Fünf und dreyßigstes Kapitel
Beweise, daß die erfahrenste Matrone nicht klug genug für ein junges Mädchen ist

[228] Ich konnte vor Unruhe über die Begebenheiten des vorigen Tages und über Hannchens seltsame Gemüthsfassung, kaum die Morgenröthe erwarten, ich eilte in das Zimmer meiner Tochter, um zu sehen, ob sich heute ein Anschein zu meiner Beruhigung zeigte, aber ich fand sie nicht nur so unruhig wie gestern, sondern wirklich krank, sie hatte nicht geschlafen, ihre Augen waren trüb und geschwollen, und ihr Gesicht glühte von einer schrecklichen Fieberhitze. – Sie besserte sich gegen den Nachmittag, so daß sie aufstehen konnte, aber irgend etwas vernünftiges, zur Sache dienendes mit ihr zu reden, ihr den Grund ihrer sonderbaren Verfassung abzufragen, daran war nicht zu denken; der Arzt sagte, ich müsse sie jetzt auf alle Art schonen, sie schien einen Gemüthskummer zu haben, der sich nur durch Freundlichkeit und Nachsicht, nicht durch ernste Untersuchungen erforschen ließ.

Mir war gleich erstes Tages der junge Fähndrich v. Wilteck eingefallen, welcher ehemals einen Eindruck auf das Herz des Mädchens gemacht zu haben schien, und der vielleicht auch jetzt der Grund ihrer Unruhe seyn konnte. Um zu erfahren, ob[228] ich mich irrte, nannte ich seinen Namen in ihrer Gegenwart einigemal als von ohngefehr, und ich merkte, daß ihre Wangen allzeit bey seiner Erwähnung stärker glühten. Ein andermal fragte ich sie, als wir allein waren, ob sie ihn während ihres Aufenthalts bey seiner Mutter gesehen habe? Sie konnte kaum eine Bejahung meiner Frage zitternd hervorbringen, und als ich mehr von ihm zu hören wünschte, so wußte sie in der Bestürzung weiter nichts zu sagen, als daß er jetzt Lieutenant sey.

Ihre Verwirrung hiebey war so groß, daß ich nichts weiter zu wissen brauchte. Die Sache war klar; sie liebte ihn noch, und wenn weiter nichts als dieses die Ursach ihrer Unruhe war, so konnte ich ja noch wohl hoffen, sie zu trösten. Ein kleiner Lieutenant von neugeschaffenem oder gar keinem Adel, war ja wohl keine Parthie, die zu hoch für die Tochter eines reichen Amtmanns war. Jetzt war nicht die Zeit mit ihr von solchen Dingen zu reden; ich bemühte mich nur, ihr im allgemeinen Muth einzusprechen, welches mir um so viel leichter zu thun ward, da ich selbst wieder Muth bekam, und die schrecklichen Dinge, die mir zuweilen von dem Gemüthskummer des Mädchens einfielen, aus dem Sinne schlug.

Julchen war jetzt völlig wieder hergestellt, sie hatte nichts durch die Blattern verlohren, als die Schönheit und Farbe ihrer Haut, ein Fehler, welcher sich, da sie noch sehr jung war, auch[229] wohl wieder verbessern konnte; ich hütete mich indessen wohl, ihr dieses zu sagen, weil ich hofte, auf die übertriebene Vorstellung, die sie von ihrer Häßlichkeit hatte, viel gutes zu bauen. Hannchen war noch immer sehr schwach, sie brachte die meisten Vormittage im Bette zu, und konnte nur des Nachmittags ein wenig aufstehen; doch fehlte es diesen Stunden, die ich mit meinen beyden Töchtern in gesellschaftlicher Ruhe zubrachte, nicht an Annehmlichkeiten. Zwar unsere Gespräche waren nicht allemal heiter und fröhlich, denn wie viel trauriges war mir in Hannchens Abwesenheit begegnet, das ich ihr doch alles, ob wohl mit einiger Schonung mittheilen mußte, aber es gab doch auch wieder Stunden, da das Andenken an unsere Verstorbenen weniger schmerzhaft, die Sorge für die Abwesenden und Verirrten nicht so nagend, und die Aussicht in die Zukunft freyer und unbewölkter war. Ob Hannchen eben diese Linderung fühlte, weiß ich nicht; sie war immer zu still und in sich selbst gekehrt, als daß man sie ganz richtig hätte beurtheilen können, aber sie schien zuweilen doch wenigstens ruhig, und ich nützte denn diese Augenblicke immer, ihr entweder mit entfernten Hoffnungen zu schmeicheln, die ich für die wirksamsten hielt, oder sie auf eine unschuldige Art zu zerstreuen.

Julchen bat mich eines Tages, als wir so ruhig beysammen saßen, doch die Geschichte zu erzählen, welche ich an dem Tage, da Hannchen[230] uns durch ihre Erscheinung so sehr überraschte, eben anfangen wollte, und ich, die schon lange auf diese Aufforderung gewartet hatte, weil ich gesonnen war, unterschiedliches einfliessen zu lassen, das auch Hannchen heilsam seyn konnte, fieng folgendermaßen an.

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 1, Mannheim 1791, S. 228-231.
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