Sieben und dreyßigstes Kapitel
Ein Intermezzo

[244] So weit war ich in meiner Erzählung gekommen, als der Oberste von Wilteck sich bey mir melden ließ. Seit meines Mannes Abreise nach Berlin hatte ich allen Umgang mit dem hochadelichen Hause aufgehoben; meine liebe Frau von Wilteck war nicht gegenwärtig, und ihr Gemahl, nebst[244] dem Obristen, waren nie Leute nach meinem Geschmack gewesen. Auch hatten sie in meiner gegenwärtigen Einsamkeit mich nie mit ihren Besuchen beunruhigt, und ich wunderte mich um so vielmehr, daß ich heute einen erhalten sollte.

Der Vorwand, unter welchem der Oberste zu mir kam, war ein Brief von meinem Mann aus Berlin, aber die Ungeduld, mit welcher er strebte ein gewisses Gespräch anzufangen, und die Weitläuftigkeit, mit welcher er sich bey demselben aufhielt, ließ mich es bald begreifen, daß das erste nur die Nebenursach seines Kommens war.

Fast ohne alle Veranlassung, ohne allen Eingang, brachte er das Gespräch auf seinen Neffen, den Lieutenant Wilteck, sagte viel zu seinem Lobe, wobey er Hannchen unabläßig ansah, und schloß endlich mit der Nachricht, er sey unter die – schen Truppen gegangen, und werde mit denselben nächster Tage sich nach Amerika einschiffen. Schon jetzt hat er den Charakter als Hauptmann, sagte er, und wie hoch kann er sich in den vier oder fünf Jahren bis zu seiner Rückkunft schwingen? er ist in aller Absicht ein hofnungsvoller junger Mensch, der seiner Familie Ehre machen wird, und Amerika ist recht der Ort, wo er etwas versuchen, und sich mit Reichthümern beladen kann, um in seinem Vaterlande glänzen, und nach der Hand des schönsten und vornehmsten Fräuleins streben zu können.[245]

Ich hörte nicht weiter auf des Menschen albernes grundloses Gewäsch, sondern sahe nur Hannchen verstohlen an, welche noch in der Stellung, mit geschlossenen Augen in ihrem Stuhl zurück gelehnt da saß, die sie bey des Obristen Eintritt angenommen hatte. Ihre zunehmende Bläße bezeigte, was der eben gehörte Vortrag für einen Eindruck auf sie machte. Ich ward in dem Augenblicke in der Meynung bestärkt, daß ihre Liebe zu dem jungen Wilteck, und das Mißfallen, welches das vornehme Haus an derselben gehabt haben mochte, sie wieder in die Arme ihrer Mutter getrieben hatte. Es war ja offenbar, daß der boshafte Obriste seine Neuigkeiten nur darum so ungebeten auskramte, um Hannchen zu kränken, und ihr alle Hoffnung zu der hohen Verbindung abzuschneiden.

Die Mamsell Tochter sind wohl sehr unpaß, sagte der Oberste wieder mit einem hämischen Blick auf Hannchen, nachdem er noch eine lange Weile ununterbrochen und von mir fast unbemerkt fortgeplaudert hatte. Ja in der That, erwiederte ich, indem ich aufstand, ich glaube sie bedarf Ruhe, und es scheint noch nicht, als wenn der einförmige Ton des Gesprächs sie in Schlummer wiegen wollte. Welches ich von Herzen gern glaube, antwortete der abscheuliche Schwätzer mit einem höhnischen Lächeln, indem er gleichfalls aufstand, um sich zu empfehlen. – Gern hätte ich ihm zum Abschied noch etwas bitteres gesagt, aber ich hielt[246] es für besser zu schweigen, und gar nicht beleidigt zu scheinen; im Grunde wußte ich auch noch zu wenig von der rechten Lage der Sache, um einsehen zu können, wohin ich die meiste Stärke meines Unwillens wenden sollte.

Wir waren nun wieder allein, und ich winkte Julchen das Zimmer zu verlassen, weil ich den gegenwärtigen Augenblick für die schicklichste Zeit hielt, endlich von Hannchen Auskunft über so viel verborgene Dinge zu erhalten.

Sage mir, um Gottes willen, rief ich, nachdem ich sie eine Weile angesehen hatte, wie sie so vor mir saß und die Thränen unter ihren geschlossenen Augenliedern hervordrangen, sage mir, was soll ich aus deinem seltsamen Zustande machen? was ist mit dir, während deines Aufenthalts in dem Wilteckischen Hause vorgegangen? Dein Haß gegen die meisten, und deine Neigung gegen Einen aus diesem Hause ist offenbar. Ich will dir das Geständniß ersparen, du liebst den Lieutenant und er dich vielleicht auch, eure Leidenschaft wird von seinen Verwandten gemißbilligt, und man sucht euch von einander zu trennen; sprich, ist dieses nicht der Gegenstand deines Kummers? Hannchen antwortete mir mit einem bejahenden Hauptwink, denn sie vermochte vor Thränen nicht zu sprechen.

Aber, bestes Mädchen, fuhr ich fort, bedenke doch, ob dieses eine hinlängliche Ursache ist, dir das Herz abzunagen! bedenke doch, wie viel Dinge in der Zukunft möglich werden, die wir jetzt ganz[247] aufgeben müssen. Laß doch den jungen Menschen einige Jahrlang in der Welt sein Glück versuchen, er kommt ja zurück, und ist er dir denn noch treu so – oder zweifelst du an seiner Treue? – oder fürchtest du für die Gefahren, die auf der weiten Reise seinem Leben drohen könnten? Deine Winke bedeuten mich, daß dieses nicht der Grund deiner Unruhe ist, nun so sprich, was ist es denn; entdecke dich doch einer Mutter, die dich so sehr liebt, die Trost und Hoffnung für dich in Ueberfluß hat.

Sie warf sich um meinen Hals, und fuhr fort zu weinen, ich begleitete ihre Thränen mit den meinigen, denn ihr Kummer durchbohrte mein Herz. Endlich riß sie sich von mir los, küßte meine Hand, und bat mich, ihr Frist bis morgen zu geben, da sie sehen wollte, ob sie sich zu einer umständlichen Erzählung ihrer Leiden ermannen könne.

Ich drang nicht weiter in sie, sondern setzte alle meine Hoffnung auf den morgenden Tag, aber er erschien, er verlief mehr als zur Hälfte, und Hannchen blieb stumm. Gegen Abend, da ich mich eben gefaßt machte ihr noch einmal ernstlich zuzureden, bat sie mich, doch Julchen rufen zu lassen, und ihr die Geschichte des vorigen Tages vollends zu erzählen.

Ich zuckte die Achseln mit einer unwilligen Miene: denkst du mich zu bereden, fragte ich, daß du in deiner jetzigen Verfassung Geschmack an einem Kindermährchen finden könnest? – Gönnen sie mir, antwortete sie, doch nur noch diese kleine[248] Erholung, diesen kleinen Aufschub, ehe ich mich an eine Erzählung wage, vor welcher mir so bange ist, welche alle Wunden meines Herzens wieder aufreißen wird, welche vielleicht – –

Eben trat Juchen herein, und unser Gespräch ward unterbrochen. Ich ward von beiden an die Fortsetzung der Geschichte erinnert, und ich fieng halb gezwungen an dem Orte an, wo ich des vorigen Tages aufhören mußte.

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 1, Mannheim 1791, S. 244-249.
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