der diesmaligen Ernte, die in wenig Wochen bevorstand, und auf die sie freilich keinen Anspruch machen durften, traf man auch solche Verfügungen, daß sie zufrieden sein konnten. Richard nahm, als die Zeit heran kam, sein Ackergeräth zur Hand, das Feld wieder zu bestellen, was er, ungeachtet er bisher das Schwert geführt hatte, sehr wohl verstand. Marie arbeitete indessen fleißig zu Hause, – das heißt, sie trieb das Gewerbe, das[65] auch ich von ihr gelernt habe, – sie spann und webte, wie sie im ledigen Stande gethan hatte; aber des Abends, wenn der Mann nach Hause kam, legte sie Spindel und Rocken bei Seite, um blos ihm zu leben. Nach der frugalen Abendmahlzeit saß man dann an der Thüre des Hauses, und überblickte unter frohem Geplauder die Umgegend, die den Liebenden bei allen Unvollkommenheiten, die sie hatte, ein zweites Eden zu sein schien, oder man ging zu den gemeinschaftlichen Freunden und Wohlthätern in das nahgelegene Dorf, die sich über das Glück des jungen Paares, denen sie empor geholfen hatten, innig freuten.

›Marie,‹ sagte einst mein Vater zu meiner Mutter, als sie von einem solchen Besuche nach Hause gingen, ›mir hat diesen ganzen Abend etwas auf dem Herzen gelegen, das ich unsern Freunden gern entdeckt hätte, ohne den Muth dazu zu haben. Sie haben unsere Wirthschaft wohleingerichtet, und es an nichts fehlen lassen, das uns noth ist; gleichwohl hätte ich noch einen Wunsch, den ich auf keine Art zu befriedigen weiß, weil ich mich zu reden scheue!‹

›Und warum das, Richard? ich denke, du kannst nichts Unbilliges wünschen!‹

›Nein, meine Wünsche sind sehr unschuldig, und mit wenig Kosten zu befriedigen; aber bedenke selbst, wie würde mir es anstehen, wenn ich zu den Leuten, die so viel für uns gethan haben, käme und spräche: Der Acker, auf welchen ihr Weizen zu säen gewohnt seid,[66] würde bei einer andern Art von Getreide weit fruchtbarer sein; gebt sie mir, daß ich säe und mit Wucher ernte! Oder wenn ich sagte: mir fehlt dieses oder jenes Ackergeräth, das ich in irgend einem fremden Lande sah, und das sie vielleicht kaum dem Namen nach kennen! Sprich, würde man mich bei einer solchen Aeußerung nicht einen Undankbaren und Begehrlichen schelten?‹

›Und wie dann, Richard, wenn ich dir jetzt schon diese Namen beilegte?‹

›Das wirst du nicht, wenn du bedenkst, daß wir hier nur kurze Zeit zu hausen haben, und daß uns ein erlaubter Vortheil wohl zu gönnen ist. Sprich, wenn mich nach Verlauf unserer Gnadenjahre der König wieder ins Feld ruft, kann mir es dann gleich sein, ob ich dich ganz arm, oder mit einem kleinen Nothpfennig versehen zurücklasse?‹

Marie drückte seine Hand. ›Liebe,‹ rief sie, ›spricht aus Allem, was du sagst; wie kann ich dein Vorhaben tadeln? – aber auch wie soll ich helfen?‹

Der Rest des Weges wurde schweigend zurückgelegt, bis sie ihre kleine Wohnung von Weitem in der Dämmerung liegen sahen. Sie kamen jetzt vor einem großen Sandhügel vorbei, der sich fast bis an ihr Haus erstreckte, und der gegen die umliegende fruchtbare Gegend, die ihnen zum Anbau anvertraut war, sehr abstach.

›Ach!‹ rief Richard im Vorübergehen, ›wie Schade ist es, daß du, gute Mutter Ludlam, das Schenken und[67] das Leihen verlernt hast! Bei dir wüßte ich Rath für das, was mich Tag und Nacht beunruhigt.‹

›Was willst du damit sagen?‹ rief meine Mutter, die am ganzen Körper zitternd, kaum weiter zu gehen vermochte.

›Wie?‹ antwortete mein Vater, ›weißt du noch nicht, daß die gute Leihfrau, von der man uns am Hochzeittage so viel erzählte, unsere Nachbarin ist? – Was giebst du mir, so gehe ich diese Nacht in ihre Höhle, deren Oeffnung wir bald sehen werden, wenn wir uns nur ein wenig südwärts halten, und versuche, ob sie noch so menschenfreundlich ist, wie zu deiner Väter Zeiten!‹

›Um Gotteswillen, Richard!‹ schrie Marie, und schlang ihre Arme um seinen Nacken, ›laß ab von solchem tollkühnen Unternehmen! Wer bürgt mir für dein Leben, das mir so theuer ist?‹

›Glaubst du, daß ich nicht besser Wort halten würde, als jener reiche Pachter?‹

›Ich glaube von dir in Allem das Beste, aber ich bitte dich, wenn du borgen willst, so wende dich an Deinesgleichen, und verirre dich nicht in die Geisterwelt. – Jetzt komm, und laß uns aus dieser Gegend eilen, die mir noch nie so unheimlich vorgekommen ist als heute!‹

Sie lenkten seitwärts ab, und kamen bald nach Hause. Beide sprachen wenig, und legten sich stillschweigend zu Bette.

›Marie,‹ sagte mein Vater um Mitternacht, ›du kannst wohl nicht schlafen? Was fehlt dir?‹[68]

›Ach, Richard, ich denke an unser letztes Gespräch! Es war doch nur dein Scherz, was du von der Ludlamshöhle sagtest? Denn wenn dir ja deine neuen Erwerbspläne so sehr am Herzen liegen, so kannst du dir noch anderweitig helfen.‹

›Und wie?‹

›Wir haben ja unser Hochzeitgeschenk noch, die drei Kronen aus der Waverly-Abtei. Nimm sie, und wende sie an, wie du willst; du kannst wohl denken, daß ich nichts dawider habe; deine Ruhe kann nicht zu theuer erkauft werden!‹

Richard schwieg, denn mit jenen drei Kronen hatte es seine besondern Bewandnisse, wovon meine Mutter nichts wußte, und wovon er ihr nichts entdecken durfte. – Mein Vater war bei allen seinen guten Eigenschaften nicht ohne zwei große Fehler, Folgen seines Soldatenstandes, und des Bösen, was er in der Fremde gesehen hatte. Er liebte nämlich sehr die gefüllten Becher, und noch ungleich mehr das Spiel, und da er gerade in den ersten Tagen seiner Ehe eine kleine Geschäftsreise nach Okly hatte machen müssen, so waren bei dieser Gelegenheit die drei Kronen, deren meine Mutter gedachte, theils vertrunken, theils verspielt worden.

Am andern Tage wiederholte meine Mutter ihre Vorschläge, und mein Vater, der vermuthlich während der Nacht darüber nachgedacht hatte, wie er sich aus seiner großen Verlegenheit helfen könne, schien ihr mit Wohlgefallen zuzuhören. ›Wenn du willst,‹ sagte er,[69] ›so bin ich bereit, die Grille, die mir in den Kopf gekommen ist, auf die leichteste Art zu befriedigen. Nenne es nicht Eigensinn; du wirst sehen, daß die Sache Vortheil bringt, und daß die drei Kronen, die man für verloren halten möchte, bald wieder gewonnen sein werden.‹

Die unschuldige Marie ahnte keinen Doppelsinn in diesen zweideutigen Worten und freute sich darauf, ihren Mann, den sie schon lange eine kleine Schwermuth angemerkt hatte, nun künftig ruhiger zu sehen. Als dieser ihr aber erklärte, daß er, um sich das Benöthigte anzuschaffen, eine kleine Reise machen müsse, von der er erst am andern Tage zurückkehren würde, so trauerte meine Mutter, denn noch nie hatte sie ihren Richard auf so lange Zeit von sich gelassen. Sie fürchtete sich, seit sie von der seltsamen Nachbarschaft unterrichtet war, in dieser einsamen Gegend allein zu sein, und beschloß daher, während ihres Mannes Abwesenheit nicht aus ihrer Hütte zu gehen, welcher Entschluß von Richard höchlich gebilligt wurde. –

Meine Mutter hatte die Freude, ihren Geliebten am andern Tage viel früher heimkehren zu sehen, als sie hoffen konnte. Er sagte, er habe das, was er geglaubt hätte, weiter suchen zu müssen, in Okly gefunden, und wolle nunmehr unverzüglich das Werk beginnen, wovon er sich so viel Vortheil verspräche. Der Weizenacker wurde von Neuem umgepflügt, und bald darauf sah Marie aus demselben eine Saat hervorkeimen, welche schnell emporschoß,[70] sich ausbreitete, und mit einem Grün prangte, das sie nie so schön gesehen hatte.

›Junger Mann,‹ sagte einer von den alten Bauern aus dem Dorfe, der Richard einstmals zu besuchen kam, und seinen Acker sah, ›wo habt ihr die Aussaat her, die in unseren Gegenden so schwer zu bekommen ist? Ich kenne sie wohl; wenn Gott gut Wetter verleiht, so kann sie ihren Mann reich machen! Pachter Hobkins, der ein kleines Säckchen davon mit aus der Fremde herüberbrachte, hat Gold davon geerntet.‹

Richard lachte, und Marie ersparte ihrem Manne eine Lüge, indem sie erklärte, daß sie ihr Hochzeitgeschenk zum Ankaufe dieser Seltenheit angewendet hätten.

›Nun, ihr habt wohlgethan,‹ erwiederte der Alte, ›nur wundert mich, wie ihr so leicht dazu gekommen seid!‹

Richard brach das Gespräch ab, und ein Wink belehrte Marien, es ebenfalls dabei bewenden zu lassen.

›Du wärst im Stande, Alles auszubeichten, wenn man dir nicht steuerte,‹ sagte er, als sie allein waren.

›Und warum sollte ich nicht?‹

›Man muß dem Neide keine Nahrung geben.‹

›Neid? bei unsern Wohlthätern?‹

›Man kann nicht wissen! – Es ist gut, daß ich dir meinen neuen wälschen Pflug nicht sehen ließ, denn sonst würdest du auch von diesem geplappert haben.‹

Marie bekam später dieses künstliche Werkzeug oft zu sehen. Mein Vater war ein geschickter Mann, der[71] allerlei Arbeit in Holz und Eisen machen konnte, wenn er ein Modell vor sich hatte; alle Zeit, die er nicht auf dem Felde zubrachte, künstelte er daheim, und unter dem Vorwande, sein neumodisches Ackergeräth sei schadhaft geworden, brachte er ein Aehnliches zu Stande, welches von dem Originale kaum zu unterscheiden war. Mehrere Monate gingen darüber hin; die Ernte kam, Richard sammelte hundertfältig ein, und gewann mit dem Ertrage, wie der alte Bauer aus dem Dorfe gesagt hatte, Gold. Meine Mutter erstaunte, und da sie nun auf einmal eine wohlhabende Frau geworden war, so sah sie mit doppelter Freude der Erfüllung von Hoffnungen entgegen, die ihr bald Mutterfreuden versprachen.

›Gott sei Dank!‹ rief sie, ›nun dürfen wir uns nicht mehr fürchten, den Namen Vater und Mutter zu führen; wir werden Brod haben für uns und unsere Kinder, auch wenn unsere Gnadenjahre verflossen sind, und wir diese Gegend verlassen müssen!‹

›Und warum sollten wir sie verlassen?‹ fragte Richard. ›Ich gehe mit dem Gedanken um, den Ueberschuß unseres Geldes zum Ankaufe einiger Aecker in Noorpark, und zur Erbauung eines kleinen Hauses anzulegen, so daß wir für immer hier bleiben können!‹

›Wäre es möglich, daß wir so reich sein sollten, dieß Alles zu bestreiten?‹

›Dafür laß mich sorgen; stelle von nun an das emsige Arbeiten ein, und denke an nichts, als an dein Wochenbett.‹[72]

Richard war mit der äußersten Zärtlichkeit bemüht, seiner Marie ihren Zustand so leicht und angenehm als möglich zu machen; er kam, da es jetzt im Felde wenig zu thun gab, und seine künstliche Handarbeit beendiget war, fast nie von ihrer Seite, und doch sollte meine Mutter in der Stunde, da sie der meisten Hülfe bedurfte, ganz allein sein. Sie erwachte einst um Mitternacht aus einem tiefen Schlafe. Sie befand sich unwohl, sie rief ihren Mann, – keine Antwort! – Ihr Entsetzen über diese seltsame, ungewohnte Einsamkeit bewirkte, daß sie eine lange Zeit ganz ohne Besinnung lag. – Sie ermunterte sich wieder; ich erblickte das Licht der Welt. Die Morgendämmerung kam heran – noch war meine arme Mutter allein; – endlich, als die Sonne schon eine Stunde am Horizonte stand, hörte meine Mutter den Schlüssel an der Hausthüre im Schlosse umdrehen, und Richard trat ein. –

›In dieser fürchterlichen Nacht konntest du mich verlassen?‹ sagte sie mit schwacher Stimme, indem sie mich ihm entgegen hielt.

Er flog auf ihr Bett zu, er überdeckte sie und mich mit Küssen und Thränen, er warf sich auf die Kniee und stammelte Entschuldigungen, welche in den Augen meiner Mutter wenig sagen wollten. ›Ach,‹ rief sie, ›Geschäfte wendest du vor? Hattest du wohl ein dringenderes Geschäft, als bei deiner Marie zu bleiben, die bald ein Opfer des Todes geworden wäre? – Und Geschäfte in der Nacht? was mögen das für welche sein?‹[73]

Richard zerfloß in Thränen; er wußte nicht, wie er seine weinende und mit Recht beleidigte Gattin beruhigen sollte; in der Angst nahm er eine Handvoll Kronen aus der Tasche, und legte sie auf ihr Bett. ›Da,‹ sagte er, ›nimm und kaufe dir bei deinem Kirchgange was du willst, nur verzeihe mir mein Vergehen, und wisse, daß an dem Gange, den ich diese Nacht thun mußte, mein Leben hing!‹ –

Der Anblick des vielen Geldes, was ihr bloß zu ihren kleinen Ausgaben geschenkt, und die räthselhaften Worte, mit denen es gegeben wurde, machten die Sache noch schlimmer. Meine Mutter wußte nicht, was sie davon halten sollte, und zu schwach, ihre Bedenklichkeiten durch Worte zu äußern, schwieg sie.

Mein Vater machte nun bald Anstalt, einen Kindtaufschmaus auszurichten, der in der ganzen Gegend seit zwanzig Jahren nicht seines Gleichen gehabt hatte. Die gutherzigen Bauern aus dem Dorfe waren meine Pathen; er bewirthete sie alle herrlich, aber sie waren nicht so vergnügt, als sie wahrscheinlich bei einem geringeren Mahle gewesen sein würden.

›Vetter! Vetter!‹ sagte einer von den Aeltesten, ›Gott weiß, wie es mit euch steht, daß ihr so schnell emporgekommen seid. Habt ihr hier einen Schatz gefunden, wie die Rede geht, so ziemte es sich doch wenigstens, uns etwas davon zu sagen.‹

›Gevatter,‹ antwortete Richard, ›mein Schatz liegt in jenem Acker; die Aussaat war köstlich, die Ernte[74] noch besser, so mußte ich ja wohl ein gemachter Mann werden! Daß ich euch mein Glück verdanke, werde ich nie vergessen!‹

Er gab noch viele ähnliche Versicherungen, man glaubte ihm endlich, und warnte ihn beim Abschiede nur, Großthun und Verschwendung zu meiden, wobei ein ehrlicher Landmann nicht bestehen könne. ›Habt ihr heuer ein gutes Jahr gehabt, so kann das nächstemal Mißwachs kommen,‹ sagten sie, ›und wer wird euch dann bedauern, wenn ihr nichts zurückgelegt habt.‹

Mein Vater schlug diese Warnung nicht ganz in den Wind; er suchte seinen Wohlstand, dessen Ursprung Niemand kannte, möglichst zu verbergen, und arbeitete fleißig auf seinem Acker fort. Freilich war er aber auch oft von Hause abwesend, und die dienstfertigen Gevatterinnen aus dem Dorfe hinterbrachten meiner Mutter nicht selten, wie er bald zu Farnham, bald zu Okly unter lustigen Gesellen bei Trunk und Kartenspiel gesehen worden sei.

Die duldende Marie schwieg oder antwortete so, wie eine verständige Frau, die die Schande ihres Mannes nicht bekannt lassen werden will, antworten muß.

Ihr, die Richards Benehmen in der Nähe beobachtete, war noch Mehreres bedenklich, als denen, die nur aus der Ferne urtheilten. So viel war gewiß, daß mein Vater mehr Geld in den Händen hatte, als er möglicherweise erwerben konnte. Daß er spiele, erfuhr meine Mutter aus seinem eignen Munde; denn als sie ihn[75] einst ernstlich fragte, woher er denn das viele Geld habe, erklärte er, er habe es im Spiele gewonnen. Leider mußte sie an ihrem Manne auch oft, wenn er von seinen Ausflügen heimgekehrt war, Spuren von nur halb ausgeschlafenem Rausche bemerken! Traurige Entdeckungen für die, welche ihren Geliebten lange Zeit für so gut und fehlerlos gehalten hatte, als sie selbst war! – Meine Mutter besaß entweder nicht Muth genug, oder zu viel Klugheit, um meinen verblendeten Vater ernstlich zurechtzuweisen. ›Soll ich,‹ sagte sie zu sich selbst, ›ihm sein Haus durch Vorwürfe zuwider machen? Dann wird er noch öfter abwesend sein, als jetzt, er wird mich hassen und fürchten lernen, anstatt daß er mich jetzt liebt; wo er sich, um mich nicht zu kränken, jetzt noch Schranken setzt, da wird er dann weder Maaß noch Ziel kennen, und dann, – dann werde ich erst ganz unglücklich sein!‹ –

Die Ernte fiel im zweiten Jahre schlecht aus; trotz dem machte aber Richard groß Wesens davon, und prahlte, daß ihn der Ertrag derselben zum reichen Manne gemacht habe.

Es war die letzte Ernte, die wir auf unserm Lehne zu genießen hatten, denn die zwei Jahre waren verflossen, und es wartete schon längst ein neues Brautpaar, die Stelle meiner Eltern einzunehmen.

Erst jetzt erfuhr meine Mutter, daß Richard ein hübsches kleines Haus, eine englische Meile von unserer bisherigen Wohnung entfernt, mit dazu gehörigen Wiesen[76] und Aeckern gekauft hatte, wovon sie sofort Besitz nehmen konnten. Richard gab vor, den Handel auf Speculation geschlossen zu haben und nun, durch seine angeblich gute Ernte, im Stande zu sein, den größten Theil des Kaufpreises baar zu bezahlen.

Die Erwerbung des neuen Grundstückes erschien indeß meiner Mutter zu geheimnißvoll und unbegreiflich, als daß sie sich darüber hätte aufrichtig freuen können. Nur in mir fand sie Beruhigung für ihre geheime Schwermuth, und der einzige Vortheil, den ihres Mannes nunmehriger Wohlstand ihr gewährte, war der, daß sie sich jetzt ungestört meiner Erziehung widmen konnte. Einst selbst von einem frommen und klugen Mönche erzogen, ließ sie sich es besonders angelegen sein, mir frühzeitig die Begriffe von Recht und Unrecht beizubringen, und ihren Lehren, die sich mir tief ins Herz prägten, habe ich es auch allein zu verdanken, daß ich mich bis jetzt noch keines großen Fehltrittes anzuklagen brauche. –

Die Wirthschaft in unserm Hause wurde um die Zeit, wo ich das vierte oder fünfte Jahr erreicht hatte, immer sonderbarer. Gewöhnlich herrschte großer Ueberfluß bei uns, dann kamen aber auch wieder Zeiten, wo es überall mangelte, und wo die Sparsamkeit des Hausvaters fast in Geiz auszuarten schien. Alle Schillinge wurden dann zusammengesucht, und wenn Richard, wie Marie nachrechnen konnte, wieder einmal eine ansehnliche Summe im Kasten liegen hatte, so war er gewöhnlich eine Nacht abwesend, hatte den Geldsack mitgenommen,[77] und brachte ihn nicht mit zurück. – Bald darauf war wieder Geld genug da; es wurde von Neuem gespielt und getrunken, auch erhielt meine Mutter ansehnliche Geschenke, bis abermals der Zeitpunkt des Mangels erschien, und so wiederholte sich das nämliche Spiel mehrmals in einem Jahre.

›Marie,‹ sagte mein Vater in einem von diesen traurigen Zeiträumen, ›ich bin heute genöthigt, dich um Etwas zu bitten, was ich, so oft du mir es auch anbotest, früher immer ausschlug. Du hast Geld, du mußt viel Geld haben, denn du bist sparsam in deinen Ausgaben – –‹

Meine Mutter erwartete nicht das Ende dieser Rede, sondern eilte das Geforderte zu holen; sie breitete es vor ihm aus, – in der That, eine ganz artige Summe, aber für Richard bei weitem nicht so viel, als er erwartet hatte. ›Ich glaubte, du solltest mehr haben,‹ sagte er, indem er das Geld zweimal überzählte.

›Ich nahm nichts davon,‹ erwiederte sie, ›als was ich den Armen gab.‹

›O Weib! Weib!‹ schrie er, und stampfte mit dem Fuße, ›daß du deiner thörichten Mildthätigkeit Schranken gesetzt hättest! Du hättest das Leben deines Mannes retten können! Was sollen mir zwei Drittheile, wenn ich die ganze Summe brauche? Was bleibt mir nun übrig, als mein Glück bei den Würfeln zu versuchen? Muß ich nicht gezwungen das thun, was, obgleich dein Mund schweigt, jeder deiner Blicke mißbilligt?‹[78]

›Aber, Richard, welches Bedürfniß kann dir eine so große Summe auf einmal abfordern? Du hast ja keine Schulden, und hättest du sie, welcher Schuldner würde nicht gern wegen des Restes Geduld haben, wenn ihm zwei Drittel gezahlt werden?‹

›Frage mich nicht weiter, Marie, und blicke mich nicht so seltsam forschend an! Wenn ich wieder komme, sollst du Alles erfahren! Wollte Gott, ich hätte nicht so lange geschwiegen! Ich gehe, bete für mich, bete für mein Glück im Spiele!‹

Mein Vater verließ uns und meine Mutter war vor Schrecken außer sich. Ob sie das seltsame Gebet that, das ihr mein Vater zugemuthet hatte, weiß ich nicht, nur so viel erinnere ich mich, daß uns ein schrecklicher Tag unter Seufzern und Thränen verging, denn ich weinte mit, weil ich meine Mutter weinen sah.

Gegen Abend sollte unser Unglück vollkommen werden; mein Vater wurde mit Blut und Beulen bedeckt nach Hause gebracht, und von den Leuten, die ihn trugen, erfuhren wir Folgendes: Mein Vater hatte zu Farnham sein ganzes Geld verloren, war dann über einen der Mitspielenden, der am meisten gewonnen, wie ein Besessener hergefallen, und hatte ihn falscher Kunstgriffe beschuldigt. Die andern Gesellen, die den Beschuldigten bei all seinem großen Glücke ehrlich wußten, hatten ihn vertheidigt und in der darauf entstandenen Prügelei war der unglückliche Richard so übel zugerichtet worden, daß er am Ende wie leblos niederstürzte.[79]

Meiner Mutter Verzweiflung und mein kindischer Jammer war über alle Beschreibung groß. Wir hielten den Verwundeten Anfangs für todt, und erst nach mehreren Stunden, und nachdem ihm alle mögliche Hülfe geleistet worden war, erholte er sich wieder.

Er schlug die Augen auf, richtete sich hastig empor, sah wild um sich her, fragte nach Tag und Stunde und verlangte mit meiner Mutter allein zu sein. Jetzt sagte er ihr, indem er sich oft unterbrach, ungefähr Folgendes, was ich erst lange nachher aus meiner Mutter Munde erfuhr.

›O Marie,‹ sprach er mit schwacher Stimme, ›ist dieß der Abend des nämlichen Tages, an dem ich zuletzt von dir schied, ist morgen erst Vollmond nach der Sommernachtgleiche, so ist deinem Richard noch zu helfen! Wirst du mir die Hand dazu bieten, mich vom Verderben zu retten, – mich, der deine Hülfe so wenig verdient?‹

›Richard, mein Leben hängt ja an dem deinigen und du kannst noch so fragen? – Doch beruhige dich, deine Verletzungen sind nicht tödtlich; dich zu retten, bedarf es nur einer sorgsamen Pflege, an der es deine Marie gewiß nicht fehlen lassen wird.‹

›Daß meine Wunden nicht tödtlich sind, fühle ich, aber mir droht weit schrecklichere und unvermeidlichere Gefahr. Wisse, ich bin ein Schuldner der Mutter Ludlam, bin ihr die Summe schuldig, die ich dir diesen[80] Morgen nannte, und muß sterben, wenn ich sie nicht morgen um Mitternacht in ihre Hände zurückgeliefert habe.‹

Meine Mutter stand starr vor Entsetzen an seinem Bette, und doch war es ihr, als wenn sie etwas nicht ganz Unerwartetes vernähme; in den Stunden des düstern Grübelns über Dinge, die ihr räthselhaft waren, mußte sie auch wohl öfters der Ludlamshöhle gedacht haben.

›Gutes Weib,‹ fuhr mein Vater fort, als er sah, daß sie nicht zu antworten vermochte, ›du bist unschuldig an dem Unglücke, in dem ich nun vielleicht umkommen muß, du warntest mich bei dem ersten Gedanken an einen Schritt, der so viele andere nach sich gezogen hat. Die Befriedigung eines unschuldigen Wunsches, der nur etwas Muth und Wagniß erheischte, hatte für mich so wenig Verdächtiges, daß ich alle deine Bedenklichkeiten im Stillen verlachte. Die Schuldfrau war so bereitwillig, mir die geforderte Kleinigkeit zu leihen, das auf zweihundert und funfzig Tage entlehnte Gesäm und Ackergeräth brachte mir so großen Nutzen, ich vermochte es so pünktlich wiederzugeben, daß mich das, was ich gethan hatte, unmöglich reuen konnte. Hierbei hätte ich es bewenden lassen sollen, aber, ach Gott! ich that es nicht. Jene unglückliche Nacht, in der unser Kind geboren wurde, und in der ich dich hülflos allein ließ, jene genau berechnete Nacht der Wiederbezahlung war auch die Nacht des neuen Borgens. Ich forderte damals eine ansehnliche Summe Geldes, und erhielt[81] sie ohne Weigerung; ich brachte sie in bestimmter Zeit wieder, um auf's Neue zu borgen. So ging es immer fort. Der Ueberfluß, in dem ich nun leben konnte, verleitete mich zu Ausschweifungen. Das Spiel schien mir ergiebiger als mein Acker, und der Acker wurde vernachlässigt; dennoch brachte dieser hundertfältigen Ertrag, und ich war immer im Stande, prompt zu bezahlen, und neue, noch größere Summen aufzunehmen. Zuletzt war Unsegen in Allem, was ich that; ich war genöthigt, mit geborgtem Gelde in die Ludlamshöhle zu gehen, und von dem, was ich dort als neues Darlehn von der unterirdischen Schuldfrau herauf brachte, die oberirdischen Schuldner zu befriedigen. Ein endloses Labyrinth von Sorge, Unruhe und neuen Ausschweifungen! Oft nahm ich mir zwar ernstlich vor, mich zu bessern und meine zerrütteten Verhältnisse in Ordnung zu bringen, aber leider hatte ich nicht Kraft genug, diese guten Vorsätze auszuführen, und ich glaube auch, daß mich nichts heilen kann als Armuth! Endlich ist's mit mir dahin gekommen, wo ich jetzt bin, und ich bin verloren, wenn du kein Rettungsmittel weißt, oder wenn du nicht zu dem, was ich dir vorschlagen werde, die Hand bieten wirst.‹

Die weinende Marie versprach, auf Alles einzugehen, und nachdem sich mein Vater, der sich noch sehr matt fühlte, etwas erholt hatte, fuhr er weiter fort:

›Gehe hin ins Dorf zu unsern Wohlthätern, und berufe sie zu mir; ich will ihnen von meinen Umständen[82] so viel sagen, als sie wissen dürfen, und ihnen gegen baare Zahlung der Summe, die ich bedarf, Haus und Gut verkaufen. Du aber, nimm das Geld, gehe morgen um Mitternacht, wenn der volle Mond gerade über dem Sandhügel steht, in die Ludlamshöhle, und bringe es der Schuldfrau wieder; dir braucht nicht zu grauen vor dem Wege, der zwar etwas beschwerlich ist, noch vor der Darleiherin, die du wahrscheinlich so wenig zu sehen bekommen wirst, als ich sie jemals sah. Gehe langsam und ohne Furcht zu zeigen bis zu der Stelle, wo das Wasser rauscht, und wo ein schwacher Mondstrahl durch das Felsengewölbe fällt, dann mache dreimal die Runde um den Brunnen, lege den Geldsack auf den Rand, und sage: Mutter Ludlam, ich danke euch! mein Mann, euer Schuldner, sendet mich, weil er nicht selbst kommen kann! So du noch etwas willst hinzusetzen, kann dirs Niemand wehren, doch laß deiner Worte wenige sein.‹

Meine Mutter war in der peinlichsten Verlegenheit über diese Zumuthungen, doch es galt hier Lebensrettung eines geliebten Gatten, und sie entschloß sich, Alles für diesen zu wagen. Sie hatte zwei schwere Wege vor sich, und unter Todesangst rüstete sie sich zu beiden. Sie bebte sehr vor dem Besuche bei Mutter Ludlam, aber noch mehr fürchtete sie sich, ihre alten Wohlthäter im Dorfe aufzusuchen und bei ihnen ihr Anliegen vorzubringen. Es war wahrlich eine schwere Aufgabe für sie, denselben Leuten, deren Unterstützung sie einst in so hohem Grade genossen, die sie darauf durch Verschwendung und Großthun beleidigt,[83] deren Warnungen sie verschmäht hatten, jetzt wieder unter die Augen zu treten und aufs Neue von ihnen Hilfe zu erbitten. Marie brauchte sich zwar von Allem, was ihre alten Freunde aufgebracht hatte, wenig zuzurechnen, aber die Schande des Mannes, so wie seine Ehre, fällt mit auf die Frau zurück; auch hatte die zärtliche, duldsame Gattin, so oft die Fehler ihres Mannes zur Sprache gekommen waren, sich immer so mild und behutsam darüber ausgedrückt, daß man wohl glauben konnte, sie habe mehr Theil an Richards Thorheiten, als es wirklich bei ihrer gänzlichen Schuldlosigkeit der Fall war.

Mit zitternden Schritten ging sie zu ihren ehemaligen Freunden, und fand die Aufnahme, die sie gefürchtet hatte. Ihr schüchternes, betroffenes Wesen gab jenen schon Veranlassung, sie unfreundlicher zu empfangen, als geschehen sein würde, wenn die Arme einigen Muth gezeigt hätte. Man setzte nach ihrem Betragen und dem Anfange ihrer Rede voraus, sie komme, um zu borgen, und antwortete ihr mit Härte. Man sagte ihr, man habe einen ähnlichen Besuch längst erwartet, hielt ihr alle Ausschweifungen ihres Mannes vor, als wären es ihre eigenen gewesen, und gab ihr statt des Darlehns ein ganzes Bündel gute Lehren, die sie nicht brauchen konnte. Sie ermannte sich endlich, sprach deutlicher und fand besseres Gehör. Richards hübsches Gut stand Mehreren im Dorfe an, man fragte genau, ob es auf einen Verkauf oder nur auf eine Verpfändung abgesehen sei, denn mit Letzterer wollte man nichts zu thun haben, und als man des[84] Erstern und des geforderten leidlichen Preises gewiß war, versprach man, am andern Morgen mit Tagesanbruch bei dem Kranken zu sein, und die Sache richtig zu machen.

Das Versprechen wurde erfüllt, und der Kauf nach aller Form Rechtens vollzogen. Der Aelteste des Dorfes, ein vermögender Mann, leistete auf der Stelle baare Zahlung, und legte, weil er den Kauf wohlfeil fand, noch einen kleinen Ueberschuß dazu. ›Junger Mann,‹ sagte er ›ich glaube, daß ihr auf dem Punkte steht, euer Leben zu bessern, und ich will euch dazu behülflich sein, obgleich ich vermuthen muß, daß ihr nicht aufrichtig gegen mich gewesen seid. Gewiß habt ihr drückende Schulden; da es aber unmöglich ist, daß sie Alles hinweg nehmen, was ihr jetzt erhaltet, so seid nur guten Muthes. Die nicht unbedeutende Summe, die ihr übrig behalten müßt, kann euch dienen, etwas Neues anzufangen, und wenn ihr euch meiner Leitung überlaßt, so könnt ihr über's Jahr wieder im vollen Wohlstande sitzen. Auch sollt ihr indessen aus eurem Hause unvertrieben sein; ich verlange nur Rechnung von dem, was nunmehr mein Eigenthum ist, und werde euch für die Arbeit, die ihr in meinen Diensten verrichtet, schon gerecht werden.‹

So vortheilhaft auch die Anerbietungen des Käufers waren, so erfreuten sie meinen Vater doch nicht besonders; er fühlte wohl, daß er sich dem Manne ganz entdecken müsse, wenn er sich von seiner Hilfe und seinem Rathe[85] wahren Nutzen versprechen wollte, und vor einem solchen Geständnisse scheute er sich.

Meine Mutter schöpfte dagegen neue Hoffnungen für die Zukunft, und schickte sich mit erleichtertem Herzen zu dem zweiten schwerem Gange an, der ihr diese Nacht bevorstand.

Da die Ludlamshöhle von unserer jetzigen Wohnung ziemlich entfernt lag, so mußte sie sich zeitig aufmachen, wenn sie zur bestimmten Stunde dort sein wollte. Ich saß auf der Bank vor dem Hause und wartete auf mein Abendbrod, was man mir zu reichen vergessen hatte, als meine arme Mutter das Haus verließ. Sie weinte sehr und betete laut, daß Gott ihr den schweren Gang gelingen lassen möge, von dem das Leben ihres Mannes abhing. Ich folgte ihr, ohne daß sie es merkte, denn ich war gegewohnt, sie überall hin zu begleiten und war auch den Tag vorher mit ihr im Dorfe gewesen, obgleich sie mich Anfangs nicht hatte mitnehmen wollen.

Die Nacht brach ein; ich fühlte weder Furcht noch Grauen, leuchtete doch der Mond und zeigte mir den Weg, den meine Mutter nahm. Um nicht von ihr gesehen und nach Hause geschickt zu werden, blieb ich immer in einer gewissen Entfernung von ihr, bis sie endlich die Höhle erreichte, an deren Eingange sie sich auf die Kniee warf, um sich noch einmal zu dem schweren Gange, den sie zu thun hatte, Muth vom Himmel zu erbitten. Als ich sie zur Erde sinken sah, fürchtete ich, daß ihr irgend ein Unglück begegnet sein möchte; ich konnte mich nicht länger[86] alten, verdoppelte meine Schritte und lief mit dem Geschrei: Mutter! Mutter! auf sie zu.

Der Anblick eines lebenden Geschöpfes in einer Gegend, wo sie sich ganz einsam glaubte, mochte ihr einigen Schrecken verursacht haben, doch meine Stimme verrieth mich ihr bald, und sie faßte sich. – ›Armes Kind,‹ rief sie, und breitete die Arme mir entgegen, ›was willst du an diesem grauenvollen Orte, und was soll ich mit dir anfangen?‹ Ich schlang meine Arme um ihren Nakken und weinte.

›Ach was soll ich beginnen,‹ fuhr sie fort, ›da ich nun auch noch für dich zu sorgen habe! O, daß es noch Zeit wäre, den Rückweg anzutreten, um dich wieder heimzubringen!‹ – Dazu war es jedoch zu spät; die Stunde nahte, in der meine Mutter in der Höhle sein mußte. Ihre Angst wuchs mit jedem Augenblicke; sie fragte mich endlich, ob ich Muth hätte, hier im Gebüsch allein zu bleiben, oder ob ich ihr in die düstre Höhle folgen wollte. Ich erklärte mich freudig für das Letztere.

Erst jetzt dachte meine Mutter darüber nach, ob es ihr auch wohl erlaubt wäre, mich mit in die Höhle zu nehmen, denn sie hatte ganz vergessen, daß die Begleitung eines Kindes vergönnt war. Nach langem Ueberlegen kam sie endlich zu der Ueberzeugung, daß, wenn ihr in der Höhle Lebensgefahr drohe, es für sie und mich besser sein würde, mit einander umzukommen, als daß ich nach ihrem Tode in so zartem Alter als eine Waise zurückbliebe. –[87]

Bald zeigte der Stand des Mondes die Mitternachtsstunde an, und wir schritten muthig in die Höhle; mich hatte Unwissenheit und die Gegenwart meiner Mutter so kühn gemacht, daß ich ihr voran eilte. Unser Muth sollte indeß noch auf eine harte Probe gestellt werden. Anfangs war die Höhle zwar weit, und vom Wiederschein der mondhellen Gegend beleuchtet, aber bald verengte sich der nach Norden laufende Weg immer mehr, so daß ich endlich nicht mehr aufrecht gehen, und meine Mutter sich kaum noch auf Händen und Knieen durchdrängen konnte. Jetzt fing ich bitterlich zu weinen an, und verlangte nach Hause gebracht zu werden. Meine Mutter suchte mich zu beruhigen, und als ihr dieß nicht gelingen wollte, erklärte sie mir endlich auf das Bestimmteste, daß, wenn ich durchaus zurückwolle, sie mich allein gehen lassen würde. Diese Drohung wirkte; ich bestand nicht länger auf meiner Forderung, und setzte schluchzend den beschwerlichen Weg fort.

Endlich erweiterte sich die Höhle wieder so sehr, daß wir aufrecht stehen konnten; wir schritten nun rascher auf dem immer gleicher werdenden Boden fort, und setzten uns endlich, weil wir sehr müde waren, auf einen großen Stein nieder. Meine Mutter versuchte, mir Trost einzusprechen, dessen sie selbst so sehr bedurfte, und erst nach langem Zureden wagte ich es endlich, die bisher aus Furcht festgeschlossenen Augen zu öffnen. Ich sah mich ängstlich überall um, und glaubte, ziemlich entfernt von uns, einen kleinen Schimmer zu bemerken. Unverwandt blickte ich[88] nach der Stelle, und rief auf einmal: ›Mutter! Mutter! dort ist es hell, dort ist Jemand, der auf uns wartet!‹ –

Ohne eine Antwort abzuwarten, lief ich schnell voraus, und gelangte zu einem geräumigen, vom Mondschein erhellten Platze, wo ich eine alte Frau an einem Brunnen sitzen sah. Ganz entzückt, hier Licht und Gesellschaft zu finden, warf ich mich der alten Frau, die mich freundlich anblickte, in den Schooß, während meine Mutter voll Entsetzen von fern stand und nicht wußte, was sie thun sollte. Bald gedachte sie jedoch ihres Vorhabens; sie machte nun dreimal die Runde um den Brunnen, legte das Geld auf den Rand desselben, und sagte die vorgeschriebenen Worte. Während dessen lag ich in dem Schooße der Unbekannten in einem tiefen Schlummer, und erblickte das, was um mich vorging, nur im Traume. Ueberhaupt erinnerte ich mich später der ganzen Begebenheit nur als eines Traumes, und was ich dir von unserem Besuche bei der Mutter Ludlam mittheile, habe ich mehr den Erzählungen meiner Mutter, als meinem Gedächtnisse zu verdanken.

Noch hatte die freundliche Alte, welche mein Gesicht und meine Arme, die in ihrem Schooß ruhten, strich und liebkoßte, nicht gesprochen. Jetzt, da meine Mutter ihre Rede geendigt hatte, fragte sie mir sanfter Stimme, ob sie nicht noch ein Anliegen vorzubringen habe? – ›Dein Mann,‹ setzte sie hinzu, ›pflegte immer Dank und Bitte mit einander zu verknüpfen.‹[89]

›Nein, Frau Ludlam,‹ antwortete meine Mutter, ›dafür bewahre mich Gott! Sollte ich eine Bitte wagen, so wäre es diese, euer Leihhaus auf ewig vor uns zu verschließen.‹

›Und warum?‹

›Eure Gutmüthigkeit hat uns ins Elend gestürzt. Wir waren glücklich in unserer Armuth, und der spätere Ueberfluß, den wir euch verdankten, hat allein meinen Mann zu Thorheiten und Ausschweifungen verleitet!‹

›Wie aber, wenn ich eine Bitte an dich hätte.‹

›Ihr spottet einer armen Sterblichen!‹

›Gieb mir dieses Kind, das sich so vertrauensvoll an mich geschmiegt hat! Ich liebe es, ich will es glücklich machen! Alle Reichthümer dieser Höhle sind sein, wenn du einwilligst.‹

›Fordert lieber mein Leben!‹ schrie meine Mutter, und streckte die Arme nach mir aus, um mich meiner Gönnerin zu entreißen. Kaum hatte sie sich jedoch der Frau Ludlam ein wenig genähert, als sich diese in einen dünnen Nebel auflößte und mich schlummernd auf der Brunnenbank zurückließ. Meine Mutter raffte mich erschrocken in die Höhe, nahm mich auf den Arm und eilte, diese Gegend des Grauens so schnell als möglich zu verlassen. Es schien indeß bald, als habe es Frau Ludlam darauf angelegt, mich wider Willen meiner Mutter bei sich zu behalten, denn als diese an die finstern, engen Stellen der Höhle kam, und mich, die noch immer schlafend[90] auf ihrem Arme hing, hier niedersetzen wollte, war ich durchaus nicht zu erwecken. Und dennoch gelang es meiner Mutter, sich mit mir durch den engen Weg hindurch zu winden. Zwar blutete sie an Händen und Füßen, die sie sich an den scharfen Gestein aufgerissen hatte, – doch eine Mutter achtet ja keine Beschwerden, wenn es Rettung eines ihres theuren Kindes gilt. – Sie gelangte endlich an den Ausgang der Höhle und mit Entzücken begrüßte sie das Tageslicht, das sie so lange hatte entbehren müssen.

Es war schon hoch am Tage, und deshalb strengte meine Mutter, die mit Schmerzen daran dachte, wie sehr sich mein Vater um sie ängstigen würde, ihre letzten Kräfte an, um so schnell als möglich nach Hause zu kommen. Nachdem sie jedoch nur wenige Schritte gethan hatte, sank sie ganz ermattet nieder, und mußte eine Weile ausruhen. Ich ermunterte mich während dieser Zeit, rieb die Augen, und fing an, das als einen Traum zu erzählen, was uns in der Höhle begegnet war.

Meine Mutter ließ mich bei meinem Wahne, der ihr zur Verschweigung dieser Dinge so gelegen kam, und hat mir denselben erst später, als ich erwachsen war, benommen. – ›Schweig, Kleine,‹ sagte sie, ›und hüte dich, deine albernen Träume irgend Jemand zu erzählen, denn du wirst sonst von vernünftigen Leuten ausgelacht.‹

Wir langten um Mittag in unserem ehemaligen Hause an. So sehr sich nun auch mein Vater um[91] meine Mutter geängstigt hatte, und so sehr er auch jetzt erfreut war, sie wieder zu sehen, so schien er doch nicht ganz mit der Ausführung ihres Geschäftes zufrieden zu sein. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß er erwartet hatte, sie sollte seinen Wink verstehen, und nicht ohne ein neues Darlehn von der Schuldfrau zurückkehren. Meine Mutter hütete sich wohl, zu bekennen, daß ihr ein solches sogar angeboten worden war, und sprach um so nachdrücklicher von dem Verlangen der Fra Ludlam, mich zu sich zu nehmen, weil sie hoffte, diese kühne Forderung würde es ihrem Manne verleiden, sich ferner mit der Schuldfrau einzulassen. Sie suchte ihm noch begreiflich zu machen, was für eine gefährliche Bekanntschaft überhaupt Mutter Ludlam sei, und wie es selbst scheine, als wolle sich diese für ihre Bereitwilligkeit, uns zu helfen, dereinst mit Leib und Leben von uns Allen bezahlt machen.

Richard schwieg eine Weile, und meinte dann, man müsse nicht gleich das Aergste denken; er sei überzeugt, daß die freigebige Alte gewiß nur Gutes mit mir im Sinne gehabt habe, und daß sie gewiß besser für meine Zukunft gesorgt haben würde, als er und meine Mutter dieß zu thun im Stande wären.

Mein Vater genas zwar körperlich, aber sein Gemüthszustand blieb derselbe. Fast immer mißmuthig und selten zur Arbeit aufgelegt, verließ er uns oft, um sich außer dem Hause zu zerstreuen, und bald fing er auch wieder seine nächtlichen Wanderungen an, über deren[92] Zweck wir kurz darauf von ihm selbst Aufschluß erhalten sollten.

›Du mußt dich,‹ sagte er eines Tages zu meiner Mutter, ›bei unserer Gönnerin durch deinen Besuch schlecht empfohlen haben, denn es scheint, als wenn sie nichts mehr von uns wissen wollte. Kaum kenne ich mehr den Eingang ihrer Höhle; er hat sich um mehrere Fuß verengt, und der schmale nördliche Pfad ist gar nicht mehr zu finden.‹

›Sollte es möglich sein,‹ rief meine Mutter mit Erstaunen, ›daß du auf Erneuerung alter Thorheiten dächtest?‹

Richard antwortete nicht, aber am nämlichen Tage nahm er mich mit in die Gegend der Ludlamshöhle, und befahl mir, den engen Weg zu suchen, den ich ehemals hier mit meiner Mutter gegangen sei. Ich sagte ihm, daß ich ja nie in dieser Höhle gewesen wäre, sondern nur davon geträumt habe, und daß meine Mutter mir es verboten, dergleichen alberne Träume irgend Jemand zu erzählen. Obschon ich also nicht im Stande war, den gesuchten Weg aufzufinden, so nahm mich mein Vater doch noch oft mit in die Gegend der Ludlamshöhle, und wenn ich dort im Sande spielte, gab er auf jede meiner Bewegungen sorgfältig Acht. Jedes Steinchen, das ich auflas, mußte ich ihm bringen, denn er hoffte wahrscheinlich, daß meine alte Gönnerin mich etwas Kostbares finden lassen würde. Der silberne Ring, den du zu meinem Andenken trägst, ist indeß der einzige Gegenstand[93] von Werth, den ich im Sande fand; ich überlieferte ihn damals meiner Mutter, welche ihn mir aufzuheben versprach, bis ich älter geworden wäre.

Als ich das zwölfte Jahr zurückgelegt hatte, gab mir meine Mutter den Ring wieder, und that mir zugleich das als Wahrheit kund, was ich bisher für einen Traum gehalten hatte. Ich sann lange über diese seltsame Begebenheit nach, bis ich, auf einmal von einer großen Müdigkeit befallen, bei meinem Spinnrocken einschlief.

Mein Kopf war voll von den Dingen, die ich gehör hatte, und ich träumte bald, Mutter Ludlam stehe vor mir. ›Armes Kind,‹ sagte sie, ›der Eigensinn deiner Mutter hat dich um alles Glück gebracht, mit dem ich dich zu bedenken Willens war. Empfange wenigstens den silbernen Ring als ein Zeichen meines Wohlwollens, und bewahre ihn auch als ein Unterpfand künftiger besserer Tage. Geht dir es übel, so erinnere dich des Ringes und seiner Geberin, und blicke getrost in die Zukunft!‹

Doch ich erzähle dir ja schon die Begebenheiten späterer Zeiten, als ich bereits mein Vaterland verlassen und das deinige betreten hatte! – Laß mich zu meiner Geschichte zurückkehren.

Noch war kein Jahr seit dem Verkaufe unseres Grundstückes verflossen, als mein Vater es nicht länger in seiner jetzigen Lage auszuhalten vermeinte, und sich bei der ersten Gelegenheit gegen meine Mutter offen darüber erklärte. ›Marie,‹ sagte er, ›ich vermag nicht länger in dem Hause Knecht zu sein, wo ich ehemals gebieten[94] konnte! Der Herr, für dessen Rechnung wir hier wirthschaften, mag gut und brav sein, aber schon der Name Herr macht mir ihn zuwider. Ich kann es nicht länger dulden, daß er sich immer mehr um unsere eignen Angelegenheiten, die ihm nichts angehen, bekümmert; auch mag ich es nicht mehr anhören, daß er stets davon spricht, wir sollten unser überflüssiges Geld irgendwie gut anlegen, während wir doch nur eine Kleinigkeit besitzen, die allenfalls hinreichen wird, das auszuführen, was ich im Sinne habe. Höre, was es ist. Man spricht von starken Werbungen zu einem Zuge nach dem festen Lande Das Schwert habe ich ehemals geführt, und es brachte mir mehr Glück als die Pflugschaar; ich werde diese wegwerfen und das Schwert wieder ergreifen. Willst du hier zurückbleiben, um in dem Hause Mägdedienste zu thun, wo du ehemals Frau warst, so kann ich dir es nicht wehren, – willst du mich aber begleiten, so nehme ich dieß als einen Beweis deiner Liebe dankbar an.‹

Zu derselben Zeit sammelte der König von England ein großes Heer, um seinem Tochtermann, den Herrn von Coucy, zu seinem mütterlichen Erbe, den Elsaß, und einigen andern, den Herzögen von Oesterreich unterworfenen Ländern zu verhelfen. Wer tapfer war, und in seinem Vaterlande nicht viel zu verlieren hatte, folgte dem Paniere des jungen Prinzen und seines Feldherrn, des tapfern Cervola. Da mein Vater sich gerade in diesem Falle befand, so war ihm sein Entschluß nicht zu verdenken. Selbst meine Mutter wagte es nicht, ihn deshalb[95] zu tadeln; auch war sie nicht lange unschlüssig, was sie für sich zu thun habe. Die traurige Rolle, die sie in ihrem Vaterlande spielte, und die ihr von ihrem Manne oft auf eine kränkende Weise vorgeworfen wurde, war es indessen nicht, was sie bestimmte, mit ihm zu ziehen, sondern einzig die Liebe und Treue, die sie ihm unter allen Verhältnissen und bis zum letzten Athemzuge bewahrte, vermochte sie hierzu. Desto mehr wurden meine Eltern von ihren Bekannten wegen ihres Vorhabens getadelt, und unser Gutsherr verlor meinen Vater, der in der letzten Zeit wieder sehr fleißig gewesen war, höchst ungern. Trotz aller Vorstellungen beharrte dieser auf seinem Sinne, und schenkte, um sich seinem ehemaligen Herrn dankbar zu bezeigen und im Guten von ihm zu scheiden, ihm den künstlichen italienischen Pflug, den er ehemals nach Mutter Ludlams Modell gemacht hatte, um ihr das geborgte Exemplar wiedergeben zu können. – Dieses Geschenk wurde gut aufgenommen, und mein Vater hatte dadurch wenigstens so viel gewonnen, daß er keinen bösen Leumund zurückließ. ›Richard war doch eine gute Haut,‹ hieß es, ›nur ein wenig leichtsinnig, unstät und stürmisch, wie das junge Volk ist, aber ein schlauer und anschlägiger Kopf, der Alles konnte, was ihm unter die Hände kam, wie der Pflug ausweißt, den er dem Vater Robert geschenkt hat.‹

So mußte ich also in meiner zarten Kindheit die häusliche Stille mit dem Geräusche des Krieges vertauschen. Es war ein wildes Volk, das Cervola den Herzögen[96] von Oesterreich über den Hals führte, und meine sanfte Mutter litt unbeschreiblich durch die Auftritte, die sie unter diesem rohen Menschenhaufen erlebte. Unser erster Zug ging nach Frankreich, wo sich unser Heer sehr vergrößerte, und dann wie eine Fluth über die Gebirge herüber strömte, in die Länder, die man als Coucy's rechtmäßiges Eigenthum betrachtete. Zweimal in verschiedenen Jahren wurden die Unsrigen als ungebetene Gäste zurückgetrieben. Endlich mischte sich der Kaiser darein, und jagte die Engländer bis gen Colmar. Hier war es, wo ich zur Waise wurde; statt des gehofften Ruhmes und der reichen Beute, fand mein Vater hier den Tod. Das englische Heer zerstruete sich, und meine Mutter und ich, nebst tausend eben so unglücklichen Weibern und Kindern, welche, wie wir, ihren Vätern und Männern gefolgt waren, blieben als Bettlerinnen zurück. Arbeit oder Dienste in dem ganz ausgesogenen Lande zu finden, war unmöglich; der Bettelstab trug uns in Gegenden, an die wir wohl nie gedacht hatten, bis endlich meine Mutter krank zu Schweidnitz liegen blieb, und daselbst von einer barmherzigen Samariterin aufgenommen und verpflegt wurde. Als sie genaß, blieben wir noch bei unserer Wohlthäterin; zwar bekamen wir keinen Lohn, aber wir genossen so gut wie die Hausfrau, des sparsamen Brodes, das wir ihr erarbeiten halfen. Ich war nicht unglücklich, und trauerte ich ja einmal, so fand ich in dem Anblicke meines Ringes Trost und reichen Stoff zu jugendlichen goldnen Träumen; aber als meine Mutter mir entrissen[97] wurde, da verlor der Ring seinen Werth in meinen Augen. Was kann mir das Leben noch bieten, nachdem ich meine gute Mutter verloren habe?«

Marien's Augen füllten sich mit Thränen, als sie ihres traurigen Schicksales gedachte, und sie beschloß ihre Geschichte mit folgenden wenigen Worten: »Ich blieb in den Diensten meiner Frau, und an ihr lag es nicht, daß ich nicht aus ihrer Magd ihre Tochter wurde. Ihr Sohn verfolgte mich, da ich heranwuchs, mit seiner Liebe, aber er war ein wilder, roher Mensch, den ich nicht leiden konnte. Da ging er hin und nahm sich eine Andre, bei welcher ich seit dem Tode seiner Mutter, weil ich keine andre Zuflucht weiß, noch bin; aber länger halte ich es nicht in diesem Hause aus, wo die Frau mich mit Eifersucht, und der Mann auf eine noch schlimmere Art verfolgt.«

Als Marie ihre Erzählung geendet hatte, fragte Erdmann: »solltest du mir nicht noch Etwas mitzutheilen haben? Werde ich nie erfahren, warum du so oft nach dem Rumpelbrunnen wallfahrtest?«

Marie schien diese Frage zu überhören, und sagte nach einigem Bedenken: »ich vergaß ja ganz die Nutzanwendung, die in meiner Geschichte für dich enthalten ist! Baust du noch auf deinen Patron im Gebirge, seit dem du erfahren hast, was für Vortheile die Freundschaft der Mutter Ludlam meinen Eltern und mir brachte? Glaube doch ja, daß diese so hoch über uns stehenden Wesen uns nur zu ihrem Spielwerke gebrauchen; der Segen, den[98] uns die Vorsicht durch unsern Fleiß oder gewöhnliche Glücksfälle gewährt, ist besser und dauernder als alle deine rübezahl'schen Schätze, und alle Spenden der Leihfrau in der Ludlamshöhle!«

»Du verachtest sie alle? Auch den Ring der Hoffnung, den du mir zum Unterpfande gabst?«

»Auch ihn! Nur weil du ihn jetzt trägst, ist er mir noch theuer; hätte ich einen bessern gehabt, so wäre er gar nicht zu dieser Ehre gekommen. O der elenden, armseligen Hoffnungen, die er mir gab, und die nie erfüllt wurden! Hoffnungen eines Kindes, das man im Winter auf Rosen vertröstet! Habe ich nicht meine Eltern, habe ich nicht Alles verloren? Bin ich nicht eine Fremde in diesem Lande, und werden meine Aussichten nicht mit jedem Tage trüber? Ach, Erdmann, du weißt noch nicht Alles; erst heute erlitt ich einen neuen Verlust! – Deine Liebe ist es allein, die mich noch einigermaßen tröstet, und auf ihr beruhen jetzt alle meine Hoffnungen. Und dennoch sehe ich noch keine Möglichkeit, einst die Deinige zu werden!«

»Für diese Möglichkeit, du Zweiflerin, bürgt der Inhalt dieses Beutels!« rief Erdmann, indem er einen solchen, der anscheinend sehr schwer war, hervorzog. »Hierin sind die Gaben des wohlthätigen Berggeistes enthalten; der Rübezahl, wie du ihn immer, ich hoffe nicht aus Verachtung nennst, ist nicht so karg, wie deine vaterländische Leihfrau! In diesem Beutel sind fünfhundert neun und vierzig Goldstücke, achtzig Stück grobe Silbermünze[99] und einige rare Kreuzpfennige; es ist mein ganzer Schatz, der, wie mich dünkt, hinreichen wird, unser Glück zu gründen. Sprich, was hindert mich, daß ich heute noch Meister Melchiorn den Dienst aufsage, mit dir morgen, wenn ich dich hier finde, in das nächste Dorf zur Kirche gehe, und dich dann gleich vom Altare in eine von den benachbarten Städten bringe, wo, wie ich weiß, verschiedene Gasthäuser zum Verkaufe stehen, und wo wir gute Nahrung finden werden? Wähle, Marie, willst du nach Liebenau? nach Hirschberg? nach Reichenbach? oder willst du weiter in's Land, nach der großen Stadt Breslau? – O sprich, und weine nicht mehr, denn du siehst ja, daß unserer Verbindung gar nichts weiter im Wege steht.«

Aber Marie weinte fort, und drückte nur seine Hände, weil sie ihm mit Worten nicht danken konnte; Alles, was er ihr sagte, dünkte ihr ein Mährchen. – »Gut macht Muth,« rief Erdmann, »und ich sehe wohl, ich muß dich mit dem vollen Anblicke unsers Schatzes erfreuen, wenn du deine Thränen trocknen sollst.« – Bei diesen Worten hob er seinen Beutel mühsam empor, lößte die ledernen Riemen, bat Marien, die weiße Schürze wohl auszubreiten, und überschüttete ihren Schooß in einem Augenblicke mit einer ganzen Last – – rother, zierlich gerundeter Ziegelsteine, unter welchen einige Dutzend weiße Kiesel sich besonders gut ausnahmen. –

Erdmann starrte seinen sogenannten Schatz lange mit offnem Munde an, sprang dann auf und schlug[100] sich wüthend vor die Stirn, während Marie sich an den Baum, unter welchem sie saß, zurücklehnte und in ein bitteres Lachen ausbrach! – »O Rübezahl! o Mutter Ludlam!« rief sie, »ich merke wohl, ihr habt einander nichts vorzuwerfen.«[101]

Quelle:
Benedicte Naubert: Volksmährchen der Deutschen. Neue Ausgabe 1–4, Band 1, Leipzig 1840, S. 52-102.
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