Neun und dreyßigstes Kapitel
Unvermuthetes Unglück

[264] Ich glaubte Hannchen mächtig getröstet zu haben, aber sie kam mir niedergeschlagener und zurückhaltender vor als je. Die versprochene Erzählung ihres eigentlichen Anliegens unterblieb gar, und ich, die ich aus ihrer zunehmenden Schwäche sahe, wie sehr ich sie schonen müsse, beschloß auch nicht ein Wort mehr von meinem Verlangen ihr Geheimniß zu wissen, zu erwehnen, bis sie völlig gesund sey. Ach Gott, diese glückliche Zeit sollte nie kommen! ich sollte es erst nach ihrem Tode erfahren, was ihr das Herz zerrissen hatte, ich sollte dahintergebracht werden, mir selbst Vorwürfe zu machen, daß ich vielleicht durch Unvorsichtigkeit, durch einige ohne auf sie gerichtete Absicht gesprochene Worte, mir den Zugang zu ihrem Herzen versperrt, mir ihr Zutrauen und die Möglichkeit geraubt habe, sie zu retten.[264]

Doch wer weiß, ob hier Rettung möglich gewesen wär; der äußerlichen Ursachen ihr Ende zu beschleunigen, kamen zu viel zusammen. Besorgnisse, Gram, Schrecken, vielleicht auch Freude erschütterten ihren schwachen Bau zu heftig, sie mußte unterliegen.

Nach der boshaften Erzählung des Obristen, von der amerikanischen Reise seines Neffen, war es in die Augen fallend, wie sehr ihre Kräfte abnahmen. Sie hatte oft seltsame Phantasien, in welchen sie die Namen der Wilteckischen Familie mit denen aus dem Märchen von Ritter Reutlingen wunderlich durch einander mischte. Sie schlief wenig, aß fast gar nichts, und lag die meiste Zeit stumm und mit offenen Augen in ihrem Bette.

An einem der Tage da sie am schlimmsten war, saß ich weinend an ihrem Lager. Julchen welche ich hinausgeschickt hatte einige Kleinigkeiten zu besorgen, kam bleich und zitternd herein, winkte mich auf die Seite, und sagte mit leiser Stimme, das Haus sey voller Leute, welche ein sehr verdächtiges Ansehen hätten, und welche mich sprechen wollten. Eben wollte ich hinausgehen, um die Sache zu erforschen, als die Thür mit großem Ungestüm aufgerissen ward, und der Einnehmer hereintrat, welcher mit seinem tönenden Baß zu schreyen anfieng: Madam, hier sind Herren von der Landesregierung, welche die Amtskasse und die etwannigen Effekten des Herrn Gemahls versiegeln wollen. Eine etwas sanftere Stimme, erhob sich[265] hierauf. Der Vornehmste von der Deputation trat hervor, bat tausendmal um Verzeihung, versicherte, daß er dieses Geschäft höchst ungern über sich genommen habe, daß aber die hochlöbliche Landesregierung genöthigt worden sey, einen Verdacht auf die Amtsverwaltung meines Mannes zu werfen, und daß also –

Um Gottes willen, rief ich, meine Herren, bedenken sie, daß sie hier in dem Zimmer einer todtkranken Person sind. – Sie bedauerten hierauf abermal unendlich, und versicherten, daß sie das Zimmer sogleich verlassen wollten, wenn ich sie gefälligst begleiten wolle. – Ich empfahl Julchen die Sorge für ihre Schwester, welche sich hastig aufgerichtet hatte, und alle diese Dinge mit starren Augen ansah, ich aber folgte meinen ungebetenen Gästen.

Ich habe noch nicht deutlich erwähnt, daß ein Glücksfall mich in den Stand gesetzt hatte, mir augenblicklich aus der Verlegenheit zu helfen, in der ich gegenwärtig war. Das englische Loos meiner Tante hatte gewonnen, viel gewonnen; ich hatte das Geld erheben lassen, aber es aus Ursachen, die man errathen kann, gegen einen Schein in fremde Verwahrung gegeben. Ich berief mich hierauf, ich bot mich zur Bürgschaft an, aber man zuckte die Achseln, meynte, der Schein den ich vorzeigte, könne wohl falsch seyn; es wär bekannt, daß die Frau Amtmanninn nie einiges persönliches Vermögen besessen habe; ihre Bürgschaft[266] könne auf keine Weise angenommen werden; die Versiegelung der Kasse müsse vor sich gehen, und man verschiebe die Besichtigung derselben nur aus besonderer Achtung, bis zu Wiederkunft des Herrn Amtmanns.

Ich verstand nichts von dem was Rechtens war; ich mußte endlich schweigen. Man versiegelte, und ich konnte mit Mühe meine und meiner Tochter Habseligkeiten retten, daß uns nicht auch der Zugang zu denselben verschlossen ward. – Beym Abschied band mir noch das Haupt der Deputation besonders ein, ja es nicht zu unternehmen, meinem Manne etwas von diesem Vorgange zu schreiben, denn es würde nur dazu dienen, mich verdächtig zu machen, und übrigens ganz vergebens seyn, weil man schon Sorge getragen habe, daß keiner von meinen Briefen in Herrn Hallers Hände kommen könne. Ich fragte, ob nicht mit Zuziehung des Amtsverwesers, den mein Mann zurückgelassen hatte, eine Aenderung in den Sachen gemacht werden könne, aber ich merkte aus den Antworten, daß dieser selbst den größten Theil an dem ganzen Vorgange habe, vielleicht gar der Angeber meines Mannes gewesen sey.

Ich kehrte zu dem Bette meiner Tochter zurück, und fand sie ohnmächtig unter den Händen Julchens und einiger Mägde. Wir brachten sie wieder zu sich selber, sie schlug die Augen auf, und fragte mit ängstlichem Tone, ob die fürchterlichen Leute fort gegangen wären? Ich sprach ihr[267] tröstlich zu; fragte wie sie sich über eine Sache von so geringer Bedeutung, welche schon fast beygelegt wär, so erschrecken und beunruhigen könne? – Aber ihre Antworten zeigten, daß sie nicht ganz bey sich selber war, und die wahre Beschaffenheit der Sache gar nicht begriffen hatte, sondern nur durch den lärmenden Eintritt der Leute, und ihr rauhes Bezeigen, so ausser sich gesetzt worden war, ohne einzusehen was sie wollten.

Sie räumte den ganzen Auftritt mit ihren eigenen Ideen zusammen, schwärmte viel vom Lieutenant, von Römhild, und der Reise nach Amerika, und mischte das alles so seltsam unter einander, daß man unmöglich errathen konnte, was für eine Idee ihrer Seele eigentlich die meiste Unruhe machte, und auf welcher Seite man die Kur ihres verwundeten Herzens angreifen müsse.

Sie besann sich erst gegen den Abend völlig; sie erzählte uns den Vorgang des Vormittags, als einen fürchterlichen Traum den sie gehabt hatte, und daß wir sie in dieser Meynung bestärkten, brauchte ich wohl nicht erst zu erwehnen. Sie war so abgemattet, daß sie in einen tiefen Schlaf verfiel, der Arzt nannte dieses eine glückliche Krise, und gebot, allen Lärm, alle überflüssige Gesellschaft von ihr zu entfernen, und sie nicht zu stören, und wenn sie zwölf Stunden an einander schlafen sollte.

Ich beschloß nebst Julchen und einer Wärterinn allein bey ihr zu bleiben; die Nacht kam heran,[268] ich ließ die Kleine sich an der einen Seite des Krankenbettes zur Ruhe legen, und setzte mich an die andere, um das Erwachen meiner Tochter abzuwarten.

Eine schrecklichere Nacht als diese, besinne ich mich nicht gehabt zu haben. Die horchende Stille die mich umgab, begünstigte alle traurige Ideen die meine Seele einnahmen. Die Angst um das geliebte Kind, dessen Tod und Leben jetzt auf der Wage lag, war zwar gegenwärtig meinem Herzen der nächste, aber bey weiten nicht mein einiger Kummer; mußten nicht von allen Seiten die empfindlichsten Leiden auf mich zustürmen, wenn ich meine ganze Lage bedachte? – Von unserm gesunkenen Glück, und dem gefährlichen Punkte, auf welchem die Ehre meines Mannes gegenwärtig stand, will ich gar nichts gedenken. Meine Kinder waren es, die mir am meisten am Herzen lagen. War es nicht schrecklich für die Mutter einer so zahlreichen Familie, nicht eins von ihren Lieben in einer glücklichen Lage zu wissen? – Ach und wenn ich an Samuelen dachte, den ich auf so eine unglückliche Art verlieren mußte, wenn ich – nein es ist unmöglich die Quaalen dieser schrecklichen Nacht lebhaft zu schildern, ohne den alten Schmerz zu erneuern, und mich auf gewisse Art selbst für den gegenwärtigen Augenblick unglücklich zu machen.[269]

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 1, Mannheim 1791, S. 264-270.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon